Sehnsucht
und
Geheimnisse
Lene Sommer
1. Edition, 2024
© 2024 All rights reserved.
Lene Sommer
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
Independent Publishing
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Buch
Die junge Lehrerin Alma ist vom Land nach Frankfurt gezogen, um sich ein neues Leben aufzubauen. Der Liebe hat sie abgeschworen. Ihre geordnete Welt gerät ins Wanken, als sie beim Spaziergang mit ihrer Hündin in die berühmte Schauspielerin Tanja Hersdorf rauscht. Sofort entsteht eine sinnliche Anziehungskraft zwischen beiden Frauen. Während Alma zunächst verstört auf diese Anziehungskraft reagiert, verliebt sich Tanja sofort in die junge, unschuldig wirkende Frau. Was Alma nicht weiß: Tanja trägt einen dunklen, erotischen Drang in sich, der das Ende ihrer Liebe bedeuten würde. Tanja setzt alles daran, diese Begierde vor Alma zu verheimlichen.
Kapitel 1
Alma
Der Herbst in Frankfurt war eine unangenehme Angelegenheit. Ein grauer Schleier lag über der Stadt. Überall matschige Pfützen. Und die wenigen Sonnenstrahlen schafften es nicht durch die Häuserfront. Vielleicht lag es daran, dass Alma dem Herbst generell nichts abgewinnen konnte. Sie liebte den Sommer. Die Wärme. Das Licht. Der Herbst war nur traurig. Trotzdem verließ sie täglich ihre Wohnung. Sie musste es, weil ihre Hündin Leila nichts gegen das Grau einzuwenden hatte. Ihr kleiner Schwanz wedelte auch dann, wenn das Thermometer minus dreizehn Grad anzeigte. Heute war es, Gott sei dank, noch relativ mild.
Alma nahm Leila überall mithin. Am liebsten auch zur Arbeit. Aber ihre Chefin, die vierundfünfzigjährige Frau Scholz hatte etwas dagegen. Und so blieb Leila zu Hause, während Alma allmorgendlich zur Schule ging. In die Grundschule Frankfurt Menheim. Frau Scholz machte regelmäßig Kontrollgänge und kam in ihr Klassenzimmer, um zu überprüfen, dass ihre Hündin sich nirgendwo unter Almas Tisch versteckt hatte. Tagsüber passt daher ein Hundesitter auf Leila auf. Jeden Tag um zehn kommt er vorbei und führt sie aus. Heute ging Alma mit ihr nach draußen. Sie schlug den Kragen ihres Mantels nach oben, damit kein Wind hinein wehen konnte, und wagte sich in die Kälte. Eigentlich war es Anfang Oktober noch gar nicht kalt. Aber der Kontrast zwischen den sommerlichen siebenundzwanzig Grad im September und die zwölf Grad, die das Thermometer heute anzeigte, war einfach zu krass. Es ist einer dieser kalten frühen Herbsttage, an denen sich kaum jemand, der es nicht musste, nach draußen ging. Vor allem lag es am Wind.
Der Sommer in Frankfurt fühlte sich noch immer wie Urlaub an. Seit etwas über einem Jahr wohnte sie nun in dieser Stadt und entdeckte immer neue Facetten. Ihre Mitbewohnerin, die seit Jahren hier wohnte, schleppte sie in immer neue Ecken der Stadt. Sogar auf Hochhäuser. Von oben war der Ausblick über die Stadt einfach atemberaubend.
Ein hübsches blaues Kleid im Schaufenster bei Unikatia weckte ihre Aufmerksamkeit. Doch der Wind trieb sie schnell weiter. Nicht zu lange an einer Stelle verweilen, um warm zu bleiben. Sie hätte sowieso kein Geld, um in den Laden zu gehen. Als Lehrerin im ersten Jahr verdiente sie nicht genug, um sich neben der Frankfurter Miete auch noch Unikat-Klamotten leisten zu können. Außerdem würden die Verkäuferin wegen Leila wahrscheinlich Schnappatmung bekommen. Die meisten Verkäuferinnen hatten etwas gegen Hunde. Also lief sie weiter.
Kurz bevor sie wieder in ihre WG gehen wollte, wird sie auf ein buntes Treiben am Ende der Straße aufmerksam. Ihre Hündin zerrte an der Leine. Offenbar hatte auch sie den Trubel mitbekommen. Alma trabte fast hinter ihrer Hündin hinterher und hat Mühe, auf dem nassen Laub nicht den Halt zu verlieren. Eine Weile ging das gut, doch dann rutschte sie doch aus und die stürmische Leila dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben. Sie riss sich los und stürmte in rasanter Geschwindigkeit in Richtung des angrenzenden Parks.
Alma stand auf und rannte wie eine Irre hinterher. „Leila“, schrie sie und fühlte panisch, wir ihr Herz immer stärker schlug. „Leila!“ Vor ihrem geistigen Auge sah Alma bereits, wie ihre Hündin von einem Auto erfasst wurde. Für einen winzigen Augenblick war sie nicht mehr in Almas Blickfeld. Dann bog sie angsterfüllt um die Ecke und erreichte den Parkeingang. „Leila! Stopp!“ Ihre Lungen schmerzten, weil sie die Luft gierig aufsog. Auf dem Boden lagen lauter nasse Blätter, die sie zwangen, langsamer zu laufen. Wieder einmal verfluchte sie den Herbst. Ihre Augen begannen zu tränen. Wahrscheinlich hatte sie deswegen nicht gesehen, was eigentlich unübersehbar gewesen wäre. Sie stieß heftig gegen etwas Hartes. Alma bekam es kaum mit, weil ihre Augen noch immer auf Leila gerichtet waren. Der Stoß war so heftig, dass sie wieder fiel. Noch immer in die Ferne starrend, doch jetzt unfähig, weiter zu atmen. Ihre Lungen schmerzten so sehr, dass sie Angst hatte, zu kollabieren. Oder dass ihr Herz stehen bleiben könnte. Der Schmerz war nicht nur in ihrer Lunge zu spüren, sondern auch in ihrem Herzen. Vielleicht war sie selbst von einem Auto erfasst worden. Alma war unfähig, sich zu bewegen. Sie bekam aber mit, wie Menschen sich um sie herum versammelten. Erst nur ein Mann. Dann eine Frau, die fragte, ob alles in Ordnung war. Alma konnte nicht antworten. Eine andere Frau beugte sich über sie. Eine gutaussehende. Sie sah besorgt aus. Aus irgendeinem Grund hatte Alma das Gefühl, sie zu kennen. Vielleicht waren sie sich hier schon einmal begegnet.
Ein Schrei ertönte. Alma wusste nicht, aus welcher Richtung er kam. Aber auf ihn folgte ein Hundehecheln. Leila hatte zu ihr zurückgefunden. Blickte sie reumütig an, weil sie wusste, dass ihr Alleingang verboten gewesen war. Alma atmete erleichtert ein. „Leila“, seufzte sie und ließ sich von der Hündin ablecken. „Da bist du ja.“ Erst jetzt spürte sie die Kälte wieder und den Schmerz in ihren Lungen.
Als sie aufsah, fielen ihr die sanften, braunen Augen der Frau wieder auf. Ein nettes Gesicht. Und ein noch immer sorgenvoller Blick. Sie sah wirklich hübsch aus. Ihre weichen, hellbraunen Haare fielen in ihr Gesicht. Eine Strähne fiel ihr sogar an die Lippen. So wohlgeformte Lippen, dass Alma sich fragte, wie es wäre, sie zu küssen.
Jemand von hinten wetterte: „Sie hat die komplette Aufnahme ruiniert.“
„Sie ist verletzt“, sagte die Schöne erklärend.
„Sie hätte mit offenen Augen durchs Leben gehen sollen“, meckerte es erneut von hinten.
„Halt den Mund“, sagte die Frau mit den schönen Lippen.
Jetzt fühlte Alma sich wirklich geschmeichelt, derart von dieser Fremden beschützt zu werden.
„Ist ja nicht deine Aufnahme!“, rief der Mann erneut.
Die Schöne legte sanft eine Hand auf Almas Schulter. „Glauben Sie, dass Sie aufstehen können?“
„Ich versuche es.“ Einerseits wollte sie Alma es natürlich versuchen, weil sie so nett gefragt hat. Andererseits weil die Schöne nun wohl erhebliche Schwierigkeiten bekommen würde.
Sie stützte sich Alma unter und half ihr, sich aufzurichten. Sie war so nah, dass Alma ihr Parfüm riechen konnte. Ein edles Parfüm, dass man nicht bei DM bekam. Jetzt, wo sie stand, spürte sie den Schmerz in ihrer Brust. Außerdem machte Leila eine riesige Szene.
„Verschwindet endlich!“, blaffte der Typ von vorhin. „Wir müssen das alles wieder in Ordnung bringen.“
„Erik“, ermahnte die Schöne ihn. „Geh weg und atme durch. Ich komme gleich.“
„Du hast gut reden, Tanja. Wir haben einen Zeitplan und ich muss dafür geradestehen“, rechtfertigte sich Erik.
Die schöne Tanja blieb hingegen beharrlich. „Geh weg!“
Dann ging er tatsächlich, aber nicht, ohne den Leuten um sich herum Befehle zu erteilen.
Als Alma sich umsah, wurde ihr das komplette Szenario bewusst. Überall um sie herum waren Kameras, Kabel, Leitern, mehrere Pavillons und eine Stange voller Kleider und Anzüge.
„Es tut mir leid. Ich habe sie alle nicht gesehen. Leila ist mir ausgebüchst und ich wollte sie einfach nur wiederfinden.“ Als sie die schöne Tanja wieder ansah, wurde ihr erschreckend klar, dass sie nicht irgendeine Tanja war. Es war Tanja Hersdorf.
Tanja, oh, mein Gott, Hersdorf.
Die wunderschöne, unübertroffene Schauspielerin Tanja Hersdorf.
Alma war hin und weg. „Sie sind“, stotterte sie. „Oh, man. Es tut mir so leid! Wirklich! Ich bin keine Stalkerin, oder so.“ Obwohl sie bei Tanja Hersdorf gut verstehen konnte, wenn jemand zum Stalker wurde. Oder wenigstens zum Fan. Einmal der faszinierenden Tanja Hersdorf zu begegnen, und dann noch aus der Nähe, war wahrscheinlich die schönste Sache der Welt.
Tanja lächelte.
„Das ist nicht lustig“, meinte Alma kopfschüttelnd, die das entsetzlich peinlich fand.
„Doch“, sagte Tanja nickend. „Irgendwie schon.“ Ihr Lachen wurde noch breiter.
„Es ist überhaupt nicht lustig“, schrie Erik von weiten herüber.
„Bist du immer noch da?“, fragte Tanja, ohne ihn anzusehen.
Alma würde sich am liebsten in Luft auflösen. Ausgerechnet vor dem größten deutschen Filmstar ins Set zu rennen und auf dem schmutzigen Fußboden zu landen war mehr als unangenehm.
„Geht es Ihnen gut?“, wollte Tanja wissen.
Weil es Alma angesichts dieser strahlenden Filmschönheit die Sprache verschlagen hat, nickt sie nur stumm.
„Wirklich?“, fragte der Star zweifelnd.
„Ja“, sagte sie zögerlich. Ihr Gefühl im Brustkorb war immer noch unangenehm. Es zog, als hätte sie sich etwas eingeklemmt. Trotzdem aktivierte sie ihren letzten Mut. „Es tut mir wirklich leid. Und bitte sagen sie ihm auch, wie sehr mir das alles leidtut.“ Sie deutete in Eriks Richtung, der immer noch meckerte.
Alma musste weg. Und zwar schnell. Weg von dieser unsagbaren Peinlichkeit. Auf dem Weg zurück stolpert sie fast über eines der vielen auf dem Boden liegenden Kabel. Am Eingang sah sie endlich die riesigen Schilder. „Wegen Dreharbeiten geschlossen!“
Na, super. Es war offensichtlich, dass nur Analphabeten oder Blinde dieses Schild übersehen konnten. Sie war sich dessen bewusst, dass alle Augen des Filmsets auf sie gerichtet waren. Offenbar war sie auch immer noch Grund für Streitereien.
Auf einmal hörte sie Tanjas Stimme. „Warten Sie!“
Redete sie mit ihr? Alma wollte es lieber nicht herausfinden und ging schneller.
Die Hündin begann zu winseln.
„Warten Sie!“, rief Tanja erneut und Alma wurde klar, dass tatsächlich sie gemeint war.
Alles in Alma sagte ihr, sie solle sich beeilen. Weitergehen und die peinliche Angelegenheit vergessen.
Schließlich blieb sie trotzdem stehen und drehte sich um.
Später dachte sie an diesen Moment zurück. Fragte sich, wie es wäre, wenn sie wirklich einfach weitergegangen wäre. Und wie viel Einfluss eine winzige Entscheidung auf das Leben eines Menschenlebens haben konnte.
Sie lief ihr tatsächlich nach. Tanja Hersdorf ging ihr hinterher. Die Menschen auf dem Set blickten ihr hinterher. Fragten sich, warum die bekannteste Schauspielerin des Landes ausgerechnet dieser Hundebesitzerin hinterherrannte. Ihr intensiver Blick entwaffnete Alma. Sie hatte eine Schwäche für attraktive, selbstbewusste Frauen. Für Tanja Hersdorf schwärmte sie schon lange und hatte fast all ihre Filme gesehen. Gar nicht so sehr wegen ihres attraktiven Äußeren, sondern wegen ihrer Aura. Tanja umgab etwas Geheimnisvolles. Was dieses Geheimnisvolle war, würde Alma erst später erfahren.
„Sie haben mir ihren Namen nicht gesagt“, sagte Tanja.
„Warum wollen Sie meinen Namen?“ Kurz überlegte Alma, ob sie verklagt werden könnte. Wenn etwas vom Set zu Bruch gegangen war, wäre das durchaus möglich.
„Was würden Sie von einem Kaffee halten?“, fragte dagegen der Star.
Kaffee? Sie war wieder sprachlos. „Sie“, begann Alma und brach dann wieder ab. Dann räusperte sich und startete einen neuen Anlauf. „Sie wollen einen Kaffee trinken.“
Tanja nickte.
„Mit mir?“, fragte Alma zur Sicherheit nach.
Jetzt lachte Tanja. „Natürlich mit Ihnen. Wenn Sie Zeit haben und mir sagen, wie Sie heißen.“
„Achso.“ Wieder schwieg sie.
„Haben Sie einen Namen?“, hakte Tanja nach.
„Ja“, antworte sie schüchtern und ergänzte leise. „Alma.“
„Alma“, wiederholte sie. „Klingt nordisch.“
„Eigentlich ist der Name auch in Deutschland verbreitet.“ Ihre Mutter hatte ihr Mal gesagt, dass sie in einer Babyzeitung gelesen habe, der Name bedeutete in Spanien Seele. Danach war für sie alles klar.
„Gibt’s denn auch einen Nachnamen?“
„Ja“, sagte Alma zögerlich und wollte ihn eigentlich nicht verraten.
„Und der wäre?“
Entweder sie verriet Tanja den Namen, oder sie erklärte ihr, warum ihr unwohl dabei war, ihr den Namen zu nennen. Alma entschied sich für Ersteres. „Runge.“
„Alma Runge“, antworte Tanja und sah dann auf ihren Hund. „Und Leila.“
„Genau“, antwortete Alma mit weichen Knien. Sie konnte kaum glauben, dass Tanja Hersdorf hier vor ihr stand und womöglich bald mit ihr Kaffee trinken würde.
Kapitel 2
Tanja
Alma gehörte zu jenen wunderschönen, unschuldigen Menschen, die von innen heraus strahlten. Bescheiden und zurückhaltend. Sie gehörte zu den Frauen, die nicht wussten, wie schön sie tatsächlich waren und wie sie auf andere wirkten. Sie hatte zarte, dunkle Löckchen, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Ihre Wangen hatten die ganze Zeit über einen rosigen Glanz. Und ihre Lippen. Tanja wusste nicht, was sie über Almas Lippen sagen konnte. Sie waren üppig und sahen gleichzeitig unglaublich zart aus. Tanja hätte sie auf keinen Fall gehen lassen können, ohne zumindest ihren Namen zu erfahren. Alma. Kein Name hätte besser zu dieser jungen Frau gepasst.
Erik war außer sich, als Alma über das gesamte Equipment geknallt war. Die komplette Szene war futsch. Wenn sie Pech hatten, konnten sie heute gar nicht mehr drehen. Das Wetter musste stimmen. Und im Moment war der Wind alles andere als drehfreundlich. Als Tanja ihm sagte, sie würde eine dreißigminütige Pause brauchen, war er nicht erfreut. „Tanja! Komm, schon! Wir haben keine Zeit für sowas.“ Erik war nicht nur ihr Regisseur, sondern auch ein guter Freund. Halbguter. Manchmal nervte er. Die Dreharbeiten dauerten schon einige Wochen an. So viel Nähe vertrug ihre Freundschaft nicht. Und jetzt, da das Material fast in Sack und Tüten war, sollte der Rest auch reibungslos über die Bühne gehen. Und vor allem zügig. Aber eine halbe Stunde Pause würden kaum ins Gewicht fallen. Die gesamte Crew brauchte eine Pause. Erik konnte ein echter Sklaventreiber sein.
„Also?“, hakte Tanja nach. „Wollen Sie jetzt einen Kaffee mit mir trinken?“
„Jetzt?!“ Alma sah sie unter ihren dichten Wimpern an. Sie wirkte so unschuldig und gleichzeitig so sexy.
„Ja. Jetzt“, lachte Tanja. „Ich muss gleich wieder zurück. Die Pause ist kurz.“
„Gut, also wir können zur Veggie-Bude gehen. Ist zwar kein klassisches Café. Aber sie lassen Leila rein.“
Tanja hatte noch nie von der Veggie-Bude gehört. Normalerweise war sie kein Veggie-Fan. Aber sie würde es in Kauf nehmen, wenn das bedeutete, dass sie ein paar weitere Minuten mit Alma verbringen konnte. „Zeigen Sie mir den Weg.“
Der Weg dorthin war kurz, aber auch ruhig. Normalerweise hatte Tanja immer irgendetwas zu sagen. Doch Alma schien beinahe vor ihr wegzurennen, so eilig hatte sie es. In der Veggie-Bude waren Alma und Leila beiden offensichtlich keine Unbekannten. Die Hündin rannte sofort zum Besitzer Andre und holte sich Streicheleinheiten ab. Andre wollte von Alma wissen, wie es in der Schule lief. Die schein nach wie vor unsicher zu sein. Auch weil Andre Tanja offenbar nicht erkannt hatte. Zumindest noch nicht. Normalerweise hatte sie keine Probleme damit, von Männern erkannt zu werden. Tanja hatte sich vor Jahren öffentlich in der GALA geoutet, so dass Männer in der Regel nicht versuchten, sie anzumachen. Es sei denn, sie dachten, sie könnten Tanja irgendwie bekehren. Arschlöcher gab‘s einfach überall.
„Das macht 3,95 €.“
„Ich zahle“, prescht Tanja dazwischen. Immerhin hatte sie Alma eingeladen.
Andre klappt augenblicklich die Kinnlade herunter. Tanja war das gewohnt. Wann immer sie einen Ort betrat, wurde sie erkannt. Wenn möglich, ging sie daher oft verkleidet aus dem Haus. Oder sie setzte sich eine Schirmmütze auf.
„Sie sind…“, stotterte er und war offensichtlich verzückt. „Sie sind Tanja Hersdorf, oder?“
Tanja nickte. „Und ich hätte gern das Gleiche wie sie.“ Was auch immer das war.
Andre wollte nicht, dass Tanja den Kaffee bezahlte, und starrte sie unverwandt an. Er vergaß sogar, dass sie auch Almas Kaffee übernehmen wollte. Alma saß in einer ruhigen Ecke im Café. Die Schultern zusammengesunken. Ihr Blick gesenkt. Sie fühlte sich offensichtlich sehr unwohl.
Das hasste Tanja am meisten an ihrer Berühmtheit. Wenn sie jemanden kennenlernte, musste sie darauf hoffen, dass diejenige sich nicht völlig eingeschüchtert fühlte. Bei Alma schien das schonmal der Fall zu sein. Wahrscheinlich würde sie Tanja nie wieder sehen wollen. „Bitte entschuldigen Sie den Trubel. Meistens versuche ich ungesehen zum Ziel zu kommen. Aber das heute war … Sie wissen es … spontan.“
„Das passiert Ihnen bestimmt trotzdem oft, oder?“
Tanja zog bedauernd die Schultern nach oben. Darüber wollte sie in den wenigen Minuten, die ihnen noch blieben, nicht mit Alma sprechen. Viel mehr war sie an ihr interessiert. „Sie sind also Lehrerin?“
Alma nickte. „Stimmt. Ich unterrichte an der Grundschule Frankfurt Menheim Mathe und Englisch.“
„Beeindruckend!“, sagte Tanja und meinte es auch so.
„Na, klar“, sagte Alma, als würde sie es herunterspielen wollen. Ihr bescheidenes Lächeln war unglaublich anziehend. Sie wirkte so unschuldig, dass es Tanja ganz verrückt machte. Eine Grundschullehrerin. Das weckte Bilder in Tanjas Kopf. Von einer Alma im engen Bleistiftrock und…
Wuff! Ein lautes Bellen unterbrach Tanjas Gedanken, als würde sich der Hund schützend vor ihr Frauchen stellen.
Tanja räusperte sich, um gedanklich weg von diesem Rock zu kommen. „Also es muss ziemlich anstrengend sein, täglich von Halbstarken umgeben zu sein. Ich selbst könnte es nicht.“
„Sie sind völlig handzahm. Halbstark werden sie erst ab der Pubertät.“ Alma lachte. Es war ein ehrliches, erfrischendes Lachen, das Tanja durch und durch ging. Es war schwer, sich zu konzentrieren.
„Nun, mit Kindern kenne ich mich leider überhaupt nicht aus. Sie haben mich ein Stück weiser gemacht.“ Und völlig gefesselt, ergänzte Tanja in Gedanken. Das würde sie ihr natürlich nicht verraten. Tanja nippte von ihrem Kaffee und beobachte sie über den Rand hinweg. Sie war jung. Vielleicht zu jung für Tanja – und doch. Sie war gefesselt. „Kommen Sie aus Frankfurt?“
Sie schüttelte mit dem Kopf. „Schwarzwald. Ich wollte aber gern in die Stadt. Irgendwann will ich in meine Heimat zurück. Aber jetzt wollte ich etwas anderes kennenlernen.“
Vom Land also. Alma war eigentlich nicht der Typ Frau, den Tanja sonst bevorzugte. Weder kosmopolitisch. Noch extrovertiert. Und dennoch konnte sie in ihrer Nähe kaum denken.
Tanja müsste eigentlich wieder zurück. Erik würde wahrscheinlich schon wieder in den Startlöchern stehen und ungeduldig warten. Doch Tanja konnte sich einfach nicht von der hinreißenden Alma wegbewegen. Sie wollte hier mit ihr Kaffee trinken und an nichts denken. Vor allem nicht an die Augen, die noch immer auf sie gerichtet waren.
„Ich würde Sie ja fragen, was sie beruflich machen. Aber ich fürchte, das weiß ich schon. Auch wo sie wohnen und wie alt sie sind“, sagte Alma.
„Ach ja? Wie alt bin ich denn?“
„Vierunddreißig, wenn ich mich recht erinnere.“
„Vor zwei Jahren wäre das richtig gewesen.“ Tanja lächelte. Es gab also doch eine Sache, die sie nicht über sie wusste. Zumindest nicht vollständig.
„Also schön. Dann habe ich mich tatsächlich geirrt“, gab Alma zu. „Stimmt es denn, dass sie einen Bruder haben?“
„Ja, das stimmt tatsächlich. Aber Sie wissen nicht, ob wir uns nahestehen. Oder welche Beziehung wir zu unseren Eltern haben.“ Das konnte sie nämlich nicht wissen, weil Tanja grundsätzlich keine Familienangelegenheit öffentlich teilte. Die Medien erfuhren nur das Nötigste. Dass Tanja Eltern hatte, die noch lebten. Dass sie einen Bruder hatte, der ebenfalls lebte. Dass sie selbst lebte. Ansonsten beschränkte sie sich am liebsten auf Oberflächlichkeiten.
„Das stimmt.“
Tanja hatte sich nur kurz gefragt, ob Alma ebenfalls lesbisch war. Und zwar vorhin, als sie in ihr Equipment gerannt war. Einen Moment später erkannte sie in Almas faszinierten Blick, dass die Kleine auf sie stand. Sollte Tanja sich irren, würde Alma sicher gleich ablehnen. „Wenn Sie wollen würde ich sie heute Abend gern zum Essen einladen.“
„Sie wollen mit mir essen?!“, fragte Alma ungläubig.
„Allerdings.“
Sie starrte nur. Offenbar hatte es Alma die Sprache verschlagen.
„Überlegen Sie, wie Sie mir charmant eine Abfuhr erteilen können?“, fragte Tanja.
Alma kicherte laut auf. „Nein, das wirklich nicht. Es ist nur so surreal. Ich meine Sie sind die wahrscheinlich bekannteste Schauspielerin im deutschsprachigen Raum und ich…“
„Lassen Sie das egal sein“, bat Tanja. Sie wollte kein Star sein. Nicht für Alma. Sie wollte eine ganz normale Frau sein. „Ich will nichts weiter, als einen angenehmen Abend mit Ihnen verbringen.“
„Ich werde nicht mit Ihnen schlafen!“ Alma verschränkte die Arme.
Tanja war sprachlos. Das kam nicht oft vor. Aber immerhin wussten nun beide, woran sie waren: Beide waren lesbisch – zumindest klang es so – und eine von beiden war schwer an einem Date interessiert.
„Ich weiß, dass sie lesbisch sind und sich von einer Affäre in die nächste stürzen“, ergänzte Alma.
Wieder etwas, dass sie vor der Presse nicht geheim halten konnte. Zu Tanjas Bedauern konnte sie nicht einmal sagen, dass all diese Geschichten erlogen wären. Tanja beobachtete, wie Almas Wangen sich wieder rot einfärbten. Sie ging nicht davon aus, dass Alma erregt war.
Im Gegensatz zu ihr selbst. Wenn sie könnte, wie sie wollte, würde sie sich das Mädchen jetzt schnappen und mit ihr ins nächste Hotelzimmer gehen. In Tanja brodelte es gewaltig.
„Ähm. Tut mir leid. Ich wollte nicht so direkt sein. Das heißt, eigentlich wollte ich es schon, nur um es klarzustellen. Aber es war vielleicht vorauseilend. Immerhin haben Sie mich ja nicht gefragt, ob ich mit ihnen schlafen will.“
„Nein, das habe ich nicht.“ Tanja lächelte. „Zumindest noch nicht“, dachte sie. „Wir könnten schauen, wie sich der Abend entwickelt.“
Almas Augen weiteten sich. Ihre Lippen öffneten sich leicht.
Das steigerte Tanjas Verlangen.
Alma hingegen räusperte sich. „Ich sollte gehen. Sie werden erwartet.“
Tanja hatte es zu weit getrieben. Nun dachte Alma doch, Tanja wollte mit ihr ins Bett. Natürlich wollte sie das. Aber das hätte sie nicht zugeben sollen. Das hatte zu nichts gebracht. Jetzt wollte Alma nur noch weg von ihr. „Sie haben mein Wort, dass ich mich absolut vorbildlich verhalten werde“, sagte Tanja daher schnell.
„Warum?“, fragte sie aufrichtig überrascht. „Sie waren mit Penelope Anders aus. Ganz zu schweigen von Henna Drerichs. Was sollten Sie ausgerechnet von mir wollen?“ Die benannten Frauen waren Models. Unglaublich groß und unglaublich attraktiv. Sie wurden in sämtlichen bekannten Blättern abgebildet, weil jeder sie ansehen wollte. Trotz ihrer Attraktivität hatten sie aber nicht, was Alma hatte. Offenbar wusste sie nicht einmal selbst, wie hinreißend sie war.
„Das erkläre ich Ihnen gern beim Abendessen. Kann ich ihre Telefonnummer haben? Ich würde Ihnen meine geben.“
Zögerlich zog sie ihr Handy aus der Tasche, ließ sich die Nummer geben und verriet leise ihre eigene.
„Ich hole sie um sieben ab.“
Sie kaute nervös an ihrer Unterlippe. Das sah so sexy aus, dass es Tanja schon wieder erregte. „Ziehen Sie sich ein Kleid an.“
Alma zog ihre rechte Augenbraue nach oben.
„Wegen des Dresscodes“, fügte Tanja hinzu, um nicht wieder den Anschein zu erwecken, sie wollte nur Sex.
Alma nickte.
Tanja beugte sich nach unten. „Leila. Sei ein braves Mädchen und bring dein Frauchen nicht wieder in Verlegenheit.“
Wieder stieg sanfte Röte in Almas Gesicht. Inständig hoffte Tanja, dass sie sich heute wirklich vorbildlich verhalten würde.
Als sie wieder zurück am Set war, sah sie Erik gehetzt hin und her tigern.
„Tanja, um Gottes Willen“, rief er schon von weitem und ergänzte leiser, als sie näher kam: „Was willst du von dem Mädchen?“
„Nichts“, sagte Tanja bestimmt und wusste doch gleichzeitig, dass Erik ihr das nicht abkaufen würde. Sie kannten sich zu lange, als das er nicht genau wüsste, welche Absichten Tanja hatte.
„Sie ist viel zu jung, Tanja. Du kannst sie nicht einfach in deine Welt ziehen.“
„Sie ist Lehrern“, antworte sie, als würde das alles erklären. Immerhin erklärte es, dass sie ein abgeschlossenes Studium haben musste und längst kein kleines Mädchen mehr war. Trotzdem wusste Tanja, dass er recht hatte. In ihrer Welt gab es keinen Platz für ein nettes Mädchen, wie Alma. Absolut nicht. Und trotzdem konnte Tanja nicht von ihr lassen. Schon als die Kleine praktisch vor ihre Füße gefallen war, wusste Tanja, dass sie das Mädchen kennenlernen musste.
Kapitel 3
Alma
Tanja Hersdorf hatte sie zum Abendessen eingeladen. Sie. Das erschien Alma absolut unwirklich. Tanja könnte Topmodels haben. Hatte sie ja auch. Sie war mit Topmodels zusammen, auch internationale. Hatte öffentlichkeitswirksam mit amerikanischen Schauspielerinnen diniert. Und war sogar mal mit einer bekannten Schriftstellerin zusammen. Ebenfalls Amerikanerin. Und nun wählte sie Alma.
Sie setzte Leila auf dem Boden ab, damit sie den Rest des Weges zu Fuß weiterging. Als sie zuhause ankamen, wünschte sie sich bereits, sie hätte nicht zugesagt. Gemeinsam mit Leila flitzte sie die Treppen zum ersten Obergeschoss hinauf. Alma war noch nicht mal ausgezogen, als Leila vor ihr herumtänzelte. Die Hündin wusste genau, was sie jetzt wollte. Essen.
Sie bekam ihr Essen und auch Alma setzt sich mit einem Kochschinken-Sandwich an den Tisch. Währenddessen legte sie ihr Handy neben den Teller und las die Nachricht, die ihr Tanja kurz nach dem sie gegangen war, geschickt hatte:
„Es war schön, Ihnen heute begegnet zu sein. Ich freue mich schon sehr auf unser gemeinsames Abendessen.“
Ihre Mitbewohnerin Lena kam in die Küche. Offenbar hatte sie gerade ein Schläfchen gemacht. Ihre dunklen Haare waren verwuschelt. Lena war wie sie Lehrerin im Referendariat. Kurz nachdem die beiden sich in der Schule kennengelernt hatte, hatten sie beschlossen, zusammenzuziehen. Einzeln hatte jeder eine kleine Einzimmerwohnung außerhalb von Frankfurt. Aber gemeinsam konnten sie sich eine größere Wohnung in Innenstadtnähe leisten. Das beste war: Sie mochten sich auch. Lena war vom gleichen Schlag. Auch wenn sie ganz anders aussah. Sie war im Gegensatz zu Alma groß und schlank. Alma war klein und kurvig. Aber beide waren sie eher von der ruhigeren Sorte. Das würde sich im Laufen der Jahre vermutlich schnell ändern. In der Grundschule brauchte man meistens ein hartes Fell. Nicht wegen den Kindern. Die waren toll. Das Problem waren die Eltern, die grundsätzlich ihr eigenes Kind für das Beste hielten und Sonderbehandlung einforderten.
„Ward ihr schon draußen?“, fragte Lena erstaunt und sah auf die fressende Leila. Meistens bekam sie ihr Essen nach der Runde.
„Japp, es ist fast zwölf.“
„Ehrlich?“ Lena setzte sich ihr gegenüber. „Oh, dann habe ich wohl ganz schön lange geschlafen.“
„Scheint so“, lachte Alma. „War es gestern schön?“
Lena war gestern mit ihrem neuen Freund aus. Der brachte sie für gewöhnlich nicht vor drei oder vier Uhr am Morgen nach Hause.
„Total!“, schwärmte sie. „Henrik ist so aufmerksam. Ich kann gar nicht genug von ihm bekommen!“
„Das freut mich für dich, Süße! Ich hoffe, er will nicht mit dir zusammenziehen. Allein kann ich mir die Wohnung hier nämlich nicht leisten.“
„Machst du Witze? Wir sind erst einem Monat zusammen.“
Alma konnte nicht sagen, dass sie nicht erleichtert war. Ihr Leben hier war zu schön, als dass sie das wieder aufgeben wollte.
„Trotzdem finde ich, du könntest dich auch mal wieder verlieben. Die Trennung von Rebecca ist ja inzwischen schon über einem Jahr her.“
„Erinnere mich bloß nicht daran.“ Die Trennung war gelinde gesagt eine Zumutung. Rebecca wollte nicht mitkommen nach Frankfurt, wollte aber auch keine Fernbeziehung führen. Im Grunde genommen hatte sie von Alma erwartet, dass sie den Job sausen lässt. Alma hatte sich nicht erpressen lassen wollen. Also hatte sie die Beziehung beendet und ein Single-Leben in Frankfurt begonnen. Was folgte, waren die schlimmsten Vorwürfe, die man sich denken konnte. Aber um Rebecca ging es gerade nicht, sondern um Tanja. Aber sie war ja keine Person zum Verlieben. Sie dateten nur. Auf keinen Fall sollte Lena auch nur die geringste Hoffnung in ihr wecken wollen, es könnte etwas Ernstes werden zwischen ihr und Tanja Hersdorf. Trotzdem wollte sie ihr davon erzählen. Sie konnte es nicht einfach für sich behalten.
„Ich habe heute ein platonisches Date.“
„Was meinst du mit platonisch. So wie wir zwei?“, fragte Lena.
„So ähnlich, nur dass ich mit der Person nicht zusammenlebe und eigentlich auch nicht befreundet bin.“
„Häh?“
„Ich hatte heute einen peinlichen Vorfall mit Leila.“
„Schon wieder?“ Lena stand auf und stellte eine Tasse unter dem Vollautomaten. Sie kannte Leilas Anwandlungen. Es war nicht ihre erste Flucht.
„Japp. Nur dass ich diesmal irgendwie über ein Filmset gestolpert bin. Ich hab‘ ganz schön viel durcheinandergebracht.“
„Oh, Scheiße!“ Lena setzte sich mit der Kaffeetasse wieder an den Tisch. „Musst du es bezahlen?“
„Gott sei dank nicht. Aber ich bin einem der Set-Mitglieder sozusagen ein Essen schuldig.“
„Aha? Dem Kameramann, oder so?“
Alma schmunzelte. „Nein, der nicht. Mit einer Schauspielerin.“
Jetzt bekam Lena große Augen. „Spannend! Kennt man sie?“
Almas Kichern wurde größer. „Kann man so sagen. Kennst du Tanja Hersdorf?“
„Tanja Hersdorf?“, rief Lena. „Ach, du Scheiße! Tanja Hersdorf?“
Alma hoffte, dass sie in ihrer Klasse nicht auch inflationär das Sch-Wort benutzte. Im Prinzip gehörte es hier zu ihrem Standardrepertoire. Sie nickte grinsend.
„Wie bist du denn zu der gekommen?“
Alma erzählte ihr alles. Mit Händen und Füßen zeigte sie ihr, wie sie gefallen war und dann in die schönsten Augen der Welt geblickt hatte.
Zum ersten Mal, seit sie Lena kannte, unterbrach sie sie nicht. Weder für ein Scheiße, noch für ein Oh, mein Gott. Sie hörte einfach nur zu und starrte sie gebannt an.
Als Alma geendet hatte, schüttelte Lena den Kopf. „Das hast du dir doch ausgedacht. Du verarschst mich doch?“
„Nope“, sagte Alma grinsend. „Ich schwöre!“ Sie zeigte den Zwei-Finger-Schwur.
Mechanisch wiederholte Lena alles, was sie gerade gehört hatte.
Alma bestätigte. „Jupp, genau so war es.“
„Ich kann dir das nicht glauben. Also ich will schon. Aber Tanja Hersdorf?“
„Du kannst mir glauben, Leni. Ich habe nichts erfunden und auch nichts dazu gedichtet.“
„Verdammter Scheißdreck! Alma!“ Sie beugte sich zu ihr nach vorn. „Erzähl mir alles!“
Alma lachte. „Das habe ich doch gerade.“
„Details!“, rief sie. „Details!“
Also gab sie ihr die Details. Ließ nichts aus. Nicht einmal die vielen Kabel auf dem Weg und auch nicht Andres überraschtes Gesicht, als er Tanja erkannte.
„Ich werd verrückt. Und sie kommt hierher, um dich abzuholen? Heute Abend?“
Zur Sicherheit zeigte Alma ihr die Textnachricht.
„Wahnsinn!“, staunte Lena. „Und wohin wollt ihr gehen?“
„Weiß ich nicht.“ Das Gefühl, nicht zu wissen, wohin es ging, beunruhigte Alma.
„Vielleicht zu ihr nach Hause. Sie will dich bestimmt hinterher vernaschen.“ Lena zwinkerte.
„Ich hab ihr schon gesagt, dass sie bei mir an der falschen Stelle ist.“
„Warum??“, rief Lena, als würde Alma das wichtigste Ereignis ihres Lebens einfach sausen lassen.
„Weil ich keine Frau für eine Nacht bin. Wenn sie sich für die letzte Nacht in Frankfurt nur schnell ein Betthäschen suchen wollte, ist sie mit mir an der falschen Stelle.“
„Verstehe. Tja. Normalerweise wäre ich da ganz bei dir“, meinte Lena. „Aber ich glaube, bei Tanja Hersdorf würde sogar ich zur Lesbe werden.“
„Echt?“ Das überraschte Alma. Denn sie selbst würde nicht hetero werden, wenn sie zufällig Herr Schweighöfer treffen würde. Ungeachtet seines attraktiven Äußeren und seines Bekanntheitsgrades.
„Klar! Für eine Nacht.“ Lena zwinkerte ihr zu. „Ich denke, die eine Nacht könnte auch dir mal wieder guttun. Sieh es einfach so, dass du dich nicht ausnutzen lässt, sondern umgekehrt: Du schläfst mit einer Berühmtheit. Mit einer Wunderschönen wohlgemerkt.“
„Ich nutze niemanden aus. Außerdem wüsste ich gar nicht, was ich mit ihr anstellen sollte. Mit Rebecca hatten wir nicht oft Sex. Sie hat immer gesagt, dass sie das eigentlich nicht braucht.“
„Und du?“, fragte Lena erstaunt.
„Naja…“ Sie sah nach unten auf ihr halb aufgegessenes Sandwich.
Lena wusste ihren Blick zu deuten und schnappte sich ihr Sandwich. „Du hast zu viel verpasst, Süße. Lass das Leben nicht an dir vorbeiziehen. Sex kann wirklich aufregend und schön sein. Zieh zur Sicherheit deine Vielleicht-Unterwäsche an.“
Alma wusste gar nicht, was Vielleicht-Unterwäsche war. Sie hatte keine für besondere Momente. Hätte ihr jemand gesagt, sie sollte sich für ihre schönste Unterwäsche entscheiden, könnte sie keine Auswahl treffen. Alle waren irgendwie gleich. „Ich bin froh, wenn ich ein vernünftiges Kleid finde.“
Lenas Augen wurden groß. „Vielleicht müssen wir noch einkaufen.“
Sie waren nicht einkaufen. Aber um halb sieben war Alma ein Nervenbündel. Fast den ganzen Nachmittag musste sie Kleider anprobieren. Immer wieder sagte Lena, dass das gar nicht ginge, und rechnete Alma vor, wie viel Zeit noch wäre, um ein geeignetes Kleid einzukaufen. Aber Alma weigerte sich. Sie wollte halbwegs gut aussehen. Natürlich. Sie ging mit Tanja Hersdorf aus. Aber sie musste es nicht übertreiben.
Offensichtlich kannte Lena die „Nicht-Übertreiben-Regel“ nicht und versuchte seit einer Stunde, Almas Haare hochzustecken. Ihr Make-Up war übertrieben dick aufgetragen und die Zeit lief ihnen davon. Nichts davon war sie selbst.
Lena glaubte, dass Tanja so etwas erwarten würde. „Denk doch mal an Laura Shining. Die is ne Granate.“ Dann dachte sie tatsächlich an Laura Shining, einer wunderschönen, allseits perfekt gestylten Frau, die mal mit Tanja Hersdorf zusammengewesen war. Da ließ sie Lena weiter an ihr herumhantieren.
Als Lena zum wiederholten Male mit einer Spraydose auf ihre Haare zuhielt, konnte Alma es dann doch nicht länger ertragen. „Stopp!“ Sie drehte ihren Kopf weg.
„Was meinst du damit? Ich bin noch gar nicht fertig.“
„Ich weiß.“ Sie stand auf und sah ihrer Freundin in die Augen. „Ich weiß, du meinst es gut mit mir. Aber ich bin das alles einfach nicht. Wenn Tanja nicht mit mir ausgehen will, wie ich bin, dann akzeptiere ich das. Ich möchte mich für niemanden verstellen.“
Lena nickte zu ihrer Überraschung. „Okay. Dann lass mich wenigstens die ganzen Haarnadeln wieder herausfriemeln.“
Also setzte sich Alma wieder hin und sah zu, wie Lena eine Klemme nach der anderen aus ihrem Haar herausholte. Es mussten dreißig Stück gewesen sein. Nebenbei zog sie ein Abschminktuch aus der Packung.
„Das Make-Up auch?“, rief Lena mit großen Augen.
„Wenigstens die schwarzen Ränder. Den Rest lass ich, Okay?“
Lena zog den Mundwinkel zur Seite. „Vielleicht sollte das Rouge auch noch abnehmen. Das ist ganz schön heftig.“
Alma sah sich im Spiegel an und begann laut zu lachen. „Wer ist das?“
„Jedenfalls nicht du“, lachte nun auch Lena und kämmte ihr Haar wieder glatt.
Als sie ihr Gesicht vom ganzen Make-Up befreit hatte, legte Alma nur noch etwas Lipglos auf. Entgegen Lenas Wunschkleid, einem figurbetonten Glitzerkleid, hatte sie sich für ein schlichtes Schwarzes entschieden. Auch von Lena und ebenfalls eng. Aber nicht so eng, dass es einem die Luft zum Atmen nahm.
Am Ende sah sie schlicht aus. Aber trotzdem gefiel sie sich und auch Lena musste zugeben, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte. „Das Kleid steht dir viel besser als mir.“
„Jetzt hör aber auf!“ Alma wusste genau, dass Lena die auffälligen Kleider viel lieber mochte.
Dennoch blieb Lena dabei: „Jetzt bist du einhundert Prozent du. Wenn sie dich so nicht mögen kann, ist sie sowieso nicht die richtige.“
„Mal abgesehen davon, dass wir nur essen gehen“, stellte Alma klar.
Kurz vor sieben zog Alma ihre hochhackigen schwarzen Stiefeletten an.
„Wow, Alma. Jetzt wird’s ja doch noch sexy!“, lachte Lena anerkennend.
„Ich kann ja schlecht in Sneakers gehen.“
„Eigentlich hatte ich fest damit gerechnet“, sagte Lena mit einem Zwinkern. „Willst du meine schwarze Lederjacke haben?“
„Die würdest du mir leihen?“ Eigentlich war es Lenas Lieblingsjacke und sie selbst hatte heute Abend schließlich auch ein Date.
„Klar. Ich zieh einfach meinen Mantel an. Heute Nacht soll es kalt werden.“
Bei dem Gedanken an die Kälte draußen zog Alma automatisch ihre Schultern nach oben. „Du hast Recht. Vielleicht sollte ich auch lieber einen Mantel anziehen.“
„Nichts da.“ Lena legte sanft die Jacke auf Almas Schultern. „Du wirst heute im warmen Restaurant sitzen. Da brauchst du gar keine Jacke. Und ich nehme an, die Heizung ihres Autos wird nicht defekt sein.“
„Du hast Recht.“ Sie zog die Jacke an und konnte sofort verstehen, warum es Lenas Lieblingsjacke war. Sie schmiegte sich an ihren Körper wie ein Kokon. Außerdem roch sie auch ein wenig nach Lena. Das würde ihr heute Mut geben.
Es klingelte. Gebannt starrte Alma auf die geschlossene Tür. Tanja hatte unten geklingelt. Nicht hier oben. Beruhige dich, ermahnte sie sich selbst. Sie drückte, nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab und rief knapp. „Komme runter.“ Dann legte sie auf.
Leila winselte, als wüsste sie genau, dass ihr Frauchen gleich gehen würde.
„Ich gebe ihr gleich ein Leckerli“, sagte Lena und öffnete grinsend die Tür. „Viel Spaß mit Tanja Hersdorf.“
Almas Herz klopfte. „Ich glaube, das stehe ich nicht durch.“
„Natürlich schaffst du das, Süße.“ Lena streichelte ihr über die Schulter. „Vergiss nicht, mir den Standort zu schicken.“
Alma nickte.
„Und denk dran: Sie ist auch nur ein Mensch.“
Genau das Gleiche sagte sie sich, als sie die Treppe hinab lief. Sie war nicht nur Tanja Hersdorf, der Filmstar, sondern vor allem ein Mensch. Trotzdem stolperte sie und hielt sich nur mit Mühe am Geländer fest. Erst jetzt wurden ihr der morgige Unfall wieder bewusst. Die Schmerzen im Arm waren noch da und traten nun zum Vorschein. „Verdammt“, sagte sie leise und atmete tief durch. Dann ging sie langsam weiter die Treppe nach unten. „Sie ist nur ein Mensch“, ermutigte sie sich selbst. Unten angekommen, öffnete sie die Tür. Da stand sie also. Tanja Hersdorf. Und sie war noch schöner als am Vormittag. Sie trug einen eleganten schwarzen Hosenanzug. Die darunterliegende, weiße Bluse gab den oberen Ansatz ihrer Brust frei. Das wirkte unglaublich sexy. Ihre blonden, langen Haare trug sie offen. Ihre Lippen waren knallrot. Zum Anbeißen schön. Sie reichte Alma die Hand, die sie dankbar annahm. Einmal war sie bereits gestürzt, ein weiteres Mal konnte sie sich gerade noch halten. Alma hatte nicht die geringste Lust, ein weiteres Mal ihre Reflexe zu testen.
Auf dem Bordstein stand ein schwarzes Auto mit getönten Scheiben. Die Warnblinkanlage war an.
Almas Handflächen schwitzten vor Aufregung. In diesem Moment war sie froh, dass es heute so kalt war und ihre Hitze so ein wenig abgemildert wurde.
Tanja hielt die Beifahrertür auf. Als Alma an ihr vorbeiging, sog sie ihr unglaubliches Parfüm ein, das ihr vorhin schon aufgefallen war.
Das Leder des Sitzes war zu Almas Überraschung beheizt. Sie dankte im Stillen Lena, die sie zu der Lederjacke überredet hatte. Heute würde sie tatsächlich nicht frieren müssen.
Als Tanja sich ans Steuer setzte, sah sie Alma mit einem durchdringenden Blick an. „Sie sind wunderschön.“
„Danke“, sagte Alma selbstbewusst, weil sie sich genauso fühlte. „Darf ich sie um einen Gefallen bitten?“
Tanja schmunzelte. „Lassen Sie mich raten. Sie brauchen ein Autogramm.“
Alma lachte. „Das vielleicht auch. Aber vor allem würde ich meiner Freundin auch gern sagen, wo ich heute bin. Ich fürchte, sonst muss ich ihr alle fünfzehn Minuten über Whatsapp meinen Standort schicken.“
„Hält sie mich für eine Killerin?“
Almas Augen wurden weit. „Um Gottes Willen. Nein! Das ist nur ein Standard-Ding von uns. Bevor eine von uns ausgeht, sagt sie der anderen Bescheid, wohin und mit wem.“
„Schon gut. Ich versteh schon.“ Sie senkte ihren Blick und sah zu ihrem Fenster hinauf. „Lassen Sie mich raten. Sie ist auch diejenige, die das Autogramm möchte.“
Alma folgte Tanjas Blick. Am Fenster stand Lena mit Leila auf dem Arm, die gespannt das Auto beobachtete. „Also explizit gesagt hat sie das nicht. Aber ich denke, es könnte nicht schaden.“
„Vielleicht sollten wir ihr es einfach sagen.“ Tanja stieg aus dem Auto aus.
„Was?“, fragte Alma überrascht und folgte Tanja mit ihrem Blick. Bevor ihr Verstand wieder einsetzte, öffnete ihr Date schon die Tür. „Ich könnte ihr unser Ziel auch einfach schreiben“, versuchte Alma noch sie aufzuhalten.
„Unsinn. Offensichtlich ist ihr Bedürfnis, Sie in sicheren Händen zu wissen, groß. Außerdem habe ich gerade keine Autogrammkarte dabei.“
Grinsend ging Alma voraus. Darauf war Lena nicht vorbereitet. Sie wird Augen machen. Sie schloss die Tür auf und musste gar nicht rufen. Ihre Freundin stand schon an der Tür, noch immer mit Leila auf dem Arm. „Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt und sah erst dann Tanja hinter ihr auftauchen. Danach konnte Lena nur noch starren.
„Hi“, sagte Tanja. „Ich habe gehört, sie wüssten gern, wohin wir heute fahren.“
Lena starrte immer noch. Trotzdem schaffte sie ein Nicken.
„Es geht ins Globus. Das ist gar nicht weit von hier.“
„Ich kenne das Globus“, sagte Lena schnell. Natürlich kannte sie es. Sie kannte jeden Schuppen der Stadt und war fast überall selbst schon einmal zu Besuch gewesen.
Alma dagegen kannte sich gar nicht aus. Weil sie nie ausging, wusste sie weder, was das Globus war, noch wie man da hinkam. Aber sie vermutete, dass es dort Essen gab. Das genügte ihr. Inzwischen war ihr Hunger auch schon richtig groß.
„Ich verspreche, Ihre Freundin heil wiederzubringen“, versprach Tanja breit lächelnd.
„Davon gehe ich aus“, sagte Lena und ergänzte. „Es war so schön, Sie kennenzulernen.“ Und an Alma gerichtet. „Habt Spaß! Und … lass die Sau raus.“ Dann zwinkerte sie ihr zu.
Die Andeutung mit ihren Augen war kaum zu übersehen. Alma war das entsetzlich peinlich. Sie hatte bereits angekündigt, sich gesittet zu benehmen hatte nicht vor, daran heute etwas zu ändern.
Als sie den Wagen startete, sagte Tanja, sie fände Lena nett. Alma war sich nicht mehr so sicher. Dieses Zwinkern hatte ganz sicher auch Tanja gesehen und sie würde ihre Schlüsse ziehen. Vielleicht dachte sie nun, Alma wünsche sich insgeheim eine heiße Nacht. Für Alma war das kaum zu ertragen. Wie gern würde sie nun wieder nach oben gehen zu ihrer Hündin und mit ihr gemeinsam einen Film schauen. Zwischendurch ein paar wirklich ungesunde Chips knabbern – vielleicht sogar eine Schokolade zum krönenden Abschluss. Stattdessen saß sie hier und wusste nicht, was von ihr erwartet wurde. Auf keinen Fall stand sie für einen One-Night-Stand zur Verfügung.
„Startklar?“, fragte Tanja und sah sie an.
„Eigentlich würde ich doch lieber nach Hause.“
Kapitel 4
Tanja
Wieder einmal hatte Alma sie sprachlos gemacht. Tanja starrte sie an. Doch Alma wich ihrem Blick aus. „Habe ich das gerade richtig verstanden?“
Sie nickte. „Das haben Sie.“
„Warum?“
„Weil ich nicht sicher bin, was ich hier tue.“
„Sie sind hier, weil wir gemeinsam etwas essen wollen. Wir haben uns heute Morgen doch ganz gut verstanden, und…“
„Warum ich?“, unterbrach Alma sie.
Tanja wusste, dass sie ihre Worte nun gut durchdacht wählen sollte. Jedes falsche Wort könnte sie von ihr wegführen. „Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass ich jede haben kann. Es klingt vielleicht arrogant. Aber … jede Frau, die ich bislang ansatzweise attraktiv fand, wollte mich schon erobern, bevor ich auch nur meinen Mund aufmachen konnte. Als sie mich mit ihren rehbraunen Augen angestarrt haben, wusste ich sofort, dass sie lesbisch sind. Und trotzdem haben Sie nicht das Geringste versucht. Obwohl sie wussten, dass auch ich auf Frauen stehe. Die Gelegenheit wäre also perfekt gewesen.“
„Das heißt, sie wollten mit mir ausgehen, weil ich es nicht wollte?“
Das klang ein wenig abwegig, aber genauso war es. „Das könnte man so sagen, ja. Sie sind bescheiden und bodenständig und so wenig aufdringlich, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Ich schätze so etwas. Sehr. Hinzu kommt, dass sie wunderschön sind und außerdem noch ein großes Herz haben.“
Almas Wangen liefen wieder rot an.
Allein das genügte schon, um Tanjas Emotionen auf ein Maß zu steigern, wie sie es selten zuvor erlebt hatte. „Ich treffe selten Menschen, die … zumindest halbwegs normal sind.“
„Ich schätze, es ist eine gute Sache, für normal gehalten zu werden.“ Alma lächelte.
„Die beste Sache. Das größte Kompliment, das ich an Menschen verteile, die ich mag.“ Tanja hatte es gesagt. Sie mochte das Mädchen.
„Aber…“, begann die Kleine zögerlich.
„Was aber?“
Alma biss sich auf die Unterlippe. „Ich will ihre Gefühle nicht verletzen…“
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Raus mit der Sprache. Was bewegt Sie?“, forderte Tanja sie auf.
„Ich kenne ihre Einstellung in Bezug auf … Frauen und ihre moralische Sicht auf Beziehungen.“
„Sie wissen nur, was die Presse vermutet. Das ist alles.“ „Mag sein. Aber die Bilder sprechen eine eindeutige Sprache. Auch die Fluktuation ihrer Beziehungen…“
„Meine was?“, unterbrach Tanja sie barsch.
„Entschuldigen Sie, dass ich das so direkt sage, aber Sie wechseln die Frauen, wie ihre Unterwäsche.“
Na, klasse! „Nicht alles, was in der Presse steht, stimmt. Vieles ist arrangiert.“
„Das heißt, einiges stimmt“, hakte Alma nach.
„Ja“, gab sie zu. „Einiges stimmt. Ich bin keine Heilige.“
„Verstehe.“ Alma nickte. „Ich nehme an, der Teil, in dem Sie bekennen niemals heiraten zu wollen, stimmt ebenfalls.“
„Das stimmt tatsächlich, ja.“
„In dem Fall macht es einfach keinen Sinn miteinander auszugehen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich nicht mit Ihnen schlafen werde. Ich investiere keine Zeit und Gefühle in Beziehungen, die langfristig zu nichts führen.“
Tanja verschlug es die Sprache. „Sie sind sehr direkt. Das muss man schon sagen.“
„Ich glaube einfach, dass uns das eine Menge Zeit spart. Außerdem möchte ich nicht, dass Sie am Ende enttäuscht sind.“
„Sie könnten mich nicht enttäuschen“, entfuhr es Tanja. „Ich habe Ihnen schon heute Morgen gesagt, dass ich nicht mit Ihnen schlafen werde. Lassen Sie uns einfach einen schönen Abend haben. Völlig losgelöst von Erwartungen.“
Alma sah sie lange an. Dann nickte sie. „Einverstanden.“
Tanja atmete erleichtert aus. Für einen kurzen Moment hatte sie befürchtet, die kurze Bekanntschaft mit Alma sei schon vorbeigewesen. Nun wusste sie, dass es noch Hoffnung gab. Sie wendete das Auto und fuhr Richtung Globus. In diesem Moment glaubte sie, zu wissen, dass sie nervöser war als ihr Date.
Kapitel 5
Alma
Sie fühlte sich zu Tanja hingezogen. Und das machte ihr Angst. Große sogar. Sie war erst einmal in ihrem Leben jemanden verfallen gewesen. Zumindest hatte Alma das anfangs geglaubt. Ihre Ex hatte ihr dann irgendetwas von rein chemischer Reaktion erklärt, die diese Anziehung bewirkt hatte, so dass diese schnell verflog.
Das hier mit Tanja war stärker. Viel stärker. Alma war sich unsicher, ob es mit ihr als Mensch oder mit dem Star zu tun hatte. Jeder Mensch musste das Prickeln spüren, wenn man neben der Tanja stand. Sie war einfach atemberaubend. Es dauerte nicht lange, bis sie den Globus erreichten. Zumindest erreichten sie eine Tiefgarage. Ob die wirklich zu dem Restaurant gehörte, wusste Alma nicht, weil sie sie nicht auskannte. Zumindest standen hier einige andere Luxusautos. Mit Autos kannte Alma sich ebenso wenig aus. Aber sie wusste, dass diese hier sehr teuer sein mussten.
Den ganzen Weg über hatten sie kein einziges Wort miteinander gewechselt. Alma konnte nicht sagen, dass ihr das mehr Mut gemacht hätte. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie mit genau diesem Filmstar in einem Auto saß.
„Ich kann Ihre Gedanken förmlich spüren. Raus damit. Was belastet sie?“ Tanja sah sie erwartungsvoll an.
„Sie können Gedanken spüren?“, fragte Alma zweifelnd.
„Sicher. Ihnen stehen die Fragen förmlich ins Gesicht geschrieben.“
„Also schön. Was denke ich denn?“
„Sie denken, dass dieser impulsive Restaurantbesuch mit einer Fremden ganz und gar nicht zu Ihnen passt und dass sie nun viel lieber zu Hause wären. Bei Leila. Sie würden eine Pizza bestellen und sich einen Film ansehen. Auf keinen Fall wollen Sie Ihre Zeit mit einer Frau verschwenden, die ihrer Meinung nach völlig andere Ziele verfolgt.“
Alma war fassungslos. Tanja hat es irgendwie ins Schwarze getroffen.
„Und? Stimmt irgendetwas davon?“ Tanja sah sie mit einem durchdringenden Blick an.
„Gar nicht mal so wenig.“
Tanja nickte. „Ich muss zugeben, dass ich ein wenig eifersüchtig bin.“
„Auf wen?“
„Auf Leila. Ich wette, die darf das Bett mit Ihnen teilen.“
Alma lachte laut auf. „Das darf sie tatsächlich.“
Wieder lächelte Tanja sie mit einem unergründlichen Blick an. Das war das Lächeln, das Filmpreise gewann und Millionen von Zuschauern in die Kinos lockte. Das in Frauenzeitschriften abgebildet wurde und die Herzen der Frauen im Sturm eroberte. Und es war auch das Lächeln, das etwas in Alma auslöste. Es kribbelte zwischen ihren Beinen. Und zwar gewaltig.
Alma hatte eine Menge über Tanja gelesen. Nicht nur Berichte, auch Interviews. Inzwischen glaubte sie, Tanja zu kennen. Als wäre sie eine Familienangehörige. Tanja dagegen wusste nichts über sie. Und so sollte es auch bleiben.
Kapitel 6
Tanja
Sie wollte alles über Alma wissen. Was sie am liebsten aß. Was sie am liebsten an einem Fernsehabend ansah. Was sie nachts trug, wenn sie sich mit Leila in ihr Bett kuschelte. Vielleicht nichts. Tanja schüttelte den Kopf. Diesen Gedanken konnte sie momentan nicht weiterverfolgen. Nicht so lange sie noch immer auf dem Sprung war, wegzulaufen. Sie wirkte absolut schreckhaft. Als hätte sie selten Dates gehabt. Aber auch das machte sie nur umso anziehender.
Tanja stieg aus und ging um den Wagen. Alma hatte die Tür schon geöffnet, trotzdem wollte Tanja ihr helfen. Ihre Hand berühren. Wenigstens die. Ihr Blick fiel auf die Haut von Almas glatten Oberschenkeln. Der Rock hatte sich nach oben gezogen und Tanja musste sich zwingen, in Almas Gesicht zu blicken, anstatt auf die zarte Haut zwischen ihren Beinen. Sie hielt ihre Hand und zog Alma nach oben. Als sie die Tür verschloss, war Almas Hand immer noch in ihrer. Sie entzog ihre Hand auch nicht, als sie den Aufzug erreichen. Tanja hielt ihre Aufzugkarte an den Laser neben dem Aufzug.
Ja, ihre Aufzugkarte.
Sie gehörte zu Tanjas Aufzug und zu ihrem Penthouse. Tanja war klar, dass Alma nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden wollte. Fremde Blicke hätten sie nur umso nervöser gemacht. Insofern schied der Globus aus. Während sie im Aufzug warteten, war es angenehm still. Tanja mochte das. Wenn sie sonst mit Begleitung hier war, hörte sie konstantes Geplapper. Meistens belangloses Zeug, wahrscheinlich um keine Stille entstehen zu lassen oder um Tanja zu unterhalten. Wer wusste das schon? Tanja war einfach nur genervt.
Als die Tür aufging, führte Tanja ihre Begleitung in den Flur. Hier wurde Alma zum ersten Mal stutzig. „Das … sieht nicht aus, wie der Globus.“
„Richtig“, Tanja kratzte sich am Kopf, „vielleicht schicken Sie ihrer Freundin jetzt doch einen Standort.“
Alma zog eine Augenbraue hoch. Schien etwas sagen wollen, wusste aber nicht was.
„Ich dachte, Sie vertragen heute keine Beobachtungen mehr“, erklärte Tanja. „Im Globus werde ich auch oft angestarrt. Das lässt sich leider nicht vermeiden. Hier sind wir ungestört.“
Alma holte ihr Handy heraus und deutete auf das anschließende Zimmer. „Darf ich?“
„Natürlich. Fühlen Sie sich, wie zu Hause. Aber vielleicht kann ich Ihnen vorher noch die Jacke abnehmen.“
„Mir ist kalt“, sagte Alma und lief zum Wohnzimmer herüber.
Sie fühlte sich also nicht wie zu Hause. Hierherzukommen war vielleicht doch keine gute Idee gewesen, überlegte Tanja. Alma lief zu den deckenhohen Fenstern. Von dort aus hatte man einen fantastischen Blick über die Frankfurter Skyline und den Main.
„Es tut mir leid“, sagte Tanja, die noch immer an der Wohnzimmertür stand.
Alma steckte das Handy in die Tasche. „Die Aussicht ist wirklich schön.“ Sie wendete sich vom Fenster ab und sah sich den Rest vom Penthouse an. Die Küche und das Arbeitszimmer konnte man einsehen. Das Schlafzimmer war im hinteren Teil der Wohnung und von ihrem Standpunkt aus nicht einsehbar. Das war vielleicht auch besser so, weil sie sonst vielleicht sofort Reißaus nehmen würde. Im Arbeitszimmer sah sie sich die Bilder ihrer Freunde und der Familie an, die an der Wand neben dem Schreibtisch hingen. Der Schreibtisch selbst war voller Skripte, die Tanja nur zum Teil gelesen hatte.
Alma wollte aber auch den Rest der Wohnung sehen und ging zum Ende des Flures in Tanjas Schlafzimmer. Sah die Fotos von Tanjas Neffen und Nichten auf dem Nachtschrank. Das riesige King-Size-Bett war kaum zu übersehen.
„Dort ist das Badezimmer.“ Tanja zeigte in die Richtung. Die Tür war geöffnet und man konnte die altmodische Badewanne sehen, die auf goldenen Füßen stand.
„Die Wanne gefällt mir. Sie baden wohl jeden Tag.“
Tanja grinste. „Schön wär’s.“
„Ich denke, ich würde jeden Tag ein Schaumbad nehmen, wenn das meine Wanne wäre.“
Bei dem Gedanken der nackten Alma in ihrer Wanne durchfuhr Tanja ein Schauer. Zwischen ihren Beinen regte sich wieder ein kaum stillbares Verlangen. Wie sollte sie den Abend nur überstehen? „Sie sind jederzeit eingeladen, meine Badewanne zu nutzen“, sagte Tanja und ging rasch zurück ins Wohnzimmer. Offensichtlich wusste die Kleine nicht, welche Macht Worte haben konnten.
„Sie sollten solche Einladungen keiner Fremden machen“, sagte Alma, als sie ihr lachend folgte.
Fremde? Seltsamerweise hatte Tanja ganz und gar nicht das Gefühl, das eine Fremde hier zu Besuch wäre. Ihr Vertrauen zu Alma war innerhalb weniger Stunden größer, als sie es je zu anderen Frauen empfunden hatte. Vielleicht, weil sie so authentisch war. Man musste ihr vertrauen. „Ich betrachte Sie nicht als Fremde.“
„Das würde ihr Sicherheitsteam vermutlich anders sehen. Haben Sie eines?“
„Zeitweise. Meine Instinkte sagen mir, dass ich heute niemanden brauche, der für meine Sicherheit sorgt.“ Tanja ging in die Küche.
„Und wenn ich eine verrückte Stalkerin bin?“ Alma stemmte gespielt ernsthaft die Hände in die Seiten. Dann sah sie sich erstaunt um, als würde ihr der Anblick der Küche gefallen.
„Sind Sie nicht.“ Tanja öffnete eine Schublade und holte einen kleinen Stapel Restaurant-Flyer heraus.
„Ihre Küche ist wunderschön“, staunte Alma.
„Ja, leider habe ich nicht genug Zeit, sie auch zu benutzen. Was mögen Sie?“ Tanja deutete auf die Flyer.
Alma grinste. „So laden Sie Frauen also zum Essen ein.“
„Für gewöhnlich gehe ich tatsächlich aus“, sagte Tanja leise.
„Verstehe. Mit Frauen, die nicht sozial gestört sind.“
„Ich halte Sie nicht für gestört, Alma. Sie sind der erste echte Mensch, mit dem ich esse. Mal abgesehen von meiner Familie. Ich genieße es wirklich sehr.“
Auf Almas Lippen entstand ein kleines Lächeln. Das freute Tanja. Sie schien ihr zu glauben.
„Was halten Sie von vietnamesisch?“ Sie nahm den Flyer in die Hand.
„Sie entscheiden. Ich mag alles hier.“
Sie entschied sich für Thịt gà nấu cam – Zartes Hühnerfleisch in Orangensauce. Tanja wählte, was sie für gewöhnlich nahm: Bò lúc lắc – Rindfleisch in Zitronen-Pfeffer-Sauce.
Nachdem Tanja bestellt hatte, holte sie eine Flasche Burgunder aus ihrem Weinschrank.
„Ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass hier kein Personal ist. Wenigstens Sicherheitsleute, oder was auch immer.“
„Warum das? Das würde ja bedeuten, ich wäre nie allein.“ Tanja schenkte ein.
„Naja, aber in den Zeitungen ist tatsächlich davon die Rede: Dass sie kaum einen Schritt allein tun.“ Alma setzte sich auf einen der Barhocker.
„Sie sollte nicht alles glauben, was die Presse schreibt. Vieles davon ist Quatsch.“ Sie stießen an.
Alma nippte zuerst vorsichtig von ihrem Glas, als müsse sie testen, ob er zu heiß war – oder vergiftet. Dann nickte sie anerkennend. „Der ist gut.“
Das freute Tanja. „Find ich auch. Ist meine Lieblingssorte.“
Eine Weile hingen sie ihren Gedanken nach. Es war so schön mit Alma. Ihr eigenes Tempo verlangsamte sich automatisch in ihrer Nähe. Zeit spielte keine Rolle mehr.
Tanja zündete eine Kerze an und stellte sie in die Mitte des Tisches.
„Stört Sie nicht, was die Leute über sie schreiben?“, wollte Alma nach einer Weile wissen.
„Für gewöhnlich lese ich nichts, was in der Boulevard-Presse steht. Mein Agent und meine Anwältin kümmern sich darum.“
„Und das geht so leicht. Es einfach zu ignorieren?“
Tanja atmete tief durch. „Sie wissen wahrscheinlich, dass ich eine berühmte Mutter habe. Wir sind so aufgewachsen. Ein Leben ohne Kameras und Fotoapparaten, die auf uns und unsere Familie gerichtet sind, kennen wir gar nicht.“
„Natürlich kenne ich Gloria Hersdorf. Ich habe fast alle ihre Filme gesehen.“
„Nur fast?“, witzelte Tanja.
Alma biss sich auf die Unterlippe, als wäre diese Tatsache tatsächlich ein Vergehen. Es sah so hinreißend unschuldig aus, dass Tanja sie am liebsten geküsst hätte.
„Ich muss gestehen, dass die älteren Heimatfilme nicht gerade mein Interesse geweckt haben.“
Tanja lachte. „Es würde mich auch sehr wundern, wenn Sie die gesehen hätten. Es spricht wohl eher eine Zielgruppe jenseits der achtzig an.“
Alma stieg in ihr Lachen ein. Es fühlte sich gut an, mit ihr gemeinsam so losgelöst lachen zu können.
Tanja setzte sich auf den Barhocker neben sie, sorgsam darauf bedacht, mit ihrem Knie nicht gegen Almas zu stoßen. „Ich denke, Mama würde Sie mögen.“
„Ach, ja? Warum?“
„Weil Sie Ihre Arbeit mit Leidenschaft machen. Außerdem haben Sie eine Bestimmung. Eine echte. Sie arbeiten mit echten Menschen. Niemand ist ehrlich als Kinder.“
Alma lächelte. „Ich liebe tatsächlich meine Arbeit. Wenn man die Fortschritte sieht, weiß man, dass man etwas vollbracht hat. Es wird mir wirklich schwerfallen, sich irgendwann von den Kids zu trennen. Ich weiß noch nicht, ob ich stark genug dafür bin. Ich hänge wirklich sehr an meinen Schülern.“
„Ich wette, die Hälfte der Kinder ist in Frau Runge verknallt.“
Wieder diese roten Wangen, die Tanja so anziehend fand. Sie war froh, als es an der Tür klingelte. Tanja ging zur Gegensprechanlage.
„Entschuldigen Sie die Störung, Frau Hersdorf. Hier ist eine Lieferung für Sie.“
„Schicken Sie sie rauf.“
Als Tanja sich umdrehte, bemerkte sie, wie sie von Alma gemustert wurde.
Alma fühlte sich ertappt und wendete ihren Blick schnell ab. Tanja grinste und drehte sich wieder zu der sich öffnenden Fahrstuhltür. Sie gab dem Lieferanten Trinkgeld und nahm die Assietten entgegen.
In der Küche richtete Tanja das Essen an. Um es Ihnen beiden noch gemütlicher zu machen, zündete sie zwei Teelichter an. Eines ließ sie auf der Bar stehen. Das andere stellte sie zu der Kerze auf den Esstisch. Genau zwischen ihnen. Es war ein kleiner Esstisch, so dass sie nicht weit voneinander entfernt saßen.
„Es ist wirklich gemütlich und sieht unglaublich lecker aus“, bemerkte Alma. „Vielen Dank!“ Das Danke ging nicht nur an das Essen, sondern auch daran, dass sie Alma nicht den unvermeidlichen Blicken fremder Menschen ausgesetzt hatte.
„Ich danke Ihnen! Um ein Haar hätte ich allein essen müssen.“
„Als gäbe es nicht tausende Frauen, mit denen sie sonst essen könnten.“
Tanja schenkte Wein nach. „Sie glauben wieder alles, was sie aus der Zeitung haben.“ Sie setzte sich zu Alma an den Tisch. „Nur weil ich viele Leute kenne, heißt es nicht, dass ich mit allen essen möchte. Diejenigen, mit denen ich gern esse, stehen nicht permanent zur Verfügung.“
„Weil sie Familien haben“, vermutete Alma.
„Ganz genau.“
Alma nippte wieder am Wein. „Es wirkt immer so, als würde Ihnen das gefallen.“
„Manchmal ist es auch so. Das will ich nicht verhehlen. Aber an anderen Tagen ist es einfach nur wahnsinnig anstrengend. Die Drehtage sind manchmal sehr lang. Man hat dann nicht viele Rückzugsmöglichkeiten.“
„Das kann ich mir vorstellen.“ Alma sah sie mitleidig an.
„Aber oft liebe ich es auch.“
„Ich will nicht indiskret sein.“ Erneut biss Alma sich auf die Lippe.
„Nur raus mit der Sprache“, ermunterte Tanja sie und versuchte, das Kribbeln zwischen ihren Beinen bei dieser Geste zu unterdrücken.
„Ich frage mich, wie es ist, einen Mann küssen zu müssen, wo sie doch…“ Sie beließ es dabei.
Aber natürlich wusste Tanja, was sie damit gemeint hat. „Sie meinen, weil ich offensichtlich auf Frauen stehe?“
Alma nickte schüchtern.
„Nun, ja. Ich bin Schauspielerin. Mein Job ist es, es so aussehen zu lassen, als würde ich das genießen. Es ist nicht angenehmer oder schwieriger, als auf Kommando weinen zu müssen. Zumindest für mich.“
„Tatsächlich?“
„Klar. Viel schlimmer finde ich, wenn mich der männliche Schauspieler hinterher angräbt, weil sogar er es für echt gehalten hat. Einige glauben wirklich, sie könnten diejenigen sein, die mich bekehren und vom Lesbischsein erlösen könnten. Als wäre ich nur lesbisch geworden, weil mir vorher nicht der richtige Mann begegnet wäre.“
„Nicht dein Ernst.“ Alma riss erstaunt die Augen auf.
„Absolut. Davon gab es nicht wenige.“
„Ich wüsste nicht, ob ich das könnte. Ich schäme mich fast, dass ich immer nur die glamouröse Seite Ihres Berufes gesehen habe.“
„Das müssen Sie nicht. Genau dieses Bild wird von den Medien ja auch transportiert. Und das ist auch gut so. Filme schauen soll Spaß machen. Man soll nicht immer daran denken müssen, wie es hinter den Kulissen aussieht. Außerdem fühle ich mich trotz der … Zwischenfälle gesegnet, diesen Job ausführen zu dürfen. Es gibt nicht viele, die ihre Liebe zur Schauspielerei so ausleben dürfen, wie ich es kann. Ich kann meine Rollen frei auswählen. Wie viele Schauspieler können das schon von sich behaupten?“
„Wahrscheinlich nicht allzu viele“, überlegte Alma und spießte ein Rinderstück auf.
„Eben. Außerdem werde ich zu einer Menge Preisverleihungen geladen. Ich muss nicht einmal nominiert sein. Apropos. In der nächsten Woche bin ich bei den Filmfestspielen in Venedig. Sie haben nicht zufällig schon etwas vor?“
Ihre Augen weiteten sich. „Sie …“, stotterte Alma. „Sie wollen mich