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Vom Verurteilen zur Verbundenheit
Neugier ist unsere Superkraft: Sie bildet die Grundlage für unsere Fähigkeit zu Verbindung, Wachstum und Heilung. Wenn wir anderen unvoreingenommen begegnen und ihnen ein ehrliches Interesse entgegenbringen, können wir Grenzen und Vorurteile überwinden und Gefühle von Einsamkeit hinter uns lassen.
Der amerikanische Autor und Speaker Scott Shigeoka erforschte die Kraft der Neugier wissenschaftlich und praktisch auf einem monatelangen »Curiosity Road Trip« durch die USA. Er zeigt, wie wir diese grundlegende menschliche Fähigkeit stärken und den Mut entwickeln können, uns von Menschen, Orten und Erfahrungen verändern zu lassen. Sein Modell umfasst vier Schritte:
1. Loslassen: Annahmen, Vorurteile, Überzeugungen ablegen.
2. Ausrichten: Die Denkweise neu justieren.
3. Wertschätzen: Die Würde jeden Menschen erkennen, einschließlich der eigenen.
4. Umarmen: Schwierige Zeiten als Katalysator für Verbindung und Transformation willkommen heißen.
Ganz gleich, ob wir vertrauensvollere Beziehungen aufbauen wollen oder unseren Horizont erweitern wollen – dieses Buch ist eine Pflichtlektüre für unsere Zeit.
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Seitenzahl: 378
Veröffentlichungsjahr: 2024
Zum Inhalt
Neugier ist unsere Superkraft: Sie bildet die Grundlage für unsere Fähigkeit zu Verbindung, Wachstum und Heilung. Wenn wir anderen unvoreingenommen begegnen und ihnen ein ehrliches Interesse entgegenbringen, können wir Grenzen und Vorurteile überwinden und Gefühle von Einsamkeit hinter uns lassen.
Der amerikanische Autor und Speaker Scott Shigeoka erforschte die Kraft der Neugier wissenschaftlich und praktisch auf einem monatelangen »Curiosity Road Trip« durch die USA. Er zeigt, wie wir diese grundlegende menschliche Fähigkeit stärken und den Mut entwickeln können, uns von Menschen, Orten und Erfahrungen verändern zu lassen. Sein Modell umfasst vier Schritte:
1. Loslassen: Vorurteile und Überzeugungen ablegen.
2. Ausrichten: Die Denkweise neu justieren.
3. Wertschätzen: Die Würde jeden Menschen erkennen, einschließlich der eigenen.
4. Umarmen: Schwierige Zeiten als Katalysator für Verbindung und Transformation willkommen heißen.
Ganz gleich, ob wir vertrauensvollere Beziehungen aufbauen wollen oder unseren Horizont erweitern wollen – dieses Buch ist eine Pflichtlektüre für unsere Zeit.
Autor
Scott Shigeoka ist ein gesuchter Speaker, Designer, Creative Writer und Berater sowie in der Kunst- und Filmbranche tätig. Er sieht sich als Brückenbauer in der Gesellschaft mit dem Anliegen, soziale Ungerechtigkeit auszugleichen. Als Curiosity-Ambassador erforscht und vermittelt er an Universitäten und Konzernen weltweit die Benefits von Neugier in all ihren Facetten.
Scott Shigeoka
Sei
neugierig!
Wie wir mehr
Entdeckungsfreude,
Offenheit und Toleranz
in unser Leben holen
Die Informationen in diesem Buch sind vom Autor und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.
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Die amerikanische Originalausgabe ist 2023 unter dem Titel Seek. How curiosity can transform your life and change the world bei Balance / Hachette Group, New York, erschienen.
Deutsche Erstausgabe
© 2024 Kailash Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
© 2023 by Scott Shigeoka
Lektorat: Anne Nordmann
Umschlaggestaltung: ki 36, Daniela Hofner Editorial Design, München
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-30246-7V001
www.kailash-verlag.de
Inhalt
Einleitung
Teil 1: Neugier ist eine Superkraft
Kapitel 1: Die Rolle von Neugier
Kapitel 2: Tiefe Neugier
Kapitel 3: Was uns im Weg ist
Teil 2: Das DIVE-Modell
Kapitel 4: Loslassen
Kapitel 5: Absichtsvoll handeln
Kapitel 6: Wertschätzen
Kapitel 7: Annehmen
Teil 3: Leben mit tiefer Neugier
Kapitel 8: Die Grenzen der Neugier
Kapitel 9: Neugier ist ansteckend
Fazit
Dank
Über den Autor
Anmerkungen
Einleitung
Als ich meine Arbeit bei einer Designerfirma kündigte, haben mich alle für verrückt erklärt. Dabei hatte ich nicht vor, in einem Nationalpark zu verschwinden, um mich dort im Herzen der Natur »selbst zu finden«. Auch ging es mir nicht um den Lebensstil eines digitalen Nomaden, der am Strand oder vor einer Bergkulisse arbeiten kann. Stattdessen gab ich mein bequemes Leben in San Francisco auf, um zwölf Monate lang unterwegs zu sein, im Auto zu schlafen, in Fitnessstudios zu duschen und auf meiner Reise Menschen zu treffen, denen ich als liberaler Amerikaner asiatischer Herkunft, als spiritueller queerer Dozent und Forscher aus Hawaii (puh, das war ganz schön viel auf einmal) normalerweise nie begegnen würde. Freunde warnten, dass ich mit Gewalt und verbalen Angriffen rechnen müsse, wenn ich meine Pläne in die Tat umsetzen würde – ein Freund sagte wortwörtlich, dass ich wahrscheinlich angeschossen werden würde. Mir ging es darum, dass ich nur wenige Konservative oder Trump-Wähler kannte, dass es abgesehen von Verwandten in meinem Leben nur wenige Menschen gab, die wesentlich älter oder jünger als ich waren, dass ich nie mit Leuten sprach, die in ländlichen Kleinstädten oder Reservaten lebten. Und ich hatte zwar oft in den Nachrichten von Menschen gelesen, die auf dem Land oder in Fabriken arbeiteten, aber noch nie mit jemandem engeren Kontakt gehabt, der sich so seinen Lebensunterhalt verdiente.
Statt ziellos durch die Gegend zu fahren, beschloss ich, mich vorzubereiten und eine Route festzulegen. Ich peilte eine Kleinstadt in Alabama an, ein Indigenenreservat in Minnesota, ein Retreatzentrum in dem Nonnen und Millennials zusammenlebten, und einige Kleinunternehmen in Arkansas. Ich hatte mir sogar überlegt, dass ich gern in feindliches Gebiet vorstoßen wollte: Ich plante, an einem Treffen von Republikanern sowie einer Trump-Kundgebung teilzunehmen und das Gespräch mit Glaubensgemeinschaften zu suchen, unter anderem mit einem der berühmtesten christlichen Geistlichen des Landes.
Wenn sie von meinen Reiseplänen hörten, warfen Freunde und Verwandte einen Blick auf meine vorläufige Route und starrten mich an. Sie stellten mir alle die gleiche Frage: Warum willst du dir das antun? Manche waren weiterhin konkret um meine körperliche Sicherheit besorgt, andere befürchteten eher, dass so ein Besuch bei denen auf »der anderen Seite« solchen Leuten »wie uns« in anderer Weise Schaden zufügen würde. Mit »wie uns« meinten sie junge, fortschrittlich denkende People of Color und ähnliche Gruppen.
»Solche Typen hassen uns einfach«, sagte ein Freund von mir. Er riet mir, zu meinem Schutz auf jeden Fall Pfefferspray und ein Messer mitzunehmen.
Merkwürdigerweise war es gerade all dieser Hass, der mich dazu bewegte, meinen zehn Jahre alten Prius (ja, ja, schon klar, ich bin ein Klischeekalifornier) bis unters Dach vollzupacken und 2019 einen Roadtrip quer durchs Land zu unternehmen. Ich wollte nicht mehr die ganze Zeit so wütend sein und ständig Angst haben. Mein Motto im Leben war immer »Lass dich von Liebe leiten«, und hier hatte ich nun Gelegenheit dazu, mich dem Hass entgegenzustellen, der selbst die Luft zu verpesten schien, die wir einatmeten. Schließlich lebten wir in einer Kultur der Polarisierung und Spaltung, in der es immer »wir gegen sie« hieß, was zu Entfremdung und Einsamkeit führte. Unter alldem Druck begannen Beziehungen, begann das ganze Sozialgefüge um uns herum zu bröckeln.
Leider kommt mir das heute noch immer so vor: Nachbarinnen und Nachbarn geraten bei Versammlungen im Rathaus aneinander, bei öffentlichen Schulkonferenzen kommt es zu Grabenkämpfen unter den Eltern, und junge Leute rufen älteren abschätzig »Okay, Boomer!« zu. In einer Stadt kam es zu einem Tumult, als sich bei einem Gottesdienst eins der Gemeindemitglieder als schwul outete, in einer anderen wurden eine Kirche und eine Moschee von Brandstiftern angesteckt. Auf den Straßen der Städte und selbst auf den Campus von Universitäten nimmt von Jahr zu Jahr die identitätsbasierte Gewalt zu.
Das Ergebnis dieser Entwicklungen sind nicht nur Uneinigkeit und tiefe Traurigkeit auf kollektiver Ebene – sie betrifft uns auch alle ganz persönlich. Giftige Luft kann man eben nicht einatmen, ohne dass Lunge und Herz darunter leiden. Freundschaften und Ehen gehen in die Brüche, auf Familienfesten ist die Stimmung angespannt, und eine Studie neueren Datums ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in den USA eine von zehn Personen nicht einen einzigen Menschen als enge Freundin oder engen Freund bezeichnen würde1. In diesem Land sind wir nicht dazu bereit, uns gegenseitig die Rücksicht und das Mitgefühl entgegenzubringen, die uns enger zusammenrücken lassen und Fortschritt mit sich bringen. Allerdings betreffen diese Probleme nicht nur die USA – sie sind weltweit anzutreffen.
Ich muss zugeben, dass meine Reise auch durch persönliche Interessen motiviert war. Vor dieser Tour hatte ich in Berkeley am Greater Good Science Center der University of California dazu geforscht, wie man sein Leben zum Positiven hin verändern kann. Dort hatte ich auf Studien basierende Strategien zusammengetragen, durch die trotz aller Differenzen menschliche Beziehungen gestärkt werden können. Dieser Roadtrip war für mich die perfekte Gelegenheit, um meine Forschungsergebnisse in der Praxis zu testen. Ich persönlich hatte nämlich weiterhin Schwierigkeiten damit, Kontakt zu Menschen herzustellen, die ganz anders waren als ich selbst – wodurch ich oft in Debatten geriet, die sich im Kreis drehten, oder Leute mit abweichenden Ansichten in den sozialen Medien blockierte. Ich konnte selbst erkennen, dass ich nicht mehr so ein scharfsinniger, kritischer Denker war wie früher, dass ich mechanisch die immer gleichen Fragen stellte statt interessantere und in die Tiefe gehende.
Zwar erfüllte es mich mit Angst, diese Reise anzutreten, doch da gab es noch ein weitaus stärkeres Gefühl. Es trieb mich nicht nur an, sondern stellte mich auch vor die Herausforderung, die bestmögliche Version meiner selbst zu werden. Es half mir dabei, neue Beziehungen aufzubauen, alte zu stärken und glücklicher und zufriedener zu leben. Mein Dasein war dadurch mit mehr Sinn erfüllt, ich fühlte mich kreativer und sah für meine Zukunft neue Chancen statt der früheren Verzweiflung.
Unterwegs bemerkte ich, dass der besondere Ansatz, der mir bei meiner Reise weiterhalf, auch das Leben der vielen Menschen beeinflusste, denen ich begegnete. Er gab der Kleinunternehmerin Consuelo aus Arkansas die nötigen Erkenntnisse und die finanzielle Sicherheit, um eine von Missbrauch geprägte Beziehung zu beenden. Durch ihn begannen Glenn und Sheila, die in entgegengesetzten politischen Lagern für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe gekämpft hatten, sich gemeinsam für ein besseres Verständnis dieses brandheißen Themas einzusetzen. Er brachte eine Gruppe von jungen und älteren spirituellen Suchenden auf dem Pfad der Freundschaft zusammen.
Was all diese neu entstandene Verbundenheit und Nähe und Wandlung ermöglichte, war etwas ganz Besonderes, aber auch zutiefst Menschliches. Etwas, was wir von Geburt an alle in uns tragen. Ich denke, wenn wir lernen können, es zielgerichteter für unsere Bedürfnisse zu nutzen, wird es unser Leben verbessern und womöglich die Welt verändern:
Neugier.
Zu Suchenden werden
Zunächst würde ich gern klarstellen, dass es in diesem Buch nicht um meinem Roadtrip geht, obwohl dieses lebensverändernde Jahr hier des Öfteren auftauchen wird. Aber die Geschichte, die ich hier erzählen will, ist viel größer als meine eigene. Sie handelt von uns allen, die wir uns isoliert fühlen, leiden oder kein Ziel im Leben haben. Wir streiten uns mit unserer Familie über Politik, versuchen, unserem Dasein durch Arbeit Sinn zu verleihen, oder sehnen uns nach Freundschaft und Gemeinschaft. All dies gehört zu einem Phänomen, das ich als »Ära der Neugierlosigkeit« bezeichne. Es handelt sich um ein Zeitalter, in dem die breite Öffentlichkeit es aufgegeben hat, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, auf gegenseitiges Verständnis hinzuarbeiten und den Beziehungen – zu sich selbst und zu anderen – großen Wert beizumessen. Wir hören heutzutage nur noch selten richtig zu. Wir »canceln« Leute lieber und grenzen sie aus, statt sie, wie Loretta Ross es ausdrückt, mit einzubeziehen. Damit meine ich, dass wir Menschen, mit denen wir nicht einer Meinung sind, lieber entmenschlichen, bloßstellen und verurteilen, als auf eine produktive und gesunde Konfliktlösung mit ihnen hinzuarbeiten. Aus diesem Grund brechen bei Familientreffen Konflikte aus, wenn Politik zur Sprache kommt, und Meetings bei der Arbeit sind durch Spannungen und hierarchische Strukturen geprägt statt durch Kompromisse und Lösungen.
Die Ära der Neugierlosigkeit kann uns buchstäblich umbringen. Längsschnittuntersuchungen haben gezeigt, dass sich wenig Neugier negativ auf unsere Lebenszeit auswirken kann.2 Sie führt zu Ausgrenzung und Einsamkeit – was der Leiter des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA, Vivek Murthy, mal als »Epidemie« bezeichnet hat, weil es so viele Menschen betrifft. Ein Mangel an Neugier trägt auch zu politischer Polarisierung und sozialer Spaltung bei. Wenn wir nicht neugierig sind, setzen wir unser Leben aufs Spiel, unsere Nähe zu anderen und sogar die zu uns selbst.
Um diese Ära hinter uns zu lassen, müssen wir wieder Zugang zu unserer Neugier finden, sie auf neue Art und Weise nutzen, um den Status quo infrage zu stellen und uns den Weg in die Zukunft weisen zu lassen. Wenn wir Beziehungen stärken wollen, statt sie zu zerstören, müssen wir lernen, effektivere Fragen zu stellen, statt andere zu verurteilen. Wir müssen zu den Menschen werden, die auf der Suche nach Geschichten statt nach eindeutigen Positionen sind und Werte mehr schätzen als Meinungen. Dabei sollten wir nicht nur danach streben, etwas über die Welt um uns herum zu lernen, sondern den Blick auch nach innen richten und Neugier für unsere eigene Vergangenheit und unsere eigenen Gefühle entwickeln.
Bevor wir zusammen in Richtung Neugier segeln, sollten wir vielleicht zunächst klären, wer bei dieser Reise mit an Bord ist.
Darf ich mich vorstellen? Scott Keoni Shigeoka. Meine Mutter hat mir erklärt, dass sie mich so genannt hat, um die drei Ebenen meiner Herkunft zu ehren. Scott steht für meine amerikanische Staatsbürgerschaft und Keoni für meinen Geburtsort Hawaii, wo ich die ersten achtzehn Jahre meines Lebens verbracht habe. Meine Familie war seinerzeit eingewandert, um hier auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Shigeoka ehrt meine Wurzeln in Japan, wo vor mehreren Generationen zwei meiner Vorfahren – ein Bauer und eine Prinzessin – alle Klassenunterschiede ignorierten, um der Liebe über Standesgrenzen hinweg zu folgen. Ausgehend von diesen drei in meinem Namen verewigten Orten und dem, was ich durch meine Eltern und ältere Respektspersonen gelernt habe, habe ich meinen natürlichen Hang zur Neugier und meine Fähigkeiten im Umgang mit ihr immer weiter ausgebaut.
So richtig los ging es mit meiner Reise in die Welt der Neugier in meinen Zwanzigern, als sich mein Leben nicht so entwickelte, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich hatte Probleme mit übermäßigem Alkoholkonsum, fühlte mich durch meine Arbeit nicht erfüllt und kam mit meinem Gehalt nur schwer über die Runden. Im Laufe der Zeit hatte ich gelernt, dass ich beim Wunsch nach Veränderung am besten nach Menschen suche, die mir für die erhoffte Zukunft als Vorbild dienen können, und ihnen Fragen stelle. Also habe ich genau das gemacht. Dadurch wurde Neugier für mich zu etwas, was mein ganzes Leben definiert, und zwar auf fast spleenige Art und Weise. Ich meine, wer macht schon Neugier zu seinem Lebensstil?
Ich, so wie es aussieht. Und zehn Jahre später ist Neugier für mich zu einer beruflichen und lebenslangen Mission geworden – ich bringe bewusst jeden Aspekt von ihr in mein Leben ein und helfe anderen dabei, das Gleiche zu tun.
In beruflicher Hinsicht habe ich an der University of Texas in Austin Kurse zum Thema Neugier gegeben und an der UC Berkeley dazu geforscht. Ich habe Neugier in Künstlerresidenzen und von mir organisierten Musikfestivals eingebracht und durch sie die Rahmenbedingungen für schwierige Gespräche in Firmen und Gemeinschaften rund um den Globus geschaffen.
Durch meine Arbeit weiß ich, wie sehr Neugier alle Menschen bereichert. Das ist nicht einfach eine Behauptung, vielmehr habe ich die positiven Auswirkungen von Neugier im Laufe meiner Karriere immer wieder beobachten können. Ich habe mit Menschen aus der Politik zusammengearbeitet, sowohl auf nationaler Ebene als auch auf der von Bundesstaaten, und konnte sehen, wie Neugier nicht nur ihre Arbeitsweise verändert hat, sondern auch, wie sie auf andere wirken. Ich konnte miterleben, wie Personen in leitenden Funktionen ihre Neugier genutzt haben, um an ihren Führungsqualitäten zu feilen, innovativer zu handeln und die Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden zu stärken. Oft haben mir diese Menschen Monate später davon berichtet, wie sie Wohlbefinden und Glück steigern konnten, indem sie die neu erworbenen Fähigkeiten auch in ihr persönliches Leben eingebracht haben – ich bekam Rückmeldungen darüber, wie sie ihre Ehe, ihr Familienleben oder die Beziehungen zu den Leuten in ihrer Nachbarschaft positiver gestalten konnten. Ein ums andere Mal konnte ich den Einfluss von Neugier auf die unterschiedlichsten Menschen beobachten: auf Lehrkräfte, Therapeutinnen und Medienvertreter, auf Leute, die sich in Gemeinschaften engagieren, auf Gewerbetreibende, Forschende, Kunstschaffende, Studierende und Eltern.
Bei meiner Arbeit am Greater Good Science Center habe ich während der letzten fünf Jahre eingehend untersucht, wie Neugier uns dabei helfen kann, politische und soziale Spaltungen zu überwinden, und das ist einer der sich durch dieses Buch ziehenden roten Fäden. Ich habe allerdings festgestellt, dass es nicht die einzige positive Auswirkung ist, die Neugier auf unser Leben und die Welt hat. Durch die Beschäftigung mit Studien und den Austausch mit Menschen, die dazu forschen oder Forschungsergebnisse in die Praxis umsetzen, hat sich Neugier für mich als wichtiges Werkzeug herauskristallisiert, um
unsere Annahmen und Vorurteile auf die Probe zu stellenAngst und Nervosität zu mindernUngewissheit mutiger anzunehmenin einer Zeit der sozialen Isolierung und Ausgrenzung tiefere Beziehungen zu anderen einzugehenbewusster und bedachter zu handelnunsere Kreativität und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen zu verbessernGemeinsamkeiten mit Menschen zu finden, die anders als wir sind oder unterschiedliche Ansichten habenim Leben in schwierigen Zeiten nach vorne zu schauenmehr Selbstgefühl zu entwickeln und freundlicher zu uns selbst zu seinWenn wir uns all das zunutze machen wollen, müssen wir gut darüber nachdenken, wie wir uns unserer Neugier bedienen – und dabei viel mehr in die Tiefe gehen, als wir das für gewöhnlich tun. Verständlicherweise wissen viele von uns nicht recht, wie sie mehr Neugier in ihr Leben bringen können. Das ging mir am Anfang genauso. So, wie wir fürs Joggen oder Gewichtheben einen Trainingsplan brauchen, sind auch hier eine gewisse Struktur und eine Reihe von praktischen Übungen erforderlich, um das Meiste aus unserer Neugier herauszuholen. Und genau deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Als Pädagoge wollte ich ein Modell erstellen, an das sich die Menschen erinnern und auf das sie zurückgreifen können, um ihre Neugier zu stärken. Vielleicht sagst du jetzt: »Aber ich bin doch schon superneugierig!« Trotzdem würde ich dir gern Denkanstöße für die Frage liefern, was für dich Neugier eigentlich bedeutet – sie kann nämlich viel mehr darstellen als das, was man uns vermittelt hat oder was wir uns darunter vorstellen.
In die Tiefe gehen
Es gibt bereits einige Hilfsmittel und Übungen, die dabei helfen, neugieriger zu werden, und ich möchte in diesem Buch gern die besten davon zusammentragen. Vermutlich ist es eine allgemein bekannte Tatsache, dass Neugier zu mehr Selbstreflektion führen und zu Journaling oder kreativen Hobbys inspirieren kann. Sie hat auch Einfluss darauf, wie wir die Welt um uns herum verstehen – etwa kann sie bei uns die Frage aufwerfen, wodurch genau sich eigentlich ein See von einem Teich unterscheidet oder was für eine Art von Hund wir auf unserem Weg nach Hause gesehen haben. Aber gibt es noch andere, langfristigere und einflussreichere Formen von Neugier, die wir uns zunutze machen können?
Nach unserem üblichen Verständnis ist Neugier lediglich ein Hilfsmittel, durch das wir an Informationen gelangen. Wir halten sie für etwas Eindimensionales, das nur in eine Richtung wirkt – wir konzentrieren uns auf unseren persönlichen Gewinn durch Neugier statt darauf, welchen Beitrag sie für uns alle, für unsere Existenz an sich, leisten könnte. Die meisten Menschen sehen Neugier nicht als etwas, was Geist und Herz berührt, sondern als rein intellektuelle Angelegenheit. Durch Neugier können wir uns daran erinnern, welches Lied eben im Radio gespielt wurde. Kindern hilft sie beim Sprechenlernen und beim Entwickeln kommunikativer Fähigkeiten. Und ja, diese Art von Neugier ist wichtig, kratzt aber nur an der Oberfläche. Neugier geht so viel weiter in die Tiefe und hat uns viel mehr zu bieten, weshalb ich ihre übliche Form als »seichte Neugier« bezeichne. Wir bleiben an der Oberfläche.
Wenn Neugier wirklich in die Tiefe geht, kann sie viel mehr, als interessante Anekdoten für einen Cocktailempfang zu liefern. Neugier kann die treibende Kraft für mehr Nähe und Veränderung sein. Sie kann unsere Beziehung zu uns selbst und zu anderen verbessern, lange Ehen neu beleben und uns helfen, konstruktiver mit Konfliktsituationen umzugehen oder Schmerz und Traumata zu heilen. In die Tiefe gehende Neugier fordert uns dazu auf, Fragen zu stellen, die zu überraschenden Antworten und einer differenzierteren Weltsicht führen. Statt »Was kann ich tun, um Geld zu verdienen?« sollten wir uns fragen: »Wodurch fühle ich mich lebendig?«, statt »Wählen Sie die Demokraten oder die Republikaner?« lieber »Welche Werte sind Ihnen wichtig?«, statt »Woher stammen meine Ahnen?« etwas wie »Wie kann ich im Laufe meines Lebens die Verbindung zu meinen Vorfahren aufrechterhalten?«.
Wenn wir die Welt mit neuer Tiefe erkunden, sehen wir nach und nach positive Entwicklungen in unseren Beziehungen – zu unserer Familie, unseren Liebsten, Kindern, Leuten von der Arbeit, aus der Nachbarschaft oder dem Freundeskreis, selbst zu Fremden – und sogar zu uns selbst. Statt ein Leben zu führen, das auf Angst, Traumata und Mangel basiert, öffnen wir uns für ein Gefühl von Sicherheit, Freude, Akzeptanz, Leichtigkeit, Verspieltheit, Ehrfurcht, Mut, Vertrautheit und Freiheit. Deshalb nenne ich diese Version »tiefe Neugier«. Durch sie schauen wir unter die Oberfläche.
Obwohl beide Formen von Neugier wichtig sind, geht es in diesem Buch nicht darum, wie man im Leben mehr seichte Neugier zeigen kann. Wer diesbezüglich Inspiration braucht, kann bereits auf umfangreiches Wissen, zig Bücher und andere Quellen zurückgreifen. In meinen Buch geht es darum, die tiefere Form von Neugier zu erkunden. Das ist zwar schwieriger, doch die positiven Auswirkungen sind viel bedeutsamer und können lebensverändernd sein. Wenn wir uns in tiefer Neugier üben – zu »Suchenden« werden, wie ich es nenne –, dann geben wir uns damit selbst die Chance, unser Leben zu verwandeln und die Welt zu verändern.
Das DIVE-Modell für tiefe Neugier
Ich habe für die Übungen und Hilfsmittel, um tiefe Neugier zu praktizieren, einen Rahmen geschaffen, den ich aufgrund der englischen Anfangsbuchstaben seiner vier Elemente als »DIVE-Modell« bezeichne. Dive heißt auf Englisch eintauchen, was nun wirklich perfekt passt. Während meiner Zeit am Greater Good Science Center habe ich eng mit meinem Kollegen Jason Marsh zusammengearbeitet, um ein kostenloses Online-Tool mit dem Titel Bridging Differences Playbook zu erstellen, ein Arbeitsheft mit mehr als einem Dutzend Neugier-Übungen. Ein paar Monate nach der Veröffentlichung war es bereits mehrere hunderttausendmal heruntergeladen worden. Uns wurde klar, dass sich mehr Menschen als erwartet nach dieser Art von Wissen und Orientierung sehnten – Menschen jeden Alters und aus jedem nur erdenklichen Bereich, unter anderem Lehrkräfte, Menschen aus dem Gesundheits- und Therapiewesen, Leute mit beratenden Berufen, Führungskräfte und viele andere. Wir erkannten auch, dass solche Fragen nicht nur für ein amerikanisches Publikum von Interesse waren. Von den Konzepten in unserem Arbeitsbuch haben Menschen auf der ganzen Welt profitiert.
Seit damals habe ich diese Übungen noch weiter verfeinert und neue erarbeitet, wobei ich großen Wert darauf gelegt habe, dass sie immer auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen aus dem wahren Leben beruhen. In diesem Buch wirst du von einer auf Waldbrände spezialisierten Feuerwehrfrau aus Montana erfahren, die gelernt hat, mit dem Feuer zu sein, statt es zu fürchten, von einer Gruppe weltlicher Millennials, die auf der Suche nach Gemeinschaft und Spiritualität mit katholischen Nonnen zusammenleben, und einem indigenen Anführer, der einem ganzen Land bei der Auseinandersetzung mit den furchtbaren Aspekten seiner Vergangenheit geholfen hat. In gewisser Weise ist dieses Buch die Krönung meiner Reise mit Neugier im Gepäck – es enthält alle konkreten Übungen, meine ganze Forschung und die vielen Geschichten, über die ich gestolpert bin. Als ich all das zusammengeführt habe, hat sich nach und nach ein Muster mit vier Elementen herauskristallisiert, die für tiefe Neugier entscheidend sind:
Detach – Loslassen: Verabschiede dich von deinem Trio der Voreingenommenheit (von Annahmen, Vorurteilen und Gewissheiten)Intent – absichtsvoll handeln: Bereite deine Einstellung und dein Umfeld vorValue – Wertschätzen: Stell die Würde jedes Menschen in den Vordergrund, auch die deineEmbrace – Annehmen: Heiß schwierige Momente im Leben willkommenDiese Elemente, die das Herzstück meines DIVE-Modells darstellen, sind wie Muskeln, die man jeden Tag trainieren kann. Genau wie mit den Muskeln unterschiedlicher Teile deines Körpers – Rücken, Arme, Beine und Rumpf – müssen wir auch mit den vier DIVE-Elementen jeden Tag unsere Übungen machen, um Platz für tiefe Neugier zu schaffen. Anders gesagt: Lass das Beintraining bitte niemals ausfallen! Zum Glück brauchst du beim DIVE keine unvorteilhaften Sportklamotten zu tragen oder laut vor dich hin zu grunzen (außer natürlich, du hast Lust darauf).
Zwar stehen das DIVE-Modell und die entsprechenden Übungen im Zentrum des Buches, es beginnt aber mit der Wissenschaft der Neugier, damit, wie man tiefere Neugier entwickeln und auf welche Hindernisse man dabei stoßen kann. Am Ende des Buches gehe ich auch auf die Grenzen und Einschränkungen von Neugier ein, indem ich auf provokante Fragen wie diese hier antworte: Hat jeder unsere Neugier verdient, auch Mitglieder einer Hassgruppe? Können oder sollen wir manchmal besser Nein zur Neugier sagen? Was, wenn wir uns Menschen gegenüber neugierig zeigen, sie dieses Wohlwollen aber nicht erwidern? Tiefe Neugier ist ein lebenslanges Streben. Uns dem DIVE-Modell zu verpflichten, kann uns aber dabei helfen, Neugier auf aktivere und bewusstere Art und Weise anzuwenden. Ich hoffe, dass du nach der Lektüre dieses Buches keine Hemmungen mehr haben wirst, beim ersten Date oder innerhalb deiner Ehe tiefe Neugier zu zeigen, dass du vor Wahlen bei Unterhaltungen am Esstisch gelassener sein wirst und dass du auch problemlos ein kniffliges Meeting überstehen wirst, vor dem du Angst hast. Das DIVE-Modell soll dich dabei unterstützen, deinem Leben Sinn zu verleihen, Erfüllung zu finden und Wohlstand zu schaffen. Ich hoffe, tiefe Neugier stärkt deine Beziehung zu dir selbst und anderen, sodass du glücklicher wirst und dich zusätzlich zu der Welt in deinem Inneren auch der Welt um dich herum mehr verbunden fühlst.
Tiefe Neugier ist ein lebensveränderndes Geschenk, deine Gabe an deine Familie, deine Freundinnen und Freunde, dein Team bei der Arbeit, die Nachbarschaft und sogar an Fremde. Sie ist kraftvoll und wirksam, dazu auserkoren, mit anderen geteilt zu werden. Und nicht nur verfügen wir alle über die Kraft der Neugier, wir profitieren auch alle von ihr. Sie ist der einzige Ausweg aus dieser Ära der Angst und Spaltung.
Hier beginnt nun die Reise, und ich möchte dir bei ihrem Antritt ein Zitat mit auf den Weg geben, das dem Dichter Rumi zugeschrieben wird: »Du verfügst bereits über das, was du suchst.« Auf dass dich deine Neugier den Dingen näherbringt, nach denen du im Leben strebst! Denk stets daran, sie ist als ständige Begleiterin immer bei dir.
Neugier ist eine Superkraft
Kapitel 1
Die Rolle von Neugier
Vor Tausenden von Jahren sind unverwüstliche Reisende von Ostasien aus hinaus auf den riesigen Pazifik gesegelt und haben so ein fünfundzwanzig Millionen Quadratkilometer großes Gebiet namens Polynesien erreicht, in dem es mehr als tausend Inseln gibt. Diese Entdecker verfügten nicht über Kompass und Landkarten. Stattdessen nutzten sie ihr Wissen über Sonne, Sterne und Strömungen, um winzige Eilande aufzuspüren, die im größten Ozean des Planeten verstreut lagen. Die Natur war ihnen Lehrerin und Wegweiserin, sie zeigte ihnen die Richtung auf, die sie einschlagen mussten.
Heute leben in Polynesien Millionen Menschen mit ganz unterschiedlichen Kulturen und Geschichten. Wenn man sich die Region mal auf der Karte anschaut, bildet sie ein Dreieck: Aotearoa in Neuseeland markiert die südwestliche Spitze und Rapa Nui auf den Osterinseln die südöstliche. Ganz oben im Norden liegt Hawaii, wo ich geboren und aufgewachsen bin. Mir hat man in der Schule von jenen Reisenden früherer Tage erzählt, und auch von solchen aus der jüngeren Vergangenheit – wie zum Beispiel der Besatzung der Hōkūle’a, eines Zweimast-Auslegerkanus, das auf den Inseln wohlbekannt ist und mit denselben Techniken wie unsere Vorfahren das Meer überquerte.
Die erste Reise der Hōkūle’a startete 1976 unter der Leitung des Mikronesen Mau Piailug. Sein Großvater hatte ihm beigebracht, wie man solche Kanus baute und segelte. Master Mau, wie er unter Seeleuten genannt wird, war einer der wenigen noch verbliebenen traditionellen Seefahrer mit indigenem Wissen darüber, wie man ohne moderne Technik den Pazifik überqueren kann. Er erklärte sich dazu bereit, bei einer Fahrt der Hōkūle’a von Hawaii nach Tahiti das Kommando zu übernehmen, und lernte nach der erfolgreichen Überfahrt Nainoa Thompson an – einen Seefahrer aus dem Volk der hawaiianischen Ureinwohner. Er leitete die Crew bei einer Rundreise, die seit mehr als sechshundert Jahren niemand mehr unternommen hatte.
»Polynesien wurde von diesen außergewöhnlichen Menschen entdeckt«, sagt Thompson in einem Video zur Reise über diese indigenen Seefahrer. »Als die damals größten Entdecker auf Erden entsprachen sie für unsere Vorfahren im Prinzip unseren heutigen Astronauten.«3
2017 hatte die Hōkūle’a nach drei Jahren einmal komplett die Erde umrundet und dabei in mehr als hundertfünfzig Häfen in dreiundzwanzig Ländern angelegt. In Hawaii strömten die Menschen herbei, um die Reise zu feiern, die auf Hawaiianisch Mālama Honua genannt wurde, »für die Erde sorgen«, da sie eine explizite ökologische Mission gehabt hatte. Weil sich Hawaii aufgrund des Klimawandels mit einem steigendem Meeresspiegel konfrontiert sieht, wollte die Crew Gemeinschaften besuchen, die im Einklang mit der Natur leben. Die Reise hatte den Austausch von Wissen zum Ziel und war ein Akt der Solidarität mit anderen Völkern, die ebenfalls der Frage nachgehen, wie man unseren Planeten besser schützen kann.
»Unsere Vorfahren waren nicht nur großartige Seefahrer, sondern auch fantastisch im Bewirtschaften des Landes«, erklärt Thompson. »Sie haben schnell herausgefunden, wie man auf diesen Inseln gut leben kann, und ich denke, das ist die große Herausforderung für die ganze Menschheit hier auf unserem Planeten. Hōkūle’a führt uns in eine gewisse Richtung und stellt die Frage: Werdet ihr Menschen Verantwortung übernehmen und endlich handeln?«
Natürlicher Überlebensinstinkt
Es ist wohl nicht überraschend, dass unser Entdeckerdrang und die Suche nach für das Überleben der Menschheit entscheidenden Informationen die treibende Kraft für die dreijährige Mālama Honua-Reise der Hōkūle’a waren. Schon zu Zeiten der afrikanischen Hominiden vor zwei Millionen Jahren war Neugier ein für das Überleben entscheidendes Hilfsmittel. Sie hat uns dabei geholfen, unerforschte Gebiete zu erkunden, neue Nahrungsquellen zu finden und die besten Möglichkeiten der Kommunikation zu entwickeln. So wurde Neugier eine für unser Überleben entscheidende Eigenschaft, die von unseren Vorfahren an uns weitergegeben wurde und mittlerweile ein fester Bestandteil unseres Gehirns ist. Heutzutage werden wir bereits neugierig geboren, was die Forschung dadurch zeigen konnte, dass sie den Vorhang beiseitegezogen und untersucht hat, was in unserem Kopf vor sich geht.
In unserem Gehirn gibt es sechsundachtzig Milliarden Nervenzellen, die über hundert verschiedene Neurotransmitter wie Histamin, Oxytocin und Serotonin nutzen. Diese chemischen Botenstoffe lösen in anderen Zellen Aktivität aus. Neurotransmitter ermöglichen unserem Gehirn die Kommunikation und steuern wichtige Funktionen wie Bewegung, Erinnerung und die Regulierung der Herzfrequenz. Mein Lieblingsbotenstoff ist Dopamin. Davon bin ich so ein großer Fan, dass ich durchaus schon einmal auf einer Party auf einem Stuhl gestanden und den Trinkspruch »Auf Dopamin!« ausgebracht habe.
Lasst mich mal ein bisschen den Nerd spielen und hier kurz erklären, warum ich diesen Neurotransmitter so liebe. Viele von uns sind mit Dopamin als Teil des Belohnungssystems unseres Körpers vertraut, das uns dazu animiert, für unser Überleben wichtige Tätigkeiten auszuführen.4 Wenn du zum Beispiel etwas Leckeres isst, schüttet dein Gehirn Dopamin aus und verstärkt das dadurch entstandene Hochgefühl. Durch diese angenehme Empfindung hat sich Dopamin die Bezeichnung »Glückshormon« verdient. Es wirkt auf dein Unterbewusstsein ein, damit du wieder und wieder etwas isst, weil dich Nahrung mit Energie versorgt. Dopamin wird ebenfalls ausgeschüttet, wenn wir Sex haben, wir uns in der Sonne aalen oder uns andere Menschen Anerkennung entgegenbringen. Diese drei Dinge sind für unser Überleben entscheidend: Durch Sex können wir unsere Gene weitergeben, die Sonne kurbelt die Produktion von Vitamin D an und reguliert unseren Tag-Nacht-Rhythmus, und Lob ist ein Zeichen dafür, dass wir von unserer Gruppe anerkannt werden und dadurch in Sicherheit sind. All das ist doch wirklich cool, und jetzt verstehst du vielleicht besser, warum ich gern auf Dopamin anstoße.
Es hat sich gezeigt, dass Dopamin auch eng mit unserer Neugier verknüpft ist. Die Wissenschaft hat durch fMRT-Scans herausgefunden, dass unser Gehirn Dopamin ausschüttet, wenn wir neugierig sind.5 Also werden wir auf chemischer Ebene für unseren Entdeckerdrang und die Suche nach Informationen belohnt. Das liegt laut Forschung vermutlich daran, dass Neugier dazu beiträgt, Unsicherheit zu reduzieren.6 In einer Studie des Neurowissenschaftlers Matthias Gruber hat sich gezeigt, dass es zu einer erhöhten Aktivität im Belohnungszentrum des Gehirns kommt, wenn wir neugierig sind. Dadurch werden ähnlich angenehme Gefühle ausgelöst wie bei einem schmackhaften Essen oder beim Sex.7 Damit will ich jetzt nicht behaupten, dass Neugier buchstäblich zum Orgasmus führt – sagt mir allerdings gern Bescheid, falls ihr dafür Mittel und Wege findet. Zumindest läuft dadurch in unserem Gehirn eine ähnliche chemische Reaktion ab. Diese motiviert uns dazu, das jeweilige Verhalten in Zukunft zu wiederholen.
Da Dopamin üblicherweise Handlungen verstärkt, die für unser Überleben entscheidend sind, bringen Psychologen wie Jean Piaget seit der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts Argumente dafür vor, dass Neugier ein für unser Überleben entscheidender Motivationsfaktor ähnlich wie Hunger und der Sexualtrieb ist. Sieht man sich Neugier vom Standpunkt der Evolution aus an, dann ergibt diese Schlussfolgerung absolut Sinn. Wenn sich nicht einige unserer Jäger-und-Sammler-Vorfahren von ihrer Neugier hätten leiten lassen, wenn sie lieber träge am selben Ort geblieben wären und sich von den Früchten immer desselben Busches ernährt hätten, dann hätten sie niemals Wasser- und Nahrungsquellen gefunden, die nur einen Erkundungsgang weit von ihnen entfernt waren. Diejenigen von ihnen, die überlebt haben, müssen sich Fragen wie diese gestellt haben: Was wohl passiert, wenn ich diese Beeren esse? (Probieren wir es mal aus!) Und wo läuft dieser Büffel hin? (Lasst uns ihm doch folgen!) Höre ich da etwa in einiger Entfernung Wasser plätschern? (Und wenn wir nachgucken?) Ja, einige von ihnen sind durch ihre Neugier ums Leben gekommen, die Gruppe aber hat davon profitiert, dass manche unserer Vorfahren beschlossen haben, ihre Umgebung zu erkunden.
Neugier ist ein von der natürlichen Auslese begünstigtes Verhalten, das ihre enge Verknüpfung mit dem Belohnungssystem des Gehirns zeigt. Da sie sich im Laufe der Zeit als Wettbewerbsvorteil herausgestellt hat, wurde sie an die folgenden Generationen vererbt. Dies wird durch Forschungsergebnisse untermauert. Eine Untersuchung belegt zum Beispiel, dass Neugeborene eine unbekannte Umgebung länger betrachten als eine vertraute.8 Säuglinge zeigen also Neugier, noch bevor sie die Gelegenheit dazu hatten, sich so ein Verhalten von Menschen in ihrem Umfeld abzugucken. Solche Studien deuten darauf hin, dass Neugier kein im Laufe der Zeit erlerntes Verhalten, sondern vielmehr eine uns angeborene Eigenschaft ist. So wie wir unser Sexleben erfüllender gestalten oder uns um eine bessere Ernährung bemühen können, können wir mit Zeit, Übung und etwas Anleitung auch unsere Neugier verbessern.
Die dopaminergen Nervenbahnen in unserem Gehirn liefern uns interessante Informationen über Neugier, sie sind aber nicht die einzigen, die etwas damit zu tun haben. Es gibt noch so viel darüber herauszufinden, welche Teile unseres Körpers und Hirns beim Thema Neugier eine Rolle spielen. Für mich zeigt dies klar und deutlich, dass Neugier ein komplexer, aber entscheidender Teil dessen ist, was wir sind. Die Prozesse, die uns als Menschen definieren, sind wissenschaftlich noch nicht komplett erschlossen. Deshalb rühre ich auch die Werbetrommel dafür, dass weiter in die Erforschung dieses Themas investiert wird.
Ein besonders interessanter Aspekt ist die Rolle der Neugier beim Lernen. Bei ihr geht es um wesentlich mehr, als nur darum, die konkrete Umgebung auszukundschaften. Um unsere Überlebenschancen zu verbessern, müssen wir mehr tun, als nur nach neuen Nahrungsquellen zu suchen oder übers Meer zu segeln. Wir müssen Formen der Kommunikation entwickeln, Werkzeug herstellen sowie zu Wissen und Weisheit in unterschiedlichen Formen gelangen, um zu leben und uns weiterzuentwickeln. Die Reise der Hōkūle’a war nicht einfach nur ein Wohlfühltrip, bei dem mit einem Kanu die Welt umrundet wurde. Die zum Antritt dieser Reise führenden Neugier ging über die konkreten Aspekte eines Segeltrips hinaus, sie hatte auch eine intellektuelle Ebene. Die Crew suchte nach Möglichkeiten, unsere Lebensräume zu schützen, unserer Jugend eine auf Werten basierende Erziehung zu bieten und in einem entscheidenden Moment der Menschheitsgeschichte mit anderen Völkern und Kulturen zusammenzuarbeiten. Unser Forschungsdrang lässt uns nicht nur körperlich Entfernungen zurücklegen, sondern auch auf kognitiver Ebene streben; er hilft uns dabei, als Menschen zu wachsen und eine bessere Version unser selbst zu werden.
Rein aus Neugier …
Versuch deine früheste Erinnerung an etwas heraufzubeschwören, was dich neugierig gemacht hat. Was war das? Wie hast du dich in diesem Moment gefühlt?
Antriebsmotor fürs Lernen
Wenn man eine Linie von Island nach Schweden zieht, liegt genau auf der Mitte, am Rand der englischen Stadt Lancaster, das sogenannte Babylab. In diesem Labor werden nicht etwa Babys hergestellt, nein, man untersucht sie vielmehr unter der Leitung von Fachleuten wie Gert Westermann.
Kinder sind kleine Wissenschaftler – dieser Slogan hängt im Labor gut sichtbar an der Wand. Hier wird die Entwicklung von Kindern vor allem während der ersten sechs Lebensjahre untersucht, mit besonderem Fokus darauf, wie Kinder ihre Neugier nutzen, um zum Beispiel Sprechen zu lernen.
Katie Twomey, die mittlerweile an der University of Manchester forscht, hat sich nach ihrem Doktortitel in Psychologie im Babylab ihre Sporen verdient. In einem hellen Raum des Babylab beobachtete Twomey dafür regelmäßig durch einen halbdurchlässigen Spiegel wie dem bei Law & Order, wie Kleinkinder ihre Stimme und Sprache erkunden.
Seitdem hat sie ihre Studien zum Thema Neugier beim Spracherwerb von Kindern weiter fortgesetzt. Sie untersucht, wie sich Sprache vom Brabbeln über einzelne Wörter wie »Mama« und »Papa« bis hin zu Sätzen wie »Komm, wir bauen einen riesigen Turm!« entwickelt.
Durch ihre Beobachtungen und Studien ist Twomey zu dem Ergebnis gekommen, dass Kinder deshalb brabbeln – »Dah! Aah! Wah-wah! Uah!« –, weil sie neugierig auf die Funktionsweise ihres Stimmapparats sind.9 Deshalb probieren sie unterschiedliche Sachen aus und achten darauf, zu welchen Tönen sie führen. Wenn ein Baby »Wah!« brabbelt und ein Erwachsener darauf mit »Wow!« reagiert, dann nimmt es das natürlich zur Kenntnis. Außerdem bekommt es in so einer Situation Aufmerksamkeit, wird berührt und angelächelt. Diese Anerkennung führt zur Ausschüttung von Dopamin (Ja, das taucht wirklich überall auf!), was das Kind zu weiteren Experimenten mit seinen Stimmbändern motiviert. Nach und nach erschließt sich ihm immer deutlicher, dass die Menschen in seinem Umfeld es abhängig davon behandeln, wie es diesen Teil seines Körpers benutzt.
Kleine Kinder sind ganz erpicht darauf, die Welt um sie herum zu erkunden, und lauschen aufmerksam, wenn jemand mit ihnen spricht oder Menschen sich untereinander unterhalten. Das hilft ihnen dabei, ihr Gebrabbel zu Wörtern und schließlich zu Sätzen weiterzuentwickeln. Deshalb ist es auch so wichtig, viel mit ihnen zu reden: Es hilft ihnen dabei, Sprache zu verarbeiten und ihren Wortschatz zu erweitern.10 Selbst mitzuerleben, wie Kinder nach und nach zu sprechen beginnen, ist wirklich beeindruckend. Und wenn man dabei gut aufpasst, kann man erkennen, wie sie Neugier als Werkzeug nutzen, um Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Sprechen lernen Säuglinge also aufgrund von Neugier. Sie spielt in der kindlichen Entwicklung aber eine noch viel umfassendere Rolle. Während der entscheidenden ersten Jahren ihres Lebens müssen Kinder auch zu verstehen beginnen, was bedrohlich ist und was nicht, wie man krabbelt und dann läuft, und natürlich müssen sie Sozialverhalten lernen. Dabei stellen sie ständig Fragen, weil Neugier der Schlüssel zu ihrer Entwicklung ist. Wenn du je Zeit mit Fünfjährigen verbracht hast, dann weißt du, dass deren Lieblingswort meistens Warum ist. Die Suche nach dem Warum treibt auch ihre Besessenheit von bestimmten Dingen an, wie zum Beispiel von der Serie Bluey, Dinos, Meerestieren oder allem, was mit Ägypten zu tun hat.
Wenn wir erst einmal herangewachsen sind und mehr über die Welt wissen, überlassen viele von uns das Thema Neugier lieber Kindern. Diese Einstellung ist allerdings problematisch: Die Wissenschaft zeigt uns nämlich, dass Neugier ganz entscheidend ist, wenn wir nicht nur zu Beginn unseres Lebens, sondern auch in seinem weiteren Verlauf fortwährend lernen wollen. Eine Metaanalyse Dutzender Studien mit mehr als einer Million Teilnehmenden zeigt sogar, dass unsere Neugier beim Übergang ins Erwachsenen- und ins mittlere Lebensalter bis hin zum hohen Alter tatsächlich noch wächst.11 Sie reduziert sich nur dann leicht, wenn unsere geistigen Fähigkeiten abnehmen, zum Beispiel kurz vor dem Tod.12 Daher ist die weit verbreitete Vorstellung, dass Kinder neugieriger seien als Erwachsene – weil sie mehr Fragen stellen als wir –, tatsächlich ein Mythos! Ob wir nun auf Arbeitssuche sind, uns die Geschichten anderer Leute anhören oder nach neuen Möglichkeiten der Problemlösung suchen, es halten ständig neue Gedanken in unserem Kopf Einzug, wir stellen uns dauernd große oder kleine Fragen. Neugier ist eben eine Partnerin, die uns im Leben immer zur Seite steht.
Unsere auf Wissen basierende Arbeitsgesellschaft wird durch Neugier vorangetrieben. Neugier ermutigt uns dazu, auch lange nach unserer Schulzeit noch Bücher zu lesen und Unterricht zu nehmen, und natürlich verlassen sich auch die Wissenschaft und die Forschung bei ihrer Arbeit auf Neugier. Unternehmerinnen und Erfinder brauchen Neugier, um neue Ideen zu entwickeln. Studien zeigen, dass Neugier die Vorbotin von Neuerungen am Arbeitsplatz und unternehmerischen Innovationen ist.13 Ebenso spielt sie eine wichtige Rolle bei kreativen Prozessen, der Zusammenhang zwischen Neugier und Kreativität ist nachgewiesen.14 Offene Fragen zu stellen, führt bei kreativen Aufgaben zu besseren Ergebnissen.15
Aus all diesen Gründen ist die Überzeugung, dass Neugier nur für Kinder oder beruflich Kreative wichtig sei, irrig. Neugier schlummert in jedem Einzelnen von uns. Studien haben allerdings nachgewiesen, dass die Dopaminausschüttung in unserem Gehirn immer schwächer wird, alle zehn Jahre unseres Lebens nimmt sie um je 6,6 Prozent ab. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum wir mit zunehmendem Alter weniger lernen.16 Dennoch zeigen uns viele ältere Menschen, dass Neugier lebenslanges Lernen fördern kann – und stellen damit die sich hartnäckig haltende Überzeugung infrage, dass persönliches Wachstum vor allem vor unserem dreißigsten Lebensjahr stattfindet.
Damit meine ich Leute wie Minoru Saitō, der mit siebenundsiebzig allein um die Welt gesegelt ist, Nola Ochs, die in Kansas mit fünfundneunzig ihren Bachelor an der Uni gemacht hat, oder Neil deGrasse Tyson, der mit Mitte sechzig sein Publikum dazu inspiriert, sich für die Sterne und den Kosmos zu begeistern.
Selbst in unserer Nachbarschaft oder Verwandtschaft verschreiben sich Menschen, die vielleicht nicht so bekannt sind, der Idee, dass man auch später im Leben noch neugierig sein kann. Wir hören gar nicht so selten von Menschen über neunzig oder hundert, dass sie deshalb noch so fit sind, weil sie weiterhin am Leben und an der Welt um sie herum Anteil nehmen. Ich persönlich denke auch an meine Mutter, die während der letzten Jahre mit über siebzig per Zoom Bauchtanzen gelernt hat, an der University of Hawai’i in Mānoa als Gasthörerin Veranstaltungen belegt und sich zum ersten Mal in ihrem Leben einem Wanderverein angeschlossen hat.
Rein aus Neugier …
Wann hat zum letzten Mal etwas die Neugier in dir geweckt? Was war das, und wie hast du dich dadurch gefühlt?
Die drei Himmelsrichtungen der Neugier
Normalerweise definieren wir Neugier als ein Interesse, durch das wir über etwas oder jemand anders neue Dinge erfahren wollen. Wir fragen uns, was für eine Art von Baum da im Park steht oder welche neuen Restaurants in den letzten Monaten eröffnet haben. Wenn es um andere Menschen geht, würden wir gern wissen, wofür sie sich interessieren, wo sie leben oder womit sie ihr Geld verdienen. Neugier kann aber viele unterschiedliche Richtungen einschlagen, sie muss nicht unbedingt von innen nach außen gerichtet sein. Sie kann uns auch dabei helfen, uns selbst, unsere Überzeugungen, Wünsche und Bedürfnisse, und das, was dahinter liegt, besser zu verstehen.
Damit wir uns leichter merken können, wie sich Neugier nutzen lässt, habe ich das Konzept der »drei Himmelsrichtungen der Neugier« entwickelt. Dieses praktische Hilfsmittel hilft uns, bewusster zu entscheiden, worauf wir unsere Neugier lenken wollen.
nach innen – hier geht es darum, unser Innenleben zu ergründen (wie zum Beispiel Gefühle, Werte, Überzeugungen oder mögliche Traumata)nach außen – diese Art von Neugier interessiert sich für Dinge, die außerhalb von uns liegen (so wie unser Planet, andere Menschen, Kulturen oder Systeme)darüber hinaus – Neugier in dieser Form stellt Fragen über Dinge, die über uns hinausgehen (zum Beispiel über unser Bewusstsein, den Sinn des Lebens oder das Göttliche)Nach innen: Neugier auf das, was in uns liegt
Auf uns selbst gerichtete Neugier, also eine Beschäftigung mit unserem Innenleben, stärkt die Beziehung zu uns selbst. Das geht am Anfang des Lebens mit den ganz grundlegenden körperlichen Bedürfnissen los, wie zum Beispiel: Hab ich Hunger? Was passiert, wenn ich meinen Arm oder mein Bein auf diese oder jene Art bewege? Was kann man mit diesen Stimmbändern so machen? Diese Art von Neugier beginnt oft damit, dass wir unseren eigenen Körper erkunden. Als Babys verstehen wir langsam, dass wir nicht unkontrolliert wie eine Kugel Knete durchs Leben rollen, sondern selbst beeinflussen können, wie wir uns bewegen. Wir lernen außerdem, unsere Stimme zu benutzen, um mit anderen zu kommunizieren.
Später ermöglicht uns die auf uns selbst gerichtete Neugier, mit der emotionalen Landschaft unserer inneren Welt Kontakt aufzunehmen. Wenn wir in die Pubertät kommen, erforschen wir zum ersten Mal Anziehungskraft und Lust. Wir träumen von Menschen, für die wir schwärmen, und malen uns aus, wie unsere Kinder einmal aussehen werden. Dann fragen wir uns Dinge wie: Soll ich mir vielleicht die Haare lila färben? Würde mich ein Nasenring wohl beliebt machen? Und warum versteht mich eigentlich niemand?
Indem wir nach innen gerichtete Neugier praktizieren, werden wir uns entscheidender Aspekte unseres Lebens bewusster, zum Beispiel dessen, wie wir gern Zeit verbringen, was uns wichtig ist und wie wir uns selbst etwas Gutes tun können. Wir stellen uns Fragen wie: Wie sieht für mich ein gesunder Lebensstil aus? Wie will ich geliebt werden? Wie möchte ich mich im Rahmen einer Beziehung fühlen? Wodurch fühle ich mich lebendig? Was für eine Art von Leben möchte ich gern führen?
Wer seine Neugier nach innen richtet, tut das oft durch Besinnung, Achtsamkeit und dadurch, dass sie oder er besonders gut auf die Signale des eigenen Körpers achtet. Wenn unsere Neugier nie uns selbst gilt, verstärken wir womöglich ungesunde Verhaltensmuster wie Selbstaufopferung oder Selbstsabotage. Wir sind anfälliger für Beziehungsdynamiken wie Koabhängigkeit, die es uns schwer machen, uns von unserem Gegenüber abzugrenzen. In diesem Sinne ist es entscheidend, unsere Neugier immer wieder auch auf unsere innere Welt zu richten, um die äußere Welt besser zu verstehen und die Beziehung zu unseren Mitmenschen zu verbessern.