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Einfach alles an Matt ist falsch. Er hat kein Geld, keine Manieren und keinen Respekt vor Stan. Stan, dem ungekrönten König des Internats Schloss Hoheneck. Stan, dem reichen Adelsspross: Beliebt, gutaussehend und, wenn er je ehrlich zu sich wäre, verdammt einsam. Aber das ist er aus Prinzip nicht. Warum wird ausgerechnet Matt sein Mitbewohner? Stan muss ihn loswerden. Wenn nötig, dann mit miesen Tricks und einem hinterhältigen Plan. Einem Plan, der beinhaltet, dass er Matt verführt? Sollte kein Problem sein, schließlich ist Stan ein berüchtigter Playboy. Kann es mit einem Jungen so anders sein als mit einem Mädchen? Ja. Kann es. Eine Katastrophe folgt auf die nächste und schließlich fragt sich Stan, wer hier eigentlich wen verführt...
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Impressum
Seine Narben
Text Copyright © 2016 Regina Mars
Alle Rechte am Werk liegen beim Autor.
Regina Mars
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Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
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Sobald Stan seinen neuen Mitbewohner sah, wusste er, dass er ihn loswerden musste.
»Das ist dein Zimmer«, sagte Herr Niklasson zu dem ärmlichen Loser. »Nicht schlecht, was?«
Der Hausvater kicherte nervös, aber der Neue verzog keine Miene. Mürrisch sah er sich in dem hellen Raum um, betrachtete die bequemen Betten, das hohe Fenster und die stuckverzierte Decke. Sein Blick blieb an Stan hängen. Der lächelte. Solange Niklasson anwesend war, musste er wohl den Musterschüler mimen. Also machte er einen Schritt auf den Neuen zu und streckte ihm die Hand hin.
»Hi, ich bin dein Mitbewohner. Konstantin Friedrich Wilhelm von der Waldeshöhe-Leberbach. Nenn mich Stan.«
Der Neue zog eine Augenbraue hoch, so, als würde er Stan nicht abnehmen, dass das wirklich sein Name war. Aber er erwiderte den Händedruck.
»Matthäus«, brummte er. Er hatte eine angenehme, volle Stimme. »Matt.«
Stan wollte gerade etwas entgegnen, als sein Blick auf Matts kräftige Hand fiel. Er zuckte zusammen. Was zur Hölle? Über die gebräunte Haut schlängelten sich drei weiß-rosafarbene Narben. Eine große, die aus dem abgewetzten Ärmel lugte, und zwei kleinere auf dem Handrücken. Sie sahen aus wie Inseln auf einer Landkarte.
Hastig ließ Stan die verunstaltete Hand los. Der Neue kniff die Augen zusammen, sagte aber nichts.
»Du hast Glück, Matt«, schaltete sich Herr Niklasson ein. »Stan ist unser Schulsprecher und sowas wie eine kleine Berühmtheit. Er kann dir nachher das Internat zeigen.«
»Klar, mach ich.« Stan nickte.
Auf gar keinen Fall, dachte er. Mit dem Typen wollte er nicht gesehen werden. Dem stand armer Schlucker ins Gesicht geschrieben. Von seinem verblichenen grauen Kapuzenpulli bis zu den ausgelatschten Sneakers. Und im Gesicht wurde es nicht besser. Wer immer Matt die Haare schnitt, gehörte verhaftet. Sah aus wie mit einem Beil gestutzt, keine der braunen Strähnen hatte die gleiche Länge.
Sein Mund war zu breit, die Wangen zu pickelig, die Ohren standen ab. Zumindest gegen die Ohren hätte man etwas tun können. Und gegen die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen. Bei Stan hatten sie solche Makel schon als Kind beseitigt. Okay, die Ohren-OP war schmerzhaft gewesen, aber für gutes Aussehen musste man nun mal leiden. Und Stan sah fantastisch aus. Groß, blond und sportlich. Allerdings nicht ganz so groß wie Matt.
»Soll ich die restliche Einführung übernehmen?«, fragte Stan Niklasson. Je eher er den los wurde, desto eher konnte er seine Maske fallen lassen. Und Niklasson nickte auch gleich, so heftig, dass sein spitzer Bart zitterte.
»Das ist nett von dir. Matt, ich hoffe, du lebst dich gut ein.« Er winkte dem Neuen noch einmal, was vermutlich würdevoll aussehen sollte, und stahl sich aus dem Zimmer.
Matt beachtete ihn nicht. Er wuchtete seine Reisetasche mit den ausgefransten Henkeln auf das leere Bett. War das alles, was er dabei hatte? Irgendwie erinnerte er Stan an einen Straßenkater, dreckig, mager und vernarbt, der versehentlich in ein richtiges Haus geraten war. Was machte einer wie der auf Schloss Hoheneck? Das hier war die Domäne von Leuten wie Stan. Gestriegelten Rassekatzen mit einem ellenlangen Stammbaum.
Bevor Matt den Reißverschluss öffnen konnte, packte Stan die schäbige Reisetasche und stellte sie auf den Boden. Matt runzelte die Stirn.
»Was soll das?«, brummte er.
»Du wirst hier nicht einziehen. Fang gar nicht erst an, auszupacken.« Stan baute sich vor ihm auf und sah ihm direkt in die Augen.
Matt guckte verblüfft, dann lachte er unerwartet.
»Was ist so komisch?«, fragte Stan.
»Ich wusste, dass du ein Arschloch bist, sobald ich hier reingekommen bin.« Seine Mundwinkel verzogen sich spöttisch. »So ein richtiger reicher Scheißer.«
Frechheit. Aber Stan ließ sich nicht beeindrucken. »Und ich wusste, dass du so ein richtig armes Unterschichtenbalg bist. So eins, das man mit Leitungswasser gesäugt hat. Welcher Psychopath hat eigentlich deine Haare geschnitten?«
»Meine Schwester.« Das Lächeln verschwand aus Matts Gesicht und machte einem warnenden Ausdruck Platz. So eine Eine falsche Bemerkung und du hast meine Faust in der Fresse-Miene. Stan kümmerte sich nicht darum.
»Deine Schwester? Wie alt ist die? Drei? Sollte man da nicht besser mit einer Papierschere umgehen können?«
»Zehn, und wenn du nicht gleich die Klappe hältst, tut's dir leid.«
»Wird es dir leidtun«, korrigierte Stan. »Und dir wird es leidtun, wenn du nicht das Zimmer wechselst. Ich habe Pläne für dieses Schuljahr und dazu brauche ich den richtigen Mitbewohner. Und unglücklicherweise bist das nicht du.«
»Oh nein«, sagte Matt, staubtrocken. Dann packte er die Reisetasche und hob sie wieder aufs Bett. »Tja, tut mir leid wegen deinen Plänen.«
»Um deine Pläne«, verbesserte Stan. »Und ich glaube, du bist dir deiner Stellung nicht bewusst. Ich bin Konstantin Friedrich Wilhelm von der Waldeshöhe-Leberbach und wenn ich an dieser Schule etwas sage, wird das gemacht.«
Matt sah ihn an, als hätte er gerade etwas unglaublich Blödes von sich gegeben und zog den Reißverschluss der Tasche auf. Stan gab es nicht gern zu, aber er war verwirrt. Normalerweise reagierten Leute nicht so auf ihn. Normalerweise waren sie beeindruckt, sobald sie ihn trafen, und wenn sie dann noch erfuhren, wer sein Vater war (falls sie es ihm nicht direkt ansahen), konnte er sich vor Bewunderern nicht mehr retten. Und vor Verehrerinnen.
Genau deshalb musste er diesen Versager hier loswerden. Der würde bestimmt den ganzen Tag hier rumhängen und Gerichtsshows gucken oder was der Pöbel sonst so tat. Es war Stans Ziel für dieses Semester, jede Woche ein anderes Mädchen flachzulegen, und zwar hier. In diesem Zimmer. Vor dem Fenster, auf dem Bett, vor dem Spiegel, auf dem Schreibtisch. Wie sollte das gehen, wenn er ständig einen unkooperativen Mitbewohner am Hals hatte?
Er packte Matts rechten Arm, aber der entriss ihn ihm sofort.
»Lass los«, schnappte er.
Was war sein Problem? Stan fuhr sich durch die Haare, so, dass seine Rolex im Licht der Deckenlampe blitzte.
»Wie wär's damit? Ich gebe dir tausend Euro, wenn du umziehst. Dafür kannst du bestimmt ... tausend Burger futtern.«
»Nein.« Matt riss den edlen Kirschholzschrank auf, der am Fußende seines Bettes stand und begann, seine Klamotten einzuräumen. Ein Teil war beschissener als das nächste. Eine Jeans hatte sogar Flicken am Hintern. Dann hielt der Neue inne, als wäre ihm ein Gedanke gekommen. Seine schrägen Katzenaugen musterten Stan. »Warum ziehst du nicht um? Dann bist du mich los.«
»Das hier ist das beste Zimmer im ganzen Internat.«
»Ach so«, sagte Matt mürrisch. »Tja, Pech für dich.«
Damit war das Gespräch für ihn wohl beendet. Stan ballte die Hände zu Fäusten. Diesen Trottel würde er verjagen, noch in dieser Woche. Sein letztes Schuljahr würde legendär werden, egal, wer sich ihm in den Weg stellte!
Sie hatten den Speisesaal über die Ferien renoviert. Die Rundbögen in der Wand strahlten weiß und der Marmorboden war frisch abgeschliffen und poliert. 250 Schüler verteilten sich auf die Tischreihen, aßen, redeten und klapperten mit ihrem Besteck. Als Stan in den Raum trat, wurde er mit lauten Rufen begrüßt.
»Stan the Man! Na endlich!« Gerrit schlug mit der flachen Hand auf den leeren Platz neben sich. Vanessa und Leonora zeigten Stan ihr perfektes Zahnpastalächeln, als er sich an den schweren Eichentisch setzte. Stan fühlte den altbekannten Stich im Herzen, als er Vanessa sah. Aber der Schmerz war schwächer geworden. Bald würde er gar nichts mehr fühlen, wenn er ihre hellblauen Elfenaugen und die schulterlangen dunklen Haare vor sich hatte. Es konnte gar nicht früh genug so weit sein.
»Wie war dein Urlaub?«, gurrte Vanessa.
»Gut, gut.« Stan zeigte seine eigenen perfekten Zähne. Einer der Kellner stellte einen voll beladenen Teller vor ihm auf der Tischplatte ab. »Ich war mit meinem Vater in St. Tropez. Er hat eine neue Frau.«
»Ein Model?«, fragte Leonora und legte ihren entzückenden Kopf schief.
»Was denkst du denn?« Stan knackte eine der Scheren seines Hummers. Gerrit und Vanessa lachten laut.
»Stan!« Ciara-Sophie schwebte auf ihn zu.
Die hellbraunen Haare wehten hinter ihr her wie ein Schleier, ihre Brüste wippten und Stan beschloss, dass sie das Mädchen für diese Woche war. Sie hatte eine bunte Zeitschrift in der Hand. Kaum war sie angekommen, hielt sie Stan eine Seite vor die Nase.
»Sag mal«, sie kicherte, »Ich war mir nicht sicher, aber: Ist das dein Vater?«
Das wusste sie genau, aber Stan tat so, als wäre es ihm peinlich.
»Ja, ich fürchte schon.« Er sah in die neueste Ausgabe von Royal aktuell. Was, nur Seite fünf? »Wir haben erst gemerkt, dass da ein Paparazzo war, als es zu spät war. Der ist doch echt mit seinem Bötchen zu unserer Yacht gepaddelt und hat durch das Bullauge fotografiert.«
»Sieht aus, als hättet ihr Spaß gehabt.« Ciara-Sophie zwinkerte.
Ja, so sah es aus. Wie immer, wenn Ambros, Stans Vater, dabei war. Auf dem Foto saßen sie zu fünft auf einem weißen Ledersofa: Ambros, Stan, Stans neue Stiefmutter Valeria und zwei dunkelhaarige Schönheiten.
»Ambros von der Waldeshöhe-Leberbach (45), Bad Boy des Adels, feiert mit seiner neuen Frau Valeria und seinem Sohn Konstantin (17)« lautete die Unterschrift.
Stans Vater hatte den Kopf in den Nacken geworfen und hing so lässig auf dem Sofa, als würde ihm die ganze Welt gehören. Stan konnte nur davon träumen, irgendwann so männlich und selbstbewusst auszusehen. Aber er war auf dem besten Weg dahin, fand er. Sie alle lachten, Champagnergläser in den Händen haltend. An ihren geröteten Wangen sah man, dass es nicht die erste Flasche gewesen war. Oder die zweite.
Stan mochte den Geschmack von Champagner nicht. Und die Frauen waren nervig gewesen, vollkommen überkandidelt. Ihr kreischendes Lachen gellte ihm immer noch im Ohr. Trotzdem hatte er mit einer von ihnen geschlafen. Er wusste nicht mehr, mit welcher. Aber als sein Vater ihn beim Katerfrühstück gefragt hatte, ob er noch eine gute Zeit gehabt hatte, hatte Stan gegrinst und Ambros hatte laut gelacht.
»Das ist mein Junge!«, hatte er gesagt. »Kommt ganz nach seinem alten Herrn.«
Stan wurde ganz warm, als er daran dachte. Er würde lernen, Champagner zu mögen. Bestimmt.
»Kann ich die behalten?«, fragte er Ciara-Sophie.
»Für deine Sammlung? Klar. Aber dafür musst du mir demnächst mal Nachhilfe geben.« Wieder zwinkerte sie. Stan war sicher, dass sie das vor dem Spiegel übte. Sie machte es ausgezeichnet. Er schenkte ihr sein charmantestes Lächeln.
»Mach ich. Versprochen. Wie wär's gleich morgen?«
»Passt perfekt. Bis dann!«
Sie entschwebte zu ihrem Tisch und alle, selbst die beiden Mädchen, sahen auf ihre Pobacken, die sich in der engen beigefarbenen Hose bewegten wie zwei Gummibälle.
»Schlampe«, flüsterte Vanessa und Leonora kicherte. Gerrit prostete Stan mit seinem Wasserglas zu.
»Ist sie dein Projekt für die erste Woche?«
»Sieht so aus.« Stan lehnte sich zufrieden zurück.
»Und mit deinem neuen Mitbewohner hast du geredet?«, fragte Gerrit. »Wann kann ich einziehen?«
»Ach, der. Ich arbeite daran.«
Stan sah düster zu dem Tisch hinüber, an dem Matt ganz alleine saß und mit dem Hummer in Parmesanschaum kämpfte. Der Neue guckte angewidert, als hätte er noch nie vernünftiges Essen zu Gesicht bekommen. Hatte er wahrscheinlich auch nicht.
»Das ist doch nicht etwa der da?«, fragte Gerrit. Stan nickte düster. »Ach du Scheiße. Aus welchem Kinderheim ist der denn abgehauen? Meinst du, das ist einer von diesen Stipendiaten?«
»Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Werde ich noch herausfinden.« Stan fischte geschickt das zarte Fleisch aus der Brust seines Hummers. Köstlich. Hummer war sein absolutes Lieblingsessen. Auch wenn dieser Kantinenfraß natürlich nicht mit dem Hummer, den er im Urlaub verspeist hatte, mithalten konnte. Frisch gefangen, direkt aus dem Meer ins kochende Wasser. »Meinst du, der ist klüger, als er aussieht? Vielleicht hat er echt ein Stipendium für Hochbegabte.«
Gerrit zuckte mit den Schultern. »So sieht er nicht aus. Aber wer weiß? Schäbig, wie der herumläuft, können seine Eltern sich das Schulgeld bestimmt nicht leisten.«
Nicht jeder hier hatte reiche Eltern. Aber die meisten. Eine Schule, die pro Monat 4000 Euro kostete, konnte man anders gar nicht bezahlen. Ciara-Sophies Eltern hatten angeblich Schulden gemacht, nur, um ihre Tochter herzuschicken. Das Internat Schloss Hoheneck hatte eben einen exzellenten Ruf.
»Tja. Ich bekomme schon heraus, warum er hier ist.« Stan knackte die zweite Schere. »Und dann ziehen wir zusammen. Das wird ein legendäres Schuljahr.«
»Ich kann's kaum erwarten.« Gerrit grinste.
Stan hätte sich keinen besseren Mitbewohner aussuchen können. Gerrit war beliebt, reich und adlig. Aber nicht ganz so beliebt, reich und adlig wie Stan selbst. Die perfekte Nummer Zwei. Er war sogar ein paar Zentimeter kleiner.
Stan keuchte, ballte die Hände zu Fäusten und überholte Gerrit. An dessen verkniffenem Gesicht sah er, dass ihm das gar nicht gefiel. Aber er konnte nichts machen. Bald lag Stan eine Länge vor ihm, dann zwei.
Wie immer setzte Stan sich an die Spitze des Morgenlaufs. Seine Füße trommelten über den weichen Erdboden. Sein Atem ging stoßweise, aber er schwitzte kaum. Er lachte in sich hinein, als er Gerrit leise fluchen hörte. Sonnenstrahlen kitzelten sein Gesicht, die Luft duftete nach frisch geschnittenem Gras und hinter sich hörte er das Keuchen der armen Schweine, die er abgehängt hatte. Alles perfekt.
Der Morgenlauf bestand aus fünf Runden um Schloss Hoheneck. Stan sah auf den riesigen Kasten mit den weißen Mauern, halbrunden Fenstern und roten Dachziegeln. Früher hatte er gedacht, alle Schlösser hätten Türme. Aber Hoheneck wirkte eher wie eine gigantische Villa. Direkt nebenan lag das sogenannte Zwergenhaus, ein neu errichtetes Ziegelgebäude im klassizistischen Stil. Hier lebten die Kleinen, aus den Klassen 1 bis 6. Stan hatte früher dort gelebt. Er hatte sein halbes Leben auf Schloss Hoheneck verbracht, mit einer einzigen Unterbrechung ...
Jemand überholte ihn und er schreckte auf. Vor sich sah er Matts grottigen Haarschnitt. Und darunter Matt, der über den Trampelpfad raste, den Generationen von Schülern in die saftig grüne Wiese gestampft hatten. Ah, er war also schnell. Hatte er ein Sportstipendium?
Wollen wir doch mal sehen, dachte Stan, gab sich einen Ruck und beschleunigte. Obwohl seine Lungen fast aufgaben, schob er sich an Matt heran. Sie passierten den Haupteingang. Letzte Runde. Vor sich sah Stan schon die Rücken der überrundeten Nachzügler.
»Zur Seite«, kommandierte er und sie sprangen keuchend aus dem Weg.
Matts Augen weiteten sich, als Stan sich an ihm vorbeidrängelte. Stan fürchtete, gleich zu stolpern und zusammenzubrechen. Trotzdem wandte er den Kopf und grinste Matt an, während er an ihm vorbeizog. Matt verzog keine Miene. Und erhöhte das Tempo. Scheiße!
Stans Muskeln brannten wie Feuer, seine Lungen platzten fast, der Schweiß rann über sein Gesicht, aber er gab nicht auf. Seite an Seite mit Matt flog er über die Bahn. Schon näherten sie sich dem Ende. Stan biss die Zähne zusammen, strengte die Muskeln an, zwang sich, schneller zu rennen, immer schneller nur nicht aufgeben ...
Es reichte nicht. Matt kam vor ihm am Tor an. Schwer atmend schlug er gegen den grün gestrichenen Torrahmen und blieb stehen. Stan tat es ihm nach. Er kochte vor Wut.
»Nicht schlecht«, zischte er Matt zu. »Bist bestimmt oft vor der Polizei weggelaufen, was?«
Matt sah ihn wieder an, als ob er der dümmste Typ der Welt wäre.
»Hättest du das mal auch gemacht, dann wärst du nicht so langsam«, sagte er. »Immer nur Porsche fahren macht halt faul und fett.«
Stan knurrte, aber ihm fiel so schnell kein Gegenspruch ein. Außerdem schnappte er immer noch nach Luft. So ein Vollarsch. Er kannte Matt noch keine 24 Stunden, aber er hatte jetzt schon Lust, ihm eine zu zimmern.
Eine Sekunde lang wunderte er sich, dass Matt das langärmlige Oberteil des offiziellen Schloss Hoheneck-Jogginganzugs trug. Dafür war es doch viel zu warm. Selbst in seinem dünnen hellblauen Funktions-Shirt lief Stan der Schweiß in Bächen den Rücken herunter. Aber der Neue war halt seltsam. Stan war fast sicher, dass Matt gestern, bevor er zu Bett gegangen war, gebetet hatte. Was sollte das sonst sein, wenn man sich vor sein Bett kniete und irgendetwas murmelte? Matts gefaltete Hände waren ein weiteres Indiz gewesen. Befremdlich. Verdammt befremdlich. Ob er darum betete, dass Gott ihn von seinen Segelohren erlöste?
Die anderen kamen an und sie gingen duschen.
Er musste Matt loswerden, aber wie? Darüber dachte Stan nach, während er sich Lavendelshampoo von Fromágier in die Haare rieb, das 55 Euro pro Flasche kostete. Der würde bestimmt nicht höflich abhauen, wenn Ciara-Sophie nachher kam. Und garantiert würde er sie verpfeifen. Geschlechtsverkehr zwischen Schülern war nämlich streng verboten und wurde mit Rausschmiss bestraft. Hm.
Ob er irgendein armes Mädel bestechen konnte, mit Matt zu schlafen? Wenn sie erwischt würden, würde Matt fliegen und Gerrit könnte einziehen. Nur, wer würde mit Matt …
Auf einmal war es totenstill im Duschraum. Man hörte das Wasser rauschen, aber alle Gespräche waren verstummt. Stan sah sich um. Was war das Problem?
Es war Matt. Stan sah einen Halbkreis aus Leuten, die sich dem Neuen zuwandten. Nackte Jungs, alle in der Bewegung erstarrt, das Duschgel noch in der Hand, die Finger noch in den tropfenden Haaren. Matt stand unter der Dusche. Er seifte sich gerade die Schultern ein und drehte ihnen den Rücken zu. Für einen kurzen, idiotischen Moment dachte Stan, sie würden ihm alle auf den Arsch schauen. Der war nämlich das erste Perfekte, das er an ihm entdecken konnte ... was für ein seltsamer Gedanke. Stan verdrängte ihn sofort. Dann trat einer der Umstehenden einen Schritt zurück und Stan sah, warum alle so geschockt dreinblickten.
Er hatte gedacht, Matt hätte nur drei Narben auf der Hand. Das wäre schlimm genug gewesen. Aber die größte, deren Ende sonst unter seinem Ärmel verschwand, zog sich über Matts ganzen rechten Arm, bis hinauf zur Schulter. Wie eine Reptilienhaut. Wie weißrosafarbenes Felsgestein. Stan lief es kalt den Rücken hinunter. Das waren Brandnarben. Eindeutig. Er merkte, dass er den Neuen anstarrte. So wie all die anderen Jungs im Raum. Und Matt hatte es gemerkt, das war klar. Seine Schultern spannten sich, aber er drehte sich nicht um.
»Habt ihr genug geglotzt?«, fragte er. Nein, es war mehr ein Knurren, tief auf seiner Kehle, als wäre er ein Wolf.
Keiner antwortete. Feiglinge. Stan trat vor.
»Klar haben wir genug gesehen. Ist ja nicht so, als wäre der Anblick besonders schön.«
Er wartete, aber Matt schwieg. Ein paar der anderen drehten sich peinlich berührt um und duschten weiter. Aber die meisten sahen zwischen ihm und Matt hin und her.
»Was ist passiert?«, fragte Stan. »Eine seltene Hautkrankheit? Unterernährung? Krätze?«
Nun drehte Matt sich um und sein Gesicht war bleich vor Wut. Er sah tatsächlich aus wie ein Wolf. Einer, der einem gleich an die Kehle springen würde. Unwillkürlich machte Stan einen Schritt rückwärts und ärgerte sich im nächsten Moment darüber.
»Das geht dich nichts an«, knurrte Matt.
»Kein Grund, zickig zu werden. Ich frag ja nur.« Stan zuckte mit den Achseln. Er hörte Gerrit und ein paar andere kichern. »Wollt's nur wissen. Ich will mir ja keine Krätze holen. Wir duschen hier alle zusammen und ...«
Oh Scheiße. Matt kam auf ihn zu und auf einmal wurde Stan bewusst, dass er ziemlich kräftige Muskeln hatte, für jemanden, der so mager war. Der hatte kein Gramm Fett am Körper und er sah aus, als würde er ihm gleich die Nase zertrümmern. Stan blickte sich nach Gerrit um und bemerkte, dass der sich schon entfernt hatte, mit schreckgeweiteten Augen. Toll. Matts geballte Faust war nur noch zwei Schritte von Stans Gesicht entfernt ...
»Jungs!« Das Brüllen des Sportlehrers füllte den Raum. »Fertig werden! Wer in fünfzehn Minuten nicht am Frühstückstisch sitzt, dreht morgen zwei Extrarunden!«
Das wirkte. Die nackten Jungs stoben auseinander und begannen, sich wie wild einzuseifen. Stan sah zum Sportlehrer und seiner beeindruckenden Wampe hinüber. Hatte er etwas mitbekommen? Sah nicht so aus. Matt war vor Stan stehengeblieben. Sein Blick versprach einen schnellen, aber schmerzhaften Tod. Über seinen verunstalteten Arm lief Wasser in schmalen Rinnsalen. Doch dann wandte er sich ab und marschierte zurück unter die Dusche. Stan schluckte.
Wie hatte er sich verletzt? Heißes Wasser vielleicht? Die Narben waren alt, soviel war klar. So verblasst, dass sie auf einen Kilometer Entfernung wie normale Haut wirken mochten. Aber von Nahem ... Stan sah sich verstohlen um. Matt wusch sich gerade die Haare ... mit Seife? Kein Wunder, dass die so strohig waren.
Sein vernarbter Arm war minimal dünner als der andere. Oder kam es Stan nur so vor? Bevor Matt ihn nochmal beim Starren erwischte, wandte er den Blick ab. Hm. Wenn er herausfand, warum Matt so entstellt war, konnte er das verwenden, um ihn loszuwerden? Denn er musste ihn loswerden.
Gerrit und er hatten schon geplant, eine Mastermindgruppe zu gründen, seit Stan in einem Buch über Erfolg und Reichtum davon gelesen hatte. Ein Mastermind funktionierte so: Steckte man zwei Leute mit ähnlich hoch entwickelten Fähigkeiten zusammen, so verdoppelte sich ihr Können nicht etwa, sondern verdreifachte, vervierfachte, verzehnfachte sich. So wie bei den Wissenschaftlern vom Manhattan Project, die die Atombombe erfunden hatten. Oder bei sexy Zwillingen, die zu zweit ungleich begehrenswerter waren als einzeln.
Diese Macht wollte Stan sich zunutze machen, um noch mehr illegale Partys zu feiern und mehr Mädchen flachzulegen. Er und Gerrit würden sich nie gegenseitig verpfeifen. Nicht, weil sie so gute Freunde waren. Stan war nicht einmal sicher, ob Gerrit ihn überhaupt mochte. Aber sie hatten so viel gegeneinander in der Hand, dass jeder dafür sorgen konnte, dass der andere flog. Ein perfektes Gleichgewicht. Stan lächelte.
Und er brauchte Gerrit. Ambros, Stans Vater, hatte in seinem letzten Schuljahr hier so hart gefeiert, dass er immer noch eine Schullegende war. Angeblich war sogar jemand gestorben, weil er unter Drogen vom Dach gefallen war. Stan bekam eine Gänsehaut, wenn er daran dachte. Aber er konnte nicht zurückstecken. Er musste dem Namen »von der Waldeshöhe-Leberbach« Ehre machen.
Gerrit war in der einzigen abschließbaren Dusche verschwunden, die von allen nur die »Wichskabine« genannt wurde. Fast zu jeder Tageszeit schloss sich hier einer der Jungs ein. Außer in der Kabine und auf der Toilette hatte man im Internat nie viel Privatsphäre. Zimmerschlüssel gab es nicht, damit die Hausväter und -mütter jederzeit überprüfen konnten, dass nichts Illegales vor sich ging. Es sagte Einiges über Gerrits Stellung aus, dass er die Kabine trotz des vollen Duschraums ergattert hatte.
»Bist du endlich fertig?« Stan haute gegen die Wand der Kabine und grinste, als er Gerrits erschrockenes Keuchen hörte.
»Ja, ja, Mann. Nur noch eine Minute.«
»Beeil dich, ich will frühstücken!«
Der Tag verlief unspektakulär. Stan erzählte in drei Sprachen von seinem Urlaub in St. Tropez und auf Valerias Anwesen und erntete viel Bewunderung. Selbst die Französischlehrerin schmachtete ihn an. Matt war in seiner Klasse, und spätestens mittags war klar, dass er nicht hochbegabt war. Auch nicht völlig verblödet, aber auf keinen Fall so gut, dass es für ein Stipendium gereicht hätte. Erneut fragte Stan sich, was er hier wollte. Auf seinem Platz zwischen Eugen in seinem Hugo Boss-Shirt und Vanessa in Chanel sah Matt noch schäbiger aus. Allerdings, das musste Stan zugeben, schien es ihm nichts auszumachen. Ein Punkt für den Bastard, der ihn im Laufen besiegt hatte.
Ciara-Sophie würde um sieben vorbeikommen. Matt war glücklicherweise irgendwann verschwunden und Stan hatte nicht gefragt, wohin. Sie hatten sich nur ein paar Minuten im selben Raum aufgehalten, nachdem Stan vom Reiten gekommen war. Matt hatte ihn angestarrt, als er sein Reitoutfit gesehen hatte. Dann hatte er den Kopf geschüttelt. Stan hätte ihm eine reinhauen können.
Der Neue regte ihn mehr auf, als er sollte. Es war Zeit, zu meditieren. Das alles hinter sich zu lassen. Zum Glück hatte er noch eine Viertelstunde. Als Erstes stellte er sich vor den Spiegel und betrachtete sich. Ja, er sah gut aus. Sein weißes Poloshirt saß perfekt, betonte seine schmale Taille und seinen flachen Bauch. Auch mit seinem Gesicht war er zufrieden. Die scharf geschnittene Nase drückte Willensstärke aus. Seine Wangen hatten endgültig ihren Babyspeck verloren und sein Kiefer zeichnete sich deutlich ab. Gut so.
Früher hatte er befürchtet, ein Mädchengesicht zu bekommen. Als Baby hatte er seiner Mutter so ähnlich gesehen, dass ihn viele für ihre Tochter gehalten hatten. Nicht, dass er sich daran erinnerte. Das hatte man ihm erzählt, lange, nachdem sie gestorben war. Er sah auf das silbergerahmte Bild auf seinem Schreibtisch. Drei blonde Köpfe: sein Vater, seine Mutter und er.
Dieses alte Bild war das Einzige, das er von ihnen allen zusammen besaß. Von seiner Mutter gab es eine Menge Modestrecken, und sein Vater füllte immer noch die Klatschzeitschriften, aber nur auf diesem einen Foto waren sie eine Familie. Schade, dass er sich nicht an die gemeinsame Zeit erinnern konnte. Aber er war schließlich kaum drei Jahre alt gewesen, als sie gestorben war.
Stan setzte sich im Schneidersitz auf das Bett, entspannte die Schultern und schloss die Augen. Er atmete tief und regelmäßig. Alles einsaugen, durcheinanderwirbeln und den Dreck rausspülen, dachte er. Dreck wie diesen neuen Mitbewohner. Dreck wie die letzten drei Urlaubswochen. Alles raus.
Als Ciara-Sophie klopfte, war er vollkommen im Gleichgewicht. Und das war gut so, sie hatte sich nämlich Mühe gegeben. Ihr Ausschnitt ging fast bis zum Bauchnabel und sie hatte eine noch engere Hose gefunden. Ein Wunder, das die nicht platzte, als sie sich an seinen Schreibtisch setzte. Sie roch sommerlich-fruchtig und ihre prallen Lippen glänzten.
»In was brauchst du denn Nachhilfe?«, fragte Stan scheinheilig und stützte sich neben ihr auf der Tischplatte ab.
»Also ...« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Eigentlich in Mathe. Aber das Schuljahr hat ja gerade erst angefangen, da ist es noch nicht so dringend. Wie wär's, wenn wir einfach ein bisschen quatschen?«
Er lachte und setzte sich auf den zweiten Schreibtischstuhl. Den von Matt. »Hattest du in der letzten Arbeit nicht eh eine Eins? Dann warst du besser als ich. Du solltest mir Nachhilfe geben.«
Sie kicherte. Klang, als würde man ein kleines Glöckchen anstoßen. Mädchen wie sie gab es viele im Internat. Ihre Eltern hatten sie mit einer klaren Mission hierher geschickt: Sich einen reichen Ehemann zu angeln. Oder wenigstens einen reichen Freund, der sie seinen anderen reichen Freunden vorstellen konnte. Dass sie klug war, schien weder Ciara-Sophie noch ihre Eltern zu interessieren. Stan fragte sich, warum sie nicht einfach hart arbeitete, studierte und Karriere machte. Aber das war nicht sein Problem.
Er beobachtete, wie sie die Beine erneut übereinanderschlug. Zum dritten Mal, seit sie sich gesetzt hatte. Ihre kleinen Hände mit dem hellrosa Nagellack waren leicht verkrampft. Nicht ganz so selbstbewusst, wie du gern wärst, was?, dachte Stan. Das machte sie verletzlich. Und genau das würde er ausnutzen.
»Du denkst hoffentlich nicht, dass ich hier bin, um ... um mich von dir flachlegen zu lassen.« Ihre Augen weiteten sich.
So unschuldig wie ein neugeborenes Rehkitz. Sicher. Das war das Problem mit dieser Art Mädchen. Ihre Mutter hatte ihr bestimmt eingetrichtert, nur ihren festen Freund ranzulassen. Ihren festen, reichen Freund, der ihre Zukunft sichern würde. Wenn sie merkte, dass er nur ihren Körper wollte, würde Ciara-Sophie auf dem Absatz kehrtmachen und abhauen. Gerrit hatte das nicht kapiert, deshalb hatte er es bei ihr auch nur bis zu einem feuchten Kuss geschafft. Aber Gerrit war nicht Stan.
»Ich meine, ich weiß, dass alle sagen, du wärst ein Aufreißer. Aber ich glaube ... nun ich glaube, da ist noch mehr.« Sie lächelte. »Ich würde gern den echten Stan kennenlernen.« Eine so fette Lüge, dass selbst sie rot wurde.
»Ich ... weißt du, ich wollte dich auch schon längst besser kennenlernen«, log er. Er nahm eine ihrer Hände. »Ich weiß, dass du mehr bist, als nur ein Mädel, das einen reichen Kerl sucht. Mehr als so eine Goldgräberin. Auch wenn deine Eltern wollen, dass du dir einen Millionär schnappst. Egal, wie und mit welchen Methoden.«
Sie riss die Augen auf, nun nicht mehr unschuldig. »Was ... wie bitte? Wer sagt das?«
Alle, dachte Stan und sagte: »Nein, so war das nicht gemeint. Ich ...« Er rieb sich den Nacken und tat verlegen. »Sorry, das klang so falsch. Ich meine, ich bin wohl ein wenig nervös.«
»Wer hat das gesagt?«, wiederholte sie. Ihre Stimme zitterte vor Wut und drohenden Tränen.
»Caroline.« Er seufzte. »Aber das hast du nicht von mir, klar? Und überhaupt, was interessiert es dich, was sie redet? Sie ist nur sauer, dass sie nicht mit dir mithalten kann. Ich meine, du bist ungefähr tausendmal hübscher als sie.«
Ciara-Sophie wirkte geschmeichelt, aber ihr Zorn war noch nicht verraucht. »Danke, ich … du bist so lieb. Aber was hat die Schlampe noch über mich gesagt?«
»Willst du das wirklich hören?«
»Ja!«
»Also ... sie meint, dass du nur mit den Jungs spielst. Dass du in Wahrheit total prüde bist und nie auch nur einen küssen würdest und außerdem noch Jungfrau bist. Und wahrscheinlich lesbisch. Ihre Worte, nicht meine.«
»Bin ich nicht!« Ciara-Sophies Augen blitzten. »Caroline soll ihr Maul nicht so aufreißen. Die ist nur biestig, weil der Einzige, der je über sie rübergerutscht ist, Gabriel ist. Weißt du was?«
»Was?«, fragte er und wusste, dass er sie hatte. Das bestätigte sie auch gleich, indem sie aufstand, sich über seinen Stuhl beugte und ihn küsste. Ihre Lippen schmeckten nach künstlichem Erdbeeraroma.
»Wir machen jetzt rum und nachher erzählst du das Caroline. Die wird grün vor Neid. Aber gefickt wird nicht, das sag ich dir gleich.«
Mehr Küsse. Warme, nassfeuchte. Stan mochte Küssen nicht besonders. Speichelaustausch mit Fremden war ihm ein Graus. Da konnte man sich ja gleich gegenseitig in den Mund spucken. Aber seine Lippen mussten halt leiden, wenn sein Schwanz nachher erfolgreich sein sollte. Er strich Ciara-Sophie die hellbraunen Haare aus dem Gesicht und betrachtete ihre schimmernden Augen.
»Wow«, flüsterte er. »Du ...« Er verstummte.
»Was ist?«, murmelte sie. Ihre Wangen waren bereits rot angelaufen und ihr Atem ging schneller.
»Du ... du bist so schön. Das muss ich dir einfach zeigen. Komm mit.«
Er nahm ihre Hand, sanft, aber fest. Und zog sie vor den Spiegel. Nie den Körperkontakt verlierend, stellte er sich hinter sie. Seine Augen wanderten über ihre schlanke Gestalt.
»Schau dich an«, raunte er in ihr Ohr. »Du siehst aus wie eine Königin.«
»Erzähl doch nichts.« Sie kicherte wieder. Ihr Gesicht färbte sich dunkelrot. Aber sie konnte den Blick nicht von sich abwenden. Und von ihm.
Sie waren ein atemberaubendes Paar, das musste er zugeben. Der Anblick im Spiegel musste das Ziel all ihrer Träume sein: Stan, die blonden Haare leicht zerzaust über seinem attraktiven Gesicht. Davor sie, genauso attraktiv, die cremefarbene Mähne nur wenige Nuancen dunkler als seine Haare. Selbst ihre beigefarbenen Hosen passten zusammen. Mit der Hand fuhr er an ihrer Seite entlang, strich über ihre Kurven, als wäre sie eine kostbare Porzellanstatue.
»Wow«, wiederholte er und küsste ihren Nacken. Er spürte ihre heiße Haut unter seinen Lippen zittern.
Nicht mehr lange, dachte er. Schon war ihr Mund halb geöffnet und ihre Augen halb geschlossen. Als seine Finger über ihren Bauch strichen, protestierte sie nicht. Er presste seine Brust gegen ihren Rücken, ließ sie aber noch nicht spüren, wie hart er war. Schön langsam. Seine Hände kamen bei ihren Brüsten an. Sie waren weich unter dem tief ausgeschnittenen Oberteil. Sein Daumen streifte die gebräunte Haut ihres Ausschnitts und sie seufzte leise.
»Ich liebe deine Haut«, flüsterte er. »So zart.«
Versuchsweise kniff er durch den Stoff in ihre Brustwarzen, und als sie lauter seufzte, beschloss er, dass sie bereit war. Er ließ seine linke Hand auf ihrer Brust und umkreiste damit ihre Nippel. Seine rechte Hand wanderte abwärts. Im Spiegel konnte er sehen, dass sich ihr Mund weiter geöffnet hatte, wie eine Rosenknospe am Morgen. Ihr praller Hintern presste sich gegen seinen Unterleib. Falls sie wegen seiner Erektion beleidigt war, ließ sie es sich nicht anmerken. Aber Frauen waren deshalb selten beleidigt, das wusste Stan. So etwas befürchteten nur unsichere Männer. Meistens fühlten die Damen sich sogar geschmeichelt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte seine Rechte ihren Schritt. Er fühlte ein leichtes Zucken, als er über ihren Schamhügel strich. Ihre Hose war hier noch wärmer als oben, und er glaubte, eine leichte Feuchtigkeit zu spüren. Er fuhr einmal mit der flachen Hand über ihre intimste Stelle, dann übte er mehr Druck aus und kratzte mit seinem Fingernagel darüber. Sie stöhnte auf. Presste die Beine zusammen, als müsste sie pinkeln. Fast hätte sie mit ihrem Kopf Stans Nase erwischt, als sie sich zu ihm umdrehte.
»Uh, also ...«, murmelte sie.
»Ja?« Er knabberte an ihrem Ohrläppchen und ein weiteres Zucken ging durch ihren Unterleib. »Ich glaub, du hast Glück und ... ich mache heute eine Ausnahme. Nur für dich«
Im Spiegel sah er, dass sie ihn aufmerksam betrachtete. Nun, so aufmerksam sie in ihrem Zustand halt sein konnte. Seine Fingerspitzen wurden allmählich klamm und der Schritt ihrer Hose färbte sich einen Hauch dunkler. Der reinste Ozean. Er schenkte ihr sein freudigstes, unehrlichstes Lächeln.
»Du meinst … wow, ich habe echt Glück.« Noch ein bisschen gespielte Schüchternheit und sie flehte ihn förmlich an, weiterzumachen. Klar, wenn einer wie er zurückhaltend tat, schmolzen die Herzen. Er ist so anders, ich muss etwas Besonderes für ihn sein.
Stan erlaubte sich ein kurzes Grinsen, als er ein Kondom aus seiner Schreibtischschublade fischte. Bei Mädels wie ihr immer ein Kondom benutzen, das hatte sein Vater ihm eingetrichtert. Wenn die schwanger werden, blutest du dein Leben lang. Und Ambros musste es wissen, er hatte sieben Kinder.
»Beeil dich«, stöhnte sie, als Stan die Verpackung aufriss und den Gummi überstreifte. Sie hatte ihre Hände links und rechts vom Spiegel abgestützt und streckte ihm ihren immer noch vollbekleideten Hintern entgegen. Immer musste er alles machen. Stan fummelte an ihrem Reißverschluss herum, bis er ihn aufbekommen hatte. Es wäre leichter gewesen, wenn sie nicht ständig ihren Unterleib bewegt hätte. Aber er schaffte es und dann zog er (langsam, nur nicht die Geduld verlieren) ihre Hose herunter und den Slip gleich mit.
Endlich. Ihr praller Arsch mit den schmalen Bräunungsstreifen lag vor ihm. Stan tat einen tiefen Atemzug, setzte an und drang vorsichtig in sie ein. Ciara-Sophie warf den Kopf in den Nacken und schaffte es trotzdem, ihr Spiegelbild zu betrachten. Stan atmete langsam aus. Er hatte es geschafft. Er war in ihrer glutheißen Enge und sie war so feucht, dass er im Spiegel sah, wie sich ein Tropfen zwischen ihren Beinen löste.
»Mach«, flüsterte sie. »Bitte.«
»Zu Befehl, meine Königin.« Er begann, sich in ihr zu bewegen. Jetzt schon sehnte sein Schwanz sich nach Entladung, drängte darauf, schneller in sie zu stoßen. Das war der beste Teil, der einzige, den er wirklich genoss. Aber er hatte einen Ruf zu verlieren. Nur Versager kamen gleich in der ersten Minute. Er biss sich auf die Lippen und zwang sich, regelmäßig zu atmen. Ciara-Sophie würde gleich so weit sein. Ihre Augen wurden bereits glasig, ihr Stöhnen immer lauter …
Matt riss die Tür auf und hätte sie fast umgerannt.
Ciara-Sophie stieß einen Schrei aus, löste sich von Stan und zog sich in Windeseile die Hose wieder hoch. Matt blickte die beiden erstaunt an, dann warf er schwungvoll die Tür hinter sich zu und ging an ihnen vorbei. Stan hätte ihn erwürgen können. Sofort.
»Was zur Hölle tust du hier?«, brüllte er Matt an. »Raus! Sofort!«
»Hab nur mein Handy gesucht«, brummte Matt und wühlte in der Tasche herum, die auf seinem Bett lag. »Ich bin sofort wieder … ah, da!«
Triumphierend hielt er ein billiges schwarzes Handy in die Höhe. Stan schaute es verächtlich an. Das Ding hatte bestimmt nicht mal Internetzugang, vollkommen erbärmlich. Wieso verkauften sie die Teile überhaupt noch … ach ja, und der Neue hatte den Fick mit Ciara-Sophie unterbrochen, kurz bevor sich die ganze harte Arbeit endlich ausgezahlt hätte.
»Raus, hab ich gesagt!«
Erstaunlicherweise hörte Matt auf ihn. Ciara-Sophie leider auch. Mit knallroter Birne flüchtete sie aus der Tür. Matt trottete hinterher.
»Sorry!« Er winkte knapp, bevor er die Tür hinter sich schloss. Stan hatte das Gefühl, sein Kopf würde gleich explodieren. Er würde ihn umbringen! Umbring… nein.
Kurz bevor seine Faust die Wand traf, stoppte Stan. Er atmete tief ein und aus. Er durfte nicht die Kontrolle verlieren. Nächstes Mal würde er einfach die Tür blockieren. Verwundert merkte er, dass seine Hose immer noch auf seinen Knöcheln hing, und zog sie hoch. Er musste sich beherrschen. Zusammenreißen. Meditieren. Ja, ein wenig meditieren würde ihm gut tun. Und planen, wie er Matt loswerden konnte. Das würde das Beste sein.
Matt gewann den Morgenlauf wieder. Die Wut in Stans Bauch schien mit jeder Minute zu wachsen, die er mit ihm verbrachte. Leider war ihm nur ein Plan eingefallen, um Matt loszuwerden und der war selbst ihm zu heftig. Nämlich der, ihm Drogen unterzuschieben. Das hätte einen sofortigen Rauswurf zur Folge gehabt. Aber dann würde er auch polizeilich erfasst werden, oder? Er wollte, dass Matt das Zimmer wechselte und vielleicht, dass er von der Schule flog. Aber Schlimmeres wünschte er ihm nicht an den Hals, ehrlich.
Beim Frühstück, als Gerrit ihn ständig fragte, wie es mit Ciara-Sophie gelaufen war, bemerkte Stan, dass Matt nicht mehr alleine am Tisch saß. Überraschenderweise hatte er Freunde gefunden. Nicht überraschend war, dass es sich um das Fußballteam handelte. Er saß mitten unter ihnen, an dem Tisch, den diese Neandertaler mit Brötchenresten und Milch und Orangensaft bekleckerten. Genau da gehörte er hin. Wenn die Schule eine Unterschicht hatte, dann war es dieses Team. Überall anders wäre Matt aufgefallen, aber hier fügte er sich ein wie ein gammeliger Zahn in ein kariöses Gebiss. Glücklich sah er trotzdem nicht aus. Stan beobachtete, wie Matt etwas sagte, mürrisch, wie immer, und die beiden Jungs neben ihm in Gelächter ausbrachen. Dem einen tropfte Milch aus der Nase. Widerlich.
»Stan? Hey, Stan. Hörst du mich?« Gerrit wedelte mit der Hand vor seiner Nase herum. Stan blinzelte. Wie lange hatte er schon auf das Fußballteam gestarrt? Verwirrt sah er in die Runde. Gerrit, Vanessa, Leonora, Johannes und Georgius blickten ihn alle an.
»Was ist? Bist du schon auf der Suche nach einem neuen Opfer?«, fragte Vanessa.
»Ja ... nein.« Reiß dich zusammen, befahl Stan sich. Hör auf, hier rumzustottern wie ein Idiot.
Gerrit grinste. »Hat Ciara-Sophie dich so hart rangenommen?«
Leonora kicherte und Stan wurde sich bewusst, wie ähnlich sie und Ciara-Sophie klangen. Wie ähnlich alle Mädels auf ihrer Schule waren. Als hätten sie einen Kurs besucht oder so. Er grinste geheimnisvoll.
»Ein Gentleman genießt und schweigt.« Er machte eine Kunstpause. »Ne, ich überlege gerade, wie ich die Zecke in meinem Zimmer loswerde.«
»Den Neuen?« Gerrit lachte. »Das ist doch kein Problem für Stan the Man.«
Stan hob sein Glas Orangensaft. »Da hast du Recht.«
»Redet ihr über Matt?«, fragte Vanessa.
»Ja, wieso?« Gerrits Gesicht zeigte die Verwirrung, die Stans verbarg. Seit wann interessierte sie sich für den Neuen?
»Oh, dann muss ich euch leider bitten, damit noch eine Woche zu warten. Maximal zwei.«
»Und warum sollten wir das tun, holde Maid?« Stan lächelte charmant.
»Mädchengeheimnis.« Vanessa klimperte mit ihren Wimpern. Wie bitte? »Ich verspreche euch, ich sag Bescheid, wenn ihr ihn loswerden könnt. Dürfte bald so weit sein.«
»Wenn's nach mir geht, schon morgen.« Leonora lachte und Vanessa schlug ihr gegen die Schulter.
»Oh, du! Ganz schön selbstbewusst.«
Sie grinsten sich an. Irgendwie kam Stan nicht mehr mit. Aber er würde einen Teufel tun und sich seine Verwirrung anmerken lassen.
»Wenn es euch wichtig ist, warte ich natürlich«, sagte er. »Aber warum wollt ihr ihn hierbehalten? Ein schöner Anblick ist er nun echt nicht.«
»Ach, ich finde, er sieht sogar ziemlich gut aus.« Leonora blickte zu Matt hinüber, der mit verdrießlichem Gesicht zwischen den grölenden Fußballern hockte. Ihre Augenlider waren auf Halbmast.
Bitte was? Stan merkte, dass sein Glas ihm zu entgleiten drohte, und packte es fester.
»Aber ... Hab ich grad richtig gehört? Ihr seid scharf auf die Zecke?« Gerrits Mund stand offen. Johannes und Georgius guckten nicht klüger. Nur Stan hatte sich im Griff. Aber innerlich fühlte er sich dämlicher als die anderen drei zusammen. Die Mädchen zuckten mit den Achseln und schwiegen.
Irgendetwas lief hier schief. Irgendetwas lief hier ganz gewaltig schief. Stan hatte das Gefühl, die ganze Welt würde kippen und er langsam von ihrer Seite rutschen. Er schaute nach, ob Matt sich über Nacht in einen strahlenden Prinzen verwandelt hatte. Hatte er nicht. Dieselbe Zahnlücke, dieselben strohigen Haare. Okay, seit dem Duschen wusste er, dass Matt ziemlich muskulös war. Aber da war noch das winzige Detail, dass einer seiner Arme völlig entstellt war. Wer zu Hölle würde so was anfassen wollen? Zum Glück stellte Gerrit seine Fragen für ihn und Stan wirkte weiterhin überlegen.
»Aber was ... ich meine, was genau seht ihr in ihm? Machen euch Kopfläuse und Flöhe feucht? Vielleicht könnt ihr euch noch ein paar Krankheiten einfangen, wenn ihr schon dabei seid.«
Vanessa verzog das Gesicht, aber Gerrit starrte sie nur weiter ungläubig an.
»Ich finde, er sieht gefährlich aus«, sagte sie und schob ihren Teller von sich. Sie hatte kaum etwas angerührt. »Geheimnisvoll.«
»Gefährlich? Ich würde eher sagen: verseucht.« Gerrit rümpfte die Nase.
»Du hast ja keine Ahnung«, sprang Leonora ein. »Matt ist halt, na ja, nicht so glattgebügelt wie die restlichen Jungs hier. Habt ihr gehört, dass er sich gestern Abend mit Walther geprügelt hat? Walther aus dem Hockeyteam. Der hat angefangen, macht er ja immer. Nur hat er sich diesmal den Falschen ausgesucht. Ein Schlag und Walther ist zu Boden gegangen. Dieser Matt ist eine echte Kampfmaschine. Und seine Augen sind voll schön.«
Matts Augen haben nicht mal eine richtige Farbe, dachte Stan. Irgendwo zwischen Grün und Grau, total unspektakulär. Sie waren schräg und standen zu weit auseinander. Straßenkateraugen. Und das sollte attraktiv sein? Er sah wieder zu Matt hinüber. Wenn Stan die Augen ein wenig zusammenkniff ... ja, ein wenig verstand er, was die Mädchen meinten. Eventuell lag ein gewisser Charme in Matts schief zusammengesetztem Gesicht mit der Zahnlücke und den abstehenden Ohren und ... nein, doch nicht. Ups, Matt hatte gemerkt, dass er ihn ansah.
Übertrieben freundlich lächelnd hob Stan eine Hand und winkte. Matt runzelte die Stirn. Und nickte. Einer seiner Teamkollegen bemerkte es und bald guckten sie alle zu Stan hinüber. Wie eine Herde Wasserbüffel, die mit tropfenden Mäulern von ihrem Tümpel aufsah. Stan grinste sie an wie ein lauernder Löwe. Oder ein Psychopath. Dann widmete er sich den Resten seines Frühstücks.
Das Fußballteam mochte ihn nicht. Aber das Fußballteam zählte auch nicht. Nur, weil er sich geweigert hatte, bei ihrem Idiotenverein mitzumachen. Gut, vielleicht hätte er sie nicht Idiotenverein nennen sollen, als sie ihn gefragt hatten. War eigentlich ganz nett von ihnen gewesen, zu fragen. Sie hatten gesehen, wie schnell er war und ... Wie so oft schluckte Stan sein schlechtes Gewissen herunter und aß weiter. Einatmen, ausatmen ... Selbst hier, im lauten Speisesaal, half Meditation ihm, mit seinen Problemen klarzukommen.
Als Ciara-Sophie in der Pause mit ihm reden wollte, war er nicht überrascht. Er hatte sich schon gefragt, wann sie ihn um ein Rematch bitten würde. Was ihn überraschte, waren ihre Worte.
»Ich brauche deine Hilfe. Kannst du mir sagen, wann Matt heute auf eurem Zimmer ist?«
So langsam reichte es Stan. Sie war schon das vierte Mädel, das heute Informationen über Matt wollte. Und zu wem kamen sie? Zu ihm, seinem Mitbewohner. Obwohl er viel besser aussah und sie sich verdammt nochmal für ihn zu interessieren hatten.
»Kannst du mir erklären, was zur Hölle ihr heute alle mit Matt habt?«, knurrte er. Sie sah ihn erschrocken an. Klar, sonst spielte er ja immer den Charmeur.
»Na ja, das kann ich dir nicht direkt sagen. Ist so ne Sache zwischen uns Mädchen.«
Obwohl sie in einer Ecke fernab von den anderen im Hof standen, senkte Stan seine Stimme. »Zwischen euch Mädchen, hm? Dann kann ich dir leider nicht helfen.«
»Aber, ich ...« Sie verstummte.
»Na gut.« Er rieb sich die Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger. »Wie wär's damit? Ich sage dir Bescheid, wann Matt heute im Zimmer ist. Ich lasse euch sogar alleine. Und dafür erklärst du mir, was hier gespielt wird.«
Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und, weil es diesmal echt war, sah es ziemlich lächerlich aus. Wie ein mümmelnder Hase. Aber schließlich rang sie sich zu einer Entscheidung durch.
»Ja, okay. Aber du sagst keinem, dass du es von mir hast. Und vor allem keinem Mädchen, okay?«
»Versprochen«, presste er heraus, seinen Zorn unterdrückend.
»Wir haben um ihn gewettet.« Ihre Augen glänzten vor Aufregung. »Wer ihn zuerst ins Bett kriegt, hat gewonnen. Und das werde ich sein, das verspreche ich dir.«
»Ihr habt ...« Stan versuchte, ihre Worte mit der Realität in Einklang zu bringen. »Warum wettet ihr denn um den? Der ist doch ein armer Schlucker. Was ist mit deinen Plänen? Reich heiraten, einen Millionär und so.«
»Oh, ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Dass ich mehr bin als ein Mädel, das einen reichen Kerl heiraten soll. Und es stimmt. Danke dafür.« Sie lächelte. Ehrlich dankbar, soweit er das beurteilen konnte. »Ich bin jung und schön und ich will Spaß haben.«
»Und unter Spaß verstehst du, mit diesem Penner zu schlafen? Ich hätte dir mehr zugetraut.«
»Hey, er sieht echt gut aus.«
»Tut er nicht!« Er musste hier weg, bevor er noch ausrastete. Stan stapfte über den sonnenbeschienenen Hof zurück ins Klassenzimmer. Dieses war ein einladender, heller Raum, bestückt mit ergonomischen, höhenverstellbaren Pulten und Stühlen. Leider war Matt da. Und Vanessa auch.
Matt saß an seinem Pult und Vanessa massierte seine Schultern. Ihr Profil mit der eleganten Stupsnase schimmerte im Sonnenlicht. Matt, dieser Vollarsch. Und er besaß noch die Frechheit, weiter mies gelaunt zu sein.
»Ist gut, danke«, knurrte er. »Aber das reicht jetzt.«
»Aber du bist immer noch verspannt«, gurrte Vanessa und legte ihre Brüste auf seinem Kopf ab. Matt zuckte zusammen. Er wand sich aus ihrem Griff und stand auf. Vanessa wollte etwas sagen, aber dann entdeckte sie Stan, der mit offenem Mund in der Tür stand und sie anstarrte.
»Nein, macht ruhig weiter«, sagte er fassungslos. »Viel Spaß.«
»Du hast ihn gehört.« Vanessa zwinkerte Matt zu.
»Da gibt's nichts zum Weitermachen«, motzte er und wischte sich über die Schultern, wo sie ihn berührt hatte. Als hätte sie eine ansteckende Krankheit.
»Da gibt es nichts weiterzumachen«, verbesserte Stan.
Matt rempelte ihn an, als er das Klassenzimmer verließ. Mistkerl. Vanessa zupfte ihre Mähne zurecht. Ihrem miesepetrigen Gesichtsausdruck nach kam sie mit der Abfuhr, die sie gerade kassiert hatte, nicht so gut klar.
»Musstest du stören?«, fragte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn du nicht gewesen wärst ...«
»Hätte er dir trotzdem einen Korb gegeben. Mach dir nichts vor, der hat doch geguckt, als ob er gleich kotzen würde.«
»Hat er nicht!« Vanessas schöne Augen blitzten. »Der Mann, den ich nicht verführen kann, ist noch nicht geboren!«
»Tja, ich hab da gerade einen Gegenbeweis erlebt.« Stan genoss es, sie so wütend zu sehen. Ihre gemeinsame Vergangenheit war nicht einfach gewesen. Vanessa war einer der wenigen Menschen gewesen, die ihn wirklich verletzt hatten.
»Du freust dich richtig, was?«, zischte sie. »Bist du immer noch sauer, weil ich dich damals abblitzen lassen habe?«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist zu lange her. Ich kann mich kaum noch daran erinnern.«
Zweieinhalb Jahre war es her. Und seitdem hatte er eine Menge Frauen flachgelegt. Die Erinnerung an Vanessas nackten Körper, an ihr freches Grinsen, kurz, bevor sie ihn geküsst hatte, verblasste bereits. Aber ganz verschwinden würde sie wohl nie. Schließlich war sie seine Erste gewesen.
Blöderweise hatte Vanessa nur experimentieren wollen, während Stan ... nun, er hätte sich mehr vorstellen können. Vorsichtig ausgedrückt. Aber daraus war nichts geworden. Als er sie gefragt hatte, hatte sie längst eine Zweitaffäre mit einem Kerl aus der Klasse über ihnen angefangen. Ins Gesicht gelacht hatte sie ihm.
»Weißt du, ich denke oft an damals.« Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Vor allem, wenn ich an den Ställen vorbeikomme. Erinnerst du dich, wie wir es in der leeren Box getrieben haben? Du warst ganz nervös damals. Richtig süß.«
Er nickte. Damals hatte er die Nervosität noch nicht spielen müssen.
»Manchmal frage ich mich, wie es inzwischen mit dir wäre.« Sie schritt auf ihn zu wie eine Leopardin. Alles bewegte sich in einem fließenden Rhythmus: Brüste, Bauch, Hüften. Ihre Hand legte sich auf seinen nackten Arm. »Ich habe gehört, du bist richtig gut geworden. Emilia sagt, du wärst der Erste, bei dem sie gekommen ist.«
»Sagt sie das?« Irgendetwas stimmte hier nicht, er merkte es ganz deutlich.
»Ja.« Sie lächelte verschmitzt. »Wie wär's, wenn ich demnächst mal vorbeikomme? Heute, so gegen acht?«
»Klingt gut«, sagte er vorsichtig. In seinem Herzen löste sich etwas, ein Hauch von dem alten Gefühl trieb wieder hoch. Aber in seinem Kopf läuteten die Alarmglocken. »Aber dann ist Matt da. Komm besser um sieben ...«
»Ach, das macht doch nichts.« Sie lächelte. »Soll er ruhig sehen, was er verpasst. Wir können ihn ja rausschmeißen, wenn es zur Sache geht.«
»Ach, daher weht der Wind.« Er fühlte sich beinahe erleichtert, obwohl sein Ego zerschmettert am Boden lag. »Du willst ihn eifersüchtig machen. Damit er doch merkt, dass du die schärfste Lady der Schule bist.«
»Was? Das würde ich nie ...« Sie brach ab. Vermutlich hatte sie sich erinnert, dass er sie zu gut kannte, um darauf reinzufallen.
»Mal ganz ehrlich, Nessa: Falls dein Plan aufginge, wen würdest du dann aus dem Zimmer schmeißen? Ihn oder mich?«
»Dich«, gab sie zu und sah zu Boden. »Bin ich echt so leicht zu durchschauen?«
»Ich fürchte, das bist du.« Seine Stimme klang locker. So, wie er dastand, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, hätte niemand geahnt, wie es in seinem Inneren aussah.