Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Kennst du das Gefühl, gefangen zu sein in einem Leben voller hätte, wenn und aber? Begleite Leo auf seiner Reise durch die SELBERWELT, wo die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen. Er sucht nach der Mysthischen Fackel, einer Lichtquelle, die seine dunkle Welt erhellen soll. Doch je weiter er reist, desto mehr begreift er, dass er nicht das findet, was er erwartet. Stattdessen muss er sich seinen tiefsten Ängsten stellen, Schlüssel zu verborgenen Wahrheiten entdecken und am Ende die schwerste Lektion von allen begreifen: Manchmal muss man scheitern, um wirklich zu gewinnen. Dieses Buch ist mehr als ein Abenteuer. Es ist eine Einladung, dich selbst zu hinterfragen. Keine Anleitung, kein Ratgeber, sondern eine Geschichte, die inspiriert, berührt und dir den Mut gibt, deinem inneren Kompass zu vertrauen. Mit Humor, Tiefe und einer kräftigen Prise Selbstironie erzählt SELBERWELT von Aufbruch und Irrwegen, von Täuschung, Wahrheit und der Kraft des Neubeginns.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vorwort und Wegweiser
Prolog – Die seltsamste Entscheidung seines Lebens
Fatalia
Im Atelier
Sternenschmerz
Kaspar
Nerox
Smaragdgrüne Traurigkeit
Der Pedant des Herrn
Der Weckruf
Die Dunkelheit
Das Versteck
Die Begegnung
Aufbruch
Der Koffer
Die Karte der Selberwelt
Die Entscheidung
Das Boot
Unterwegs
Entfaltung
Partner
Auf See
Cargo-Kult
Akrasia
Die Bewahrer
Die Freuden Akrasias
Der Schlüssel zum Fokus
Wendekreis des Vertrauens
Der Schlüssel zum Aufbruch
Im Reich des Riesenzwergs
Herzstupser
Im Land der Riesen
Riesenzwerg
Fackel gegen Dackel
Der Schlüssel zur Lösung
Scheinzwerg
Schicksalssymphonie
Die verschlüsselte Botschaft
Operation Maulwurf
Andacht
Der Schlüssel zur Freiheit
Kurs auf Rigidonia
Höllenschlund
Gipfelerfahrung
Halswirbel
Ankunft in Rigidonia
Auf eigene Faust
Veränderung
Der Schlüssel zum Wachstum
Überzeugungen
Aufstieg zum Gipfel
Magie
Der Gipfel der Unvernunft
Tempelschrein
Im Basislager
Der Schlüssel zur Verbundenheit
Weiße Hölle
Leere
Die Schlösser des Schreins
Abrechnung
Hetzjagd
Rückkehr
Erfolgreich gescheitert
Der Schlüssel zum Reichtum
Abschied
Ankunft in Fatalia
Neue Wege
Epilog – Mach was draus
Nachwort – vom Absender hinter dem Vorhang
Anhang
Die Sieben Schlüssel – und die Kraft des Selbstmuts
Ein Stück Selberwelt für dich
Die Mystische Fackel – Der Soundtrack
Inspiration und Hinweise
„Das Leben ist dein Freund. Ein Freund sagt dir nicht das, was du hören willst – sondern das, was du hören musst.“
– Nemolf, Mönch und spiritueller Begleiter
Stell dir vor, dein Leben wäre eine Landschaft, durch die du wanderst.
Ein weites Terrain aus aufragenden Bergen, endlosen Steppen, klaren Seen.
Mit Gipfeln und Abgründen, trügerischen Sümpfen und verwunschenen Pfaden.
Was wäre, wenn es eine Karte gäbe, die dir zeigt, wo du gerade stehst –
und welche Schlüssel du brauchst, um weiterzugehen?
Leo sucht nach der Mystischen Fackel, einem Licht in der Dunkelheit. Doch seine Reise führt ihn nicht nur durch unbekannte Landschaften, sondern auch an die Grenzen seiner eigenen Überzeugungen. Manchmal liegt der nächste Schritt nicht dort, wo man ihn erwartet.
Vielleicht zeigt dir die Selberwelt mehr als nur eine Geschichte.
Die Reise beginnt hier.
Manchmal beginnt ein großes Abenteuer mit einem Bier, einem Dackel und der Erkenntnis, dass man sich selbst langsam auf die Nerven geht.
Leo war nicht gerade ein Held. Nicht mal ein besonders produktiver Künstler. Aber was ihm an Disziplin fehlte, machte er mit Selbstmitleid wett. Sein Alltag? Ein stiller Zweikampf mit der Welt – und die Welt führte nach Punkten. Bis zu jenem Abend, an dem er im Halbdunkel seiner winzigen Atelierwohnung auf die Idee kam, das Universum möge sich doch bitte mal melden, wenn es etwas von ihm wolle.
Es meldete sich.
Was dann geschah, war entweder der überfällige Nervenzusammenbruch – oder der Anfang einer ziemlich außergewöhnlichen Reise.
Jedenfalls endete sie mit einem Dackel in einem Boot, sieben Schlüsseln am Gürtel und einer Fackel, die mehr konnte als leuchten.
Was genau dazwischen geschah? Nun, sagen wir einfach:
Das Leben hat Humor. Und es liebt gute Geschichten.
Dies ist eine davon.
Fatalia
„Vierundzwanzig. Der Tag hat vierundzwanzig Stunden – genauso viele, wie Bierflaschen in einer Kiste sind. Das kann doch kein Zufall sein, was meinst du, Danilo?“
Leo ließ den Pinsel fallen und wischte sich die farbverschmierten Hände am schäbigen Kittel ab. Mit schlurfenden Schritten ging er zur Kellertür, wo die halbleere Bierkiste wie ein alter Freund auf ihn wartete.
Mit einem satten Plopp entfernte er den Kronkorken und führte die Flasche an die Lippen. Nach einem kräftigen Schluck ließ er sich auf den farbfleckigen Holzstuhl sinken. Als er sich mit dem Handrücken über den Mund fuhr, zog er sich unbemerkt einen roten Ölfarbstrich quer über das Kinn.
„Atelier.“
Ein großzügiger Begriff für diese Wohnküche mit ihrer abgewetzten Schlafcouch und den Farbspritzern auf dem Boden.
Aber jeder Künstler braucht schließlich ein Refugium.
Überall in der winzigen Wohnung lagen Farbtuben, Gläser mit Pinseln, Malspachtel, Zeichenkartons und Lappen verstreut. An der Wand lehnten leinwandbezogene Keilrahmen. Der Geruch von Ölfarbe hing schwer in der Luft.
In der Mitte des Raums stand eine Staffelei mit einer Leinwand darauf – daneben ein Rasierspiegel. Das unvollendete Selbstporträt zeigte ihn: Vincent Pinili, den zweifellos talentiertesten impressionistischen Maler ganz Fatalias. Zumindest glaubte Leo das.
Da ihm das Geld für ein Modell fehlte, malte er meistens sich selbst.
Genau wie sein großes Idol: Vincent van Gogh.
„Vincent Pinili“, murmelte er und spitzte anerkennend die Lippen.
Klang jedenfalls besser als „Leo Pin“, der Name in seinem Ausweis.
„Hast du gewusst, dass der echte Vincent in seinem ganzen Leben nur ein einziges Bild verkauft hat, Danilo?“
Der Rauhaardackel mit dem strubbeligen Fell neigte den Kopf schief.
„Im Ernst. Fast zweitausend Bilder hat er gemalt – Meisterwerke.
Und verkauft hat er nur eines. Heute ist sein Nachlass hunderte Millionen wert.“
Leo öffnete eine neue Flasche und schnippte den Kronkorken quer durchs Atelier. Danilo jagte ihm nach und hinterließ dabei eine Spur bunter Dackelpfötchen auf den Zeichenkartons und dem Parkett.
„Ich kann also mit Stolz behaupten, im letzten Jahr doppelt so viele Bilder verkauft zu haben wie van Gogh in seinem ganzen Leben!“
Zum Ausdruck seines Erfolgs reckte Leo die Bierflasche in die Höhe.
Als er in Danilos fragendes Gesicht blickte, wurde ihm klar, dass er vielleicht besser aufhören sollte, mit dem Hund zu reden. Das würde sonst noch pathologisch.
Naja. Es war ja nicht so, als hätte er in letzter Zeit viele Zuhörer gehabt. Das letzte Kundengespräch lag fast vier Monate zurück.
Eine Auftragsarbeit.
Die Omi von nebenan hatte ein Aquarell ihrer Perserkatze gewollt.
Leo schauderte. Würdelose, aber unvermeidbare künstlerische Prostitution.
Ein Klopfen.
Leo zuckte zusammen.
Er öffnete die Tür einen Spalt – gerade weit genug, um das verkniffene Gesicht seiner Wirtin zu sehen. Der Blick sagte alles:
Ärger im Anmarsch.
Würde es diesmal der Terpentingeruch sein? Oder die übliche Frage nach der Miete?
Widerwillig öffnete er die Tür ganz.
Ihre massige Gestalt füllte den Türrahmen fast vollständig aus.
Während ihr vorwurfsschwangerer Redeschwall in den Raum strömte, fiel Leos Blick auf das zerlesene Buch, das er dekorativ auf dem Ateliertisch platziert hatte: Baudelaires Les Fleurs du Mal.
Ein gezielt gewähltes Accessoire, um den Anschein intellektueller Tiefe zu erwecken.
Leo hatte sogar eines der Gedichte auswendig gelernt – um Lea bei passender Gelegenheit mit kulturellem Tiefgang zu beeindrucken.
Oh, bittersüße Tragik.
Was Leo mit seinen Seelenverwandten Baudelaire, Poe und van Gogh verband, war die enttäuschte Melancholie des verkannten Genies.
Plötzlich herrschte Stille.
Die Wirtin stand mit zusammengepressten Lippen und in die Hüften gestemmten Armen vor ihm. Offenbar erwartete sie eine Antwort.
„Die Miete wird in Kürze bezahlt“, beteuerte Leo und schob sie sanft aus der Tür.
„Ja, selbstverständlich. Sie können sich darauf verlassen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas vergessen zu haben.“
Erschöpft lehnte er sich gegen die geschlossene Tür.
Schon lange hatte er kein Bild mehr verkauft.
War es etwa seine Schuld, dass die Leute heutzutage zu stumpfsinnig waren, um echte Kunst zu schätzen?
„Ignoranten“, murmelte er halblaut.
Dann rutschte er am Türblatt herab wie ein an die Wand geschleuderter Pfannkuchen.
Am liebsten waren ihm ohnehin die Menschen, deren Bekanntschaft ihm erspart blieb.
Danilo tapste heran, legte den Kopf auf Leos Knie und leckte ihm tröstend die Hand. Für Leo reichte das. In diesem Moment jedenfalls.
„Das war ja ein feuchter Gassigang, was, Danilo?“ Der Dackel schüttelte sich, dass die Wassertropfen an die Wände klatschten.
Draußen trommelte der Regen gegen die Scheiben, als wolle er sich Gehör verschaffen.
Leo ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen, um die nassen Stiefel auszuziehen, während Danilo im Strubbel-Look in einer Pfütze zu seinen Füßen saß und ihn erwartungsvoll anblickte.
Wenn er so durchnässt war, wirkte er mit der spitzen Schnauze und den dünnen Bleistift-Beinchen viel kleiner als sonst.
So wie damals im Frühjahr, als Leo ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
Von der alten Holzbrücke aus hatte er das verängstigte Tier im Fluss treiben sehen. Ohne zu zögern riss er sich die Jacke vom Leib und sprang ins eiskalte Wasser. Minuten später schleppte er das erschöpfte Hündchen prustend ans Ufer. Zuhause saßen sie dann schlotternd, in eine Decke gehüllt, aneinander gekuschelt am Ofen.
Seit diesem Tag waren sie unzertrennlich.
Es war die einzige Heldentat in Leos ansonsten ereignisarmem Leben.
„Zeit für Fressi, was?“
Leo trank den Rest Bier aus und kramte im Küchenschrank nach dem Hundefutter. „Und danach werden die Pfoten wieder sauber gemacht, verstanden?“ Schon wieder redete er mit dem Hund. Aber irgendwer musste ihm ja zuhören. Für einen Mann seines Alters lebte er tatsächlich ziemlich zurückgezogen.
Während sich Danilo schwanzwedelnd über sein Futter hermachte, nahm Leo sein halb fertiges Selbstporträt von der Staffelei.
Er betrachtete es kritisch. Irgendwie schien es sein Leben perfekt zu repräsentieren:
Unvollendet. Unvollkommen. Unbedeutend.
Sein Blick wanderte zur Wand – zu seinem Lieblingsbild vom alten Vincent: Sternennacht. Unnachahmlich.
Leo mochte einfachen Gemüts sein, doch tief in seiner Brust schlug das Herz eines empfindsamen Künstlers. Das hatte er schon gespürt, als er diesen Kunstdruck auf einem Flohmarkt entdeckt und überglücklich nach Hause getragen hatte.
Schon damals hatte er sich gefragt, was ihn an diesem Bild so fesselte: Die mondbeschienene Silhouette eines südfranzösischen Dorfes mit dem spitz aufragenden Kirchturm.
Die hoch aufschießende Zypresse im Vordergrund, die sich wie schwarzes Feuer zum Himmel wand. Der indigoblaue Nachthimmel mit den tanzenden Sternen, die sich spiralförmig aus einem Meer aus Licht und Nacht herausschraubten. Der Sichelmond, feurig und hypnotisch.
Alles mit kompromisslosen Pinselstrichen aufs Bild gepeitscht.
Das Werk eines Genies. Dieses Bild war visuelle Musik.
Er bemerkte die Tränen nicht, die seine Wangen hinunterliefen, als er begriff, warum er sich diesem magischen Sog nicht widersetzen konnte:
Dieses Bild war ein einziger Wirbel aus Sehnsucht nach Lebendigkeit – genau das Leben, das ihm immer gefehlt hatte.
„Zuvor werde ich sicherstellen, dass uns niemand belauscht“, flüsterte Vikar Kaspar Bibeliski-Hakedorn und schloss leise die schwere Tür seines karg eingerichteten Arbeitszimmers.
Der Geruch von kaltem Stein und altem Pergament lag in der Luft.
An der Stirnwand prangte ein schwarzes Kruzifix – schlicht, massiv, eindringlich. Winzige Staubkörnchen tanzten im schräg einfallenden Tageslicht.
Vor ihm: ein makellos aufgeräumter Schreibtisch, akkurat bedeckt mit Dokumenten in lateinischer Schrift. Kein Stift lag quer. Kein Papier war schief gerückt.
„Eine wahrhaftige Büßerkammer“, dachte der Bischof.
Kaspar trat näher und faltete die Hände hinter dem Rücken.
„Exzellenz, ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen der Ernst der Lage vollends bewusst ist.“ Er räusperte sich, doch seine Stimme blieb ruhig.
„Dies ist eine historische Gelegenheit für die Kirche vom Heiligen Hohlkreuz. Eine einzigartige Chance, ihre Vormachtstellung in der Seelenführung weiter auszubauen. Die Mystische Fackel ist imstande, die Weltordnung zu verändern. Sie darf nicht in die falschen Hände fallen.“
Der Bischof nickte langsam. Sein Doppelkinn wippte nachdenklich. „Und wie gedenkt Ihr, diese Fackel an Euch zu bringen?“
Kaspar rieb sich das Kinn. Dann kräuselten sich seine Lippen zu einem mokanten Lächeln.
„Zunächst müssen wir sieben liturgische Schlüssel finden. Und ich weiß bereits, wer mir dabei helfen wird.“
Nerox von Qualen wandte sich vom Fenster seiner herrschaftlichen Villa ab. Lächelnd bedeutete er seinem hünenhaften Kammerdiener, ihm noch ein Glas dieses vorzüglichen Châteauneuf einzuschenken. Er hatte in einem Leben alles erreicht – trotz seiner zwergenhaften Gestalt. Oder besser: gerade deshalb.
Sein verhasster Makel war zu einer Stärke geworden.
Als Kind war er verspottet und verstoßen worden.
Doch mit einem Leben im Schatten wollte er sich nicht abfinden.
Und so arbeitete er unermüdlich an sich. Er las und lernte Tag und Nacht – bis ihm eines Tages der Satz begegnete, der sein Schicksal für immer wenden sollte:
„Ein Zwerg, der auf den Schultern eines Riesen steht, ist größer als der Riese selbst!“
Diese Erkenntnis hatte ihn wie ein Blitz getroffen. Sie hatte ihn angezündet, beflügelt und schließlich aus dem Nichts an die Spitze katapultiert. Und heute würde er ihn erneut nutzen. Für den Nachmittag hatte sich ein Geistlicher angekündigt. Ein Vikar der Kirche vom Heiligen Hohlkreuz, der auf den idiotischen Namen Kaspar Bibeliski-Hakedorn hörte.
Nun – es versprach dennoch eine vielversprechende Begegnung zu werden. Denn dieser Mann war auf der Suche nach der Mystischen Fackel. Wenn das kein Zufall war …
Um sein Einkommen aufzubessern, arbeitete Leo nebenbei im Malkasten, einem Geschäft für Künstlerbedarf. Peinlich, aber unverzichtbar. In Fatalia gab es kaum Künstler. Doch dank seines Geschäftssinns kam der Inhaber des Malkastens über die Runden.
Leo war mal wieder spät dran und hatte einen Umweg nehmen müssen, um Leuten zu entgehen, denen er Geld schuldete. Als er den Laden betrat, lief er direkt seinem Chef in die Arme. Der zeigte auf seine Armbanduhr und hob die Augenbrauen.
„Na, Da Vinci? Mal wieder verschlafen?“
„Sorry, Chef. Ich stehe ja gern früh auf – nur nicht morgens.“
Leo streifte sich den Arbeitskittel über und schlurfte hinter die Ladentheke.
Heute war es so weit. Lea würde kommen, um ihre Bestellung abzuholen. Seine ehemalige Freundin.
Lea arbeitete als Grafikerin. So hatten sie sich kennengelernt – hier im Malkasten, zwischen Farbtuben und Pinselsets.
Er hatte sie sofort umwerfend gefunden. Die süße Stupsnase, die smaragdgrünen Augen, diese zarte, fast scheue Anmutung – wie ein Reh im Morgennebel.
Sie hatten sich am Regal mit den Malspachteln festgequatscht, während Leo innerlich in ihren Augen ertrank.
Es hatte so laut zwischen ihnen geknistert, dass Leo befürchtete, sein Chef könnte es hören.
Zwei Dates später waren sie ein Paar. Danilo war begeistert vom neuen Frauchen, und Lea schenkte ihm eine rosa Quietschewutz, die bis heute sein Lieblingsspielzeug ist.
Es folgten die schönsten Wochen in Leos Leben. Auf dem Höhepunkt ihrer Verliebtheit planten sie, ein Grafikstudio zu gründen: Leo & Lea Logo-Design. Begeistert. Naiv. Es sollte etwas Großes werden. Tag und Nacht wollten sie gestalten, träumen, lieben – ein ewiger Taumel aus Logos, Lust und Leidenschaft.
Aber Seifenblasen platzen eben. Nach wenigen Wochen bröckelte der Zauber. Lea machte ihm Vorhaltungen, weil er gern ausschlief, Aufgaben aufschob und in kreativen Pausen zum Bier griff. Als sie eines Tages einen Kunden ins Atelier brachte und Leo im Schlafanzug mit einem frischen Bierchen vorfand, platzte ihr der Kragen.
„Deine Unzuverlässigkeit und Schlamperei sind unerträglich, Leo!
Du wirst nie erwachsen!“
Ihre Worte trafen ihn tiefer, als er sich eingestehen wollte.
Er tat, als wäre es ihm egal – aber tief drin wusste er: Sie hatte recht.
Seitdem arbeitete Lea wieder allein. Und Leo?
Der dümpelte dahin. Träge und chaotisch. Zu allem bereit und zu nichts zu gebrauchen.
An diesem Tag, als er hinter der Ladentheke sortierte, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme. „Du hier, Leo? Seit wann?“
Er sah auf – da stand sie. Lea. Leibhaftig. Sein Puls raste. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Bitte nicht rot werden, dachte er, während er nervös nach der richtigen Tüte griff.
„Ich helfe hier ein bisschen aus“, murmelte er, um Coolness bemüht.
„Wie geht’s dir?“
„Geht schon“, antwortete sie knapp.
„Und dir?“
„Auch. Hab jede Menge zu tun“, log er.
Stille. Diese bleierne Stille, die zwischen zwei Menschen liegt, die einst etwas waren. Er schob die Papiertüte mit ihrer Bestellung über den Tresen. Ihre smaragdgrünen Augen wirkten traurig.
Leo räusperte sich. „Ich hatte gehofft, dass du mal wieder reinschaust. Hab dir was in die Tüte gelegt. Von Danilo.
Er vermisst dich. Und er will, dass du weißt, dass wir an dich denken.“
Smaragdgrüne Traurigkeit.
„Weißt du was?“ Leo beugte sich leicht vor.
„Ich geb dir mein Lächeln. Gib’s zurück, wenn du’s nicht mehr brauchst.“ Ein dünnes Lächeln stahl sich auf Leas Lippen.
Leo zwinkerte. „Ich hab’s eh kaum gebraucht, seit du weg bist. Aber pass gut drauf auf.“
Sie unterschrieb den Kreditkartenbeleg, schob ihn über den Tresen – und verschwand mit der Tüte. Der Türgong klang fast spöttisch.
Leo starrte noch immer auf den Beleg. Eine schnörkelige Mädchenschrift – und darunter ein Kringel. Ein Smiley mit Herzaugen.
Wenig später befand Lea sich auf dem Heimweg: Sie schaffte es, cool zu bleiben – bis sie sicher war, dass niemand sie beobachtete.
Dann hielt sie an, nestelte in der Papiertüte und zog ein flaches Geschenkpaket hervor. Neugierig riss sie es auf.
Ein kleines Stück grauweißen Zeichenkartons, kaum größer als ein Bierdeckel. In der Mitte: der farbige Abdruck eines Dackelpfötchens. Darunter stand in Leos krakeliger Handschrift:
Herzstupser.
Sie schluckte schwer. Typisch Leo – immer chaotisch, immer zu spät. Aber wenn er wollte, traf er mitten ins Herz. Ein Lächeln kämpfte sich auf ihre Lippen, während sie mit dem Daumen sanft über den Abdruck strich. Behutsam legte sie das Bild in ihre Mappe – als wäre es ein zerbrechliches Versprechen.
Der Vikar stand vor dem Schaufenster eines Büchergeschäfts und betrachtete missbilligend das dargebotene Sortiment.
„Eitler Flitterkram“, presste er verächtlich hervor und zog die Nase kraus.
Es schien, als hätte die Sucht nach billiger Zerstreuung die Menschen vom Weg des Herrn abgebracht. Es mangelte ihnen an innerer Zucht und geistiger Strenge. Aber das würde sich bald ändern.
Kaspar Bibeliski-Hakedorn war nicht nur ein aufrechter Mann Gottes, sondern der Inbegriff asketischer Strenge und unnachgiebiger Prinzipien.
Im Schoß einer kleinbürgerlichen, erzkonservativen Familie mit dogmatischem Religionsverständnis aufgewachsen, hatte er schon früh seinen Hang zum Geistlichen entdeckt.
Während seine Mitschüler Feuerwehrmann oder Astronaut werden wollten, war sein brennender Wunsch, ein ergebener Diener des Herrn zu werden.
Die Eltern waren stolz auf ihren Knaben und ebneten ihm den Weg zur Kanzel.
Nach dem Theologiestudium hatte er das Priesterseminar abgeschlossen und widmete sich der Bibelforschung mit solcher Hingabe, dass er selbst seine erfahrensten Kollegen jederzeit belehren und korrigieren konnte – und es auch tat, wenn er es für erforderlich hielt.
Zwischen Reiseführern und Belletristik blickte ihm sein Spiegelbild entgegen:
Ein schmales, blasses Gesicht mit eng zusammenstehenden Augen hinter einer Stahlrahmenbrille.
Die Adlernase über den verkniffenen Lippen wirkte streng und unnahbar.
Die hagere Statur, der makellose Priesterkragen – alles an ihm strahlte asketischen Ernst aus.
Er, Kaspar Bibeliski-Hakedorn, Vicarius der Kirche vom Heiligen Hohlkreuz, war wahrhaftig ein aufrechter Mann Gottes.
Doch er wäre zwischen seinen verstaubten Bücherstapeln an Langeweile erstickt, hätte er nicht diese andere, finstere Seite in sich gespürt: Er war ein gnadenloser Fanatiker.
Schon als Kind hatte er seine jüngeren Brüder mit Maßregelungen gequält, wenn sie das Tischgebet nicht mit der gebotenen Inbrunst sprachen.
Im Beichtstuhl erfand er vorgeblich begangene Sünden, nur um zu prüfen, ob der Beichtvater das angemessene Strafmaß verhängte.
War es ihm zu milde, konfrontierte er den Priester mit eisiger Kritik. Er wollte keine Vergebung – er wollte Recht haben.
Ja, er verdiente den Beinamen, den sie ihm gegeben hatten:
Der Pedant des Herrn.
Das allein wäre in Priesterkreisen nicht weiter aufgefallen – war doch der überwiegende Teil seiner Standesbrüder pedantisch und selbstgerecht. Um aus der Masse hervorzustechen, bedurfte es besonders kruder Charakterzüge. Und Kaspar hatte sie.
Er war von der alleinseligmachenden Kirche vom Heiligen Hohlkreuz nicht nur überzeugt – er war regelrecht besessen.
Mit beißender Gewissheit spürte er, dass alle anderen Religionsstifter auf dem Holzweg waren und den wahren Willen des Herrn mit Füßen traten.
Und diese verweichlichten Allerwelts-Christen erst recht.
Weswegen sie auch verschwinden sollten.
Natürlich durfte man so etwas in diesen Zeiten der Verweichlichung nicht laut aussprechen. Und so trug er seine wahre Gesinnung im Verborgenen – wie ein Mörder den Dolch unter dem Gewand.
Als er von der Sache mit der Mystischen Fackel erfuhr, witterte er seine Chance. Eine Quelle unendlicher Energie. Ein sakrales Artefakt, das die Welt verändern könnte!
Kaspar spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Es war kein Zufall, dass er als Erster davon erfahren hatte. Es war die Vorsehung, die ihm eine heilige Mission auferlegte!
Bibelforscher hatten bisher unbekannte neutestamentliche Textfragmente auf lückenhaft erhaltenen Papyrusrollen untersucht – und eine sensationelle Entdeckung gemacht:
Von einer Mystischen Fackel war die Rede, gespeist von einer überirdischen Energiequelle – ein Relikt von unschätzbarer Macht.
Kaspars Finger verkrampften sich. Diese Fackel war nicht einfach ein Artefakt.
Sie war der Schlüssel zur ultimativen Macht. Wer die Fackel kontrollierte, würde nicht nur Energie lenken – er würde Gedanken formen, Überzeugungen schaffen, Seelen binden. Und er würde alles tun, um diese Macht an sich zu reißen. Koste es, was es wolle.
Der Weckruf
Der Tag, der sein Leben und das Schicksal von Fatalia für immer verändern sollte, begann für Leo erstaunlich unscheinbar. Ein leises Winseln drang in sein Bewusstsein. Danilo lag unruhig im Bett und stieß ein klagendes Geräusch aus – kaum mehr als ein Flüstern in der Stille. Leo zog sich die Decke über den Kopf. Doch Danilos beharrliches Wimmern ließ nicht nach und raubte ihm schließlich den Schlaf. Widerwillig richtete er sich auf. „Danilo, du alte Nervensäge. Es ist mitten in der Nacht.“ Seine Stimme klang heiser.
Er blinzelte verschlafen zum Wecker. Zehn nach zehn! Wie konnte das sein? Die Dunkelheit um ihn herum war dicht, beinahe unnatürlich. Keine schwachen Lichtstreifen durch die Vorhänge, kein fahles Schimmern der Morgendämmerung. Etwas stimmte nicht. Er fuhr hoch, griff nach dem Wecker und hielt ihn ans Ohr.
Er tickte ganz normal, also funktionierte er. Doch das beruhigte ihn nicht. Sein Herz schlug schneller. Er war nie ein Frühaufsteher gewesen, aber zehn Uhr morgens und es war noch Nacht?