Serengeti wird sterben - Klaus Heimann - E-Book
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Klaus Heimann

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Beschreibung

In Darmstadt trifft der Jagdclub Deutsch-Ostafrika zusammen. Die verschrobene Gesellschaft lässt sich von ihrem Mitglied Tembo dafür begeistern, eine komplette Elefantenherde zu bejagen. Einige Wochen später. Danny sitzt am Lagerfeuer eines Tented Camp mitten im Serengeti Nationalpark. Er spürt, dass die unberührte Wildnis etwas mit ihm anstellt. Danny hat das Gefühl, zum ersten Mal im Leben zur Ruhe zu kommen. Der Privatdetektiv hatte den Auftrag des Rechtsanwalts Dr. von Eberfels eher halbherzig angenommen. Er bestand darin, in Tansania korrupte Beamte zu enttarnen, die bereit wären, Massai von ihrem Land zu vertreiben. Von Eberfels gibt vor, die Bestechlichen mittels seiner politischen Kontakte aus ihren Ämtern entfernen zu wollen.

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SERENGETIWIRDSTERBEN

Klaus Heimann

editionoberkassel

INHALTSVERZEICHNIS

WIDMUNG

DARMSTADT

SERENGETI

LOLIONDO, ZEHN JAHRE ZUVOR

SERENGETI

WIESBADEN, SECHS WOCHEN ZUVOR

KÖLN

NGORONGORO

ARUSHA

KARATU

ARUSHA

WIESBADEN

ARUSHA

TARANGIRE

ARUSHA

LOLIONDO, EIN JAHR ZUVOR

ARUSHA

KARATU

ARUSHA

WIESBADEN

KÖLN

MASWA

SERENGETI

KARATU

ARUSHA

HAMBURG

DUBAI

ARUSHA

DARESSALAM

ARUSHA

DARESSALAM

ARUSHA

KÖLN

ARUSHA

KÖLN

LOLIONDO

LAKE MANYARA

EIFEL

LOLIONDO

ARUSHA

KILIMANJARO AIRPORT

SERENGETI

LOLIONDO

ARUSHA

LOLIONDO

ARUSHA

DARMSTADT

RØMØ

NACHWORT

KLAUS HEIMANN

DANK AN DIE LESERINNEN

IMPRESSUM

LESENSWERT

WIDMUNG

GewidmetderSerengeti

MögenbesonneneMenschenstetseineschützendeHandübersie halten und dafür sorgen, dass sie für immer lebt!

DARMSTADT

An jedem letzten Freitag in geraden Monaten traf er sich: DerJagdclubDeutsch-Ostafrika.ImDachgeschossderJugendstilvillaeinesMitglieds,gelegenaufderMathildenhöhe inDarmstadt.DerHochzeitsturm mit seinem markanten fünffingrigen Giebel lagganzin der Nähe.

SiesprachensichnichtmitihrenNamenan.MancheausihremKreishattendeneinenoderanderenvielleichtsogarschonvergessen.DieehrenwertenMitgliederwarenperDu,verwendetenaberbei ihren Treffen untereinander Tiernamen aus der ostafrikanischen Fauna, auf Suaheli, der dortigen Landessprache. NatürlichwardieseMarotteauseinerSchnapslauneherausentstanden.DieHerren trafen sich seit Jahren und hatten manchen männlichenUmtrunkbestritten.

Vorsitzender des Vereins war Tembo, der Elefant. Weniger wegen seines Erscheinungsbildes, eher wegen seines majestätischenAuftretens. Den Hausherrn nannten sie Simba, den Löwen. Daspasste gut zu seiner üppigen Mähne, die an Karl Marx erinnerte.Er verdiente sein Geld mit internationalem Kunsthandel. Damitwarer sehr erfolgreich.

Chui,derLeopard,besaßeinsommersprossigesGesicht.Twiga,dieGiraffe,überragtedieübrigeGesellschaftmitseinenzweiMetern deutlich. Duma, der Gepard, war der Jüngste in der Mannschaft. Als Sportsmann durch und durch bewegte er sich besonders geschmeidig. Seinen körperlichen Gegenpol in der GruppebildeteKiboko,dasNilpferd.Mamba,dasKrokodil,besaßschlitzförmige Augen. Heute fehlte nur Nyumbu, das Gnu, so gerufenwegenseines Kinnbarts.

Diese acht Männer bildeten den Jagdclub Deutsch-Ostafrika.Gästewaren nicht zugelassen.

SielegtenWertdarauf,einelitärerClubzusein.Mitglieddurftenur werden, wer notariell beglaubigt Vorfahren im Gebiet desheutigen Tansania nachweisen konnte. Mit Ausnahme von Sansibar, das zu Schutzmachtzeiten nicht zum deutschen Territoriumgehört hatte.

Wenigstens fünf Jahre mussten die Ahnen dort gelebt haben,sonst erfüllte man die Aufnahmebedingungen nicht. Manch einKandidat war dabei gescheitert, den Beweis für die Rechtmäßigkeit seiner Zugehörigkeit beizubringen. Das störte die übrigenHerrennicht. Lieber klein, dafür fein.

Die geistig-moralische Einstellung der Clubmitglieder, was dieehemalige deutsche Kolonie anging, durfte als streng konservativbezeichnetwerden. VondenUrvölkern Tansaniashieltensienichts,amwenigstenvondenen,dieihreTraditionennichtaufgeben wollten. »Wegjagen. Alle«, hieß es zu alkoholisierter Stundeschon mal. Nüchtern vermieden die Männer peinlichst jede Bemerkung,die sie entlarven könnte.

SelbstweiteAnreisenwurdennichtgescheut,umandenTreffen teilzunehmen. Twiga lebte zum Beispiel in Berlin. Erübernachtete an Clubabenden regelmäßig in Darmstadt, um amnächstenTagzurückzureisen.Daswarmitunternichtmitseinemengen Terminkalender vereinbar. Deshalb war er derjenige, deramhäufigsten fehlte.Heute warer jedoch gekommen.

Der Kreis durfte durchaus als wohlsituiert bezeichnet werden.DieJagdreisenwarenebensoelitärwieihreVereinigung.Sieführten immer ins ehemalige Deutsch-Ostafrika. Dort ließen sie dieHerrlichkeit der Kolonialzeit aufleben, schossen auf alles, was siesichkaufenkonnten,ließensichmitdenerlegtenTierenfotografieren, schafften auf dubiosen Kanälen Trophäen nach Deutschland.

Einige Exemplare hingen an den Giebelseiten des Dachstuhls,der als einziger, riesiger Raum ausgebaut war, getäfelt in dunklerEiche.

EinHorrorkabinettfürjedenTierliebhaber.

Tote, gläserne Augen starrten die Jagdgesellschaft an. Mancheine Trophäe stammte noch aus Kaisers Zeiten. Die Mähne desLöwen sah arg mottenzerfressen aus. Auch das Fell der GiraffehattezuLebzeitenbestimmtwenigerKahlstellenaufgewiesen.Beidiesenbeiden handelte es sich eindeutig um Erbstücke.

Drei der Männer besaßen auch Jagdpachten in Deutschland.DortfröntensieihremHobbyinderZeit,indersienichtinAfrikaseinkonnten.»UmnichtausderÜbungzukommen«,merkteKiboko gernean.DasbegleitendeleiseKichernsetzteseinenÄquatordabei regelmäßig in Erschütterung.

UmdenDachstuhlnichtnachTanzsaalaussehenzulassen,hatteSimbaeinpaarRaumteilerinFormvonRegalenaufstellenlassen.NatürlichinEiche,dunkel.InihrenFächernwurdenweitereAbsonderlichkeiten zur Schau gestellt, wie eine aufgerichtete Kobra,einausgestopfterKaimanoderderFußeinesElefantenbabys,der als Aschenbecher benutzt werden konnte. Dass nicht auchnoch der präparierte Kopf eines Afrikaners in den Raum stierte,hätte einen unbedarften Besucher fast gewundert. Der eines Gorillasbefand sich tatsächlich unter den Exponaten.

Die Herren saßen in dem Teil, den ein schwerer, mit reichlichSchnitzwerk geschmückter Tisch mit ebenso schweren Stühlenbeherrschte.VorihnenstandenPlatten,aufdenenverschiedensteKöstlichkeitenkredenztwurden.DieMitgliederdeselitärenClubsaßengenussvollvondenkleinenSchweinereien,während sie sich unterhielten. Dazu tranken sie edelste Weine. Simba warein absoluter Feinschmecker, der sich an ihren Abenden nichtlumpen ließ.

Eine ganze Zeit lang unterhielten sie sich gegenseitig mit ihrenJagdabenteuern.Diemeistenwarenallseitsbekannt.DerReizlagin der immer wieder neuen Ausschmückung ihrer Großtaten.Nur Tembo hielt sich zurück. Als sich die Herrengesellschaftlangsam ausgequatscht hatte, ergriff er das Wort. »An deinenWändenfehlt noch etwas,Simba.«

Der Hausherr wusste, was sein Gast meinte. »Schon klar. Zieh mich nur mit meiner vermasselten Jagd vor drei Jahren auf.«

»Mach dir nichts draus. Diese Trophäe fehlt noch manchem von uns«, tröstete Duma.

»Meint ihr nicht, es wird langsam Zeit, die Lücke zu schließen?« Ihr Vorsitzender hatte recht. Was an den mit glotzäugigen Tierköpfen geschmückten Wänden fehlte, war ein Elefant.

»Hast du was Konkretes?«, fragte Simba.

»Raus mit der Sprache«, ermunterte ihn Mamba.

»Nein, leider. Ich denke nur immer häufiger darüber nach, wie wir für jeden von uns einen Elefanten klarmachen könnten. Auf einer gemeinsamen Tour. Meine arabischen Freunde haben das schließlich auch geschafft. Sie haben eine ganze Herde über denHaufengeknallt.«

Simbas Blick schweifte zum Schachspiel im Regal, dessen afrikanischanmutendeFigurenausEbenholzundElfenbeingeschnitztwaren.»Eine ganzeHerde. Soso.«

Kiboko leckte sich die wulstigen Lippen. »Da wäre ich sofortdabei.«

»Wiewillstdudasanstellen?«,fragte Mamba.

»Soweitbinichnochnicht.Geeigneterscheintmiraberauf jedenFalldasLoliondo-Gebiet,woauchmeinearabischenFreunde zum Schuss gekommen sind.«

»Gibt es denn da ausreichend Elefanten? Wir sind schließlichachtLeute«,gabTwigazu bedenken.

»Da müsste man sich erkundigen. Direkt nebenan liegt aber,wieihr wisst, die Serengeti.«

Simba schüttelte seine ergraute Mähne. »Elefanten triffst dudortseltenaußerhalbderGrenzendesNationalparksan.Dasliegteinerseits an den Massai, die in dem Gebiet siedeln, andererseitsdaran,dassdieRangersiezurücktreiben,wennsieihnverlassen.«

»Darankönnte manarbeiten …«

»Du willst uns jetzt nicht vorschlagen, in der Serengeti zu jagen? Das ist mir zu heiß. Selbst bei Einwurf einer beträchtlichenSumme Schmiergelds würden sie uns hinter tansanische Gardinen stecken. Und die sind bestimmt längst nicht so schick wieschwedische!«,wurdeKibokoängstlich,wieesseinergrundsätzlichenNatur entsprach.

»Langsam, Sportsmann. Noch reden wir von unausgegorenenÜberlegungen. Ich wollte das Thema nur mal ansprechen, umeureMeinungeinzufangen.GesetztdenFall,ichpräsentiereeucheine gangbare Lösung, die völlig ungefährlich für uns ist: Wäretihr dabei? Das wird natürlich ein Sümmchen kosten, das solltejedemvon euch bewusst sein.«

»KommtaufdeinenkonkretenPlanan«,sagteSimba.

»Wir stellen uns in einer Reihe auf und jeder kriegt seinen Elefanten. Oder zwei. Oder drei. Wir knallen die ganze Herde ab«,schwärmteChui, derDraufgänger.

»Ich bin nur dabei, wenn wir definitiv kein Risiko eingehen«,machteKiboko zur Bedingung.

TembogrinsteüberdieallbekannteVorsichtseinesJagdkameraden.»Kaum.DasliegtgenausoinmeinemInteresse.Lasstmichmalweiternachdenken.VielleichtkannichauchmeineKontaktespielenlassenunddieLagevorsondieren.WennichalleInfosbeisammenhabe,stimmenwirüberdieSacheab.Ihrtretetselbstverständlich überhaupt nicht in Erscheinung und müsst nur eurenAnteilrüberwachsenlassen.WennwirfertigsindmitderKnallerei, lassen wir noch Fotos zum Andenken von uns machen undverschwinden unmittelbar darauf nach Hause. Die ausgestopftenTrophäen erhalten wir auf dem üblichen Weg. Nur dichthaltenmüsstihr.Zuniemandem einWort.«

»Dasverstehtsichvonalleine«,sicherteSimbazu.

»Wannsollesdennlosgehen?«,fragteTwiga.

»IrgendwannimHerbst.InunseremHerbst,meineich.SowaslässtsichnichtaufdenTagfestlegen,wieihreuchdenkenkönnt.«ReihumsignalisiertendieMännerihrEinverständnis.NiemandgabsichdieBlöße,nachdenKostenzufragen.SelbstKiboko beruhigte sich damit, dass die Vorbereitungen, sollten sie entdecktwerden,sämtlichTembozurLastgelegtwerdenwürden.IhreNamenkämenzukeinemZeitpunktinsSpiel.UnddieVerschwiegenheit, die sein Clubkamerad geradevon ihnen eingeforderthatte,warunterihneneineSelbstverständlichkeit.Diesbezüglich hatte bisher niemand die Kameraden enttäuscht.

»Liebe Jagdgesellschaft, nach einem solchen Beschluss solltenwir uns gemütlicher hinsetzen. Gehen wir hinüber in die Safari-Lounge«,lud Simba seine Gäste ein.

Der Hausherr führte den Zug an und die Männer wechseltenin ein anderes Segment des Dachstuhls. Hier standen Sessel, diemitGepardenfellbezogenwaren.AufniedrigenTischchen,derenGlasplatten von ausgestopften Pavianen gehalten wurden, standenKnabbereienbereit.EinerderAffentrugseineLastaufdem gebogenen Rücken, ein anderer in Sitzhaltung auf Kopf und beiden Händen – eine Pose wie ein Abbild von King Louie aus demDschungelbuch. Dabei zeigte er seine gefährlichen langen Zähne.Ein Muttertier mit einem Jungen unter dem Bauch balanciertedie Platte auf dem Schwanz und einem Arm. Die Haltung allerdreiTischträgersahwenignatürlichaus,wasdemSchöpferdieserMöbelaugenscheinlichunwichtiggewesen war.

Die Herren setzten sich. Chui und Mamba nahmen die kubanischen Zigarren, die Simba seinen Jagdkameraden anbot, dankend an. Er holte sie aus einem Humidor und gab ihnen Feuer.ChuiundMambabliesendenRauchinKringelngenFirst.Kiboko hatte der Arzt das Rauchen untersagt. Die anderen EhrenwertentoleriertendieRaucher.DerwürzigeDuftderZigarrengehörteirgendwie zuihrem Bild vonkolonialer Exotik.

Der Gastgeber entnahm einem aufgeklappten, antiken Globuseine Flasche. »Wir begießen die Sache mit einem besonderenTropfen, schlage ich vor. Ein Whiskey, dreiunddreißig Jahre alt.Den haben sie im Fasslager in Schottland übersehen. Zehn FlaschendiesesGoldtröpfchenshabenesnachDeutschlandgeschafft.Diesist einedavon.Wermag?«

Allemochten.SimbanahmeinenSatzGläserauseinemSchränkchenundgossvorsichtigein.AufeinenderPavian-Tischestellte er ein tönernes Gefäß mit schottischem Wasser, darin einpaarGlaspipetten.

»Eine Regel besagt: Pro Jahr soll er eine Minute atmen. Jetztmacht keine langen Gesichter. Seit wann halten wir uns an Regeln?«

DieRundelachte.

Während die Herren den alkoholischen Nektar über ihre Zungenrieselnließen,jenachGeschmackmiteinpaarTropfenWasserexperimentiertenundgenussvollschnalzten,sprachensieweiterüber das großebevorstehende Jagderlebnis.

EndlichElefanten!

EinenormesGeschenk,MitgliedindiesemelitärenClubseinzu dürfen!

SERENGETI

Daniel Amtmann war gestern um die Mittagszeit auf dem Kilimanjaro Airport gelandet, dem Haupt-Einfallstor für Safari-TouristeninTansania.GestartetwareramVorabendinFrankfurtmitZwischenstopp in Addis Abeba, der äthiopischen Hauptstadt.Kurz vor der Landung hatte er den Kilimanjaro bewundert, dashöchsteBergmassivAfrikas,dasmitweißerSchneekappeausdenWolkenragte.SeineFormverrietdieEntstehungalsVulkan.DerFliegerhattedasMassiv umkurvt,eheer indenSinkflugging.

SeineMitreisendenhatteeraufdemParkplatzvordemFlughafen kennengelernt. Den Glatzkopf mit dem üppigen Vollbart,dessen Namen er gleich nach der Vorstellungsrunde wieder vergessen hatte, geschätzt Mitte vierzig, auffällig klein und drahtig.Familie Großlüder aus Bremen mit den Kindern Grit und Ralf.DasetwaspummeligeMädchenwardeutlichälteralsihrBruder,etwa dreizehn. Sie versuchte beim Sprechen ständig, ihre Zahnspange zu verbergen, was dazu führte, dass sie oft unverständlichnuschelte. Der ungefähr neunjährige Ralf kam dafür manchmaletwasaltklugumdieEcke.ImGrundeeineliebenswürdigeFamilie.BesondersdieallzeitumihreBrutbesorgteMutter.

In einem Kleinbus des Veranstalters waren sie zu ihrer erstenUnterkunftinKaratugebrachtworden–eineFahrtvonetwavierStunden. Hier hatten sie ihr erstes Quartier in einer Lodge bezogen, nicht weit von der Hauptstraße gelegen. Beim Abendessenmachte sich ihr Reiseführer Manfred Wandstrup, der aus Norddeutschland stammte, mit ihnen bekannt. Ein sympathischerTyp.

SeineersteNachtinTansanialaghinterihm.HeuteMorgennieselte es seicht. Das Grün der exotischen Pflanzen auf dem Arealder Lodge leuchtete frisch. Daniel ging ohne RegenbekleidungoderSchirmzumRestaurantundwurdetrotzdemkaumnass.FürdieGästewareinBuffetvorbereitet.DasAngebotderSpeisenbesaß durchaus europäischen Standard. Er bestellte Kaffee undnahmamselbenTischPlatz,denseineReisegruppeamVorabendbelegthatte. Baldtrudelten auch seineMitreisenden ein.

Keine Stunde später ging es los. Vor der Lodge stand ein sechssitziger Land Cruiser mit weiteren Plätzen für Fahrer und Beifahrerbereit.ManfredWandstrupwartetebereitsaufsie.EinEinheimischerstandbeiihm.ErstelltesichalsihrFahrervor.Mitihm,Zakayo, würden sie jetzt auf Safari gehen, was auf Suaheli so vielwie»Reise« hieß.

NureineeinzigeStraßeführtvonKaratuindenSerengeti Nationalpark.SieverläuftaufdemRanddesNgorongoro-Kraters.Biszum Eingangstor der Ngorongoro Conservation Area, die von Karatu kommend der Serengeti vorgelagert ist, trägt die Straße eineAsphaltdecke.

Zakayo hielt den Wagen in der Nähe des Torbogens an undginginsBüro,umdieFormalitätenfürdieEinfahrtinsSchutzgebiet zu erledigen. Dann fuhren sie auf regenfeuchter, rutschigerLehmpisteweiter,langeZeitineinerKolonneausmehrerenLand Cruisern mit Touristen an Bord hinter einem wenig vertrauenerweckenden Lastwagen. Zu allem Überfluss hatte sich Nebel überdie Landschaft gelegt. Daniel bewunderte ihren Fahrer für seineSicherheit am Steuer bei diesen schwierigen Sicht- und Straßenverhältnissen.

AmStraßenrandtauchteschemenhaftdasbizarreAstwerkwindzerzauster Bäume auf. Bei ihremAnblick dachte Daniel unwillkürlich an die Ballade vom Erlkönig. Plötzlich, wie aus demNichts, standen Zebras am Straßenrand. Zwei Tiere, die sichnicht von der Wagenkolonne verscheuchen ließen. Die Kinderstießenverzückte kleine Schreie aus.

IrgendwannüberholtensiedenLastwagenineinematemberaubenden Manöver. Neben der Gedenkpyramide für Vater undSohn Grzimek hielt Zakayo kurz an, damit jeder zu seinem Fotokam.Erwusste,welcheFotosdeutscheTouristenmitindieHeimat bringen wollten.

Je weiter sie vom Kraterrand des Ngorongoro aus talwärts fuhren, desto mehr klarte das Wetter auf. Am Horizont waren nochBergezusehen,ansonstensäumteGrasland,gesprenkeltmitSchirmakazien, die jetzt trockene, staubige Straße. Weiter hintenimGelände entdeckteDanny Siedlungender Massai.

Am Eingang zum Serengeti Nationalpark legten sie eine halbstündige Pause ein. Im Schatten eines Baums, auf Bänken an einem Tischsitzend,plündertediekleineReisegesellschaftdieLunchboxen, die ihnen vonseiten der Lodge mitgegeben wordenwaren.UmdieheruntergefallenenKrümelbalgtensichGlanzstare. Zakayo erledigte unterdessen wieder Anmeldeformalitäten.Nur lizenzierte Safarianbieter erhielten Zutritt zur berühmtestenSavanneAfrikas.DerParkplatzwarbelegtmitihrenLand Cruisern,den Königen derunbefestigten Pisten.

Ungefähr so etwas wie »endlose Ebene« bedeutete Serengeti inderSprachederMassai.NachderMittagspausefuhrensiehineinund wurden von einer schier endlosen, baumlosen Ebene empfangen.ManfredWandstruperklärteihnen,dassdiesdieKinderstube der Serengeti sei. In der entsprechenden Jahreszeit würdenhier Tausende Zebras und Gnus kalben. Im Vorbeifahren entdecktensiejetztnureinpaarImpalasundeineHandvollKuhantilopen. Zakayo nutzte einen Fotostopp, um das Dach des Land Cruisers aufzustellen. So war es den Reisenden jederzeit möglich,sichhinzustellenundmitbesterSichtTiere zubeobachten.

KeinenKilometerweiterhieltderFahrerdenToyota wiederan.Erst jetzt entdeckte die Reisegruppe die Löwin mit ihren zweihalbwüchsigenJungen.DreiWarzenschweinelöstensichausdemGras.SteilragtenihreRutenmitdenQuastenauf.AntenneTansanias nannte man Warzenschweine scherzhaft wegen ihrer Eigenart,denSchwanzaufzurichten,wussteManfredWandstrupzuberichten.LangsamundgeduckterhobsichdieLöwinvonihremRuheplatzund fixierte die möglicheBeute.

Im Land Cruiser hielt es niemanden mehr auf dem Sitz. KameraswurdenmitTeleobjektivenbestückt,Ferngläserhin-undhergereicht.DieLöwinsprangaufundsetztezumSpurtan.ZweiderWarzenschweine drehten sich um die eigene Achse und liefen inRichtungdes Autos.

DieLöwinschiendasdritteTieralsBeuteauserkorenzuhaben,dasschrägaufdenStraßenrandvormToyota zulief.Währendseine Artgenossen hinter dem Wagen vorbeischossen, querte es diePisteetwazehnMetervordemKühler.WenigeAugenblickespäterfolgteihmdieLöwin,einmuskulöses,wohlgenährtesTier.Siebetrieb ihre Jagd zu halbherzig. Die Raubkatze stoppte auf derFahrbahnundtrabtelässigdirektaufdieverzückteTouristenscharzu. Sie sprang die gegenüberliegende Böschung hoch und bliebdortsitzen,höchstensdreiRumpflängenvonihremFahrzeugentfernt.

DieKamerasklickten,Handyswurdenhochgerissen.SelfiemitLöwin– auf so einBild wartete die Heimat!

Daniel hatte keine Kamera mitgenommen. Ein Fehler vielleicht.AberausdieserEntfernungließsichselbstmitdemSmartphoneeinevernünftigeAufnahmemachen.AlssieihrShooting absolvierthatte,trottetedieLöwinzurückzuihrenJungen.

Zakayofuhrweiter.BaldstülptensichausdemGraslandKopjes empor.AufeinemdieserGranitfelsen,etwadieLängeeinesFußballfeldesvonderStraßenkanteentfernt,aaltesichgleicheinganzesRudelLöweninderSonne.WiederklicktendieKameras.

UmdieseJahreszeit,EndeAugust,gabeswenigWasserimNationalpark.DieFlüsseimZentrumbestandennurnochauseinerAneinanderreihung von Tümpeln. Sie waren in der Landschafthauptsächlichdaranzuerkennen,dassihreUfervoneinerandersartigen Vegetation gesäumt wurden. An einem der Wasserlöcherentdeckten sie eine Elefantenherde. Vorsichtig führten die KüheihreKälber heran.

Halbstarke rangelten spielerisch miteinander. Daniel hörte beiachtzehn auf, die erwachsenen Tiere zu zählen. Fünf Kälber unterschiedlichenAltersführtedieHerdemitsich.Tapsigundnochunsicher in der Benutzung, ließen die Kleinsten ihre Rüssel kreisen. Vierzigtausend Muskeln zu beherrschen wollte gelernt sein!Irgendwann hatten die Elefanten genug geplanscht und getrunken.Behäbig,beinahezeitlupenhaft,zog dieHerdeab.

Am nahe gelegenen Fluss sahen sie noch Krokodile und eineGruppeNilpferde.DieEchsenlagenreglosamUfer,vondenNilpferdenragtennurOhren,NüsternundRückenausdemWasserheraus.HättenichteinesderTieregegähntunddabeiseineimposantenHauerpräsentiert,wäredieReisegesellschaftumdaseinziginteressanteFoto betrogenworden.

Ein Stück weiter tauchte wieder eine Gruppe SafarifahrzeugeamStraßenrandauf.Allewusstenmittlerweile,wasdasbedeutete.Es gab etwas zu entdecken.

»GepardumvierUhr«,meldeteDanielalsErster–einigermaßen stolz darauf. Das Safari-Virus hatte ihn voll angesteckt. AufdasUhrsystem hatten sie sich bei derEssenspause verständigt.

Wieder hasteten alle von den Sitzen. Zuerst lag der Räuber imSchatten, dann stand er auf und lief weiter ins Gelände hinein.DieRaubkatze entfernte sich von ihnen.

ManfredWandstrupbesprachsichmitZakayo,wasderGepardwohl vorhätte. Sie einigten sich darauf, den nächsten Abzweig zunehmen und im Halbrund um die Stelle der Sichtung herumzufahren.KeinefünfMinutenspäterhieltderLand Cruiser ineinerkleinen TraubeandererSafarifahrzeugenebeneinerGruppeThomson-Gazellenerneut an.

Alle im Touristik-Abteil des Wagens hängten sich in den AusguckunterhalbdeshochgestelltenDachs.EinegewisseSpannunglaginderLuft.DieGruppeahnte,dassetwasBesonderesgeschehenwürde.

Sie mussten nicht lange warten. Verborgen im hohen GraspirschtederGepardingeduckterHaltungandieGazellenheran.Plötzlich beschleunigte er. Als ihn die ersten Thomsons bemerktenundlossprinteten,nahmerrichtigFahrtauf.SeineBewegungerinnerte Daniel an den sprichwörtlichen Pfeil, der von der Bogensehne schnellt.

Der Gepard kam bis auf zwei Körperlängen an die panikartigflüchtendenTiereheran.Esreichtenicht.DerVorsprungderGazellen war groß genug, um ihm zu entwischen. Die Raubkatzegab auf und suchte mit pumpenden Lungen den Schatten einesDornbuschs auf, ganz in der Nähe des Wagens. Dort setzte siesichauf die Hinterpfoten.

Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert. Die KamerashattenwährendderganzenAktionpausenlosgeklickt.DanielsahindenGesichternderMitreisenden,wiefasziniertallewaren.

Grit äußerte sich schadenfroh darüber, dass der Gepard leer ausgegangenwar.

Die Fahrt ging weiter. Sie sahen Zebras, Gnus, Büffel, nochmehrAntilopen,nochmehrWarzenschweine,nochmehrElefanten, unzählige Vögel. Keines der Tiere scheute vor ihrem Auto.Eher blieben sie neugierig stehen. Ein Garten Eden, in dem dieTiere den Menschen nicht als Feind erkannten. Sie begegnetenihm neutral.

Plötzlich tauchte am Straßenrand ein mächtiger Elefantenbulleauf,einEinzelgänger.SeinlinkerStoßzahnbestandnurnochauseinemStumpf.Woerabgebrochenwar,zeigtederZahneinemuschelförmigeStruktur.ZakayofuhrdenLand Cruiser sonaheheran, dass Daniel den grauen Riesen selbst mit dem Smartphonenurin Ausschnitten aufs Bild brachte.

DerElefantenbulleließeintiefesBrummenhören.Dannsetzteer sich in Bewegung und kreuzte in unaufgeregtem Tempo dieStraße.DieborstigeQuasteanseinemkurzenSchwanzschienihnenzum Abschied zuzuwinken.

Das letzte Abenteuer des Tages bescherte ihnen eine Löwin, diedirekt neben der Piste ein Stück Aas bewachte. Sie sah älter undschlechtergenährtausalsihreArtgenossinvomParkanfang.FliegenumkreistendiestinkendenRippenknochendesausdemGrasaufragendenKadavers.

ManfredWandstruperzählte,dassLöwennurungernAasfressen.WelchesSchicksalmochtediealteLöwinmitsichtragen,dassiezu diesem Ausweg nötigte?

RedlichgeschafftvondenvielfältigenEindrückendesTageskamen sie am ersten Abend in einer Lodge am Rande des Nationalparks an. Die Erwachsenen fassten sich nach dem Aussteigen insKreuzunddehntenihrenRücken.UnterwegshattensiedasHolperndesWagensaufdenschlaglochübersätenPisten»Afrikamassage« getauft. Die ruppige Behandlung hatte ihren Wirbelsäulenheftig zugesetzt!

Am nächsten Tag fuhren sie ziemlich lange, ohne dass sich neuesAufregendesereignete.MaleinSchabrackenschakal,maleinStrauß, ein Geier, der auf der obersten Baumspitze Ausschauhielt. Dann zeigten sich dunkle Schwaden am Horizont. EinBuschfeuer.

Manfred Wandstrup erklärte ihnen, dass diese Brände zur Serengeti dazugehörten. Sie sorgen für bestimmte Nährstoffe unddafür,dassdieSavannenichtverbuscht.Daswarwiederumwichtig, damit genug Gras wächst. Nur so bleibt die Tierwelt der Serengetierhalten,wiesieist.TrotzdemwirkteeinFeuernebenderStraßeauf alle bedrohlich.

ZakayolenktedenWagenaufeineNebenstraße.WenigeMeterweiter gaben die Bäume den Blick auf einen sanft ansteigenden Hang frei. Überall schwarze Punkte: Gnus. Vereinzelt mischten sich Zebras darunter.

Ihr Fahrer wendete und fuhr zurück auf die Hauptverkehrsader. Sie folgten ihr bestimmt eine halbe Stunde. Überall rotteten sich Gnus zu Herden zusammen. Durch sie begleitet, erreichten sie den Mara-Fluss. Eine einspurige Überführung – Brücke wäre ein zu stolzes Wort für die Betonpiste knapp über dem Wasserspiegel gewesen, unter der der Fluss hervorschoss – führte ans jenseitige Ufer. Zakayo überquerte sie im Schritttempo.

Sie wurden von einer Gruppe Giraffen empfangen. Drei Tiere, deren geflecktes Fell jeweils einen anderen Braunton aufwies. Aus sanftmütigen Augen blickten sie die Reisegruppe im Land Cruiseran. Sie ließen sich nicht stören. Unaufgeregt kauten sie weiter, indem sie ihre Kiefer gegeneinander verschoben. Die Grimassen, die dadurch entstanden, brachten die Kinder zum Lachen.

Wenig später erreichten sie einen Platz, an dem mindestens zwanzig weitere Land Cruiserin langer Reihe auf irgendetwas warteten. Zakayo ergatterte einen der letzten Stellplätze und stoppte den Motor. Am gegenüberliegenden Ufer des Mara, oberhalb einer beinahe senkrechten Böschung, fünfzehn oder gar zwanzig Meter hoch, standen sie. Gnus, Gnus, Gnus. Manfred Wandstrup hüllte sich über die Bedeutung dieser Anrottung in Schweigen und bedeutete seiner Gruppe, sich still zu verhalten.

Eine Dreiviertelstunde mussten sie warten, ehe es passierte. Von hinten drängten immer mehr Gnus nach, und die vorderste Reihe am Abgrund hatte Mühe, die Balance zu halten. Dann glitt das erste Tier die Böschung hinab und mehrere stürzten hinter ihm her. Zakayo beeilte sich, den Wagen näher an das Schauspiel heranzufahren. Er ergatterte einen guten Aussichtspunkt.

Das Wasser unterhalb der Böschung schien zu kochen, so wurde es von den schwimmenden Tieren aufgewühlt. An der Flanke der schwimmenden Herde ging einer der Tierleiber unter. Krokodile!

Die Augen der schwimmenden Gnus quollen vor Panik aus den Höhlen. Zungen hingen aus Mäulern, Kehlen rangen nach Luft, Beine strampelten panisch. Die ersten Tiere kletterten am diesseitigen Ufer aus dem Fluss. Dort entstand ein riesiges Gedränge: Die Ersten kamen nicht schnell genug an Land, wurden von den Nachfolgenden überrannt. Kälber verschwanden unter den Körpern Erwachsener.

Von den tropfenden Leibern wurde der Hang eingefeuchtet und rutschig. Hufe fanden keinen Halt mehr. Im Wasser entstand ein Rückstau. Unterdessen ging das Fressen im Flussbett weiter. Die Krokodile rissen Stücke aus ihrer Beute, indem sie sich im

Wasser um die eigene Achse drehten. Die meisten Gnus entkamen trotzdem. Es waren zu viele.

Im Wagen, wie auch in den anderen ringsherum, herrschte absolute Stille. Teleobjektive und Ferngläser fingen die Bilder des Schauspiels ein, Hände wurden über dem Kopf und vor dem Mund zusammengeschlagen.

Die Reisegruppe war wie betäubt von den kraftvollen Bildern, die ihnen die unverfälschte Natur bot. Hier griff niemand ein, baute etwa eine Wildbrücke, um den Gnus eine unbeschadete Passage zu ermöglichen. Seit Jahrtausenden zahlten sie am Mara- Fluss ihren Blutzoll, damit sie nicht auf abgegraster Weide verhungerten.

Ein Kreislauf des Lebens, ein Kreislauf der Erneuerung. Seine Opfer blieben am Rand liegen, sorgten dafür, dass andere Kreisläufe in Gang gehalten wurden.

Irgendwann war der Spuk vorbei. Die Herde hatte die Flussüberquerung geschafft. Nur einzelne Gnus waren am Ende gerissen worden. Die Ersten grasten schon wieder, als wäre nichts geschehen.

Zakayo und Manfred Wandstrup wählten nun Straßen abseits der großen Touristenströme. Oft erlaubte ihnen die Wegführung einen Blick auf den Mara-Fluss. Ein Nilpferd wagte sich aus dem Wasser, und sie beobachteten das massige Tier eine Weile. Krokodile lagen auf Sandbänken unbeweglich in der Sonne. Die größten Exemplare maßen bestimmt fünf oder mehr Meter. Ein Elefant stillte am Ufer seinen Durst. Seine Silhouette spiegelte sich malerisch im Nebenarm des Flusses, dessen Oberfläche im Gegensatz zum Hauptstrom glatt vor ihnen lag.

Die Straßenverhältnisse hier waren besonders prekär. Manch ausgewaschenes Schlagloch besaß durchaus Reifenhöhe. Wieder trafen sie auf Gnu-Herden. Unendlich schien ihr Bestand in der Serengeti zu sein.

Geier kreisten am Himmel. Ein Schwarm der Vögel hockte neben einem Kadaver am Boden. Sie gingen mit ausgebreiteten Schwingen zeternd aufeinander los. Keiner schien dem anderen einen Bissen zu gönnen. Mit Drohgebärden verteidigten die Stärkeren ihren Fund. Die ersten Enttäuschten flogen davon, um sich einen anderen Happen zu suchen.

Später trafen sie noch auf Büffel, mehrere Antilopenarten, mehr Zebras. Alle Mitreisenden erfasste ein ehrfurchtsvolles Staunen über die reiche Tierwelt, die unendlich scheinende, menschenleere Landschaft. Gegen Abend hatten sie sich jedoch müde gesehen, und alle waren froh, als sie das für die Übernachtung vorgesehene Tented Camperreichten, eine Lodgeaus Zelten innerhalb des Nationalparks.

LOLIONDO,ZEHNJAHREZUVOR

Dürre herrschte im Land. Die Frauen und Mädchen waren gezwungen,immerweitereWegezugehen,umdaskostbareWasserherbeizuschaffen.DieSavannefiebertederkleinenRegenzeitentgegen.

Rorian stand bei seiner bescheidenen Ziegenherde und stütztesich auf seinen Hirtenstab. Friedlich streiften die Tiere durchsGras, rupften die letzten trockenen Halme, beknabberten Büsche. Sie zeigten keinerlei Anzeichen von Unruhe, der beste Beweisfürihn,dasskeineRäuberoderandereGefahreninderNähelauerten.Zeit zu träumen.

DieTräumeeinesMassai-Jungen.VondenvielenKühen,dieereinstbesitzenwürde.Großvaterhatteihmerzählt,dassEngai,derGottdesRegensundderSchöpfer allen Viehs, die Massai mit den Rindern beschenkt hatte. Außer ihnen durfte kein anderes Volk auf der Erde welche besitzen.

Rorian träumte davon, zur Emuratta, der Beschneidungszeremonie, zugelassen zu werden. Vor den Schmerzen hatte er keine Angst. Schließlich war er ein mutiger Junge. Kein Laut würde seine Lippen verlassen, kein allerkleinstes Zucken würde über sein Gesicht huschen, wenn der Beschneider sein Messer ansetzte. Dann würde er zum Moran, zum Krieger, und würde wie sein ältester Bruder zu den jungen Männern ziehen, die in einer eigenen Siedlung lebten, einer Boma, wie man solche Dörfer bei ihnen nannte. Sie würden zusammen vorm Kral des Dorfes der Moran, der als Schutz vor Raubtieren aus aufgeschichteten Dornenzweigen bestand, eine Ziege schlachten, ihr Blut trinken und ihr Fleisch braten. Frauen und Kinder erhielten zu solchen Anlässenbloß die Reste vom Festmahl. Wenn sie Glück hatten. Nur bei Feierlichkeiten wurde auch ihnen wertvolles Fleisch zugeteilt.

Eines seiner Kitze schien mit dem Hinterlauf in einem Strauch festzuhängen. Es meckerte kläglich und versuchte, sich mit dem Maul von den Zweigen zu befreien. Rorian ging zu ihm, um dem jungen Tier zu helfen. Wäre er doch endlich alt genug, die Rinder zu hüten! Ziegen waren was für Kleinkinder. Er befreite das Kitz, und es setzte blökend hinter seiner Mutter her.

Die Sonne kroch auf den Horizont zu. Es wurde Zeit, die Herde in den Kral zu bringen. Pfeifend und den Hirtenstock schwingend, trieb Rorian die Ziegen zur Bomahinüber, die in Sichtweite lag.

Plötzlich erfüllten weit entfernt Geräusche die Luft. Ein Brummen, das er kannte, das aber hier in Ololosokwan nichts zu suchen hatte. Er blickte sich suchend um. Nein, es war keine Täuschung, wie ihm die in der Ferne aufsteigenden Staubfahnen signalisierten. Dort hinten waren mehrere Fahrzeuge unterwegs. Sie näherten sich in erstaunlichem Tempo. Das Brummen ihrer Motoren war bald voneinander unterscheidbar.

Die Armada der Autos überholte ihn und hielt direkt auf die Bomazu. Rorians Ziegen stoben verschreckt auseinander. Es würde vollends dunkel werden, bis er sie alle eingesammelt hatte. Er hasste die braun-beige gekleideten Männer in den Autos. Was hatten sie hier überhaupt zu suchen? Und dann so viele!

Mühsam trieb er seine Herde Tier für Tier zusammen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Ziegen wieder beruhigten und willig von ihm führen ließen. Rorian blieb keine Zeit, sich um die Männer in ihren Autos zu kümmern.

Aber was war das? Woher kam der Brandgeruch?

Der Massai-Junge blickte sich zur Bomaum. Im Licht des spä‐ten Abends sah er Flammen im Dorngestrüpp des Krals züngeln. Und dahinter? Nein! Auch die Hütten brannten!

Die Ziegen waren jetzt egal. Er musste wissen, was da vor sich ging. Vielleicht konnte er löschen helfen.

Rorian rannte los. Keuchend erreichte er die Boma. Der Qualm biss ihm in Augen und Lungen. Zwischen lodernden Dornenzweigen durchschritt er die Öffnung im Kral. Im Innern zogen die Männer in den braun-beigen Uniformen durchs Dorf und setzten alles mit Fackeln in Brand. Er lief zu der Hütte, in der er mit seiner Mutter lebte. Sie schien noch unversehrt zu sein. Er trat in den verrauchten Innenraum. »Mama?«

Ihr Zuhause war bisher nicht angezündet worden. Nur die Reste eines Feuers glommen auf der Herdstelle. Der Qualm stammte von dort. Weiter hinten, von der Schlafstatt her, hörte er seine Mutter wimmern. Rorian strengte seine Augen an. Wer lag da auf ihr? Was trieb dieser Jemand mit seiner Mutter?

Er ging näher heran. Es war einer der Männer mit der braun- beigen Kleidung. Er umklammerte seine Mutter, die versuchte, ihn abzuschütteln. Sein Hinterteil war entblößt, hob und senkte sich im fahlen Licht der Herdstelle. Sein Vater erlaubte das nur wenigen Männern. Bei diesem hier sah es falsch aus. Er gehörte nicht zu seinem Volk, den Massai. Rorian musste seine Mutter von diesem Kerl befreien!

Entrüstet holte er mit seinem Hirtenstab aus und klatschte ihn dem Fremden aufs Hinterteil.

»Au! Na warte, du kleine Wanze!«

Der Mann sprach Suaheli. Nicht Maa, die Sprache der Massai. Rorian verstand beides. Er begriff die Drohung.

Der Fremde löste den Klammergriff um seine Mutter und sprang auf. Seine Faust traf den kleinen Massai mitten ins Gesicht. Rorian stolperte rückwärts, fand keinen Halt und donnerte mit dem Hinterkopf an die Wand der Hütte. Dann wurde alles schwarz um ihn herum.

Er wurde wach von einer wiegenden Bewegung. Neben sich saher das Gesicht seiner Mutter. Alles war gut. Rorian verlor erneutdasBewusstsein.

AlserdasnächsteMaldieAugenöffnete,blickteerindieSternenprachtder Nacht.

Er wurde getragen, das spürte er. Es waren die starken Arme seines Vaters, die ihn fortschleppten.

Erst jetzt spürte Rorian den stechenden Schmerz in seinem Kopf. Er biss sich auf die Lippe, um nicht zu weinen. Sein Vater sollte einen künftigen Morannicht dabei erwischen, dass er flennte wie ein feiges Mädchen.

»Was ist passiert?« Das Sprechen fiel Rorian schwer und es war mehr ein Flüstern.

Trotzdem hatte ihn der Vater verstanden. »Sie haben uns fortgejagt.«

»Fort? Wohin?«

»Das war denen gleichgültig. Und wir wissen noch nicht, wohin.«

»Die Ziegen. Ich habe sie alleingelassen.«

Er erwartete, dass ihn der Vater dafür bestrafte.

»Die Ziegen sind jetzt nicht wichtig. Sie haben auch die Kühe vertrieben.«

»Warte, ich hole die Ziegen!«

Rorian versuchte, sich aus den Armen des Vaters zu befreien. Eine Geste der Hilflosigkeit. Er merkte, dass er dazu viel zu schwach war.

»Ruhig, mein Sohn. Du warst tapfer, als du diesen Unhold schlugst. Mama hat mir alles erzählt.«

»Wo ist Mama?«

»Dort. Sie geht direkt neben uns.«

Rorian drehte den Kopf zur Seite. Tatsächlich. Dort ging ein Wesen, das seiner Mutter glich. Aber ihr Gesicht war nicht dasselbe. Er erinnerte sich daran, dass ihr Blick vorhin schon so leer gewesen war. Seine Mutter sah aus, als wäre sie gestorben.

Dem tapferen Massai-Jungen Rorian, dem künftigen Moran, liefen erste TränenüberdieWangen.

SERENGETI

NiehätteDanielgedacht,dassihneineGegendderartinsichaufsaugenkönnte.Menschenleer,nurbesiedeltvonTieren.Ihnaufsaugte, einen Städter durch und durch. Der schon unruhig wurde, wenn in einem Umkreis von drei Kilometern kein Fitness-Studio,keineFernsehermitSportprogrammenundkeineKneipeverfügbar waren. Ihn, der Straßenlärm jedem angeblich romantischen Grillenzirpen vorzog. Einen bewegungshungrigen, hektischenMenschen,dereskaumaushielt,wennereineStundezumSitzengezwungenwar.Einen»Zappelphilipp«,wieihnseineFrauAlmuth gerne bezeichnete, die auch deshalb getrennt von ihmlebte,weil sie seine Unruhenicht aushielt.

Daniel saß am Lagerfeuer des Tented Camp und hatte das Gefühl,dasersteMalinseinembaldvierzigjährigenLebenzurRuhezu kommen. Hinter ihm lagen Stunden voller Inspiration, angefüllt mit einzigartigen Eindrücken. Stille Freude breitete ein weiches Tuch über ihn aus, umhüllte ihn, schirmte ihn ab vor sichselbst.

ErempfandtiefeZufriedenheit,derenUrsprungihmunerklärlichgewesenwäre,hätteerüberhauptnachgeforscht.EineZufriedenheit,diesichnurausdemspeisenkonnte,wasergeradeerlebte,dieder Serengetientsprangwie eineQuelle guterGaben.

ErstarrtegedankenverlorenindasWerdenderNacht.DieSonnestanddirekthinterdenFlammendesLagerfeuerstiefamHimmel. Ihr Untergang versprach nicht unbedingt, ein spektakuläresEreignis zu werden. Ein paar angepinselte Wölkchen, ein zartes,oranges Licht – das war alles. Er hatte schon aufregendere SonnenuntergängeaufdieserErdkugelmiterlebt.AberdieArt,wie sichderTagheuteverabschiedete,passtezurmilden,unaufgeregten Landschaft.

DanielhörtevonFernedieFrage,obernochetwastrinkenwolle.»Serengeti«,bestellteer.SohießeinederdreiverfügbarenBiersorten.

SeineMitreisendensaßenschweigendimHalbrundnebenihm.Gelegentlich schickte ihm der Glatzkopf mit dem üppigen Vollbart einen undefinierbaren Blick herüber. Als wollte er ihn beobachten. War er möglicherweise schwul? Daniel kam nicht dahinter.

Ganz außen saß Manfred Wandstrup. ZusammengenommenwarendasalleGäste,dieandiesemAbendimTented Camp erwartetwurden.EineWagenladungTouristen.

DerMitarbeiterdesCampsbrachtedasbestellteBier.HierwurdeausderFlaschegetrunken.DurstigsetztesieDanielandieLippenund leerte sie in einem Zug halb.

Die Kinder sprangen plötzlich auf, und Ralf lief vor seinerSchwester davon. Er schien ihr irgendetwas gemopst zu haben,dennsie rannte keifendhinter ihm her.

Vater Großlüder schritt ein: »Jetzt setzt euch wieder. Gleich istdieSonne verschwunden, danngehen wir ins Zelt.«

Das Tagesgestirn versteckte sich zunächst hinter einem Dunststreifen, dann versank es innerhalb von Minuten ganz. UngewohntschnellübergabdieSonnedasRegimentandieNacht.EinPhänomen, das in direkter Äquatornähe überall auf der Welt zubeobachtenwar.

Familie Großlüder und der Bärtige verschwanden. ManfredWandstrup kam zu Daniel herüber und setzte sich auf den freigewordenen Stuhl neben ihm. Der Norddeutsche war vielleichtdrei,vier Jahre älter als er. Mittelblond, athletisch, hoch gewachsen.SeinevertrauenswürdigenblauenAugenmustertenihn.»Na,zuviel versprochen?«

»Nein,wirklichnicht.Dashierist,ist…«

»Überwältigend?«

»Mindestensdas.Duglaubstgarnicht,wasdieseSafarimitmirmacht.«DemDuzenhattenallebereitsbeimKennenlernenzugestimmt. »Von Natur aus bin ich ein Zappel, musst du wissen.Normalerweise wäre es für mich unmöglich, den ganzen Tag ineinem Auto auf den vier Buchstaben zu sitzen. Aber das hier …Es kommt mir so vor, als hätte ich mein ganzes Leben auf dieseReise gewartet. Das alles, die Landschaft, die Tiere, diese Unverfälschtheit und Unberührtheit … Das muss unbedingt für alleZeitenbewahrt werden.«

»Serengeti darf nicht sterben …«

Danielerinnertesich,denDokumentarfilmdiesesTitelsalsJugendlicher in der Schule gesehen zu haben. »Nein, das darf sienicht.DaswäreeineVersündigunganunserenKindernundKindeskindern, am Planeten Erde. Nicht zuletzt an unseren MitbewohnernaufderErde,denTieren.Ichwillallesdaransetzen,meinenTeilzumSchutzderSerengetibeizutragen.«Danielsagtedasohne Berechnung, ganz aus seiner gewonnenen Überzeugungheraus.

»Jupp. Auch mich hat die Serengeti geflasht, als ich das ersteMal hierherkam. Heute lebe ich davon und zeige alles meinenGästen.«

SollteersichdemReiseführeranvertrauen?

Daniel wandte sich seinem Sitznachbarn zu. Ihre Blicke trafensich. Er durfte diesem Mann vertrauen, das spürte er. Einen Verbündeten zu gewinnen, der Kenntnisse über Land und Leute besaß,warwahrscheinlichohnehinempfehlenswert.Warumnicht

diesenverdammtsympathischenKerl,deraufjedenFalldierichtigeEinstellung mitbrachte.

Als ob er diese Gedanken erraten hätte, fragte Manfred ihnplötzlich:»DubistnichtnuralsTouristhier,stimmt’s?«

KonntederReiseleiterüberseinenAuftragimBildesein?Danielbliebvorsichtig.»Worausschließtdudas?«

»Aus deinem Verhalten. Wie drücke ich mich richtig aus …Touristensindnormalerweiselockerer.«

»Undichbinverkrampft?«

»Das will ich so nicht sagen. Aber du beobachtest intensiver alsdieanderen,scheinsteinsachlichesInteresseandenTierenzuhaben,das überdas reineFasziniertsein hinausgeht.«

Naklar.EinReiseleiter.WahrscheinlicherwarbmansichindiesemJobdie Gabe,Menschen genauzu taxieren.

Danielentschlosssich,esaufdiedirekteArtzuversuchen:»Hatmandich über meinen Auftrag informiert?«

An der verblüfften Reaktion seines Nebenmanns erkannte er,dassdem nicht so war.

»EinenAuftrag?DubistwegeneinesAuftragsinderSerengeti?«

»Ja.«

»Darfichfragen, wasdas fürein Auftragist?«

Danielwandsich.Eigentlichsollteermöglichstwenigherauslassen, besaß aber andererseits keinen Grund, Manfred Wandstrup zumisstrauen. Er versuchte, sich verklausuliert auszudrücken: »DashängtmitderNaturhierzusammen.MitihremSchutz.«

»BistduBiologe?«

»Nein,binichnicht.«

»WiewillstdudieNaturderSerengetidannschützen?Dasliegtmirauch am Herzen: Kann ich dirdabei helfen?«

»Ichhabegehört,eshatVertreibungenvonMassaigegeben,um

ein paar Großwildjägern ein freies Schussfeld zu verschaffen.Weißtdu etwas darüber?«

»Das war drüben im Loliondo-Gebiet. Ist schon mehrfach passiert.«

»In Deutschland gibt es einen Club, der sich dem Naturschutzverschriebenhat.DortliegenInformationenvor,dassesbaldwieder geschehen könnte.«

»Wundernwürdemichdasnicht.NachdemletztenVorfallhaben sie zwar an einigen Stellen aufgeräumt, aber in einem armenLand wie Tansania findet man immer Leute, die gegen den Einwurf von Kohle alle Jalousien herunterlassen. Hat das etwas mitdeinemAuftrag zu tun?«

»Genau. Mein Auftraggeber will eine erneute Vertreibung derMassai aus dem Gebiet verhindern und die Tiere vor den Jägernschützen. Im Serengeti Nationalpark sind sie ja hoffentlich sichervorNachstellungen.«

»Wildereihatesimmergegeben.«

»Aber Massai fortjagen und massenhaft Tiere abknallen? Ichfinde,das ist etwas anderes.«

»BistdueinSpionodersowas?«

TrotzdesernstenGesprächsmussteDanielschmunzeln.»Nein,ichbinPrivatdetektiv.SpezialisiertaufKorruption.«

Manfred pfiff durch die Zähne. »Hat mich meine Menschenkenntnis also nicht getäuscht. Ich habe gleich gespürt, dass dukeingewöhnlicherTouristbist.«

»Mein Auftraggeber hat mir diese Safari vermittelt, damit icherkenne, worum es geht. Und mich einleben kann in dem Land,indem ich operiere.«

»Wie ich dir bei so einem Job helfen kann, sehe ich allerdingsnicht.IchhabeFamilie,geheaufkeinenFalleinRisikoein.Außerdem muss ich auf meinen Aufenthaltsstatus achtgeben. Wirleben in Arusha.«

DanielsahManfreddirektindieblauenAugen.»Vielleichthabeich dir sogar schon zu viel verraten. Ich möchte bestimmt nicht,dassdumeineSuppeauslöffelst.Wenndumirhelfenkannst,ohneGefahreneinzugehen,meldeichmichbeidir,okay?«

Eine kleine Pause entstand in ihrem Gespräch, während derbeideMänner in dasersterbende Feuer starrten.

DerReiseführerbrachdasSchweigen.»Werdashierschützt,istmirimmerwillkommen.Egal,aufwelcheWeise.Egal,wann.Bittegewöhne dir an, Manni zu mir zu sagen.«

Daniel lachte trocken auf. »Mich nennen Freunde Danny. Daspasstjagut. Hanniund Nanni,Danny undManni.«

Das Gesicht seines Nebenans verzog sich zu einem offenen Lächeln.»Alles klar, Danny!«

Erste Sterne funkelten am Himmel. Danny legte den Kopf inden Nacken, um weitere zu suchen. Beinahe erschrak er vor derStimmehinter sich.

»All okay, Gentleman?«

Eswar derEinheimische, der ihnvorhin schonbedient hatte.

»DusolltestwarmesWasserfürdieDuschebestellen.DasfließthiernichtausdemHahnundmussersterhitztwerden«,rietManni.

»GuteIdee.«DannyorderteaufEnglischDuschwasser.

»Ich rufe, wenn ich den Behälter gefüllt habe.« Der Mann verschwand.

Mannierhobsich.»Dannbisspäter. WirsehenunsbeimAbendessen.AmbestengehstdujetztgleichindeinZelt.Dasmitdem Wasser dauert nicht lange. Nachher wirst du von einem derBediensteten zum Hauptzelt begleitet. In der Dunkelheit solltestdunicht mehralleine in derSerengeti herumspazieren.«

»Istdaswirklichgefährlich?«

»Nein. Sieh her: Ich besitze noch alle Arme und Beine, sogarnoch alle zehn Zehen und sogar die hier.« Manni stellte sich inder Haltung einer Vogelscheuche vor ihn hin, als ob er ihm dieRichtigkeitseinerAussagebeweisenwollte.DabeiwackelteermitdenFingern.»ReineVorsichtsmaßnahme.«

DannygingzuseinemHauszelt.ErzogdenReißverschlussderAußenplaneauf,danndendesMoskitogitters,undtratein.HintersichverschlosserdenEingangsorgfältigwieder.DasMoskitogitter hatte bestimmt seine Bedeutung. Von Ferne hörte er dieKinder zanken.

MittelseinesvonderDeckehängendenSchaltersknipsteerdieBeleuchtungein.DasspärlicheLichteinigerDiodenfunzelteauf.Danny musterte den Innenraum. Er hielt für seine Gäste einenGarderobenständer,einenKofferbockundeinkomfortablesDoppelbett bereit, über dem ein Moskitonetz aufgespannt werden konnte. Jetzt war es noch mit Schleifen an den Bettpfostenbefestigt.

Sein Gepäck hatten hilfreiche Geister bereits hergeschafft. Ernahm den Kulturbeutel aus der Reisetasche. Kaum hatte er sichnackt ausgezogen und die Kleidung aufgehängt, hörte er schonvondraußenrufen:»Warm water! Enjoy!«

Danny zog den Reißverschluss zum hinteren Teil des Zelts aufund trat in den Nassbereich. Links war ein Innenzelt mit einemrichtigen WC im Zeltgestänge eingehängt, rechts eines mit einerDusche. Davor gab es einen Waschtisch, auf dem eine KanneWasser abgestellt war. Alles einfach, aber unter den gegebenenUmständenrecht komfortabel.

ErgenossdenwarmenRegen,derihmdenStaubdesTagesvomKörperspülte.DadasZeltfürdieBelegungdurchzweiPersonen ausgelegtwar,konnteerseinBedürfnisnachSauberkeitausgiebigbefriedigen. Als der Wasserschwall erstarb, trocknete er sich abundzog sich zum Abendessen an.

DannytrathinausindieNacht.IhnempfingeineReiheLaternen,diealsLichterbanddenWegzumHauptzeltmarkierten.Ausder Ferne sah er, wie jemand Holz aufs Lagerfeuer nachlegte. Einer der Mitarbeiter des Camps rief ihm aus dem Dunkeln zu, erwürde ihn begleiten. Schweigend gingen sie nebeneinander her.Nach gut hundert Schritten hatten sie ihr Ziel erreicht. Sein Begleiter brachte ihn zu einem gedeckten Tisch und gab ihm durcheineGeste zuverstehen, er könnesich einenPlatz aussuchen.

Es wurde ein munterer Abend mit regem Austausch über dieEindrücke des Tages. Sie hatten viel gesehen, obwohl die Erlebnisse auf einer Safari nicht planbar waren, nur gestaltet durch dieZufälle der ungebändigten Natur. Danny bemühte sich, jedenGedanken an seinen Auftrag zu verdrängen. Während die anderen erzählten, entstanden die Bilder des Tages vor seinen Augenneu.

Der Reisegesellschaft wurde während des Abends mit einemDrei-Gänge-Menü bewirtet. Zu trinken gab es Bier, Wein undAlkoholfreies. Als Hauptgang wurden gebratene Hühnerbeinemitein paar Beilagen gereicht.

»Ihrmüsstbedenken,dassderLastwagenausArushaeinenTaghierherunterwegsist,umeuchdiesenLuxuszubieten.Allesmussangekarrt werden. Der Fahrer übernachtet hier und fährt amnächsten Tag wieder zurück«, hörte er Manni sagen. Danny warsich sicher, dass es heute auf den wenigsten Tischen in Tansaniaderart üppig zuging.

NachdemEssenbotihnendieMannschaftdesTented Camp

einekleineShoweinlage.DiesiebenMännerkameninsZeltgetanztundsangeneinensogarinternationalbekanntenHitaufSuaheli. Sie begleiteten ihre musikalische Darbietung mit rhythmischem Händeklatschen. Nach wenigen Takten fielen die Gästedarin ein.

»Jambo, Jambo bwana, Habari gani,

Mzuri sana.

Wageni, Wakaribishwa,

Kenya yetu Hakuna Matata …«

Manni übersetzte seiner Reisegruppe den Text: »Das heißt ungefähr so viel wie: Hallo, hallo Herr, wie geht es dir? Mir geht esgut. Besucher sind willkommen in unserem Kenia. Keine Sorgen!«

»Papa,wirsinddochgarnichtinKenia?«,fragteRalf.

Manni antworte an seines Vaters statt: »Nein, wir sind in Tansania. Aber wann haben die Leute hier schon mal einen Hit aufSuaheli,den dieWelt kennt?«

Dannyfieljedenfallskeinerein.

WIESBADEN,SECHSWOCHENZUVOR

Nach sechsstündiger Autofahrt ohne nennenswerte Staus kamDannyinWiesbadenan.WährendseinerZeitbeimBundeskriminalamt hatte er einige Jahre in dieser Stadt gewohnt und kanntesich gut aus. Irgendwann hatte es Danny im Mief des BeamtenapparatsnichtmehrausgehaltenundsichalsPrivatdetektivselbstständig gemacht. Sein erster Auftrag hatte ihn nach Hamburggeführt.DaeszudiesemZeitpunktbereitsinseinerEhekriselte, hatte er seinen Lebensmittelpunkt kurz entschlossen in dieHansestadtverlegt.

Um pünktlich zu sein, hatte Danny eine halbe Stunde lang aufeinemWaldparkplatzangehalten.ErhattedenStoppgenutzt,umeinpaarKniebeugenundkurzeSprintshinzulegen.Fitnesswarinseinem Metier absolut notwendig. Das kam ihm als Bewegungs-Junkienur entgegen.

Er bog mit seinem Citroën C6 in die Straße Nerotal ein, seinZiel.DannyliebtedasAutoinderungewöhnlichenFarbeSchwarzkirsch metallic, mit hellbeigen Lederpolstern ausgestattet.Auch wenn es mittlerweile über zehn Jahre alt war. Immer wenner den Sechszylinder Diesel zum Leben erweckte, legte sich dersänftenhafte Komfort des C6 beruhigend auf sein unstetes Wesen.Erwarsichnichtsicher,oberamSteuerirgendeinesanderenWagensdieGeduldfürdieBewältigungvonLangstreckenaufgebracht hätte. Mit einem Sportwagen hätte er sich wahrscheinlichlängstunterdieErdegerast.BeschäftigungslosimZugsitzenundausdemFensterstarrenkamschonüberhauptnichtinfrage. Höchststrafe, wenn auch in seinem Job kaum zu vermeiden, warenFlüge.

DienobleEcke,indieersichhineinbewegte,warihmdurchausvertraut. Nicht weit entfernt führte die betagte Standseilbahn auf den Neroberg hinauf,linksderStraßebefandsicheinkleinerParkmitehrwürdigenBäumen.StattlicheVillen,andenHanggebaut,säumtendiegegenüberliegendeStraßenseite.Diemeistenstammten aus einer Zeit, in der sich die Zuckerbäcker noch richtig austobendurften. Nichtsein Stil, aberabsolut nobel.

IneinerdiesergründerzeitlichenVillenhatteDannyseinenTermin.ZurStraßehinwardasHausdreiEtagenhoch,geschmücktmit einem Turm und viel Schmiedeeisen, das weiß leuchtete. DieFassadederVillawarinAltrosagehalten.EinebreiteTreppeführte zum säulengeschmückten Portal. Das beeindruckende AnwesenwiesbestimmtmehrereHundertQuadratmeterauf.

Er parkte den C6 ein Stück weiter am Straßenrand und stiegaus. Ihn empfing die Hitze eines der bisher heißesten SommertagedesJahres.ErspurtetezumTreppenaufgang.BeimErklimmenjeder einzelnen Stufe meinte er, es bilde sich ein Schweißtropfenmehr.

TrotzderGrößedesHausesbefandsichnureineKlingelanderTür. Darunter, dezent und unauffällig, ein Schild aus Messing:Dr.FriedrichvonEberfels,Rechtsanwalt.DaswarseinAnsprechpartner.

Danny betätigte die Türglocke. Eine halbe Minute verstrich,ehe ihm eine atemberaubend hübsche Dreißigerin öffnete. Sietrug ein anthrazitfarbenes Business-Kostüm, darunter ein weißesT-Shirt,dasgeradesovielEinblickerlaubte,wieeseinMannfürdas Ausfüllen mit eigener Fantasie benötigte. Mit munteren grünenAugensahsieihnunterdunkelbraunemPonyhindurchan.

»Guten Tag. Ich habe Sie auf dem Kamerabild erkannt. Sie sehengenausoauswieaufdemFoto,dasSieaufIhrerInternet-Seitehaben.HerrAmtmann,richtig?MeinNameistHellweg.Dr.von Eberfelserwartet Sie bereits.«

Frau Hellweg ließ ihn herein und ging voraus. Ihr Anblick vonhintenhieltdemVersprechenihrerFrontansichtstand.Nichtallzuzierlich,aberfürseineGedankengenaurichtig.‚MenschDanny,dubistgeschäftlich hier‘,raunteersich stummzu.

DerFlurderVillahätteaucheinenTanzsaalabgebenkönnen.Einestarkverzierte,eicheneTreppeführteindieoberenEtagen.Die Wände, an denen Schwarz-Weiß-Fotos mit Motiven aus derafrikanischenTierwelthingen,wareninhellemOckergestrichen.Seine Begleitung führte ihn in den Vorraum eines Büros im Parterre.SelbstimHausschienendieTürenfürElefantengemacht.AlssieindenVorraumeintraten,knarrtederFußbodengemütlich.DerDurchgangzumBürostandoffen.FrauHellwegblieb darin stehen.

»IchhabeHerrnAmtmannhier.Kannerhereinkommen?«

»Gerne«, hörte er eine männliche Stimme. Frau Hellweg gabdenDurchgang frei.

DannytratineinenRaum,derkomplettinWeißgehaltenwar.Hier drinnen war es trotz der Wetterverhältnisse überraschendwohltemperiert. Die Decke zierte aufwendiger Stuck. An denWänden Fotos von derselben Art wie im Flur. Neben dem Einganghing einriesiges Bildvon einembrüllenden Löwen.

Die Möbel bestanden im Kontrast zu dunkel gebeizter Kassettentür, Eichenparkett im Fischgrät-Muster und Stuck aus Glas,ChromundschwarzemLeder.DasgefielDannyschonbesser.

HinterdemSchreibtisch,dermindestensdasMaßeinerTischtennisplattebesaß,erhobsicheinMannundkamaufihnzu.Er trugeinendunkelblauenZweireiher,indessenBrusttaschekunstvolleinseidenesTuch,passendzurKrawatte,hineindrapiertwar.Dannyschätzteihnaufetwafünfzig.TrotzdemwarenseineexaktgescheiteltenHaare komplett ergraut.

EinegoldrandigeMetallbrilleüberdemakkuratgestutztenSchnäuzer verlieh seinem Auftreten den perfekten Anstrich desAristokraten.

SeinekontrolliertenBewegungenundseinstechenderBlickunterstrichendiesen Eindruck.

»HerrAmtmann.Schön,dassSiedieZeitfinden…«

Der Händedruck des Mannes war schlaff. Fast hätte Danny zukräftig gegengedrückt.

»Mein Name ist von Eberfels, Dr. von Eberfels. Setzen wir unsdoch.«

»GutenTag,HerrDr.vonEberfels.Gerne.«

Sein Gastgeber führte ihn zu einer Polstergruppe. Vier Sesselerwarteten Besuch. Sie nahmen im rechten Winkel zueinanderPlatz.

»MöchtenSieetwastrinken,HerrAmtmann?Kaffee,Tee,Wasser,Saft oder Limonade?«

»BitteeinenKaffeeundeinMineralwasser,wenneskeineUmstände macht.«

»Martina,kommen Siebitte kurzherüber!«

So hieß die Hübsche also. Martina Hellweg. Eifrig kam sie umdieEcke geschossen.

VonEberfelsbestelltedieGetränke,fürsichselbstnurKaffee.

»UndschließenSiebittedieTürhintersich.AuchkeineTelefonatedurchstellen,bitte.IchmöchtemichungestörtmitHerrnAmtmann unterhalten.«

DieVerbindungstürfielinsSchloss.

»SiehattenhoffentlicheineguteAnreise?«,bliebvonEberfelsweiterhinim unverbindlichenHöflichkeitsmodus.

»Danke.Ichbingutdurchgekommen.«

»Erfreulich.GibtesNeuigkeitenausHamburg?«

»Nichts,wasnichtdenMedienzuentnehmenwäre.«

VonEberfelszogandenJackenärmeln.DieManschettenseinesOberhemdsverschwandeneinenweiterenZentimeterdarin.Dannywusste nicht,was er vonso viel Eitelkeithalten sollte.

Sein Gesprächspartner nahm ihn frontal in den Blick. »Kommenwir zum Geschäftlichen.«

»IchbinganzOhr.«

VonEberfels,derbisdahinaufderKantedesPolstermöbelsgesessen hatte, lehnte sich zurück.

»Wo fange ich an? Mmh, mmh … Die Angelegenheit wird Ihnenetwas ungewöhnlich vorkommen …«

»SeienSieversichert:UngewöhnlicheAufträgesindgenaumeinDing«,preschteDannyforschvor.Erernteteeingütiggemeintes,eherentgleistes Lächeln dafür.

»Das hoffe ich doch. Sie müssen wissen, dass ich mit einemVorstandsmitglied der Deutschen Bank befreundet bin. Für dieseGesellschaft haben Sie vor etwa einem Jahr einen Auftrag in Brasilien erledigt. Es ging um Korruption. Mein Freund sagte mir,Siehätten diskretund zu allerZufriedenheit gearbeitet.«

Einem Vorstand war Danny seinerzeit zwar nicht vorgestelltworden,abervonEberfelshatterecht.VoretwaeinemJahrhatteer Missstände in der brasilianischen Niederlassung der Deutschen Bank aufgedeckt.WennseinErfolgbiszumVorstandvorgedrungenwar,mussteerwohlzurallgemeinenZufriedenheitgearbeitethaben.Eine gute Referenz.

MartinaHellwegkehrtemiteinemTablettGetränkenzurück und stellte sie auf dem gläsernen Tisch zwischen den beiden Sesselnab.

»Zucker?Milch?«

»Danke.IchbinSchwarztrinker«,antworteteDanny.

Wie ein Reh schlich die Assistentin wieder hinaus und schlosserneut die Tür. Danny hätte sich lieber mit ihr als mit dem trockenen von Eberfels unterhalten. Aber der verteilte hier nun maldieKohle.

»Es freut mich, wenn die Deutsche Bank zufrieden mit meinerArbeitwar.DarfichSiefragen,umwasessichinIhremFallhandelt?«

»Im Grunde auch um Korruption. Wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, möchte ich beinahe sagen. Lassen Sie mich sobeginnen: Ich bin Vorsitzender des Zoologischen Clubs hier inWiesbaden. Nicht zu verwechseln mit der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, die wir allerdings nach Kräften finanziell unterstützen. Wie auch andere Institutionen, die sich dem Erhalt derNaturin Afrika verschrieben haben.

IndiesemFallgehtesumTansania,umdieSerengeti,umgenauzusein.

---ENDE DER LESEPROBE---