Sex - Kate Lister - E-Book

Sex E-Book

Kate Lister

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Beschreibung

»Schnallen Sie sich an, hier kommt Kate Lister! Ihre kuriose Geschichte des Sex ist ein wilder Ritt.« The Times

In »Sex - Die ganze Geschichte« untersucht Kate Lister historische Phänomene rund um die Sexualität, seit es Zeugnisse hiervon gibt. Einen besonderen Fokus legt sie dabei auf das Mittelalter und die viktorianischer Zeit. Es geht um gesellschaftlichen Verschiebungen in unserer Haltung zum Sextrieb. Sie untersucht das Wort »cunt« als bösestes aller bösen Wörter, schreibt über rassistische Fetische und Kuriosa wie Duschen als Schwangerschaftsverhütung. Das Buch enthält eine Vielzahl literarischer Quellen und Abbildungen, es ist die fundierte Sammlung einer akribischen Wissenschaftlerin, die in der Popkultur zu Hause ist und ihre Erkenntnisse immer mit den Themen unserer Zeit verknüpft. Kate Lister setzt sich dabei für die Entkriminalisierung von Sexarbeit, für eine gendergerechte Sprache und eine gesunde, schamfreie Sexualaufklärung ein.

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Seitenzahl: 538

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Das Buch

Sex ist einer der großen universellen Gleichmacher: Wir essen, wir schlafen, wir vögeln miteinander und wir sterben. Alle Lebewesen auf diesem Planeten teilen den Wunsch, sich fortzupflanzen. Permanent denken wir über Sex nach, wir sehnen uns danach, wir zweifeln und verzweifeln.

Kate Lister zieht in ihrer unterhaltsamen und fundierten Kulturgeschichte den prüden Stock aus dem Arsch der Gesellschaft. Sie erforscht all die seltsamen und verblüffenden Dinge, die die Menschen auf der Suche nach dem allmächtigen Orgasmus (und dessen Verweigerung) getan haben.

Das mit vielen Illustrationen ausgestattete Buch beleuchtet alle Aspekte des Sex im Laufe der Geschichte (mit Kapiteln über die Vulva, Penisse, Essen, Maschinen, Fortpflanzung, Hygiene und Geld) und enthält auch moderne Erfahrungen von Sexarbeiter*innen, Randgruppen und Ausgestoßenen.

»Eine wunderbar anekdotenreiche Chronik – anschaulich und spielerisch.« The Guardian

»Lister hat einen großartigen Humor … Ich habe laut gelacht.« Daily Mail

»Eine faszinierende Geschichte.« Annie Sprinkle

»Schlicht und ergreifend brillant!« Lucy-Anne Holmes

»Ein Augenöffner! Geistreich und witzig, lehrreich und voller Esprit.« Sir Tony Robinson

Die Autorin

Dr. Kate Lister ist Universitätsdozentin und Kolumnistin u. a. für iNews und Vice sowie für den Wellcome Trust, für den sie über die Sex schreibt. Dazu kuratiert sie das Online-Forschungsprojekt Whores of Yore und ist Vorstandsmitglied des International Sex Work Research Hub. Im Jahr 2017 gewann sie den Sexual Freedom Award als »Publicist of the Year«.

Für SWOPNSW

Kate Lister

Sex

Die ganze Geschichte

Aus dem Englischen von Nina Lieke

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel A CURIOUSHISTORYOFSEX bei Unbound, London

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor.

Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Arbeit der Übersetzerin am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert im Rahmen des Programms NEUSTARTKULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Deutsche Erstveröffentlichung Januar 2024

Copyright © der Originalausgabe 2020 by Kate Lister

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by btb Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Privatarchiv Kate Lister

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

mn · Herstellung: ast

ISBN 978-3-641-28721-4V002

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Für meine Familie (sorry!)

Inhalt

Vorspiel

Sex und Worte

Schade, dass sie eine Hure ist

»Ein böser Name für eine böse Sache«

Sex und Vulven

Nach Perlen tauchen

»Zwei Berge Wackelpudding«

»So leicht wie Pudding kochen«

Sex und Penisse

Heimliche Höhepunkte

Eierdiebe

Tough Love

Sex und Essen

Unser täglich Brot

Liebesnahrung

Runter mit der Hitze

Sex und Maschinen

Spaßbremsen

Rauchen, Schießen, Fahrrad fahren

Boy’s Toys

Sex und Hygiene

Luft anhalten!

Kahle Adler, moosige Grotten

»Förderlich für die Sauberkeit«

Sex und Fortpflanzung

Französische Briefe, englische Regenmäntel und die Waren der Mrs Phillips

Quengler zum Schweigen bringen

Das Drama mit den Tagen

Sex und Geld

Das älteste Gewerbe

Public Relations

Schlemmen mit Panthern

Nachspiel

Quellen

Bibliografie

Vorspiel

Nicht ausgedrückte Gefühle sterben niemals. Sie sind lebendig begraben und kommen eines Tages auf unangenehmere Art und Weise wieder ans Tageslicht.

Sigmund Freud

Sex gehört zu den großen Gleichmachern dieser Welt. Um es mit den Worten von Geoffrey Rush alias Marquis de Sade zu sagen: »Wir essen, wir schlafen, wir scheißen, wir vögeln und wir sterben.«[1] Sexuelle Begierde durchbricht die Grenzen von Kultur, Geschlecht und Klasse. Sie interessiert sich nicht für unsere »Regeln« und noch viel weniger für Vernunft, was jeder Mensch bestätigen kann, der schon einmal mit heruntergelassenen Hosen erwischt wurde. Natürlich machen Menschen weit mehr als essen, scheißen und vögeln – es ist unser Intellekt, der uns wirklich von den Tieren trennt. Und genau da liegt das Problem. Zu behaupten, dass Menschen viel über das Thema Sex nachdenken würden, wäre eine gnadenlose Untertreibung.

Alles Leben auf diesem Planeten ist von demselben Verlangen getrieben, sich fortzupflanzen. Was uns Menschen aber einzigartig macht, das sind die unendlich komplexen und zahlreichen Wege, auf denen wir unsere sexuelle Begierde ausleben. In Necrophilia: Forensic and Medico-legal Aspects of Sexual Crimes and Unusual Sexual Practices (2008) listete Professor Anil Aggrawal 547 von der Norm abweichende sexuelle Neigungen auf und stellte fest, dass »sexuelle Erregung wie Allergien durch alles Erdenkliche unter der Sonne, einschließlich der Sonne selbst«[2] hervorgerufen werden kann. Falls ihr euch das jetzt fragt: Sexuelle Erregung durch die Sonne heißt Aktirastie.

Menschen sind darüber hinaus die einzigen Lebewesen, die stigmatisieren, bestrafen und Scham erzeugen, wenn es um ihr sexuelles Verlangen geht. Alle Tiere pflegen Paarungsrituale, aber noch nie ist ein Gnu zur Therapie gegangen, weil es sich schwertut, seinen Latexfetisch auszuleben. Eine Bienenkönigin knallt bis zu vierzig Typen in einem Rutsch und fliegt dann samengetränkt und mit dem abgetrennten Schwanz ihrer letzten Eroberung im Gepäck zu ihrem Bienenstock zurück – nicht eine Drohne nennt sie eine Schlampe. Männliche Paviane treiben es munter den lieben langen Tag miteinander, ohne auch nur eine Sekunde Gefahr zu laufen, ins Umerziehungslager für Homosexuelle geschickt zu werden. Doch die Schuldgefühle, die wir Menschen in Bezug auf unser sexuelles Verlangen haben, können lähmend sein, und diejenigen, die »die Regeln« brechen, müssen seit jeher mit harten Strafen rechnen.

Der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez schrieb einmal, jeder Mensch habe drei Leben: »ein öffentliches Leben, ein privates Leben und ein geheimes Leben«[3]. Es ist paradox, aber unser geheimes Leben ist zugleich unser ehrlichstes. Wir zwingen diesen ehrlichen Teil von uns in die Verborgenheit, weil das System, das wir selbst geschaffen haben, bestimmt, dass er unvereinbar ist mit unserem öffentlichen und unserem privaten Leben. In dem Versuch, diesen geheimen Teil von uns zu kontrollieren, haben wir Sex zu einer Moralfrage gemacht und komplexe soziale Strukturen entwickelt, die unsere Triebe regulieren sollen. Um sie im Zaum zu halten, haben wir uns Kategorien ausgedacht: schwul, lesbisch, hetero, monogam, keusch, promiskuitiv etc. Aber Sexualität lässt sich nicht fein säuberlich in menschengemachte Schubladen stecken, sie lässt sie überquellen, und irgendwann geht alles drunter und drüber. Wenn wir versuchen, unser Verlangen zu unterdrücken, wird daraus ein Vulkan, der unterhalb unserer Strukturen von Moral, Ethik und Anstand vor sich hin brodelt. Und irgendwann kommt es zum Ausbruch – denn für einen Orgasmus haben Menschen seit jeher Haus und Hof riskiert.

Der sexuelle Akt an sich hat sich nicht verändert, seit wir zum ersten Mal kapiert haben, was wohin gehört. Penisse, Zungen und Finger haben auf der Jagd nach Orgasmen Münder, Vulven und Polöcher erforscht, seit die ersten Menschen aus dem Urschlamm gekrochen sind. Was sich allerdings verändert, ist das gesellschaftliche Drehbuch, das vorgibt, wie Sex kulturell verstanden und ausgeführt wird. Laut Pornhub, der weltweit erfolgreichsten Pornoseite im Internet, ist zum Beispiel »lesbisch« die Nummer eins unter den Suchbegriffen, seit die Seite 2007 gelauncht wurde. In den Niederlanden entfielen zwischen 2016 und 2018 auf dieses Schlagwort fünfundvierzig Prozent der Suchanfragen.[4] Die Holländer*innen finden die Lesbennummer also super, wie’s aussieht. Tatsächlich waren sie aber nicht immer so begeistert davon. Zwischen 1400 und 1550 wurden in den Niederlanden fünfzehn Frauen als »Sodomitinnen«[5] lebendig verbrannt. Diejenigen, die nicht zum Tode verurteilt wurden, mussten harte Strafen über sich ergehen lassen. Im Jahr 1514 wurden Maertyne van Keyschote und Jeanne van den Steene in Brügge öffentlich ausgepeitscht, man versengte ihr Haar und verbannte sie aus der Stadt, weil sie »eine bestimmte Art der unnatürlichen Sünde der Sodomie mit einigen jungen Mädchen«[6] begangen hatten. Sechshundert Jahre später ist die »bestimmte Art der unnatürlichen Sünde der Sodomie mit einigen jungen Mädchen« die beliebteste Pornokategorie unter den Ahnen der Menschen, die einst dachten, es sei eine angemessene Idee, Lesben auf den Scheiterhaufen zu werfen.

Die Suchanfragen nach »Pornos für Frauen« waren bis 2018 um 359 Prozent gestiegen, wobei im selben Jahr Frauen 197 Prozent häufiger Lesbenpornos schauten als Männer. Das wäre ein ganz schöner Schock für Dr. William Acton (1813 – 1875) gewesen, der behauptet hatte: »Die Mehrheit der Frauen wird (ein Glück für sie) nicht sehr stark von sexuellen Gefühlen irgendeiner Art heimgesucht.«[7] Und was der Herausgeber des Sunday Express, James Douglas (1867 – 1940), davon gehalten hätte, darüber lässt sich bloß spekulieren. Dieser attackierte Radclyffe Halls bahnbrechenden Roman über lesbische Liebe, Well of Loneliness (Quell der Einsamkeit, 1928), mit den Worten: »Diese Pestilenz ist verheerend für die jüngere Generation. Sie zerstört junges Leben. Sie beschmutzt junge Seelen.« Douglas beschwor die Gesellschaft, sich von der »Krankheit dieser Kranken«[8] zu befreien. Tja, und nun, neunzig Jahre später, holen sich Millionen von Frauen zu dieser Pestilenz einen runter, mit recht intakten Seelen. Herrliche Zeiten!

In diesem Buch geht es darum, wie sich die Einstellungen zum Thema Sex im Lauf der Geschichte verändert haben. Es geht um die wundersame Geschichte von Sex und um einige der Dinge, die wir uns selbst und anderen auf der Suche nach (und der Flucht vor) dem allmächtigen Orgasmus angetan haben. Das hier ist keine vollständige Studie zu allen sexuellen Marotten, Spielereien und Ritualen, die es jemals und in allen Kulturen gegeben hat, denn das würde in einer Enzyklopädie enden. Vielmehr ist das Buch ein Tropfen in einem Ozean, ein Ruderschlag im flachen Wasser der Sexgeschichte, aber ich hoffe trotzdem, ihr werdet zwischendurch auch ein bisschen angenehm feucht. Ich habe versucht, Aspekte zu beleuchten, die einen wertvollen Beitrag zu Themen unserer Zeit leisten, ganz besonders zu Genderfragen, sexueller Scham, Schönheit, Sprache und der Kontrolle von Lust. Ich habe Themen gewählt, die mir am Herzen liegen, etwa die Geschichte der Sexarbeit, aber auch tief emotionale Themen wie Abtreibung und solche, die mich zum Lachen bringen, wie Herzmuschelbrot oder Orgasmen auf dem Fahrrad. Obwohl es leicht ist, über die albernen Sachen zu lachen, an die Menschen in der Vergangenheit geglaubt haben (und ich hoffe, das werdet ihr), so ist es doch noch weit wertvoller zu erkennen, wie ähnlich wir diesen Menschen im Grunde sind, und in der Folge unsere eigenen Glaubensgrundsätze zu überprüfen. Sex ist nach wie vor auf der ganzen Welt eine extrem polarisierende Angelegenheit, an vielen Orten sogar eine Frage von Leben und Tod. Diese Einstellungen wandeln und wandeln sich immer weiter – hoffentlich zum Guten. Aber wir werden es niemals schaffen, Sex von Stigma und Scham zu befreien, wenn wir nicht verstehen, woher wir kommen.

Eine Bemerkung noch zur Ausdrucksweise in diesem Buch. Was anstößige Sprache angeht, betretet ihr nun vermintes Gelände. Hier werden historische Einstellungen zu Sex und Geschlecht offengelegt. Unsere Ahnen hatten keine Vorstellung von Genderfluidität und verstanden Geschlecht als binär und biologisch bestimmt, darum haben im historischen Material, das diesem Buch zugrunde liegt, Frauen Vulven und Männer Penisse. Im Kapitel über die Geschichte des Wortes cunt (»Fotze«) zum Beispiel wird cunt einfach als Bezeichnung für das weibliche Genital benutzt. Heute wissen wir, dass manche Frauen Fotzen haben und manche nicht, genau wie manche Männer und manche nicht. Aber unsere Ahnen haben Geschlecht oder Biologie nicht unter solchen Gesichtspunkten betrachtet – für sie war cunt das Genital der Frau. Das mag sich für moderne Ohren beleidigend anhören, aber wenn wir wirklich durchdringen wollen, wie Heteronormativität und die Idee von binärer Maskulinität und Femininität zu den dominierenden Narrativen unserer Zeit geworden sind, dann ist es essenziell, historische Haltungen zu Geschlechtsidentität und sexuellen Spielarten zu verstehen.

Die Sprache, die in diesem Buch benutzt wird, ist authentische historische Sprache, und ich gebe stets den ältesten überlieferten Nachweis an. Meine wichtigste Quelle hierfür ist Jonathon Greens Dictionary of Slang, das ich gar nicht genug anpreisen kann, wenn jemand mehr erfahren möchte.

Sex und Worte

Schade, dass sie eine Hure ist

(John Ford, 1626)

Die Huren in Whores of Yore

Im Kampf um soziale Gleichheit ist Sprache ein wichtiges Schlachtfeld. Der Linguist Daniel Chandler bringt es auf den Punkt: »Sprache erzeugt unsere Welt, sie dient nicht einfach nur dazu, über sie zu berichten oder sie zu kennzeichnen.«[1] Sprache ist fließend und formbar, sie steuert gesellschaftliche Gesinnungen viel mehr, als dass sie sie einfach bloß ausdrückt. Um uns die Evolution von Sprache vor Augen zu führen, müssen wir uns lediglich einmal ansehen, was einst alltägliche Terminologie zur Beschreibung von People of Colour war: Half-caste (»Mischling«, »Mulatte«) war ein völlig akzeptabler Begriff für Menschen verschiedenartiger ethnischer Herkunft, genauso wie coloured (»farbig«) für Schwarze Menschen. Solche Bezeichnungen waren nicht als Beleidigungen gedacht, sie waren rein deskriptiv und werden manchmal noch heute verwendet, wenn auch glücklicherweise seltener. Wenn wir jedoch die Machtstrukturen aufdröseln, die diesen Begriffen innewohnen, beginnen wir zu verstehen, wie Worte unsere Realität erzeugen und verfestigen. Eine Person, die half-caste ist, ist per Definition die Hälfte von irgendwas; sie ist halb ausgebildet, halb fertig, eine halbe Person und kein vollständiger, eigenständiger Mensch. Ein »Farbiger« wurde, metaphorisch gesprochen, angemalt, was andeutet, dass es einen Originalzustand gibt, der nicht koloriert ist (oder eben: weiß). So werden Unterschiede betont und implizit ethnische Hierarchien suggeriert. Vielleicht erkennen wir nicht auf Anhieb die Bedeutung solcher Ausdrücke, aber eine Person als »halb« zu bezeichnen, verstärkt einfach die Einstellung ihrer Ethnie gegenüber – ganz wie Chandler es ausdrückte, bildet diese Ausdrucksweise unsere Realität nicht einfach ab, sondern sie erschafft unsere Realität.

Eine Sprache, die das Menschsein von Personen reflektiert, unterliegt einem dynamischen Prozess, und auch wenn Political Correctness immer wieder Hohn und Spott ausgesetzt ist, werden wir niemals soziale Gleichheit erlangen, wenn wir mit der Sprache, die wir benutzen, um gesellschaftliche Randgruppen zu beschreiben, nur immer weiter Stigmen verfestigen. Sprache prägt in hohem Maße die Diskussion über LGBTQ-Rechte, Körperbilder, Altersdiskriminierung und natürlich Gender.

Die Verwendung von diskriminierender Sprache ist ein linguistisches Minenfeld. Niemand hat hier irgendwelche Regeln festgeschrieben, und trotzdem wissen wir, dass es sie gibt. Fag (»Schwuchtel«), ho’ (»Nutte«), bitch (»Schlampe«) etc. werden zu Ausdrücken von Zugehörigkeit und sogar Zuneigung, wenn sie innerhalb bestimmter Gruppen verwendet werden. Als heterosexuelle weiße Frau kann ich einen schwulen Mann nicht queer nennen, aber ich kann meine Freundin als Bitch bezeichnen, während ein Heteromann das nicht darf – ein schwuler Mann wiederum dürfte das vielleicht (wie gesagt, Minenfeld). Wenn sich Menschen stolz ein Schimpfwort wieder aneignen, mit dem sie einmal stigmatisiert wurden, dann ist das eine Provokation, die die Unterdrückenden entmachtet, die Identität stiftet unter den sonst Unterdrückten und die dem Establishment zwei politisch inkorrekte Mittelfinger zeigt.

Die Babylonische Hure in der Lutherbibel, Ausgabe von 1534.

Natürlich argumentieren viele Menschen, dass solche Wörter, egal in welchem Kontext verwendet, nur dazu dienen, Vorurteile zu untermauern, weil sie ihren historischen Ballast niemals loswerden; sie erschaffen Realität eher, statt sie bloß abzubilden.

Auch das Wort whore (»Hure«) wird sich in bestimmten Gruppen innerhalb der Sexarbeitenden-Community wieder angeeignet (andere lehnen es komplett ab).

Eigentlich hätte ich whore nicht für meine Whores-of-Yore-Website benutzen sollen. Das Wort gehört mir nicht, und wenn du keine Sexarbeiterin bist, dann gehört es dir ebenso wenig. Es ist ein Schimpfwort, dass Sexarbeitende jeden Tag von Leuten zu hören kriegen, die sie abwerten und beschämen wollen, und das hatte ich nicht umfassend verstanden. Ich benutzte whore als Verweis auf ungehemmte Sexualität, so wie slut oder slag (»Schlampe«), nicht in Bezug auf eine Frau, die Sex verkauft. Für mich war dieses Wort immer viel mehr als das. Ich bekam von vielen Sexarbeitenden Feedback auf meine für sie fragwürdige Verwendung des Begriffs, und eine Zeit lang habe ich ernsthaft überlegt, ob ich den Namen der Seite ändere. Aber die Geschichte dieses Wortes ist wichtig, und ich möchte das deutlich machen. Die Diskussion darüber, was das Wort Hure eigentlich bedeutet, ist absolut lohnenswert.

Der deutsche Schriftsteller Georg Büchner (1813 – 1837) schrieb einmal, die Freiheit und eine Hure seien »die kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne«.[2] Aber was bedeutet das Wort Hure eigentlich wirklich? Woher kommt es, und was muss jemand tun, um sich diesen speziellen Titel zu verdienen? Warum wurde Jeanne d’Arc, die als Jungfrau starb, die »französische Hure« genannt? Und warum wurde »Virgin Queen« Elizabeth I. von ihren katholischen Feinden als »englische Hure« beschimpft? Französische Revolutionäre nannten Marie Antoinette die »österreichische Hure«, Anne Boleyn war die »große Hure«, und im Präsidentschaftswahlkampf 2016 wurde Hillary Clinton wiederholt von Trumps Anhängern als »Hure« beschimpft.[3] Wir glauben ganz genau zu wissen, was wir meinen, wenn wir das H-Wort sagen, aber das Wort ist historisch und kulturell komplex. Diese zwei Silben sind randvoll mit den Versuchen aus über tausend Jahren, Frauen zu beherrschen und zu beschämen, indem man ihre Sexualität brandmarkt.

Das Wort ist so alt, dass sein genauer Ursprung verloren ist, aber es lässt sich zurückführen auf das altnordische hora (»Ehebrecherin«). Hora hat viele Ableitungen, genau wie das dänische hore, das schwedische hora, das niederländische hoer und das althochdeutsche huora. Geht man noch weiter zurück in der Zeit zur proto-indoeuropäischen Sprache (die gemeinsame Vorfahrin der indoeuropäischen Sprachen), stößt man auf Wurzeln in dem Wort qār, was »mögen, begehren« bedeutet. Qār ist der Ursprung von Bezeichnungen für »Liebhaber*in« in anderen Sprachen, wie das lateinische carus, das altirische cara und das altpersische kama (»begehren«).[4] »Hure« ist kein universelles Wort: Die Aborigines und die indigenen Völker Kanadas (First Nation People) und Hawaiianer*innen haben kein Wort für »Hure«, auch nicht für »Prostitution«.

Ab dem 12. Jahrhundert wurde »Hure« zum Schimpfwort für eine sexuell unkeusche Frau, aber es bezeichnete nicht gezielt eine Sexarbeiterin. Nach der Definition von Thomas Chobham aus dem 13. Jahrhundert war jede Frau eine Hure, die außerhalb der Ehe Sex hatte (alle Frauen, die gerade erfahren haben, dass sie 13.-Jahrhundert-Huren sind, bitte Handzeichen).[5] Shakespeare benutzte das Wort Hure fast einhundertmal in seinen Stücken, darunter in Othello, Hamlet und King Lear. In diesen Stücken ist die Hure aber keine Frau, die Sex verkauft, sondern eine mit promiskuitivem Lebenswandel. John Websters The White Devil (Der Weiße Teufel, 1612) untersucht Narrative über unfügsame Frauen. In einer denkwürdigen Szene beschreibt Monticelso, was eine Hure ist:

Soll ich euch erklären, was Huren sind? So hört, ich tu’s;

Ihr Wesen zeig ich euch genau. Zuerst sind sie

Wie Zuckerwerk, das rotten lässt den Esser; in Mannes Nüster

Parfum aus Gift. Trügerische Alchemie;

Schiffbruch in ruhigstem Gewässer. Was sind Huren!

Kalte russische Winter, die uns so öd erscheinen,

Als hätt’ die Natur den Frühling vergessen.

Sie sind gemacht aus Höllenfeuer:

Schlimmer noch als Low Lands’ Steuer

Auf Fleisch, auf Wein, auf Stoff und Schlaf,

Ach, auf eines jeden Manns Verderben, die Sünde, noch.

Sie sind die Tücken im Gesetz,

Die einen Mann, der nichts mehr hat, noch um sein Letztes bringen. Was sind Huren!

Sie schmeicheln dir wie Glockenton, stets gleich,

Ob Hochzeit, ob Beerdigung. Schatztruhen sind sie,

Eure Huren, bis oben hin Erpressungen

Und dann nur Leere, wüst Geschrei. Schlimmer sind sie,

Schlimmer noch als Leichen, vom Galgen abgeschwatzt durch den Chirurgen, belehren sie den Mann, wo seine Schwächen liegen. Was ist eine Hure!

Sie ist die böse falsche Münze,

Die, wer immer sie zuerst geprägt, in Not bringt den,

der sie empfängt.[6]

Monticelso gibt das nicht zu, aber was diesem Wutausbruch zugrunde liegt, ist eine Angst vor Frauen, die Angst, sie könnten Macht über einen Mann gewinnen, ihm zeigen, »wo seine Schwächen liegen«. Hier ist eine Hure keine Sexarbeiterin, sie ist eine Frau, die Gewalt über einen Mann hat und um jeden Preis zum Schweigen gebracht werden muss.

Das Wort Hure wird benutzt, um eine Person zu attackieren, die den Status quo auf den Kopf stellt und sich behauptet. Ziel dieser Attacke ist meistens die Rückgewinnung sexueller Kontrolle und Vorherrschaft über diese Person. Anders aber als das Wort »Prostituierte« ist »Hure« nicht an einen Beruf geknüpft, sondern an eine moralische Wahrnehmung. Aus diesem Grund werden viele mächtige Frauen, die rein gar nichts mit Prostitution zu tun haben, als Huren beschimpft. Mary Wollstonecraft, Phoolan Devi und sogar Margaret Thatcher, sie alle wurden Huren genannt. Das Wort soll sein Ziel beschämen, erniedrigen und letztendlich unterwerfen, und jede durchschnittliche Frau auf der Straße wird genauso wahrscheinlich mal eine Hure genannt wie eine Regierungschefin, vielleicht sogar noch wahrscheinlicher.

Auch heute ist »Hure« eine böse Beleidigung, in der Frühen Neuzeit war das Wort aber eine derart ernst zu nehmende Diffamierung, dass man dafür vor Gericht landen konnte. »Hure« ist die mit Abstand meistzitierte Beleidigung in Gerichtsfällen aus dieser Zeit, darunter unzählige kreative Varianten: »stinkende Hure«, »ticket-buying whore«*, »besoffene Pisspott-Hure«, »Hure im Spitzenunterrock« und »Hundeschlampen-Hure« – alles belegt.[7]

* Die Bedeutung dieser Variante ist unklar. Die Autorin nimmt an, dass ticket hier so viel wie »Beweis« bedeutet, die Frau also »das Ticket hat, eine Hure zu sein«. Oder aber es handelt sich um ein Ticket für eine Art Theater, in dem die Frau entweder als Hure arbeitet oder sich lasterhafter Unterhaltung hingibt (Anm. d. Ü.).

Im Jahr 1664 behauptete Anne Blagge, Anne Knutsford habe sie eine »pockenärschige Hure« genannt.[8] Die arme Isabel Yaxley beschwerte sich 1667 über eine Nachbarin, die gesagt hatte, sie sei eine »Hure«, die »für ein Stück billigen Fisch gefickt« werden könne.[9] 1695 beschuldigte Susan Town aus London eine Jane Adams, sie habe ihr zugerufen: »Komm raus, du Hure, und kratz dir mit mir den räudigen Arsch.«[10] 1699 klagte Isabel Stone aus York gegen John Newbald, weil er sie »eine Hure, eine ordinäre Hure und eine Pissarsch-Hure … eine Schlampe und eine Pissarsch-Schlampe« geschimpft hatte.[11] Und 1663 wurde Robert Heyward vors Gericht von Cheshire gezerrt, weil er Elizabeth Young eine »weinerliche Hure« und eine »dreckige Hure« genannt hatte. Im Gerichtssaal behauptete er dann, er könne beweisen, dass Elizabeth eine Hure sei, und sie solle nach Hause gehen und sich »die Flecken aus dem Pelz« waschen.[12]

Um auf Beleidigung klagen zu können, brauchte es erst einmal eine*n Zeug*in der Tat, dann ein Charakterzeugnis, um beweisen zu können, dass die Anschuldigung falsch war, und einen Nachweis darüber, wie rufschädigend diese gewirkt hatte. Die Strafen für Beleidigung rangierten von Bußgeldern und öffentlichen Entschuldigungen bis hin zur Exkommunikation (wenn auch selten). Ein Beispiel für eine solche Strafe stammt aus dem Jahr 1691, als William Halliwell sich öffentlich in einer Kirche bei Peter Leigh entschuldigen musste, weil er dessen Charakter beleidigt hatte:

Ich, William Halliwell, habe meine Pflicht vergessen, den Weg der Liebe und Barmherzigkeit zu meinem Nachbarn einzuschlagen, und habe in Wort und Schrift viele skandalöse, beleidigende und tadelnswerte Worte gegen Peter Leigh gerichtet […] Hiermit nehme ich diese Worte allesamt als falsch, skandalös und unwahr zurück […] Es tut mir aufrichtig leid, und hiermit gestehe ich und erkenne an, dass ich ihm starkes Unrecht getan und ihn verletzt habe.[13]

Beispiele für »undamenhafte Sprache« aus New Art and Mistery of Gossipping, 1770. Links: Komm raus, du Schlampe, ich reiß dich in Stücke. Rechts: Leck mich am Arsch, du Hure, ich schnapp mir deinen Mann.

Die Anschuldigung »Hure« war besonders zerstörerisch, weil sie den Wert einer Frau auf dem Heiratsmarkt unmittelbar beeinflusste. Als also Thomas Ellerton im Jahr 1685 Judith Glendering eine Hure nannte, die von »Scheune zu Scheune« zog und von »Kesselflicker zu Fiedler«, tat er mehr, als sie einfach nur zu beleidigen. Er verhinderte, dass sie einen Ehemann fand.[14] 1652 behauptete Cicely Pedley, man habe sie mit der Absicht eine Hure genannt, ihre »Heirat mit einer Person von guter Qualität« zu vereiteln.[15] Auch das Geschäft konnte davon betroffen sein. Ein Friedensrichter entschied 1687, dass es strafbar sei, die Ehefrau eines Pensionswirts Hure zu nennen, weil dies das Geschäft schädige.[16]

Viele Beleidigungsfälle wurden von Männern vor Gericht gebracht, deren Frauen eine Hure genannt worden waren. Die Ehefrau von jemandem als Hure zu bezeichnen, war ganz besonders perfide, weil hier nicht nur die Ehefrau selbst beleidigt wurde, sondern der Ehemann plötzlich als Gehörnter dastand, der es nicht schaffte, seine Alte zu befriedigen. 1685 zum Beispiel wurde Abraham Beaver beschuldigt, Richard Winnell angewiesen zu haben: »Geht nach Hause, Ihr Hahnrei, und Ihr werdet Thomas Fox im Bette Eurer Frau finden«.[17]

Obwohl Fälle, in denen Männer wegen Beleidigung klagten, weniger häufig vorkamen, waren auch diese oft von sexueller Natur. Im Jahr 1680 wurde Elizabeth Aborne aus London von Thomas Richardson vor Gericht gebracht, weil sie gesagt hatte, sein Penis sei »verfault vor lauter Pocken«.[18] Männer wurden außerdem beleidigt als »Hurenhändler«, »Gehörnte«, »Bastard-Väter«, »Schurken« und in einem Fall als »eifersüchtiger kahlköpfiger Trottel und Arsch«.[19] Männer klagten gegen Menschen, die sie Diebe, Bettler oder Säufer genannt hatten. 1699 musste Thomas Hewetson in York vor Gericht erscheinen, weil er Thomas Daniel einen Bettler genannt hatte: »Er war ein Bettler und lief quer durchs Land von Tür zu Tür und bettelte.«[20]

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts gab es an den Kirchengerichten einen merklichen Rückgang der Beleidigungsklagen. Über die Gründe hierfür streiten sich Historiker*innen seit Langem. Möglicherweise war es so, dass sich Gerichte mit der zunehmenden Bevölkerung in den wachsenden Städten verstärkt um andere Verbrechen kümmern mussten als um Frauen, die sich gegenseitig »Busch-Huren« und »pockenärschige Huren« nannten. Es mag auch sein, dass es eine Verschiebung in der Gesellschaft gab und man seine persönlichen Schlammschlachten nun einfach nicht mehr vor einem Richter austrug.

Google Ngram Viewer: Häufigkeit des Wortes »Hure« in der Literatur Englands von 1500 bis 2008.

Im Jahr 1817 schließlich besagte englisches Recht: »Eine verheiratete oder alleinstehende Frau Hure zu nennen, ist nicht strafbar, denn Unzucht und Ehebruch sind Gegenstände geistlicher, nicht weltlicher Kritik.«[21]

Die abgebildete Grafik zeigt den deutlichen Rückgang der Verwendung des Wortes Hure seit dem 17. Jahrhundert. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts war »Hure« noch ein Rechtsbegriff und taucht zwischen 1679 und 1800 in nicht weniger als hundertdreiundsechzig Gerichtsverfahren am Old Bailey auf. Historiker*innen wie Rictor Norton haben untersucht, wie »Prostituierte« oder common prostitute (»gewöhnliche Prostituierte«) das Wort Hure nach und nach als Rechtsausdruck für eine Person, die sexuelle Dienste verkauft, ersetzten.[22] Ich vermute, dass der starke Rückgang der Verwendung von »Hure« zum Ende des 17. Jahrhunderts hin in Zusammenhang steht mit der sprachlichen Bedeutungsverschiebung von Rechtsterminologie zu schlichter Beleidigung.

Heute ist »Hure« weitgehend Bestandteil einer beleidigenden und vulgären Sprache. Aber wie das Wort »Schlampe« ist auch »Hure« in einem Zustand der Wiederaneignung begriffen und kann dazu dienen, die Scham infrage zu stellen, die diesem Wort für Hunderte von Jahren innegewohnt hat. »Hure« mag ein Schimpfwort sein, aber eines, dessen Wurzeln in der Angst vor weiblicher Unabhängigkeit und sexueller Selbstbestimmtheit liegen. Die Entwicklung eines Wortes, das eine begehrende Frau beschreibt, hin zu einer Beleidigung, die genau dieses Begehren verurteilt, zeichnet kulturelle Einstellungen gegenüber weiblicher Sexualität nach. Wenn ich »Hure« sage, dann will ich damit niemanden beschämen, ich will damit all diejenigen anerkennen, die das gesellschaftliche Zartgefühl in einem Maß erschüttert haben, das ihnen diese Bezeichnung einbrachte. Ich verwende es, um der Schande, die es in sich birgt, die Luft abzulassen. Ich verwende es, um daran zu erinnern, dass Sprache beeinflusst, wie wir einander sehen, und sich ständig weiterentwickelt. Historisch gesehen bist du dann eine Hure, wenn du begehrst. Du bist eine Hure, wenn du die von Männern gemachten Regeln überschreitest und ihn in seiner überlegenen Stellung bedrohst. Historisch gesehen sind wir alle Huren.

»Ein böser Name für eine böse Sache«

Eine Geschichte der cunt

Ich liebe das Wort cunt*. Ich liebe alles daran. Nicht nur die Bedeutung davon, Vulva, Vagina, Pudendum (alles fotzige Wunder, aber dazu später mehr), sondern die tatsächliche akustische und sichtbare Erscheinung des Wortes. Ich bete seine einfache einsilbige Form an.

* Im Folgenden wird cunt durchgängig mit »Fotze« übersetzt (Anm. d. Ü.).

Gustave Courbet, L’Origine du Monde, 1866.

Ich liebe es, dass die ersten drei Buchstaben (c u n) im Grunde auf die gleiche kelchförmige Art durch das Wort rollen, bis sie dann alle auf ihrer Wanderung vom Explosivlaut t gestoppt werden. Ich liebe das kraftvolle Knurren von c und t, die das weiche un einrahmen und es einem erlauben, das Wort wie eine Kanonenkugel rauszufeuern oder aber dramatisch lang zu ziehen, es sich durch den Mund rollen zu lassen: cuuuuuuuuuunt!

Ich liebe das Wort, weil es herrlich dreckig und unendlich lustig ist und weil es wie ein akustisches Ausrufezeichen die Kraft hat, ein Gespräch im Keim zu ersticken. Walter Kirn nannte cunt die »Atombombe der englischen Sprache«, und damit hatte er absolut recht.[1] Ich liebe die Vielseitigkeit des Wortes. In den USA ist cunt eine unfassbare Beleidigung, in Glasgow dagegen wird es auch als Kosewort benutzt. »I love ya, ya wee cunt« (»Ich liebe dich, du kleine Fotze«) benutzt, die man in jedem Glasgower Kinderzimmer hört. Okay, das stimmt nicht, aber die Schotten legen ein erstaunliches linguistisches Geschick an den Tag, wenn es um das Wort cunt geht. Irvine Welshs 1993 erschienener Roman Trainspotting enthält 731 cunts (aber nur neunzehn haben es bis in den Film geschafft).

Mehr als alles andere jedoch liebe ich die pure Kraft dieses Wortes. Dessen heiliger Status als »das böseste aller bösen Wörter«[2], um es mit Christina Caldwell zu sagen, fasziniert mich. Es gibt noch weitere Mitbewerber um den Titel »größte Beleidigung in der englischen Sprache«, rassistische Herabsetzungen zählen hier zu den Schwergewichten. Das N-Wort ist wegen seines historischen Kontexts eine üble Beleidigung. Es ist nicht bloße Beschreibung, sondern ein Wort, mit dem People of Colour entmenschlicht und einige der schlimmsten Gräueltaten in der Geschichte der Menschheit gerechtfertigt wurden. Es begleitete die Knechtung und brutale Behandlung von Millionen von Menschen durch das Leugnen der Gleichheit von Schwarzen und Weißen mittels Sprache. Wir verstehen absolut, warum rassistische Bemerkungen in höchstem Maße beleidigend sind, aber cunt? Kommt es außer mir niemandem komisch vor, dass eines der krassesten Schimpfwörter ein Wort für Vulva ist? Oder dass dieses Wort in derselben Beleidigungsliga mitspielt wie rassistische Ausdrücke, die im Zuge der dunkelsten und widerlichsten menschlichen Grausamkeiten entstanden sind? Soweit ich weiß, hat cunt keinen Genozid ermöglicht, also muss man schon fragen dürfen: Wie konnte cunt zu einer solchen Beleidigung mutieren? Was hat cunt falsch gemacht?

Schauen wir uns erst einmal die Etymologie an. Cunt ist alt. So alt, dass der Ursprung des Wortes verloren ist, und Etymolog*innen sich immer noch darüber streiten, woher zur Hölle dieses Wort kommt. Es ist mindestens einige Tausend Jahre alt und kann bis zum altnordischen kunta und protogermanischen kunt zurückverfolgt werden, aber für die Zeit davor ist cunt ziemlich schwer greifbar. Für das Mittelalter sind in den meisten germanischen Sprachen ein paar Verwandte nachweisbar: Kutte, Kotze und Kott sind allesamt deutsche Wörter. Die Schweden haben kunta, die Dänen conte, kut und kont, und die Engländer hatten mal cot (was ich irgendwie mag und darum auf ein Revival hoffe). Und hier fangen die Diskussionen an: Niemand weiß so ganz genau, was cunt bedeutet. Manche Etymolog*innen meinen, das Wort habe seinen Ursprung im proto-indoeuropäischen gen/gon, was »erschaffen, werden« bedeutet. Gen lässt sich in den modernen englischen Wörtern gonads, genital, genetics und gene finden. Andere wiederum vertreten die Theorie, cunt komme von gune, was »Frau« bedeutet und in »Gynäkologie« steckt.[3] Der Ursprungslaut, der Etymolog*innen am meisten fasziniert, ist das cu. Cu wird mit dem Weiblichen in Zusammenhang gebracht und stellt die Basis von cow (»Kuh«) und queen (»Königin«) dar.[4]Cu ist mit dem lateinischen cunnus (»Vulva«) verbunden, was verlockend ähnlich klingt wie cunt (wenn auch einige Etymolog*innen behaupten, die beiden seien nicht verwandt) und das französische con, das spanische coño, das portugiesische cona und das persische kun hervorgebracht hat.[5] Meine liebste Cunt-Theorie besagt, dass dieses cu außerdem bedeutet, Weisheit zu besitzen. Cunt und cunning (»gerissen«, »schlau«) haben wahrscheinlich gemeinsame Wurzeln – cunning bedeutete ursprünglich eher »Weisheit« oder »Wissen« als »Gerissenheit«, während can und ken zu Präfixen von cognition (»Erkenntnis«) und anderen Ableitungen wurden.[6] Im heutigen Schottland bedeutet to ken »verstehen«. Im Mittelalter stand quaint für »Wissen« und »Fotze« (aber davon später mehr). Die Diskussion tobt weiter, und das Einzige, was sicher scheint, ist, dass cunt ein echtes Rätsel darstellt.

Okay, was haben wir: Cunt ist das älteste Wort für »Vulva« oder »Vagina« in der englischen Sprache (möglicherweise das älteste Europas). Die einzige Rivalin um den Preis für das älteste Wort für the boy in the boat (1930 geprägt; wörtlich »der Junge im Boot«, bedeutet »Klitoris«) wäre Yoni (»Vulva«, »Quelle« oder »Mutterleib«). Die englische Sprache hat sich »Yoni« um 1800 herum vom alten Sanskrit geborgt, und mittlerweile wurde das Wort von zahlreichen neospirituellen Gruppierungen übernommen, deren Mitglieder hoffen, dass sie, indem sie ihre duff (1880; Ursprung unklar, bedeutet »Hintern« genauso wie »wertlos« oder »Mehlpudding«) Yoni nennen, um dieses schreckliche cunt herumkommen und irgendwelche antiken Kulte rund um ihre flapdoodle (1653; »Unsinn«) anzapfen können. Ironischerweise ist es gut möglich, dass cunt und »Yoni« derselben proto-indoeuropäischen Quelle entspringen, darüber hinaus ist cunt viel feministischer, als es Vagina oder Vulva jemals zu träumen wagen.

»Vagina« kommt vom lateinischen vagina, was »Scheide« oder »Umhüllung« bedeutet, und taucht bereits in medizinischen Schriften aus dem 17. Jahrhundert auf. Eine Vagina ist etwas, in das man sein Schwert steckt – darin liegt die ganze etymologische Funktion des Wortes, das Behältnis für ein Schwert (Penis) zu sein. Es ist in Bedeutung und Funktion völlig auf den Penis angewiesen. Da könnten wir das arme Ding genauso gut noch cock alley (1785; wörtlich »Schwanz-Allee«) oder pudding bag (1653; Darm, später Tuch zum Kochen von Füllungen) nennen. Es gibt viele pfiffige Linguist*innen, die zu Recht durchdrehen, wenn jemand Vagina mit Vulva verwechselt. Also: Die Vagina ist der muskuläre Kanal, der die Vulva mit dem Uterus verbindet. Die Vulva ist die äußere Ausstattung und beinhaltet Mons pubis (Venushügel), große Vulvalippen, kleine Vulvalippen, Klitoris, Scheidenvorhof, Vorhofschwellkörper und die Bartholin-Drüse. Der Begriff »Vulva« kommt vom lateinischen vulva aus dem späten 14. Jahrhundert, was »Mutterleib, Gebärmutter« bedeutet. Es gibt auch Stimmen, die sagen, das Wort komme von volvere, was »rollen« oder »wickeln« bedeutet. So definiert Thomas Elyot in seinem Lateinwörterbuch von 1538 »Vulva«: »Mutterleib oder Mutter eines jeden weiblichen Tieres, außerdem eine Fleischart der Römer, gemacht aus dem Bauche einer Sau, die entweder hat geferkelt oder trägt ebendiese«[7]. Auch hier besteht die Bedeutung der Vulva also wieder darin, das Behältnis für den Penis zu sein – oder aber im zweifelhaften Aufschneiden eines trächtigen römischen Schweins.

Die cunt jedoch ist älter als diese beiden Begriffe und wurzelt in einem proto-indoeuropäischen Wort, das »Frau«, »Wissen«, »Schöpferin« oder »Königin« bedeutet, was doch sehr viel machtvoller ist als ein Wort, das »Ich habe Platz für einen Schwanz« bedeutet. Außerdem meint cunt das ganze verdammte Ding zusammen, innen und außen. Wörter wie Vulva oder Vagina sind lediglich sprachliche Bemühungen, hygienisch bereinigte, medizinische Alternativen zu cunt zu liefern. Und wenn das noch nicht ausreicht, um euch ins Team Cunt rüberzukriegen: Im Jahr 1500 definierte Wynkyn de Worde Vulva als »auf Englisch cunt« bedeutend.[8]Cunt ist keine Umgangssprache, cunt ist das Original. Okay, cunt ist also die Urmutter aller Wörter für »die Einsilbige« (1780) – dann stellt sich aber doch die Frage: War cunt immer eine solche Beleidigung wie heute?

Die schlichte Antwort lautet Nein. Nach mittelalterlichem Verständnis war cunt einfach ein beschreibender Begriff, ein bisschen derb vielleicht, dazu neigen cunts eben, aber mit Sicherheit nicht beleidigend. Die Tatsache, dass es cunt bis in de Wordes Wörterbuch und in medizinische Schriften geschafft hat, zeigt, wie alltäglich dieses Wort war. John Halls Übersetzung von Lanfrank von Mailands Medizinschrift Chirurgia Parua Lanfranci aus dem 16. Jahrhundert ist nicht gerade arm an cunts: »[…] in wymmen neck of the bladder is schort, is made fast to cunte«[9] (sinngemäß: »Bei Frauen ist der Blasenhals kurz und verläuft geradewegs zur cunte«). Die älteste Erwähnung von cunt liegt laut Oxford English Dictionary im Jahr 1230 und bezieht sich auf eine Straße im Londoner Rotlichtmilieu in Southwark – die wunderschön klingende Gropecuntelane[10] (etwa »Fotzengrapschstraße«). Hier war der Name Programm: Eine Straße zum Fotzenbegrapschen. In allen Städtchen des mittelalterlichen Englands befanden sich Gropecuntelanes (oder Varianten davon: Grapcunt, Groppecuntelane, Gropcunt Lane). Keith Briggs machte Gropecuntelanes in Oxford, York, Bristol, Northampton, Wells, Great Yarmouth, Norwich, Windsor, Stebbing, Reading, Shareshill, Grimsby, Newcastle und Banbury aus. Bedauerlicherweise wurden mittlerweile all diese Straßen umbenannt, meistens in Grape Lane oder Grove Lane.[11]

In Schottland mögen Freund*innen als cunts bezeichnet werden, im Mittelalter aber nannte man anscheinend sogar seine Kinder so. Cunt taucht tatsächlich in einer Reihe mittelalterlicher Nachnamen auf (wenn es sich hierbei auch wahrscheinlich um Pseudonyme handelte): Wir kennen zum Beispiel Godwin Clawecunte (1066), Gunoka Cuntles (1219), John Fillecunt (1246) und Robert Clevecunt (1302). Und als ob die Möglichkeit, Fräulein Gunoka Cuntles in der Gropecuntelane zu begegnen, nicht schon aufregend genug wäre, gibt es da auch noch ein Fräulein Bele Wydecunthe, das auf einer Norfolker Steuerliste von 1328 auftaucht.[12] Wo wir schon beim Thema Namen sind: Russell Ash fand für seine Studie lustiger Namen im England des 19. Jahrhunderts eine ganze Familie voller Cunts: Fanny Cunt (geboren 1839), deren Sohn Richard »Dick« Cunt und deren Töchter Ella Cunt und Violet Cunt.[13]

John Speed, Map of Oxfordshire and the University of Oxford, 1605.

Eine Sheela-na-Gig aus dem 12. Jahrhundert an der Kirche in Kilpeck, Herefordshire, England

Die mittelalterliche Literatur ist ähnlich voll mit cunts. The Proverbs of Hendyng (ca. 1325) hält folgenden Rat an junge Frauen bereit: »Give your cunt cunningly and make [your] demands after the wedding«[14] (»Sei schlau, wenn du deine Fotze hergibst, und stell deine Ansprüche nach der Hochzeit«).

Im 15. Jahrhundert empfahl die walisische Dichterin Gwerful Mechain ihren Dichterfreunden, den »Vorhang einer feinen hellen Fotze« zu feiern, der sich »so einladend öffnet« (celebrate the »curtain on a fine bright cunt« that »flaps in a place of greeting«).[15] Die mittelalterliche Gesellschaft war sexuell viel freier, als wir es ihr heute zugestehen, und ein Grund dafür, warum cunt nicht als anstößig empfunden wurde, war die Tatsache, dass Sex insgesamt nicht als besonders anstößig galt. Das Mittelalter war bestimmt kein sexuell befreites Utopia, aber die Menschen liefen auch nicht allesamt mit Keuschheitsgürteln herum, wie es uns die Legende weismachen will. Sex war Gegenstand von Humor und Erotik und absolut zentral im Leben verheirateter Menschen. Ihn als zutiefst anstößig zu empfinden, begannen die Menschen erst in der Frühen Neuzeit.

Betrachtet man die Geschichte der Tabuisierung von Sprache, dann lässt sich eine Bewegung von Blasphemie zu Körperfunktionen beobachten. Inzwischen ist es die Herkunft von Menschen, die mit den größten sprachlichen Tabus belegt ist. Schimpfwörter, die einen im Mittelalter in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht haben, waren gotteslästerliche. Wenn man sich im 13. Jahrhundert die Eier im Reißverschluss eingeklemmt hat, hätte man wahrscheinlich so was wie »Gottes Zähne!«, »Gottes Wunden!« oder »Gottes Augen!« geschrien. Cunt war im Vergleich dazu als beschreibender Begriff für alle Anlässe angemessen. Er war weder beschönigend putzig noch übermäßig medizinisch oder lustig-grotesk – cunt war cunt.

Ein mittelalterlicher Schriftsteller, der das C-Wort mit der Präzision einer Militärdrohne abfeuerte, war Geoffrey Chaucer (1343 – 1400). Das Wort, das Chaucer in The Canterbury Tales und The House of Fame (Das Haus der Fama) benutzt, ist nicht cunt, sondern queynte. Die Lesenden allerdings werden nicht lange grübeln müssen, was eine queynte ist – das Weib von Bath macht das recht deutlich:

What eyleth yow to grucche thus and grone?

Is it for ye wolde have my queynte allone?[16]

Was plagt dich, dass du so schimpfst und klagst?

Ist’s, weil du meine Fotze für dich haben magst?

Chaucers berühmtester Cunt-Witz stammt aus The Miller’s Tale (Die Erzählung des Müllers), wo queynte beides meint, »Wissen« und »Fotze« (erinnert ihr euch, die gemeinsamen Wurzeln von cunning und cunt?).

As clerkes ben ful subtile and ful queynte,

And prively he caught hire by the queynte,

And seyde, »’Ywis, but if ich have my wille,

For deerne love of thee, lemman, I spille.«[17]

Der Schreiber war schlau und gerissen,

und griff nach ihrer Fotze rüber,

und sagte, »Gibst du mir nicht, was ich will, oh Liebes,

so lauf ich über.«

Der Gebrauch des Wortes quaint (»bizarr«, »seltsam«, aber auch »urig« oder »lieblich«) als Synonym für cunt lässt sich in vielen anderen Werken nachverfolgen. John Florio benutzt in seinem Italienisch-Englisch-Wörterbuch von 1598 quaint als Synonym für cunt und definiert potta als »a cunt, a quaint« und pottuta als »that hath a cunt, cunted, quainted« (etwa »mit einer Fotze ausgestattet«).[18] Die Doppelbedeutung von quaint taucht außerdem in Andrew Marvells To His Coy Mistress auf:

Thy beauty shall no more be found;

Nor, in thy marble vault, shall sound

My echoing song: the worms shall try

That long preserved virginity:

And your quaint honour turn to dust;

And into ashes all my lust.[19]

Deine Schönheit wird verloren sein;

Verhallt, in deiner Marmor-Gruft, mein Lied: Die Würmer fressen nun sich satt an dem,

was jungfräulich so lang gewartet hat:

Und deine Ehre süß wird Staub zum Schluss;

Zu Asche wird all meine Lust.

Es wurde außerdem diskutiert, ob William Shakespeares acquaint (»bekannt«, »vertraut«) in seinem SonnetXX (SonettXX, 1609) ein Wortspiel aus quaint und cunt sei. Und wenn ein Mann um die komödiantische Kraft einer wohlplatzierten cunt wusste, dann war es Shakespeare. In Hamlets drittem Akt, Szene zwei, fragt der Titelheld Ophelia: »Lady, shall I lie in your lap?« Ophelia antwortet: »No, my lord.« Daraufhin Hamlet: »Do you think I meant in country matters?«[20] Als David Tennant den Hamlet spielte, machte er eine Pause nach der ersten Silbe, um zu betonen: Cunt-ry matters. In Twelfth Night (Was ihr wollt, 1601), Akt zwei, Szene fünf, beschreibt Malvolio die Handschrift seiner Herrin so: »So macht sie ihre Cs und Us und Ts, und hier, ihre großen Ps« – ein Wortspiel mit cunt und piss?[21] Die unübertroffene Bedeutung des Barden für die Verbreitung von Schweinkram wurde diskret unter den kulturellen Teppich gekehrt, dabei ist sein Werk voll von Anspielungen und Schwanzwitzen. Ein schockierter Thomas Bowdler strich 1807 alle groben Scherze, damit Frauen und Kinder Shakespeare gefahrlos lesen konnten, und veröffentlichte The Family Shakespeare (komplett fotzenfrei). Unter den vielen Änderungen, die für The Family Shakespeare vorgenommen wurden, begeht Ophelia in Hamlet nicht Selbstmord, wird die Figur der Doll Tearsheet (im Deutschen Dortchen Lakenreißer, eine Sexarbeiterin) in HenryIV. komplett gestrichen und Mercutios schlüpfrige Antwort auf die Frage von Julias Amme, ob es denn wirklich schon Mittag sei, »the bawdy hand of the dial is now upon the prick of noon«, verkürzt zu »the hand of the dial is now upon the point of noon«.**[22] Hieraus entstand das englische Wort bowdlerise, was das Entfernen von als unangemessen empfundenen Textstellen beschreibt.

** Auch die deutschen Übersetzer*innen winden sich an dieser Stelle. Eine sehr schöne Übertragung stammt von Thomas Brasch (1945 – 2001): »Der geile Zeigerstachel steht ganz nach oben und kitzelt stark in der Öffnung zwischen ihrer Eins und ihrer Zwei die aufgespreizte Zwölf.« www.welt.de/print-welt/article332837/Oh-wie-schoen-obszoen.html (Anm. d. Ü.).

Auch Shakespeares Zeitgenossen verwendeten cunt ganz ungezwungen in ihren Balladen, und sie verspürten nicht durchweg den Zwang, sie hinter Zweideutigkeiten zu verstecken. Ragionamenti della Nanna e della Antonia (1534 – 36) von Pietro Aretino ruft den Lesenden zu, diese blumigen Umschreibungen sein zu lassen und einfach cunt zu sagen: »Sprecht klar, sagt ficken, Fotze und Schwanz; andernfalls wird euch niemand verstehen.«[23] Das schottische Theaterstück Philotus (1603) enthält die Zeile »runter mit der Hand und ran an ihre Fotze«.[24] Und der Mercurius Fumigosus (1654) feiert »cunt and good company«[25], eine Fotze und gute Gesellschaft. Die Tatsache allerdings, dass erfolgreiche Schriftsteller wie Shakespeare und Marvell cunt als schlüpfrige Pointe einsetzten und sie hinter Kalauern und kecken Andeutungen verbargen, legt nahe, dass der Begriff zu Shakespeares Zeiten schon anfing, zensiert zu werden.

Es ist kein Zufall, dass etwa zu dieser Zeit die ersten Gesetze in Kraft traten, die sexuell obszönes Material verbannen sollten. In Großbritannien verfasste William Lambarde 1580 den ersten parlamentarischen Gesetzesentwurf, um »Bücher, Pamphlete, Sprüche, Lieder und andere Werke, die wollüstige, gottlose Liebe fördern« zurückzudrängen.[26] Der Licensing Act von 1662 verbot die Veröffentlichung aller »ketzerischen, aufrührerischen, abtrünnigen oder anstößigen Bücher oder Pamphlete, die Lehren oder Überzeugungen anführen oder bestätigen, die unvereinbar mit dem christlichen Glauben sind«.[27] Sprache ist ein mächtiges Werkzeug, wenn es um gesellschaftliche Kontrolle geht: Mit der Unterdrückung von Sex wurden mit dem Körper verbundene Begriffe tabuisiert. Denn wie sollen wir schließlich an unserer Sexualität und an unserem Körper Freude haben, ganz ohne Scham, wenn genau die Wörter, die wir benutzen, um darüber zu sprechen, darüber zu denken oder zu schreiben, als schmutzig angesehen werden? Ellis Cashmore ist überzeugt, dass die Verbannung von cunt in die Schmuddelecke das Ergebnis von sexueller Massenzensur und dem Aufstieg von »Anstand« war: »Mit den Regeln kam das Benehmen, und mit dem Benehmen kam die Höflichkeit, und mit der Höflichkeit kam der Anstand, und das Wort cunt bezog sich auf Teile des Körpers, die weggeschlossen, die verborgen wurden.«[28] Besonders die weibliche Sexualität war Zensur und Bestrafung ausgesetzt, und cunt war ein deutliches Symbol all dessen, was die puritanische Herrschaft zu unterdrücken versuchte.

Mit dem 17. Jahrhundert war cunt zu etwas ganz und gar Schockierendem geworden, und einer, der geradezu in der mittlerweile köstlich-abartigen Umarmung des Wortes schwelgte, war John Wilmot, der Earl of Rochester (1647 – 1680). Rochester war ein englischer Dichter und Höfling von König Karl II. Er war der Inbegriff von Ausschweifung und sexuellem Exzess und strotzte nur so von »Fuck you, ich mach, was ich will«. Oliver Cromwells Parlament hatte versucht, Sexualität einzudämmen, und als diese puritanischen Dämme nach dessen Tod brachen, da surfte Rochester für alle sichtbar die nun sich Bahn brechende, durch sexuelle Unterdrückung aufgestaute Flutwelle. Geoffrey Hughes beschrieb Rochester einmal sehr treffend als glücklich »in einer Welt, in der sich alles auf Schoßhöhe abspielt«.[29]

Wilmots Gedicht Advice to a Cuntmonger (»Rat an einen Zuhälter«) beginnt wie folgt:

Beständig bleibt des Stechers Glück

Pflegt er die Fotzen, die er pflügt,

Krank ist des schlimmen Tarseholes*** Schaft noch

Gicht und Fisteln drin im Arschloch.[30]

*** König Tarsehole von Gomorrha, eine Figur aus Wilmots Stück Sodom.

Er beschreibt die Anziehungskraft, die eine Liebhaberin auf ihn auswirkt, so: »Was mich da auch berühren mag, es zählt nicht so genau,/Ob Hand, ob Fuß, ganz Fotze ist die Frau« (1680). Rochesters Stück Sodom von 1684 enthält Figuren wie »Königin Cuntigratia« und deren Magd »Cunticula«. Sein Ramble in St James’s Park (1672) wartet mit acht cunts auf, während er immer eifersüchtiger wird auf die anderen Liebhaber seiner Herrin.

Ist deine Fotz’ dann endlich satt

Getränkt vom Saft der halben Stadt,

Schlürft sie zum Nachtisch hinterher

Mein Quäntchen Sperma auch noch leer.

Ein andres Mal dann vollgefressen

Und voll von Schleim, den wie besessen

Deine gierig Fotze wieder

Sich stahl von Pförtner oder Diener.[31]

Es ist verlockend, Rochesters Werk als Fest der Sexualität zu lesen, aber da gibt es eine große Wut und einen beträchtlichen Hass auf Fotzen und ihre Besitzerinnen. In Sodom definiert Rochester cunt als »vulgäres, ekelhaftes Spülbecken der Liebe« und behauptet »die, die eine Fotze hat, wird zur Hure«. Seine Lyrik ist voll von herabwürdigender, grotesker Beschreibungen von krankheitsbefallenen, schütteren, bissigen, bösartigen cunts. In A Ramble in St James’s Park wird Rochesters Hass auf die von ihm begehrten Frauen (und deren Genitalien) auf die anderen Männer projiziert, die er als »unterwürfige Köter« auf ihrer Jagd nach cunts verachtet.

Die stolze Schlampe führt sodann

Die demütigen Köter an

Die ganze unterwürf’ge Rotte

Auf Jagd nach köstlich salz’ger Grotte.[32]

Mit dem 17. Jahrhundert setzte außerdem die Verwendung von cunt als abfälligem Sammelbegriff für Frauen ein, und zwar besonders für sexuell aktive Frauen – ganz ähnlich den charmanten heutigen Bezeichnungen pussy (1699) oder clunge (2008). Samuel Pepys schreibt 1665 über ein Pulver, das »die cunts der ganzen Stadt« anziehen würde, eine Ballade aus dem Jahr 1675 warnt: »Cunts aus der Stadt sind ein gefährliches Vergnügen.«[33]

Abbildung aus The School of Venus, or the Ladies Delight, 1680

Bis zum 18. Jahrhundert war aus cunt ein obszönes und hässliches Wort geworden. In seinem Classical Dictionary of the Vulgar Tongue (1785) schreibt Francis Grose, cunt sei »ein böses Wort für eine böse Sache« und verwendet stattdessen die Bezeichnung monosyllable, »die Einsilbige«.[34] Ziemlich schamhaft für einen Mann, der »Mrs Fubbs Salon«, »Buckingers Stiefel«, »Stummelschwanz« und »Hummerreuse« als Synonyme für die »Waren einer Frau« anführt. Cunny, abgeleitet von cunt, und quim werden im 18. Jahrhundert Bestandteile des allgemeinen Sprachgebrauchs. John Clelands Porno Fanny Hill (1748) war komplett cunt-freie Zone, Cleland prahlte, er habe es geschrieben, ohne auch nur ein einziges böses Wort zu verwenden. Der jährlich erscheinende Almanach der Londoner Sexarbeiterinnen, Harris’s List (1757 – 1795), traut sich ebenfalls nicht an cunt ran, er spricht lieber von »moosigen Grotten« und »Venushügeln«.[35]

Ein Schriftsteller aus dem 18. Jahrhundert verwendete cunt jedoch gerade wegen des Schockfaktors, und das war der Marquis de Sade (1740 – 1814). Bei ihm gibt es kleine cunts, gefickte cunts, offene cunts, hübsche cunts, berüchtigte cunts, blutbeschmierte cunts, gebumste, geleckte und gemeine cunts. Man nehme ein x-beliebiges Buch des Marquis de Sade und schüttele es – garantiert purzelt da eine cunt heraus. Sade ist eine Cunt-Piñata. Seine Philosophie dans le Boudoir (Die Philosophie im Boudoir, 1795) enthält etwa folgendes Juwel:

Als Nächstes werde ich meinen Schwanz in ihrem Anus einquartieren; dein Arsch wird mir von Nutzen sein, er wird den Platz der Fotze einnehmen, die sie mir gerade noch unter die Nase gehalten hat, und mit ihrem Kopf zwischen deinen Beinen bekommst du nun, was sie gerade noch bekam. Ich lecke dir das Arschloch, so wie ich ihr gerade die Fotze geleckt habe, du entlädst dich, genau wie ich, und währenddessen liegt meine Hand auf dem lieben, süßen, hübschen, kleinen Körper dieser reizenden Novizin und kitzelt unermüdlich ihre Klitoris, damit auch ihr die Sinne schwinden vor Lust.[36]

»Les charmes de Fanny exposés« (Tafel VIII) aus Fanny Hill, 1766.

Sade hatte Vergnügen an extremer, von der Norm abweichender Pornografie, und der wiederholte Gebrauch des Wortes cunt, der ganz im Gegensatz steht zu den putzigen Euphemismen in Fanny Hill, zeugt von dessen Aufstieg zum anstößigsten Wort der westlichen Welt.

Doch wenn die prüde viktorianische Oberschicht auch in dem Ruf steht, sexuell verklemmt gewesen zu sein, Pornografie bahnte sich ihren Weg wie der Fluss aus Schleim in GhostbustersII. Ohne Zweifel war cunt ein durch und durch obszönes Wort. Aber genau deshalb ächzt die viktorianische Erotikliteratur auch dermaßen unter dem Gewicht von cunts. Erotikromane wie The Lustful Turk (1828), The Romance of Lust (1873), Early Experiences of a Young Flagellant (1876) von Rosa Belinda Coote, The Mysteries of Verbena House (1882) von Etonensis, The Autobiography of a Flea (1887) und Venus in India (1889) von Captain Charles Devereaux gleichen einem C-Bomben-Blitzkrieg. The Pearl war eine pornografische Zeitschrift, die in London von 1879 bis 1880 erschien, als man sie wegen der Veröffentlichung obszönen Materials einstellte. Die meisten Ausgaben enthalten eine Sammlung von Scherzgedichten oder »Kinderliedern«, die viel Spaß mit cunt haben:

Eine Fotze, aus Lehm gemacht,

Das hat ein Mann aus Bombay vollbracht,

Doch sein Schwanz glich bald einem Tiegel,

Und machte daraus ’nen Ziegel,

Und seine Vorhaut verlor die Schlacht.

Da war mal ein Mädel, das kratzte

Sich in der Küche die Fotze,

Ihr Vater, der gute, rief »Filzläuse, Ute!«

»Oh Papa, es juckt so, ich platze!«[37]

Lawson Tait, Diseases of Women and Abdominal Surgery, 1877.

Im 19. Jahrhundert dann wird cunt zunehmend als allgemeine Beleidigung benutzt. Laut Oxford English Dictionary stammt die erste bekannte Verwendung des Wortes als Diffamierung aus dem Jahr 1860: And when they got to Charleston, they had to, as it wont/Look around to find a chairman, and so they took a Cunt. (»Und als sie nach Charleston kamen, mussten sie, so ist es Brauch, einen Vorsitz finden, und sie wählten also eine Fotze«).[38]

Der vielleicht bedeutendste Cunt-Moment des 20. Jahrhunderts war das Verbot von D. H. Lawrences Lady Chatterley’s Lover (Lady Chatterleys Liebhaber, 1928) und der sich anschließende Gerichtsprozess. Das Buch enthält vierzehn cunts (und vierzig fucks). Als Gerald Gould 1932 eine überarbeitete Ausgabe rezensierte, stellte er fest, dass »Passagen notwendigerweise gestrichen« wurden, »die für den Autoren unzweifelhaft größte psychologische Bedeutung besaßen – so groß, dass er dafür Verleumdung und Unverständnis und Zensur in Kauf nahm«.[39]

Invocation à l’amour, 1825.

Das Buch war eine Sensation, nicht allein wegen der anschaulichen Beschreibungen von Sex und weiblicher Lust, sondern weil hier Sex eingesetzt wurde, um Klassengrenzen niederzureißen. Sex ist einer der größten Gleichmacher, und bei allen Titeln, Reichtümern und Privilegien – Lady Constance Chatterley hat eine cunt: Sie ist ein sexuelles Wesen. Sexuelles Verlangen und Lust verstehen nichts von Klassensystemen. Lawrence verwendet das Wort cunt durchgehend, denn es ist das einzige Wort, das es vermag, die sehnsuchtsvolle, fundamentale sexuelle Begierde von Constance auszudrücken und gleichzeitig die Ansprüche einer Gesellschaft zu unterwandern, die in Frauen lediglich geschlechtslose Ehegattinnen und Mütter sah. Lawrences Gebrauch des Wortes ist empörend, aber gleichzeitig unheimlich sanft und leidenschaftlich; für ihn ist cunt etwas wirklich Wundervolles. Eine der Schlüsselszenen im Roman ist die, in der Mellors Constance den Unterschied zwischen cunt und fuck beibringt:

»Du bist eine feine Fotze, oh ja. Die beste der Welt. Wenn es dir nur gefällt! Wenn du willig bist!«

»Was ist ›Fotze‹?«, fragte sie.

»Wie, das weißt du nicht? Fotze! Das bist du da unten. Und was ich fühle, wenn ich in dir bin, und was du fühlst, wenn ich in dir bin. Da unten eben.«

»Da unten eben«, neckte sie. »Fotze! Also, das Gleiche wie ficken?«

»Nein, nein! Ficken ist das, was man macht. Tiere ficken. Aber Fotze, das meint viel mehr als das. Das bist du, verstehst du? Und du bist viel mehr als ein Tier, oder nicht? Auch beim Ficken. Fotze! Ah, das ist all deine Schönheit, Mädchen!«[40]

Cunt: that’s the beauty of thee, lass! – Ich glaube, ich habe noch keine schönere Definition von cunt gehört. Lawrences Bemühungen und einer Jury zum Trotz, die immerhin zugegeben hat, dass ein Werk vollgestopft mit cunts einen künstlerischen Wert haben kann, muss cunt traurigerweise erst wieder in die feine Gesellschaft zurückgeführt werden. James Joyce benutzt eine cunt in Ulysses (1922) und nennt das Heilige Land »grey sunken cunt of the world«[41] (»graue versunkene Fotze der Welt«). (In den privaten erotischen Briefen an seine Frau Nora, die er entzückenderweise fuck bird nennt, verwendet Joyce cunt recht freizügig.) Die amerikanischen Beatpoeten mögen den Schockeffekt, den cunt hat. In Howl (Das Geheul, 1956) schreibt Ginsberg von einer »vision of the ultimate cunt«,[42] einer »Vision von der ultimativen Fotze«. Erst 1971 schafft es cunt ins Mainstream-Kino, und zwar in Carnal Knowledge(Die Kunst zu lieben) mit Jack Nicholson und Ann-Margret. Jonathan Fuerst, gespielt von Nicholson, schreit Bobbie (Ann-Margret) an: »Is this an ultimatum? Answer me, you ball-busting, castrating, son of a cunt bitch!«[43] (»Soll das ein Ultimatum sein? Antworte mir, du verdammte eierzerquetschende, kastrierende Scheißfotze!«) In The Exorcist (1973) kommt zweimal das Adjektiv cunting vor (z. B. cunting daughter). Es gibt noch eine dritte cunt, die aber herausgeschnitten wurde, und zwar da, wo die geplagte Regan ihrem Arzt sagt, dass er seine Finger von ihrer Fotze lassen soll.[44] Bemerkt? Die einzige cunt, die aus dem Film geschnitten wurde, war die, die tatsächlich Vulva meinte. Das gilt übrigens für die meisten Fotzen im Kino – das Wort wird bei Weitem öfter zur Beleidigung verwendet als zur Beschreibung der Genitalien.

Mit dem Voranschreiten des 20. Jahrhunderts verfestigte sich die Rolle von cunt als machtvolle Beleidigung weiter. Das Oxford English Dictionary nahm cunt erst in den Siebzigerjahren auf. Im Jahr 2014 allerdings wurde dem OED unter diesem Eintrag cunty, cuntish, cunted und cunting hinzugefügt. Cunty wird definiert als »höchst unangenehm und unerfreulich«; cuntish bedeutet »unangenehme Person oder unangenehmes Verhalten«; cunted heißt »betrunken sein«, und cunting ist eine Verstärkung und bedeutet »sehr«.[45] Kein Zweifel, cunt ist ein sehr vielseitiges Wort (als Substantiv, Adjektiv und Verb), aber es erregt noch immer Anstoß. 2016 erstellte Ofcom (die britische Medienaufsichtsbehörde) eine Rangliste von Schimpfwörtern gemessen an deren Schlagkraft, und cunt landete auf dem ersten Platz.[46] Das British Board of Film Classification (entspricht etwa FSK in Deutschland) entschied, dass cunt nur wiederholt in Filmen auftauchen darf, die ab achtzehn sind.

Auch das Verhältnis zwischen cunt und Feminist*innen ist angespannt, man ist sich uneinig, ob das Wort Empowerment bedeutet oder Erniedrigung. Verschiedene feministische Bewegungen haben bereits versucht, sich cunt wieder anzueignen. Judy Chicago beispielsweise führte die »Cunt Art«-Bewegung der Siebzigerjahre an und zeigte Kunst, die ganz offensiv cunts einsetzte, um die prüden Einstellungen rund um weibliche Sexualität aufzumischen. Inga Muscios Buch Cunt: A Declaration of Independence (1998) inspirierte eine Bewegung namens »Cuntfest«, und 1996 feierte das Theaterstück The Vagina Monologues (Die Vagina-Monologe) von Eve Ensler Premiere am HERE Arts Centre in New York. In diesem Stück sprechen verschiedene Figuren über ihre Selbstwahrnehmung, ihre Sexualität und ihr Verhältnis zu ihren Vaginen. Einer dieser Monologe trägt die Überschrift Reclaiming Cunt (etwa: die Fotze zurückerobern) und ist eine regelrechte Cunt-Tour-de-Force (in der deutschen Version des Stücks mit »Fotze« übersetzt):

Ich liebe dieses Wort

Ich kann es nicht oft genug sagen

Ich kann nicht aufhören, es zu sagen

Du fühlst dich irgendwie unwohl am Flughafen?

Sag einfach FOTZE und alles ändert sich

»Was haben Sie gesagt?«

»Ich sagte FOTZE, ganz genau, ich sagte FOTZE, FOTZE, FOTZE, FOTZE.«

Das fühlt sich so gut an.

Versuch das mal. Los. Na los.

FOTZE

FOTZE

FOTZE

FOTZE.[47]

Das Publikum wird ermuntert, im Chor CUNT zu rufen und die Sprengkraft des Wortes zu fühlen. Die Vagina-Monologe waren ein Meilenstein im feministischen Theater. Aber obwohl ich ganz bei Ensler bin und genau wie sie finde, dass es sehr therapeutisch sein kann, an der Ryanair-Gepäckausgabe CUNT zu brüllen, so hat ihre Arbeit leider doch nicht die großflächige Neuverhandlung des Wortes losgetreten, auf die wir so gehofft hatten. Vielleicht befindet sich cunt mittlerweile jenseits aller Rückaneignungsmöglichkeiten. Dennoch, es bleibt ein zutiefst kraftvolles und besonderes Wort.

Die Bezeichnungen für das weibliche Genital neigen dazu, klinisch zu sein (Vagina, Vulva, Pudendum etc.) oder aber kindlich (Muschi, Mumu, Kätzchen etc.), unverbindlich (da unten, untenrum etc.), stark sexualisierend (Lustgrotte, Fickloch etc.) oder brutal (Axtwunde, Schlitz, Penisfalle etc.). Außerdem beziehen sich die Bezeichnungen oft auf unangenehme Gerüche, Geschmäcker und Erscheinungen (Fischladen, Metzgerkübel, Wurstetui). Nichts von alledem wird von cunt transportiert. Cunt ist cunt. Die Synonyme für Vulva scheinen immer den Versuch in sich zu bergen, zu leugnen, worum es eigentlich geht – unser Genital ist kein Schmuckkästchen und keine Pflaume. Leider wurde nicht nur das Wort cunt zensiert, sondern auch die Fotze selbst so lange kulturell zurechtgestutzt, dass wir nun das Gefühl haben, dass nur solche Fotzen zulässig sind, die getrimmt, gewachst, operativ verkleinert, aufgehübscht, mit parfümierten Reinigungsprodukten gewaschen und mit Glitzer serviert werden. Die weibliche Genitalchirurgie boomt, und wir können uns jetzt die Vulvalippen abschneiden, das Hymen rekonstruieren und einen Duftbaum installieren lassen (Scherz). Ist es da ein Wunder, dass wir nicht mit der Direktheit von cunt umgehen können und lieber »da unten« sagen? Cunt wird vielleicht niemals die stille Treppe verlassen dürfen, aber sie ist mit Sicherheit bei Weitem weniger ausfallend als das Synonymangebot. Und während die Leute darauf beharren, dass wir Vagina oder Vulva sagen, um ja keinen Anstoß zu erregen, sollten wir uns daran erinnern, dass wir damit eigentlich auch nur Scheide meinen – ein Schwanzbehältnis, einen Schlafrock für das Würstchen.

Cunt mag also als Beleidigung eingestuft werden, aber das Wort ist uralt und ehrlich. Außerdem ist es das Original, alles andere kam später.

Willkommen im #TeamCunt.

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