Sex & Seele - Erika Toman - E-Book

Sex & Seele E-Book

Erika Toman

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Beschreibung

Der gesellschaftliche Umgang mit Sexualität, ihre Enttabuisierung in der westlichen Gesellschaft nehmen interessante Züge an. Trotz mehr Freiheit ist Sex mehrheitlich weder erfüllter noch authentischergeworden. Sexuelle Unlust, Potenz- und Erektionsstörungen sind weit verbreitet, 'Sexsucht' ist ein weltbekanntes Phänomen.Wir befinden uns in einem Spannungsfeld zwischen medialer und persönlicher Sexualität. Auf der einen Seite die blühende Sex-Industrie, die von der Vermarktung des Körpers und des Eros lebt, auf der anderen Seite das persönliche Suchen nach einer individuell erfüllenden Sexualität zwischen Unter- und Überstimulation. Viele Menschen tun sich damit schwer; dementsprechend gross ist der Markt an Therapienund Ratgebern verschiedenster Provenienz. Welche Art von Sexualität macht glücklich und vermittelt das Gefühl von Ganzheit, Stimmigkeit und seelischer Gesundheit? Die Berührungsstelle zwischen der körperlich-materiellen Seite von Sexualität und ihren weitergreifenden, seelischen Dimensionen bildet den Angelpunkt des vorliegenden Buches. Es bietet Informationen zur Physiologie der Sexualorgane, der genitalen 'Werkzeuge' also, und verbindet sie mit der psychosomatischen Dimension von Sinnlichkeit und der psychischen Welt. Dabei werden der sinnliche Körper und das eigene Erleben ernst genommen, als potenzielle Wegweiser im Dickicht des vom Zeitgeist dominierten 'everything goes' – als Hilfe auf der Suche nach einer authentischen, erfüllten Sexualität für Individuen und Paare.

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Seitenzahl: 336

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Alle Rechte vorbehalten

Copyright Zytglogge Verlag, 2011

Lektorat: Bettina Kaelin

Korrektorat: Monika Künzi, Jakob Salzmann

Umschlag/Gestaltung: Franziska Muster Schenk, Zytglogge Verlag

eISBN 978-3-7296-2001-8

Zytglogge Verlag, Schoren 7, CH-3653 Oberhofen am Thunersee [email protected],

Inhaltsverzeichnis

TitelImpressum1.Einleitung2.Wegweiser zur Lektüre3.Was ist das, Sexualität?4.Geschichte der Sexualität5.Hier & Heute6.Biologie der Sexualität7.Sexualität und Lebenszyklus8.Sexuelle Störungen9.Entfremdete Sexualität10.Authentische Sexualität11.Der Körper als Wegweiser12.Die Begegnung und der andere13.Absolute SexualitätLiteraturElektronische Quellen

1.Einleitung

Nackte Brüste auf Magazincovers, täglich Sexschlagzeilen, Softpornos im Free-TV – noch nie war Sex so offen präsent wie heute. Experten sprechen von einem sexualisierten Zeitalter. Und doch wird so wenig über das Wesen der Sexualität gesagt wie kaum je zuvor. In den vielen Monaten, in denen ich an diesem Buch arbeitete, suchte ich das Gespräch zum Thema Sexualität mit Menschen beiderlei Geschlechts, aller Altersklassen, innerhalb und ausserhalb des klinischen Alltags. Dabei fand ich bestätigt, worauf Pörksen bereits 1988 hingewiesen hat: «Wir reden über Sexualität, ohne uns dabei wirklich mitzuteilen.»

Eine junge Frau, mit der ich bei der Präventionsveranstaltung einer Mittelschule ins Gespräch kam, meinte: «Klar laden die Jungs Pornovideos runter und schauen sie auf dem Pausenplatz kichernd an. Oder sie klopfen Sprüche wie ‹Schau dort hinten, die geile Fotze›. Aber wirklich über Sexualität gesprochen wird kaum. Wer mit wem was erlebt hat oder gar wer mit wem was erleben möchte – kein Thema. Erst recht nicht, was jemand sich selbst in der Sexualität wünscht oder wovor er sich fürchtet: ‹So etwas würde ich nicht einmal meiner besten Freundin anvertrauen. Man weiss ja nie, was im Facebook landet.›»

Das mechanische Aneinander-Reiben von Körpern in Porno-Videos, das Zur-Schau-Stellen der eigenen Genitalien im Internet ist Alltag geworden. Das private Gespräch über das persönliche Erleben von Sexualität hingegen fehlt fast vollständig. Sexualität wird medial vermittelt, nach dem Motto ‹Alles sehen, nichts fühlen›. Dieser Umgang mit dem eigenen und dem fremden Körper zeigt sich vermehrt bei der Intimrasur. Jede Ritze, jede Falte des Körpers wird blossgelegt, kein Haarbüschel soll die ‹Scham› verhüllen. Ist der Körper von Natur aus zu wenig ‹gefällig›, so helfen kosmetische Operationen sogar im Genitalbereich nach. Er soll überall perfekt sein, wie es der herrschende Zeitgeist und die sozial relevante Gemeinschaft verlangen. Was er, der Körper, dabei fühlt und in welcher Verbindung dieses Empfinden mit dem Gesamtbild der Persönlichkeit steht, bleibt irrelevant. Es gilt: Lieber sich cool, distanziert und kontrolliert zeigen, als sich emotional, ehrlich und verletzlich der unerbittlichen Wertung eines lieblosen, anonymen Publikums auszusetzen. So wurde ich bei der Vorbereitung dieses Buches gefragt: «Sex und Seele – geht das überhaupt?»

«Stellen Sie sich vor, ich würde mich in jeden Typen, mit dem ich ins Bett steige, verlieben!», stellt eine 24-jährige Bankangestellte klar, als ich sie über ihre emotionalen Beziehungen zu ihren Sexpartnern befragte. «Ich will meinen Spass haben, sonst nichts!» «Es gibt keine bessere Entspannungsmethode als den Beischlaf», gab ein 40-jähriger Geschäftsmann zur Antwort auf die Frage, wie er Sexualität erlebe. Er ist überzeugter Single mit wechselnden Partnerinnen. «Es ist für mich wie eine Massage von innen. Die Frau dabei interessiert mich nicht besonders. Sie muss einfach attraktiv genug sein, damit es klappt!»

Das hört sich einfach und unproblematisch an. Sex ohne Beziehungen, ohne Verstrickungen und ohne Komplikationen. Warum also mühen sich andere Paare damit ab, an ihrer Sexualität zu arbeiten? Und warum gibt es sexuelle Störungen, von Sex- und Pornosucht bis zu ‹Inappetenz›, was nichts anderes als ‹Keine Lust auf Sex› heisst?«Sex mit Liebe ist viel schöner als ohne!», meinte eine 24-jährige Studentin und sprach damit eine Dimension ausserhalb des Mechanischen an. Sie brauchte den Begriff ‹Liebe›, um die seelische Beteiligung beim sexuellen Akt zu umschreiben, den Gegenpol zur rein mechanischen, materiellen, vom seelischen Erleben entkoppelten, eben entfremdeten Sexualität.

Die Verbindung zwischen der materiellen und der die Materie übersteigenden Dimension der Sexualität bildet sich in unserer Kultur am auffälligsten in der Assoziation zwischen Sexualität und Liebe ab, mit der Erklärung «Sexualität mit Liebe ist erfüllend, Sexualität ohne Liebe ist fade». Doch bei vielen Paaren, die sich lieben, trifft auch dies nicht zu. Und auch Paare ohne ‹Liebe› können eine erfüllende und gesunde Sexualität leben sowie Liebende in einer nur wenig erfüllenden Sexualität gefangen bleiben. Liebe ist ein Begriff, der ohnehin in verschiedenen Zusammenhängen seinen Platz hat. So in der Mutter-Kind-Beziehung, in der freundschaftlichen Beziehung, in der Beziehung zur Natur, zum Hobby und zum Haustier etc.

Und doch steht fest: Selbstbestimmte Sexualität mit emotionaler Beteiligung ist eng gekoppelt an psychische Gesundheit und hohe Lebensqualität. Aber was charakterisiert eine selbstbestimmte, erfüllende Sexualität, und wie unterscheidet sich diese von einer fremdbestimmten, ausgebeuteten und manipulierten Sexualität?

Zu dieser Frage hat sich bereits in meiner Jugend meine progressiv und liberal denkende Grossmutter, die 1908 geboren war, geäussert:

«Mädchen und Jungen sind ebenbürtig! Achte deshalb auf deine Bedürfnisse, bleibe bei dir und bei der Realität deines Körpers, und lasse dich nicht ausbeuten. Du musst wissen, was du tust und was für dich richtig ist. Wenn du Fragen hast, stelle sie. Wenn du mich brauchst, dann weisst du, wo ich bin.»

Sie stellte sich klar auf die eine Seite des Kontinuums, innerhalb dessen Sexualität angesiedelt ist – auf die Seite der freien Sexualität innerhalb einer passionierten Liebesbeziehung, gegen Erniedrigung und Ausbeutung, wie sie in der Prostitution und der Pornografie zu finden sind, manchmal aber auch hinter scheinbar partnerschaftlicher Sexualität konventioneller Beziehungen wie der Ehe.

Eine erziehende und einschränkende Botschaft gab mir meine Grossmutter dann doch noch mit:

«Fange mit der Sexualität nicht zu früh an. Du brauchst eine gewisse Reife, um deine Entscheidungen wirklich in deinem Sinn treffen zu können.»

Zu den Vorstellungen der Gesellschaft bezüglich der sexuellen Erziehung junger Menschen wahrte meine Grossmutter einen grossen Abstand. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass gesellschaftliche Normen vom Zeitgeist abhängig und demnach relativ sind. Sie erzählte lustige Anekdoten zu diesem Thema: «Als ich jung war, pflegten die Männer zu sagen, ein ‹anständiges› Mädchen müsse man spätestens um 16 Uhr im Bett haben, damit man es um 20 Uhr bei den Eltern zu Hause abliefern könne. Bei einem ‹unanständigen› Mädchen hingegen müsse man nicht drängen und könne sich Zeit lassen.»

Meine Grossmutter ist seit langem tot, und ihre Generation ist für unsere Zeit nicht mehr massgeblich. Die heutigen moralischen Vorstellungen und realen Möglichkeiten haben sich seit ihrer Jugend zu Beginn des 20. Jahrhunderts stark verändert.

Eine revolutionäre Veränderung brachte 1960 die Antibabypille, die es ermöglichte, das sexuelle Handeln von der potenziellen Empfängnis abzukoppeln. Sexualität war dadurch von der Fortpflanzungsfunktion weiter entfernt als je zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Kurz darauf verabschiedete die 68er-Bewegung sich mit der Antibabypille und der politischen Opposition zum Establishment vom Ideal der monogamen ehelichen Sexualität.

Heute verbreiten die elektronischen Medien Bilder zum Thema Sexualität und Körper in einer nie dagewesenen Dichte. Werbung  – egal wofür – arbeitet mit sexueller Verführung: Sex sells! Halbbekleidete Damen in aufreizenden Posen werben für alles: ob für Autos, Schuhe, Putzmittel oder Kaugummis. Diese immerwährende mediale Präsenz sexuell aufreizender Bilder verändert das Erleben des Einzelnen auf mannigfache, oft unbewusste, schwer zu definierende Weise.

In unserer westlich industrialisierten Welt erleben wir Freiheit im politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmen, und das in einer geschichtlichen und geografischen Ausnahmesituation. Unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wärme und körperlicher Unversehrtheit sind weitgehend gesichert, die demokratische Struktur unserer Länder garantiert uns das Recht auf Menschenwürde, auf Leben, auf Rechtsgleichheit und auf den eigenen Körper. Dies gilt auch für Minderjährige und Abhängige. Wir haben den Segen – und die Last – der Selbstbestimmung. In Bezug auf die Sexualität gilt das Motto ‹Everything goes›. Alles, was im gegenseitigen Einverständnis zweier Erwachsener stattfindet, ist erlaubt. Nur Handlungen gegen den Willen Betroffener oder mit unmündigen Kindern und anderen Abhängigen sind gesetzlich verboten.

Die rechtliche Gleichstellung der Frau in Bezug auf ihren Körper und ihre Sexualität ist geografisch und geschichtlich gesehen einmalig. Aber wie nutzen die Frauen in der westlichen Welt ihre Freiheit? Wie selbstbestimmt ist ihr Leben, wie selbstbestimmt und befriedigend ihre Sexualität, wie frei ihre Seele? Was bedeutet die gesetzliche Gleichstellung der Frau für die Sexualität des Mannes? Einen Verlust an Macht oder ebenfalls einen Gewinn an Autonomie und seelischem Wachstum? Wie wichtig ist überhaupt diese Selbstbestimmung im Sexuellen für das Gefühl von Erfüllung und Glück sowie für die psychische Gesundheit?

Trotz aller rechtlichen Gleichstellung: Selbstbestimmte Sexualität ist immer noch die Ausnahme – fremdbestimmte, manipulierte Sexualität ist häufiger, und das bei Frauen und Männern. Das Verhalten wird nicht nur durch Gesetze definiert, sondern auch und vor allem durch verinnerlichte Normen, Bilder und Vorstellungen. Das sexuelle Leben ist heute wenig reglementiert durch verbal ausformulierte Regeln und Vorschriften. Wir hätten die Chance, aus einer Auswahl an Lebensentwürfen diejenige Form zu wählen, die uns und unseren Möglichkeiten am besten entspricht.

Die Schwierigkeit dabei ist, dass unsere Gedanken und Gefühle manipuliert werden, in einer subtilen, vom Bewusstsein nur schwer fassbaren Weise. Ein wichtiger Faktor dabei ist die geschilderte Omnipräsenz medial gesteuerter Bilder, die einen visuellen Brain Wash erzeugen, auf Deutsch ‹Gehirnwäsche›. Ein anderer Faktor der unbewussten Beeinflussung ist die der persönlichen und der kollektiven Geschichte, die Vorgaben und Meinungen zu Sexualität vermittelt. Obwohl der Körper frei ist, bleibt die Seele gefangen!

Die Thematik dieses Buches ist zwischen zwei Extremen angesiedelt: Auf der einen Seite steht der technische Umgang mit Sexualität, bei dem allein die Funktionstüchtigkeit der sexuellen Organe und der entsprechenden partnerschaftlichen Übungen trainiert wird, auf der anderen Seite finden sich die übersinnlichen Komponenten von Sexualität, die verschiedene esoterische Schulen propagieren. Hier werden keine rein technischen Übungen zur Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit oder eine Anleitung zur meditativen Vertiefung der ausserirdischen Dimension der Sexualität vermittelt. Das Buch möchte das fundierte Wissen über die materielle Realität der Sexualorgane, der genitalen ‹Werkzeuge›, mit der Realität der psychischen Welt und der psychosomatischen Dimension von der Sinnlichkeit verbinden.

‹Authentische Sexualität›© erfüllt, entfremdete Sexualität erzeugt Leere.

Inspiriert dazu haben mich meine PatientInnen, meine Freundinnen und Freunde, meine Kinder und ihre Kolleginnen und Kollegen. Meine PatientInnen sind vor allem junge Menschen. Viele von ihnen leiden an Essstörungen und an Übergewicht. Oft suchen sie ihren Platz im Berufsleben und in ihren Beziehungen. Dabei stehen Fragen der Sexualität, der Emotionalität und der seelischen Gesundheit meist im Vordergrund. Störungen der Oralität (Essen) und Störungen der Genitalität (Sexualität) zeigen fliessende Übergänge – im Individuellen und im Kollektiven. Ohne Essen würde das Individuum sterben – ohne Sexualität und Fortpflanzung die Gesellschaft. Diese wichtigen Dimensionen zu leben, ohne sich in einem Zuwenig oder Zuviel zu verlieren, ist nicht einfach, besonders im Dickicht des den Zeitgeist dominierenden Prinzips ‹Alles ist möglich› – ‹Everything goes›!

Das ordnende Prinzip ist von aussen nach innen verlegt, der innere Kompass ist gefragt. Wir sollen und müssen uns an uns selber ausrichten! Dabei erhält der authentische, sinnliche Körper eine zentrale Bedeutung: Er wird als potenzieller Wegweiser betrachtet und beschrieben. Er kann aber nur sicher führen, wenn er in seiner Tiefenstruktur und den Regeln, die auf ihn einwirken, erkannt wird. Je bewusster Menschen ihre impliziten Regeln und verinnerlichten Bilder erkennen, desto freier und offener werden sie für ihre eigene, echte Sexualität! Diese lässt sich mit dem Begriff ‹Liebe› alleine nicht fassen.

2.Wegweiser zur Lektüre

Dieses Buch soll helfen, sich vom Druck und von der Manipulation der Gesellschaft in Richtung perfekte und reibungslos funktionierende Sexualität zu befreien und im intimsten Bereich der Seele und des Körpers sein Eigenes zu entdecken und zur Entfaltung zu bringen.

Der Mensch hat heute grosse formale Freiheiten. Doch seine Gefühle, sein Denken und sein Handeln werden manipuliert. Dieser Manipulation begegnet man am besten mit Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und Wissen. Selbständiges Denken und Fühlen sind notwendig, will man sich der massenmedialen Manipulation entziehen. Anpassung an andere und an die Gesellschaft kann zwar sinnvoll sein, aber je mehr diese Anpassung das Innerste eines Menschen färbt, umso grösser ist die Gefahr, seinen Kern und damit seine Integrität zu verletzen.

Das Ziel dieses Buch ist es, Sie für eine neue Dimension der Sexualität zu sensibilisieren und Sie zu ermächtigen, Ihre eigene authentische Sexualität zu entdecken, zu befreien und zu leben.

Im ersten Teil des Buches werden Hindernisse aufgezeigt, die sich zwischen die aktuelle Situation des Einzelnen und das Erleben der eigenen Sexualität stellen können. Diese Kapitel sind als Vorbereitung und Vorarbeit zum Verständnis der ‹authentischen Sexualität› zu verstehen.

Hindernisse:VorurteileDer Ist-ZustandMangelndes WissenAuthentischeManipulationSexualität

Im zweiten Teil des Buches geht es um die Entdeckung der ‹authentischen Sexualität›. Hier sind der beseelte Körper und die Offenheit für die echte Begegnung mit dem Du zentral. Auch die Dimension der ‹Absoluten Sexualität›© wird gestreift – die fakultative Kür der authentischen Sexualität.

Im Kapitel ‹Geschichte der Sexualität› werden die Veränderungen in der moralischen, religiösen und rechtlichen Auffassung der Sexualität in ihrer Auswirkung auf das sexuelle Leben des Einzelnen beschrieben. Hier wird aufgezeigt, wie wechselhaft das ist, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort als allgemeingültig und richtig propagiert wird. Dieses Wissen kann helfen, den Hintergrund für die Normen und Werte, die heute das individuelle Verhalten steuern, zu sehen und die eigene Sexualität, wenn nötig, von ihnen zu befreien.

Im Kapitel ‹Hier & Heute› geht es darum, die heute vorhandenen, ungeschriebenen, durch den ‹visuellen Brain Wash› vermittelten Normen aufzuzeigen und zu reflektieren.

Im Kapitel ‹Biologie der Sexualität› werden die Anatomie, die Endokrinologie und die Neurobiologie der Sexualität erklärt. Auch hier gilt: Je mehr Sie wissen, umso sicherer können Sie sich fühlen und auch so auftreten. Mangelndes Wissen hingegen erhöht Ihre Unsicherheit und Ihre Manipulierbarkeit.

Das Kapitel ‹Sexualität und Lebenszyklus› sensibilisiert für die unterschiedlichen sexuellen Bedürfnisse von Männern und Frauen in den verschiedenen Lebensphasen. Das Wissen darum hilft mit, sich selber und den Partner besser zu erfassen, und ermöglicht so mehr Verständnis, bessere sexuelle Abstimmung und Kommunikation.

Das Kapitel ‹Sexuelle Störungen› geht den Fragen nach, welche sexuellen Wünsche und Bedürfnisse heute als ‹normal› gelten, was diese Definition der Normalität im individuellen Fall bedeutet, und welche Hilfsmittel und Übungsmöglichkeiten bei Störungen bestehen.

Die Kapitel ‹Entfremdete Sexualität›, ‹Authentische Sexualität›, ‹Der Körper als Wegweiser› und ‹Die Begegnung und der Andere› bilden den Kernbereich dieses Buches.

Das letzte Kapitel der ‹Absoluten Sexualität› ist als Hinweis auf eine weitere, den Rahmen des wissenschaftlich Fassbaren übersteigende Dimension der Sexualität zu verstehen, die hier nur angedacht wird.

3.Was ist das, Sexualität?

Auf diese Frage gibt es unzählige Antworten, je nachdem wer befragt wird: der Philosoph, der Arzt, der Sexualtherapeut, der Soziologe, der Ökonom oder der Werbefachmann. Dabei wird manchmal das gesunde körperliche Funktionieren beim Sexualakt in den Vordergrund gestellt, ein anderes Mal sind es die Störungen der Sexualität und ihre Bedeutung für Partnerschaften, dann wiederum wird ihre gesellschaftliche Sprengkraft oder die Manipulierbarkeit des Menschen durch Sexualisierung zu Verkaufszwecken betont.

Das medizinische Interesse an Sexualität wurde lange in erster Linie mit Fortpflanzung verbunden. Das Verhindern und Heilen von Komplikationen und Krankheiten bei der Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt stand hier im Vordergrund. Evolutionstheoretisch gesehen soll Fortpflanzung vor allem das Fortbestehen der Gattung garantieren. Bei jedem Menschen hat Sexualität jedoch viele individuelle Facetten und ist intensiv mit den Begriffen Erotik und Liebe besetzt, wobei die Fortpflanzung heute eher in den Hintergrund tritt.

Eine der schönsten Erklärungen dafür, wie Eros und Begehren in die Welt gekommen sind, gibt der griechische Philosoph Platon (427–347 v. Chr.) in seinem Werk ‹Symposium›. Er schildert darin den Urmenschen als Kugel mit vier Beinen und Händen und zwei Gesichtern. Dieser Kugelmensch war sowohl männlich als auch weiblich und kannte kein sexuelles Begehren. Erst als der Göttervater Zeus aus Ärger über den Übermut des Kugelmenschen diesen entzweite, erwachte die Sehnsucht nach dem anderen, nach der passenden ‹anderen› Hälfte. Eros war geboren, ebenso die Zweigeschlechtlichkeit – und die Sehnsucht nach Zweisamkeit.

Passend zu dieser Geschichte ist der Ursprung des Wortes Sex selber. Es kommt vom Lateinischen ‹secare›, was schneiden oder trennen heisst und nichts anderes bedeutet als ‹Art› oder ‹Geschlecht›. Es weist darauf hin, dass es zwei abgegrenzte Arten von Menschen gibt: Männer und Frauen.

Durch die Erkenntnisse des Wiener Psychiaters und Psychoanalytikers Sigmund Freud, Anfang des letzten Jahrhunderts, wurde die Bedeutung der Sexualität für die psychische Gesundheit entdeckt. Er betonte den triebgesteuerten Anteil der Sexualität und fand heraus, dass das Verdrängen und Blockieren sexuellen Handelns und Erlebens nicht ganz möglich ist. Der Preis, sexuelle Triebregungen zu stoppen oder gänzlich zu blockieren, ist Einbusse an Lebensqualität und an psychosomatischer Gesundheit. Befriedigend gelebte Sexualität erhöht hingegen die Lebensqualität massiv. Dies belegen auch neue Studien, die übereinstimmend zeigen, dass ein enger Zusammenhang zwischen sexueller Gesundheit und allgemeiner Lebenszufriedenheit besteht.

Der Amerikaner William Simon (1990) betonte die soziokulturelle Prägung sexuellen Erlebens und wandte sich gegen die biologische Determinierung der Sexualität. Er zeigte auf, dass das Sexuelle in sämtliche Lebensbereiche hineinwirke und die Erfahrung forme, aber auch umgekehrt, dass die Erfahrung der Welt das Sexuelle fundamental bestimme. Er ging davon aus, dass dieses Wechselspiel nur verstanden werden kann, wenn wir eine Sprache entwickeln, die sexuelle Erfahrungen möglichst realitätsnah widerspiegelt. Mit einem solchen Medium wäre es möglich, die ‹Skripte› von Kulturen, Gruppen und Einzelnen genauer zu ‹entziffern› bzw. zu ‹überschreiben›, z. B. Klischees, Mythen, Tabus, in denen sexuelle und sonstige Erfahrungssedimente aufbewahrt sind. Ausserdem wäre es denkbar, dadurch aufzuklären, wie unterschiedliche ‹Skripte› mit unterschiedlichen Lebensstilen zusammenhängen.

Auf die Bedeutung der Kultur und der Sprache im Umgang mit Sexualität wies auch Michel Foucault (1978, 1983) hin, der den Ausdruck ‹Sexualitätsdispositiv› prägte. Anhand des Sexualitätsdispositivs untersuchte er, wie das Individuum seine sexuellen Neigungen, seine Lust und seine sexuellen Verhaltensweisen bestimmten Normen unterwirft, sie kontrolliert, klassifiziert, akzeptiert oder ausgrenzt.

Avodah Offitt (1991), eine amerikanische Psychoanalytikerin, stellt fest: «Sexualität ist das, was wir aus ihr machen: eine teure oder billige Ware, Mittel der Fortpflanzung, Abwehr der Einsamkeit, eine Kommunikationsform, eine Waffe der Aggression, der Herrschaft, Macht, Strafe oder Unterwerfung, ein Sport, Liebe, Kunst, Schönheit, ein idealer Zustand, das Böse, das Gute, Luxus, Entspannung, Belohnung, Flucht, ein Grund der Selbstachtung, ein Ausdruck der Zuneigung, eine Art Rebellion, eine Quelle der Freiheit, Pflicht, Vergnügen, Vereinigung mit dem All, mystische Ekstase, indirekter Todeswunsch oder Todeserleben, ein Weg zum Frieden, eine juristische Streitsache, eine Art, menschliches Neuland zu erkunden, eine Technik, eine biologische Funktion, Ausdruck psychischer Krankheit oder Gesundheit oder einfach eine sinnliche Erfahrung.»1

In verschiedenen Definitionen zusammengefasst, gehört Sexualität zu den grundlegenden Elementen des Lebens und betrifft die gesamte Persönlichkeit. Sie umfasst körperliche, emotionale, soziale, ökonomische und kulturelle Aspekte. Sie dient von jeher der Fortpflanzung, ist auch verbunden mit Liebe, Erotik, Verführung und Lust. In den einzelnen Epochen der Menschheitsgeschichte führten unterschiedliche gesellschaftliche Bedingungen zu Verschiebungen im Stellenwert und im Ausleben von Sexualität. Immer wieder tauchen drei wesentliche Aspekte der Sexualität auf: erstens der intrapsychische Aspekt, die Bedeutung der Sexualität für das Selbstwertgefühl und die Geschlechtsidentität; zweitens der Beziehungsaspekt, die Bedeutung der Sexualität für Partnerschaft und Paarbildung ; drittens der Reproduktionsaspekt, die Bedeutung der Sexualität für das Überleben der Gesellschaft und ihrer Strukturen.

Als wesentlichste Aspekte der Sexualität werden meist angeführt: •der intrapsychische Aspekt: die Bedeutung der Sexualität für das Selbstwertgefühl und die Geschlechtsidentität •der Beziehungsaspekt: die Bedeutung der Sexualität für Partnerschaft und Paarbildung •der Reproduktionsaspekt: die Bedeutung der Sexualität für das Überleben der Gesellschaft

Diese komplexen, abstrakten Definitionen des Begriffs ‹Sexualität› müssen präzisiert werden, denn sonst verkommt er zu «einem Legostein aus Plastik, glatt und nichtssagend» (Pörksen, 1988). Dabei ist es gerade in Anbetracht der Wucht, mit welcher Begriffe unsere Wahrnehmung und unser Erleben steuern, besonders wichtig zu wissen, was man meint, wenn man von Sexualität spricht.

Ich habe Hunderte von Menschen gefragt, woran sie denken, wenn sie ‹Sexualität› hören. Die häufigste Antwort war ‹zusammen schlafen›, ‹miteinander ins Bett gehen›, ‹bumsen› – die sexuelle Vereinigung schlechthin, meist mit vaginalem, manchmal auch analem und oralem Geschlechtsverkehr. Sonst nichts. Erwachsene Sexualität hat viele Facetten und zielt dabei immer auch auf die genitale Vereinigung hin. Dementsprechend spricht auch Kaplan (2006), die grosse Dame der Sexualtherapie, immer von ‹Störungen genitaler Sexualität›. Die Entwicklung der Sexualität vom zaghaften erotischen Gefühl in der Magengegend bis zum Erleben der genitalen Vereinigung werden wir im Kapitel ‹Sexualität im Lebenszyklus› mitverfolgen. Wenn wir in diesem Buch von Sexualität sprechen, so meinen wir die erwachsene genitale Sexualität – zusammen mit der Dimension des Seelischen, dem Fühlen, dem Erleben, dem Fantasieren und dem Visionieren.

Sexualität ist das Erleben der Begegnung der Sexualorgane mit Vorspiel. Das Vorspiel kann dabei Minuten, aber auch Jahre dauern. Gesteuert wird das Sexualverhalten selber durch die körperlich stark determinierte sexuelle Leistungsfähigkeit und durch emotional geformte Motivation.

Freud hat sich am Anfang des 20. Jahrhunderts verdient gemacht, Sexualität gesellschaftlich zu rehabilitieren. Er hat aber ebenso massgeblich zu einer sprachlichen Ungenauigkeit beigetragen, die heute noch den Diskurs zur Sexualität prägt: die mangelnde Trennung zwischen genitaler Sexualität, Erotik und Sinnlichkeit. Diese begriffliche und somit auch inhaltliche Unschärfe kann in der Allgemeinbevölkerung, den Massenmedien und sogar in der Fachwelt festgestellt werden. Sprachlich und emotional werden nämlich sehr oft Zeichen von Sinnlichkeit, Lebensfreude und Interesse an Kontakt und Beziehungen von der genitalen Sexualität kaum unterschieden. So kommen Aussagen zustande wie «Kinder kommen als sexuelle Wesen auf die Welt» oder «Ricki (4 Jahre alt) ist in seine Freundin verliebt».

Diese Ungenauigkeiten scheinen zwar harmlos, kreieren aber grundlegende Missverständnisse mit weitreichenden Auswirkungen. Denn so wird der Begriff der Sexualität inflationär über die verschiedensten körperlichen und seelischen Erscheinungsformen von Erregung und Aktiviertheit gelegt. Erregung wird mit ‹Geilheit›, Ruhe mit ‹Langeweile› gleichgesetzt. Sinnlichkeit, Lust, Interesse am anderen und der Welt, Bedürfnis nach Beziehung, Suche nach Kontakt, Freude an Wärme und Geborgenheit, an Zärtlichkeit und Zugehörigkeit werden nicht unterschieden. Nicht nur die Sprache verarmt dadurch, sondern auch die Emotionalität und die genitale Sexualität selber.

Sexualität ist das Erleben und die Begegnung der Sexualorgane mit Vorspiel.Das Sexualverhalten wird gesteuert durch die Motivation