Shadow Love - Der Kuss der Dunkelheit - Betty Kay - E-Book

Shadow Love - Der Kuss der Dunkelheit E-Book

Betty Kay

0,0

Beschreibung

Aurelian muss sich einem völlig neuen, ungewollten Leben stellen. Um der Bedrohung durch unbekannte Männer zu entgehen, hat ihn sein Bodyguard Mattis zu magischen Wesen gebracht. In deren Welt kann Aurelian seine Fähigkeiten trainieren, doch er vermisst den Mann, in den er sich verliebt hat. Er will nicht warten, bis alle Gefahren beseitigt sind, um Mattis wiederzusehen und zu klären, ob er ähnlich für ihn fühlt. Als Aurelian schockierende Dinge über seine eigene Herkunft erfährt, ändert das einfach alles für ihn. Wird er einen Weg finden, die Männer loszuwerden, die hinter ihm her sind? Und kann seine Liebe zu Mattis alle Widrigkeiten überstehen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 525

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Shadow Love

Der Kuss der Dunkelheit

Fantasy New Adult Gayromance

Band 2

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2022

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© IG Digital Arts – shutterstock

© We Are – shutterstock

© LUMIKK555 – shutterstock

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-569-5

ISBN 978-3-96089-570-1 (epub)

Inhalt:

Aurelian muss sich einem völlig neuen, ungewollten Leben stellen. Um der Bedrohung durch unbekannte Männer zu entgehen, hat ihn sein Bodyguard Mattis zu magischen Wesen gebracht. In deren Welt kann Aurelian seine Fähigkeiten trainieren, doch er vermisst den Mann, in den er sich verliebt hat. Er will nicht warten, bis alle Gefahren beseitigt sind, um Mattis wiederzusehen und zu klären, ob er ähnlich für ihn fühlt.

Als Aurelian schockierende Dinge über seine eigene Herkunft erfährt, ändert das einfach alles für ihn.

1. Kapitel

Mir ist übel. Richtig übel.

In mir herrscht absolute Leere, als ich den Weg zurückstarre. Irgendwo dort unten hat Mattis mich einfach zurückgelassen und meinem Schicksal überlassen. Irgendwo in meinem Rücken befindet sich ein Freund von ihm, der auf mich achten soll. Und irgendwo lauert das Schicksal und macht all unsere schönen Pläne kaputt.

Ich dachte, er wolle mich schützen und habe sich deshalb schnell an einen anderen Ort gebeamt. Die Spur sollte nicht an meinem Unterschlupf enden. Doch in Wirklichkeit wollte er nur weg vor mir, bevor ich die Wahrheit herausfinde, bevor mir klar wird, dass er mich im Nirgendwo aussetzt und sich einfach vor der Verantwortung für mich davonstiehlt. Was bin ich nur für ein Idiot gewesen. Wie muss Mattis sich über meine Naivität amüsieren!

»Guten Tag, Aurelian.«

Die Stimme in meinem Rücken überrascht mich aus mehreren Gründen. Langsam wende ich mich um und entdecke eine in ein blaues, langes Gewand gekleidete Frau auf dem Weg. Soll das der Freund sein, von dem Mattis gesprochen hat? Ich schätze sie auf Mitte dreißig. Meine Bekanntschaft mit Mattis hat mich allerdings gelehrt, dass man dem ersten Eindruck nicht vertrauen sollte. Die Fremde ist jedenfalls wunderschön. In ihr langes, blondes Haar sind Zöpfe geflochten, die alle Strähnen aus ihrem Gesicht halten.

»Guten Tag, Fremde«, grüße ich. »Da ihr meinen Namen kennt, handelt es sich bei euch wohl um meine Kontaktperson.«

»In der Tat. Folge mir bitte.« Die Frau mit den braunen Augen dreht sich um und geht den Weg zurück, den sie gekommen ist. Jetzt kann ich die komplizierte Flechtfrisur bewundern, die über ihren ganzen Rücken fließt.

Schweren Herzens marschiere ich weiter den Pfad entlang. Jeder einzelne Schritt kostet mich unendlich viel Kraft. Ich will zurück auf die Lichtung. Ich will in der Zeit reisen zu dem alles verändernden Kuss. Ich will den Moment einfrieren und für die Ewigkeit konservieren.

Was interessiert mich jetzt noch meine Zukunft? Was spielt es für eine Rolle, wo ich mich vor meinem Schicksal verstecken kann? Was macht es schon für einen Unterschied, wann ich von den Verfolgern erwischt werde? Ich werde sterben. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht nicht einmal von der Hand dieser gefährlichen Männer. Selbst wenn ich dieses Abenteuer überleben sollte, wird es irgendwann mit mir zu Ende gehen. Der Tod wartet auf mich. Eine Zukunft ohne Mattis wartet auf mich. Tage ohne Freude warten auf mich. Wie viele es auch werden mögen.

Wir gehen keine hundert Meter den Berg hinauf. Der Wald lichtet sich, bis der Weg plötzlich auf einem kleinen Platz endet. Direkt vor uns ragt ein Felsen auf, unüberwindbar steil und schroff.

Mit gerunzelter Stirn sehe ich zu meiner Begleiterin. »Wo habt ihr mich hingeführt?«

»Wir sind gleich am Ziel. Gib mir deine Hand, bitte.« Sie streckt mir den Arm entgegen.

Die Rätsel nehmen kein Ende. Weshalb will sie mit mir Händchenhalten? Sie wird doch nicht ebenfalls die Fähigkeit des Beamens beherrschen? Wer ist die Fremde? Und weshalb ist Mattis der Meinung, sie wäre in der Lage, mich zu beschützen? Er vertraut ihr. Doch darf ich das ebenfalls?

Nach kurzem Zögern ergreife ich ihre Hand. Als unsere Fingerspitzen sich berühren, verspüre ich einen Schlag, der sich in meinem ganzen Körper ausbreitet.

Die Fremde zieht ihre Hand zurück und betrachtet mich mit überraschtem Gesichtsausdruck. Ihr Blick wandert von meinen Fingern zu ihren. »Wer bist du?«

Ich lächle sie an. »Das hat dir Mattis doch bereits verraten. Ich heiße Aurelian.«

»Aber wer bist du? Ich spüre große Macht, die von dir ausgeht.«

Unruhe macht sich in mir breit. »Keine Ahnung, was du meinst.«

»In deiner Nähe kann ich eine Kraft fühlen, die äußerst ungewöhnlich ist. Langsam verstehe ich, warum Mattis dich unbedingt zu uns bringen wollte. Darüber müssen wir uns in aller Ruhe unterhalten. Erst einmal bringen wir dich allerdings von hier weg.«

Sie lebt also nicht allein. Aber das hatte Mattis bereits angedeutet. Ich möchte wissen, mit wem ich es zu tun habe.

Die Frau greift noch einmal nach meiner Hand.

Eigentlich will ich keine Sekunde verpassen. Doch als ich blinzle, sind wir plötzlich in einem großen Raum. Die Wände sind pastellblau angestrichen, wirken allerdings, als bestünden sie aus Wolken. Ich bin versucht, sie zu berühren, um zu überprüfen, ob es sich um eine optische Täuschung handelt. Von dem Raum, in dem wir uns befinden, führen mehrere Durchgänge in unterschiedliche Richtungen.

Dann konzentriere ich mich auf das, was wirklich wichtig ist. Die Frau hat mich im Bruchteil einer Sekunde an einen anderen Ort gebeamt. Sie war ebenfalls so schnell, dass ich nichts mitbekommen habe. Das bedeutet wohl, sie ist ähnlich mächtig wie Mattis’ Brüder.

»Was bist du?«, frage ich.

»Hat dir Mattis tatsächlich nichts erzählt?« Ihr Blick ist mitfühlend.

Ich schüttle den Kopf.

»Du befindest dich im Quartier der Yazata. Mein Name ist Cassándra.« Sie lächelt mir zu, als würde das alles erklären, was ich wissen muss.

»Es freut mich, dich kennenzulernen Cassándra. Aber wer oder was ist Yazata?«

Sie deutet mit einer eleganten Armbewegung nach links. Während wir durch den von ihr gewählten Bogen treten und einen Gang entlanggehen, beginnt sie ihre immer noch wenig hilfreiche Erklärung. »Wir sind Mitglieder der hellen Seite. Allerdings sind wir keine Normalsterblichen, die sich lediglich für das Gute entschieden haben. Unser Leben ist dem Licht gewidmet.«

»Dann seid ihr das Äquivalent zu den Ténèbres?«, hake ich nach.

»So in der Art. Warum empfange ich von dir Schwingungen, die mich glauben lassen, dass du einer von uns bist?«

Ich spüre, wie das Blut mein Gesicht verlässt. Spielt sie auf den Stein an? Kann sie fühlen, dass ich einen magischen Gegenstand besitze, der ein Kraftfeld entstehen lässt, das in der gleichen Farbe pulsiert, wie sie die Bewohner dieser Anlage bevorzugen?

Cassándra lächelt mir zu. »Du musst dir keine Sorgen machen. Mattis hat einen Stein erwähnt, nach dem ich dich fragen soll und der eine große Bedeutung für dich hat. Hängen die Schwingungen mit dem Stein zusammen?«

»Mattis hatte kein Recht, dir davon zu berichten«, beschwere ich mich. »Es geht ihn nichts an. Schließlich hat er die Verantwortung für mich an euch abgegeben.«

»Und genau deshalb würde ich gerne wissen, warum er der Meinung ist, dass du gerade bei uns gut aufgehoben bist.« Cassándras Lächeln verliert etwas an Strahlkraft. »Wir erlauben hier eigentlich keine Menschen. Ich habe von dem Aufruhr gehört, denn deine Anwesenheit bei den Ténèbres ausgelöst hat. Etwas Ähnliches könnte dich auch hier erwarten. Darum musst du mir sagen, was Mattis auf die Idee gebracht hat, du könntest zu uns gehören.«

»Woher kennst du Mattis eigentlich?« Ich möchte ihre Frage noch nicht beantworten. Solange ich nicht weiß, was hier wirklich gespielt wird, werde ich mein Geheimnis für mich behalten. Jede Information von ihr wird es mir leichter machen, die Situation besser einzuschätzen.

Sie seufzt und bleibt stehen. Mit den Fingerspitzen berührt sie die Wand. An genau der Stelle öffnet sich die Mauer. Etwas, das man für ein Fenster halten könnte, entsteht in der Wand und gibt den Blick nach draußen frei.

Das, was ich dort sehe, lässt mich nach Luft schnappen. Ich trete zum Fenster und beuge mich vor, um mehr erkennen zu können. Dort draußen schweben Wolken vorbei. Wir scheinen uns in einer Höhe des Berges zu befinden, an der die watteweich wirkenden weißen Gebilde hängen. Über den Wolken erstreckt sich der Himmel. Die Sonne scheint so verdammt nah, dass ich glaube, sie beinahe berühren zu können. Das ist faszinierender als alles, was ich bisher gesehen habe.

»Handelt es sich um eine Illusion?«, erkundige ich mich.

»Wenn du das glauben willst.«

Was für eine gemeine Antwort. Ich funkle sie wütend an.

»Mattis hat mir vor einiger Zeit geholfen. Mitgliedern der dunklen Seite ist es gelungen, mich in der Stadt zu stellen, als ich einen Schützling unterstützt habe. Mattis hat sofort bemerkt, dass ich keine Normalsterbliche bin. Er hat entschieden, mich zu befreien, obwohl wir auf unterschiedlichen Seiten stehen.«

»Das klingt ganz nach ihm.« Ich spüre, wie ein Lächeln an meinem Mundwinkel zupft.

»Er hat die Leute von der dunklen Seite verjagt und war sehr höflich. Wir sind danach in losem Kontakt geblieben. Auch wenn es nicht gerne gesehen wird, wenn Dunkelheit und Licht miteinander Umgang haben, sind wir so etwas wie Freunde geworden. Ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet. Sonst hättest du das Zuhause der Yazata nicht betreten dürfen.«

Ich tue diese Behauptung mit einem Achselzucken ab. »Ist es tatsächlich so viel schlimmer, die Anwesenheit eines Menschen zu ertragen, wenn ein Mitglied deiner Gegner an diesem Ort ein und aus geht?«

»Kannst du dir Mattis hier vorstellen?«, fragt Cassándra.

Mein Blick schweift wieder nach draußen. Die Version von Mattis, die ich mir zusammenfantasiert habe, würde sich in dieser himmlischen Umgebung wohlfühlen. Aber zu dem Mann, der mich einfach allein zurücklässt, passt es nicht. »Nein. In der Helligkeit hat er nichts zu suchen.«

»Er war vor dem heutigen Tag noch nie an diesem Ort. Doch jetzt hat er mich hier aufgesucht, um ein gutes Wort für dich einzulegen. Ich kann spüren, dass du ihm gegenüber Ärger empfindest. Anscheinend ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen, das mich nichts angeht. Aber du sollst wissen, dass er für dich viel riskiert hat. Er hat ein ungeschriebenes Gesetz für dich übertreten. Das darfst du niemals vergessen.«

Es stimmt. Ich muss ihm etwas bedeuten, sonst hätte er das nicht für mich getan. Hat er mich vielleicht gar nicht belogen? Wird er zurückkehren? Habe ich unseren Abschied falsch interpretiert?

Mein Herz wird leichter. Der Groll verlässt meinen Körper. Doch blind vertrauen würde ich ihm nicht mehr.

»Warum hat er dich ausgerechnet hierhergebracht?«, will Cassándra wissen. »Was hat ihn bewogen, für dich den Gefallen einzufordern, den ich ihm noch schuldig war?«

»Ich weiß es nicht.« Tatsächlich verstehe ich nicht, was ich bei den Yazata soll.

»Was hat es mit diesem Stein auf sich?«

Instinktiv greife ich in meine Tasche und schließe die Hand darum. Cassándra hat mir meine Fragen beantwortet. Ich sollte ihr den Gefallen erwidern. Mattis vertraut ihr. Er hat ihr von dem Gegenstand erzählt. Dafür muss er einen guten Grund gehabt haben.

»Der Stein besitzt magische Kräfte. Ich habe ihn von einer Frau erhalten, die behauptet hat, eine wichtige Nachricht für mich zu haben. Mattis hat herausgefunden, dass es sich bei der Frau um Cathreen Davidiana handelt. Meine Verfolger sind hinter dem Stein her.«

»Du hast ihn von der Hexe erhalten?« Ihr Gesicht verrät nichts über ihre Gedanken.

»Sie hat ihn mir heimlich zugesteckt.«

»Warum händigst du den Gegenstand nicht einfach den Leuten aus, die dir Böses wollen? Weshalb bringst du dich nicht in Sicherheit, indem du dich von ihm trennst?«

Meine Finger verkrampfen sich um den Stein. »Weil er für mich bestimmt ist. Er gehört zu mir. Er beschützt mich. Er ist Teil meines Schicksals.«

Eine Sekunde lang treffen sich ihre Augenbrauen beinahe über der Nasenwurzel. »Würdest du ihn mir zeigen?«

Ich zögere. Wenn Mattis der Meinung ist, meine Verfolger könnten mich hier nicht finden, dann glaube ich ihm. Ich sollte Cassándra gegenüber offen sein. Wenn sogar in Mattis so viel Gutes steckt, dann kann ein Mitglied der hellen Seite kein falsches Herz besitzen.

»Zeig ihn mir, bitte.« Ihre Stimme verändert sich.

Ich kann die Wellen spüren, die von ihr ausgehen. Sie versucht mich damit zu beeinflussen, wie es der Anführer meiner Angreifer getan hat. Doch diesmal kann ich den Sog zwar betrachten, aber er hat keine Macht über mich, als wäre ich ein unbeteiligter Beobachter. Dennoch bin ich verärgert.

Ihre Augen weiten sich. Sie nickt mir zu. »Beeindruckend. Das bestätigt allerdings meine Vermutung.«

»Es hat sich also um einen Test gehandelt, mit dem ich dir etwas verraten habe.«

Sie nickt. »Ich weiß jetzt, dass der Stein tatsächlich Macht besitzt. Ich verstehe, weshalb du ihn im Verborgenen behalten willst. Mir gegenüber ist das aber nicht notwendig.«

Vorsichtig hole ich meinen Schutzengel aus der Tasche. Auf der flachen Hand präsentiere ich der Yazata meinen Schatz.

Sie beugt sich vor, betrachtet den Stein mit großem Interesse. Dann hebt sie ihren Arm. Ihre Finger nähern sich der glatten Oberfläche.

Sofort ziehe ich die Hand zurück.

»Ich will ihn nicht berühren oder ihn dir wegnehmen. Darf ich etwas überprüfen? Dazu brauche ich deine Hilfe.« Sie lächelt mir zu.

Jetzt bin ich neugierig. Als Antwort nicke ich.

Cassándra formt ihre Hand zu einer leicht gebogenen Schüssel, bevor sie sie umdreht und über meine Hand hält.

Ich kann spüren, wie sich der Stein erwärmt. Er beginnt zu pulsieren, als wolle er mich wie sonst auch mit einer Schutzblase umgeben. Schnell lege ich meine freie Hand auf Cassándras Schulter ab. Ich will nicht riskieren, dass sie nicht in die Blase mitaufgenommen wird. Keine Ahnung, ob die elastische Hülle ihren Arm nur an der Stelle, an der die Blase entsteht, umschließen oder stattdessen abschneiden würde.

Doch der Schutzschild wird nicht gebildet. Die Wärme und das Pulsieren sind wie sonst. Der Stein beurteilt Cassándra allerdings nicht als Bedrohung. Und da ich ihren Absichten gegenüber eine gewisse Unsicherheit empfinde, kommt diese Einschätzung nicht von meinem Unterbewusstsein.

Unsere Blicke treffen sich. Cassándras Augenfarbe hat sich verändert. Aus dem bisherigen Braun ist ein intensives, hypnotisierendes Blau geworden. Das strahlende Licht meines Steins hüllt uns beide ein. Cassándra bewegt ihre Hand näher zu meiner. Die Strahlkraft des Blaus rund um uns nimmt noch an Intensität zu.

Dann nickt sie und tritt zurück, während sie den Arm senkt. »Cathreen Davidiana hat dir einen mächtigen Zauber überlassen. Auch wenn sie der dunklen Seite angehört, ist es eine Ehre, von ihr ausgewählt zu werden. Ich hätte erwartet, dass ihre Gabe an dich die Dunkelheit beschwören würde. In Wahrheit hat sie dir ein kraftvolles Werkzeug des Lichts übergeben. Ich verstehe, warum die Männer dahinter her sind.«

»Sie werden den Stein nicht bekommen. Dafür werde ich sorgen«, verkünde ich kämpferisch. »Und wenn ich mich mitsamt dem Energiefeld dieser Waffe der hellen Seite selbst in die Luft jagen muss.«

»Er muss etwas Besonderes für dich sein, wenn du für diesen Gegenstand dein Leben aufs Spiel setzt.« Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ist höflich. Trotzdem erkenne ich die besorgte Traurigkeit in ihrem Blick.

»Ich habe mich noch für keine Seite entschieden. In den letzten Monaten hat mich diese Tatsache zutiefst verunsichert. Doch durch den Stein habe ich eine Bestimmung. Er hat mich als seinen Besitzer auserwählt. Er gehört bereits zu mir wie ein weiteres Körperteil. Niemand, der unwürdig ist, wird ihn jemals in die Hände bekommen.«

Cassándra berührt die Wand neben dem von ihr geschaffenen Fenster. Im nächsten Augenblick ist die Öffnung verschwunden, und wir stehen wieder in einem Gang ohne Sicht nach draußen. Mit einer Handbewegung fordert sie mich zum Weitergehen auf.

»Wozu bist du mit dem Stein in der Lage?«, fragt sie.

»Er bildet einen Schutzschild um mich, wenn ich ihn um Hilfe bitte, und er schenkt mir Selbstsicherheit. Mit ihm fühle ich mich stark.«

»Warum hast du deine Hand auf meine Schulter gelegt, während der Stein seine Macht gezeigt hat?«

Ich lache auf. »Das war nicht, was er tut. Er kann noch viel mehr. Ich dachte, er würde mich sofort schützen wollen, und wusste nicht, ob er in dem Fall deine Hand verletzt hätte. Durch die Berührung wirst du mit mir in die Blase eingeschlossen.«

»Du meinst, es hätte eine Blase entstehen können?«, fragt sie überrascht.

»Genau. Es fühlt sich für mich wie eine elastische Schicht an. Dieser Schutzschild macht mich unsichtbar.«

Cassándra bleibt stehen. »Zeig es mir.«

Zögernd zucke ich mit den Achseln und halte ebenfalls an. »Ich weiß nicht, ob es auf Befehl funktioniert. Aber ich will es gerne versuchen.« Etwas nervös starre ich auf den Stein.

Konzentriere dich! Selbst wenn es nicht funktionieren sollte, ist es nicht schlimm. Du musst Cassándranichts beweisen. Es ist nur wichtig, dass du an dich selbst glaubst und auf den Stein zählen kannst, wenn es darauf ankommt.

In Gedanken nehme ich Kontakt mit dem Stein auf. Auch wenn er mir nicht antworten kann, spüre ich die Verbindung, die zwischen uns entsteht. Wärme erfüllt mein Herz, während sich der Stein in meiner Hand erhitzt. Er vibriert leicht, macht allerdings keine Anstalten, den Schutzschild zu bilden. Ich sende dem Stein eine Nachricht.

Im Augenblick bin ich keiner Gefahr ausgesetzt. Aber die Männer, die hinter mir her sind, könnten jederzeit wieder auftauchen. Ich muss lernen, wie ich deine Hilfe ideal einsetzen kann. Also bitte hilf mir. Zeig mir, wie ich mit dir umgehen muss, damit ich herausfinden kann, was du alles kannst.

Der Stein wird durchsichtiger. Das blaue Licht beginnt in ihm zu leuchten, breitet sich über die Hülle des Gesteins hinaus aus. Mein Herz klopft schneller. Ich bin kurz davor, es zu schaffen. Und dann fällt das Strahlen wieder in sich zusammen.

Enttäuscht seufze ich auf. »Komm schon.«

Ich schließe die Augen, hole tief Luft und stelle mir die Situation in Mattis’ alter Wohnung vor. Die Männer haben uns gefunden und stehen kurz davor, mich in ihre Gewalt zu bringen. Mattis will sich für mich in den Kampf stürzen, doch er hätte keine Chance. Ich muss ihn vor einer Dummheit bewahren. Mit Hilfe des Steins muss ich dafür sorgen, dass wir beide entkommen, ohne dass meine Verfolger uns etwas antun können.

Mein ganzer Körper strahlt Wärme aus. Ein Leuchten geht von meiner Hand aus und erfüllt jede Zelle meines Körpers. Ich bin das Licht. In meinen Adern pulsiert das Leben. Das Gefühl, stark, unbesiegbar und selbstbewusst zu sein, kehrt zurück.

Langsam öffne ich die Augen.

Die blaue Blase hüllt mich ein. Durch die blau schimmernde Hülle, auf der die Farben des Regenbogens wie auf einer Seifenblase schwimmen, sehe ich Cassándra. Sie wird durch das Licht im Inneren der Blase von Blau überzogen. Ihr Gesicht zeigt Erstaunen. Zufriedenheit erfüllt mich bis in die Zehenspitzen.

Nachdem ich mich bei dem Stein für seine Hilfe bedankt habe, teile ich ihm mit, dass er seine Aufgabe großartig erledigt hat, sich jetzt aber zurückziehen kann. Die Blase wird kleiner und kleiner. Die Hülle wird durchlässiger, als sie meine Füße freigibt, weiter schrumpft, bis das Licht im Stein verschwindet.

Ich hebe meinen Blick zu Cassándra. »Das ist, was ich mit dem Stein tun kann.«

»Beeindruckend. Und niemand hat dir gezeigt, wie du mit ihm umgehen musst?«

»Nein. Cathreen Davidiana hat ihn mir heimlich in die Tasche gesteckt, weil ich mich nicht mit ihr unterhalten und ihr folgen wollte«, berichte ich und stecke den Stein wieder in meine Hosentasche. »Vielleicht hätte sie mir eine Schulung gegeben. Jetzt bin ich auf meine Versuche und meine Erfahrungswerte angewiesen. Als ich ihn das erste Mal in die Hand genommen habe, hat er mir die Blase selbst gezeigt. Vermutlich dachte er, ich hätte seine Hilfe nötig, weil ich vor meinen Verfolgern große Angst empfunden habe. Danach musste ich mich verstecken, und der Stein hat ganz von allein zu leuchten begonnen. Ich konnte ihn … hm … ausschalten. Wenig später hat die Nutzung der Magie meine Angreifer wieder auf unsere Spur gebracht. Sie haben Mattis’ Fähigkeiten blockiert. Er wollte sich den Männern entgegenstellen. Das konnte ich nicht zulassen. Ich wollte ihn genauso sehr beschützen wie mich. Also habe ich die Blase Mattis und mich einschließen lassen. Einer der Männer ist direkt durch uns hindurchgegangen. Da wurde mir klar, dass der Stein nicht nur verhindert, dass man mich verletzt. Er kann mich sogar unsichtbar machen.«

»Es ist wirklich eindrucksvoll, wie viel du allein gelernt hast. Ich würde gerne wissen, was ihr beide noch zustande bringt.«

Mein Herz klopft wild. »Denkst du, da gibt es noch mehr?«

»Wir werden es herausfinden.«

»Aber wie?«, frage ich.

»Durch Versuche und Erfahrungswerte. Ganz so, wie du das gelernt hast, was du bist und jetzt kannst.«

»Können wir gleich loslegen?« Falls Mattis zurückkommt … nein … wenn er zurückkommt, dann will ich gewappnet sein. Ich möchte ihm zeigen, dass es keinen Grund für ihn gibt, mich irgendwo zu verstecken. Ich möchte mich würdig zeigen, mit ihm gemeinsam in den Krieg gegen die Männer zu ziehen, die mein Leben bedrohen.

Sie lächelt mir zu. »So lernbegierig. Das mag ich bei meinen Schülern. Ich werde sehen, was ich für dich tun kann. Aber erst bringe ich dich zu den Hesiod. Folge mir.« Sie setzt sich in Bewegung.

Ich folge ihr weiter den Gang entlang. Er scheint noch ewig lange geradeaus zu führen. Ich kann kein Ende entdecken. Es wirkt, als würde keine Abzweigung von ihm abgehen. Was für ein seltsamer Ort.

»Wer sind die Hesiod?«, erkundige ich mich.

»Die Ältesten unserer Gemeinschaft.«

»Also wie der Drost bei den Ténèbres?«

Cassándra nickt. »Hat Mattis dich tatsächlich zu seinen Brüdern gebracht? Er hat es nebenbei erwähnt. Ich hätte allerdings niemals gedacht, dass er dorthin zurückkehren würde.«

»Besonders glücklich war er über die Notwendigkeit ohnehin nicht. Ich fürchte, seine Rückkehr hat alte Wunden aufgerissen. Seine Gemeinschaft hat ihn nicht willkommen geheißen, wie ich es erwartet hätte. Seine Brüder sind immer noch erzürnt über seinen Weggang.« Ich kann nicht verstehen, weshalb sie Mattis nicht verzeihen wollen. »Nicht nur das war der Grund, weshalb sie mich nicht haben bleiben lassen. Angeblich haben sie Bedenken wegen der Gefahren, die mein Aufenthalt für die Ténèbres bedeutet. Jeder, der mit mir zu tun hat, riskiert viel. Diese Angelegenheit hat Auswirkungen auf viel mehr Menschen, als ich jemals gedacht hätte.«

»Mach dir keine Sorgen. Wir werden dich nicht verjagen. Mattis’ Anwesenheit in diesen Räumen mag nicht möglich sein. Aber du bist hier willkommen, solange du möchtest. Wir werden dich nicht zwingen, dieses Himmelsschloss zu verlassen, bevor die Bedrohung deines Lebens aus dem Weg geräumt wurde.«

»Danke.« Ich spüre, wie das Blut in meine Wangen steigt. »Nennt ihr das hier tatsächlich Himmelsschloss?«

»Wir haben verschiedene Namen. Doch das ist der, den ich am schönsten finde.«

Beim nächsten Schritt verändert sich der Gang. Plötzlich ist die endlose Länge des Ganges zu Ende. Wir stehen vor einer scheinbar undurchdringlichen Wand – genauso wolkenähnlich blau gefärbt wie der Rest der Räume und ebenso weich wirkend wie alles andere. Anscheinend bin ich zuvor einer optischen Täuschung aufgesessen. Ich weiß nicht, ob mir diese trügerischen Illusionen einer Wahrheit hier besser gefallen als die verwirrenden Flammenwände bei den Ténèbres.

Ich rechne damit, dass meine Begleiterin erneut die Oberfläche berühren wird, damit ein Durchgang entsteht. Stattdessen entsteht ein schmaler Spalt in der Wand, der rasch größer wird, als sie sich ganz von allein öffnet.

Cassándra fordert mich auf, in den dahinterliegenden Raum zu treten. Er ist schmaler als der Gang und ohne ersichtlichen Ausgang.

Der Boden unter meinen Füßen erbebt.

Ängstlich gehe ich etwas in die Knie und strecke die Arme aus, um leichter das Gleichgewicht halten zu können. Es fühlt sich an, als würden wir uns aufwärtsbewegen. Werden wir angegriffen? Haben meine Verfolger mich ausfindig gemacht, weil ich den Stein benutzt habe? Sind sie gekommen, um mich endlich zu töten?

Mein Blick huscht zu Cassándra. Doch die scheint unbeeindruckt von dem seltsamen Phänomen. »Was ist das?«, frage ich atemlos.

Lächelnd legt sie mir eine Hand auf die Schulter. »Fürchte dich nicht. Wir werden nur an den Ort gebracht, an dem wir auf die Hesiod treffen.«

Ich spüre, wie wir an Geschwindigkeit gewinnen. »Befinden wir uns in einem Lift?«

»Wenn du es so nennen willst. Der Raum schwebt nun förmlich über ein Verbindungssystem zu der gewünschten Ebene. Er kann aber nicht nur aufwärts sondern auch zur Seite steuern. Es ist ein sehr komfortables Fortbewegungsmittel.«

Beeindruckt richte ich mich wieder auf. Wie schade, dass kein Blick nach draußen möglich ist. Ich hätte gerne gesehen, wie diese Erfindung tatsächlich funktioniert. Obwohl die Schwebephase ganz sanft in andere Richtungen überleitet, fühle ich mich verunsichert. Ich lehne mich gegen die Wand hinter mir, um nicht so leicht von Kursänderungen überrascht zu werden.

Dann halten wir an. Die Tür gleitet auseinander, und wir können auf den nächsten blauen Gang treten. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir ungefähr eine Minute unterwegs gewesen sind. Ich bemerke, dass leise Musik erklingt. Die beruhigenden Töne haben auch Wirkung auf mich. Während ich Cassándra folge, fällt mir jeder Atemzug leichter. Die Angst nimmt ab, man könnte mich auch von hier fortschicken. Mein Ärger auf Mattis verfliegt nach und nach.

Der Stein in meiner Hand erwärmt sich. Er sendet mir Selbstbewusstsein, sodass ich mich für die Begegnung mit den Wesen vorbereitet fühle. Was auch immer mich hinter der Tür erwartet, vor der wir jetzt stehen bleiben, ich werde die Herausforderung meistern.

Alles wird gut. Da bin ich mir mit einem Mal hundertprozentig sicher.

Cassándra muss nicht an die Tür klopfen. Sie öffnet sich von ganz allein. Meine Begleiterin schiebt mich vorwärts.

Gleich beim Eintreten fällt mein Blick auf die beiden wunderschönen Frauen, die sich auf zwei hochlehnigen Stühlen gegenübersitzen. Auf dem Tisch vor ihnen stehen zwei Tassen und eine Kanne. Mit einem offenen Lächeln sehen sie uns entgegen.

»Tritt näher, Aurelian«, bittet eine der zwei alterslosen Frauen. Ihr Gesicht ist ebenso perfekt wie Cassándras. Der Anblick der beiden Fremden erfüllt mich mit Ehrfurcht. »Wir freuen uns, dich kennenzulernen.«

»Ähm … vielen Dank?« Ich sehe fragend zu Cassándra.

»Das sind Zorica und Zdenka, die ältesten Mitglieder unserer Gemeinschaft«, erklärt sie und zeigt erst auf die linke und dann auf die rechte Frau. »Ich habe sie über deine Ankunft informiert, bevor ich dich geholt habe.«

»Was seid ihr?«, frage ich. »Handelt es sich bei euch um Engel?«

»Wir sind Lichtwesen einer neueren Generation«, sagt Zorica. »Aber es ist nicht wichtig, wie du uns nennst. Wir helfen allen, die unserer Unterstützung bedürfen. Ich habe gehört, dass du unverschuldet in eine schwierige Situation geraten bist. Eigentlich würden wir in solch einem Fall ein Mitglied der Yazata auf die Erde schicken. Doch Cassándra meinte, ein Freund von ihr habe ihr klargemacht, dass das nicht ausreichen würde. Willst du uns mehr davon erzählen?«

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Ältesten wissen, dass Mattis den Ténèbres angehört. Erneut sehe ich zu Cassándra.

»Mein Freund spielt dabei keine Rolle«, erklärt sie schnell. »Aurelian wird von abtrünnigen Mitgliedern der Ténèbres bedroht. Aber er ist kein gewöhnlicher Mensch.«

»Nicht?« Zdenka hebt eine Augenbraue.

»Zeig ihnen den Stein«, fordert Cassándra.

Ich bin von dieser Bitte überrumpelt. »Aber …«

»Wir sollten das hier abkürzen. Zeig es ihnen. Danach unterhalten wir uns weiter.«

Der Stein fühlt sich plötzlich schwer in der Hosentasche an. Mit klammen Fingern greife ich danach. Noch zögere ich, ihn tatsächlich zu präsentieren.

Zorica richtet sich auf. Ihr Gesichtsausdruck zeigt pure Verblüffung. »Wo hast du diesen Gegenstand her?«, erkundigt sie sich aufgeregt.

»Von Cathreen Davidiana.«

»Wieso hattest du mit dieser Frau zu tun? Wie hast du sie gefunden?«

»Sie hat mich aufgesucht und mir den Stein heimlich zugesteckt. Keine Ahnung, warum sie mich erwählt hat.« Ich zucke mit den Schultern.

Die Älteste lächelt. »Aber ich weiß es. Du bist etwas Besonderes, Aurelian. Bestimmt hat es einen Grund, dass du gerade jetzt zu uns kommst, wo sich in letzter Zeit vermehrt die geschenkten Charakterzüge bei Menschen nicht entfaltet haben. Vielleicht bringst du die Wendung. Es bedarf einer intensiven Ausbildung. Du musst einiges lernen. Doch dann wirst du einer von uns sein.«

Das habe ich nicht vor. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Bevor ich der Ältesten das mitteile, werde ich allerdings versuchen, so viel wie möglich von ihr zu lernen.

2. Kapitel

Mattis

Wimmernd kniet der Mann vor mir auf dem matschigen Boden. Seine dunkle Kleidung ist schlammbespritzt, weil er dumm genug war zu denken, er könnte vor mir fliehen. Sein Pech, dass meine Laune so schlecht ist, dass ich ihn mit Freuden in die riesige Pfütze geworfen habe. Er hat diese abgeschiedene, unbefestigte Nebenstraße für seine Flucht gewählt. Wenn man es genau nimmt, hat er damit quasi selbst entschieden, nähere Bekanntschaft mit dem dreckigen Wasser zu machen.

»Bitte, lass mich gehen«, fleht er. »Ich weiß nichts.«

Diese Lüge zaubert ein grimmiges Lächeln auf mein Gesicht. Der Mann duckt sich unter meinem Blick. Panik verzerrt seine Züge. Wenn er damit Mitleid bei mir erregen will, so hat er sich die falsche Person gesucht. Er hat nicht verdient, dass jemand Rücksicht auf ihn nimmt.

»Du bist ein Händler für ganz besondere Ware. Ich brauche Informationen zu deinen Kunden.«

Er schüttelt den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«

Ungerührt zucke ich mit den Schultern. »Meine Hoffnung war, wir könnten uns auf vernünftige Weise unterhalten. Aber anscheinend hast du dein Gedächtnis verloren. Vielleicht sollte ich dich sofort von deinem Leid erlösen.«

Um ihm zu zeigen, dass mir nicht nach Ausreden ist, fletsche ich die Zähne und beuge mich über ihn. Ich kann fühlen, wie sich das Feuer in meinen Augen entzündet. Wird ihm jetzt endlich klar, mit wem er es zu tun hat?

»Bei allen Göttern«, flüstert er ängstlich. Sein Gesicht verliert alle Farbe. Er senkt den Kopf und legt seine Hände schützend darüber.

Amüsiert lache ich auf. Als würde das reichen, um mich aufhalten zu können. »Gib mir die Informationen, die ich haben will, dann ist der Spuk gleich vorbei.«

»Ich kann dir nicht helfen. Ich bin nur ein einfacher Händler.«

»Für die Leute, die in deinen Trödelladen kommen, mag das gelten. Die Geschäfte, die mich wirklich interessieren, schließt du im Geheimen ab. Du lieferst Waffen an Mitglieder der dunklen Seite. Du verkaufst den Tod.«

»Nein! Nein, das stimmt nicht. Man hat dich falsch informiert.«

Warum lügt er immer noch? Meine Hand krallt sich in sein Haar und zieht ihn hoch, bis er vor mir steht. Vor Schmerzen schreiend und wimmernd versucht er meine Finger aus seinem Haar zu lösen. Ich hebe meinen Arm noch ein wenig an. Jetzt baumelt er vor mir in der Luft. Aus seinem Mund kommen seltsame Geräusche.

»Vor einigen Jahren war ich einer deiner Kunden«, erzähle ich. »Wir haben uns nie persönlich getroffen. Männer wie wir verwenden ausschließlich Codenamen. Aber jetzt ist die Zeit des Versteckens vorbei. Ich freue mich, dich endlich persönlich kennenzulernen, Thorstein.« Als ich seinen Namen ausspreche, zuckt er zusammen.

»Was willst du von mir?«

Seufzend verdrehe ich die Augen, lasse ihn aber langsam runter, sodass seine Zehenspitzen den Boden berühren. »Hast du mir nicht zugehört? Ich brauche Informationen. Du hast Waffen an jemanden verkauft, den ich gerne sprechen würde.«

Thorstein schluckt. »Welche Waffen genau?« Wenigstens leugnet er nicht mehr, welche zu verkaufen.

»Pistolen unterschiedlicher Bauart, Sprengstoff und Hemmzauber.«

Er sieht mich mit großen Augen an.

»Du willst mir doch nicht weißmachen, dass diese Kombination allzu oft gekauft wird«, tadle ich.

»Nein, aber…« Seine kleinen, durchtriebenen Augen blinzeln. Schweiß perlt auf seiner Stirn. »Mir wäre es lieber, wenn ich den Namen meiner Kunden nicht nennen müsste.«

»Und warum?«

»Mit diesen Männern ist nicht zu spaßen.«

Ich runzle die Stirn. »Aber mit mir willst du Stand Up Comedy machen?«

»Niemand legt sich mit diesen Kerlen an. Niemand, der noch bei Verstand ist. Sie würden mein Leben zerstören.«

»Denkst du, dazu wäre ich nicht in der Lage?«

»Du tötest mich lediglich, wenn du deine Antworten nicht erhältst«, führt Thorstein aus. »Diese Männer würden mich allerdings zur Strafe für meinen Verrat foltern und quälen. Sie würden meine Familie verfolgen und schikanieren, um mich über sie zur Verantwortung zu ziehen.«

Ein teuflisches Grinsen kann ich nicht unterdrücken. »Danke für die inspirierenden und eindringlichen Ideen.«

Sein Gesicht wird tatsächlich noch etwas blasser. »Zwing mich bitte nicht dazu, diese Menschen zu verraten.«

»Die Gruppe, der du deine Waffen verkauft hast, sind genauso wenig menschlich wie ich. Es ist auch nicht klug, sich mich zum Feind zu machen. Ich will Antworten. Ich will ihre Namen erfahren. Ich will wissen, wo sie sich aufhalten.«

Er schüttelt den Kopf. »Das kann ich nicht.«

»Warum?«

»Sie sind doch nicht leichtfertig genug, um mir diese Dinge anzuvertrauen. Diese Männer halten sich in allen Bereichen bedeckt. Ich kann dir nicht helfen.«

»Zur Not gebe ich mich auch mit einem Bruchteil der Information zufrieden«, stelle ich klar und hebe ihn wieder ein Stück an. »Gib mir alles, was du weißt. Aber wage es nicht, mich zu hintergehen. Wenn ich herausfinde, dass du mir etwas verschwiegen hast, werde ich dich finden und vernichten.«

Thorstein nickt. »Verstanden. Leider habe ich trotzdem nicht das, was du brauchst. Ich kenne nicht einmal einen Spitznamen. Sie haben mich über Mail kontaktiert. Die Adresse besteht nur aus einer Zahlenkombination.«

»Dann will ich die genaue Kontaktinfo. Neben der Adresse brauche ich auch die exakten Uhrzeiten, an denen sie online waren.« Enember kann mir vielleicht helfen, den Absender zu identifizieren oder zumindest zu lokalisieren. Vermutlich haben die Männer die Nachricht nicht von ihrem Versteck aus geschickt. Trotzdem weiß ich dann einen Ort, an dem sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgehalten haben. »Wie haben sie die Ware bezahlt? Wo hat die Übergabe der Waffen stattgefunden?«

»Sie haben einen Koffer mit einem Teil des Bargelds an einer Bushaltestelle hinterlassen, damit ich die geforderten Waren organisieren konnte. Danach musste ich die Kisten auf einem aufgelassenen Schrottplatz abstellen und öffnen. Sie haben das Vorhandensein der Waren aus der Entfernung überprüft und mir dann in einer Mail verraten, wo ich das restliche Geld finden würde.«

»Ich will auch hier die genauen Orte und Zeiten«, befehle ich und lasse den Mann auf den Boden. »Hast du die Informationen bei dir?«

Als ich die Hand aus seinen Haaren nehme, schwankt er. Dann fängt er sich und nickt. »Eine Sekunde.« Er fischt sein Handy aus der Hosentasche und tippt hektisch darauf herum. Fünf Minuten später habe ich alles, was er mir geben kann.

Ich deute eine Verbeugung an. »Vielen Dank für deine Mitarbeit. Ich hoffe, all diese Daten führen mich zu den Männern. Sonst muss ich dich noch einmal besuchen.«

»Bloß nicht.« Er stolpert zurück. »Bitte, lass mich gehen. Ich habe dich nicht belogen.«

»Das werde ich bald wissen. Und jetzt lauf.«

Blinzelnd sieht Thorstein mich an.

»Lauf!«

Zögernd macht er einen Schritt in die Richtung, die ihn zurück auf eine belebtere Straße führen wird. Immer noch haftet sein Blick auf mir. Er bewegt sich viel zu langsam rückwärts. Beeilung, Bürschchen. Ich habe noch zu tun.

Vielleicht braucht er ein wenig Hilfe von meiner Seite. Ich blecke die Zähne, knurre und gebe vor, mich auf ihn zu stürzen.

Er schreit auf, dreht sich um und flüchtet vor mir, so schnell ihn seine kurzen Beinchen tragen.

Laut lachend werfe ich den Kopf in den Nacken und genieße das befriedigende Gefühl, meine dunkle Seite zeigen zu dürfen. In den letzten Tagen habe ich diese Seite zurückgedrängt. Bei Aufträgen, bei denen ich als Bodyguard gebucht werde, konzentriere ich mich ganz auf die Bedürfnisse meiner Klienten. Sie sollen sich wohlfühlen und spüren, dass ich nur für ihre Sicherheit da bin. Ich habe schon für Männer gearbeitet, die mich gerne dabei beobachtet haben, wie ich anderen Angst eingejagt habe. Aurelian wäre von diesem Verhalten allerdings verängstigt gewesen. Er hätte mir Vorträge gehalten oder – schlimmer noch – mich voller Verachtung in diesen verwirrend grünen Augen angesehen. Wie froh ich sein kann, ihn erst einmal los zu sein.

Blöd nur, dass ich den Moralapostel mit der guten Meinung von mir bereits jetzt vermisse.

Bei den Yazata ist er gut aufgehoben. Sie werden seine helle Seite weiter zum Vorschein bringen. Cassándra und die anderen Frauen werden ihm geben, was er wirklich braucht. Sie werden ihm zeigen, dass in ihm das Gute bereits fest verankert ist. Sein Weg ist in seiner Seele vorgeschrieben, auch wenn er sich noch nicht für eine Seite entschieden hat. In der Dunkelheit hat er nichts zu suchen.

Mein Lachen versickert. Ich seufze und mache mich auf den Weg zu meinem Informanten. Nachdem ich mich in eine ruhige Gassenecke zurückgezogen habe, beame ich mich in eine Seitenstraße von Enembers Laden. Von dort aus beobachte ich den Eingang, um den idealen Zeitpunkt für einen Besuch herauszufinden.

Auf der Straße ist zu meinem Glück nicht viel los. Enember hat den Standort seines Geschäftes gut gewählt. Die nächsten Kaufhäuser und Einkaufszentren sind weiter entfernt. Nicht einmal ein Lebensmittelladen lockt Besucher in die Straße. Es gibt nichts als Wohnungen und Einfamilienhäuser. Wer hier nicht sein Zuhause hat, verirrt sich nicht an diesen Ort.

Durch die Glasfront habe ich einen guten Blick in den Laden. Im Moment hält sich gerade ein Kunde in den Räumlichkeiten auf. Enember zeigt ihm verschiedene Exemplare von Fotoapparaten, die sein Mitarbeiter ihnen vorlegt. Dem riesigen Objektiv nach zu schließen, für das sich der Kunde bereits entschieden hat, will er wohl seine Nachbarn ausspionieren. Oder er plant bloß professionelle Nahaufnahmen von seiner Ehefrau. Ich übe mich in Geduld und hoffe, dass er seine Wahl rasch trifft, damit ich unbemerkt mit Enember in seine privateren Verkaufsräume unten im Keller verschwinden kann.

Offiziell verkauft Enember Elektrogeräte und Sicherheitskameras. Familien, die überprüfen wollen, ob die Babysitter ihre Kinder gut behandeln, zählen zu seinen Hauptkunden. Doch dann gibt es noch heimliche Besucher wie mich, die lieber nicht von seinen anderen Klienten gesehen werden und ihn mit anderen Diensten beauftragen. In Wahrheit ist Enember nämlich ein Spezialist, ein echter Künstler, in allem, was mit Nachforschungen im technischen Bereich zu tun hat. Er hat ein Programm geschrieben, mit dessen Hilfe er jeden Menschen durch die ganze Stadt verfolgen kann, wenn er möchte. Für Detektive wie mich verfolgt er die Bewegung jedes Lebewesens nicht nur mit den Kameras, die in der Öffentlichkeit angebracht sind. Er kann sogar die Aufnahmen von Kameras in privaten Hauseingängen oder Geschäften anzapfen, an die er gar nicht herankommen dürfte.

Um mehr über Aurelians Angreifer zu erfahren, habe ich Enember bereits nach Videomaterial forschen lassen, die den Überfall auf meinen Kunden zeigen. Die Männer haben leider nicht den Fehler gemacht, Aurelian in einer Gasse mit Kameras aufzulauern. Enember hat mir die Aufnahme gezeigt, auf der Aurelian sich von seinem Kollegen verabschiedet und die Gasse betritt. Niemand folgt ihm. Am Eingang des Durchgangs ist kurz nach ihm nur für eine Sekunde ein breiter Schatten erkennbar, der wieder verschwindet. Das war vermutlich der Moment, in dem die Männer sich an den Ort gebeamt haben.

Danach gibt es keine Möglichkeit, das Geschehen der nächsten Minuten zu verfolgen. Auch am Ausgang zeichnet keine Kamera auf, die mich einen Blick auf Aurelians schrecklichste Minuten werfen lässt. Enember hat mich nur auf einen blauen Lichtblitz aufmerksam gemacht, der die Schatten vorübergehend zurückweichen ließ. Unendliche Sekunden später stolpert Aurelian aus der Passage, eine Hand an seiner Seite, gebeugt und unsicher auf den Beinen.

Als er auf andere Menschen trifft, bemüht er sich um einen aufrechten Gang. Trotzdem ist für mich erkennbar gewesen, dass er große Schmerzen hatte. Er versteckt, was er denkt und was er fühlt, wenn er denkt, man würde ihn deshalb für schwach halten. Lediglich als das Gift in seinem Körper gewütet hat, war er erfrischend und anstrengend direkt.

Mir wird bewusst, dass sich ein Lächeln auf meine Lippen schleicht. Ich habe das Gefühl, als wären sie immer noch empfindsam von dem Kuss, den ich Aurelian gegeben habe.

Ich habe Aurelian geküsst.

Es musste geschehen. Ich war nicht in der Lage, das Bedürfnis länger zu ignorieren. Seit er mir das erste Mal in seinem verwirrten Zustand Komplimente gemacht hat, wollte ich wissen, wie er schmeckt. Mich zurückzuhalten und seinen Kuss nicht zu erwidern, als er mich überrumpelt hat, ist mir schwerer gefallen, als ich erwartet hatte. Zu wissen, dass ich ihn allein bei den Yazata zurücklassen muss, hat mich mehr berührt, als ich es für möglich gehalten habe. Ich konnte ihm nicht sagen, dass der Abschied für längere Zeit als von ihm angenommen gedacht ist. Aurelian sollte wissen, dass es mir nicht so einfach fiel, ihm nicht zur Seite zu stehen. Stattdessen habe ich ihn geküsst und ihm wortlos mitgeteilt, was mich quält.

Bei allen Bösen! Es hat nicht gereicht. Jetzt, da ich weiß, wie es sich anfühlt, ihn voller Verlangen zu küssen, will ich mehr davon. Ich sehne mich danach, ihm nahe zu sein. Tatsächlich möchte ich mehr. Dieser Mann ist mir in kürzester Zeit unter die Haut gekrochen. Es ist gut, dass ich ihm ein paar Tage aus dem Weg gehen kann. Ich muss einen klaren Kopf bekommen. Zu meinen Wurzeln auf der dunklen Seite zurückgekehrt, werde ich wieder der Mann werden, der ich gewesen bin, bevor mir Aurelian Flausen über eine hellere Seite von mir in den Kopf gesetzt hat.

Endlich verlässt Enembers Kunde den Laden. Ich warte, bis er in einer Nebengasse verschwunden ist. Dann überquere ich die Straße und öffne die Tür. Ein leises Klingeln ertönt, das meine Ankunft ankündigt.

Als Enember mich erkennt, heben sich seine Mundwinkel. »Kümmere dich um den Laden, Ügbis«, befiehlt er in Richtung seines Mitarbeiters. Dann nickt er mir zu und lädt mich mit einer Handbewegung ein, ihm zu folgen.

Wir gehen durch den Laden zur Hintertür. Von dem Vorraum, der sich dahinter befindet, führt eine Treppe in den Keller. Hinter Enember steige ich die schmalen Stufen nach unten. Unsere Bewegung lässt das Licht angehen.

»Was führt dich heute zu mir?«, fragt Enember. Er bleibt vor mir stehen.

»Der Auftrag vom letzten Mal. Ich habe neue Informationen, denen du für mich nachgehen sollst.« Ich schicke ihm die Daten von Thorstein weiter.

Noch während er meine Mail liest, setzt er sich vor einen der fünf Bildschirme, die an einer Seite der Wand montiert sind. Auf dem Schreibtisch vor ihm liegen drei Tastaturen. Auf einer von ihnen tippt er jetzt herum. Es dauert nur ein paar Sekunden. Dann scheint er mit dem ersten Schritt fertig zu sein.

»Den Inhaber des Mailkontos kann ich dir nennen. Es handelt sich allerdings um ein Pseudonym. Unter dem Namen finde ich keinerlei Einträge. Die Identität hat keine Schule besucht, es gibt keinerlei Besitzurkunden, keinen Führerschein, keine öffentlichen Profile in den sozialen Medien. Die Wohnadresse gehört zu einem Internetcafé, von dem aus die Nachrichten allerdings nicht versendet wurden. Dafür wurde die erste Mail über den öffentlich zugänglichen Computer einer Bibliothek geschickt. Der Kerl hat die Kameras geschickt gemieden.«

Einer der Bildschirme in Enembers Büro zeigt einen Mann mit Basecap und Kapuze, der das Gebäude betritt. Seine Augen werden von einer Sonnenbrille verdeckt. Die Sicht springt auf eine Kamera im Inneren der Bibliothek um. Auch hier wendet der Mann das Gesicht von der Kamera weg, während er zu einem der Computer geht. Beim Schreiben der Mail ist er von der Seite zu sehen. Die Kappe und die Sonnenbrille verändern das Profil so stark, dass wir uns damit nicht auf die Suche nach ihm machen können.

»Er muss die Lokalitäten entweder genau ausgekundschaftet oder von jemandem beschrieben bekommen haben«, überlege ich laut und frustriert. »Ich glaube nicht, dass wir ihn an einem früheren Tag auf einem Video erkennen können.«

»Das glaube ich auch. Wie du siehst, hat das Programm versucht, ihm nach dem Verlassen der Bibliothek zu folgen. Leider ist es gescheitert. In einer nicht einsehbaren Ecke muss er die Oberbekleidung gewechselt und seine Verkleidung abgelegt haben. Kappe gewechselt, Sonnenbrille weg, neuer Mantel, sogar andere Hosen. Du kannst hier einen Profi bei der Arbeit beobachten.«

»War er bei allen Terminen so vorsichtig?«

Enember beugt sich näher zum Bildschirm. »Das werden wir gleich überprüfen. Gib meinem Schätzchen ein paar Augenblicke.«

Ich warte, bis er erneut ein paar Befehle eingegeben hat. Meine Hoffnung, sofort neue Ergebnisse zu sehen, enttäuscht er allerdings.

»Es dauert, bis mein Programm alle Aufnahmen durchforstet hat«, sagt er und dreht sich nach mir um. »Erzähle mir in der Zwischenzeit, wie weit deine Nachforschungen gediehen sind.«

»Weiter als du mich gebracht hast.« Ärger steigt in mir hoch, als ich daran denke, wie demütigend es sich angefühlt hat, als die Ältesten mir Dinge verraten konnten, die Enember nicht herausgefunden hat.

»Warum klingst du dabei so trotzig?«

»Weil du in dem Punkt versagt hast. Warum hast du behauptet, keine Aufnahme gefunden zu haben, in der Aurelian sich mit dieser geheimnisvollen Frau trifft?«, tadle ich »Es hätte mir weitergeholfen zu wissen, um wen es sich bei ihr handelt. Die Information musste ich mir jetzt von jemand anderem besorgen.«

Statt sich von meinem vorwurfsvollen Tonfall einschüchtern zu lassen, seufzt Enember nur. »Ich habe nichts zu diesem Treffen auftreiben können. Dein Klient ist auf den Videos nach dem Überfall lediglich durch die Stadt geirrt. Wir haben gesehen, wie er sich in einem Laden ein Prepaidhandy besorgt hat. Beim Kauf des Verbandsmaterials haben wir ihn ebenfalls beobachtet. Davor ist er nur einmal in einer Menschenmenge für ein paar Sekunden stehen geblieben. Eine Beleuchtungsstörung hat ihn dabei beinahe unsichtbar gemacht. Hätte ich nicht nach dem Bewegungsmuster gesucht, hätte ich ihn während seiner Shoppingtour nicht beobachten können.«

»Eine Beleuchtungsstörung? Davon hast du nichts erwähnt.«

»Sowas kommt vor. Vermutlich ist er mit einem Material in Berührung gekommen, das die Kameras irritiert hat. Da reicht es schon, wenn man mal das falsche Haargel benutzt. Dieses neumodische Zeug macht meine Arbeit nicht gerade einfacher.«

Mein Herz klopft schneller. Ich weiß, dass Aurelian keine Haarpflegeprodukte wie die benutzt, die diese Wirkung haben. Sein blondes Haar fällt weich und geschmeidig um sein Gesicht. »Diese Täuschung resultiert nicht aus einem Haargel oder einem Spray. Aurelian hat in der Menge angehalten, weil er von jemandem angesprochen wurde. Cathreen Davidiana hat ihm in diesem Moment einen magischen Gegenstand übergeben.«

»Warum sollte sich die größte Hexe der Welt mit einem Mann unterhalten, der kurz davor verletzt wurde?«

»Weil er überfallen wurde, um Informationen über Cathreen zu erhalten. Die Männer, die ihn bedroht haben, dachten, er könnte sie zu der Hexe führen. Sie wollten den Gegenstand von ihm stehlen, der für ihn bestimmt war.«

Enember runzelt die Stirn. »Du machst mich ziemlich neugierig zu erfahren, worum es sich gehandelt hat.«

Ich weiß, dass ich meinem Gegenüber nur bedingt trauen kann. Wenn Enember ein gutes Geschäft wittert, würde er mich, ohne mit der Wimper zu zucken, hintergehen. Zum Glück ist Aurelian vor Schatzjägern wie ihm erst einmal in Sicherheit. »Das tut nichts zur Sache. Ich habe erwartet, all diese Informationen würdest du mir liefern. Stattdessen musste mich jemand anderes darauf hinweisen.«

»Es tut mir leid. Schuld trifft mich allerdings keine«, behauptet Enember. »Wie sollte ich ahnen, dass dein Klient bedeutend genug ist, um die Aufmerksamkeit einer mächtigen Frau wie Cathreen auf sich zu ziehen? Wenn du mir nicht alle Informationen gibst, muss das Ergebnis meiner Arbeit mangelhaft sein.«

»Aurelian ist ein ganz normaler Mensch, der das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein«, stelle ich klar.

Der EDV-Spezialist hebt eine Augenbraue und zieht einen Mundwinkel hoch.

Ich will nicht mit ihm darüber diskutieren. Mir ist längst klar, dass Aurelian genauso wenig ein durchschnittlicher Mensch ist wie ein Mitglied des Drosts. Er hat etwas an sich, das sein Gegenüber in den Bann zieht. Ich selbst bin davor ebenfalls nicht gefeit. Auch wenn er unablässig an sich zweifelt, steht er für sich ein. Mag er wirken wie ein unbedarfter, junger Mann, er weiß tief in seinem Inneren genau, was richtig und was falsch ist. Meiner Meinung nach ist er für Großes vorgesehen. Cathreen muss ebenfalls etwas Besonderes in ihm gesehen haben. Sie muss Pläne mit ihm haben. Vielleicht hat er recht, und sein Schicksal klopft ganz unerwartet an seine Tür. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb sie ihm den Stein überlassen hat, wenn sie ihn genauso gut an jemand anderen hätte weitergeben können, der ihren Reizen nicht so lange widerstanden hätte.

Das alles kann ich Enember nicht erklären. Ich habe bereits zu viel verraten. Die Neugierde steht meinem Informanten bereits ins Gesicht geschrieben. Je mehr ich ihm erzähle, umso eher kommt er auf die Idee, Aurelian für seine Zwecke zu nutzen.

»Glaubst du nicht an Zufall?«, frage ich Enember. »Hast du noch nie erlebt, dass das Schicksal dir jemanden vor die Tür geweht hat, durch den sich einiges in deinem Leben geändert hat?«

»Dich habe ich nicht kommen sehen. Manchmal denke ich, du hast mir mehr Schwierigkeiten bereitet als irgendeiner meiner Kunden bisher.«

Von seinem Computer erklingt ein leises Bing. Enember dreht sich mit seinem Stuhl herum und lässt seine Finger über die Tastatur fliegen. Mit konzentriertem Gesichtsausdruck starrt er auf den Bildschirm.

Ich trete hinter ihn und versuche auf den schnell wechselnden Bildern etwas zu erkennen. Meine Augen funktionieren überdurchschnittlich gut. Trotzdem scheitere ich, auf den aufgrund der hohen Geschwindigkeit ineinander verschwimmenden Videoansichten Details auszumachen. Endlich hält Enember die Bilder an.

»Hier ist unser Mann beim nächsten Termin. Er hat wieder die Kameras gemieden. Seine Verkleidung macht es ohnehin unmöglich, ihn zu erkennen. Ich glaube nicht, dass wir ihn dabei erwischen, einen Fehler zu begehen. Trotzdem werden wir alle Aufnahmen durchgehen.«

Es dauert über eine Stunde, bis wir uns den letzten Abschnitt vornehmen. Zu meiner Enttäuschung verschwindet der Mann wieder in einer Gasse, in der ihn keine Kamera beobachtet. Enember denkt, der Unbekannte würde dort einen Kleidungswechsel vornehmen. Mir ist allerdings klar, dass er sich fortbeamt und in das Versteck der Gruppe zurückkehrt. Wir werden keinen Hinweis auf ihren Verbleib finden.

»Danke für deine Mühe«, sage ich und richte mich auf. Mein Körper ist angespannt. Ich muss mich im Anschluss auf die Jagd nach weiteren Informationen machen. Wenn ich Glück habe, darf ich wieder jemandem Angst einjagen oder ihn sogar verprügeln. Das könnte ich jetzt gut gebrauchen.

»Tut mir leid, Mattis. Ich habe auf ein anderes Ergebnis gehofft.«

Ich klopfe Enember auf die Schulter. Dann wende ich mich zum Gehen. »Es war ein Strohhalm. Schreibe deinen Aufwand auf die Monatsrechnung.«

»Sekunde.«

Als ich mich umdrehe, runzle ich die Stirn. Enember klebt förmlich am Bildschirm. Er klopft wieder auf seine Tastatur ein. Könnte das arme Ding reden, würde es vor Schmerzen schreien. »Hat der Mann sich von dir erwischen lassen?«, erkundige ich mich mit einem neu aufflammenden Funken Hoffnung.

»Hinter wem bist du her?«, fragt Enember mit seltsamem Tonfall.

»Was meinst du?«

»Du versuchst keine Menschen zu finden, oder? Hier geht es um etwas anderes. Wo zum Teufel hast du mich da hineingezogen?« Enember hebt den Kopf und schickt mir einen vorwurfsvollen Blick.

Auf dem Bildschirm hinter ihm laufen die letzten Sekunden, die wir uns gerade angesehen haben. Diesmal hat der EDV-Spezialist allerdings nicht auf die Ecke gezoomt, hinter der mein abtrünniger Bruder verschwunden ist. Stattdessen ist eine Vergrößerung des Schaufensters und damit eine Spiegelung der Geschehnisse in der Gasse zu sehen.

Ich weiß, weshalb Enember so schockiert ist. Auf der Glasoberfläche können wir den fremden Mann erkennen. Nachdem er die Gasse betreten hat, sieht er sich um. Und dann – von einer Sekunde auf die andere – ist er verschwunden.

Enember starrt mich durchdringend an. »Ist das ein Hexer wie Cathreen? Oder ist er etwas Schlimmeres, Grausameres?«

Er denkt in die richtige Richtung. Etwas Schlimmeres, Grausameres… damit meint er das, was ich bin. Ein Ténèbres. Ein Monster aus der Dunkelheit.

3. Kapitel

Lustlos schiebe ich den farblosen Brei auf dem Teller hin und her. Ich vermisse das Essen aus meinem alten Leben: das frische Gemüse, die Kräuter. Fleisch hat es auch bei uns nur selten gegeben. Die Haltung von Tieren in dem Ausmaß, dass ihr Fleisch täglich auf dem Speiseplan steht, kostet viel zu viel Energie. Der Bedarf der Menschen an Nährstoffen wird mit anderen Lebensmitteln gedeckt. Unser Speiseplan ist abwechslungsreich, farbenfroh und von unterschiedlichen Texturen geprägt. Was ich für eine Schüssel Rohkost alles tun würde!

Allem hier fehlt jegliche Farbe. Das Blau der Wände wirkt inzwischen ausgewaschen, weil ich mich an die Gleichförmigkeit gewöhnt habe. Man hat mich gedrängt, in eine beige Kutte zu schlüpfen, sodass ich in der Menge der gleich gekleideten Frauen untergehe. Keine Bilder unterbrechen die Eintönigkeit der Umgebung. Sogar meine Gefühle scheinen pastellfarben eingekocht zu werden. Freude, Traurigkeit, Langeweile … keine Emotion unterscheidet sich mehr von einer anderen.

»Du gewöhnst dich an unsere Speisen«, behauptet Cassándra neben mir.

»Niemals.« Und das meine ich ernst. Ich habe nicht vor, lange genug hierzubleiben, um meine Lebensgewohnheiten umzustellen. Egal wie schmackhaft die Yazata mir meine Anwesenheit auch machen wollen. Lachhaft. Was verstehen sie denn schon von Geschmack?

Im Speisesaal herrscht eine andächtige Stille. Nur das Schaben der Löffel auf dem Porzellan ist zu hören. Alle sitzen über ihre Teller gebeugt. Sie würdigen die anderen Anwesenden keines zweiten Blickes. Jeder wirkt zufrieden. Merken sie denn nicht, was sie da in sich hineinschaufeln?

»So schlecht, wie du tust, ist unser Angebot nicht. Du musst nur verstehen, dass diese Speisen ausschließlich deinen Körper nähren. Zu viel Genuss lenkt dich von den wirklich wichtigen Dingen im Leben ab. Deine Seele braucht Nahrung. Kümmere dich um ihr Wohlergehen, dann kannst du dich auf deine Fähigkeiten konzentrieren. Du wirst besser lernen, wenn du dich auf das Notwendigste fokussierst.«

Ich nehme einen Bissen von dem Brei. Kartoffeln, Reis, irgendetwas mit Bohnen. Mein Hungergefühl wird davon gestillt. Aber das wird auf Dauer nicht ausreichen. Versteht hier niemand, dass gutes Essen die Moral hebt? »Nicht Wissen allein ist wichtig. Es gibt mehr als das. Wie wäre es zum Beispiel mit Nahrung, die mehr Farbe hat als Leim?«

»Ablenkung«, behauptet Cassándra mit einem Lächeln.

»Und wenn sie weniger zähflüssig wäre?«

»Zerstreuung.«

»Dann lasst sie nicht so langweilig schmecken«, schlage ich vor.

»Abschweifungen.«

Ich werfe ihr einen genervten Blick zu. Ihr Lächeln ist nicht verschwunden. In den letzten Tagen habe ich sie in unterschiedlichen Abstufungen von Fröhlichkeit erlebt. Sie hat mir eine ernsthafte Seite gezeigt. Aber niemals hat sie Ungeduld, Verärgerung oder gar Wut zur Schau getragen. Das Gleiche gilt für alle anderen Yazata. Die gute Laune der Frauen hier zehrt an meinen Nerven.

Frauen.

Mattis hat von einer Bruderschaft gesprochen, wenn es um die Ténèbres gegangen ist. Im Wolkenschloss leben allerdings lediglich Frauen. Es handelt sich um keine Bruderschaft, sondern um eine Schwesternschaft. Deshalb ergeben die Worte der Ältesten Zorica am Tag meiner Ankunft keinen Sinn für mich.

»Du musst einiges lernen. Doch dann wirst du einer von uns sein.«

Wie soll das möglich sein, wenn ich dem falschen Geschlecht angehöre? Wieso sollte ich zu den Frauen gehören wollen? Und was würde das für eine Bedeutung für mich haben?

»Zeit für die nächste Stunde, Aurelian.« Cassándra steht auf und lächelt auf mich runter.

Innerlich rolle ich mit den Augen. Da seufze ich und stampfe trotzig mit dem Fuß auf. Doch für die Yazata hebe ich meine Mundwinkel.

Nachdem wir unsere Teller zur Ausgabe getragen haben, gehen wir in den Raum, den Cassándra »Ort des Wissens« nennt. Eigentlich handelt es sich um ein Schulzimmer. Mit der seltsamen Bezeichnung will sie mich bloß beschwichtigen.

»Warum gibst du dir überhaupt so viel Mühe mit mir?«, frage ich und nehme an dem Tisch in der Mitte des Raumes Platz. Auch hier gibt es keine Ablenkungen. Ein Fenster zu meiner Linken ermöglicht keinen Blick nach draußen, lässt aber etwas Licht in den Raum. Die Wände sind kahl, bis die Yazata sich daran zu schaffen machen wird. Außer einem Heft und einem Stift gesteht man mir nichts zu.

Cassándra tritt zur Wand mir gegenüber. Mit einer Berührung ihres Fingers lässt sie auf der Oberfläche einen blauen Punkt erscheinen. »Die Hesiod haben etwas in dir gesehen. Es ist nicht an mir zu wissen, wozu meine Lehrstunden gut sind. Sie haben einen Plan mit dir. Und ich werde dafür sorgen, dass du bereit bist, wenn sie ihn dir präsentieren. Also konzentriere dich. Was haben wir das letzte Mal gelernt?«

»Wir haben durchgesprochen, dass die helle und die dunkle Seite zusammengehören wie Luft und Erde«, antworte ich müde. »Die helle Seite soll genauso für das Wohl der Menschen sorgen wie die dunkle Seite. Ohne die eine Macht könnte die andere nicht existieren.«

Cassándra bewegt den Finger, sodass aus dem Punkt ein Kreis wird. Daneben malt sie einen zweiten. In einen schreibt sie das Wort Ténèbres und in den anderen Yazata.

»Die beiden Gemeinschaften sind Schenker. Sie verleihen die Charaktereigenschaften und Fähigkeiten, die die Menschen benötigen, um ihr Schicksal zu erfüllen. Davon habe ich schon gehört, bevor ich hierhergekommen bin. Mir war bewusst, dass ihr entscheidet, welcher Seite die Menschenkinder angehören sollen. Die Lebensspenderin hat euch die Macht gegeben, in die Zukunft zu sehen, um dem neugeborenen Menschen das richtige Werkzeug mit auf die Welt zu geben. So kann er sich den Herausforderungen stellen und seinen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten.«

»Richtig.« Ein dritter, größerer Kreis unter den ersten zweien beinhaltet kurze Zeit später das Wort Menschen. »Wir sind untrennbar miteinander verbunden. Die Menschen können ohne uns nicht sein. Und wir benötigen die Menschen, um die Geschicke der Welt lenken zu können. Wir sind nicht dafür geschaffen worden, dauerhaft auf der Erde zu wandeln.«

Sofort wandern meine Gedanken zu Mattis. Ich bin froh, dass er diese Regel gebrochen hat. Dann erinnere ich mich aber auch an die Männer, die hinter mir her sind. »Trotzdem gelingt es einigen von euch, sich unerkannt unter uns aufzuhalten.«

Meine Lehrerin für die Geschichte der Magie nickt. »Vorübergehend gelingt es uns vielleicht. Doch dann vermissen wir die Gemeinschaft unserer Schwestern. Für die Mitglieder der Ténèbres gilt das Gleiche. Wir sind nicht dafür geschaffen, wie Menschen zu leben.«

»Was seid ihr eigentlich genau? Handelt es sich bei den Ténèbres um Dämonen? Seid ihr Engel?«

»Mit menschlichen Begriffen kann man uns nicht beschreiben, Aurelian. Wir haben mit Menschen nichts gemein. Das darfst du nie vergessen.«

Unter dem Tisch balle ich die Hände zu Fäusten. Ich weiß, dass sie inzwischen ahnt, was ich für Mattis empfinde. Sie will ihn mir ausreden. Aber das wird ihr nicht gelingen. Mein Herz hat sich ihm verschrieben, und ich hege die Hoffnung, dass das umgekehrt auch zutrifft.

»Die Mutter allen Lebens hat die Schenker erschaffen. Sie hat Magie genutzt, um Wesen zu erschaffen. Nach dem äußerlichen Erscheinungsbild zu schließen, wirken wir wie Menschen. Doch wir sind kräftiger, machtvoller. Wir können hunderte von Jahren leben. Die Yazata empfinden nichts als Liebe. Die Herzen der Ténèbres sind allerdings voller Bösartigkeit. Wir sind das, was unsere Mutter in uns gesehen hat. Wir sind nur Werkzeuge, um ihren Willen zu erfüllen.«

Vehement schüttle ich den Kopf. »Das entspricht nicht der Wahrheit. Nicht alle Magiewesen sind gleich. Ozuna, die in Wahrheit eine Hexe der dunklen Seite ist, hat sich mir gegenüber freundlich und fürsorglich verhalten. Auch wenn sie mich in diese Schwierigkeiten gebracht hat, ist sie kein schlechter Mensch … kein schlechtes Wesen. So böse, wie du die Ténèbres darstellst, sind sie ebenfalls nicht. Ich habe mich nicht lange genug unter ihnen aufgehalten, um sie genau studieren zu können. Manche von ihnen scheinen voller Wut. Andere jedoch sind in der Lage, Mitgefühl zu empfinden. Mattis hat dich selbst gerettet. Also versuche nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen.«

Cassándra kneift die Augen zusammen. »Vielleicht gibt es Ausnahmen. Vielleicht sind nicht alle Ténèbres ausschließlich bösartig. Trotzdem solltest du vorsichtig sein, wenn du mit ihnen zu tun hast. Du darfst nicht alles glauben, was sie dir erzählen.«

Widerwille regt sich in mir. Ich runzle die Stirn. »Warum ist es dir so wichtig, dass ich mich von den Ténèbres fernhalte? Wieso willst du mir so unbedingt Angst vor ihnen einjagen? Was verbirgst du vor mir?«

Ihr Gesichtsausdruck verändert sich. Sie wendet den Blick ab und sieht zu den Kreisen an der Wand. »Einmal dachte ich, den Regeln nicht gehorchen zu müssen. Ich habe einem Ténèbres vertraut, der die Liebe in meinem Herzen, die ich ausschließlich den Menschen entgegenbringen sollte, auf sich gelenkt hat. Kurze Zeit habe ich geglaubt, ich könne meine Vorsehung betrügen, und habe mir eine Zukunft erträumt, die niemals für mich vorgesehen war. Die Strafe, die ich dafür erhalten habe, folgte auf dem Fuße. Seitdem bin ich eine ergebene Dienerin der Menschen. Ich werde mich nicht noch einmal ablenken lassen.«