Shadow Love - Der Lockruf der Dunkelheit - Betty Kay - E-Book
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Shadow Love - Der Lockruf der Dunkelheit E-Book

Betty Kay

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Beschreibung

Aurelian müsste sich endlich zwischen einem Leben auf der hellen oder der dunklen Seite entscheiden, wie es vom Schicksal vorgesehen ist. Bevor er sich zu einer Wahl durchringen kann, gerät er durch eine geheimnisvolle Frau in Lebensgefahr. Mattis, der als Detektiv, Bodyguard und Kopfgeldjäger arbeitet, soll ihn beschützen. Aurelian fühlt sich sofort zu dem Mann hingezogen, der zur Dunkelheit gehört und sie gleichzeitig hasst. Dass Aurelian erfährt, wer oder vielmehr was Mattis tatsächlich ist, ändert nichts an seinen Gefühlen. Die magische Welt hält allerdings noch weitere Überraschungen für ihn bereit. Gelingt es ihm, das für ihn vorgesehene Schicksal doch noch zu erfüllen? Oder erwartet ihn vielleicht das größte Abenteuer seines Lebens?

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Seitenzahl: 361

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Shadow Love

Der Lockruf der Dunkelheit

Fantasy New Adult Gayromance

Band 1

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2022

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© IG Digital Arts – shutterstock

© We Are – shutterstock

© LUMIKK555 – shutterstock

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-567-1

ISBN 978-3-96089-568-8 (epub)

Inhalt:

Aurelian müsste sich endlich zwischen einem Leben auf der hellen oder der dunklen Seite entscheiden, wie es vom Schicksal vorgesehen ist. Bevor er sich zu einer Wahl durchringen kann, gerät er durch eine geheimnisvolle Frau in Lebensgefahr. Mattis, der als Detektiv, Bodyguard und Kopfgeldjäger arbeitet, soll ihn beschützen. Aurelian fühlt sich sofort zu dem Mann hingezogen, der zur Dunkelheit gehört und sie gleichzeitig hasst. Dass Aurelian erfährt, wer oder vielmehr was Mattis tatsächlich ist, ändert nichts an seinen Gefühlen.

Prolog

Niemand würde mich für einen Helden halten. Meine Schultern sind nicht breit oder muskulös genug, um Menschen vor einem Unglück zu retten. Ich bin nicht besonders einfallsreich, weshalb ich vermutlich nie etwas erfinden werde, das für die Menschheit von Wichtigkeit ist. Um in der Politik Karriere zu machen und etwas zu bewegen, fehlt mir das Durchsetzungsvermögen und die Fähigkeit, meine Überzeugungen zu verbiegen wie Bambus. Ich wirke so unauffällig, man würde mich auf der Straße nicht einmal nach dem Weg fragen.

Trotzdem setze ich meine herzgegebenen Charaktereigenschaften so gut wie möglich ein. Die Verantwortung, die ich trage, ist mir bewusst. Jeder Mensch hat seine Aufgabe zu erfüllen, damit diese Welt ein besserer Ort wird. Ich leiste meinen Beitrag, indem ich meinen Mitmenschen ein Lächeln auf das Gesicht zaubere. Seit fast einem Jahr arbeite ich jetzt als Barista und achte darauf, immer höflich und fröhlich zu sein. Laut meinem Boss mache ich mich dabei sehr gut.

Meine Mutter hat mehr von mir erwartet. Sie ist von meinem Werdegang enttäuscht. Wie alle anderen Kinder habe ich während meiner Schulzeit verschiedene Tests durchlaufen, um herauszufinden, wo meine Stärken und Schwächen liegen. Im Gegensatz zu den Mädchen und Burschen in meiner Klasse konnten die Lehrer allerdings nicht herausfinden, worum es sich bei meiner Besonderheit handelt und welcher Auftrag von den Schenkern für mich vorgesehen ist. Sie konnten nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob ich zu den Hellen oder Dunklen gehöre. Auch wenn die Hauptanzahl meiner Charakterzüge, mein sonniges Wesen und meine Hilfsbereitschaft auf eine Ausrichtung zum Hellen hinweisen, könnte sich immer noch eine Eigenschaft durchsetzen, durch die ich ein Leben für die dunkle Seite führen würde. Diese Vorstellung widerstrebt mir. Ich möchte zu den Guten gehören. Seinem Schicksal darf man sich allerdings nicht entziehen.

Ein Jahr vor meinem Schulabschluss hat mich mein Klassenlehrer zur Seite genommen, um mich mit deutlichen Worten zu motivieren.

»Du musst dich mehr anstrengen«, hat er gesagt. »Deine Mitschüler sind weiter als du, Junge. Sie wissen ganz genau, was sie erreichen wollen. Eine wenig aussagekräftige Analyse, wie sie aus deinen Tests resultiert, wird nicht gerne gesehen. Du besitzt keine Fähigkeit, die alle anderen überstrahlt, weil du so viele positiven Seiten hast. Immer nett, immer höflich, immer zuvorkommend, immer hilfsbereit, immer langweilig. Mit dieser Einstellung wirst du es nicht leicht haben im Leben. Glaube mir.«

»Aber ich bin an so vielem interessiert.«

»Niemand legt Wert auf einen Mitmenschen, der in allem gut ist. Diese Welt braucht Individualität, keinen Einheitsbrei. Du musst herausstechen. Das kannst du nur, wenn du dich spezialisierst. Rasch.«

Vermutlich hat er mir damit helfen wollen. Doch mir hat diese Zurechtweisung nur gezeigt, wie wenig er mich verstanden hat. Das folgende Jahr habe ich versucht, mich anzupassen, keine Probleme zu machen. Damit habe ich mich allerdings nicht wohlgefühlt.

Ich bin wie ich bin.

Ich steche vielleicht nicht aus der Masse heraus. Man wird möglicherweise nicht sofort aus mir schlau. Aber auch wenn meine Aufgabe nicht klar erkennbar ist, muss ich mich nicht für das schämen, was ich tue.

Solange nicht eindeutig geklärt ist, wer und was ich sein werde, bin ich damit zufrieden, als Barista tätig zu sein. Wer kann schon sagen, ob das nicht vielleicht genau das ist, was ich tun soll? Es erscheint mir jedenfalls wie Fügung, die Ausschreibung dieser Anstellung genau an dem Tag gesehen zu haben, an dem ich meine schulische Laufbahn beendet habe und ratlos durch die Stadt gelaufen bin. Es muss ein Zeichen gewesen sein, weil ich den Posten sofort bekommen habe und von meinem Boss als Naturtalent bezeichnet worden bin. Ich weiß, die Kunden können mich gut leiden. Ich bin bei ihnen beliebt. Darum werde ich nicht undankbar sein und die Chance zu schätzen wissen, die sich mir bei Isaks Coffee Corner geboten hat, bis ich das nächste Zeichen erhalte.

Irgendwann wird das Schicksal mich schon finden. Irgendwie werde ich schon herausfinden, welchen Weg die Schenker für mich vorgesehen haben. Und dann werde ich beweisen können, mehr zu sein, als man auf den ersten Blick erkennt. Auch wenn ich kein Held bin, werde ich meinen Fußabdruck in dieser Welt hinterlassen.

1. Kapitel

Ich weiß, es ist nicht sonderlich nett, ein Gespräch zu belauschen. Doch die Unterhaltung der beiden Frauen kling zu interessant. Inzwischen wische ich zum zehnten Mal über die gleiche Stelle des Tisches. Der Fleck, der sich darauf befindet, hat sich bereits ins Holz eingefressen und ist schon da gewesen, als ich vor fast einem Jahr hier zu arbeiten begonnen habe. Eine andere Ausrede, mich in dieser Ecke aufzuhalten, fällt mir allerdings nicht ein.

»Er nutzt seine herzgegebenen Fähigkeiten nicht«, beschwert sich die erste, die ich bei ihrem Eintreten ins Café auf ungefähr fünfzig geschätzt habe. Sie hat ihr Haar zu unzähligen kleinen Zöpfen geflochten, wie es gerade modern ist. »Hätte er sich nicht geweigert, seine Aufgabe zu erfüllen, hätte er keine Schwierigkeiten mit mir bekommen.«

»Aber ihm deshalb gleich einen Kopfgeldjäger auf den Hals zu hetzen?«

»Mir ging es darum, jemanden zu beauftragen, der ihm ins Gewissen redet und ihm ein wenig Angst einjagt. Dass der Mann als Kopfgeldjäger arbeitet, ist mir am Anfang nicht bewusst gewesen. Dieser Mattis ist …« Sie stockt und sucht nach dem richtigen Wort. »Er ist viel gefährlicher, als ich erwartet habe. Ganz offensichtlich ist er von den Schenkern als Dunkler ausgewählt worden.«

Ihre Freundin lacht auf. Im ersten Moment habe ich sie für Mutter und Tochter gehalten. Dann sind mir die kleinen Fältchen um die Augen der zweiten Frau aufgefallen. Ihr jugendliches Aussehen verdankt sie wohl den Fähigkeiten eines Chirurgen. »Natürlich ist er das. Wer sonst würde Aufgaben wie diese übernehmen?«

Kurz bleibt es still hinter mir. Ich befürchte, bemerkt worden zu sein, und überlege, ob ich mich zurück zu meiner Arbeit begeben soll. Wenn nur diese verflixte Neugierde nicht wäre. Mitglieder der dunklen Seite üben eine große Faszination auf mich aus. Ich will sie studieren, sie verstehen, um zu verhindern, irgendwann so wie sie zu werden. Es ist schwierig, mehr über sie zu erfahren, denn ihre Bösartigkeit zeigen sie nicht an Orten wie diesem. Betreten Dunkle eine fremde Stadt, können sie sich perfekt anpassen. Vielleicht sollte ich für ihre Zurückhaltung dankbar sein. Meine Verwirrung über mein Schicksal werde ich dadurch allerdings schwerer bekämpfen können.

Die Stimme der einen Frau erklingt leise. Ich habe Schwierigkeiten, sie zu verstehen. »Dieser Mann ist anders«, wispert sie. »Mein Ansinnen hat ihn verärgert. Er hat meinen Jungen nicht unter Druck setzen wollen. Auch als ich versucht habe, ihm zu erklären, nur das Beste für meinen Sohn im Sinn zu haben, hat er mir nicht helfen wollen. Nur eine Erhöhung seines Honorars hat ihn zum Bleiben überredet. Danach ist er wütend auf mich gewesen. Sein Blick ist … Ich habe in seine Augen gesehen, als der unterdrückte Ärger in ihm gebrodelt hat. Sie sind rot geworden!«

»Unsinn! Augen können sich nicht verfärben.«

»Erklär mich ruhig für verrückt. Ich weiß genau, was ich gesehen habe. Der Kopfgeldjäger ist abgrundtief böse. In ihm müssen sich mehrere schlechte Eigenschaften vereinen. Ich nehme an, er gehört zu den richtig bösen Menschen. Vielleicht äußert sich das in einem roten Glühen der Augen.«

Ich halte die Luft an. Die Erzählung fesselt mich. Von solch einem Phänomen habe ich noch nie gehört. Dieser Mattis muss ein ganz besonderes Exemplar eines Dunklen sein. Zu schade, dass ich ihn nicht kennenlernen werde. Ich würde mich wirklich gerne mit ihm unterhalten, herausfinden, was ihn ausmacht, wie er geworden ist, was er ist. Von ihm könnte ich unglaublich viel lernen.

Die Freundin der Frau mit dem Sohn, für den ich Mitleid empfinde, seufzt. »Wie kann ich dich von diesem Blödsinn abbringen? Vielleicht hat er dir einfach nur Angst eingejagt und du hast dich von einer Lichtreflexion in die Irre führen lassen.«

»Schon gut. Vielleicht mache ich mir einfach zu viele Sorgen. Ich möchte, dass mein Junge vernünftig wird. Dafür habe ich diesen Verrückten auf ihn gehetzt. Wenn ich Glück habe, reicht es aus, um ihn zu einem positiven Lebenswandel zu bekehren. Möglicherweise sucht er sich jetzt endlich eine Arbeit, die seinen Fähigkeiten entspricht. Unter Umständen setzt er seine herzgegebenen Eigenschaften ab jetzt zu den vom Schicksal für ihn vorgesehenen Aufgaben ein.«

»Irgendwann wird er seinen Platz in dieser Welt schon finden«, versucht die Freundin, die ihr wahres Alter verbergen möchte, die andere zu beruhigen.

»Hoffentlich lässt er sich nicht zu viel Zeit damit.«

»Ihn mit Gewalt dazu zu zwingen, ist nicht die beste Lösung. Wie hast du diesen dämonischen Kopfgeldjäger überhaupt aufgetrieben? Jemand wie ihn findet man bestimmt nicht in den Gelben Seiten.«

»Tatsächlich bin ich im Internet auf eine Anzeige von ihm gestoßen«, gesteht die besorgte Mutter. »Weil das Gute manchmal auch die Hilfe vom Bösen braucht. Ist das nicht ein seltsamer Werbespruch?«

Ihre Freundin lacht. »Nicht seltsamer als deine verrückte Idee. Immerhin hat dieser Kopfgeldjäger ja recht. Um deinen Sohn zu einem Menschen der guten Seite zu machen, warst du auf die Unterstützung von jemandem angewiesen, der nicht zu ihnen gehört. Ironisch, nicht wahr?«

Ich habe genug gehört. Mit einer letzten, schnellen Bewegung beende ich meine Bemühungen um den Tisch und gehe in die Küche, in der die Kekse für die Theke gebacken werden. Ich werde das Wischtuch los und hole mir ein Glas Wasser. Während ich es mit großen Schlucken leere, lehne ich mich an die Arbeitsplatte neben dem Ofen und sehe meinem Chef Timno zu, wie er den Teig mit seinen geschickten Fingern knetet.

In mir brodelt es. Die Worte der Frau ärgern mich, obwohl sie nicht von mir, sondern ihrem Sohn gesprochen hat. Versteht sie denn nicht, wie verwirrend dieses Alter für Menschen sein kann, deren Aufgabe sich noch nicht offenbart hat? Nicht jeder hat das Glück, von den Schenkern mit einer Fähigkeit bedacht zu sein, die sich eindeutig herauskristallisiert. Natürlich weiß ich nicht, wie alt der Sohn der Frau ist. Doch selbst wenn er bereits dreißig sein sollte, liegt das ganze Leben noch vor ihm.

Wir haben fast hundertfünfzig Jahre Zeit, um Fehler zu machen, um uns zu verbessern und Erfahrungen zu sammeln. Uns bleiben ungefähr hundertdreißig Jahre, in denen wir arbeiten und unseren Beitrag leisten. Warum dürfen wir uns nicht zehn Jahre dieser langen Spanne Zeit lassen, um uns selbst zu finden und zu testen, was uns wirklich glücklich macht, bevor wir uns ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren, für die wir vorgesehen sind?

Noch haben meine Eltern nicht die Geduld mit mir verloren. Wie lange es wohl dauern wird, bis sie jemanden engagieren, um mich auf den rechten Weg zu lotsen? Bin ich ihnen überhaupt wichtig genug, um zu so drastischen Mitteln zu greifen?

Sie sind nicht meine leiblichen Eltern. Die erste Zeit nach dem Tod von Mom und Dad habe ich in einem Waisenhaus gelebt. Kurz vor meinem zehnten Geburtstag bin ich dann zu Mr. und Mrs. West gekommen. Erst vor fünf Jahren habe ich sie das erste Mal mit Mom und Dad angesprochen. Ich habe es getan, weil ich gedacht habe, es würde ihnen etwas bedeuten. Ich habe auf ein Strahlen in ihren Augen gehofft. Doch ich habe ihnen keine Reaktion entlocken können. Vermutlich reicht es ihnen, dass meine neun Geschwister sie von Anfang an so genannt haben.

»Alles in Ordnung mit dir, Junge?«, fragt Timno.

Automatisch beginne ich zu lächeln und sehe ihm in die Augen. »Natürlich.«

»Du wirkst, als wäre uns das Kakaopulver ausgegangen.« Timno zwinkert mir zu. Er formt den Teig zu einer Kugel und packt sie in Folie, bevor er sie in den Kühlschrank räumt. Aus dem riesigen, silbernen Ding holt er einen Teig, der bereits geruht hat.

»Manche Gäste sind einfach nur anstrengend.«

»Hat dir wieder einmal jemand zu wenig Trinkgeld gegeben?« Während er den Teig ausrollt, wendet er sich mir zu. Er muss nicht hinschauen, um den Teig gleichmäßig dünn auszurollen. Er ist ein wahrer Meister seines Fachs. Und nicht nur das kann er mit schlafwandlerischer Sicherheit.

Ich weiß, dass Timno nur versucht, mich aufzumuntern, weil er mich durchschaut hat. Ihm entgeht nicht, wie es den Menschen in seiner Umgebung wirklich geht. Mit einem schnellen Blick ist er in der Lage, andere zu durchschauen, egal wie überzeugend sie ihre Rolle spielen. Seine Gabe hat er schon früh erkannt. Er weiß vielleicht nicht, was tatsächlich in mir vorgeht. Aber zwei, drei Fragen mehr, und er hat alles herausgefunden, was ihn interessiert. Ich kann ihm die Informationen also auch gleich direkt geben.

»Ein weiblicher Gast hat sich über ihren Sohn beschwert. Er hat seine Berufung noch nicht gefunden. Sie macht sich verständlicherweise Sorgen um ihn. Deshalb ist sie vermutlich zu weit gegangen. Ich kann ihr Verhalten irgendwie nachvollziehen, obwohl ihr Sohn furchtbar enttäuscht sein muss, weil sie ihm nicht vertraut, nicht an ihn glaubt. Ich frage mich, ob …« Mir fehlen die Worte.

»Du bist auf dem richtigen Weg, Junge. Mach dir nicht zu viele Sorgen. Bei dir empfange ich sehr positive Schwingungen. Irgendwann wird sich zeigen, was für dich vom Schicksal vorgesehen ist. Da bin ich ganz sicher.«

»Irgendwann?« Ich hebe die Augenbrauen.

»Alles zur richtigen Zeit.«

Lächelnd zucke ich mit den Schultern. Auch wenn ich noch nicht überzeugt bin, schaffe ich es vielleicht, Timnos Besorgnis zu beruhigen. »Da muss ich dir wohl vertrauen. Danke dir. Dann lege ich mal wieder los.«

»Vergisst du absichtlich, dass ich kein Problem habe, eine Notlüge zu erkennen?«, fragt er und beginnt Kekse auszustechen. »Wenn du dich damit wohler fühlst, dann ignoriere mich ruhig. Ich bin hier, damit du jemanden hast, mit dem du reden kannst, wenn du das Bedürfnis hast. Allerdings werde ich dich nicht zwingen, mir zu erzählen, was in dir vorgeht.«

Ich will flüchten, fühle mich bloßgestellt. Mit einem schnellen Blick hat er mich durchleuchtet, hat bis in mein Innerstes geblickt. Meine Unsicherheit und Verwirrung mein Schicksal betreffend habe ich nie zu einem Geheimnis gemacht. Aber wie tief meine Selbstzweifel tatsächlich gehen, behalte ich üblicherweise für mich. Seine Worte haben eine Bedeutung, die mir den Boden unter den Füßen wegzieht.

Mit zwei schnellen Schritten trete ich neben ihn. »Du bist wirklich hier, damit ich nicht allein damit zurechtkommen muss, oder?«

»Meine Aufgabe hat sich schon früh gezeigt. Um meine Fähigkeit, mich in andere hineinzuversetzen, ideal einsetzen zu können, muss ich an einem Ort arbeiten, an dem ich viele Menschen treffe, denen ich die Hand reichen kann, um sie eine Weile zu führen.« Er grinst. »Und ganz nebenbei bin ich ein richtig guter Bäcker.«

»Das habe ich nicht gemeint. Bist du hier wegen mir? Sollst du mir zeigen, welchen Weg ich gehen soll?«

Er runzelt die Stirn. In seinen Augen lese ich Bedauern. »Tut mir leid, Junge. So einfach ist es nicht.«

»Es war auch eine verrückte Idee.« Ich greife nach einer Schüssel mit Keksen. »Die nehme ich mit nach vorne.«

»Danke dir.«

Hastig verteile ich im Verkaufsraum die Kekse in der Vitrine und trete dann zum Kaffeeautomaten, um meinem Kollegen zu helfen. Gerade sind einige neue Gäste eingetroffen. Dorian ist erst eine Woche bei uns und von dem Automaten noch leicht überfordert. Mit einem höflichen Lächeln nehme ich ihm den Siebträger ab und schiebe ihn zur Seite, um mich um die Bestellung zu kümmern, die er gerade ungenießbar machen will.

Ich fülle noch ein wenig Kaffeepulver nach und verdichte es mit dem Tamper, bevor ich den Siebträger in das Gerät einsetze. Dann schiebe ich eine Tasse unter den Kaffeeauslauf und stelle den Brühgruppenbedienhebel nach oben. Die Maschine beginnt zu arbeiten. Ich warte, bis die Tasse ausreichend gefüllt ist, bevor ich den Brühhebel wieder in die Ausgangsstellung bewege. Der Restdruck und das Restwasser entladen sich in die Wasserauffangschale.

Mit einem schnellen Blick zu Dorian überprüfe ich, ob er zugesehen hat, wie es richtig geht. Doch mein Kollege packt gerade einem Kunden Kekse ein.

Wie vorgeschrieben stelle ich die Tasse mit einer Untertasse auf ein kleines Tablett, gebe Zucker und eine Portion Kaffeesahne dazu, bevor ich es an den Kunden weiterreiche. Der riesige Mann nickt mir zu und verschwindet mit seinem Espresso zur Kasse.

»Was darf es für Sie sein?«, frage ich in Richtung des nächsten Kunden, bevor ich die Frau erkenne. »Hallo, wie immer?«

Die junge Frau nickt und wirft mir einen verträumten Blick zu. »Ja, genau. Das Übliche, Aurelian.«

Kein anderer Kunde nennt mich bei meinem Namen. Alle Angestellten haben ein Namensschild, doch niemand macht sich die Mühe, die verschnörkelte Schrift auch zu lesen. Diese Kundin spricht allerdings nur mich mit Namen an. Sie ist wohl ein wenig in mich verschossen. Um das nicht zu forcieren, habe ich sie noch niemals nach etwas Privatem gefragt. Mehr als ihre Lieblingskaffeesorte muss ich nicht von ihr wissen.

Während ich ihren Latte macchiato mache, beobachtet sie mich mit einem Lächeln. »Viel los heute?«, fragt sie.

Ich nicke bloß.

»Und dann mache ich dir auch noch Umstände!«

»Dir einen Kaffee zuzubereiten, ist meine Arbeit. Das erledige ich gerne.«

»Bist du schon den ganzen Tag auf den Beinen?«, stochert sie weiter.

»Wie immer bin ich hier, seit das Café morgens geöffnet hat«, antworte ich. Als wüsste sie das nicht ganz genau. Ich habe sie heute Vormittag dabei erwischt, wie sie wenig unauffällig durch das Schaufenster gestarrt und mich beobachtet hat.

»Wenn du irgendwann Pause machst, kann ich dich ablenken. Wir könnten uns in einem der Läden der Straße etwas zu essen holen und uns unterhalten. Es gibt so vieles, über das ich gerne mit dir reden würde, Aurelian. Spannende und amüsante Dinge über diese Stadt, die dich bestimmt interessieren. Du musst mir nur eine Chance geben, dann würde ich dir beweisen, wie viel ich über das Leben weiß.«

Mit einer letzten Bewegung meines Handgelenks vollende ich die Blüte auf ihrem Kaffee. Endlich kann ich ihr die Tasse reichen und sie loswerden. »Danke für die nette Einladung. Leider ist es mir nicht erlaubt, mich mit Kunden zu verabreden.«

»Von dieser Regel habe ich ja noch gar nichts gewusst«, sagt Dorian neben mir.

»Dann hast du das wohl direkt nach der Einarbeitung vergessen.« Meine Mundwinkel wollen nach unten sinken.

»Warum hast du davon nichts gesagt, als ich dir gestern erzählt habe, mit einem Mädchen ausgehen zu wollen, das ich hier kennengelernt habe?«

In diesem Moment ist von meiner vielgerühmten Freundlichkeit nicht mehr viel übrig. »Anscheinend habe ich dir nicht richtig zugehört«, behaupte ich. Dann lächle ich die Kundin noch einmal an. »Schönen Tag noch.«

Mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck geht die Frau weiter zur Kasse. Ich bezweifle, dass sie tatsächlich schon aufgibt.

»Soll ich die Verabredung mit dem Mädchen absagen?«, fragt Dorian. »Ich möchte keine Schwierigkeiten bekommen.«

»Diese Regel existiert gar nicht«, zische ich aus zusammengepressten Zähnen hervor und bemühe mich um ein höfliches Lächeln, um den Kunden vor mir nicht hellhörig werden zu lassen. Ich nehme seine Bestellung auf und lasse dann den Espresso durchlaufen.

»Aber … warum nimmst du die Einladung dann nicht an? Deine Lieblingskundin wirkt zwar ein paar Jahre älter als du, aber sie ist doch hübsch.«

Tatsächlich dürfte sie mit ihrem blonden, schulterlangen Haar, den blitzenden blau-grauen Augen und der sympathischen Ausstrahlung keine Schwierigkeiten haben, interessierte Männer kennenzulernen. Warum also probiert sie es immer wieder bei mir, obwohl ich mich bemühe, ihr keinerlei Hoffnungen zu machen?

»Sie scheint ganz nett zu sein. Ein wenig anhänglich, aber offen und sympathisch. Trotzdem ist sie nichts für mich.«

Dorian beugt sich näher zu mir. »Weißt du etwas Abschreckendes über sie?«

»Nein.« Ich hole tief Luft, schiebe dem Mann seinen Kaffee zu und verabschiede mich mit einer der üblichen Floskeln. Erst als ich die Bestellung des nächsten Kunden in der Schlange aufgenommen habe, wende ich mich wieder Dorian zu. »Zu ihrem Pech würde ich meine Freizeit lieber mit Männern verbringen.«

»Ah.« Er nickt verstehend. »Du hast wohl anspruchsvolle Freunde und wenig Zeit für eine Beziehung. Trotzdem solltest du dir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Wir leben in einer Welt, in der man nicht gleich etwas Festes eingehen muss, wenn man sich mit jemandem amüsiert.«

Ich verdrehe die Augen. »Ich stehe auf Männer, Dorian. Aber das ist nichts, was ich einer Kundin erzähle, über die ich nichts weiß.«

»Die Arme. Vielleicht sollte ich sie von dir ablenken«, schlägt Dorian vor. »Ich könnte sie einladen und ihr zeigen, dass es noch andere interessante Männer gibt.«

Seufzend zucke ich mit den Schultern. »Ganz wie du magst. Einmischen werde ich mich da nicht. Wenn du denkst, ihr beide könntet zusammenpassen, wünsche ich euch alles Gute.«

»Danke dir.«

»Aber bist du nicht eigentlich schon mit jemand anderem verabredet?«

Er grinst. »Wer weiß, ob es mit der anderen Frau und mir klappt. Man muss sich alle Möglichkeiten offenhalten.«

»Die Frau, die du meine Lieblingskundin nennst, hat gehört, dass du dich mit jemand anderem triffst. Warum sollte sie dir keinen Korb geben oder dir gleich ihren Kaffee ins Gesicht schütten?« Ich mache die Bestellung fertig und reiche sie dem Mann.

»Wer nichts wagt, bleibt für immer allein«, sagt Dorian und hebt eine Augenbraue.

Ganz unrecht hat er nicht. Ich mag zwar wissen, grundsätzlich gerne mit einem Jungen zusammen sein zu wollen. Mehr als ein paar schüchterne, kurze Küsse mit einem Schulkollegen und eine eher peinliche Nummer hinter der Sporthalle mit einem anderen Mitschüler hat es allerdings nie gegeben. Ich wage es nicht, Männer anzusprechen, die mir gefallen. Vermutlich werde ich noch ewig allein bleiben, wenn das Schicksal mir nicht einen Schubs gibt.

Während ich mich um die nächsten vier Kunden kümmere, räumt Dorian Tische ab und nähert sich immer wieder der Ecke, in der die junge Frau sitzt. Mehrere Male eilt er im letzten Moment wieder davon und liefert stattdessen das schmutzige Geschirr in der Küche ab. Ich beobachte, wie er um sie herumschleicht, und frage mich, ob es eine gute Idee ist, wenn er sie um ein Date bittet. Ganz offensichtlich meint er es nicht ernst. Sie ist nicht an ihm interessiert. Er selbst scheint auch nicht mehr von der Sinnhaftigkeit seiner Idee überzeugt. Wozu also will er mein Leben komplizierter machen?

Die Kundin bemerkt zu meinem Glück nichts von Dorians seltsamem Verhalten. Stattdessen erwidert sie meinen Blick und lächelt mir überschwänglich zu.

Wie peinlich. Ich spüre, wie Hitze über meine Wangen kriecht, und wende den Blick ab. Auch wenn es seltsam wäre, die Kundin durch eine Beziehung mit Dorian vielleicht öfter zu sehen, kann ich dem Gedanken etwas abgewinnen, nicht mehr regelmäßig von ihr angeflirtet zu werden. Ich beschließe, am anderen Ende des Raumes ein paar leer gewordene Tische zu säubern.

»Ich werde dann mal wieder.« Eine weibliche Stimme erklingt direkt neben mir. Ihre Stimme.

Mit einem höflichen Gesichtsausdruck wende ich mich um. »Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Hoffentlich hat dir unser Kaffee geschmeckt.«

»Hervorragend wie immer. Bestimmt hole ich mir bald wieder einen. Es wäre gut, wenn wir dann die Gelegenheit nutzen könnten, um uns ein wenig zu unterhalten.« Inzwischen bemerke ich einen drängenden Tonfall, der neu ist. Ihre Mundwinkel wollen ihr Lächeln nicht mehr fröhlich, sondern eher verkniffen wirken lassen.

Ein Schauer kriecht mir über den Rücken. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich nicht mit meinen Kunden verabreden kann.«

Die Gäste an den Tischen in unserer Nähe werfen uns neugierige Blicke zu und beobachten uns interessiert. Wir haben bereits mehr Aufmerksamkeit auf uns gezogen, als mir lieb ist. Wie kann ich sie zur Vernunft bringen?

Sie greift nach meinem Oberarm und krallt ihre Finger hinein. »Das ist keine Bitte um ein Date. Es wäre wirklich wichtig, über ein paar Dinge zu sprechen.«

Schockiert starre ich sie an. In unserer Gesellschaft gibt es Regeln, an die man sich zu halten hat. Niemand darf einen anderen berühren, wenn er nicht vorher um Erlaubnis gefragt hat. Die Frau hat damit eine unsichtbare Grenze übertreten. Sofort fühle ich mich noch unwohler.

Ich muss einige Kraftanstrengung anwenden, um mich von ihr zu lösen. Trotzdem gelingt es mir nicht. Sie ist überraschend stark. Irritiert blinzelnd versuche ich zu verstehen, was sie von mir will. Egal, worum es sich handelt, ich werde mich nicht darauf einlassen. Allem Anschein nach ist diese Frau verrückt. »Vielleicht solltest du jetzt besser gehen.«

»Du verstehst nicht. Ich möchte bloß mit dir reden.«

Timno tritt aus der Küche und sieht sich um. Anscheinend hat er die Schwingungen meiner Verunsicherung empfangen. Mit schnellen Schritten kommt er auf uns zu und wischt sich dabei die Hände an seiner Schürze ab. Er wirkt ähnlich besorgt wie ich.

Erleichtert suche ich seinen Blick. Ich habe keine Ahnung, wie ich diese seltsame Frau auf höfliche Art loswerden kann. Das Café will ich nicht schädigen. Sollte sie mich aber nicht sofort loslassen, werde ich mich zur Wehr setzen müssen. Und das käme bei unseren Kunden gar nicht gut an.

»Alles in Ordnung?«, fragt Timno an mich gewandt, als er uns erreicht.

»Ich glaube nicht.«

»Bestimmt können wir das Problem schnell lösen.« Mit einem beruhigenden Lächeln betrachtet er die Kundin. »Erst würde ich Sie bitten, meinen Mitarbeiter freizugeben. Sagen Sie mir einfach, womit ich Ihnen helfen kann.«

Der Griff um meinen Oberarm lockert sich nicht. »Aurelian und ich haben etwas zu klären. Wir kommen allein zurecht.«

Timnos Blick richtet sich wieder auf mich. »Stimmt das?«

»Keine Ahnung, was sie von mir will. Ich habe ihr bereits mitgeteilt, kein Interesse an einem Date zu haben.«

»Es geht doch nicht um eine Verabredung. Wir müssen uns über etwas unterhalten, das dich betrifft. Bitte.« Ihre Stimme klingt wirklich flehend. »Gib mir fünf Minuten. Dann wirst du deine Meinung ändern.«

»Aurelian ist dazu nicht bereit. Ich bitte Sie also, ihn loszulassen.« Timnos Gesichtsausdruck wird finster. Er stemmt die Hände in die Seite.

»Aber …«

»Jetzt sofort.«

Die junge Frau sieht zwischen Timno und mir hin und her. Ganz langsam löst sie ihre Finger von mir und macht einen Schritt zurück. »Es tut mir leid, wenn ich dir einen Schrecken eingejagt habe, Aurelian. Ich will dir nichts Böses. Wenn du mir die Gelegenheit gibst, werde ich dir beweisen, dass ich es nur gut meine.«

Ich schüttle den Kopf. »Das halte ich für keine gute Idee. Bitte lass mich in Ruhe.«

»In Ordnung.« Sie tritt von mir weg. »Lass dir alles durch den Kopf gehen. Vielleicht können wir morgen noch einmal in Ruhe darüber reden.«

»Es wäre besser, Sie würden in den nächsten Tagen nicht mehr vorbeikommen«, schlägt Timno vor. »Auf Wiedersehen.«

Deutlicher kann man einen Rausschmiss nicht auf höfliche Art formulieren. Die Frau öffnet den Mund und klappt ihn wieder zu. Dann nickt sie, dreht sich um und geht.

Was für eine seltsame Frau. Bislang ist sie immer höflich gewesen, auch wenn ihre Aufdringlichkeit mich gestört hat. Doch mit dieser Aktion ist sie eindeutig zu weit gegangen. Ein Nein ist ein Nein. Wenn ich kein Date will, dann hat sie das zu akzeptieren.

»Geht es dir gut?«, fragt Timno.

Ich nicke. »Sie hat mir nicht wehgetan. Keine Ahnung, wieso sie sich so seltsam benommen hat.«

»In den letzten Wochen hatte ich den Eindruck, sie wäre immer öfter hier aufgetaucht und habe sich auf dich fixiert.«

»Sie hat mit mir geflirtet und mich immer wieder um ein Date gebeten«, bestätige ich seinen Verdacht. »Wie hast du das von der Küche aus bemerkt?«

»Zum Glück bin ich dort drinnen nicht angekettet. Hast du kein Interesse an einer Verabredung gezeigt?« Timno sieht der Frau nach.

Inzwischen ist sie bei der Ladentür angelangt. Sie wendet sich noch einmal um und sendet mir einen flehenden Blick. Der Ausdruck in ihren Augen jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Hastig wende ich mich ab.

»Ganz sicher nicht«, erkläre ich mit Inbrunst. »Ich fand sie nett. An einer Vertiefung unserer Bekanntschaft hatte ich allerdings kein Interesse.«

Timno schiebt mich Richtung Küche. Fort von den neugierigen Blicken der anderen Kunden.

»Wie peinlich«, murmle ich. »Ob es anderen Männern genauso unangenehm wäre, so heftig umworben zu werden?«

»Nicht allen. Bestimmt würden sich einige geschmeichelt fühlen.« Timno füllt ein Glas mit Wasser und reicht es mir.

»Vermutlich liegt es bloß an mir. Sie kann nichts dafür, dass ich kein Interesse an Frauen habe. Jemand anderes würde sich von ihrer Hartnäckigkeit möglicherweise sogar geschmeichelt fühlen. Aber seltsam ist sie schon. Nach diesem Auftritt frage ich mich, wieso sie so lange geduldig war. Warum hat sie sich bis jetzt zwar wenig einsichtig gezeigt, mich aber erst heute so … so bedrängt?«

»Eine seltsame Schwingung geht von dieser Frau aus. Ich glaube tatsächlich, sie wollte dir nicht wehtun.«

Das beruhigt mich nur wenig.

Timno runzelt die Stirn. »Ehrlich gesagt denke ich, sie ist tatsächlich davon überzeugt, euer Gespräch wäre wichtig. In ihrem Kopf gibt es wohl eine Überlegung, die ihr rational erscheint. Sie merkt anscheinend nicht, mit ihrer Schwärmerei über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Ihr bedeutet das sehr viel.«

»Das mag ja sein. Mir jagt sie damit allerdings Angst ein«, gestehe ich. »Auch wenn sie glaubt, das mit uns wäre Schicksal, sehe ich das anders. Selbst wenn ich nicht auf Männer stehen würde, fände ich sie zu aufdringlich. Sogar wenn sie mir gefallen würde, wäre ich nicht mit einem Date einverstanden, weil sie meine Grenzen nicht akzeptiert hat. Sie hat mich bedrängt. Das ist einfach nicht in Ordnung.«

»Du hast recht.« Er lächelt mich an.

»Hm.« Ich leere das Glas und stelle es neben die Spüle. »Zeit, mich wieder an die Arbeit zu machen. Danke für deine Hilfe.«

»Kein Problem«, sagt Timno. »Geht es dir auch wirklich gut?«

Mein Blick wandert zur Tür. »Klar. Kannst du mir nur bitte sagen, ob sie auch tatsächlich verschwunden ist?«

Timno öffnet die Tür und sieht sich im Verkaufsraum um. »Nichts von ihr zu sehen. Auch auf der Straße kann ich sie nicht erkennen. Die Luft ist rein.«

»Nochmal danke!« Ich schiebe mich langsam wieder hinter den Tresen. Mein Herzschlag hat noch immer nicht zu seinem normalen Tempo zurückgefunden. Mit einem Mal fühle ich mich hinter der Kaffeemaschine nicht mehr sicher.

Ich säubere meinen Arbeitsplatz und konzentriere mich dann auf die nächste Bestellung. Trotzdem bin ich etwas aus dem Takt geraten.

Wie lange es dauern wird, bis die verrückte Frau wieder auftaucht? Wann werde ich nicht mehr nervös zusammenzucken, wenn die Klingel über der Eingangstür das Eintreten eines neuen Kunden anzeigt?

2. Kapitel

»Dann bis morgen.« Ich winke Timno zu.

»Bis morgen! Hab noch einen schönen Abend«, ruft er mir aus der Küche zu.

Wieder einmal sind wir beide die Letzten, die sich vom Team noch in Isaks Coffee Corner befinden. Gerade habe ich nochmal sämtliche Tische abgewischt und kontrolliert, ob Dorian tatsächlich alle unverkauften Lebensmittel ordnungsgemäß in der Kühlung untergebracht hat. Natürlich hat auf einem Blech die Abdeckung gefehlt, aber zum Glück ist der Fehler schnell behoben gewesen. Als ich jetzt Richtung Ausgang gehe, bemerke ich die Stühle, die nicht wie vorgesehen auf den Tischen stehen. Die Putzfrau, die später noch zum Saubermachen kommt, hätte ihre Freude.

Seufzend hebe ich die Stühle hoch und stelle sie auf dem dazugehörigen Tisch ab. Mir ist bewusst, dass dieser Job für Dorian nur eine Übergangslösung ist. Aber ein wenig mehr anstrengen könnte er sich schon. Ich habe damals auch nicht geplant, so lange hierzubleiben. Und jetzt ist dieser Laden mein zweites Zuhause geworden.

Auch auf zwei weiteren Tischen fehlen die Stühle auf den Tischplatten. Mit leichter Verärgerung vollende ich Dorians Aufgabe.

Als ich endlich an die Eingangstür komme, bemerke ich aus den Augenwinkeln, wie in der Küche das Licht ausgeht. Ich bleibe stehen und warte, bis Timno bei mir anlangt.

»Doch noch nicht weg?«, fragt er.

»Das mit den Tischen hat Dorian nicht im Griff.«

Timno lacht. »Wie so vieles andere. Aber das wird schon noch. Du bist ein guter Lehrer.«

»Ich bin zu nett zu ihm«, korrigiere ich und trete auf die Straße.

Mein Kollege schaltet das Licht aus und schließt die Tür ab. »Möglich. Trotzdem bin ich sicher, du bekommst das mit Dorian schon hin. Er braucht nur ein wenig Anleitung.«

Fröstelnd ziehe ich den Kragen meines Mantels höher und stecke die Hände in die Taschen. »Er hört nicht auf mich. Für ihn ist das alles nur ein Spiel.«

»Deine Frustration über seine Arbeitsmoral ist mir nicht verborgen geblieben. Aber übe dich in Geduld. Ihr werdet euch schon zusammenraufen.«

Das stellt er sich leichter vor, als es ist, befürchte ich. In der Küche bekommt er nicht mit, was alles draußen vor sich geht. Viele von Dorians Fehlern hat er vermutlich gar nicht bemerkt. Trotzdem bringt er mich mit seinen Worten dazu, mir selbst Besserung zu geloben. Meine Leistungen sind zu Beginn ebenfalls nicht sonderlich gut gewesen, auch wenn ich schneller in meine Aufgabe gefunden habe.

Wir laufen die Straße entlang. Ein paar Schritte können wir noch gemeinsam gehen, bevor sich unsere Wege trennen. Dazu müssen wir eine Straße überqueren.

Timno will einen Schritt nach vorne machen, doch ich strecke vor ihm die Hand aus, um ihn zu stoppen. Noch während mir mein Kollege einen irritierten Blick zuwirft, fährt ein Auto an uns vorbei, dessen leisen Elektromotor Timno überhört hat.

»Das war knapp.« Er schüttelt den Kopf.

»Kein Problem.« Natürlich habe ich ihn nicht berührt, um ihm zum Anhalten zu bringen. Jetzt senke ich die Hand, damit wir weitergehen können.

Meine Gedanken wandern wieder zu Dorian. »Morgen werde ich ihm ins Gewissen reden und ihm erneut erklären, worauf er achten muss«, verspreche ich. »Wenn du mich als guten Lehrer einstufst, liegt bestimmt ein wahrer Kern darin.«

»Ich denke, das wirst du nicht bereuen.« Er lächelt mir zu und bleibt stehen. »Ich wünsche dir noch einmal einen schönen Abend.«

»Danke dir. Wir sehen uns morgen. Dann wird sich entscheiden, ob ich tatsächlich so gut darin bin, jemandem etwas beizubringen, wie du denkst.«

»Mach dir nicht zu viele Gedanken. Das wird schon!«

»Schönen Abend«. Ich nicke ihm zu und marschiere dann weiter.

Die Straße, in die ich biege, liegt ruhig und schlecht beleuchtet vor mir. Ich stecke die Hände tiefer in die Manteltasche, während mein Atem Wattewölkchen in die Luft zaubert. Es ist lange warm geblieben. Doch jetzt im Dezember hat die Kälte irgendwann den Weg zu uns finden müssen.

Meine Zehen werden kalt in den Halbschuhen, in die ich heute Morgen geschlüpft bin. Wenn ich den ganzen Tag auf den Beinen bin, halte ich es in Stiefeln nicht aus. Anscheinend kann ich jetzt nicht länger vermeiden, mir zumindest auf dem Weg zur Arbeit feste Schuhe anzuziehen. Meine Garderobe ist klein. Aber irgendwie muss es mir gelingen, Wechselschuhe in den Spint zu schieben.

Hinter mir erklingen Schritte, die schneller werden. Seltsam, gerade noch war ich mit Timno ganz allein auf der Straße. Wo ist die Person so schnell hergekommen?

Irritiert runzle ich die Stirn und drehe mich um. Niemand ist zu sehen. Vielleicht stammt das Geräusch aus der Nebengasse. Während meine Gedanken zu wandern beginnen, marschiere ich weiter.

Sollte ich mich vielleicht für einen anderen Job bewerben? Inzwischen hat sich bei mir eine gewisse Routine eingestellt. Ich liebe meine Aufgabe. Meine Kollegen finde ich nett, auch wenn mir Dorian hin und wieder auf die Nerven geht. Doch ich weiß zu schätzen, dass wir alle uns so gut verstehen. Ich bin nicht so verrückt, das für selbstverständlich zu halten. Mir macht es Spaß, jeden Tag mit unterschiedlichen und wiederkehrenden Kunden zu tun zu haben. Der Geruch von Kaffee reicht aus, um mir ein gutes Gefühl zu vermitteln.

Ich könnte noch den Rest meines Lebens als Barista arbeiten.

Und genau das ist das Problem. Wenn ich mir nicht irgendwann eine neue Herausforderung suche, bleibe ich für immer in diesem Café, bediene Leute und finde nie heraus, welche Aufgabe das Schicksal für mich vorgesehen hat.

Gott, dieses Thema verfolgt mich rund um die Uhr. Ich kann den Gedanken an meine Gaben nicht ablegen. Es belastet mich, nicht in der Lage zu sein, meine Fähigkeiten genau zu benennen. Nicht, dass ich nicht viele positive Eigenschaften hätte. Aber warum kann nicht eine herausstechen und mich von dieser Qual befreien? Mehr wäre nicht notwendig, um meine Eltern endlich glücklich zu machen. Dann wäre ich vielleicht auch selbstbewusst genug, um mich wieder ernsthaft mit ihnen zu unterhalten.

Wann habe ich meine Eltern das letzte Mal getroffen, ohne dass es zu Unstimmigkeiten gekommen ist? So sehr ich auch in meinem Kopf grabe, will mir keine Situation einfallen, in der wir drei uns zuletzt in einem Raum aufgehalten und uns nicht gegenseitig mit finsteren Blicken bedacht haben. Die Enttäuschung meiner Eltern steht greifbar zwischen uns. Meine Unsicherheit und daraus folgende Flucht in trotziges Verhalten macht alles nur noch schlimmer. Dabei möchte ich doch nur, dass sie stolz auf mich sind.

Wieder vernehme ich Schritte hinter mir. Es klingt, als würde es sich nicht nur um eine Person handeln. Zwei oder drei Menschen? Vielleicht auch mehr?

Ich sehe über meine Schulter. Wieder kann ich niemanden erkennen, auch wenn ich den Eindruck habe, als würden Schatten sich in Ecken drücken.

In meinem Magen entsteht ein unangenehmes Kribbeln. Ich beschleunige meine Schritte und eile die Straße entlang.

Nachdem ich mich vorhin von Timno verabschiedet habe, bin ich in eine schmale Gasse abgebogen. Links und rechts neben mir ragen hohe Wände in die Luft. Im Abstand von einigen Metern befinden sich Hauseingänge, die mit gut gesicherten Toren verschlossen oder durch hohe Drahtzäune über den Türen geschützt sind. Die Gasse führt noch ungefähr hundert Meter geradeaus. Ich muss durch sie hindurch, um auf eine belebtere Straße zu gelangen.

Ob ich mich in Gefahr befinde? Will mich jemand überfallen? Erlaubt sich jemand einen dummen Scherz? Oder missverstehe ich die Situation?

Ich haste weiter. Mein Herzschlag beschleunigt sich immer mehr. In meinem Nacken glaube ich einen eisigen Hauch zu spüren. All meine Sinne schlagen Alarm, weshalb ich loslaufe, um möglichst viel Abstand zwischen mich und das seltsame Geräusch zu bringen. Als ich zu keuchen beginne, übertönt das die Geräusche hinter mir. Ich eile weiter, ohne mich umzudrehen. Selbst wenn ich mich irren sollte, und da ist gar niemand hinter mir, schadet es nicht, mich in der Nähe von anderen Menschen aufzuhalten.

Die Gasse scheint kein Ende zu nehmen. Vor mir liegen noch viel zu viele Meter. Wenn meine potentiellen Verfolger auch nur ein wenig schneller als ich sind, werden sie mich einholen. Vielleicht sollte ich stehen bleiben, überprüfen, wer da überhaupt hinter mir ist, Kerlen, die es auf mein Geld abgesehen haben, einfach geben, was ich einstecken habe. Viel Trinkgeld habe ich heute ohnehin nicht gemacht. Sollen sie sich nehmen, was sie wollen, und mich in Ruhe lassen.

Tatsächlich werde ich langsamer und drehe mich um.

In der Gasse hinter mir entdecke ich fünf dunkel gekleidete Gestalten. Sie laufen mit langen Schritten auf mich zu. Ich kann ihre Gesichter nicht erkennen, weiß nicht mit Sicherheit, ob sie es bloß eilig haben oder hinter mir her sind. Ich habe keine Ahnung, ob sie bewaffnet sind oder nur ihre Fäuste dabeihaben. Aber plötzlich habe ich keine Zweifel mehr, unbedingt vor ihnen flüchten zu müssen.

Ich wende den Kopf wieder nach vorne und beschleunige meine Schritte erneut. Das Ende der Gasse ist noch viel zu weit entfernt. Wie soll ich es vor meinen Verfolgern dorthin schaffen? Wie kann ich mich in Sicherheit bringen?

Durch die Gasse führt der schnellste Weg nach Hause. Das ist der Grund, warum ich sie Tag für Tag wähle. Natürlich ist mir klar, dass es hier nicht sonderlich gemütlich wirkt. Die schummrige Dunkelheit in den Hauseingängen, die unheimliche Stille zwischen den Häuserfronten, die Einsamkeit, obwohl der Rest der Stadt nur ein paar Meter entfernt ist … all das lädt nicht unbedingt dazu ein, diese Strecke zu wählen.

Und trotzdem habe ich mir bislang keine Gedanken darüber gemacht, ob ich mich hier vielleicht in Gefahr begeben könnte. Ab morgen werde ich eine andere Straße wählen. Wenn ich dazu noch die Gelegenheit erhalte.

Endlich kommt das Ende der Gasse in Sicht. Ich beschleunige meine Schritte. Vermutlich muss ich den Rest der Strecke gar nicht mehr zurücklegen, um Hilfe zu bekommen. Es würde reichen, wenn ich in Rufweite zu anderen Menschen gelange. Nur noch ein paar Meter, dann habe ich es geschafft.

Aus der Einfahrt vor mir tritt ein Mann und stellt sich in die Mitte der Gasse.

Erst will ich ihn um Hilfe bitten. Dann bemerke ich die ebenfalls dunkle Kleidung, die angespannte Haltung, die finster blitzenden Augen. Der Fremde führt nichts Gutes im Schilde. Dieser Kerl gehört zu den anderen!

Abrupt bleibe ich stehen. Mein Herz klopft schnell in meiner Brust. Unsicher blicke ich hinter mich. Meine Verfolger kommen viel zu rasch hinter mir her. Ohne es ausprobieren zu müssen, weiß ich, der Mann vor mir wird mich nicht vorbeilassen. Was soll ich jetzt tun?

Immer noch verstehe ich nicht, was das alles bedeuten soll. Was wollen die Männer von mir? Haben diese Typen etwas mit meiner Kundin zu tun, die mich vorhin angemacht hat? Wurden sie von der Frau geschickt, um sich für die Abfuhr zu rächen? Bin ich ein zufälliges Opfer, oder haben sie mich bewusst ausgewählt? Eine übergriffige Kundin und ein Überfall in einer dunklen Gasse innerhalb von wenigen Stunden. An einen Zufall kann ich irgendwie nicht glauben.

»Ich habe nicht viel Geld bei mir«, stoße ich hervor. »Mehr als zwanzig Haymon Dollar werden es nicht sein. Mich auszurauben macht keinen Sinn.«

Der Mann vor mir kommt einen Schritt näher. »Es geht uns nicht ums Geld.«

Wenigstens wäre das geklärt. Ich weiche zurück. Hinter mir ertönen die Schritte der anderen viel zu nahe. Sie werden langsamer, scheinen mich zu umkreisen.

»Waren Sie auf der Suche nach mir?«, erkundige ich mich. »Vielleicht verwechseln Sie mich mit jemandem.«

»Keine Chance. Du bist der Richtige.«

Der Richtige! Die Art, wie er diese beiden Worte betont, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Verwechslung ausgeschlossen. Sie wissen genau, wen sie vor sich haben. Das will nicht in meinen Kopf.

»Was wollen Sie von mir?«, frage ich mit trockenem Mund. »Ich bin nicht wichtig genug, um solchen Aufwand zu rechtfertigen. Warum sind Sie hinter mir her?«

Der Fremde macht noch einen Schritt auf mich zu. Sein Gesicht wird jetzt von einer Straßenlaterne beschienen. Ein Tuch verdeckt auf Nasenhöhe die untere Hälfte seines Gesichtes. Sein schwarzes Haar hängt ihm in die Stirn. Viel mehr als die Augen kann ich also nicht erkennen und die sind dunkel, funkeln gefährlich. Der Ausdruck darin lässt mich nicht auf eine harmlose Plauderei hoffen.

»Nur Informationen. Was hat sie dir erzählt?«

Verwirrt kneife ich die Augen zusammen. »Wer?«

»Stell dich nicht so dumm«, blafft er mit tiefer, grollender Stimme. »Die Frau, mit der du dich heute Nachmittag unterhalten hast.«

»Meine Kundin? Die Verrückte, die mich bedrängt hat?« Haben die beiden Begegnungen doch etwas miteinander zu tun?