Shake it! - Ulrike Balke-Holzberger - E-Book

Shake it! E-Book

Ulrike Balke-Holzberger

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Beschreibung

Lernblockaden lösen – Wie Zittern das Hirn frei macht! »Shake it« lädt zum sofortigen Mitmachen und Ausprobieren ein Mit einfachen Schritt-für-Schritt-Anleitungen Inklusive Lerncoaching-Tipps und Download-Materialien Lernstress lähmt, Prüfungsangst blockiert, negative Lernerfahrungen bremsen – hier hilft das unmittelbar umsetzbare Selbsthilfeprogramm für alle Lernlagen. Mit der innovativen und einfach anzuwendenden Entspannungsmethode »Faszien-Stress-Release« kommen Lernende sofort in einen offenen, entspannten und lernfähigen Zustand. Ist der Körper entspannt, ist auch das Gehirn entspannt, und nur ein entspanntes Gehirn ist auch ein aufnahmefähiges Gehirn. Dieser hilfreiche Lernbegleiter zeigt Ressourcen und Strategien auf, wie lebenslanges Lernen nachhaltig verbessert werden kann. Er nimmt die Lernenden mit auf eine Reise zu zehn Lerninseln und gibt wertvolle Tipps zu Zeitmanagement, Lernorganisation und Prüfungsvorbereitung. So kommt jeder in den Lernflow!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 282

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Ulrike Balke-HolzbergerBritta Warmuth

Shake it!

Zittern für den Lernerfolg

Klett-Cotta

Impressum

Die digitalen Zusatzmaterialien haben wir zum Download auf www.klett-cotta.de bereitgestellt. Geben Sie im Suchfeld auf unserer Homepage den folgenden Such-Code ein: OM98090

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Illustrationen: bergerdesign, Solingen

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart unter Verwendung einer Abbildung von shutterstock / Iryna Inshyna

Gesetzt in den Tropen Studios, Leipzig

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN978-3-608-98090-5

E-Book: ISBN 978-3-608-11875-9

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20560-2

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Inhalt

Einleitung

Gebrauchsanweisung für dieses Buch

Der Stress mit dem Stress

Was genau ist das, Stress?

Stressoren und alles, was Stress auslösen kann

Wie reagiert der Körper auf Stress?

Das universelle Stressreaktionsmuster – Was genau passiert bei Stress?

Die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse (

SNA

)

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (

HHNA

oder

HPA

-Achse)

Faszien – Bindegewebe

Was macht langanhaltender negativer Stress?

Stress stört die Lernfähigkeit und die Eigenwahrnehmung

Was macht Stress noch?

Lern-Blackouts – Was passiert im Gehirn, wenn es stressig wird?

Lernblockaden – Angst, Stress, Blackout

Wozu das ganze Theater, aus mir ist doch auch etwas geworden!

Zittern – das kennen wir alle

Faszien-Stress-Release – das Entspannungsverfahren

FSR

Die Faszien und das neurogene Zittern

Das Fasziengewebe

So funktioniert FSR

Die drei Säulen der FSR-Arbeit

1. Säule: Die Körperübungen

2. Säule: Neurogenes Zittern

3. Säule: Körperachtsamkeit

Wie sieht Zittern, Schütteln, Vibrieren, Zucken, Pulsieren aus?

Faszien-Stress-Release –

FSR

Gegen den Blackout: Sofortmaßnahmen am Schreibtisch

Big five: 5 Übungen für zwischendurch

Übung 1: Dehnung der Halswirbel und Halsmuskeln

Übung 2: Die Schultern kreisen

Übung 3a: Wirbelsäule aufrichten

Übung 3b: Im Sitzen Wirbelsäule ausdrehen und aufdrehen

Übung 4: Augen entspannen

Übung 5: Fuß-Übungen – Füße aus der verdrehten Haltung lösen

Die 10 Lerninseln

Lerninsel 1: Selbsteinschätzung

Lerninsel 2: Gehirn –

»Brain-Island«

Lerninsel 3: Stärken und Ressourcen – Die Schatzinsel

Lerninsel 4: Motivation und Ziele

Lerninsel 5: Konzentration

Lerninsel 6: Lernorganisation

Lerninsel 7: Lernstrategien

Lerninsel 8: Kommunikation und Beziehungen

Lerninsel 9: Prüfungskompetenz – Blockaden lösen, Prüfungen meistern

Lerninsel 10: Entspannung

Praxisanleitung Zittern

Das Prinzip der absichtsvollen Absichtslosigkeit

Vorbereitung

Was brauche ich, um starten zu können?

Der Platz an der Wand

Der Platz auf dem Boden

Beginnen, unterbrechen, beenden – in deinem eigenen Rhythmus

Das Stoppen an der Wand

Das Stoppen im Liegen und das Weitermachen danach

Umgang mit Gefühlen und Schmerzen

Säule 1: Körperübungen

Aufwärmen, lockern und mobilisieren

Übung 1: Den Oberkörper aufwärmen und pendeln

Übung 2: Die Arme schwingen

Dehnen und Spannungsaufbau

Die persönliche Belastungsskala festlegen – Wie intensiv will ich die Übungen durchführen?

Übung 3: Das Dehnen der Fußgelenke – Füße kippeln

Übung 4: Das Dehnen der Wadenmuskulatur

Übung 5: Das Dehnen der Beine

Übung 6: Das Dehnen der Adduktoren (Reitermuskeln)

Übung 7: Das Dehnen der Psoas-Muskeln – Hüftbeuger oder auch Stressmuskel

Säule 2: Neurogenes Zittern und der Spannungsabbau

Zittern im Stehen an der Wand

Zittern im Liegen

Kurzes Zitter-Work-out

SOS

-Zitterübung

Säule 3: Körperachtsamkeit – Regenerieren und Entspannen

Übung: Körperwahrnehmung – Body Scan – kurze Version

Übung: Körperwahrnehmung – Body Scan – die Vertiefung

Literatur

Download-Materialien

PDF

-Dateien

Audio-Dateien

Anmerkungen

Einleitung

Du willst künftig entspannt lernen, dich endgültig vom Nächte-langen-Bulimie-Lernen verabschieden, nicht mehr Wissen nur in dich hineinstopfen und es dann wieder rauswürgen? Du willst endlich wieder mehr Zeit für dich haben? Du willst die Dinge ins Lot bringen, Blockaden lösen und Stress abbauen? Dann bist du hier richtig – willkommen und Ahoi zu deinem ganz persönlichen Lern- und Entspannungsabenteuer!

Wir laden dich ein zu einer Entdeckungsreise, auf der du lernst, dein Lernboot sicher durch Stürme zu navigieren, gefährliche Riffe zu umschippern und so letztlich ganz entspannt deine Lern-Reise genießen kannst und sicher den Zielhafen erreichst. Besuche mit uns zehn Lerninseln, fülle deinen Lernkoffer mit Methoden, Strategien und Techniken und begegne einer effektiven, schnell wirksamen und unmittelbar umsetzbaren Entspannungsmethode, die dir hilft loszulassen, zu entspannen und dann wieder neue Fahrt aufzunehmen.

Du wirst nach dieser Lektüre die Zusammenhänge zwischen Stress und Entspannung besser verstehen – und wie wichtig dies für ein effektives Lernen ist. Mit der Faszien-Stress-Release Methode (FSR), einem einfach zu trainierenden Entspannungsverfahren, kannst du schnell und gezielt Lernstress reduzieren, indem du den Stress einfach abschüttelst. Mit FSR kommst du wieder in deine Balance zurück, du regulierst dein seelisches und körperliches Gleichgewicht und dein Lern-Flow kann sich frei entwickeln.

Auf großer Fahrt bist du nicht allein, du wirst begleitet, von deinen Lehrer:innen, Eltern, Lernbegleiter:innen, Ausbilder:innen etc.– wenn das ganze Team mitmacht, läuft die Reise doppelt rund. Deshalb gibt es effektive Lern-Tipps nicht nur für Lernende, sondern auch für Lern- und Lebensbegleitende. Intensiv widmen wir uns den Themen Entspannung und Stress. Mit Entspannung kann Lernen viel leichter gelingen, das bestätigt die Hirnforschung und die Corona-Zeit hat es uns allen deutlich offenbart. Stress lähmt und blockiert, nur ein entspanntes Hirn ist ein aufnahmefähiges Gehirn. So Shake it – freie Fahrt voraus!

Gebrauchsanweisung für dieses Buch

Wir begleiten dich durch alle wichtigen Lernbereiche und setzen vor zehn Lerninseln Anker. »Lerninseln«? Mal abgesehen davon, dass wir das Meer lieben, gefällt uns die Assoziation einer überschaubaren, abgegrenzten und sicher geschützten Insel mit Blick auf den endlosen blauen Horizont – auf all die Möglichkeiten, Lernthemen gezielt anzugehen und zu meistern. Jede Insel steht für einen bestimmten Lernbereich, auf jeder findest du Anleitungen, die dir helfen, dein Lernen einfacher und effektiver zu gestalten und wirksame Kompetenzen zu entwickeln. Es ist wie bei einer Schatzsuche. Du entdeckst auf jeder Lerninsel Schätze, Funde, die vieles verändern können. Nicht alle werden dich gleich stark ansprechen, einige funkeln für dich attraktiver als andere. Du hast die Wahl: Du musst nicht alle Inseln besuchen, manchmal reicht schon ein Abstecher auf ein oder zwei Lerninseln und der Knoten löst sich und Lernen wird wieder ganz leicht.

Eine gute Navigation ist auf dem großen weiten Lernmeer Gold wert: Icons zeigen dir zielsicher den Weg zum gewünschten Hafen.

Die Glühbirne – Gewusst wie!

Jedes Kapitel beginnt mit etwas Theorie, coolem Experten-Wissen (manchmal auch echtem Angeber-Wissen). Wo die Glühbirne leuchtet, findest du Informationen, die dir helfen, die Dinge besser zu verstehen und einzuordnen.

Dein Methoden-Koffer – zum Selberpacken

Hier kannst du aus unserem Angebot deinen persönlichen Methoden-Koffer packen. Für jede Lernsituation oder für jeden Entspannungswunsch zauberst du dann das richtige Tool aus deinem Köfferchen.

Die Schatzkiste – Lernjuwelen für Lernbegleiter:innen

Entspannte Eltern – entspannte Kinder, das gilt auch für Lernbegleiter:innen. Bist du in einem ressourcenvollen Zustand und kennst die Tricks und Kniffe eines entspannten, gehirngerechten Lernens, macht Lernbegleitung viel mehr Freude und wird effektiver. In unserer Schatzkiste finden Eltern, Lernbegleiter:innen, Lehrer:innen und alle Interessierten das ein oder andere Juwel, um auch in schwierigen Fahrwassern nicht an Untiefen zu scheitern:

Der Rettungsring

Dein Retter in der Not, hier findest du schnell umsetzbare und wirksame Sofortmaßnahmen.

Der Leuchtturm – für den schnellen Überblick

Hier wird Wichtiges noch einmal auf den Punkt gebracht und zusammengefasst.

Shake it! – Zittern und andere Übungen für den Stressabbau!

Hier findest du Tipps für Übungen, die dich schnell entspannen. Immer wenn nichts mehr geht, kannst du die Übungen einsetzen. Aber auch einfach, um nach einer anstrengenden Lernphase herunterzukommen und dir Entspannung pur zu gönnen. Die ausführlichen Anleitungen findest du in Kapitel 6.

Weiterführende Literaturtipps und Materialien im Download unterstützen dich bei deiner Reise durch das Lernmeer.

Die Route: Vor Anker gehen solltest du auf jeden Fall bei der Lerninsel Selbsteinschätzung. Sie ist wie ein Kompass für dich und weist dir den Weg zu Lerninseln, deren Besuch dir helfen kann, die Segel wieder neu zu setzen und Fahrt Richtung Ziel aufzunehmen. Auf deiner Reiseroute plane ruhig einen etwas längeren Zwischenstopp auf der Lerninsel Entspannung ein. Forschungsergebnisse zeigen, wie wichtig gerade die Fähigkeit zu entspannen und Stress abbauen zu können auch fürs Lernen ist. »Shake it« bietet dir das optimale Paket aus neurogenem Zittern und Lerncoaching. Im Mittelpunkt steht die schnell wirkende, sofort einsetzbare und nachhaltige Entspannungstechnik des Zitterns, die sinnvoll mit Lerncoaching-Tools kombiniert, dich blitzschnell entspannt und den Weg wieder frei macht für ein entspanntes, effektives, erfolgreiches Lernen.

Wie nutzt du »Shake it« am besten? Die Gebrauchsanweisung ist denkbar einfach und doch ganz auf dich zugeschnitten. Das Buch bietet dir ein Baukastensystem, das du individuell für deine Themen und Bedürfnisse anpassen kannst. Auf den einzelnen Lerninseln findest du eine Auswahl unserer Lieblingsübungen und Methoden. Suche dir deinen Favoriten aus und kombiniere ihn mit den entsprechenden Zitterübungen. Das Zitter-Icon zeigt dir den Weg und verweist dich genau an die richtige Stelle im Buch. So kannst du Stück für Stück dein eigenes Anti-Stress-Paket packen und jederzeit nutzen, schnell und effektiv entspannen und deinen Stress einfach abschütteln.

Na, dann kann es jetzt ja losgehen. Leinen los, wir stechen in See.

1Der Stress mit dem Stress

Wenn wir sagen, »ich habe Stress«, verbinden wir damit häufig negative Gefühle (z. B. Überforderung, Ärger, Angst). Wenn wir an die Auslöser von Stress denken, sind dies häufig unangenehme Situationen. Zuviel Zeitdruck, Leistungsdruck, schwierige Prüfungen, häufige immer wiederkehrende private Streitigkeiten und Konflikte usw. Stress haben, gehört anscheinend einfach dazu – und betrifft jeden von uns. Ist das gesund? Nein!

Die Weltgesundheitsorganisation betitelt Stress als die Seuche des 21. Jahrhunderts, bereits 1979 erklärte sie Stress zu einem der größten gesundheitlichen Risikofaktoren, von dem Kinder auf besondere Weise betroffen seien. Etwa 20 % aller Kinder leiden häufig unter Anspannung und Stress, so die Ergebnisse der KIGGs Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von 18.000 Kindern und Jugendlichen. Dies zeigt sich in gesundheitlichen Störungen wie Bauchweh oder Schlafstörungen oder unterschiedlichen Verhaltensauffälligkeiten.

Eine Stressstudie der TK »Entspann dich Deutschland« von 2016 zeigte, dass der Stresspegel in Deutschland hoch ist, die Hälfte der Menschen fühlt sich dauernd unter Strom. Deutlich über dem mittleren Stressniveau befinden sich Frauen und die sogenannte Sandwich-Generation (Alter 36–45 Jahre). Die Stressbelastung durch Schule, Studium und Beruf stehen an oberster Stelle, dicht gefolgt von der persönlichen und familiären Situation.[1]

Diese Zahlen stammen aus Zeiten vor Corona, die Pandemie hat hier noch einmal einiges verschärft. Das Leben mit Corona hat uns alle Energie gekostet, eine New Yorker Zahnärztin berichtete beispielsweise in der New York Times von einer dramatischen Zunahme von Patienten mit Mikro-Rissen in den Zähnen: bereits in 6 Monaten 2020 waren es mehr Patienten als in den vergangenen 6 Jahren zusammen.[2] Wir alle haben buchstäblich die Zähne zusammengebissen.

Und was hat das jetzt mit Lernen zu tun? Unter Dauerstress sinkt bei Schülern und Lernenden die Fähigkeit, sich Dinge zu merken, aufzunehmen und abzuspeichern.

Ängste in der Schulzeit sind ein großer Stressauslöser für viele Schülerinnen und Schüler. Angst vor negativen Bewertungen, vor Versagen oder Mobbing oder auch Leistungsängste, selbst im Sportunterricht. Neben den schulischen und Ängsten vor der Zukunft bekommt vor allem die Angst vor einer Ablehnung durch Gleichaltrige bei Heranwachsenden eine starke Bedeutung. Wird die Angst zu intensiv, ist sie zu stark ausgeprägt und dauert sie zu lange, dann besteht die Gefahr, dass sich eine Angststörung entwickelt, die zu erheblichem Leidensdruck führt.

Kinder und Jugendliche sollten lernen, dass Ängste zum Leben dazugehören und dass es Handwerkszeug gibt, mit diesen Ängsten aktiv, selbstbestimmt und gesund umzugehen. Ängste können bewältigt werden. Eine aus Prüfungs- und Versagensängsten entstandene nicht erkannte und behandelte Angststörung kann das Fundament bilden für weitere psychische Erkrankungen wie Depressionen, Suchtstörungen oder psychosomatische Beschwerden.

Nach der Schulzeit können Ängste auch in der Ausbildung, im Studium und im Beruf auch wieder auftauchen und vorherrschende Stressauslöser sein.[3]

Selbst in den oberen Managementetagen begegnen uns Menschen, die ein geringes Selbstwertgefühl und starke Selbstzweifel haben. Sie haben Angst, dass Kollegen, Chefs dies sehen könnten, noch schlimmer ist die Vorstellung, das andere es im Job, unmittelbar in der Zusammenarbeit mit Kollegen und /oder Kunden mitbekommen. Die Angst vor der Angst wächst. Die Sorge, dass sie »entlarvt und auffliegen könnten« und zum Schluss im schlimmsten Fall öffentlich an den Pranger gestellt werden und für die Hochstapelei verurteilt werden und ihren Job gefährden könnten, steigt kontinuierlich. Solche Manager arbeiten noch mehr, um die Angst klein und steuerbar zu halten, noch genauer, noch länger als andere. Sie haben Stress und wenn sie lange genug in ihrem Hamsterrad laufen, entsteht nach einer gewissen Zeit eine Überlastung, die möglicherweise bis hin zu einem Burn-out führen kann.

Was genau ist das, Stress?

Ursprünglich stammt der Begriff aus der Physik. Er bezeichnet den Druck oder Zug, unter dem ein Material steht, wenn verschiedene Kräfte darauf wirken. Stress ist also ein Spannungszustand, der durch einen Reiz ausgelöst wird.[4] Aus physiologischer Sicht ist Stress eine körperliche Reaktion, eine Anpassungsleistung des Organismus an Belastungen bzw. veränderte Bedingungen.[5]

Stress ist somit ein natürlicher biologischer Vorgang, der uns hilft, Herausforderungen zu bewältigen und Leistungen zu erbringen.[6]

Stressoren und alles, was Stress auslösen kann

Die Anforderung und die Gefahren des täglichen Lebens haben sich in unserer modernen Gesellschaft sehr verändert. Wilde Tiere oder Piraten, die uns auflauern, sind nicht die Hauptauslöser von Angst. Aber unser Körper reagiert noch genauso so wie früher. In Angstsituationen entscheidet unser Körper, ob Angreifen oder Fliehen angesagt ist und stellt sofort Bewegungsenergie bereit. Dazu werden in unserem Körper Stressachsen aktiviert, die dazu beitragen, dass unser Körper sich auf das Überleben konzentriert. Die meisten Auslöser von Stress, die Stressoren, lösen ähnliche Reaktionen aus[7]:

Mobilisierung von Energiereserven, volle Power

Steigerung der Atemfrequenz

Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems

Hemmung vegetativer Funktionen (z. B. kein Hungergefühl, keine Lust auf Sex)

Veränderung der Immunfunktion (langfristig eine Hemmung)

Wasserretention (überschüssiges Wasser im Körper bei Blutverlust).

Ob wir eine Situation als Stress wahrnehmen oder nicht, darüber entscheiden unsere Bewertungen, Überzeugungen und Glaubenssätze. Ändern sich unsere Einschätzungen einer Situation oder einem Menschen gegenüber, dann ändern sich unmittelbar auch unsere Gefühle. Für dich ist die laute Techno-Musik, die aus dem Zimmer deines pubertierenden Kindes dringt, vielleicht eine akustische Folter, für deinen Nachwuchs jedoch der reinste Hörgenuss. Dich stresst es, ihn entspannt es!

Unsere individuelle Stressbewältigungskompetenz wird genährt von unseren persönlichen Erfahrungen, Einstellungen und Fähigkeiten. Sie sind, so der Psychologe Gert Kaluza, die Bindeglieder zwischen den Stressoren und den Stressreaktionen.

Wie wir unser Gehirn nutzen, hat einen entscheidenden Einfluss darauf, welche neuronalen Verschaltungen angelegt und stabilisiert oder auch destabilisiert werden. Das Ganze nennt sich erfahrungsabhängige Neuroplastizität und bedeutet, unser Gehirn bildet neuronale Strukturen dafür aus, worauf wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Also wenn wir uns auf Angst, Zweifel, Selbstkritik, Sorgen und Wut konzentrieren, entstehen neuronale Verknüpfungen, die mit jedem negativen Gedanken stärker und größer werden. Wenn wir die Stress-Reaktionen nicht mehr regulieren können und ständig anhaltender negativer Stress vorherrscht, besteht die Gefahr, dass wir in eine chronische Stressbelastung, in eine chronische Überforderung geraten. Negative Auswirkungen auf das Immunsystem, die Lern-, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozesse, die Schlafregulierung und auf das Herz-Kreislauf-System sind die Folgen.

Stressoren

Stressoren sind alle Reize, die bei Menschen Stress verursachen und dadurch die Stressreaktion auslösen. Es gibt keine allgemeingültigen Stresssituationen, die immer bei allen Menschen Stress auslösen. Stressoren sind höchst individuell.

Stressoren im Schulleben: die Beziehung zu Mitschüler:innen und zu den Lehrer:innen, bei der Stoffvermittlung.

Stressoren im Arbeitsleben entstehen entweder aus der Rolle, der Organisationsstruktur oder dem zwischenmenschlichen Miteinander von Kollegen und Vorgesetzten.

Körperliche Stressoren: Kälte, Hitze, Lärm, Geruch, Hunger.

Äußere Stressoren: Situationen, die mich real in Gefahr bringen.

Psychische Stressoren: Ängste, Leistungsdruck, Überforderung und Unterforderung.

Aus physiologischer Sicht können Stressoren in zwei Gruppen eingeteilt werden, wobei Überschneidungen möglich sind: Physische Stressoren (z. B. Schmerzen, Infektionen, schwere körperliche Arbeit, Hitze, Schlafmangel) werden dem zentralen Nervensystem (ZNS) über sensorische Systeme mitgeteilt. Emotionale Stressoren wie Leistungsdruck, familiäre Konflikte, Ärger, Angst usw. werden hauptsächlich im limbischen System und präfrontalen Cortex bewertet und verarbeitet.

Wie reagiert der Körper auf Stress?

Die physiologische Stressreaktion ist ein uraltes Reaktionsmuster (Kampf- oder Fluchtreaktion), das sich bis in das 21. Jahrhundert kaum verändert hat. Vor allem bei der Jagd und auf der Flucht vor wilden Tieren war dies bei den Jägern und Sammlern wichtig. Das schnelle Umschalten von Ruhe auf Bewegung hat das Überleben möglich gemacht. Energie (Zucker und Fett) wurde sofort bereitgestellt und durch Bewegung wieder verbraucht. Diese Stressreaktion ist entwicklungsgeschichtlich darauf ausgerichtet, dass die akuten Belastungen von kurzer Dauer sind. Unser Körper ist auf kurzfristigen Stress gut vorbereitet. Die sofortige körperliche Aktivierung hat keine gesundheitlichen Auswirkungen, wenn wir uns nach vollbrachter Tat wieder erholen. Das Tier wurde gejagt, in die Enge getrieben und erfolgreich erlegt, gegessen und danach kam die Erholung.

Damals war das eine optimale Überlebens- und Bewältigungsstrategie. Sie war rein auf körperliche Aktivitäten ausgerichtet.[8] Unsere Überlebensstrategien bei Stress bestehen heute aber nicht mehr aus Jagen und Fliehen. Wenn wir mit dem heutigen Stress überleben, geht es meistens darum, wie schaffe ich das Zuviel der Arbeitsmenge, wie komme ich gut durch die Prüfung, wie erledige ich gleichzeitig die tausend anderen Aufgaben, wie reguliere ich das Zuviel an ängstlichen, unschönen Gedanken, wie löse ich den Dauerkonflikt mit meinen Partner:innen oder meinen Lehrer:innen?

Die Digitalisierung hat das Arbeitsleben stark verändert und weitere Stressoren hervorgebracht. »Betrachtet man den Arbeitsstress isoliert, so sind (…) insbesondere die folgenden Belastungsfaktoren wirksam (…):

Arbeitsmenge, gleichzeitige Betreuung verschiedener Arbeiten (58–65 %)

Termin- und Leistungsdruck (52–62 %)

ständig wiederkehrende Arbeitsvorgänge (50–52 %)

Störungen während der Arbeit (44–54 %) u. Umgebungsbedingungen (Lärm, Hitze, Kälte)

Anforderungen an das Arbeitstempo (39–45 %)

Informationsflut

ungenaue bzw. unklare Arbeitsvorgaben

mangelnde oder als unangemessen empfundene Bezahlung.

Diese beruflichen Stressfaktoren haben gegenüber Vergleichsuntersuchungen aus dem Jahr 2008 deutlich zugenommen.«[9]

Das universelle Stressreaktionsmuster – Was genau passiert bei Stress?

Eine bewusste oder auch unbewusste Erfahrung wird als »Gefahr« eingestuft. Das Gehirn erhält auf jeden Fall eine SOS Alarm-Meldung: Achtung, Feind in Sicht: Dies kann das Eindringen von Krankheitserregern sein, eine seelische Krise, permanente Überlastung und Überforderung oder eine körperliche Verletzung.

Einer dieser Stressreize löst bei jedem Menschen trotzdem unwillkürlich und unverzüglich ein immer gleich ablaufendes Stressreaktionsmuster aus. Der Körper wird mit Hilfe des autonomen Nervensystems (ANS) sofort gezielt auf das Programm »Überleben« eingestellt. Dieses evolutionäre Muster ist als Grundeinstellung in unserem Gehirn vorinstalliert. Es läuft blitzschnell ab und kennt nur die Strategien angreifen – fliehen – totstellen. Eben die 3 F – fight, flight, freeze. Die letzte Überlebensstrategie, die der Körper auslösen kann, ist das Erstarren, der Totstellreflex, bei dem zunächst keine Energie benötigt wird »Ich stelle mich tot, damit mir nichts weiter passiert – um dann im nächsten Moment angreifen oder fliehen zu können. Erst dann würde ich die Bewegungsenergie brauchen.«

Die Stressreize werden über das vegetative Nervensystem ausgehend vom Hypothalamus über zwei parallele Bahnen im Körper verarbeitet.

Die Sympathikus-Nebennierenmark-Achse (SNA)

Als Abwehrkräfte gegen den Feind werden über das vegetative Nervensystem (dem Sympathikus) Hormone freigesetzt. Diese bewirken im Nebennierenmark die Ausschüttung der Katecholamine von Noradrenalin (NA) und Adrenalin. Sie mobilisieren in Stresssituationen Energiereserven. Adrenalin wird aus Dopamin gebildet und ist vor allem für die Energiebereitstellung verantwortlich. Es steigert den Fettabbau (Lipolyse), fördert die Gluconeogenese,[10] (u. a. aus der Leber und den Muskeln) die mit erhöhter Geschwindigkeit direkt an die Muskeln und Faszien weitergeleitet wird. Darüber hinaus erhalten die Muskeln und Faszien neben der Energie zügig alle notwendigen Informationen und Stoffe, die es ihnen ermöglichen, sich unwillkürlich zusammenzuziehen und damit die Muskelspannung aufzubauen, die für die sofortige Bewegung »Angriff oder Flucht« benötigt wird.

Adrenalin erhöht die Atemfrequenz und verbessert die Sauerstoffaufnahme. Als Neurotransmitter steigert Adrenalin u. a. den Herzschlag und erhöht den Blutdruck. Die Nervenbahnen können Reize so noch schneller weiterleiten.

Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNA oder HPA-Achse)

Sie beschreibt einen komplexen endokrinologischen (hormonellen) Regelkreis. Dieser verläuft zwischen Hypothalamus, Hypophyse und der Nebennierenrinde. Er beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen und -reaktionen, u. a. die Stressreaktion. Der Hypothalamus stellt die Verbindung zwischen dem Nervensystem und dem endokrinen System dar. Er beeinflusst die Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus. Der Hypothalamus und die Hypophyse regulieren die allgemeine endokrine Aktivität im Organismus.[11]

Das Steroidhormon Cortisol wird in der Nebennierenrinde gebildet. Cortisol verstärkt die Energiebereitstellung, indem es den Proteinabbau und die Lipolyse fördert und den Blutzuckerspiegel erhöht. Es steigert den Blutdruck, erhöht die Kontraktionskraft des Herzens und wirkt entzündungshemmend. Cortisol stimuliert auch die Bildung der Katecholamine.[12] Cortisol schaltet bei Stress im Körper alle nicht überlebensnotwendigen Funktionen ab, damit genügend Energie zum Bewältigen der Stresssituation zur Verfügung steht: Verdauungsprozesse, Sexualfunktion, Immunabwehr, selbst das Großhirn mit seiner Denkfunktion, denn jedes Nachdenken wäre Zeitverschwendung und damit gefährlich. Das geschieht vollautomatisch binnen Sekunden.

Auch heute rettet dieser Automatismus noch Leben, beispielsweise, wenn wir blitzschnell bei einem heranrasenden Auto von der Straße auf den Bürgersteig springen. Wir nutzen bei Stress den körperlichen Zustand aktiv aus, wir handeln und bewegen uns, unser Organismus verbraucht die mobilisierte Energie. Die übererregten Nervenbahnen beruhigen sich, der Parasympathikus wird aktiv und eine Entspannungsreaktion setzt ein. In der Folge Reiz – Alarmreaktion – Flucht oder Angriff – Regeneration ist die Stressreaktion normal und überlebensnotwendig. In vielen Situationen unseres heutigen Lebens schränkt uns diese evolutionäre Altlast aber auch deutlich ein.

Ein häufig erkennbares Phänomen bei einer längeren negativen Stressbelastung ist das »nicht richtig denken und fühlen können«. Ausgiebiges kreatives Denken, zu dem ich meine ganze Ressourcenvielfalt nutze, steht mir in stressigen Zeiten meist nicht zur Verfügung. Es funktioniert einfach nicht.

Bei Stress ist ein differenziertes, lebendiges Fühlen wie in stressfreien Zeiten fast ausgeschlossen. Stumpf, anstrengend, müde, unlebendig, starr und steif, so erleben sich viele gestresste Menschen. Manchmal kommen neu auftretende Körperschmerzen dazu. Alles das hat vor allem mit den Faszien, dem Bindegewebe, zu tun.

Faszien – Bindegewebe

Faszien durchziehen den gesamten Körper des Menschen. Sie liegen wie ein großes feines, faseriges Netz unter der Haut. Diese Bindegewebsplatten, Sehnen und Bänder verlaufen zwischen allen Muskeln und Gelenken. Faszien umhüllen und stützen als Netzwerk Muskeln und Organe, Nerven, Gefäße und Knochen. Sie schützen die Muskeln vor Verletzungen, unterstützen den Körper bei der Fortbewegung und übertragen dafür den Muskeln die Kraft. Lymphgefäße sind in ihnen eingewoben, und sie enthalten viele Nervenenden. So nehmen sie Schmerzen wahr und leiten alle Informationen über Bewegungen und Organfunktionen an das Gehirn weiter.

Gesundes Fasziengewebe leistet enorm viel, ohne dass es auffällt. Faszien sind geschmeidig, liegen in geordneter und entspannter Struktur, halten den Körper innerlich zusammen und haben ihren eigenen Spannungszustand. Hauptsächlich sind die Faszienarten für Bewegung und Körperformen verantwortlich. Sie sind wichtig für den Informationsaustausch und die Kommunikation mit dem Gehirn, zudem versorgen sie den Körper mit Nährstoffen. Wenn Faszien ihre Aufgaben nicht mehr richtig ausführen (können), spürt der Körper es meist in Form von Bewegungseinschränkung, Schmerz oder seelischer Unausgeglichenheit.

Das Fasziensystem registriert alles, was erlebt wird und reagiert auf alle einwirkenden Stressoren, egal ob sie von außen oder von innen kommen, ob sie positiv oder negativ sind. Mit Hilfe der Faszien kann der Körper Stresserfahrungen in der Regel bis zu einem bestimmten Ausmaß korrigieren und ausbalancieren.

Die Faszien speichern die überschüssige Energie für Bewegung in den kontraktilen Zellen des Fasziengewebes. Wie in einer Vorratskammer werden die Faszien prall aufgefüllt. Wenn die bereitgestellte Energie nicht abgebaut wird, kann der Körper dieses nicht mehr kompensieren. Er zieht sich zusammen und krampft. Der Körper versucht durch unwillkürliches Zittern, feines Vibrieren, durch minimales Zucken eine Entladung zu erreichen. Grundsätzlich sind dieses Zusammenziehen und Zittern, Vibrieren oder gar Zucken die Wirkung eines angeborenen Lebenserhaltungsreflexes: Bei Gefahr braucht der Körper viel Energie in den Faszien und Muskeln.

Doch weil wir heute bei Stress meist weder fliehen noch kämpfen können, bleibt die gespeicherte Energie oftmals wo sie ist: in den Faszien. Und weil sie dort bleibt, verursacht sie Beschwerden, vor allem Schmerzen. Der Arzt spricht bei diesen stressbedingten Schmerzen auch von somatoformen Schmerzen, Somatisierungsstörungen oder psychosomatischen Körperschmerzen. Fast alle Menschen, die über eine längere Zeit Stress ausgesetzt sind, berichten von Körperschmerzen, häufig Rücken-, Kopf- oder Nackenschmerzen.

In einer Studie der Techniker Krankenkasse »Kundenkompass-Stress« waren Rückenschmerzen und Muskelverspannungen, Nervosität, Depression und Schlafstörungen die am häufigsten genannten Gesundheitsstörungen, die im Zusammenhang mit der Angabe hoher Stresswerte standen.[13] Im schulischen Bereich reagieren die Kinder auf Stresssituationen häufig ebenfalls mit diffusen Bauch- oder Kopfschmerzen.

Was macht langanhaltender negativer Stress?

Leider erlaubt die zivilisierte Welt oftmals nicht die Reaktion, auf die der Mensch im Lauf der Evolution eigentlich programmiert wurde: Flucht verbietet sich in der Regel genauso wie ein Angriff. Wird die bereitgestellte überschüssige Energie aber durch Bewegung nicht ausreichend abgebaut und wird weiterhin durch anhaltenden Stress kontinuierlich Energie bereitgestellt, verbleibt sie im Bindegewebe, in den Faszien. Auch die durch Stress produzierten Enzyme und Hormone bleiben im Körper.

Allgemein lässt sich sagen, dass Stress die gesamte Körperwahrnehmung negativ beeinflusst. Muskeln und Faszien sind und bleiben angespannt und verkrampft, und es entstehen im Körper u. a. myofasziale Spannungszustände, die Schmerzen verursachen und auch dafür zuständig sind, dass wir uns nicht mehr so differenziert wahrnehmen und spüren können.

Grundsätzlich sind die Faszien das größte Wahrnehmungsorgan für unsere gesamte Körperwahrnehmung. Wo bin ich, wie geht es mir, fühle ich mich wohl in meiner Haut oder nicht? Fühle ich mich sicher oder nicht, ist es gerade entspannt oder angespannt in meinem Leben? Leide ich unter Schmerzen und wenn ja, sind sie mehr oder weniger erträglich? Die Faszien geben dem Gehirn Rückmeldung über die Situation und den Zustand des Körpers, die körperliche Eigenwahrnehmung (Proprioziption), über Schmerzen (Nozizeption) und über die Gefühlszustände; über Wohlbehagen und Selbsterkennung (Interozeption), über die innere Körperwahrnehmung oder Innenwahrnehmung.[14]

Wie funktioniert das? Das Fasziengewebe ist stark mit Nervenfasern, Rezeptoren ausgestattet. Die Nervenendigungen werden allgemein als Mechanorezeptoren bezeichnet, von denen es vier Typen gibt.

80 % aller Rezeptoren liegen in der oberflächlichen Faszienschicht. 60 % aller Informationen an das Gehirn kommen aus den Faszien, nur 40 % aus den anderen fünf Sinneskanälen:

Tasten, Fühlen, die taktile Wahrnehmung mit der Haut – Gefühl

Hören, die auditive Wahrnehmung mit den Ohren – Gehör

Sehen, die visuelle Wahrnehmung mit den Augen – Sehen

Schmecken, die gustatorische Wahrnehmung mit der Zunge – Geschmack

Riechen, die olfaktorische Wahrnehmung mit der Nase – Geruch.

Die Rezeptoren bringen Informationen aus dem autonomen Nervensystem in die Zellen der Faszien und liefern dem Gehirn Informationen aus den Faszien. Diese Informationsaufnahme und ständige Rückmeldung dient der körperlichen Eigenwahrnehmung und ist nötig, damit wir ein Körpergefühl entwickeln. Damit sich dieses Gefühl einstellen kann, haben die Sinneszellen auf den Faszien die Vorleistung dazu erbracht. Faszien sind verantwortlich für unsere Fähigkeit der Körperwahrnehmung – in stressfreien Zeiten ein lebendiger Kommunikationsweg.

Somit gilt: Sind wir glücklich – geht es auch unseren Faszien gut.

Stress stört die Lernfähigkeit und die Eigenwahrnehmung

Wie fühle ich mich? Wie fühlt sich das gerade Erlebte in meinem Körper an? Um diese Frage zu beantworten, ist die Fähigkeit zur Eigenwahrnehmung entscheidend. Je nachdem wie die Antwort ausfällt, erhält das Gehirn unterschiedliche Rückmeldungen.

Ich fühle mich gestresst, das ist unangenehm, mein Körper tut weh – kann eine Art der Rückmeldung sein. Wohlig, ruhig, glücklich, sicher und entspannt eine andere. Vielleicht kennst du die Aussagen, »stimmig mit sich in einer Situation sein« oder »ich fühle mich wohl in meiner Haut«.

Die differenzierte Wahrnehmung der Eigenwahrnehmung verringert sich bei längeren Stressphasen, weil es schlicht zu eng und zu fest im Bindegewebe geworden ist. Außer Enge, Druck und Schmerz ist kaum noch anderes wahrnehmbar.

Bei langanhaltendem Prüfungsstress ist durch das veränderte Faszienmilieu die Fähigkeit zur differenzierten Wahrnehmung stark eingeschränkt. In diesem Zustand fällt es uns schwer, uns selbst zu motivieren, unsere Lernpläne einzuhalten, das Denken will nicht so wie ich es gerne hätte, die Kreativität hat sich schlafen gelegt. Denk- und Lernblockaden sind die Folge. Dauerhafter Stress macht es uns deswegen fast unmöglich, kreativ zu sein und gut zu denken und zu lernen!

Was macht Stress noch?

Eine unangemessene lange Stressphase bringt den Körper dauerhaft in eine Schieflage. Die Homöostase, das Gleichgewicht, ist gestört, dadurch wird das Immunsystem geschwächt und es entsteht eine größere Empfänglichkeit für Krankheiten.

Der Puls und Blutdruck sind erhöht, die Fortpflanzungsorgane arbeiten vermindert und der gesamte Verdauungstrakt wird schlecht durchblutet und ist unterversorgt.

Krankheiten wiederum können zu einer erneuten Stressbelastung führen.

Stress lässt auch den Körper schmerzen. Der Rücken zwickt und wird unbeweglicher, der Schlaf wird schlecht, Dauererschöpfung droht. Die Ohren rauschen, die Nase ist verstopft oder es sitzt etwas Schweres im Nacken.

Auch die Seele schmerzt: Wir sind antriebslos, müde, erschöpft und dazu womöglich gereizt, zynisch, unglücklich, vielleicht sogar ängstlich oder leicht depressiv. Wir fühlen uns ohnmächtig, haben keine Idee, wie wir irgendetwas ändern können. Wir können uns schlechter als sonst regulieren. Das Leben ist einfach nur noch beschwerlich und anstrengend. Schnell kann über diesen Weg ein negativer Stresskreislauf entstehen und Gefühle der Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit auslösen. Die Folgen einer langanhaltenden, nicht abgebauten Stressreaktion wirkt noch lange im Körper nach und kann zu ernsten körperlichen und seelischen Problemen führen.

2Lern-Blackouts – Was passiert im Gehirn, wenn es stressig wird?

Was bei unseren Vorfahren wirkte, ist auch heute noch aktuell: Das Gehirn macht keinen Unterschied zwischen dem Auftauchen eines Säbelzahntigers, Verkehrsstaus oder einem unangekündigten Vokabeltest, beides löst eine Stresssituation aus. Es gilt immer noch der alte Grundsatz »Better be safe than sorry« und die gleichen biochemischen Prozesse laufen ab. Doch unser Handlungsspektrum braucht heute mehr Alternativen, es sollte zum Beispiel in Prüfungen nicht nur auf Flucht, Kampf oder Erstarrung beschränkt sein – gar nicht hinzugehen, sich mit dem Prüfer anzulegen oder in der mündlichen Präsentation kein Wort herauszubekommen- ist kein geeignetes Ziel.

Beim Menschen wirkt Stress auf den Körper, auf die Emotionen und auf das Denken.

Auch unsere Erinnerungen können durch Stress blockiert werden, sind wir sehr perfektionistisch oder setzen wir uns selbst ständig unter Druck, stresst uns das. Der Hippocampus schaltet sich nämlich komplett ab, wenn die Stresshormonkonzentration im Blut zu hoch wird, weil sonst Nervenzellen absterben könnten. Stehen wir unter Dauerstress, kann es sogar zum Schrumpfen bestimmter Areale im Hippocampus führen. Dabei ist das Stresshormon Cortisol nicht per se schlecht und gesundheitsschädigend, es übernimmt auch in Sachen Lernen eine wichtige Funktion, es sorgt für Antrieb und bereitet uns auf herausfordernde Situationen vor, auch gedächtnistechnisch – wie immer gilt, die Dosis macht das Gift.[15]

Lernblockaden – Angst, Stress, Blackout

Stress kann uns zu besonderen Leistungen verhelfen, er kann aber auch zu Überforderung und gesundheitlichen Problemen führen. Wir unterscheiden zwischen dem vitalisierenden Eustress und dem negativen Disstress. Stress ist aber auch eine notwendige Anpassungsreaktion, die uns hilft, mit alten und neuen Herausforderungen besser umzugehen. Stress schult sozusagen die Flexibilität unseres Gehirns, so dass wir künftigen Belastungen besser begegnen können. Ganz ohne Stress gäbe es keine Weiterentwicklung, wir bekämen keine Impulse zu lernen. Wird es allerdings zu viel, geht der Hippocampus offline. Lernen ist dann nicht mehr möglich, die Aufnahme bzw. Weiterleitung von Informationen wird blockiert – »emotional bedingte Gedächtnisproblematik« oder »Aufmerksamkeits-Fokussierungs-Störung« benennen Wissenschaftler Faktoren dieses Phänomens. Du kennst es schlicht als Blackout.

Einen Blackout hat man häufig in Situationen, die man als stressbehaftet erlebt. Auf Platz Eins stehen ganz klar Prüfungssituationen. In solchen Momenten wird unser Körper mit Stresshormonen, allen voran Cortisol, geradezu geflutet – mit fatalen Folgen für unsere Gedächtnisleistung. In diesem Gehirnareal werden auch unsere Erinnerungen verwaltet. Ob etwas im Langzeitgedächtnis abgespeichert wird und wir später darauf zurückgreifen können, entscheidet sich hier.

Aber du bist einem Blackout nicht hilflos ausgeliefert, du kannst die Situation beeinflussen, indem du deinen Körper entspannst und zum Beispiel mit dem Zitter-SOS-Programm den Stresshormon-Cocktail in deinem Körper senkst. Dann kann der Hippocampus sofort wieder online gehen. Gerade im Stress ist ein achtsamer Umgang mit sich selbst wichtig: Was tut mir gut?

Häufige Ursachen für Lernblockaden sind Selbstzweifel, Stress und Druck, Bewegungsmangel und Konkurrenzdenken. Aber auch Versagensängste, überhöhter Ehrgeiz oder ein falsches Lernverhalten können Lernblockaden hervorrufen.

Lernblockaden können sich vielfältig äußern. Manche kommen laut daher, werden in extrovertiertem, ablehnendem oder aggressivem Verhalten, auch sich selbst gegenüber, sichtbar. Wieder andere zeigen sich eher leise durch distanziertes, isoliertes, introvertiertes Verhalten teilweise mit depressiven Tendenzen. Aber auch körperliche Symptome wie Kopf- und Bauchschmerzen, eine generelle Erschöpfung, Müdigkeit, Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, Verspannungen und Schlafstörungen können der Ausdruck von Lernblockaden sein. Sie können sich in Ängsten vor Prüfungen oder Referaten sowie einem Motivationsabfall zeigen. Auch Konzentrationsschwierigkeiten können oft auf eine Blockade zurückgeführt werden. Lernblockaden können sich ganz unterschiedlich entwickeln. Sie sind immer ein Ergebnis der individuellen Lernbiografie.

Aus Sicht der biochemischen Prozesse im Gehirn ist ein Lernender unter massivem Leidensdruck gar nicht in der Lage, eine für ihn sinnvolle Lösung selbst zu erarbeiten. Wird der Druck zu groß, entsteht Leidensdruck, entsteht Stress. Stress setzt Cortisol und Adrenalin frei, und dies wirkt sich negativ auf die Veränderungskompetenz aus, macht ideenlos, ängstlich, von Kreativität keine Spur. Hier gilt es den Tunnelblick aufzulösen, sich wieder mit seinen Stärken und Ressourcen zu verbinden oder durch eine Entspannungs- oder Zittereinheit die Blockade zu lösen. Gleichzeitig wirken große, smarte Ziele positiv auf unsere Veränderungsbereitschaft. Dopamin wird freigesetzt, in diesem Zustand ist es viel leichter, Lösungen und Ideen zu entwickeln, Veränderungen zu festigen. Ist der Leidensdruck zu hoch, wird die Veränderungsarbeit deutlich erschwert. Große Ziele lassen sich in einem ressourcenvollen Zustand deutlich leichter erreichen.

Wozu das ganze Theater, aus mir ist doch auch etwas geworden!

Gerald Hüther, Neurobiologe und einer der bekanntesten deutschen Hirnforscher, hat auf diesen Einwand eine sehr treffende Antwort parat. Nach seinen Vorträgen wird er nämlich oft genau darauf angesprochen. »Ich musste auch in eine Schule, wo man durch Belohnung und Bestrafung dazu gebracht wurde, dass ich was gelernt habe, und schauen Sie, jetzt ist doch etwas aus mir geworden, jetzt bin ich Professor.« Nach anfänglicher Sprachlosigkeit kontert Hüther nach eigenen Worten dann immer: »Wer weiß, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie mit Freude und Begeisterung hätten lernen können.«[16]