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Ninive, die fliegende Stadt ist ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit. Die fliegenden Städte waren einstmals Fluchtburgen von Menschen, die sich vor der Zerstörung der Erde während der heißen Kriege in Sicherheit bringen wollte. Tausende von Jahren sind seither vergangen. Die anderen Städte sind längst verschwunden, nur Ninive ist übrig geblieben und umkreist die Erde in einem weit entfernten Orbit. Shaktar ist einer der Mächtigen in Ninive. Herr des Militärs und der Maschinen, Mitglied im Rat der Stadt. Seine Geliebte ist Sombra, eine schöne Frau, eine hoch qualifizierte Agentin für Planeteneinsätze, die allerdings aus den Clonfabriken Ninives stammt. Sombra und Shaktar haben gegen eines der härtesten Tabus der fliegenden Stadt verstoßen. Sie haben sich soweit gehen lassen, dass Sombra ein Kind von Shaktar erwartet. Menschen und Klone dürfen sich zwar zusammen vergnügen, doch keinesfalls ist eine Fortpflanzung erlaubt. Deshalb müssen beide die Stadt für immer verlassen. Sie werden – getrennt und weit voneinander entfernt - auf der Erde des 7. Jahrtausends nach unserer Zeit ausgesetzt. Sombras Exil liegt im Südwesten Europas, auf der großen Halbinsel Iberia, auf der wilden Hochebene der Grazalema. Sie wird von Ragnar, einem der Anführer der Clans gleich bei ihrer Ankunft in dieser Welt gefunden und wird rasch zu dessen Lebensgefährtin. Im Zelt Ragnars bringt sie auch ihren Sohn Shandra zur Welt. Shandras Leben ist nicht immer leicht. Ohne seinen starken Willen, seinen Jähzorn und die Hilfe seines Ziehbruders Rollo hätte er es vielleicht gar nicht geschafft. Mit dem Hengst "Shaitan" der sich zu seinem zweitbesten Freund auswächst, kommt eine weitere Hilfe in sein Leben.
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Seitenzahl: 500
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Rudolf Jedele, Autor
Geboren 1948 im Schwabenland und viele Jahre seines Lebens damit beschäftigt, für andere Menschen Häuser zu bauen, wobei mein Part in der Gestaltung der Technik in einem Gebäude war. Schon aus diesem Grund war ich stets mit den Themen Energieverbrauch und Umweltschutz besonders eng verbunden.
Darüber hinaus begann ich über die Reiterei und die dadurch entstandene große Nähe zur Natur, schon vor langer Zeit damit, immer mehr Gedanken an das zu verschwenden, was wir unserer Erde antun und an auch, wie es sein könnte, wenn wir den Kollaps herbei geführt haben.
Wohin gehen die Menschen, wenn ein wie auch immer gearteter Super GAU oder ein vernichtender Krieg unser gewohntes Milieu zerstört? Mein Bedürfnis ist es aber nicht trübsinnig und mit hoch erhobenem Zeigefinger zu belehren, sondern einfach durch – möglichst spannende - Unterhaltung das Nachdenken etwas anzuregen.
Wenn ich diesen Roman nicht selbst geschrieben hätte, ich glaube ich würde ihn dennoch mögen und kaufen ….
Shandra el Guerrero - 6 Romane aus der Zukunft unserer Erde.
Band 1
Die Verbannung
Band 2
Ein Volk von Kriegern
Band 3
Brücke der lebenden Toten
Band 4
Kampf um die Rosenstadt
Band 5
Libertad Iberia
Band 6
Nach Süden
Weitere Bücher von Rudolf Jedele:
L³ - Locker-Lässig-Losgelassen
Ein Tor zum Reiten-Reiten im Gleichgewicht und in Partnerschaft mit dem Pferd.
Felida
Fantasy
In Kürze
Kaana
Fantasy in 3 Bänden über die Reiter der Steppe Kaana in einem Land auf einer Welt, die es vielleicht auch geben könnte
Königreich der Pferde
Eine Art Fortführung der Geschichte des Kriegers Shandra el Guerrero. In 4 Bänden erzähle ich die Geschichte von Moira na Perm und den Paesano.
Beli Wuk
Diese Geschichte ist eigentlich eine Sage aus der Bergwelt des Balkans. Ich habe aber einen Vater gehabt, dessen Phantasie nicht kleiner war als meine und was er aus Beli Wuk für mich gemacht hat, versuche ich aus meiner Erinnerung heraus wiederzugeben.
Sangreal
Mein Lieblingsprojekt, denn es verbindet sehr viele Erkenntnisse und Elemente aus meinem eigenen Leben mit den Figuren des Romans. Die Geschichte eines Pferdes von königlichem Blut, eben „Sang Real“ und seiner Begegnung mit einem Menschen ganz besonderer Art.
Titelgestaltung
Saga
Der Rat der Zwölf
Verbannung
Visionen
Winchester
Rollo
Hinab
Der Clan
Falcon
Tod einer Schlange
S’Andora
Der Erfinder
Shaktar al S’Andorin
Shakira al S’Andorin
Ein Traum
Der Bär
Jäger
Shaitan
Reines Blut
Erkenntnisse
Wilde, Engel, Agenten …
Nebellande
Reflexe
Der Weg hinaus
Desaldos
Minaro
El Guerrero
Epilog
Die Burg der Familie Diaz de Vivar stand seit vielen Jahrtausenden wie ein Mahnmal auf dem Granitberg am nordöstlichen Stadtrand von Malaga. Sie war Trutzburg und Fluchtburg und Symbol für die Freiheit der großen Stadt am Mare Mediterano und in ihr lebte der Geist der Nachfahren eines uralten Adelsgeschlechtes – vielleicht des Ältesten in ganz Iberia – ungebrochen durch die Stürme der Zeit fort.
Die Grafen von Malaga waren der Auffassung, ihr Stammbaum ginge in gerader Linie zurück bis zum berühmtesten Helden, dessen Fuß jemals die Erde Iberias betreten hatte und diese Abstammung war nicht nur ein Gewinn für die Familie, er war vielmehr auch eine schwere Verpflichtung, ein Bürde, die es auf möglichst viele Schultern zu verteilen galt. Aus diesem Grund wurden die Kinder des Hauses Diaz de Vivar schon in frühester Jugend mit der glorreichen Vergangenheit und der daraus entstandenen Verpflichtung vertraut gemacht. So war es Sitte im Hause Diaz de Vivar, so hatte es der Held in seinem Testament verlangt.
Der Held – Rodrigo Diaz de Vivar – hatte zusammen mit seinen Kampfgefährten aus dem sagenumwobenen Hochland der Grazalema in harten Kämpfen und mit großen persönlichen Opfern Malaga und das gesamte Umland am Golf aus dem Joch der Anglialbions und ihrer Handlanger, der Chrianos befreit und den Bewohnern die Freiheit wiedergegeben.
Mehr als das.
Unter seinem Banner war es gelungen, die Freundschaft zwischen den alten und noch immer existierenden Fürstenhäusern von Al Andalus wieder herzustellen und Verträge mit einer Vielzahl von anderen Stämmen und Völkern zu schließen. Er hatte seiner Familie den Auftrag als Vermächtnis hinterlassen:
Nie wieder durften diese Freundschaften und Verträge in Frage gestellt werden, denn nie wieder durfte geschehen, was damals geschehen war!
Damit das Vermächtnis erhalten blieb, hatte der Held zusammen mit seinen Verbündeten das Amt der Bewahrer geschaffen. Vom hohen Norden bis in den tiefen Süden, von den Steppen der Reusen bis zu den Ufern des westlichen Ozeans, des Atlantico lebte ein Bewahrer bei jedem Volk, bei jedem Stamm, bei jeder der großen Sippen und sorgte für die Erhaltung des Vermächtnisses des Helden. Diese Bewahrer, Männer so gut wie Frauen, ob uralt oder gerade erst erwachsen geworden, hatten etwas gemeinsam:
Ihre telepathischen Kräfte waren stark genug, dass sie sich an einem ganz bestimmten Tag eines jeden Jahrs zu einem mächtigen, mentalen Verbund zusammen schließen und gemeinsam die Worte des obersten Bewahrers hören und an ihre eigenen Zuhörer weitergeben konnten.
Der Name des obersten Bewahrers dieser Tage war Levanto Diaz de Vivar, jüngster Sohn der Linie Baleara Diaz – der weiblichen Linie - und neunter Bewahrer seit den Tagen des Helden. So wie er waren auch die acht Bewahrer vor ihm aus der Linie Baleara gekommen, wogegen die Grafen – die blutrünstigen Schwertkämpfer, die Streiter und Reiter - stets aus der Linie des Rodrigo Diaz stammten.
Der Ring war aufgebaut und die Bewahrer vereinten sich und so wandte sich Levanto Diaz de Vivar an seine unmittelbaren Zuhörer, die lebenden Kinder der beiden letzten Stufen des Geschlechtes und begann zu reden. Seine tiefe Stimme war perfekt geschult, er modulierte die Worte sorgfältig und formulierte seine Sätze so, dass sie leicht verständlich waren, denn nicht überall sprach man das Romain so fließend wie im alten Europa und seine mentale Stimme war letztendlich nichts anderes als eine Spiegelung seiner realen Stimme.
Levanto wusste, dass seine Stimme jeden seiner Zuhörer erreichen und in ihren Bann ziehen würde. Er hatte eine harte Ausbildung durchlaufen und nun, nach dem Tod des alten Bewahrers, seines Großonkel Rubiero, war er zum ersten Mal der Herr des mentalen Ringes und oberster Bewahrer. Im Bewusstsein der Bedeutung dessen, was seine Aufgabe war, ging er auch vollkommen in dieser Aufgabe auf.
Er sah sich im großen Saal der Burg um, überprüfte noch einmal kurz die vollzählige Anwesenheit seiner Zöglinge und stellte zufrieden fest, dass alle einundzwanzig Nachkommen der Familie anwesend waren. Danach tat er dasselbe mit den mentalen Verbindungen und auch hier konnte er eine vollständige Anwesenheit rapportieren und an das Archiv übergeben.
So begann er also zu sprechen.
„Hört und lernt und vergesst niemals, was die Helden längst vergangener Tage uns zu bewahren aufgetragen haben. Hört es und lernt daraus, welche Verpflichtung wie eine schwere Last auf unseren Schultern ruht und wie wir sie gemeinsam meistern können. Hört und lernt, denn was ich euch sage, es ist von allergrößter Bedeutung“
Levanto Diaz ließ eine kleine Pause entstehen, feuchtete seine Lippen an und fuhr dann fort.
„Die Wurzeln der Menschen liegen in einer Zeit, die sich für uns, die wir zuletzt übrig gebliebenen sind, in grauen Nebelschleiern verbergen und sich uns dadurch entziehen. Nur wenige wissen mehr über unsere Ursprünge und unsere Genese als die Bewahrer. Doch, es gibt noch diejenigen, welche das Wissen besitzen. Doch diese Wissenden schweigen. So bleibt es uns, den Bewahrern überlassen, das weiterzugeben, was man uns selbst gelehrt hat. Unser Wissen aber beginnt erst in einer Zeit, die nicht sehr weit vor den Tagen der heißen Kriege gelegen haben muss.
Dieses Wissen gebe ich nun an euch, die ihr im Geist die Kinder des Helden seid, auf dass es nie vergessen werde.“
Noch einmal legte Levanto Diaz eine Pause ein, noch einmal konzentrierte er sich, dann begann er mit seiner Saga.
„Die Erde war in jenen Tagen von unseren Vorfahren überfüllt. Kaum ein anderes Lebewesen – von Insekten abgesehen - auf der Erde kam häufiger vor als die Menschen jener Zeit und kein anderes Lebewesen war so hoch entwickelt wie unsere Vorfahren. Ihr Wissen und damit ihre Macht kannte kaum noch Grenzen und sie fähig Dinge zu tun, die wir uns heute noch nicht einmal in unseren kühnsten – oder unseren schlimmsten – Träumen vorstellen können. Sie hatten ihrem Leben ein System gegeben, doch ihr System hatte Fehler.
Sie besaßen enormes Wissen und ungeheure Macht, doch was sie besaßen lag in den Händen weniger und geriet ihnen dadurch zum Verderben anstatt zum Segen.
Sie hatten gelernt, sich in die Lüfte zu erheben und zu fliegen, ja, selbst Krankheiten und der Tod stellte keinen Schrecken mehr für sie dar. Sie hatten beides besiegt. Sie besaßen Werkzeuge, die ihnen das Leben so einfach gestalteten, dass es eher einem Spiel denn einem normalen, täglichen Leben glich. Doch nur wenige waren in der Lage, durch die Lüfte zu fliegen und noch viel weniger besaßen die Macht und die Mittel, ihre körperlichen Gebrechen zu beseitigen und die Anzahl ihrer Lebensjahre nahezu beliebig zu verlängern. Es war für die meisten Menschen einfach viel zu teuer, sich diesen Luxus zugänglich zu machen.
Die Menschen dieser Zeit glichen einem Bienenvolk.
Es gab Menschen, die arbeiteten und es gab Menschen, die von den Früchten der Arbeit anderer lebten. Die Mehrzahl der Menschen arbeitete. Sie arbeiteten hart und schufen vieles und nur wenig blieb ihnen, denn die wenigen welche von dem lebten, was die vielen schufen, waren maßlos und kaum zu sättigen. Sie wollten mehr und mehr und immer mehr und so kam es wieder und immer wieder zu Streit und Krieg.
Die Menschen dieser Zeit glichen aber auch einem Heuschreckenschwarm.
Nichts von dem, was unsere Erde ihnen zu geben hatte, war ihnen genug, sie wollten mehr, sie wollten alles. Sie beuteten die Erde in einer Maßlosigkeit aus, die alles übertraf, was wir uns vorstellen können.
Aus riesigen Wäldern und Ebenen mit üppigem Wachstum, selbst aus gewaltigen Seen machten sie dürre Wüsten, in denen nicht einmal mehr Skorpione genügend Nahrung zum Überleben finden konnten.
Doch das alles wäre vielleicht nicht einmal so schlimm gewesen, wäre da nicht auch noch der Wahnsinn des Krieges in unseren Vorfahren allgegenwärtig gewesen.
Sie bauten Waffen, die in ihrer Wirkung viel schrecklicher waren, als der Ausbruch eines feuerspeienden Berges und sie setzten diese Waffen ein.
Weshalb?
Nicht weil es notwendig gewesen wäre, einfach weil sie es konnten.
Sie führten weltumspannende Kriege, die unsere Erde erschütterten und unzähligen Menschen den Tod brachten. Kriege, die nach ihrem Ende dazu führten, dass sie immer noch schrecklichere Waffen entwickelten um in einem nächsten Krieg noch mehr Menschen töten zu können. Es gab in diesen Kriegen keine wirklichen Gewinner mehr, die Menschheit war immer der Verlierer, doch sie bemerkten es nicht.
Zuerst führten sie einen solchen Weltkrieg Krieg der Systeme wegen. Kaiser und Könige, Fürsten und Adlige sollten ihre Macht verlieren. Alle Macht sollte in der Hand der Bürger liegen. Der Krieg brachte den Wandel, die Vernunft besiegte den Krieg und es schien eine lange Zeit des Friedens zu kommen. Doch wie sehr hatten sie sich getäuscht! Nur zwei Jahrzehnte später begannen sie einen noch größeren Krieg der Rohstoffe wegen. Ein paar kleinere Länder, in denen aber großes Können existierte, versuchten an die Besitztümer und vor allem an die Rohstoffe anderer, viel größerer Länder zu kommen und begannen einen mörderischen Eroberungsfeldzug, der aber genauso mörderisch zurück geschlagen wurde. Wieder fand man eine Lösung der Vernunft, nachdem zum ersten Mal eine Waffe eingesetzt worden war, die in wenigen Augenblicken mehr Menschen vernichtete, als unser Land AL Andalus heute Bewohner hat.
Danach folgte eine Zeit der Kleinkriege.
Überall auf der Welt wurde gekämpft und getötet, unzählige Menschen starben und aus blühenden Nationen wurden bettelarme Länder aus denen die dort lebenden Menschen in Scharen flüchteten. In all diesen Kriegen ging es entweder um von Menschen ausgedachte Systeme oder aber um Rohstoffe. Der Hunger nach abbaubaren Materialien aus dem Schoss der Erde wurde immer größer. Am Ende eines jeden dieser Kriege gab es sehr oft Lösungen, die von der Vernunft und dem Überlebenswillen der Menschen getragen worden waren.
Hinter all diesen Kriegen mit ihrem Leid aber lauerte ein Monster, das viel schlimmer war, als jeder noch so brutal geführte Krieg um Systeme oder Länder und ihre Rohstoffe.
Das Monster hieß Religion und hinter diesem Namen verbarg sich die allumfassende Macht über den Geist der Menschheit. Die Menschen hatten Angst vor dem Sterben und fürchteten sich vor dem, was danach kam. Um mit dieser Angst zu Recht zu kommen, hatten die Menschen sich schon in längst vergangenen Tagen Götter ausgedacht und diesen Göttern räumten sie mehr und mehr Macht über ihr Leben und über ihren Geist ein. Es gab zwei große Religionen, die sich über Jahrtausende hinweg kleinere und auch größere Kriege geliefert hatten, deren Führer sich in nahezu jeden anderen Krieg mit einschalteten und stets danach trachteten, ebenfalls einen Nutzen aus den Kriegen zu ziehen. Obwohl beide Religionen denselben Gott verehrten und sich in sehr vielem ähnlich waren, verband ihre Führer und Akoluthen nichts als tödlicher Hass auf die anderen.
Dieser Hass war es, der die Erde schließlich nahezu vollständig zerstörte.
Etwas mehr als zwei Jahrhunderte waren seit dem zweiten, die Welt umspannenden Krieg vergangen, als sich die Spannung zwischen den beiden großen Religionen so weit erhöht hatte, dass ein dritter, ein Religionskrieg nicht mehr zu vermeiden war. Mit diesem Krieg aber war der Untergang der Menschheit besiegelt. Es ging nicht mehr darum, einer anderen Nation ein neues System aufzuzwingen und danach Nutznießer der Veränderung zu sein. Es ging auch nicht darum, ein Land zu erobern um in den Nutzen der Arbeitskraft seiner Menschen und seiner Bodenschätze zu kommen. Es ging um die Vorherrschaft eines Glaubens ohne tatsächlichen Hintergrund und ohne einen anderen Nutzen, als den Gewinn der totalen Macht über alles, was existierte.
In diesem Krieg gab es keine Vernunft mehr und damit auch keine Lösung. Die Menschen, die sich zu Religionsführern aufgeschwungen hatten, spielten selbst Gott. Mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, begannen die Religionsführer die Erde zu vernichten, vielleicht in der Hoffnung am Ende doch die eigenen Anhänger als Sieger zu sehen.
Diese Kriege dauerten etwa zweihundert Jahre und wir nennen sie heute die heißen Kriege. Wir wissen nicht, wie es geschah und mit welchen Mitteln, wir wissen nur, dass es geschah.
Die schrecklichsten Waffen, die sich Menschen jemals ausgedacht hatten, fegten fürchterliche Feuerstürme über die Erde und vernichteten alles Leben. Nichts war der Gluthitze gewachsen, die von diesen Waffen erzeugt wurde und mit der sie die Erde verbrannten.
Erst nach vielen Jahren des Sengens und Brennens, des Mordens und des Totschlagens, begann ein Teil der Menschheit zu begreifen, dass sie sich damit jede Grundlage für eine Fortführung der eigenen Existenz entzogen hatten. Die Erde war bis auf wenige Inseln unbewohnbar geworden und um sich dem Gift der Asche zu entziehen, begannen eine Gruppe von Menschen – sie nannten sich Wissenschaftler – die fliegenden Städte zu bauen und sich von der Erde zu entfernen. Eine andere Gruppe, die sich als Philosophen bezeichnete, zog sich dagegen unter die Erde zurück und begann alle Maßnahmen zu ergreifen, die es einem Rest Leben nach dem Ende der heißen Kriege ermöglichen sollten, die Erde neu zu gewinnen und zu gestalten.
Die Philosophen fanden heraus, dass die wenigen Inseln, die von der vollständigen Vernichtung verschont geblieben waren, genügend Kraft und Energie besaßen um eine Rückkehr des Lebens auf die Erde zu fördern, auch wenn es lange dauern mochte.
Sie begannen entsprechende Maßnahmen zu planen.
Doch leider waren sie zu spät zu ihren Erkenntnissen gelangt, sie konnten nur noch unvollkommen in die Geschicke der Erde eingreifen, ehe die Folgen der Kriege sie auch unter der Erde ereilte. Die letzten Religionsführer machten Jagd auf die Philosophen und es gelang ihnen diese zu vernichten, ehe sie in ihrer selbst geschaffenen Vernichtung ebenfalls untergingen. Zurück blieben die von den Philosophen geschaffenen sechs Schwerter der Zukunft und die Fähigkeit mancher Menschen, sich auf geistiger Ebene mit einander zu verständigen, die Telepathie.“
Levanto legte erneut eine Pause ein, trank ein paar Schlucke Wasser aus einem kristallenen Becher, schaute in die Runde um die Reaktionen seiner Zuhörer zu überprüfen und wartete auch auf die Rückmeldungen der anderen Bewahrer.
Er war zufrieden.
Er konnte feststellen, dass er im Begriff war, seine Aufgabe im Sinne des Testaments zu erfüllen und das war es, wofür er lebte. So fuhr er fort.
„Die letzten Waffen verstummten, denn die Vernichtung der Erde war vollständig. Es gab nichts mehr zu verbrennen, denn alles war bereits verbrannt und es gab praktisch niemand mehr zu töten, denn alle waren bereits tot.
Wir wissen heute nicht mehr, wie lange es dauerte bis die ersten Pflanzen wieder zu wachsen begannen, denn selbst die schrecklichsten Feuerstürme hatten ein paar Samen und die dazu gehörigen Nährstoffe in der Erde überleben lassen.
Die Natur begann aus sich selbst zu erwachen und sich neu zu erschaffen. Sie hatte Erinnerungen bewahrt und Modelle, an denen sie sich ausrichten konnte und es mag ein Jahrtausend gedauert haben, bis die Erde wieder grün war, das Wasser wieder trinkbar und sich die Zyklen von Geburt und Tod wieder auf einander eingespielt hatten. Am Ende dieses Jahrtausends waren nicht nur die Pflanzen wieder auf die Erde zurück gekehrt, sondern auch die Tiere. Aus den winzigen Inseln, die der Zerstörung entgangen waren, sind Keimzellen eines neuen Lebens entstanden und so konnten mit den Pflanzen und Tieren auch die Menschen wieder auf die Erde zurück kehren.
Aber, es muss wohl so sein, dass auch die Natur aus den Ereignissen der heißen Kriege gelernt hatte. Pflanzen und Tiere entwickelten sich weitaus schneller zurück, als die überlebenden Menschen. Sie vermehrten sich in einer Geschwindigkeit, mit der die Menschen plötzlich nicht mehr mithalten konnten. So geschah es, dass die Menschheit neu geschaffen wurde.
Unsere Lebenszyklen sind sehr lange geworden, doch unsere Fruchtbarkeit ist gering. Selbst nach mehr als zwei Jahrtausenden gehört die Erde nicht wieder den Menschen sondern den Pflanzen und den Tieren. Und das scheint gut zu sein, denn wir, die neu geschaffenen Menschen haben gelernt, im Einklang mit der Natur zu leben. Wir haben begriffen, dass man der Natur genau das zurück geben muss, was man ihr entnommen hat, um von ihr leben zu können. Wir haben begriffen, dass sich Raubbau und totale Ausbeutung unmittelbar zu unserem eigenen Schaden auswirken.
Doch auch die Natur ist in manchen Dingen unvollkommen. Die Rückkehr des Lebens war an zwei Stellen unzulänglich ausgeführt:
Die fliegenden Städte existierten teilweise weiter und auf ein paar Inseln im westlichen Ozean, dem Atlantico, überlebten die Erbanlagen der Menschen aus der Zeit vor den heißen Kriegen. Und was sich daraus entwickelte, sollt ihn nun erfahren.“
Zum ersten Mal seit mehr als fünf Jahrzehnten war der Rat der Stadt wieder vollständig und in Person zusammen gekommen. Eine durch und durch ungewöhnliche Situation, die aber durchaus begründet war, denn es stand eine wirklich schwerwiegende Geschichte zur Lösung an:
Shaktar, der Erste Krieger Ninives, dazu auch der Oberste Techniker und damit zugleich der Erste unter den Zwölf hatte gegen eines der strengsten Gesetze der Stadt Ninive verstoßen und darüber war zu reden und abzustimmen.
Als Erster Krieger war Shaktar für die gesamte Kampfmaschinerie Ninives und natürlich auch deren Einsatzbereitschaft zuständig, ebenso wie für die Ausbildung sämtlicher Agenten der Stadt.
Die Aufgaben des Ersten Krieger für sich betrachtet, verlangten dem Amtsinhaber eine ganze Menge ab. Doch da war ja noch mehr, denn als Oberster Techniker überwachte er mit einem Stab von mehr als tausend Bürgern ersten Grades nicht nur die Einsatzbereitschaft der mächtigen Fusionsgeneratoren und damit sämtlicher Antriebs- und Versorgungssysteme der Stadt, er war auch für die Betreuung und Instandhaltung der Schleusensysteme nach Außenwelt und für alle Sicherheitssysteme innerhalb der Stadt zuständig. Damit nicht genug, unterstand ihm auch noch der gesamte Bestand an städtischen Flugmaschinen.
Eine weitere, mehr als beachtliche Aufgabe.
Niemals in der dreieinhalb Jahrtausende währenden Geschichte der Stadt hatte ein Mensch derart viele Funktionen und damit auch derart viel Macht auf sich vereint. Diese Bündelung wäre sicherlich auch niemals zustande gekommen, hätte es wenigstens in einem der beiden Sektoren der Macht auch nur eine halbwegs vertretbare Alternative zu Shaktar gegeben. Doch das war eben nicht der Fall.
So war Shaktar zu dem geworden, was er war und ausgerechnet er hatte nun gegen eines der schärfsten Tabus der Stadt verstoßen?
So war es und er bestritt es noch nicht einmal…
Wie immer in all den Jahrtausenden, seit die fliegende Stadt Ninive gebaut und ihrer Bestimmung übergeben worden war, traf man sich in der gewaltigen, transparenten Kuppel, die unter dem höchsten Punkt des Schutzschirmes lag, denn nirgendwo in der Stadt stellte sich das Gefühl der Macht schneller und intensiver ein, als dann, wenn man sich im großen Ratssaal aufhielt.
Die Atmosphäre des Saals war imponierend. Ein riesiger, runder Tisch aus silbern glänzendem Chromat, in dessen Tischfläche verschiedene Geräte und Bedienkonsolen eingelassen waren. Auch die Monitore am Platz eines jeden Ratsmitgliedes waren eingelassen, doch sie konnten je nach Lust hochgeklappt werden. Die Sessel bestanden aus einem halborganischen Material, das sich automatisch und in kürzester Zeit der Körperform und der Körpertemperatur des darin Sitzenden exakt anpasste und höchste Bequemlichkeit auch während der manchmal schier endlosen Sitzungen garantierte. Die stets auf gleich bleibende und optimal verträgliche Temperatur und Feuchtigkeit konditionierte Luft im Saal, vor allem aber der phänomenale Ausblick über die gesamte Stadt Ninive, all das zusammen schuf ein Bewusstsein der Macht, der Unangreifbarkeit, der überirdischen Fähigkeiten.
Die acht Männer und vier Frauen kannten diese Empfindungen teilweise schon seit mehreren Jahrhunderten und sie genossen diese Gefühle immer noch und immer wieder aufs Neue.
Nur an diesem Tag fiel es ihnen schwer, den üblichen Genuss zu empfinden, denn sie waren zusammen gekommen um über ein sehr delikates und zugleich äußerst fatales Ereignis zu reden und unangenehme Maßnahmen einzuleiten.
Dieses Ereignis, es hatte eine ebenfalls unliebsame Vorgeschichte, die letztendlich zu dem nun anstehenden Problem geführt hatte.
Vor etwas mehr als neunzig Jahren hatte einer der Ihren, der Magnat und Bioniker Falcon etwas getan, das bis zu diesem Tag niemand verstehen konnte:
Er hatte Ninive, die fliegende Stadt, die Königin aller jemals geschaffenen fliegenden Städte heimlich und bei Nacht verlassen und keinem der Ratsmitglieder war es trotz ihrer teilweise enormen mentalen Fähigkeiten gelungen, auch nur den Hauch einer Spur von Falcon zu finden. Falcon war geflohen und blieb unauffindbar. Das allein war nicht weiter schlimm, vielmehr schlimm war, dass es ihm gelungen war, wertvollste Besitztümer der Stadt mitzunehmen.
Insbesondere eines der Teile, die Falcon entwendet hatte, wurde in Ninive besonders schmerzlich vermisst, denn es gab in dieser an Wundern eigentlich nicht gerade armen Metropole nur sehr wenige Exemplare dieser Teile.
Es wurde „die Haut“ genannt und besaß unerhörte Kräfte.
Selbst schlimmste Verletzungen, ja sogar den Verlust von Gliedmaßen war die Haut in der Lage ungeschehen zu machen, wenn man sich in die Haut hüllte und ihr Zeit gab, die notwendigen Wunder zu vollbringen. Kleinere Verletzungen, wie man sie sich häufig auf der Jagd, aber auch bei der täglichen Handarbeit immer wieder mal zuziehen konnte, heilte sie im Nu,
Der Verlust eines Armes, eines Beines oder auch nur eines Teils dieser Extremitäten bedurften zwar eines länger Aufenthalts in der Haut, doch wenn man danach – es konnte mehrere Monate dauern - wieder zum Vorschein kam, war man wie Neu.
Ein solches wunderbares Ding, von dem niemand zu sagen wusste, wie es herzustellen war, ob es sich dabei um ein Gerät oder gar ein Lebewesen handelte, hatte Falcon entwendet. Der Verlust für Ninive war überaus schmerzlich, denn es gab nur zwei Dutzend dieser Häute. Verdammt wenig, um in einer Stadt wie Ninive, in der etwas mehr als hunderttausend Menschen lebten, alle vorkommenden Unfälle zu versorgen.
Schon deshalb hatte der Rat der Zwölf damals erstmalig beschlossen, Agenten hinaus zu schicken, die feststellen sollten, ob Falcon etwa gar in der verseuchten und damit tödlichen Umwelt außerhalb der Stadt hatte überleben können. Dann sollte er getötet werden. War er dagegen schon tot, war seine Leiche zu suchen und in beiden Fällen war dafür zu sorgen, dass die Haut und auch die übrigen Dinge, die Falcon entwendet hatte, nach Ninive zurück gebracht wurden.
Agenten, das waren niemals reinrassige Menschen, man setzte für Tätigkeiten außerhalb der Schutzschirme niemals den wertvollen reinen Genpool von Menschen aufs Spiel. Mutanten, Ergebnisse genetischer Versuche der Wissenschaftler Ninives viel diese Aufgabe zu.
Es gab eine Vielzahl solcher Mutanten in der fliegenden Stadt, denn die Wissenschaftler – auch Magnaten genannt – experimentierten seit mehr als dreitausend Jahren mit der Erbmasse der Bewohner Ninives. Das Ziel war anfangs gewesen, den Fortbestand der Menschen der Stadt zusätzlich zur normalen Fortpflanzung und der Aufzucht in den Retorten und Brutnester auch auf diesem Weg sicher zu stellen. Doch schon bald hatte es sich gezeigt, dass es eine unlösbare Aufgabe war, der die Magnaten da nach jagten. Es gelang einfach nicht, Menschen exakt nach den Mustern derjenigen, die in Ninive lebten zu klonen. Die Abweichungen reichten von eklatant bis minimal, doch sie waren immer vorhanden. Dummerweise wurden die Abweichungen aber immer erst dann erkennbar, wenn die Klone – wie auch alle Menschen – Mitte des zweiten Lebensjahrzehnts das Stadium der Geschlechtsreife erreichten. Dann erst begannen die Abweichungen zu Tage zu treten, dann wurden Unterschiede zwischen reinerbigen Menschen und Klone feststellbar.
Die größten sichtbaren Abweichungen stellten bisher Mutationen dar, die nur noch entfernt Ähnlichkeiten mit Menschen besaßen. Zumeist waren sie kaum mehr als mittelgroß, aber mit schier unglaublichen Muskeln bepackt. Wesen, deren Gesichter zwar noch annähernd menschliche Züge besaßen, die aber auf ihrem ganzen Körper einen silbergrauen Pelz trugen. Statt einem Mund hatten sie durch vor gewölbte Kieferpartien beinahe so etwas wie Schnauzen und hinter ihren Lippen verbargen sich Gebisse, die selbst einem Wolf das Fürchten beibringen konnte. Die Hände und Füße dieser Mutanten waren anstatt mit Finger- und Zehennägeln mit einziehbaren Klauen ausgestattet, wie sie auch eine der großen Raubkatzen der alten Zeit auf Außenerde nicht stärker und schärfer besessen haben mochten. Sie blickten mit übergroßen Augen in die Welt, deren Pupillen in einem sehr intensiven grün leuchteten. Eine Eigenschaft, die sie mit allen Klonen Ninives gemeinsam hatten.
Sprechen im menschlichen Sinn konnten diese Wesen nicht, dennoch war die Verständigung mit ihnen mühelos, denn sie verfügten über telepathische Fähigkeiten der höchsten Stufe. Oder besser gesagt, sie stellten die Telepathen der höchsten Stufe dar. Auch ihre Intelligenz konnte man schlichtweg als überragend bezeichnen, doch mit ihren missgestalteten Händen und Füßen waren sie zu jeder Art manueller Tätigkeit unbrauchbar. Ihre Sinne entsprachen denen der Raubtiere, denen sie ähnelten und so beschloss der Rat der Zwölf, diese Mutanten – obwohl sie trotz ihres extremen Äußeren sehr friedliche Wesen waren - in einer einsamen Region des südwestlichen Europas, der Halbinsel Iberia „auszuwildern“. Diese Gegend war von den heißen Kriegen der Alten nur wenig kontaminiert, dort mochten diese Mutanten eine Chance zum Überleben haben oder auch nicht.
Man nannte diese Mutanten auf Grund ihres Äußeren auch die Wilden und der Magnat, in dessen Zuständigkeit ihre Entstehung fiel, war Falcon.
Die schlimmste Art der Abweichung aber stellten nicht die Wilden dar, sondern eine Art von Klonen, die äußerlich kaum von den Menschen Ninives zu unterscheiden war. Wesen, immer von geradezu perfekter Schönheit, die mit Erreichen der Geschlechtsreife und der damit verbundenen Erkenntnis, kein Bürger Ninives zu sein oder jemals zu werden, einen abgrundtiefen Hass auf die Stadt und alles, was sie repräsentierte entwickelten. Diese Klone - man nannte sie auf Grund ihrer Schönheit auch Angelos - wurden sofort und ohne jede Gnade nach Außenwelt emigriert, sobald die Abweichung zu Tage trat.
Zwischen diesen beiden Stufen gab es Abweichler in zahlreichen Nuancen, die aber in aller Regel der Stadt und vor allem dem Rat der Zwölf zumeist sehr gute Dienste leisteten. Sie waren äußerst loyal und leicht zu lenken, denn auch sie besaßen zumeist enorme mentale – hauptsächlich telepathische – Fähigkeiten, waren von hoher Intelligenz und absolut kaum zu überbietender körperlicher Leistungsfähigkeit, was die einen zu ausgezeichneten Arbeitskräften, die andern zu hervorragenden Jägern und Kriegern werden ließ. Und letztere setze der Rat der Zwölf ausschließlich als Agenten ein, die den Interessen des Rats dienten. Auch auf der Jagd nach Falcon und ein paar weiteren Abtrünnigen wurden Agenten eingesetzt. Fast immer mit durchschlagendem Erfolg.
Falcon war der letzte einer Reihe von Abtrünnigen gewesen und immer hatte es sich um Magnaten gehandelt. Vor ihm waren schon gut zwei Dutzend andere Männer und Frauen aus der fliegenden Stadt geflohen, bis auf vier – einschließlich Falcon – hatten die Agenten alle anderen aufgespürt und eliminiert.
Die Agenten unterstanden direkt dem Rat der Zwölf, der ihre Ausbildung in allen Bereichen überwachte und leitete und dafür sorgte, dass ein Agent – ob männlich oder weiblich – in jeder nur denkbaren Kultur, unter allen nur vorstell- und simulierbaren Umweltumständen überleben konnten. Die Sprachbegabung steckte in den Genen dieser Klone, ebenso wie alle anderen Fähigkeiten, die sie brauchten um auf „Außenwelten“ zu überleben. Ihr oberster Ausbilder war der Erste Krieger der fliegenden Stadt, also seit ungefähr zweihundert Jahren der Ratsherr Shaktar.
Die Klone – allen voran die Agenten – besaßen zwar keinerlei Bürgerrechte aber jede Menge Freiheiten in der fliegenden Stadt. Oftmals lebten sie in Lebensgemeinschaften mit bürgerlichen Familien oder auch Einzelpersonen und das war in Ordnung so. Viele Bürger hielten sich zusätzlich zu ihren bürgerlichen Gefährten Geliebte aus den Reihen der Klone, wobei der Grad der Abweichung niemals eine Behinderung sondern allenfalls eine Bereicherung darstellte. Niemand störte sich daran, wenn ein Mann mit einer geflügelten Elfe oder eine Frau mit einem gehörnten und bocksbeinigen Satyr zusammen lebte, doch den Bürgern der Stadt war es bei Höchststrafe verboten, mit Klone Kinder zu zeugen.
Und damit war man beim Kern des Problems angelangt, denn der mächtigste Mann der Stadt, der Ratsherr Shaktar, hatte genau gegen dieses heilige Gesetz verstoßen. Seine junge Geliebte, die wunderschöne Agentin Sombra war schwanger von ihm.
Shaktars legale Gefährtin war die Medizinerin und Wundärztin Falsett, die nicht nur in ihrem Beruf führend war, sondern auch in hohem Grade telepathische Talente besaß und so war es kein Wunder, dass sie von dieser Schwangerschaft bereits wenige Tage nach dem Datum der Empfängnis wusste.
Wie es ihre Pflicht als treue Bürgerin der fliegenden Stadt war, brachte sie diese Tatsache sofort dem Rat der Zwölf zur Anzeige und nun war der Rat zusammen gerufen worden um diesen einmaligen Präzedenzfall zu beraten und zu lösen.
Mordegay, der Lordkanzler und nach Shaktar Zweiter unter den Ratsherren eröffnete die Sitzung und übergab sofort das Wort der Anklägerin, der Ältesten im Rat, der Kommunardin Frese, die – vermutlich weil die ganze Geschichte so delikat und unangenehm war - unverzüglich zur Sache kam. Es stand ja auch nur ein einziger Punkt auf der Tagesordnung und der war schnell geschildert, denn die Fakten lagen klar auf der Hand.
Es gab weder eine Diskussion um Schuld oder Unschuld, es ging lediglich um die Frage, was mit der Agentin Sombra zu geschehen hatte und wie das Problem mit dem Ersten Krieger und Obersten Techniker zu lösen sei.
Sombras Fall war rasch gelöst.
Ninive tötete keines seiner Kinder. Nicht jedenfalls mit eigener Hand. Ninive verstieß Kinder, die nicht in das Profil der Stadt passten, sie wurden auf Außenerde ausgesetzt.
Der Ratsherr Mastor – sein Metier waren Ermittlungen und Geheimdiensttätigkeiten aller Art – ergriff das Wort und trug vor:
„Die Anzeichen dafür verdichten sich, dass unser immer noch flüchtiger Ex – Magnat Falcon die Halbinsel Iberia erreicht und sich dort einem Clan Wilder angeschlossen hat, die es – wie auch immer – geschafft haben im Gift der verseuchten Erdoberfläche zu überleben. Ich schlage vor, wir bringen auch Sombra dort hin und wenn sie es schafft, Falcon zu finden und zu töten, braucht sie dort nur so lange zu bleiben, bis ihr Kind geboren ist und sie es beseitigt hat. Danach mag sie zurück kehren in die Stadt und sich meinem Haushalt anschließen. Ich hielte das für eine gerechte Strafe.“
Der Rat war nach kurzer Debatte mit diesem Vorschlag einverstanden und nahm ihn mit nur einer Gegenstimme – derjenigen Shaktars – an.
Als nächstes wurde der Fall des Ersten Kriegers und Obersten Technikers erörtert und dazu musste zunächst der Ratsherr Shaktar seines Amtes enthoben und durch andere Ratsmitglieder ersetzt werden.
Die gesamte Prozedur ging in einer, für den Rat der Zwölf völlig untypischen Hast von statten, Shaktar wurde zuerst seines Amtes Erster Krieger enthoben, dann auch als Oberster Techniker abberufen und gleich darauf insgesamt als Ratsmitglied abgesetzt, somit konnte er an den Entscheidungen, die ihn betrafen nicht mehr aktiv mitwirken. Ratsmitglied an seiner Stelle wurde seine offizielle Gefährtin, die Ärztin Falsett. Shaktars Nachfolger als Erster Krieger wurde sein intimster Feind, der noch relativ junge Nurmigo, ein von Falsett heftig protegierter Nachwuchspolitiker und vermutlich auch deren Liebhaber. Ein Oberster Techniker wurde zunächst noch nicht benannt, weil noch immer kein geeigneter Kandidat zur Verfügung stand.
Durch diese Wahlen war bereits klar gestellt, welchem Schicksal Shaktar entgegen sah und die Entscheidung des Rates der Zwölf fiel genau so aus, wie es zu erwarten war.
Man ordnete an, dass Shaktar auf den Besucherrängen des Ratsaales Platz nehmen und die Verhandlung über sein Schicksal dort abwarten sollte. Shaktar befolgte die Anordnung ohne jeden Widerspruch, er hatte sich offenbar längst in sein Schicksal gefügt und ließ alles in stoischer Ruhe über sich ergehen.
Diesmal war Nestros der Sprecher des Rates, ebenfalls nicht gerade ein glühender Anhänger Shaktars und er verkündete in knappen Sätzen, was der Rat entschieden hatte:
„Der Verstoß des ehemaligen Ratsherrn, Ersten Krieger und Obersten Techniker Shaktar gegen die strengsten Gesetze unserer Stadt ist bewiesen und wird auch nicht bestritten.
Die Schwere des Verstoßes lässt dem Rat keinen Spielraum in seinem Urteil und so hat der Rat der Zwölf entschieden, dass Shaktar all seiner Bürgerrechte in Ninive verlustig gehen soll.
Weiterhin soll Shaktar die fliegende Stadt Ninive für immer verlassen. Shaktar wird in Außenwelt ausgesetzt und darf dabei außer geeigneter Kleidung und seinen Waffen nichts mitnehmen. Als Aussetzpunkt wurde der höchste Gipfel des Daches der Welt, der Mount Everest gewählt. Die Stadt Ninive wird morgen dort hin fliegen und die Aussetzung wird vom neuen Ersten Krieger persönlich überwacht werden.
Der Rat der Zwölf ist sich dessen bewusst, dass dies ein äußerst mildes Urteil darstellt. Doch Ninive tötet keine Menschen um zu strafen. Schon gar keine Menschen, die sich so um die Stadt verdient gemacht haben wie der ehemalige Ratsherr Shaktar. Zum Andern wird diese Aussetzung allen in der Stadt lebenden Zweiflern nachhaltig beweisen, wie ungeheuer die Oberfläche der Erde auch nach mehr als dreieinhalb Jahrtausenden noch kontaminiert ist, denn Shaktar wird dort draußen eines raschen Todes sterben.
Ich bedanke mich beim Rat der Zwölf für die rasche und wirkungsvolle Zusammenarbeit in diesem Fall und frage abschließend den Beklagten Shaktar:
Nimmst du dieses Urteil an?“
Shaktar stand langsam von seinem Stuhl auf, sah sich kurz im Ratssaal um und erwiderte, ohne jemanden direkt anzusprechen:
„Habe ich denn die Wahl der Ablehnung?“
„Nein, die hast du nicht. Jedenfalls nur insofern, als dass du uns allenfalls noch zwingen könntest dich doch noch hinzurichten. Mehr Spielräume gibt es nicht mehr für dich.“
„Dann soll es so sein, ich verzichte auf die vom Rat geforderte Ablehnung oder Anerkennung eines Urteils, das durch und durch ungerecht ist. Bringt mich zum Aussetzungspunkt.“
Kantor, der Erste Astronaut der Stadt griff zu der Konsole an seinem Platz, tippte ein paar Befehlszeilen ein, dann sprach er mit deutlich akzentuierter Stimme die Befehle an die Steuereinheiten der fliegenden Stadt, die dieses gewaltige Gebilde zum Dach der Welt bringen würden.
Shaktar schauderte, als der Navigationscomputer die Zielkoordinaten bekannt gab und sich im schier selben Moment die Stadt in Bewegung setze und den Flug zum Dach der Welt in Angriff nahm.
Die Fusionsreaktoren, die der fliegenden Stadt die erforderlichen Energiemengen lieferten, waren gewaltig. Energiemengen, die notwendig waren, um dieses System der fliegenden Stadt nicht nur am Leben zu erhalten, sondern den ganzen Koloss auch auf einen stratosphärischen Orbit der Erde zu bringen und zu jedem beliebigen Punkt fliegen zu lassen. Jetzt fuhren diese Reaktoren zwei Stufen höher und beschleunigten Ninive auf ein Tempo das kurz unterhalb der Schallgeschwindigkeit lag. Sie würden innerhalb der Atmosphäre fliegen und deshalb war eine höhere Geschwindigkeit nicht ratsam. Der Computer verkündete, dass alle Funktionen erfolgreich in Betrieb gegangen waren und das bestimmte Ziel in elf Stunden, zweiunddreißig Minuten und zwanzig Sekunden erreicht werden würde.
Elf Stunden blieben ihm um seine Angelegenheiten zu ordnen, elf Stunden in denen er sich von vierhundertsechsundachtzig Jahren des Lebens in der fliegenden Stadt verabschieden konnte, elf Stunden um sich auf den nahen und absolut unvermeidlichen Tod vorzubereiten.
Shaktar stand auf und verließ den Ratssaal ohne zu grüßen. Er fügte sich wortlos in sein Schicksal und trug es, wie es einem Ersten Krieger, der er zweieinhalb Jahrhunderte lang gewesen war ziemte.
Zehn der elf Stunden waren vorüber, die fliegende Stadt Ninive schwebte bereits über dem großen Subkontinent, der Indien genannt wurde und wenn man genau nach Norden sah , konnte man am Horizont bereits die nebelhaften Silhouetten der gigantischen Berge erkennen, die man den Himalaja oder auch das Dach der Welt nannte.
Shaktar stand mit nachdenklich in Falten gelegter Stirn im Eingangsbereich des kleinen Hauses, auf das er als Ratsherr und erster Krieger Anspruch besessen hatte und bereitete sich auf den Abschied von so vielem vor, das in seinem bisherigen Leben von Bedeutung gewesen war.
Er war bereit, die fliegende Stadt zu verlassen und damit die Konsequenzen auf sich zu nehmen, die er durch sein inniges Verhältnis, seine Liebe zu Sombra herauf beschworen hatte. Er hatte gewusst dass es Ärger geben konnte, ja sogar musste, wenn sie gegen ein derart strenges Tabu verstießen wie es die Zeugung eines Kindes mit einer geklonten Frau darstellte. Er hatte es kommen sehen und war trotzdem nicht in der Lage gewesen, diesen Wunsch den sie beide so sehr verspürten, zu unterdrücken. Sie mussten ihn einfach in die Realität umzusetzen.
Shaktar fragte sich wieder und immer wieder, was es wohl gewesen war, das in gleichzeitig zwei an sich so rationell veranlagte Lebewesen wie er selbst und die Agentin Sombra einen derart unsinnigen Wunsch entstehen ließ. War das wirklich Zufall gewesen oder lag darin eine schicksalhafte Bestimmung? Wurde dadurch etwas eingeleitet, das niemand – auch nicht er selbst – abzuschätzen in der Lage war?
Wohl kaum, denn was konnte schon aus dem Tod von zwei Verrückten schicksalhaftes entstehen?
Shaktar zweifelte nicht daran, dass sie beide in den Tod gingen. Sombras Chancen in Iberia ohne Unterstützung durch ein Shuttle aus der Stadt zu überleben waren so groß wie die eines Eisbrockens, der in den Brennraum eines Reaktors stürzte.
Und seine eigenen Chance?
Es gab kaum einen Platz auf der Erde, an dem seine Überlebenschancen kleiner gewesen wären. Wenn er Pech hatte würde er den Ausstieg aus der fliegenden Stadt ein paar Stunden lang überleben, wenn er viel Glück hatte nur einige Minuten.
Shaktar zählte im Kopf auf, was gegen sein Überleben sprach.
Zum einen war da die extreme Höhe. In mehr als achttausend Meter über dem Meeresspiegel war der Sauerstoffgehalt der Luft so dünn, dass er allein an diesem Problem schon rasch sterben konnte.
Dann war da auch noch die Kälte. Die aktuelle Außentemperatur am Zielort der fliegenden Stadt hatte der Computer mit vierundfünfzig Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt von Wasser angegeben! In dieser Kälte ohne eine spezielle Ausrüstung zu überleben war reine Glücksache.
Der Gipfel des Everest – Gebirges war mit Schnee und Eis bedeckt und er hatte weder geeignetes Schuhwerk noch eine Kletterausrüstung zur Verfügung, um sich dort auch nur halbwegs sicher zu bewegen.
Die Hitzeabstrahlung der fliegenden Stadt würde während des Landeanfluges eine Menge Eis und Schnee zum Schmelzen bringen, doch bei den herrschenden Temperaturen würde jede Flüssigkeit in kürzester Zeit wieder gefrieren. Dann aber käme ein nächster Hitzeschub, nämlich der Neustart der Stadt und dann war er als Ausgesetzter mitten im Abgasstrom der Fusionsreaktoren, in einer Hitzewelle von ungefähr viertausend Grad Celsius und diese Hitze würde ihn verdampfen. Wenn nicht würde sie schwere Lawinen auslösen, die ihn in die Tiefe reißen mussten.
Also keine Überlebenschance…
Shaktar war vollständig in düsteres Schwarz gekleidet. Er trug einen Mantel der scheinbar aus Leder gefertigt war und dessen Saum ihm bis zur Mitte der Waden reichte. Darunter eine dick wattierte Weste, eine eng anliegende Hose ebenfalls aus Leder, deren Beinlinge in den Schäften weicher, beinahe kniehoher Stiefel mit dicken Sohlen steckten und unter der Weste ein Hemd aus einem seltsam feinen, glänzenden Gewebe, das sich fast wie eine zweite Haut an seinen muskulösen Oberkörper schmiegte. Der einzige farbige Aspekt seiner Kleidung war sein Gürtel. Ein breites Band aus leuchtend rot eingefärbtem, weich gegerbtem Leder, an dem er neben einer ganzen Reihe an Taschen und Beutel auch sein Schwert und zwei lange Dolche befestigt hatte. Sowohl die beiden Dolche als auch sein Schwert waren aus bestem Kerastahl geschmiedet und praktisch unzerstörbar. Sie staken in Scheiden aus einem glanzlos schwarzen Material und selbst die Hefte, Knäufe und Parierstangen der drei Waffen waren aus schwarz brüniertem Stahl und an den Griffflächen mit schwarzem Leder überzogen.
Neben Shaktar lag ein recht großer Sack aus demselben schwarzen Material, aus dem die Scheiden seines Schwertes und der Dolche gefertigt worden waren. In diesem Sack hatte Shaktar diejenigen seiner erlaubten Habseligkeiten verstaut, die mitzunehmen das Urteil des Rates der Zwölf ihm ebenfalls zugestanden hatte. Viel war es nicht. Vor allem Ersatzkleidung, dazu ein paar Energiewürfel und als ganz persönliche Erinnerungsstücke, ein paar Holo – CDs. Kleine, silbrig glänzende Scheiben, auf denen Holos gespeichert waren, die ihn vielleicht doch irgendwann an sein vergangenes Leben erinnern würden.
Das Material aus dem dieser Sack, sein Umhang, seine Hose, die Weste und sogar die Stiefel, aber auch die Scheiden seiner Waffen gefertigt war, gehörte zu einem der Geheimnisse, die Shaktar vor dem Rat der Zwölf bewahrt hatte, obwohl er damit ebenfalls gegen einen Kodex verstoßen hatte. Vor vielen Jahren schon war es ihm gelungen, durch immer neue Versuche aus Keramik ein Gewebe herzustellen, das zwar weich und elastisch war und dennoch die unglaubliche Haltbarkeit von Keramik besaß. Das Gewebe besaß darüber hinaus auch noch ein paar andere Eigenschaften, die ihm nun sehr nützlich sein mochten. Es war in der Lage enorme Wärmemengen zu speichern und diese einem vom Gewebe eingehüllten Körper in angenehmster Form zur Verfügung zu stellen. Außerdem reflektierte dieses Gewebe auch geringste Wärmeabstrahlungen eines Körpers, so stellte es einen ausgezeichneten Isolator dar.
Wenn er also eine Überlebenschance hatte, dann nicht zuletzt auch dank dieses kleinen Geheimnisses. Ganz sicher hätte ihm der Rat nicht gestattet, so ausgerüstet die Stadt zu verlassen und ins Exil zu gehen.
Sein langes, jetschwarzes Haar trug Shaktar im Nacken zu einem dicken Knoten geschlungen, welcher ihn als zur Kaste der Krieger gehörend auszeichnete.
Shaktar war ein, für einen in der fliegenden Stadt geborenen Menschen außergewöhnlich groß und muskulös. Er maß einen Meter und fünfundachtzig Zentimeter, seine Schultern waren breit, die Hüften schmal, die Beine lang und schlank. Alles an seinem Körper wirkte athletisch und durchtrainiert, selbst seine kräftigen Hände ließen erkennen, dass sie es gewohnt waren zu zupacken und festzuhalten, was sie gefasst hatten.
Shaktar war zudem auch ein schöner Mann, das wusste er, das bestätigten ihm die vielen Abenteuer, Eskapaden, Affären und Beziehungen die er im Laufe seines Lebens mit Frauen aller Art in der fliegenden Stadt gehabt hatte. Seine weiße Haut am ganzen Körper, auch im Gesicht war straff und glatt, die Stirn war hoch, breit und klar, seine Augenbrauen so schwarz wie sein Kopfhaar und dicht wie schwarzes Moos. Seine Augen standen weit auseinander und glitzerten in einem geradezu magnetisch wirkendem, eisigen Grau, seine Nase war etwas lang aber sehr gerade, mit einem kräftigen Rücken und weit geschwungenen Nüstern, seinem Mund war anzusehen, dass Shaktar über ungeheuer viel Willenskraft und Energie verfügte, was durch das markante Kinn mit dem tiefen Grübchen in der Mitte noch unterstrichen wurde. Shaktar war frisch und glatt rasiert und dennoch wirkten seine Wangen und sein Kinn, als wären sie von einem schwarzen Schatten überflort.
Ein schöner Mann, ein starker und harter Mann in jeder Beziehung, der Star und Sieger zahlloser Kämpfe in den Arenen Ninives, aber auch ein Mann dem das eigene Wort noch etwas galt und der für die Einhaltung eines einem Freund gegebenen Versprechens eher in den Tod ginge, als dieses Versprechen zu brechen.
Vor Shaktars innerem Auge spielte sich in dieser letzten halben Stunde ehe er sein gewohntes Leben vermutlich für immer verlassen musste, die Szene ab, die sich vor etwas mehr als zwei Stunden ereignet hatte.
Eine Abordnung von vier Agenten war gekommen und hatte seine Geliebte, die junge und so wunderschöne Sombra abgeholt. Allein die Erinnerung an diese Momente ließ in Shaktars Magen einen eisigen Klumpen entstehen.
Sombra war selbst Agentin und gehörte trotz ihrer Jugend – sie war noch lange nicht hundert Jahre alt – zu den zehn besten Agenten der Stadt. Allein aus dieser Sicht war es angemessen, dass sie von einer derart starken Abordnung abgeholt wurde. Sie beide hatten gewusst, was auf sie zu kam, sie beide hatten sich auf den Abschied vorbereitet und die letzten Stunden damit verbracht, sich mit geradezu verzweifelter Intensität wieder und immer wieder zu lieben und sich zu schwören, dass sie alles, wirklich alles daran setzen wollten, um auf der Erde zu überleben und sich zu finden. Sombra war so weit gegangen, Shaktar zu schwören, dass sie es schaffen würde, auch ihren gemeinsamen Sohn gesund zur Welt zu bringen und so lange am Leben zu erhalten, bis sie und Shaktar einander wieder gefunden hatten. Dann hatte Sombra sich angekleidet und gemeinsam hatten sie gefasst und in Würde auf die Abordnung gewartet.
Die vier Agenten - drei Männer und eine Frau – waren genau zur angekündigten Zeit aufgetaucht. Man wusste um Sombras Fähigkeiten, denn man schickte vier routinierte Agenten, die Sombra an ihren Verbannungsort bringen sollten und einer der Männer hatte ein Holo mitgebracht, auf dem eine letzte Anordnung des Rates der Zwölf gespeichert war.
Die Botschaft wurde vom Lordkanzler selbst, dem runzligen und schon über tausend Jahre alten Mordegay verlesen. Die Luft zitterte kurz, als sich das Holo aktivierte und das nahezu lebensechte Bild des Lordkanzlers entstand, dann ertönte seine tiefe Stimme und verkündete:
„Agentin Sombra, der Rat hat noch einmal über das Urteil nachgedacht, das verhängt wurde. Das Urteil wird insgesamt aufrecht erhalten, doch es wird dir untersagt, etwas anderes aus Ninive mitzunehmen, als dich selbst. Du wirst splitternackt auf der Hochebene Grazalema ausgesetzt werden. Alle anderen Bedingungen bleiben wie ursprünglich festgelegt. Entkleide dich also und folge dann den Agenten.“
Das Holo flimmerte kurz auf, dann erlosch es. Der Mann unter den Abgeordneten nickte Sombra zu und befahl:
„Du hast die Botschaft gehört. Befolge sie nun. Lege deine Kleidung ab und dann folge mir, damit wir dich zum Astroport bringen und in die Emigrationskapsel setzen können. Ninive will dich so schnell wie möglich los werden.“
Ninive tötete keine Menschen. Doch Ninive scheute sich nicht davor, Menschen auf das höchste zu demütigen und sie nackt und unbewaffnet in einer absolut feindlichen Umwelt auszusetzen, was den sicheren Tod bedeutete…
Sombra befolgte die Anweisungen des Holos und legte ihre Kleidung ab. Dabei war ihr Gesicht so blass, dass ihre Haut beinahe leuchtete. Dann wandte sie sich noch ein letztes Mal an Shaktar, schlang ihre Arme um seinen Nacken küsste ihn und richtete dann zum letzten Mal ihre Worte an den Mann, den sie liebte.
„Nun haben sie es also doch noch geschafft. Sie haben einen Angelo aus mir gemacht. Ich schwöre hier und jetzt, dass ich mein Leben lang nicht ruhen werde und alles daran setzen werde, um die fliegende Stadt zu vernichten. Nichts soll übrig bleiben, was jemals an Ninive und seine Bewohner erinnern kann.“
Sombras Stimme hatte nichts von ihren tatsächlichen Gefühlen wider gespiegelt. Ernst und ruhig, fast gelassen hatte sie ihre Worte vorgebracht, nur in ihren jadegrünen Augen war der Hass zu erkennen, der in der jungen Frau tobte, denn diese Augen wirkten so hart wie Splitter eines Diamanten.
Shaktar antwortete mit nicht weniger ruhiger und ernster Stimme.
„Nicht einen Angelo haben sie geschaffen, es sind deren zwei. Mehr, ich werde der erste Erzengel sein, den es gibt und nichts wird uns aufhalten können, wenn es darum geht, diese unsägliche Stadt zu vernichten. Dies schwöre ich bei meinem Leben und meiner Ehre als Krieger.“
Kaum waren diese Worte gesprochen, begann die Luft erneut zu flimmern, wiederum baute sich ein Holo auf, diesmal war es Shaktars Nachfolger Nurmigo, der sich meldete.
„Du weißt natürlich, dass wir deine Worte mitgehört haben und nun wissen, was in dir vor geht. Deshalb wirst du uns auch nicht übel nehmen, wenn wir dir sagen, für wie lächerlich und unwürdig wir deine Drohung halten, doch es ist unter unserer Würde, gegen deinen Hass und deine Drohungen vorzugehen. Doch du solltest daran denken, dass mit deiner Absetzung als Erster Krieger auch deine dir von Ninive übergebene Macht verloren gegangen ist. Mach dir also keine allzu großen Hoffnungen über deine Zukunft.“
Das Holo erlosch und die vier Abgeordneten starrten Shaktar mit einem höhnischen und durch und durch herausfordernden Grinsen an, es war als wollten sie den Mann zu einer unbedachten Handlung provozieren.
Shaktar spürte die unterschwellige Herausforderung und unterzog sich sofort der intensiven Selbstkontrolle. Jede Regung verschwand aus seinem Gesicht und seine Haltung glich viel eher der einer aus schwarzem Holz geschnitzten Statue, als der eines Menschen.
Sichtlich enttäuscht wandten die Agenten sich von ihm ab, nahmen Sombra in ihre Mitte und bugsierten die junge Frau zur Tür und hinaus. Ein letzter Blickwechsel, die Erkenntnis, den geliebten Menschen vermutlich für immer verloren zu haben und dann war sie fort.
Nie in seinem langen Leben hatte sich Shaktar einsamer gefühlt als in der Zeit, die vergangen war, seit Sombra aus seinem Blickfeld verschwunden war. Daran änderte sich auch nichts, als wenig später Falsett auftauchte, um formell von ihm Abschied zu nehmen, zuvor aber sollte er noch ihre Freigabeerklärung unterzeichnen, denn nur mit dieser war es Falsett erlaubt, mit einem anderen Mann eine neue Bindung einzugehen.
Shaktar unterzeichnete die Dokumente mit stoischer Gleichgültigkeit und auch der Abschied von Falsett würde sich nicht von dem unterscheiden, mit dem zwei flüchtige Bekannte sich von einander verabschiedet haben würden. Obwohl sie seit mehr als fünfhundert Jahren vor den Gesetzen der Stadt ein Paar gebildet hatten, verband sie wenig mehr, als eine flüchtige Bekanntschaft. Hätten sie sich die Mühe gemacht, die gemeinsam verbrachten Tage zu zählen, sie wären kaum auf hundert gekommen, denn ihr Zusammenschluss war damals rein politisch begründet gewesen und rasch hatten sie erkannt, dass die Summe ihrer Gemeinsamkeiten deutlich gegen Null tendierte. Mit der Unterzeichnung der Dokumente war aus Shaktars legaler Gefährtin die freie und unabhängige Rätin Falsett geworden.
Ein kurzer Händedruck, ein paar leere Floskeln, das war es, Falsett wandte sich um und verließ Shaktars Haus auf Nimmerwiedersehen.
Shaktar hatte seine Gedanken ein wenig schweifen lassen und so war er tatsächlich überrascht, als plötzlich die seltsame Stimme des Informationscomputers ertönte und ihn davon in Kenntnis setzte, dass die Landung auf dem Dach der Welt in sechshundert Sekunden stattfinden sollte. Nun zuckte Shaktar doch ein wenig zusammen, denn diese sechshundert Sekunden und ein bisschen was dazu waren es, die ihn noch von seiner Exekution trennten.
Im Gegensatz zu Sombra wurde Shaktar nicht abgeholt. Von einem ehemaligen Ersten Krieger, Obersten Techniker und Ratsherr erwartete man, dass er Format genug besaß, um ohne Geleit und ohne Kontrolle zum Ort seiner Exekution zu kommen.
Shaktars Zeit in der fliegenden Stadt war also abgelaufen. Shaktar griff nach seinem schwarzen Sack, hängte ihn sich über die Schulter und verließ das kleine Haus.
Er grinste ein wenig vor sich hin, als er das biometrische Türschloss aktivierte, das mit absoluter Sicherheit keinem anderen Wesen den Zutritt in das Haus gewähren würde, als ihm selbst. Sein Haus würde damit zu einem Mausoleum werden, das alle, die vorüber kamen an seinen einstigen Besitzer, den Ratsherr Shaktar erinnerte. Während Shaktars Amtszeit hatte es keine Exekution auf vergleichbarem Niveau gegeben, aber er war sich absolut sicher, dass er daran gedacht hätte, das biometrische Schloss zu modifizieren, ehe der alte Besitzer eliminiert wurde.
Auf Grund seiner Funktionen hatte ihm die Stadt ein Magmobil zur Verfügung gestellt. Shaktar stieg in das elegante, kleine Fahrzeug, sein Sack fand Platz auf dem zweiten Sitzplatz, der sich hinter ihm befand und Shaktar legte den Betriebsschalter um, der das Mobil zu einer sanft gleitenden Bewegung von mäßiger Geschwindigkeit beschleunigte, die ihn bequem und stressfrei zu jedem beliebigen Ziel in der Stadt brachte. Shaktar nannte der kleinen Steuereinheit des Mobils sein Ziel und lehnte sich bequem in der Sitzschale des Fahrzeugs zurück, denn die Fahrt erforderte keinerlei Aktivitäten von ihm selbst.
Wieder tauchte ein kleines Schmunzeln in Shaktars Gesicht auf. Es gab nur drei Dutzend dieser komfortablen Transporter in der Stadt und auch das Magmobil war auf Shaktars Profil biometrisiert und ausschließlich von ihm selbst nutzbar. Ohne seine Kooperation würde das Fahrzeug für alle Ewigkeit ungenutzt herum stehen müssen.
Der zukünftige Oberste Techniker würde gleich zu seinem Amtsantritt mit mindestens zwei ordentlichen Misserfolgen fertig werden müssen, denn die fliegende Stadt konnte es sich eigentlich nicht leisten, auf zwei so wertvolle Ressourcen wie Shaktars Haus und das Magmobil zu verzichten. Shaktar wusste nicht, wer aus dem Rat ihm in dieser Position nachfolgen würde, doch wenn er schon benannt war zeichnete er sich ganz sicher nicht durch besondere Schläue aus. Von diesen Überlegungen wurden Shaktars Gedanken praktisch nahtlos zu einem anderen, weit interessanteren und spektakuläreren Vorgang gelenkt.
Der Schlüssel zu den Antriebssystemen bestand ebenfalls aus einem biometrischen Code und in diesen Code waren unter anderem die Daten des Obersten Technikers und die des Ersten Kriegers integriert. Ohne diese beiden Codeschlüssel würden sowohl die Transportsysteme als auch die Waffensysteme der Stadt den Dienst verweigern.
Ob der Rat wenigstens an diesen Aspekt seines Urteils gedacht hatte?
Shaktar durchquerte alle neunzehn Ebenen der Stadt und wurde vom Magmobil hinunter zur untersten Base der Stadt gebracht, dorthin wo der gewaltige Hydrostempel aus der Hülle der Stadt gefahren werden konnte, um die Stadt sanft und weich auf einem festen Untergrund aufsetzen zu lassen. Im Bereich dieses Hydrostempels gab es vier kleine Schleusen, die ins Freie führten. Man hatte diese Schleusen in den letzten Jahrhunderten nicht mehr genutzt, denn niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Hydrostempel einer möglicherweise notwendigen Inspektion zu unterziehen. Die Schleusentore waren ursprünglich ebenfalls personifiziert gewesen, doch irgendein Techniker der Stadt hatte in einer fernen Vergangenheit beschlossen, diese Sicherheitsbarriere zu öffnen und hatte die Schleusen auf den Universalcode der Stadtbewohner umgestellt. Seither war es jedem Bewohner Ninives möglich, diese Schleusen zu öffnen und Ninive nach Gutdünken zu verlassen und wieder zu betreten. Die beiden einzigen Gründe, weshalb niemand von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, waren die Tatsache, dass nur wenige Menschen – Shaktar war einer von aktuell vier Bürgern, die über diesen Umstand informiert waren – davon Kenntnis besaßen und zum Andern hatte die Stadt seit der Flucht Falcons keine Landung mehr auf festem Untergrund durchgeführt.
Der Rat der Zwölf, zusammen mit dem neuen Ersten Krieger, war vollständig an dem Tor versammelt, das zu dem Raum mit den Schleusen führte und sie alle erwarteten Shaktar bereits gespannt. Sie konnten diesen Raum zwar auch ohne Shaktars Mitwirkung betreten, denn auch hier war bereits der Universalcode wirksam, doch den Ratsmitgliedern war alles, was mit Technik zu tun hatte fremd und unheimlich. Auch aus diesem Grund hatte wohl niemand daran gedacht, einen neuen Obersten Techniker zu berufen. Vielleicht waren sie der Meinung, die Stadt würde auch ohne einen solchen Obersten Techniker weiter funktionieren.
Shaktar schüttelte innerlich über so viel Ignoranz und Unwissenheit den Kopf und fragte sich, welchem Schicksal Ninive wohl entgegen steuern mochte, wenn er selbst die Stadt erst endgültig hinter sich gelassen hatte. Der Hass, den Shaktar verspürte, richtete sich – noch – nicht gegen die Stadt selbst sondern war auf den Rat der Zwölf und auf Nurmigo begrenzt. Die mehr als hunderttausend anderen Menschen und Mutanten hatten ihm nichts getan und würden ohnmächtig unter der Dummheit ihrer Führer leiden müssen.
Er kletterte aus dem Magmobil, hievte den Sack mit seinen Habseligkeiten über seine Schulter, rückte seinen Gürtel mit Schwert und Dolchen ein wenig zurecht, dann versiegelte er das Magmobil mit seinem Code und ging gemessenen Schrittes zu dem großen Tor aus Cortain, das den Zugang zu den Schleusen versperrte. Er legte seine Hand auf den Platz, der dem Obersten Techniker zugewiesen war, ein leises Zischen ertönte und dann glitt das mächtige Tor wie von Geisterhand geschoben zur Seite und gab den Durchgang in den riesigen Saal frei, in dem sich der Hydrostempel und die Schleusen befanden.
Shaktar betrat den Raum ohne zu zögern, durchquerte ihn und blieb dann vor der südlichen Schleuse stehen. Genau in diesem Augenblick ging es wie ein leises Seufzen durch den Raum, die weiß glänzende Keramikoberfläche des Hydrostempels zeigte, dass dieser sich zu bewegen begann, das Zischen von verdrängter Luft erfüllte den großen Raum und dann zeigte ein sanftes Ruckeln an, dass die Stadt butterweich auf der Spitze des Mount Everest aufgesetzt hatte.
Niemand in der Stadt verstand, wie dieses monströse fliegende Gebilde, das mehr als hunderttausend Menschen eine Heimat bildete, in der Lage war, ein solches Manöver auszuführen. Niemand, auch Shaktar nicht, begriff die mechanischen und energetischen Vorgänge, die hinter dieser – und hinter zahllosen anderen – Funktionen der fliegenden Stadt standen und welcher Art die Steuerung beschaffen sein musste, die diese Funktionen bewerkstelligte. Man nahm als gegeben hin, was seit nunmehr gut dreieinhalb Jahrtausenden das Leben und Überleben der Stadtbewohner sicherte und beschäftigte sich nicht weiter damit. Das gesamte Wissen, das mit den Funktionen der Stadt zusammen hing, stammte von den Alten und war für die Nachkömmlinge dieser Rasse ohnehin nicht nachvollziehbar. Man gab sich damit zufrieden, von der Stadt, ihren Maschinen, Einrichtungen und Fähigkeiten bedient zu werden, das Wissen, wie diese Bedienung zustande kam, wer wollte das schon haben? Nur Shaktar und ein paar wenige andere hatten beobachtet, wie sich gestörte Funktionen immer wieder selbst behoben, wie beschädigte Bauteile plötzlich wie von Geisterhand ausgetauscht worden waren und nur Shaktar hatte sich schon mehrfach gefragt, von welcher Art wohl die Intelligenz sein mochte, die hinter diesen überragenden Fähigkeiten steckte und was wohl geschehen würde, wenn diese Intelligenz eines Tages ausfiel. Irgendwann hatte allerdings auch er aufgehört, über diese Dinge nachzudenken, zumal auch er dabei zu keinem verwertbaren Ergebnis kam. Jetzt aber, da er Ninive wohl für immer verlassen würde, keimten diese Gedanken wieder in ihm auf und er fragte sich, wie diese Intelligenz reagieren mochte, wenn er, als ein über Jahrhunderte hinweg wesentlicher Bestandteil dieses Systems nicht mehr zur Verfügung stand. Er und seine Codierungen…
Die Mitglieder des Rates – nicht annähernd mit den Begebenheiten in dieser untersten Ebene so vertraut wie Shaktar – folgten ihrem verstoßenen Ersten nur zögerlich. Nurmigo war der forscheste unter ihnen, doch seine Triebfeder lag klar auf der Hand. Wenn Shaktar erst einmal durch die Schleuse in die Außenwelt verschwunden war, gab es keinerlei Hindernis mehr für ihn selbst um sich mit Falsett zusammen zu tun. Doch auch Nurmigo kam Shaktar nicht näher als zehn Schritte.
Shaktar stand vor der Schleusentür und nun fühlte er zum ersten Mal Panik in sich aufsteigen. Mit jedem Schritt den er getan hatte, war er dem Abgrund näher gekommen. Jetzt aber war er am Abgrund angekommen, es bedurfte nur noch eines einzigen Schrittes und dieser Abgrund würde Shaktar verschlingen, ohne jemals wieder etwas von ihm auszuscheiden.
„Delinquent! Bist bereit? Dann öffne die Tür, tritt in die Schleuse. Trage dein Schicksal wie es dem Mann gebührt, der du so viele Jahre lang innerhalb des Schutzes von Ninive gewesen bist.“
Shaktar kannte die Stimme, er musste sich dazu nicht umdrehen. Magranell, der Älteste Weise und Historiker der Stadt hatte zu ihm gesprochen. Mit seiner mild klingenden Greisenstimme hatte er schon zahllosen Delinquenten auf ihrem letzten Gang Mut zugesprochen und Trost, doch Shaktar wusste nur zu genau, dass Magranells Stimme ein angeborenes Talent war und nichts mit dem zu tun hatte, was dieser Mann tatsächlich fühlte und empfand. Magranell war tatsächlich härter als der härteste Kerastahl. Shaktar streckte seine rechte Hand aus und legte sie wiederum auf die für seine Funktion vorgesehene Stelle, worauf erneut ein sanftes Zischen erklang, die Schleuse wurde geflutet und im nächsten Augenblick würde sich die schmale Tür öffnen, damit er Ninive für immer verlassen konnte. Shaktars Magen zog sich zusammen, seine Eingeweide schienen zu einem eisigen Knoten zu werden, doch dann plötzlich wurde es ihm ganz leicht, denn er hörte Nurmigos Stimme in seinem Rücken und diese Stimme troff nur so von Häme und Schadenfreude und Genugtuung über die eigene, so deutlich verbesserte Situation.