Shattered - Dunkle Vergangenheit - Cynthia Eden - E-Book
SONDERANGEBOT

Shattered - Dunkle Vergangenheit E-Book

Cynthia Eden

0,0
5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein grausamer Verdacht, ein unwiderstehlicher Bad Boy und eine nervenaufreibende Jagd.

Kriminalpsychologin Dr. Sarah Jacobs kennt sich mit Bad Boys, die ins Gefängnis gehören, nur allzu gut aus. Aber es gibt da einen ganz speziellen Mann aus New Orleans Unterwelt, der an Skrupellosigkeit nicht zu übertreffen ist. Und dazu ist er unwiderstehlich.

Jax Fontaine hat nie behauptet, einer von den Guten zu sein. Er folgt seinen ganz eigenen Gesetzen und lässt keinen Zweifel daran, was er will. Ihn und Sarah mögen Welten trennen, aber wenn sie Haut an Haut zusammenliegen, zählt nichts außer der Leidenschaft zwischen ihnen.

Bis ein geistesgestörter Killer Sarah ins Visier nimmt ...

Lies jetzt den dritten Roman aus der LOST-Reihe und versinke in einer mitreißenden Geschichte voll knisternder Erotik und fesselnder Spannung.

»Genau so, wie romantische Spannung sein sollte - mitreißend, rasant und sehr sexy! Mit der LOST Agency hat Eden eine komplexe Gruppe von Charakteren geschaffen, die die Leserinnen lieben werden.« (Karen Rose - Nr.-1-New-York-Times-Bestsellerautorin)

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 444

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumPrologKapitel einsKapitel zweiKapitel dreiKapitel vierKapitel fünfKapitel sechsKapitel siebenKapitel achtKapitel neunKapitel zehnKapitel elfKapitel zwölfKapitel dreizehnKapitel vierzehnKapitel fünfzehnKapitel sechzehnKapitel siebzehnKapitel achtzehnEpilog

Über dieses Buch

Kriminalpsychologin Dr. Sarah Jacobs kennt sich mit Bad Boys, die ins Gefängnis gehören, nur allzu gut aus. Aber es gibt da einen ganz speziellen Mann aus New Orleans Unterwelt, der an Skrupellosigkeit nicht zu übertreffen ist. Und dazu ist er unwiderstehlich.

Jax Fontaine hat nie behauptet, einer von den Guten zu sein. Er folgt seinen ganz eigenen Gesetzen und lässt keinen Zweifel daran, was er will. Ihn und Sarah mögen Welten trennen, aber wenn sie Haut an Haut zusammenliegen, zählt nichts außer der Leidenschaft zwischen ihnen.

Bis ein geistesgestörter Killer Sarah ins Visier nimmt …

Über die Autorin

New York Times Bestsellerautorin Cynthia Eden schreibt düstere Romantic Suspense und sexy Paranormal-Romance-Romane.

Sie gehörte bereits drei Mal zu den Finalisten des RITA® Award – sowohl in den Kategorien Romantic Suspense als auch Paranormal Romance. Seit 2005 ist sie Vollzeitautorin und hat bislang über 70 Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht.

CYNTHIA EDEN

SHATTEREDDUNKLE VERGANGENHEIT

Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Neumann

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe

Copyright © 2015 by Cindy Roussos

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Twisted

Originalverlag: Avon Books

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Natalie Röllig

Lektorat/Projektmanagement: Rena Roßkamp

Übersetzung: Sabine Neumann

Titelgestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/Studio10Artur

ISBN 978-3-7325-3438-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Die sechsjährige Sarah Jacobs wurde von einem lauten Schrei geweckt. Sie fuhr erschrocken hoch. Ihr Herz raste, und das Echo des furchtbaren Schreis hallte noch immer in ihren Ohren wider. Ihr Zimmer lag im Dunkeln, aber das Mondlicht, das durch das Fenster hereingelangte, erhellte es ein wenig. Direkt neben ihr lag ihr Lieblingsteddy. Ihr Daddy legte ihn ihr immer ins Bett, bevor sie einschlief.

Sie drückte den Bären an sich und klammerte sich an ihm fest, während sie aus dem Bett schlüpfte. Der Dielenboden knarrte unter ihren Füßen. Sie wollte zu ihrem Daddy. Er half ihr immer, wenn sie schlecht geträumt hatte. Und das hier musste ein schlimmer Traum gewesen sein. Es –

»Hilfe!«

Der flehende Hilferuf ließ Sarah zusammenzucken. Der Teddybär entglitt ihrer Hand und fiel auf den Boden. Sarahs Finger zitterten, als sie den Türknauf berührten, und sie brauchte drei Versuche, um die Tür zu öffnen. Dann lief sie den Flur entlang auf das Geräusch zu. Es war eine Frau gewesen, die da um Hilfe schrie. So wie Sarahs Mommy damals. Bei diesem Autounfall. Sie hatte festgeklemmt, und Sarah hatte ihr nicht helfen können.

Der Schrei war wieder verstummt, aber er war eindeutig aus dem Keller gekommen. Die Kellertür war geschlossen, aber Sarah sah einen Lichtschimmer darunter hindurchscheinen. Wer war da im Keller? Warum rief die Frau um Hilfe?

Mit zitternden Fingern griff Sarah nach dem Türknauf. Doch im gleichen Augenblick ging die Tür von selbst auf. Sarah hielt erschrocken die Luft an, aber als sie hochsah, stand ihr Daddy vor ihr.

»Hallo, Süße«, sagte er mit einem breiten Lächeln im Gesicht. »Hast du schlecht geträumt?«

Sarah rieb sich die Augen. »Jemand schreit um Hilfe.«

Er bückte sich und hob sie hoch. Ihr Daddy war so groß und stark. »Nein, Süße. Niemand schreit hier. Überhaupt niemand.« Er trug sie zurück in ihr Zimmer und summte dabei leise vor sich hin. Das machte er oft. Er summte dieses Lied, und Sarah summte mit ihm. Dann waren sie wieder in ihrem Zimmer, und er legte sie ins Bett. Er deckte sie zu, hob ihren Teddy auf und setzte ihn neben sie. »Dieser alberne Bär«, sagte er mit einem Lächeln, das sie sogar in dem dunklen Raum deutlich sehen konnte. »Wollte er auf Wanderschaft gehen?«

Sarah kicherte.

Er küsste sie auf die Stirn. »Schlaf gut. Du bist hier in Sicherheit.«

Das sagte er ihr immer. Schlaf gut. Du bist hier in Sicherheit. Und das war sie, solange ihr Daddy in der Nähe war.

Sarah gähnte. Ihr Vater strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Wenn du heute Nacht noch etwas hörst, mach dir darüber keine Gedanken. Es zieht ein Gewitter auf. Daher kam sicher das Geräusch. Es donnert und blitzt. Äste streifen das Haus. Mehr nicht.«

Sie war schon fast wieder eingeschlafen.

»Bleib schön in deinem warmen Bett. Was auch immer du hörst, es ist nur der Sturm.«

Sie lächelte und kuschelte sich an ihren Teddy.

Ihr Daddy verließ das Zimmer.

Sie wurde müder und müder und –

»Hilfe!«

Sarah kniff die Augen zu. Das war nur das Gewitter. Ihr Daddy hatte gesagt, es sei nur das Gewitter. Und er log sie nie an.

***

Zwei Jahre später …

»Die Welt ist kein sicherer Ort, Süße.«

Sarah wirbelte und tanzte durch den Vorgarten. Ihr Daddy stand neben ihr und starrte hinaus auf die Straße. Er klang so ernst, dass sie innehielt.

»Es gibt schlechte Menschen da draußen.«

Sie hatte die Arme noch immer in die Luft gereckt. Jetzt ließ sie sie langsam sinken und sah ihren Vater an.

»Ich werde aber nicht zulassen, dass sie dir wehtun. Keine Angst.«

Nein, er würde niemals zulassen, dass ihr jemand Leid zufügte. Das wusste Sarah.

»Ich werde dir beibringen, stark zu sein. Und wie du die schlechten Menschen sofort erkennst.«

Sarah ging auf Zehenspitzen zu ihm hinüber. Sie trug ihr Ballettröckchen, das gegen ihre Beine wippte. »Wie erkenne ich sie?«

Er tippte ihr auf die Nasenspitze. »Manchmal ist das schwierig, weil sie aussehen wie du und ich.«

Sarah biss sich auf die Lippe. »Was tun die schlechten Menschen?«

»Sie lügen, Süße. Sie stehlen. Sie töten. Du musst für sie bereit sein. Ich werde dich auf sie vorbereiten.«

Sie seufzte erleichtert. »Danke, Daddy.« Er passte immer so gut auf sie auf.

»Es gibt zwei Arten von Menschen auf dieser Welt. Das wirst du noch lernen. Die Jäger und die Opfer.« Er sah sie an. Seine Augen waren genauso dunkel wie ihre eigenen. »Ich werde nicht zulassen, dass du jemals ein Opfer wirst.«

Sarah schüttelte den Kopf. Sie wollte kein Opfer sein.

»Das ist mein Mädchen.« Er lächelte sie an. Ihr Daddy war so ein schöner Mann. Das hörte sie immer all die Frauen sagen – die Frauen, die ständig versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und wenn er lächelte, schien sein ganzes Gesicht von innen heraus zu strahlen. »Ich mache dich zu der besten Jägerin überhaupt, Sarah.«

Sie lächelte breit. Sie wollte sein wie ihr Daddy.

Wenn er sagte, dass sie die beste Jägerin sein würde … dann würde sie genau das sein.

***

Acht Jahre später …

Irgendetwas im Haus roch seltsam. Sarah stand in der Küche. Mit nackten Füßen auf den kalten Fliesen. Es war ihr Geburtstag. Ihr sechzehnter. Sie hatte eine Party geplant. Ihre Freundinnen würden bei ihr übernachten.

Aber … irgendetwas stank hier im Haus.

Oh Mann, wie peinlich das wäre, wenn ihre Freundinnen das rochen. Sie würden sich über sie lustig machen! Das durfte auf keinen Fall passieren. Nicht an ihrem Geburtstag! Sarah griff nach dem Raumspray. Atmete tief ein. Hätte beinahe gewürgt. Furchtbar. Und der Geruch kam … aus dem Keller. Aus der Werkstatt ihres Vaters.

Hatte es einen Rohrbruch gegeben? Stand da unten alles unter Wasser? Schimmelte es irgendwo?

Sarah ging zur Kellertür. Öffnete sie. Dann hielt sie zögernd inne. Ihr Dad hatte ihr verboten, da runterzugehen. Er arbeitete an etwas und wollte nicht, dass sie alles durcheinanderbrachte.

Wenn das wirklich ein Rohrbruch war, herrscht da unten sowieso Chaos. Ich muss nachsehen.

Sarah ging weiter. Ihre Hand schloss sich um das Treppengeländer. Der Gestank wurde schlimmer. Wirklich widerlich. Sie eilte die Stufen hinunter und sprühte im Gehen mit dem Raumduft um sich.

Als sie die letzte Stufe erreichte, war der Gestank so unerträglich, dass sie einen Würgereiz unterdrücken musste. Es roch, als wäre hier unten irgendetwas gestorben. Oh, nein. Bitte lass es keine tote Ratte sein. Bitte.

Über ihr knarrte der Dielenboden. Dann hörte sie ihren Dad summen.

Oh gut, er war wieder da und hatte ihre Torte mitgebracht. Eigentlich hatte er vor ihr wieder zu Hause sein wollen, aber sie war schneller gewesen. Anscheinend nur ein paar Minuten. Jetzt konnte er runterkommen und sich um diesen Gestank kümmern.

Und meine Freundinnen werden nie etwas davon erfahren.

»Sarah?« Die Stimme ihres Vaters. »Sarah, komm her. Ich habe eine Überraschung für dich.«

Ihr Dad immer mit seinen Überraschungen! Sie sah zur Kellertür hoch. »Ich bin hier unten, Dad!«

Schweigen.

Sie drehte den Kopf und schaute sich im Dämmerlicht des Kellers um. Sie kniff die Augen zusammen und machte einen Schritt vorwärts. Da lag eine Art Sack. Groß und dick. Aus Jute.

»Sarah, du hast da unten nichts zu suchen.«

Sie zuckte zusammen. Ihr Vater stand direkt hinter ihr. Er war vollkommen geräuschlos die Treppe heruntergekommen. Sarah wirbelte herum, und ihr Herz raste in ihrer Brust. »Dad! Du hast mich erschreckt.«

Er lächelte nicht. Seine dunklen Augen funkelten. »Ich habe dir schon so oft gesagt: Du musst keine Angst haben. Der Rest der Welt …«

»… muss Angst haben.« Sie schüttelte den Kopf. Richtig. Das sagte er ihr immer wieder. Er wollte, dass sie sich wie ein Superstar fühlte, aber das war sie nicht. Sie war nur ein ganz normales Mädchen. Eins, das in letzter Zeit immer öfter in der Schule gehänselt wurde. Das hatte sie ihrem Dad natürlich nicht erzählt. Er wäre nur wütend geworden, wenn er gewusst hätte, dass sich Ryan Klein über sie lustig gemacht hatte, als sie im Sportunterricht über ihre eigenen Füße gestolpert war. Jetzt wurde sie von allen nur noch Stolper-Sarah genannt. Und wenn sie diesen Gestank nicht bald aus dem Haus bekamen, würde daraus ganz schnell Stinke-Sarah werden.

Sie deutete hinter sich. »Dad, ich glaube, es gab einen Rohrbruch oder so. Der Sack da drüben muss nass geworden sein. Es stinkt hier fürchterlich!«

Er ging weiter. Bewegte sich noch immer lautlos. Er war gut darin, keinen Lärm zu machen. Er hatte auch ihr gezeigt, wie man sich völlig geräuschlos bewegte. Er hatte ihr gezeigt, wie man schoss. Wie man kämpfte. Wie man jagte.

»Das ist eines deiner Geschenke. Eigentlich wollte ich es dir erst später zeigen. Wenn deine Freundinnen wieder weg sind.«

Ihr Geschenk war in diesem stinkenden Sack?

Sarah stellte das Raumspray ab und näherte sich langsam dem Jutesack.

Ihr Dad knipste die Lampe an, und der Keller wurde in ein schummeriges Licht gehüllt. Der Sack war nicht bloß nass. Die Flecken darauf waren so dunkel.

»Ich habe gehört, du hast Schwierigkeiten in der Schule.« Er kniff die Lippen zusammen. »Deine Lehrerin hat mich angerufen … und mir alles über diesen Jungen erzählt …«

Ihre Wangen brannten. »Das ist nichts, Dad. Ich komme mit ihm klar.«

»Er ist dafür bekannt, andere Kids zu hänseln. Er mobbt sie. Er ist älter als du. Also sollte er es besser wissen.«

Er war älter. Achtzehn. In der Abschlussklasse. Zwei Stufen über ihr.

»Ich komme mit ihm klar«, wiederholte sie.

Ihr Dad lächelte. »Das musst du nicht.«

Dann öffnete er den Sack.

Sarah starrte auf den Inhalt hinunter und hörte Schreie. Schreie in ihrer Erinnerung. Von vor so langer Zeit. Panische, verzweifelte Schreie –

Hilfe. Hilfe. Hilfe!

Aber dieses Mal war sie diejenige, die schrie. Sie kreischte und weinte, und dann krümmte sie sich zusammen. Ihr Magen krampfte, und sie übergab sich auf dem Kellerboden.

Ihr Vater nahm sie in den Arm.

»Schon okay, Süße. Ich bin da.« Er küsste sie auf die Schläfe. »Alles Liebe zum Geburtstag.«

Kapitel eins

Monster waren real, und für gewöhnlich zeigten sie sich in der Gestalt von Menschen.

Dr. Sarah Jacobs hatte den Großteil ihres bisherigen Erwachsenenlebens damit zugebracht, diese Monster zu jagen. Sie und das LOST-Team, eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, vermisste Menschen zu finden, hatten gerade ihren aktuellen Fall abgeschlossen. Sie hatten den Bösewicht gefasst, aber nicht, bevor er getötet hatte.

Noch mehr unschuldige Leben waren ausgelöscht worden.

Niemand ist wirklich unschuldig, hörte sie die Stimme ihres Vaters flüstern, als sie die belebten Straßen von New Orleans entlangeilte. Einige ihrer Kollegen waren ebenfalls noch in der Stadt, um ein paar Dinge zu klären. Bald würden sie alle ihre Zelte hier unten abbrechen und in ihr Büro in Atlanta zurückkehren.

Dort würde ein neuer Fall auf sie warten. Es gab immer einen neuen Fall.

Sarah beschleunigte ihre Schritte, als sie sich dem Hotel näherte. Der Pförtner stand vor der Tür, und ein erleichtertes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie hatte schon seit Tagen ein seltsames Gefühl. Als würde sie jemand beobachten. Sie hatte gelernt, niemals ihre Instinkte zu ignorieren, aber es gab gerade gar keinen Grund dafür, dass jemand ihr folgte. Nicht jetzt.

Sie grüßte den Pförtner flüchtig im Vorbeigehen. Dann betrat sie die Hotellobby. Ihre Absätze klapperten über den blank polierten Boden. Sie ließ die belebte Bar links liegen und eilte direkt auf den Aufzug zu. Sie hatte Glück: Er kam sofort und sie schlüpfte schnell hinein. Ich bin hier drin allein. Sie atmete erleichtert aus, während sich die Tür langsam schloss.

Da erschien eine Hand im Türspalt. Eine Männerhand, stark, gebräunt und tätowiert. Dunkle Tattoos rankten sich um die Knöchel. Die Hand bewegte sich, und die Aufzugtür öffnete sich wieder.

Sarah wich zurück und drückte sich an die hintere Wand des Fahrstuhls, als Jax Fontaine hereinkam. Sie kannte ihn. Leider. Sie wusste auch, dass dieser Mann nichts Gutes bedeutete. Sogar die Cops hielten sich normalerweise von ihm fern. Wenn sie nicht alles täuschte, hatten sie Angst vor ihm.

Und das kann ich ihnen nicht verübeln.

Gerüchten zufolge war Jax Fontaine ein sehr gefährlicher Mann. Einer, den man nicht zum Feind haben wollte.

Sie hatte ihn während ihres letzten Falls kennengelernt – und sie wusste, dass sie irgendeine Art von Interesse in ihm geweckt hatte.

»Hallo, hübsche Sarah«, sagte er mit einem unüberhörbaren New-Orleans-Akzent in der Stimme. Jax lächelte sie an. Gefährlich. Definitiv gefährlich.

Die Aufzugtür schloss sich hinter ihm.

Jax war groß, bestimmt an die 1,90 m, mit breiten Schultern und einem Körperbau, der darauf hindeutete, dass er viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte, wenn er nicht gerade irgendetwas im Schilde führte.

Der Typ sah aus wie ein gefallener Engel – einer, der ständig Leuten Angst machte. Sein Haar war blond, dicht und ein bisschen zu lang. Sein Gesicht – es war erschreckend perfekt. Fast schon zu schön. Er hatte ein starkes, markantes Kinn und eine gerade Nase, scharfe Wangenknochen und blaue Augen, die ihr direkt in die Seele blickten.

Und der Aufzug bewegt sich nicht.

Weil er die Stopptaste gedrückt hatte. Was. Zur. Hölle?

»Ich habe gehört, du verlässt die Stadt.«

Ihr Puls beschleunigte sich. Das passierte ständig, wenn er in ihrer Nähe war. Ihr Herz raste, ihr Atem ging schneller, und ihr Magen verkrampfte.

Jax schüttelte den Kopf. »Du haust ab, ohne dich von mir zu verabschieden?«

Sie lachte. Es war kein echtes Lachen. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sich ein echtes überhaupt anfühlte. Es war ein angespanntes, spöttisches Lachen, das ihr entfuhr. »Ist ja nicht so, als wären wir Freunde, Jax.« Sie waren höchstens gezwungenermaßen Verbündete gewesen während des letzten Falls. Jax hatte einiges über den Mörder gewusst.

»Warum sollten wir auch bloß Freunde sein? Wie langweilig.« Er musterte sie, und seine hellblauen Augen standen in Flammen, als sein Blick an Sarah hängen blieb. »Wir könnten so viel mehr sein als das.«

Sie presste die Hände gegen die Wand des Aufzugs. Aber es war keine Wand. Es war ein Spiegel. Der Aufzug war komplett verspiegelt. Sarah musste dringend etwas klarstellen: »Ich date keine gefährlichen Männer.«

Jax machte einen Schritt auf sie zu. Er bewegte sich anders als andere Männer. Es war kein Gehen, sondern vielmehr ein geschmeidiges Schleichen. Wie das einer Raubkatze – eines Raubtieres, das auf der Jagd war. Er hob die Hand und strich ihr mit seinen tätowierten Knöcheln über die Wange.

Sarah erstarrte unter seiner Berührung. Sie ging ihr wie ein elektrischer Schlag durch Mark und Bein.

»Wer hat denn was von einem Date gesagt?«, fragte Jax. Er lächelte sie an und zeigte dabei seine geraden, weißen Zähne. »Ich dachte eher, wir beide verbringen die nächsten sieben Stunden im Bett.«

Im Bett. Sie hob das Kinn. »Starten Sie den Aufzug.« Sie wusste genau, was für ein Riesenfehler es wäre, sich mit jemandem wie Jax einzulassen. Sarah verbrachte ihre Zeit lieber mit Männern, die Sicherheit bedeuteten. Die Gesetze achteten. Die nicht Gefahr und Adrenalin brauchten. Mit Männern, die keine Ahnung von all der Dunkelheit in der Welt hatten.

Sichere Männer.

Jax war das genaue Gegenteil. Und wenn sie nicht aufpasste, würde er ihr die Maske vom Gesicht reißen, die sie trug.

Als sie einatmete, glaubte sie, ihn zu schmecken. Er war so groß, dass sie sich in diesem Fahrstuhl wie ein Zwerg fühlte. Und sein maskuliner, derber Geruch hing in der Luft.

Sarah drückte sich gegen den Spiegel. »Starten Sie den Aufzug«, wiederholte sie.

Er musterte sie eindringlich mit seinen blauen Augen. »Hast du Angst vor mir?«

»Haben das nicht die meisten Menschen?«, gab sie zurück. Jedenfalls die schlauen?

»Ja, aber sie haben auch allen Grund dazu.« Er ließ die Hand sinken. »Du nicht. Ich würde dir niemals wehtun.«

Klar. Als würde sie ihm das abkaufen. Als Jax in die LOST-Ermittlungen hineingezogen worden war, hatte Sarah alles darangesetzt, so viel wie möglich über ihn herauszufinden. Aber so viele Fakten gab es gar nicht. Das meiste war nur Klatsch und Tratsch. Klar, sie hatte seine Akte gelesen, aber darin waren hauptsächlich Jugendstrafen zu finden. Seit er volljährig war, hatte Jax seine Spuren stets gut verwischt.

Er hatte auf der Straße gelebt, seit er ein Teenager gewesen war. Irgendwie schaffte er dann den Aufstieg und gewann in New Orleans an Einfluss. Ihm gehörten mehrere Firmen, und er hatte Kontakte im ganzen Land. Die Polizei von New Orleans war fest davon überzeugt, dass er ein Verbrecher war. Aber bisher hatte man ihm nichts nachweisen können.

Es ist so schwer, weil er Macht und Geld besitzt. Und er ist schlau. Er war clever, verschlagen und raffiniert – all das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er machte keine Fehler.

»Ich liebe es, wenn deine Gedanken sich so drehen«, murmelte er mit tiefer, knurrender Stimme. »Sagen Sie mir, Dr. Jacobs, erstellen Sie gerade ein Profil über mich?«

Sie legte ihm die Hand auf die Brust und schob ihn von sich weg. Er ließ es geschehen. Nicht weil sie so superstark war, sondern … verdammt, er spielte mit ihr.

Er wollte ihr das Gefühl geben, die Kontrolle zu haben.

Aber er liebt es, Macht über andere auszuüben.

Und, verdammt, natürlich erstellte sie insgeheim ein Profil. »Ich verstehe nicht, was das hier soll. Frauen im Aufzug festzuhalten ist wohl kaum eine angemessene Aufreißstrategie –«

Er lachte. Und dieses Lachen klang tatsächlich echt. Warm und derb – und es traf sie ins Mark.

»Seit wann ist zwischen uns irgendetwas angemessen?«, fragte Jax. Diese Stimme – sie war so tief und kratzig. So verdammt sexy. Sarah war hundertprozentig sicher, dass die Frauen bei ihm Schlange standen.

Doch sie war keine dieser Frauen. Oder zumindest kämpfte sie dagegen an.

Sarah ging zur Bedientafel und drückte auf den Knopf, der den Fahrstuhl in Bewegung setzte. »Sie haben Glück, dass niemand vom Sicherheitsdienst gekommen ist. Sie können nicht einfach so einen Aufzug anhalten«, murmelte sie, ohne ihn anzusehen. »Hören Sie, LOST weiß Ihre Mitarbeit sehr zu schätzen.« Na ja, bei ihren Kollegen war sie sich da nicht so sicher. Sie hielten nicht viel von Jax.

Und wahrscheinlich hatten sie damit recht.

»Aber der Fall ist abgeschlossen«, fuhr Sarah fort, »und wir brauchen Ihre …«

Die Tür öffnete sich. Sie atmete erleichtert aus und schloss: »Wir brauchen Ihre Hilfe nicht länger.« Sie trat aus dem Aufzug, straffte die Schultern und zwang sich, ihn anzusehen. Dann sagte sie mit fester Stimme: »Auf Wiedersehen, Jax.«

Er nahm ihre Hand. »Du weißt, dass wir zusammen Dynamit wären. Eine Berührung von dir reicht, und ich habe das Gefühl, in Flammen aufzugehen.«

Ihr ganzer Körper bebte, aber Sarah presste die Knie zusammen. »Diese Art von Verlangen ist gefährlich.«

»Ach, hübsche Sarah, diese Art von Verlangen macht süchtig.«

Ihr Zimmer war nur ein paar Meter entfernt. »Lassen Sie mich los.« Dieser Wahnsinn musste ein Ende nehmen. Denn genau das war es – Wahnsinn. Er war nicht der richtige Mann für sie. Noch nicht einmal für eine Nacht. Er löste etwas in ihr aus, brachte Sarah dazu, die Kontrolle aufzugeben, und genau das durfte nicht passieren. Sie bewegte sich sowieso auf einem viel zu schmalen Grat.

Sein Zeigefinger glitt die Innenseite ihres Handgelenks entlang. Ihr Puls raste unter seiner Berührung. Er beugte sich zu ihr, und sein Atem streifte ihr Ohr, als er fragte: »Wovor hast du solche Angst?«

Das würde sie ihm nie erzählen. »Auf Wiedersehen, Jax.«

Er ließ sie los. »Wenn du es dir anders überlegst, weißt du, wo du mich findest.«

Der Typ war so arrogant.

»Haben Sie wirklich geglaubt, ich würde mich Ihnen einfach so an den Hals schmeißen?« Ihre Haut glühte an der Stelle, wo er sie berührt hatte.

Jax verzog den Mund zu einem halben Lächeln. »Man wird ja wohl noch hoffen dürfen.«

Sarah schüttelte den Kopf. Dann drehte sie sich um und ging den Flur entlang.

»Dafür bin ich aber nicht hergekommen. Auch wenn es der Hammer gewesen wäre, dich zu vögeln.«

Sie ging langsamer.

»Ich wollte mit dir über deinen Job reden.«

Meinen Job? LOST?

»Wie entscheidet dein Boss, welchen Fall ihr annehmt?«

Neugierig geworden, drehte sie sich zu ihm um. »Wird irgendjemand vermisst?«

Jax zuckte mit den Achseln. »Ich habe nun mal meine Hausaufgaben gemacht, weißt du?«

Sarah verzog keine Miene. Wenn er Nachforschungen über die LOST-Agenten angestellt hatte, dann wusste er alles über diesen kranken Albtraum, der sich ihre Vergangenheit nannte.

»LOST kümmert sich um die ungeklärten Kriminalfälle, richtig? Die die Cops längst aufgegeben haben.«

Sarah nickte. Ihr Boss, Gabe Spencer, hatte LOST gegründet, um etwas zu bewirken. Als vor Jahren seine Schwester verschwunden war, war die Polizei keine große Hilfe gewesen. Gabe hatte Amy auf eigene Faust gefunden, aber er war zu spät gekommen. Der Mann, der sie entführt hatte, hatte sie kurz zuvor getötet.

»Eure Aufträge haben kein Verfallsdatum?«, fragte er. »Es ist egal, wie viel Zeit vergangen ist? Ihr kümmert euch trotzdem drum?«

»Wir hatten schon Fälle, in denen jemand seit über zehn Jahren verschwunden war.« Sie nannten sich nicht umsonst Last Option Search Team. Die meisten ihrer Kunden hatten es schon mit sämtlichen anderen Möglichkeiten versucht, wenn sie zu LOST kamen. Ohne Erfolg. Sie waren verzweifelt, und LOST war für sie die letzte Hoffnung. »Aber …« Und das musste er wissen, wenn er wirklich nach jemandem suchte, der vermisst wurde. »… je länger eine Person verschwunden ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, das Opfer … lebend zu finden.«

»Klar.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Darüber muss ich mir keine Gedanken machen.«

Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Jax?« Er hatte sie jetzt wirklich neugierig gemacht.

Aber er war schon wieder im Aufzug und schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Ich glaube, das war ein Fehler.« Dann zeigte er ihr wieder sein breites Grinsen. Dieses Grinsen, das die Frauen sicher reihenweise dazu brachte, ihre Höschen wegzuschmeißen. »Aber dich zu sehen ist natürlich immer ein Vergnügen.«

Er trug eine Maske. Eine, die seine wahren Gefühle verbarg. Dessen war sie ganz sicher. Für einen Augenblick hatte sie hinter diese Maske schauen dürfen, aber dieser Moment war vorbei.

»Komm gut nach Hause. Und wer weiß? Vielleicht kreuzen sich unsere Wege eines Tages noch mal.«

»Vielleicht.« Irgendetwas war seltsam. Sie zögerte und machte noch einen Schritt auf den Aufzug zu. »Jax?«

Aber die Schiebetür schloss sich bereits.

Sarah atmete tief durch. Okay, das war rätselhaft. So gut wie alles an Jax Fontaine war ein Rätsel. Das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte – vor ein paar Tagen –, hatte er ihr gesagt: »Wenn Sie mich brauchen, wissen Sie, wo Sie mich finden.«

Aber er war derjenige gewesen, der sie gefunden hatte. Und er hatte ihr Fragen gestellt, die sie an den Abgrund trieben.

Der Teppich verschluckte ihre Schritte, als sie zu ihrem Hotelzimmer hinübereilte. Vielleicht lag es daran, dass sie noch immer über Jax nachdachte, oder vielleicht war sie einfach nachlässig geworden, aber Sarah brauchte einen Augenblick zu lang, um zu kapieren, dass die Tür zu ihrem Zimmer nur angelehnt war. Sie blinzelte, starrte auf den Spalt und wich erschrocken zurück.

Aber die Tür wurde bereits aufgerissen. Ein Mann stand vor ihr. Ein Mann, der von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet war. Sie fuhr herum, aber er packte sie und zog Sarah zu sich ins Zimmer.

»Heute ist Zahltag.«

Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber bevor sie einen Ton rausbringen konnte, legte sich seine Hand auf ihre Lippen.

***

Normalerweise war Jax kein Feigling. Er hatte vor nichts und niemandem Angst. Aber …

Die Aufzugtür öffnete sich. Er trat in die Lobby hinaus. Sah sich um. Der Raum war voller reicher, wichtigtuerischer Menschen. Ja, er selbst galt dieser Tage wahrscheinlich auch als reich, aber er war ganz sicher nicht wichtigtuerisch, und er konnte den Anblick solcher Angeber nicht ertragen.

Der Marmorboden der Hotellobby glänzte. Sarah hatte während ihrer Zeit in New Orleans das Hotel gewechselt. Wahrscheinlich, weil sie sich in dem ersten nicht sicher gefühlt hatte.

Ich bin schließlich in ihr Hotelzimmer eingebrochen. Aber das war eine einmalige Sache gewesen. Er hatte unbedingt mit ihr reden müssen und hatte sich … Sorgen um sie gemacht.

Es gab nur eine Handvoll Menschen in Jax’ Leben, die ihm wichtig waren. Die meisten Leute waren ihm egal. Aber Sarah – mit ihren dunklen, geheimnisvollen Augen – ging ihm unter die Haut. Und er hätte ihr beinahe das größte Geheimnis seines Lebens anvertraut.

Na ja, eines der fünf größten Geheimnisse jedenfalls.

Er blieb stehen. Im Gegensatz zu all den Anzugträgern in der Lobby trug er Jeans und eine abgewetzte Jacke. Der Concierge sah ihn stirnrunzelnd an, aber als Jax zurückstarrte, war er plötzlich ganz schnell damit beschäftigt, irgendwelche Papiere zu sortieren.

Die Vergangenheit spielt keine Rolle mehr. Warum zur Hölle bin ich überhaupt hergekommen?

Er ging auf den Ausgang zu. Der Portier eilte zur Tür hinüber, um sie ihm aufzuhalten.

Aber …

Jax warf einen Blick zurück zum Aufzug. Die LOST-Agenten waren wirklich gut. Er hatte sie in Aktion erlebt. Er hatte Berichte über ihre Erfolge gelesen. Wenn jemand in der Lage war, für ihn die Wahrheit herauszufinden, dann waren sie es. Und die Einzige von ihnen, die sich vielleicht bei den anderen für ihn einsetzen würde?

Sarah.

»Verdammte Scheiße«, fluchte er.

Der Portier wich einen Schritt zurück.

Jax machte auf dem Absatz kehrt. Okay, dieses Mal würde er sie lieb und nett bitten. Das Problem war nur, dass er keine Ahnung hatte, wie man freundlich um etwas bat.

Vielleicht konnte die sexy Profilerin es ihm zeigen.

Er fuhr ein zweites Mal mit dem Fahrstuhl nach oben. Dieses Mal allein. Und doch hätte Jax schwören können, ihren leichten, süßlichen Duft zu riechen. Vanille? Ja, das war Sarahs Parfüm. Dieser Duft hatte ihn in der Nase gekitzelt, als er ihr nahe gekommen war – nahe genug, um sie zu küssen. Und verdammt, er hatte wirklich große Lust gehabt, sie zu küssen.

Der Duft hatte ihn erregt.

Er verließ den Aufzug auf Sarahs Etage. Im Flur war niemand zu sehen. Alle Türen waren geschlossen. Er kannte Sarahs Zimmernummer – es gab keine Information, an die er hier in New Orleans nicht herankam. Ein Telefonanruf reichte. Also ging er auf Zimmer 3809 zu, hob die Hand und klopfte.

Total höflich.

Von drinnen hörte er ein polterndes Geräusch. Als hätte Sarah etwas fallen gelassen.

Er zog die Augenbrauen hoch. Rechnete damit, dass sich ihre Schritte der Tür näherten. Aber nach dem Poltern drang kein weiteres Geräusch mehr aus dem Zimmer.

Er klopfte noch einmal. Lauter. »Sarah, wir müssen reden.«

Sie konnte ihn nicht einfach so ignorieren. Jax hatte nicht vor zu verschwinden, ehe er mit ihr gesprochen hatte.

***

Der Angreifer hielt Sarah ein Messer an die Kehle. Und gerade eben hatte er damit ihre Haut verletzt. Als Jax das erste Mal geklopft hatte.

Jax.

Er war jetzt ihre einzige Hoffnung.

»Ein Ton, und ich schlitze dir hier und jetzt die Kehle auf«, flüsterte der Mann hinter der Maske.

»Sarah, wir müssen reden.« Jax klang entschlossen. Und er klopfte noch einmal – dieses Mal energischer. Wenn er so weitermachte, würde er die Aufmerksamkeit ihrer Zimmernachbarn auf sich ziehen. Das wäre fantastisch.

Der Angreifer zog sie näher an sich, ohne das Messer von ihrem Hals zu nehmen. Er schob sie durch den Raum auf die Verbindungstür zu. Hatte er vor, sie durch das Nachbarzimmer hier rauszubringen? Oder vielleicht wollte er sie gar nicht aus dem Hotel schaffen. Vielleicht würde er sie an Ort und Stelle töten.

Zu dumm. Ich bin nämlich nicht bereit zu sterben.

Sie war schließlich bestens trainiert. Sie wusste, wie man überlebte.

Sie ließ langsam die Hände sinken und stieß im Vorbeigehen die Lampe vom Tisch. Genauso, wie sie eben »versehentlich« den Stuhl umgeschmissen hatte. Aber als die Lampe zu Boden fiel, ertönte ein deutlich lauteres Scheppern.

»Du Schlampe«, knurrte der Angreifer und riss sie herum, sodass er ihr ins Gesicht sehen konnte. »Ich werde dir so sehr wehtun –«

In diesem Augenblick wurde die Tür eingetreten. Ja, verdammt.

Aber das Messer war immer noch gefährlich nahe. Also rammte Sarah ihrem Angreifer den Kopf ins Gesicht. Er stöhnte auf und ließ dabei kurz die Hand mit dem Messer sinken. Sarah machte im gleichen Augenblick einen Satz zurück, als er mit dem Messer ausholte. Die Klinge schnitt in ihren Arm, und Sarah schrie auf vor Schmerz.

Dann war Jax bei ihr. Er zog sie hinter sich und schützte sie so vor dem Angreifer. Normalerweise war sie nicht der Typ Frau, der sich beschützen ließ, aber sie blutete und hatte Angst, und Jax stürzte sich bereits auf den Fremden.

Dessen Finger hatten sich jetzt wieder fest um das Messer geschlossen. Er sprang vorwärts und zielte mit der Klinge auf Jax.

Der hob die Hand und wehrte den Angriff ab. Dann brach Jax dem Mann das Handgelenk. Das schreckliche Geräusch, als die Knochen brachen, katapultierte Sarah für eine Sekunde zurück in die Vergangenheit. Sie kannte dieses Knacken nur zu gut.

Der Angreifer ging zu Boden. Jax war auf ihm, schlug auf ihn ein. Bearbeitete ihn mit den Fäusten.

Auf dem Flur waren jetzt Stimmen zu hören. In einem Hotel eine Tür einzutreten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, war unmöglich. Jemand rief nach dem Wachdienst – eine sehr gute Idee. Sarah hielt sich den verletzten Arm. Das Blut lief zwischen ihren Fingern hindurch. Der Schnitt war tief. Die Wunde musste genäht werden und –

Jax hielt den Angreifer auf dem Boden in Schach. Sie ging zu ihm hinüber und berührte ihn an der Schulter. Jax stoppte, bereit dazu, wieder auf den Typen einzuschlagen.

Der Mann wehrte sich nicht mehr. Er lag einfach da und stöhnte vor Schmerzen.

Jeder Atemzug fühlte sich eiskalt in Sarahs Lunge an. »Nehmen Sie ihm die Maske ab«, wies sie Jax an.

Er beugte sich über ihn und riss ihm die Maske vom Gesicht.

Das Böse hat so viele Gesichter, hörte sie die Stimme ihres Vaters flüstern. Deshalb kannst du niemandem trauen.

Der Mann, auf den sie jetzt hinunterstarrte, war fast noch ein Kind. Ein Junge, der wahrscheinlich nicht älter als achtzehn war. Seine Lippe blutete. Seine Nase auch. Sarah hatte keine Ahnung, ob er das ihrer Kopfnuss oder Jax’ Schlägen zu verdanken hatte, aber der Junge war ganz offensichtlich erledigt.

»Wer zur Hölle bist du?«, fuhr Jax ihn an. »Und was soll der ganze Scheiß?«

Der Junge versuchte, etwas zu sagen. Blut und Speichel flossen ihm aus dem Mund. Sarah konnte den Blick nicht von seinen leuchtend grünen Augen losreißen. Sie kamen ihr bekannt vor. Sie hatte diese Augen schon mal irgendwo gesehen …

»Die Schlampe ist böse …«, keuchte der Junge. »Genauso … wie … er …«

Er. Und jetzt wusste sie, woher sie ihren Angreifer kannte.

»Muss … sie töten … wie sie es … verdient …«

In dem Augenblick stürmten die Security-Angestellten ins Zimmer. Sarah bekam eine Gänsehaut. Sosehr sie sich auch bemühte, ihrer Vergangenheit zu entkommen – sie kehrte immer wieder zu ihr zurück. Und dieses Mal war sie mit einem Messer bewaffnet zurückgekommen. Mit einem scharfen Messer.

Jax stand auf. Er drehte sich zu ihr um, und seine blauen Augen funkelten vor Wut. Als er ihren blutenden Arm sah, fluchte er.

»Wir müssen die Polizei rufen«, sagte Sarah zum Security-Team. »Er hat mich angegriffen.« Ihre Stimme zitterte nicht. Brach nicht. Sie klang völlig emotionslos. Sie durfte sich keinen Gefühlsausbruch erlauben. Nicht jetzt. Nicht vor all den Leuten, die flüsternd auf dem Flur standen.

»Sie braucht einen Arzt«, bellte Jax. »Rufen Sie einen Krankenwagen!«

»Nein, ich –«, begann Sarah.

»Er hat dir den Arm aufgeschlitzt. Das muss genäht werden.« Er nahm ihre Hand. So vorsichtig, als hätte er Angst, sie zu verletzen.

Sie legte den Kopf in den Nacken und sah zu ihm hoch. Er war ihre Rettung gewesen. Er hatte die Tür eingetreten und sie vor Schlimmerem bewahrt. Wovor? Vor Folter? Vor dem Tod? »Danke.«

Er musterte sie. »Du kennst den Jungen, oder?«

Sie sah zu ihrem Angreifer hinüber. Das Security-Team hatte ihn umzingelt, und er lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Weinend. »Ich habe ihn noch nie im Leben gesehen.« Das stimmte. Aber selbst wenn nicht, würde Jax es nicht merken. Sie war schließlich eine Weltklasselügnerin.

Ich habe ihn noch nie gesehen … aber seine Augen schon.

Einige der Opfer ihres Vaters waren im Laufe der Jahre identifiziert worden. Sie besaß Fotos von ihnen – und von einem dieser Fotos kannte sie diese grünen Augen. Dieses Grün war außergewöhnlich. Aufsehenerregend. Unvergesslich. Diese Augen gehörten dem ersten Opfer ihres Vaters.

Gwen Guthrie.

***

Auf Polizeiwachen fühlte er sich grundsätzlich unwohl. Wahrscheinlich, weil er zu oft mit Cops aneinandergeriet. Sie sagten ihm dann, sie würden ihn in eine Zelle werfen. Und er erwiderte, sie sollten sich verpissen. So lief das normalerweise ab.

Wenn es nicht um Sarah gegangen wäre, hätte Jax keinen Fuß in die Polizeistation gesetzt. Aber er war an ihrer Seite geblieben, während sie genäht wurde, und auch danach sträubte sich alles in ihm dagegen, sie allein zu lassen, obwohl sie jetzt mehr als genügend Leute zu ihrem Schutz um sich hatte.

»Wir kümmern uns darum.« Jax erstarrte beim Klang dieser Stimme. Er kannte sie. Jax drehte sich um und sah einen der LOST-Agenten auf sich zukommen. Wade Monroe. Er bewegte sich langsam durch den Flur, und seinem wachsamen Blick entging nichts. Jax wusste, dass Wade in Atlanta als Cop gearbeitet hatte und dass er – wie das restliche LOST-Team – nicht gerade gut auf Jax zu sprechen war.

Sein Fehler.

»Was zum Teufel ist passiert?«, knurrte Wade, als er schließlich vor Jax stand. »Was haben Sie ihr angetan?« Er packte ihn am Kragen.

Jax sah auf Wades Hand hinunter. Er war ein Freund von Sarah, das durfte er nicht vergessen. Und das gesamte LOST-Team hatte alles dafür getan, Jax’ Freundin Emma Castille zu beschützen. Emma war vor Kurzem in eine richtig beschissene Situation hineingezogen worden, und LOST hatte ihr geholfen. Also war Jax Wade und den anderen etwas Nachsicht schuldig.

Ein winziges bisschen.

»Ich habe sie gerettet«, knurrte Jax und verstärkte dabei absichtlich seinen Südstaatenakzent. Diesen Akzent konnte er nach Belieben aufnehmen oder ablegen. Er war nicht in Louisiana geboren, aber er mochte diese Art zu reden. »Ich bin der Ritter in schimmernder Rüstung, der der Prinzessin zu Hilfe geeilt ist.«

»Bullshit«, fauchte Wade.

Jax verzog den Mund.

»Sie und ich wissen beide, was Sie mit Kevin McCormack gemacht haben.«

Jax zog eine Augenbraue hoch. »McCormack? Ach so, Sie meinen den irren FBI-Agenten, der versucht hat, Ihren Kumpel Dean Bannon und meine … Freundin Emma zu töten.«

McCormack war ein krankes Arschloch gewesen. Er hatte seine Opfer entführt und gefoltert, und er hatte geglaubt, Emma einfach auf seine Liste setzen zu können. Aber er hatte nicht kapiert, dass Emma für Jax Teil der Familie war. Teil der sehr kleinen Familie, die er hatte.

»Sie haben ihn töten lassen, oder?«, bohrte Wade. »Haben Ihre dubiosen Kontakte spielen lassen, um ihn umzulegen.«

Als hätte er diese Anschuldigungen nicht schon zur Genüge gehört. »Stellen Sie sich vor: Als FBI-Agent hat man im Knast nicht gerade viele Freunde. Und wenn man dann noch so ein kranker, wahnsinniger Freak ist wie McCormack, muss man sich nicht wundern, wenn man das nicht überlebt.« Ein Problem weniger für mich.

Wade hielt seinem Blick stand. »Was ist da heute Abend passiert?«

Okay, immerhin wechselte er jetzt das Thema. »Ich habe Sarah gerettet.« Er rieb sich das Kinn. »Glauben Sie, sie wird sich dafür erkenntlich zeigen? Ich hoffe es doch.«

Wade knurrte. »Ist es Ihnen nicht zu blöd, ständig das Arschloch zu spielen?«

»Nicht wirklich.«

Aber über Wades Schulter hinweg hatte Jax Sarah entdeckt. Sie kam auf sie zugeeilt, und selbst im harschen Neonlicht der Polizeiwache sah diese Frau einfach nur umwerfend aus.

Das lange, dunkle Haar fiel ihr über die Schultern und bildete den perfekten Rahmen für ihr zartes, herzförmiges Gesicht. Ja, zart war das richtige Wort. Sarah war klein und zierlich, schmal gebaut mit grazilen Kurven. Sie hatte volle, perfekt geformte Lippen. Für ihn das vollkommene Gesamtpaket, wie gemacht für Sünde und Verführung.

Aber es waren ihre Augen – diese unglaublichen Augen –, die ihn voll und ganz in ihren Bann zogen.

Tief und dunkel. In ihnen konnte ein Mann seine Seele verlieren. Vorausgesetzt, er hatte eine.

Ja, sie war perfekt. Jeder Zentimeter ihrer 1,55 Meter. Und als er gesehen hatte, was dieser Bastard in ihrem Hotelzimmer mit ihr getan hatte, war er durchgedreht.

Jax ging um Wade herum. Musterte Sarah. Sie war zu blass. Normalerweise hatte ihre Haut einen goldenen Unterton. Jetzt war sie aschfahl. Ihre Lippen waren farblos, und ihr Blick wirkte zu harsch, als sie seinen erwiderte.

»Sarah!«, rief Wade. »Endlich. Was zur Hölle ist hier los?«

»Ach, nur das Übliche.« Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Jemand ist in mein Hotelzimmer eingebrochen, hat ein Messer gezogen und gemeint, ich hätte es verdient zu sterben.«

Wade fluchte.

»Aber zum Glück«, fuhr Sarah fort, »war Jax da.«

Wade starrte ihn ungläubig an. »Hab ich doch gesagt«, meinte Jax schulterzuckend. »Ich habe sie gerettet.« Er hielt Sarah die Hand hin. »Du siehst aus, als würdest du gleich zusammenbrechen. Komm mit mir nach Hause. Ich habe ein schönes, warmes Bett für dich.«

Wade schlug Jax’ Hand weg. »Halten Sie Abstand, Fontaine.«

Wade würde ein Problem darstellen.

»Das Angebot steht«, sagte Jax leise zu Sarah. Nur damit das klar war.

»Verpissen Sie sich!«, brüllte Wade ihn an. »Wann kapieren Sie das endlich? Sarah steht nicht auf Männer wie Sie.«

Oh, und ob. »Auf jeden Fall steht sie nicht auf Sie«, murmelte Jax.

Wade stürzte auf ihn zu, aber Sarah war schneller. Sie stellte sich zwischen die beiden Männer. »Ich bin nicht in der Stimmung für so was.« Sie sprach leise. »Mein Arm tut weh, ich wurde gerade von den Cops in die Mangel genommen, und mein Kopf fühlt sich an, als würde er explodieren. Das Letzte, was ich jetzt noch brauche, ist ein dämlicher Testosteronkampf.«

Wade errötete.

»Jax hat mir heute Abend echt geholfen. Ich bin ihm sehr dankbar.« Sie sah zu ihm hoch. »Ich … ich will gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn Sie nicht da gewesen wären.«

Er wollte sich das auch nicht vorstellen. Jax streckte die Hand aus und berührte ihr Kinn. »Wer war der Typ?«

»Sein Name ist … Eddie Guthrie.«

»Ach, verdammt«, fluchte Wade. »Es tut mir leid, Sarah.«

Anscheinend sagte ihm der Name etwas. Jax hingegen hatte keine Ahnung.

»Hat er dich schon mal belästigt?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.« Ihre Stimme wurde leiser, als sie fortfuhr: »Er hat einen Artikel über mich in der Zeitung gelesen – über unseren Fall hier unten. Er hat mein Foto gesehen und die Verbindung hergestellt. Ich wusste nicht, dass er hier lebt. Ich hatte keine Ahnung.«

Jax war verwirrt. »Warum wollte er dich töten?«

Sarah hob das Kinn, entzog sich seiner Hand. »Als hätten Sie nicht längst in meiner Vergangenheit herumgewühlt.«

Hatte er, aber –

»Der Junge da drinnen – Eddie – dachte sich: Auge um Auge.« Sie sprach mit fester Stimme, aber sie zitterte. Wade zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern.

Dieser nervige Gentlemantyp. Ich hätte ihr meine Jacke geben sollen, verdammt.

»Mein Vater hat seine Mutter getötet. Er hat sie stundenlang gefoltert, bevor er ihren Qualen ein Ende bereitete.«

Jax sog scharf Luft ein.

»Als Eddie herausgefunden hat, dass ich in der Stadt bin, wollte er anscheinend die Gelegenheit nutzen und sich an meinem Vater rächen … indem er mich tötet.« Sie lächelte traurig. »Auge um Auge. Ein Leben für ein Leben.«

»Sarah.« Wade legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es tut mir so leid.«

»Mir auch. Weil Eddie jetzt ins Gefängnis wandert. Er sieht so jung aus, aber er ist schon einundzwanzig. Also keine Jugendstrafe für ihn.« Sie runzelte die Stirn. »Ich bezweifle, dass es ihm besser gehen wird, wenn er wieder rauskommt.«

Mein Vater hat seine Mutter getötet.

»Es wird Zeit, die Stadt zu verlassen«, sagte Sarah. Sie blickte Jax an. »Wie kann ich Ihnen nur danken?«

Niemand sollte solche Augen haben wie sie. »Keine Angst«, hörte Jax sich selbst murmeln. »Ich bin sicher, mir fällt da etwas ein …«

Kapitel zwei

Es war fast drei Uhr nachts, als Sarah in einer Gegend von New Orleans aus dem Taxi stieg, in der sie nicht hätte sein sollen. Sie hätte in ihrem schicken neuen Hotelzimmer im Bett liegen und sich von dem Security-Team bewachen lassen sollen.

Stattdessen stand sie vor einer kleinen, heruntergekommenen Bar, dem Shade. Als sie die Straße überquerte und sich dem Gebäude näherte, pfiff ihr irgendjemand hinterher.

Sie wusste, sie hätte nicht hier sein sollen.

Die Vergangenheit ist heute Nacht zu stark. Ich muss ihr entkommen, bevor ich völlig durchdrehe.

Wade war ein wirklich guter Freund, und er hatte versucht nachzuempfinden, was sie durchmachte, aber die Sache war … er konnte sie niemals wirklich verstehen. Niemand konnte das.

Ein Türsteher stand neben dem Eingang der Bar. Und selbst um diese Uhrzeit wartete noch immer eine lange Schlange Feierwütiger darauf, eingelassen zu werden. Verdammt, sie hatte nicht damit gerechnet, dass hier so viele Leute unterwegs waren. Wenn sie sich an dieser Schlange anstellte, würde sie niemals reinkommen. Sarah machte ein paar Schritte vorwärts, und als sie wieder hochsah, merkte sie, dass der Blick des Türstehers auf ihr ruhte.

Er war riesig, ein echter Schrank, und trug eine lange, dicke Narbe auf der Schläfe, die sich über dem linken Auge entlangzog und durch die Braue verlief. Wer oder was auch immer diese Narbe verursacht hatte – es war ein Wunder, dass der Typ nicht sein Auge verloren hatte.

Er baute sich vor ihr auf, und Sarah musste den Kopf weit in den Nacken legen, um zu ihm hochzusehen.

»Sie gehören hier nicht hin«, stellte er fest, während er sie musterte.

Sie trug Jeans und ein T-Shirt. Turnschuhe. Ihre Haare fielen ihr offen über die Schultern. Sie hatte weder die Zeit noch die Lust gehabt, sie zu frisieren. Eine leichte Jacke bedeckte ihre Arme, sodass niemand den stylishen Verband sah, den sie trug.

Klar, das hier war kein Ort, an dem sie sich sonst aufhielt. Genauer gesagt machte Sarah normalerweise einen großen Bogen um Bars jeglicher Art, aber … »Ich muss mit Jax reden.«

»Dunkle Haare. Schokoladenaugen. Sex-Appeal.« Der Mann pfiff durch die Zähne. »Sie sind Sarah.«

Äh, okay.

»Ich kenne Sie.«

Ach wirklich? »Und Sie sind?«

»Carlos.«

Großartig. Dieser Carlos winkte jetzt einen Kollegen aus dem Inneren der Bar heran, der ihn als Türsteher ablöste.

»Mir wurde gesagt, dass ich Sie auf jeden Fall reinlassen soll.«

Jax hatte gewusst, dass sie hier auftauchen würde?

Carlos nahm sie mit in die Bar. Laute Musik. Stimmengewirr. Drinks flossen in Strömen. Auf einer kleinen Bühne schwang eine Tänzerin die Hüften. Als sie sich an der Poledance-Stange rekelte, schaute Sarah schnell weg.

»Hier entlang.« Carlos führte sie nicht zur Theke, sondern zu einer Tür auf der Rückseite des Raumes. »Jax ist da drin.« Er streckte die Hand nach dem Türknauf aus.

Sarah hielt ihn zurück. »Ist er allein?« Vielleicht hätte sie lieber im Vorfeld darüber nachdenken sollen. Sie wollte nicht da reinplatzen und Jax in Gesellschaft einer halb nackten Tussi vorfinden – so wie diese Frau auf der Bühne. Er hatte zwar gesagt, sie solle vorbeikommen … aber ich will ihn nicht mit einer anderen sehen.

»Spielt das eine Rolle?«, fragte Carlos und legte den Kopf schief, während er sie musterte.

»Ähm, ja. Eine ziemlich große sogar.« Sie drehte sich um und sah zurück zur Theke. Da war noch ein freier Platz, der sie geradezu anlächelte. »Ich glaube, ich warte einfach da drüben auf ihn.«

Aber Carlos hatte bereits die Tür aufgestoßen. »Jax! Sie ist hier!«, brüllte er so laut, dass es Sarah fast in den Ohren wehtat.

Jax wirbelte herum. Seine Augen weiteten sich, als er sie sah.

»Äh, hallo Jax«, murmelte Sarah.

Er war allein, Gott sei Dank. Keine halb nackte Frau in Sicht.

Die Tür fiel hinter ihr zu. Ihr Begleiter war ganz schnell verschwunden.

Jax kam auf sie zu. »Was machst du hier?«

»Ich –« Sie verstummte und versuchte fieberhaft, sich irgendeine halbwegs glaubwürdige Erklärung einfallen zu lassen. Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen. Ich kann nicht schlafen. Jedes Mal, wenn ich versuche, die Augen zu schließen, sehe ich das Gesicht meines Vaters vor mir. Höre Schreie. Und ich frage mich, ob Eddie wirklich so danebenlag mit seinem Versuch, mich umzubringen. Weil ich genauso ein Monster bin wie mein Vater.

Vielleicht sogar ein Schlimmeres.

Darüber konnte sie mit ihren Freunden bei LOST nicht reden. Sie würden es nicht verstehen. Wade fasste sie sowieso ständig mit Samthandschuhen an. Ihre engste Vertraute im Team – Victoria Palmer – erholte sich noch immer von den Verletzungen, die sie während ihres letzten Falls erlitten hatte. An sie konnte sich Sarah auch nicht wenden.

Keiner ihrer Freunde verstand ihre Vergangenheit. Klar, sie hatten Mitleid. Sie hatten ihr so oft gesagt, wie leid ihnen all das tat, was sie hatte durchmachen müssen. Aber sie verstanden es nicht. Und ihr Mitleid machte sie wahnsinnig.

Jax starrte sie mit seinen leuchtend blauen Augen an. Und in ihnen war keine Spur von Mitleid zu erkennen.

»Ich sollte nicht hier sein.« Das war die Wahrheit. »Du bist gefährlich, du bist zu sexy und du hast da draußen eine Stripperin, die nackt auf einer Bühne tanzt.«

Er zog die Augenbrauen hoch. Dann lachte er. Laut.

Sie starrte ihn an.

»Und was davon«, murmelte er schließlich, »stört dich am meisten?«

Sarah rieb sich die Arme und begann, in dem kleinen Büro auf und ab zu gehen. »Warum hast du überhaupt diese Bar? So eine abgewrackte Kaschemme?«

Er schien einen Augenblick lang über die Frage nachzudenken. Dann antwortete er: »Als ich achtzehn war, habe ich vor diesem Gebäude um Geld gebettelt.«

Sie blieb stehen. Drehte den Kopf und sah ihn an.

»Der Besitzer kam raus und sagte, er hätte etwas für mich. Ich war am Verhungern und völlig verzweifelt. Er hat mich mit in den Hinterhof genommen.«

Sie wartete. Der Besitzer hatte ihm geholfen? Hatte er –

»Dort hat er die Scheiße aus mir rausgeprügelt und mich angebrüllt, dass ich mich nie wieder hier blicken lassen und seine Gäste belästigen solle.«

Das hatte sie nicht erwartet. Sarah schüttelte den Kopf. »Was für ein Bastard!«

Jax vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans. »Oh ja, das war er. Aber keine Sorge, der Typ hat genau das gekriegt, was er verdient.«

»Und das war …?« Sarah traute sich kaum, diese Frage zu stellen.

»Ich habe mich von den Verletzungen erholt. Ich hatte das Glück, dass mich jemand gefunden und ins Krankenhaus gebracht hat.«

Er redete darüber, als wäre das alles keine große Sache, aber sie wusste, dass es eine furchtbare Erfahrung für ihn gewesen sein musste. Er war so jung gewesen …

»Als ich wieder fit war, habe ich mir geschworen, nie wieder in meinem Leben um irgendetwas zu betteln.« Er war zu ihr herübergekommen, stand jetzt direkt vor ihr. »Ich habe jeden Job angenommen, den ich finden konnte. Und nein, nicht jeder davon war legal. Ich habe mich hochgearbeitet, bis niemand mehr an mir vorbeikam, und an meinem einundzwanzigsten Geburtstag habe ich diese Bar und vier andere gekauft.« Er lächelte kalt. »Am gleichen Tag habe ich den Vorbesitzer mit nach hinten genommen. Ihm gesagt, ich hätte etwas für ihn …«

Sie leckte sich über die Lippen. »Ich denke, ich weiß jetzt, wie die Geschichte ausgeht.«

»Er hatte gerade zwei seiner Tänzerinnen so übel verprügelt, dass sie kaum noch laufen konnten. Ich habe mir gedacht, es wäre an der Zeit, dass er mal ein bisschen was zurückbekommt.« Jax hob die Achseln. »Also habe ich es ihm zurückgezahlt. Mit Zinsen.«

Sie schielte zur Tür hinüber. Es war ein Riesenfehler gewesen herzukommen.

»Sarah.«

Ihr Blick wanderte zurück zu ihm.

»Du verurteilst mich nicht«, murmelte er. »Du bist nicht wütend oder angewidert, weil ich so ein kalter Bastard bin. Ich sehe bei dir kein Mitleid für den Jungen, der in einem dreckigen Hinterhof halb totgeprügelt wurde.«

»Du hast keine Ahnung, was ich fühle und was nicht.«

»Wirklich nicht? Ich glaube, ich verstehe dich sogar sehr, sehr gut.«

Sarah wich einen Schritt zurück.

Er lächelte leise. »Sie war vom ersten Augenblick da, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Diese Verbindung. Das geschieht nicht oft. Ehrlich gesagt, ist es mir noch nie passiert. Ich habe dich gesehen und gedacht –«

Sarah floh förmlich in Richtung Tür.

Aber er hielt sie fest. Schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Überhaupt nicht hart oder brutal. Vielmehr unendlich sanft.

»Weißt du, was ich gesehen habe, als ich dir in die Augen geschaut habe?«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sarah schüttelte den Kopf.

»Du hast gelitten. Hast versucht, deinen Schmerz zu verstecken, aber ich habe ihn trotzdem gesehen. Ich habe dich angeschaut und gedacht: Ich will nicht, dass sie jemals wieder leiden muss.«

Tränen brannten in ihren Augen. »Du kennst mich nicht. Du weißt nicht, was ich getan habe.«

Jax glaubte, seine eigene Vergangenheit wäre schlimm? Sie war nichts verglichen mit ihrer. Sie hatte noch immer Albträume, die sie nachts hochschrecken ließen und ihr den Atem raubten. Die sie um Hilfe wimmern ließen.

Hilfe, die nicht gekommen war. Nicht rechtzeitig.

»Sag mir, warum du hier bist, Sarah.«

Sie atmete tief durch und entschied sich für die Wahrheit. »Weil ich nicht hellwach und verängstigt im Bett liegen wollte. Weil ich nicht über die Vergangenheit nachdenken wollte. Und auch nicht über die Zukunft.« Denn sie hatte diese Verbindung zwischen ihnen auch gefühlt.

Als sie ihn zum ersten Mal gesehen und ihm in die Augen geblickt hatte, hatte sie gedacht –

Er kommt mit der Dunkelheit in mir klar. Egal was ich ihm erzähle, er wird niemals Angst haben.

Sein Blick hatte ihr gesagt, dass er selbst schon durch die Hölle gegangen war … und die Dämonen darin ihm scheißegal gewesen waren.

Er drehte sie zu sich herum. Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. Er war so warm und stark. Und er löste etwas in ihr aus … ein Verlangen. Eine Sehnsucht nach Dingen, die sie sich selbst so lange verboten hatte.

Denn sie wollte niemandem nahekommen. Niemanden an sich heranlassen. Sie konnte keinem ihre Geheimnisse anvertrauen.

Sie traute ihm nicht. Das wäre dämlich gewesen. Aber – sie wollte ihn. Und ihr Instinkt sagte ihr – schrie sie förmlich an –, dass Jax Fontaine ihr das sinnliche Vergessen schenken konnte, nach dem sie sich so sehr sehnte.

Nur ein paar Stunden lang alles andere vergessen. Ein paar Stunden lang so tun, als wäre ich nicht der Freak. Das Monster, vor dem jeder Angst hat.

»Was willst du von mir?«, fragte Jax.

Nur eine Nacht. Sie würde New Orleans bald verlassen, in ein Flugzeug steigen und in ihr kleines Haus am Stadtrand von Atlanta zurückkehren. Sie würden sich nie wiedersehen. Niemand würde davon erfahren. Nur sie würde es wissen.

Und er.

Also stellte sie sich auf die Zehenspitzen. Schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich herunter. Und dann küsste Sarah ihn. Er hielt den Mund geschlossen und blieb stocksteif stehen. Sie hatte mehr erwartet. Denn wenn sie in seiner Nähe war, fühlte sie diese angespannte, brodelnde Energie, die durch ihre Adern pulsierte. Sie hatte geglaubt –

»So nicht, Prinzessin.« Seine Hände schlossen sich um ihre Taille. Er hob sie hoch, trug sie durch den Raum und setzte sie auf die Kante seines Schreibtischs. Dann trat er zwischen ihre Schenkel, legte die Hände auf ihre Beine und zog sie gegen seine wachsende Erregung. »So.«

Dann küsste er sie.

Der Kuss war innig, heiß, leidenschaftlich. Er spielte nicht nur mit ihrer Zunge, er nahm sie sich. Sie stöhnte auf. Explodierte innerlich vor Verlangen. So heiß. So elektrisierend. So perfekt. Denn dieser Kuss schob all ihre Gedanken beiseite. Sarah ließ ihre Ängste los und klammerte sich, so fest sie konnte, an Jax.