SHINIGAMI - M. H. Steinmetz - E-Book

SHINIGAMI E-Book

M. H. Steinmetz

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Beschreibung

 Die Söldnerin Ghost lebt am Limit. Der Anruf ihres Dealers verspricht einen Job, der sie zurück in den New Babylon Megaplex führt, wo Seelen in Chrom gewogen werden und holografische Geishas überhöhten Göttern gleichen. Dazu muss sie nur die Netrunnerin Amy töten. Rein. Kugel in den Kopf. Raus. Absolut easy. Doch die Götter des Cyberspace haben andere Pläne. In einer total vernetzten Welt, mit Neuroprozessoren im Schädel und durch Implantate übers Limit getunten Körpern schicken sie Amy und Ghost auf einen Höllenritt zwischen Realität und virtuellem Pantheon. Und dann ist da noch diese ominöse Katze, die sich selbst Wichian Mat nennt … Ein spannender Cyberspace-Roman für alle, die Sci-Fi lieben.  

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M. H. Steinmetz, Azrael ap Cwanderay

SHINIGAMI

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Intro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

SHINIGAMI

 

von

 

M. H. Steinmetz

 

 

 

 

 

 

 

 

Vollständige Ausgabe 2021

Copyright © Hammer Boox, Bad Krozingen

Lektorat / Korrektorat:

Hammer Boox, Bad Krozingen

 (Fehler sind völlig beabsichtigt und dürfen ohne Aufpreis

behalten werden)

Titelbild: Azrael ap Cwanderay

Satz und Layout: Hammer Boox

 

Copyright © der einzelnen Beiträge bei den Autoren

 

12 / 21 - 33

 

 

 

 

 

EINE BITTE:

 

Wie ihr vielleicht wisst, ist HAMMER BOOKS noch ein sehr junger Verlag.

Nicht nur deshalb freuen wir uns alle, wenn ihr uns wissen lasst, was ihr von diesem Roman haltet.

Schreibt eine Rezension, redet darüber,

fragt uns, wenn ihr etwas wissen wollt...

 

 

 

 

Widmung

 

 

 

 

Widmung

 

Dieses Buch widme ich meiner Tochter Finya. Du allein bestimmst deinen Weg und niemand sonst.

 

 

 

Dank

 

Lieber Markus. Ich bin dir von Herzen dankbar für die Chance, mir bei Hammer Boox den Einstieg in ein neues Genre zu ermöglichen.

Liebsten Dank an Finya Salome Steinmetz für die Bleistift-Illustrationen der beiden Protagonistinnen.

Hier liegt es also vor euch, das erste Papa-Tochter-Projekt.

 

 

Begrifferklärung

 

 

Künstliche Intelligenz (KI), auch artifizielle Intelligenz (AI bzw. A. I.), englisch artificial intelligence (AI bzw. A. I.) ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen befasst. Der Begriff ist schwer definierbar, da es an der genauen Definition von »Intelligenz« mangelt. Dennoch wird er in Forschung und Entwicklung verwendet.

Meist bezeichnet künstliche Intelligenz den Versuch, bestimmte Entscheidungsstrukturen des Menschen nachzubilden, indem ein Computer derart gebaut und programmiert wird, dass er eigenständig Probleme bearbeiten kann.

Im Verständnis des Begriffs künstliche Intelligenz spiegelt sich oft die aus der Aufklärung stammende Vorstellung vom »Menschen als Maschine« wider, dessen Nachahmung sich die KI zum Ziel setzt: eine Intelligenz zu erschaffen, die das menschliche Denken mechanisieren soll. Eine Maschine zu konstruieren und zu bauen, die intelligent reagiert und sich wie ein Mensch verhält.

(Quelle: Wikipedia)

 

 

Shinigami (japanisch shini gami, deutsch ‚Gott des Todeswunsches‘, sinngemäß auch »Todesgeist«, »Todesengel«) ist in der japanischen Kultur die Bezeichnung für den personifizierten Tod (dem Sensenmann in der westlichen Kultur entsprechend) und für Götter, die die Seelen verstorbener Menschen, die noch an die lebende Welt gebunden sind, in die Welt der Toten führen (dem griechischen Psychopompos entsprechend.

(Quelle: Wikipedia)

 

 

 

Vorwort

 

 

Wir haben alles verloren.

Mussten einen hohen Preis bezahlen.

Ja, wir haben alles verloren.

Mussten dafür bezahlen.

 

Ich habe in dir gefunden, was mir im Leben fehlte.

Du hast eine Flamme entzündet, die meinen Hass verzehrte.

Ich bin keine zum Erinnern, aber ich würde alles gegen deine süße Umarmung eintauschen.

 

Weil wir alles verloren haben.

Wir mussten den Preis für unsere Taten bezahlen.

Wir sind eine Leinwand mit zwei Gesichtern.

Zwei gefallene Engel, die liebten und alles verloren.

Eine Leidenschaft für die Ewigkeit.

Doch am Ende müssen wir dafür bezahlen.

 

Ich weiß, wahre Schönheit wird nie verblassen.

Niemals ...

 

Ich sehe in deine Augen und weiß, dass du mich siehst.

Ich bin ein Geist, der verzweifelt schreit, du mein Dämon, der niemals geht.

Eine metallische Seele aus Wut und Angst, die alles verändert hat.

Die Sünde, die mich in den Abgrund stieß.

 

Ich weiß, wahre Schönheit wird nie verblassen.

Niemals ...

 

Sag, was du zu sagen hast.

 

Ich weiß, wahre Schönheit wird nie verblassen.

Niemals ...

 

Ich werde alles tun, um einen Weg zu finden, dir zu entkommen.

Ein Weg, der mich vom Tod befreit.

Von all den Qualen des Lebens.

All der Hoffnungslosigkeit.

 

Ich weiß, wahre Schönheit wird nie verblassen.

Niemals ...

 

Ich werde einen Weg finden. Ja.

 

Ich weiß, wahre Schönheit wird nie verblassen.

Niemals ...

 

Wir werden niemals verblassen.

... werden niemals verblassen.

... niemals verblassen.

... verblassen.

(Inspiriert von den Lyrics von P.T. Adamczyk / Songtitel Never fade Away)

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

»Träumen Androiden von elektrischen Schafen?«

 

Den Titel des 1968 veröffentlichten Romans von Philip K. Dick kennt jeder. Für mich eine Versinnbildlichung des Dilemmas der Menschen im Genre Cyberpunk: Haben künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein?

1985 kam ich erste Mal über das Cyberpunk 2013 Paper & Pen Rollenspiel mit diesem Genre in Berührung. Fasziniert von Filmen wir Blade Runner, Strange Days und Johnny Mnemonic – aber auch Ghost in the Shell und Akira – erfüllte sich für mich damit ein Traum, selbst in diese Welt abzutauchen. Gebannt die Bücher von William Gibson verschlingend – die heute noch einen hohen Stellenwert für mich haben – war es die Offenbarung einer dystopisch abgedrehten und grellbunten Welt, in der Horror und Science-Fiction nahtlos ineinander übergingen.

Stellen wir uns das doch nur vor. Die Welt ist hochtechnisiert, der Mensch komplett vernetzt und die Natur durch rücksichtslosen Raubbau nahezu restlos zerstört. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter denn je. Megakonzerne bezahlen Regierungen und unterhalten Privatarmeen, um in Dritte-Welt-Ländern erbarmungslos Krieg zu führen. Die Meere sind verseucht, die Temperatur ist auf ein kaum erträgliches Level gestiegen. Ein Reset ausgeschlossen.

Und wir – die Leute von der Straße – kämpfen jeden verdammten Tag um unsere schäbige Existenz. Alles wird verwertet, Altes mit Neuem vermischt. Retro meets Hightech. Der Mensch-Maschinen-Hybrid wird geboren.

Der Begriff Cyberpunk setzt sich aus zwei bezeichnenden Worten zusammen: Punk, was am Rande oder außerhalb der gesellschaftlichen Norm stehend bedeutet – und das seit dem 17. Jahrhundert – und in der Neuzeit durch Bands wie The Clash, Exploided und Sex Pistols den Niedergang unserer Gesellschaft überdeutlich zum Ausdruck brachte. Cyber - also Kybernetik – definiert die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen und deren Analogie zur Handlungsweise lebender Organismen.

Wir packen den Cyber in den Punk, erschaffen die Mensch-Maschine und haben den Cyberpunk, der für einen kurzen Augenblick des Ruhms alles tun würde. Total vernetzt und durch Implantate cyberoptimiert, muss man sich die nicht unberechtigte Frage stellen, was ist noch Mensch und ab wann beginnt die Maschine?

Nanotechnologie, Gentechnik und Virtuelle Realitäten scheinen alles möglich zu machen, doch der Preis dafür ist hoch. Ein Zurück gibt es längst nicht mehr. Aber Hauptsache, wir sehen gut dabei aus.

 

Style over Substance

 

Cyberpunk ist eine von Rost zerfressene, im Wohlstandsmüll erstickende Neonkultur, in der Sterne heller erstrahlen und schneller verglühen, als man ihren Namen aussprechen kann. Das Internet ist der unendliche Cyberspace, eine Ersatzwelt, in der man sich leicht verlieren kann. Spezialisten – sogenannte Netrunner – hacken die synaptisch gekoppelten Neuroprozessoren in unseren Köpfen.

Was ist Realität, was Fiktion?

Fakt ist, dass schon heute an auf Neuromorphing basierenden Prozessoren geforscht wird. Auch Implantate wie Arme, Beine oder Augen, Lungen und Herzen sind nicht mehr undenkbar. Und davon abgesehen, was wäre, wenn sich die alten Götter im Cyberspace ein neues Pantheon geschaffen haben, um nicht in Vergessenheit zu geraten?

Oder anders ausgedrückt: Kann eine künstliche Intelligenz göttlichen Status erlangen?

Und wo wir schon bei Göttern sind: Was zur Hölle hat das mit Katzen zu tun?

Shinigami entsprang meiner Kurzgeschichte Tamra Maew, in der Katzen die Hauptrolle spielen. Ja, richtig gelesen. Ein wichtiges Element beider Storys sind Katzen. Fühlt sich seltsam an, das als Hundemensch zu sagen, aber es passt und ist wunderbar stimmig, weshalb ich beschloss, mehr aus der Geschichte zu machen.

Ich wage in Shinigami den Schulterschluss zwischen mystischem Horror und Science-Fiction, überschreite die Genre-Grenzen nicht nur, sondern reiße sie vollständig nieder. Es ist gewagt, sich auf das dünne Eis einer neuen Welt zu begeben, doch was ein echter Edgerunner ist, der tanzt gern auf der Klinge.

 

Eines noch: Am Ende des Buches verraten die Protagonistinnen ein wenig über sich selbst. Diese Art der Charaktervorstellung ist für mich neu, aber ich empfinde sie als äußerst charmant, wenn Ghost und Amy mit eigenen Worten schildern, was sie zu dem gemacht hat, was sie sind.

Kann man vor der eigentlichen Geschichte lesen oder danach. Ist eure Entscheidung. Ach ja, Illustrationen der beiden gibt’s dort natürlich auch, gezeichnet von meiner Tochter Finya, worauf ich sehr stolz bin.

 

Und jetzt hinein in meine Version der dystopischen Welt des Cyberpunk! Ich wünsche viel Vergnügen!

 

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Die Söldnerin Ghost lebt am Limit.

Der Anruf ihres Dealers verspricht einen Job, der sie zurück in den New Babylon Megaplex führt, wo Seelen in Chrom gewogen werden und holografische Geishas überhöhten Göttern gleichen. Dazu muss sie nur die Netrunnerin Amy töten. Rein. Kugel in den Kopf. Raus. Absolut easy.

Doch die Götter des Cyberspace haben andere Pläne.

In einer total vernetzten Welt, mit Neuroprozessoren im Schädel und durch Implantate übers Limit getunten Körpern schicken sie Amy und Ghost auf einen Höllenritt zwischen Realität und virtuellem Pantheon.

Und dann ist da noch diese ominöse Katze, die sich selbst Wichian Mat nennt …

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

August, 2070, New Babylon Megaplex

Heute Nacht werde ich sterben...

 

Die Luft riecht nach dem Chrom der Stadt. Schmeckt nach Adrenalin. Holografische Neonreklamen ragen wie die Standarten japanischer Samuraikrieger in den Himmel, verschwinden im Smog, der alles mit seiner feuchten Last erdrückt und das Atmen zur Qual macht.

Dennoch hätte ich es schlechter treffen können. Könnte tot in einer dreckigen, nach Pisse stinkenden Gasse zwischen Abfall und Mülltonnen liegen, von Ratten angenagt und der Welt vergessen.

Stattdessen sitze ich auf dem Dach eines Hochhauses in einem wackligen Plastikstuhl und bade in den bunten Lichtern der Stadt, die niemals schläft. Deren Herz nie zur Ruhe kommt, und streichle die wohl letzte Thaikatze der Welt.

Wie es dazu kam? Immer der Reihe nach. Man muss die ganze Geschichte kennen, um sie zu verstehen.

Wichian Mat, erinnere ich mich wehmütig an den Namen des anmutigen, aber auch sonderbaren Tieres mit dem goldbeigen, kurzhaarigen Fell, das mir heute schon einmal das Leben gerettet hat. Sie war da, als ich Hilfe brauchte, mir das Blut aus Mund und Nase lief, weil ein Monster heimtückisch auf einem Nanochip gelauert hatte, um mir die Seele zu ficken und meinen Verstand zu fressen.

Jahrtausende haben die Menschen versucht, einen Pakt mit Dämonen zu schließen. Beschwörungen, Rituale, alles Bullshit. Es mussten erst winzige Chips erfunden werden, damit es möglich wurde. Ein von Menschen erschaffener Götterhimmel, in den sich die Unsterblichen flüchteten und um Anbetung bettelten. Welch Ironie ...

Ich zünde meine letzte chinesische JunJun-Zigarette an, schließe die Augen und genieße den Moment der Stille, gebe mich der damit verbundenen Schwermut hin wie einem teuren Whiskey aus genmanipuliertem Roggen.

Ich habe alles gegeben, bin ans Limit gegangen und darüber hinaus. Der Werbespruch einer gigantischen, ins dunstige Nichts projizierten Geisha scheint mich zu verhöhnen, indem sie mir ein Leben voller Glück und Zufriedenheit versichert, wenn ich die von ihr angepriesene Nudelsuppe esse. Ihre grazilen, weißen Hände füttern einen goldfarbenen, durchscheinenden Koi, der sich in einer Art Liebesspiel um ihre Beine windet. Traditionelle Gagaku-Musik untermalt ihre Worte, trägt sie zu mir herüber wie der Wind die rosafarbenen Kirchblütenblätter vom gegenüberliegenden Dach eines Bürogebäudes.

Glück?

Zufriedenheit?

Am Ende sogar Wahrheit?

Ich bin eine Shintō, also eine Amerikanerin mit japanischen Wurzeln, wie man unschwer an meiner porzellanfarbenen künstlichen Haut und den schmalen, schräg stehenden Mandelaugen erkennen kann, und sage »Scheiß auf die alten Werte und Traditionen, es gibt keine Erleuchtung für einen Edgerunner wie mich«.

Sie haben mein Hirn gegrillt, mich in jeder nur erdenklichen Weise gefickt. Meine Implantate schmerzen, brennen wie Feuer in den Armen. Das lebendige Gewebe lehnt sich gegen die Fremdkörper auf. Die kybernetischen Kensho-Optics-Augenimplantate flimmern. Ich bin am Ende, aber wenigstens seh‘ ich gut dabei aus.

Mit einem Gedanken öffne ich das Holophone, das mit dem in meiner Schläfe implantierten neurosynaptischen Prozessor verbunden ist. Ich wähle Amys Nummer und stelle fest, dass künstliche Augen durchaus in der Lage sind, zu weinen. Nach dem zweiten Klingeln nimmt sie meinen Anruf entgegen.

»Hey, Amy ...«

»Ghost.« Ihre Stimme klingt besorgt. »Güter Gott, wo steckst du? Wir suchen die ganze verdammte Stadt nach dir ab. Bist du in Sicherheit?«

»Nein, bin ich nicht. Werde es nie mehr sein. Nicht in diesem Leben.« Die Tränen brennen auf meinen Wangen, ich schmecke das Salz auf den Lippen und wünschte, es wäre der abgasgeschwängerte Regen. Der Kloß im Hals macht mir das Reden schwer.

»Wir kommen dich holen. Da rollt was auf uns zu, Ghost, das wir nicht ahnen konnten. Verdammt, was haben wir nur getan ...?«

»Nein, bitte nicht. Bleib weg!« Verzweiflung in meinen Worten, Schmerz in der Seele. Ich liebe sie so sehr, diese schmale, kleine Frau mit den verrückten Tattoos, dass ich schluchze. Mit einem gemeinen Satz könnte ich das Gespräch beenden und mich aus der Konfrontation mit der Wahrheit retten. Doch so feige bin ich nicht.

»Weinst du etwa?« Ihre Stimme vibriert vor Sorge.

Ich wische die Tränen aus meinen Augen und atme tief, aber zittrig durch. »Amy, ich wollte deine Stimme hören, dir sagen, das ich dich ... liebe!«

»Du machst mir Angst!«

»Ich sterbe, Amy. Mit mir geht’s zu Ende, ich geh‘ über die Klinge.«

Jetzt muss ich heulen, denn es hätte perfekt sein können. Dieser eine Auftrag noch, der finale Run, um unsere gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Wir wollten den Megaplex verlassen, in die Badlands gehen, an einen Ort, wo uns niemand kennt und man keine Waffen zum Überleben braucht, nur weg von diesem menschenfressenden Moloch. Uns ein echtes Leben offline aufbauen. Ich träume schon länger von einem kleinen Haus auf einer Klippe über der wilden Küste, das man nur zu Fuß erreichen kann. Alaska hätte wunderbar gepasst, weil wir beide die feuchte San-Andreas-Hitze hassen.

Wichian Mat spendet mir unter meinen Fingern mit ihrem weichen Fell über ihrem vibrierenden Körper ein wenig Trost. Es tut gut, ein lebendes Wesen zu fühlen. Seine seelische Präsenz, die Geborgenheit spendet. Und das denke ausgerechnet ich, die Tiere nur aus dem Holozoo kennt …

Schweigen. Ich höre Amy atmen, gequält schluchzen wie ein wehrloses, kleines Wesen, das man zu fest drückt. Ich widerstehe dem Drang, Mat an die eigene schmerzende Brust zu drücken.

»Es muss einen Weg geben«, versucht sie, Hoffnung zu schüren, doch die gibt es nicht. Nicht für mich und nicht in dieser Nacht. Die Krankheit in meinem Kopf, die ein Nanochip ist, frisst mich auf, auch wenn das Konstrukt behauptet, es wäre nicht so. Er verschlingt mein Ego häppchenweise, eben alles, was mich als Mensch ausmacht. Hat ‘nen scheiß Hunger.

Mensch? Bei all den Upgrades, die meinen Körper zur Maschine machten, muss ich mich fragen, wo der Mensch endet und die cyberoptimierte Killermaschine beginnt.

Wie viele habe ich ohne mit der Wimper zu zucken getötet? Waren es hundert? Oder mehr? Kann man da noch von einem Gewissen sprechen?

Mit dem beschissenen Dämon im Kopf, der nur auf den passenden Moment lauert, um mich vollends in den Wahnsinn zu treiben?

»Du kannst nichts mehr tun«, sage ich mit kalter Stimme, die meine Seele zerschneidet wie zerbrochenes Glas. Es ist Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, die Liebe zu beenden, um das einzige Leben zu retten, das mir etwas bedeutet.

Amy!

Unten in den Straßen wird geschossen. Reifen quietschen. Schreie werden laut, Befehle gebrüllt. Sie sind da.

»Leb wohl, Amy. Ich werde dich lieben, auch wenn alles vorbei ist. Ich will, dass du das weißt.«

Mein Blick verschwimmt, weil der neurosynaptische Prozessor eine Fehlfunktion hat. Hab wohl doch noch eine Seele. Beim Kämpfen werde ich zur eiskalten, emotionslosen Killermaschine, die keine Rücksicht oder gar Gnade kennt. Hab mir auf der Straße einen – wenn auch zweifelhaften – Namen gemacht. Da kann man das schon mal vergessen.

Ghost. Die unerbittliche Bitch mit der altrosa Lollipopfrisur. Lass dich bloß nicht mit der ein, denn dann bleibst du auf der Strecke. Unglück ist ihr zweiter Vorname und Pech eure Bezahlung.

Ich habe die bitterliche Erfahrung gemacht, dass Ruhm eine Schlampe ist, ohne Wert und Verstand. Dass es letzten Endes einen Scheißdreck zählt, wie hart oder angesehen du bist. Entscheidend ist die letzte Kugel im Lauf.

Es war mein Wunsch, zur Legende zu werden. Lebe schnell und sterbe jung, dann benennen sie ‘nen Drink nach dir in einem der harten Clubs ...

Als Amy in mein Leben trat, hat sich alles geändert. Sie hat mein Herz berührt, es erwärmt wie niemand zuvor, mir ehrliche, kompromisslose Liebe geschenkt. Und jetzt sitz‘ ich in diesem verdammten wackligen Plastikstuhl und schneide ihr mit meinen Worten die Seele aus dem Leib.

»Ghost …« Amy weint hemmungslos, schreit wegen des seelischen Schmerzes, den ich ihr zufüge. Aber es ist mir wichtig, dass sie weiß, was Sache ist.

Ich höre schwere Stiefel die Treppe hinaufpoltern, das Bellen von Befehlen und das metallische Klacken beim Entsichern und Durchladen von Waffen.

Wozu dieser Aufwand? Ich sterbe doch eh …

»Ich liebe dich, Amy!« Damit ist alles gesagt. Ich lege auf, schnippe die Kippe vom Dach und ziehe die Malorian Arms Automatikpistole aus dem Holster. Das Fadenkreuz der neuralverlinkten Waffe flammt in sanftem Blau vor meinem Auge. Ich bin bereit für den allerletzten, ultimativen Run!

 

Sunset Motel

August, 2070, 06:30, in den Badlands

Wo alles begann...

 

Die scheppernde Klimaanlage wälzte die teigig warme Luft nur um, anstelle sie abzukühlen. Ghost lag auf der Formschaummatratze, die diese Bezeichnung längst nicht mehr verdiente, und sah dem Deckenventilator dabei zu, wie er träge seine Runden drehte. Eines der vier Blätter hatte ein Einschussloch, das sich in der Zimmerdecke wiederfand. Ein anderes war mit einer Substanz bespritzt, die wie eingetrocknetes Blut aussah.

Absteigen wie diese waren perfekt dazu geeignet, sich das Hirn aus dem Schädel zu blasen. Hier mieteten sich die Hoffnungslosen ein, die keine Perspektive oder Zukunft hatten. Gescheiterte Existenzen ...

Die Narben, die sich von ihrem linken Mundwinkel ausgehend über ihre Wange zogen, juckten heute wieder extrem. Das lag am Stress, womöglich aber auch an den Parasiten, die sich in Absteigen dieser Art in den durchgelegenen Temperschaummatratzen tummelten.

Schrapnellsplitter. Andenken an den Panamakanal. Verdammt knappe Sache, etwas höher, und ich hätte kein Gesicht mehr gehabt.

Draußen stritten ein paar Kerle in einem Kauderwelsch, den sie nur zum Teil verstand. Die Stimmen änderten ihre Tonlage, wurden hysterisch, schnappten über. Sicher Nomades, die auf der Suche nach schneller Beute durch die Badlands zogen, ständig auf der Flucht vor den Cops, den Konzernen, sich selbst und dem Rest der Welt. Sie bewunderte das freie Leben, das sie führten. Wie Sterne, die extrem hell brannten und verglühten, bevor sie alt und müde wurden.

Live fast – Die young, erinnerte sie sich an einen rebellischen Spruch aus der Prä-Cybernet-Ära, den die Kids noch heute unter Autobahnbrücken auf den Beton sprayten.

Typischer Loserspruch. Wer ‘ne Perspektive hat, braucht diesen Scheiß nicht...

Ghost setzte sich auf. Für einen Moment drehte sich das Zimmer vor ihren Augen. Schuld daran war die leere Whiskeyflasche, die neben dem Bett in einer klebrigen Lache auf dem Boden lag. Billiger Seelinsen-Whiskey von der Tankstelle. Unterste Schiene, wie sie selbst, also durchaus angemessen.

Sie verzog angewidert das Gesicht, weil sie stank wie eine läufige Pumakätzin. Abgefuckt zu sein war eine Sache, aber stinken ging gar nicht. Sie zwang sich in die Nasszelle aus beigem Plastik, das durch die permanente Hitze der Badlands spröde und stumpf geworden war. Die dunklen, gekräuselten Haare im Abfluss ignorierte sie ebenso wie die Kakerlaken, die in ihre Löcher zurück huschten, sobald sie das Licht anmachte. Sich mit beiden Händen an der Wand abstützend, stellte sie auf kalt und ließ sich den pisswarmen Strahl auf Kopf und Rücken prasseln.

Roter Staub löste sich aus den Cyberimplantaten, die wie eine abstrakte, in die Haut gegossene Narbe aus stumpfsilbernem flüssigem Metall um ihren Hals lagen. Die thailändischen Plagiate japanischer Hightech waren billig, aber auch anfällig gegen den Sand der Badlands, der wahrlich in jede Ritze kroch.

Ihr rosafarbenes, leicht ins Grau fließende Haar schmiegte sich nass auf die tätowierte, zerfurchte Porzellanhaut ihres schlanken, durchtrainierten Körpers. Die bunt gestochenen Bilder hatte sie sich während des letzten Konzernkriegs stechen lassen. Viele davon hatten keinerlei Bedeutung, doch manche eine geradezu erschreckende Tiefe, die ihr Tränen in die Augen trieb. Der japanische Drache auf ihrem straffen Bauch zum Beispiel, das Maul weit aufgerissen, zum Kampf bereit, war ein Zugeständnis zu den alten japanischen Traditionen.

Er schreit meine Verzweiflung hinaus, symbolisiert, was ich gerne wäre und nie sein werde. Umgibt sich mit ‘nem scheiß Panzer, sodass nichts an ihn rankommt.

Insgeheim beneidete sie ihre Mutter, dass sie Japanerin war, sie sich selbst aber zwiegespalten fühlte, zwischen den Traditionen zweier Gesellschaften sitzend. Sie selbst hasste es, eine Shintō zu sein, auch wenn das nur ein lächerlicher Spitzname war, eben so, wie man Hispanics im Straßenslang »Spics« nannte. Nur die Traditionalisten sahen das anders. Für die war Abstammung alles.

Von einem bezahlten Fick auf der verdreckten Toilette eines drittklassigen Braindanceclubs gezeugt zu werden, das hatte das Zeug zu einer innovativen Tradition, als Spiegel unserer Zeit ...

Die hämisch grinsende, von Blumen umrankte La Catrina auf dem Rücken symbolisierte ihre Todessehnsucht. Das japanische Schriftzeichen zwischen den festen Brüsten stand für Shintō und sollte sie jeden verdammten Tag daran erinnern, was sie war. Auf Armen und Oberschenkeln eine Menge Unsinn. Gewehre, Messer, Herzen, Spielkarten, die Nummer ihrer Einheit unter zwei gekreuzten Säbeln. Bilder, die man sich stechen lässt, nachdem man ein Gefecht überlebt hat, besoffen mit der Truppe durch die Kneipen zog und das Adrenalin noch in den Adern rauschte.

Der Krieg in Mittelamerika lag inzwischen fünf Jahre zurück, und sie hatte wie die meisten Veteranen nicht mehr ins Leben zurückgefunden. Zu viel war geschehen. Zu viel Leid und Tod. Die Nächte voller Albträume von explodierenden Menschen und den schmerzverzerrten Gesichtern der Toten, die vorüber zogen. Manchmal war das Überleben wohl doch nicht die bessere Alternative.

Sie schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, schlief in schäbigen Motels wie diesem oder einfach auf der Straße neben dem Bike im Dreck. In der Tasche hatte sie kaum genug Bucks, um über den Tag zu kommen, die zerkratzte Malorian Arms 3516 Automatik war mit dem einzigen Magazin geladen, das ihr geblieben war. Es war Ghosts Verständnis von Sarkasmus, die letzte Patrone in der Innentasche ihres mit Aramidgewebe verstärkten Mantels aufzubewahren.

Sie drehte das Wasser ab, stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und schlüpfte in die zerschlissene, nanobeschichtete Slim-fit-Lacklederhose, die zugleich die Einzige war, die sie besaß. Ghost nahm das Retro-Motörhead-Shirt vom Haken, das sie letzte Nacht vor dem Delirium in der Dusche gewaschen hatte, und zog es an. Der Stoff war feucht, aber wenigstens sauber.

Ihr Magen rumorte, wollte gefüttert werden. Ein Kaffee wär nicht verkehrt, um den pochenden Schmerz im Kopf zu vertreiben, wo sich oberhalb ihres Ohres der Steckplatz für die Speicherbänke des neurosynaptischen Prozessors befand.

Es fühlte sich nach all den Jahren noch immer befremdlich an, den auf Neuromorphing basierenden Prozessor – kurz Neuroprozessor – unter der Schläfenhaut zu wissen, der über synaptische Kopplungen mit dem Neocortex kommunizierte.

Turing-vollständig und universell programmierbar, steuerte der Prozessor die Cyberimplantate und stellte über den Neocortex – als Teil der Großhirnrinde für Multisensorik und Motorik zuständig – die Verbindung vom Menschen zur Maschine her, war dabei ebenso effektiv wie angreifbar. Der Prozessorkern bestand aus nanoelektronischen Neuristorschaltkreisen, also einer Hardware, die auf dem TrueNorth-Prinzip basierend, grob gesagt, Neuronen nachbildete.

Jedenfalls gab es keinen Kaffee. Als Ersatz zündete sie sich eine JunJun an, die nach Holzleim schmeckte, setzte die polarisierte Sonnenbrille auf und trat vor die Tür. Das Zimmer war im ersten Stock. Von hier oben hatte sie einen wunderschönen Blick über die Badlands, eine von Ruinen durchsetzte Wüste aus rotem Sand, der bei dem leichtesten Lufthauch sprichwörtlich in jede Ritze kroch.

Die Sonne hockte als glutrote Scheibe sengend auf dem Horizont. Ein rostiges Windrad drehte sich ächzend auf der anderen Straßenseite neben einer von Wind und saurem Regen zernagten Scheune. Die Streithähne hatten sich verzogen.

Es gab Momente wie diesen, da spielte Ghost mit dem Gedanken, sich die Knarre an die Schläfe zu setzen und abzudrücken.

Trink‘ einen guten Whiskey, rauch‘ deine letzte Zigarette, genieße den Sonnenaufgang und – Bäm! Eine weitere Wand, die von einer gescheiterten Existenz zeugt.

Die Wahrheit war, sie war zu feige, hatte dafür nicht genug Arsch in der Hose. Noch nicht.

Das Telefon fiepte in ihrem Kopf und befreite sie aus dem ungesunden Gedankenstrudel. Unbekannte Nummer, flimmerte vor ihrem Auge. Ghost nahm das Gespräch durch einen Gedankenimpuls entgegen.

»Ja?«

»Banks hier. Bist du im Sunset?«

Banks war der Dealer, der ihr die mageren Jobs besorgte, die sie über Wasser hielten. Vor drei Tagen hatte er sie angerufen und ihr was Großes versprochen. Ein Run, der sie aus der Gosse holen und nach Hause in den New Babylon Megaplex bringen würde. Der einzigen Stadt auf der ganzen verdammten Welt, wo man sich mit ihren Fähigkeiten einen Namen machen und das große Geld verdienen konnte.

Zurück im Megaplex. Geburtsstätte und Grab all meiner Träume.

Die Söldner-Oberliga!

Die Stadt war ein fleischfressender, aus der Retorte geborener Moloch. Als die Temperaturen aufgrund der fortschreitenden Zerstörung der Ozonschicht anstiegen und das Leben in den ländlichen Regionen unerträglich wurde, wuchsen San Franzisko, San Jose und Los Angeles vor über fünfzig Jahren zu einem riesigen, von Slums umgebenen Geschwür zusammen. Die Gründer nannten das künstlich erschaffenen Habitat der gescheiterten Existenzen New Babylon Megaplex. Ein Gigant mit erschreckender Kriminalitätsrate, von Megakonzernen regiert, die Cops nur eine weitere Gang, die in den Straßen auf Beutezug ging. Ein Raubtierkäfig, in dem man die Eier eines Dompteurs brauchte, um zu überleben. Der perfekte Ort, um schnelles Geld zu machen oder mit einer Kugel im Rücken in einem Hinterhof zu sterben.

Ghost erinnerte sich dunkel an ihre Kindheit. Sie war in einer Favela des Rostgürtels, der den Megaplex wie ein zu enges, stetig weiterwucherndes Korsett einschnürte, aufgewachsen. Ein abscheulicher Ort, überspannt von wild wuchernden Stromkabeln, in dem sich windschiefe Wellblechhütten an Abbruchhäuser drängten und die Wege aus gestampftem Dreck bestanden, der sich bei jedem Regenguss in Morast verwandelte. Ihre Wohnung lag im siebten Stock eines alten Bürogebäudes. Ein wahrer Luxus mit dichter Decke und abschließbarer Tür, vor allem, wenn der orangerote Regen von der Wüste hereinzog.

Ihren Vater kannte sie nicht, und ihre Mutter war stets zu high, um sich mit ihr über ihn zu unterhalten. Vermutlich konnte sie sich selbst nicht an ihn erinnern. Scheiß drauf.

Auch sonst hatte sie nicht viel Zeit in ihre Erziehung investiert. Cyberdeck an, Anime starten, fertig. Lern‘ auf der Straße, wie das Leben funktioniert oder verreck, wenn du zu schwach dafür bist.

Liebe? Fehlanzeige. Ghost hatte ihre Kindheit in der Gosse verbracht, war Abfall gewesen, bevor sie überhaupt wusste, was das bedeutete. Auf der Straße hatte sich schnell gezeigt, dass sie einen ausgeprägten Überlebensinstinkt und einen extremen Hang zur Gewalttätigkeit hatte. Opfer der Umstände, so nannte man das.

Es folgte ein Leben wie in einem dieser Turbomixer, die selbst Steine zu Staub zermahlen konnten. Höllische Küchengeräte, fiese kleine Monster. Sie steckte in einem Wirbel aus Sex, Gewalt, Drogen und schnellem Geld. Die Messer im Mixer waren eine implantatsgeile Shintō-Gang und später das Militär, das sie mit den leeren Phrasen einer glorreichen Zukunft zerhackte und auf die Straße spie, als sie nicht mehr funktionierte.

Ghost musste ob der Ironie lachen, weil ihr ein Ausspruch ihrer Mutter in den Sinn kam:

Das bunte Flackern des Neonlichts ist ein falsches Versprechen, das die Nachtfalter in ihren Bann zieht. Das sie anlockt, damit sie sich an den erhitzten Stäben die Flügel verbrennen und auf den Boden fallen, um als Maden umherzukriechen, bis ihnen neue Flügel wachsen. Es gibt keine Hoffnung im ewigen Kreislauf des Scheiterns. Nur unerfüllte Träume ...

Ja, manchmal hatte selbst die ihre Momente, konnte regelrecht philosophisch werden.

Scheiß japanische Hintergründigkeit.

Eine Made bleibt eine Made, auch wenn sie sich in bunte Kleider hüllt. Nicht wahr, Mutter?

Zugegeben, sie liebte es. Die Traditionen, die seltsame, für ihr amerikanisch geprägtes Denken befremdliche Moral, das Zusammenspiel von Körper und Geist.

Bushido. Der Weg des Kriegers.

War Banks‘ Anruf die Chance, auf die sie gewartet hatte? Ihr beschissenes Bushido, dem sie nur folgen musste?

Ghost hatte die Hoffnung noch nicht vollends aufgegeben, auch wenn ihre Hand die Automatik in stets kürzeren Abständen an ihre Schläfe setzte und diese Handlung zu einem nutzlosen Ritual unter vielen wurde.

»Klar bin ich im Sunset. Wo soll ich denn sonst sein?«, lautete ihre knappe Antwort.

»Verdammt, Ghost, hast ‘ne Ewigkeit gebraucht. Glaubst du, ich stehle meine Zeit?«

»Wurd’ aufgehalten. Ist nicht leicht in den Badlands. Wüsstest du, wenn du deinen fetten Arsch auch mal aus der Stadt rausbewegen würdest.«

Womöglich war das zu dick aufgetragen, denn Banks knirschte mit den Zähnen, wie er es immer tat, wenn man ihn anpisste. Doch Ghost durfte sich keine Schwäche erlauben. Sollte er nur den geringsten Zweifel an ihrer Bereitschaft haben, würde er den Job jemand anderem geben - und das war‘s. Ende der Geschichte, adieu fucking Life.

»Hör auf, Dreck zu labern. Bist du mobil?«, schnappte er genervt.

»Ja.«

»Moment, ich schick dir die Daten.«

Ihr Auge blendete den Downloadbalken ein, flimmerte nervig, blieb bei achtundfünfzig Prozent hängen, stockte einige bange Sekunden und kletterte dann weiter auf hundert. Seit sie beim letzten Run einen Gewehrkolben gegen die Schläfe bekommen hatte, funktionierte ihr Neuroprozessor nicht mehr einwandfrei. Das war ein echtes Problem, denn wenn der schlapp machte, spielten auch ihre Cyberaugen nicht mehr mit, was für sie Blindheit bedeutete. Game Over. Wäre sicher eine sinnvolle Investition, den veralteten Prozessor aus Militärzeiten mal durchchecken zu lassen. Doch dazu musste sie erst an Geld kommen.

Das File enthielt die Koordinaten ihres Einsatzortes in South Pasadena sowie das Bild eines Punkgirls mit blauschwarzen Haaren und Sidecut. Verdient ihr Geld mit virtuellen Pornos, sogenannten Braindances. Eine Netrunnerin mit schlanken, weiblichen Konturen, zu weich, um einen harten Edgerun durchzuziehen. Auf ihrer linken Halsseite leuchtete eine von dornigen Ranken umkränzte rote Rose. Auf dem Jochbein ein gelber Diamant.

Wem’s gefällt ...

Cyberimplantate zogen sich als feine, aus reinem Silber gegossene Linie vom linken Ohr ausgehend, einen Bogen beschreibend, über die Wange und wieder hinauf, durchbrach ihr Auge und sogar das Lid, um unter der sanft geschwungenen Braue zu enden. Das war definitiv keine thailändische Billigware.

Die auf ihren Oberarm tätowierte Dreizehn machte sie unverwechselbar. Parallel zu den Daten wurde eine Anzahlung von fünftausend Bucks auf Ghosts Konto bei der Bank of Caiman gutgeschrieben.

Fünftausend verfickte Bucks?

Die muss einem gehörig auf die Eier gegangen sein!

Leck mich, schon für die Hälfte der Kohle würd’ ich alles machen!

Sie hatte schon ‘ne Menge für Geld getan oder um zu überleben, doch darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. Ehre machte nicht satt.

Das ist der verdammte Schritt zurück ins Leben!

Ghost fehlte nur ein entscheidendes Detail: »Was ist Sache mit ihr?«

»Die blöde Schlampe ist ‘nem dicken Konzernhai mit ‘nem Hack in seinen Mainframe auf die Eier gegangen, hat was gestohlen, was ihm wichtig ist. Hat ‘ne Menge Staub aufgewirbelt, also will der Fisch, dass sie verschwindet. Du fährst hin, erledigst sie und lässt es wie ‘nen scheiß Unfall aussehen. Kommst du damit klar?«

»Nur wegen eines Datendiebstahls? Echt jetzt?«

Banks schnaufte genervt. »Mehr brauchst du nicht zu wissen. Willst du nun den Job oder nicht? Kann auch jemand anderen anrufen, der keine blöden Fragen stellt ...«

Schade drum, ist echt süß, die Kleine, dachte Ghost. »So gut wie erledigt!«

»Meld‘ dich, wenn du’s durch hast, dann gibt’s den Rest der Kohle. Und versau’s nicht, Ghost!« Banks legte auf.

Ghost starrte ins Leere, kramte sich eine chinesische JunJun aus der zerknautschten Packung, zündete sie an und inhalierte den süßlichen Rauch. War schon witzig, dass jede Zigarette anders schmeckte. Diese hier nach Süßholz und Kupfer.

Trotz der Hitze war ihr kühl. Zehntausend Bucks für einen Auftragsmord war eine Menge Geld. Genug, um auf die Beine zu kommen, aber zu viel für einen einfachen Kill. Der Job stank.

Warum heuert Banks ausgerechnet mich an, eine Niemand von außerhalb, um die sich keiner schert, wenn sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet?

»Scheiß drauf!« Ghost warf den Zigarettenstummel auf den Boden und zertrat ihn. Sie hatte nicht vor, als von der Sonne ausgetrocknete Mumie mit einem Loch im Hinterkopf und runtergelassenen Hosen in einem staubigen Straßengraben zu enden.

 

 

 

Das fragile Habitat

 

August, 2070, 23:45, South Pasadena

 

Die Luft im Megaplex schmeckte berauschend. Sie war schwer wie Blei und brannte wie hochoktaniges Benzin auf der Zunge. Aus den Kanaldeckeln stieg weißer Dampf. Von versteckten Beamern projizierte Werbetafeln predigten ihre Botschaften überlebensgroß und durchscheinend ohne Unterlass auf die Fassaden der glitzernden Hochhäuser. Eine niemals endende Werbeschleife, der man sich nicht entziehen konnte, weil sie alle Sinne zugleich penetrierte. Manche versprühten sogar zum Produkt passende Aerosole, die den Duftbrei der Stadt erst vollkommen machten.

Menschen drängten sich durch die Straßen. Koreanische Fastfood-Buden lockten mit synthetischen Speisen, in der Fabrik gezüchteter Fischersatz, der aussah und schmeckte wie Plastik.

Ghost hatte die Hattori 4000 Street Fighter bis zur Stadtgrenze laufen lassen, sich danach aber Zeit gelassen, einen Stopp zum Essen eingelegt und einen beim Waffenhändler, um ihr Arsenal aufzustocken, sollte es Probleme geben. Okay, ein wenig hatte sie auch im Großstadtodem gebadet.

Jetzt war ihr schlecht von den fettigen, mit angeblich französischem Industriekäse überbackenen Fries, aber wenigstens satt. South Pasadena war eines der ruhigeren Viertel, durchsetzt von Lagerhäusern und kastenförmigen Wohnblocks der ersten Generation, über dem der basslastig wummernde Sound von mexikanischem Texmex-Rap wie eine Wolke aus vaporisiertem Kokain hing.

Sie kauerte auf dem Dach einer Lagerhalle gegenüber dem dreigeschossigen würfelförmigen Block, in dem die Zielperson wohnte und beobachtete seit Stunden das eher mäßige Treiben auf der Straße. Es gab eine rostige Feuertreppe, die aus einer dunklen Gasse hinauf in die oberste Etage führte. Dort würde sie unbemerkt hochsteigen, in die Wohnung eindringen, die Netrunnerin mit einem Kissen ersticken, Feuer legen und wie ein Schatten verschwinden, als wäre sie nie da gewesen. Ein Fünfminutenjob.

Absolut easy.

Zu easy für zehntausend Bucks.

Sie schwitzte, weil die Hitze der Stadt eine andere war als die der Badlands und bereute, ihren Mantel im Hinterhof, in den Packtaschen der Street Fighter, zurückgelassen zu haben. Die Luft war feuchter, erinnerte sie an ein Dampfbad, in dem alte Männer sauer schwitzten, weil es leicht fischig vom Meer hereinwehte. Aber sie liebte den Gestank der Stadt, inhalierte ihn wie den Rauch ihrer Zigaretten, von denen sie zu viele rauchte.

Nachts war es in den Badlands stockfinster, doch hier war die Dunkelheit licht. Derweil die Seitengassen zu schwarzen Schluchten versumpften, schimmerte der feuchte Asphalt im düsteren Orange des lodernden Himmels, der die brennenden Schornsteine der Raffinerien im Norden spiegelte. Die Fenster reflektierten die bunt schillernden Reklametafeln, gaukelten Bewegungen hinter dem Glas vor. Die Maske der Stadt war nicht leicht zu durchschauen. Ein Kabuki-Theater in verschiedenen Akten, alle zugleich aufgeführt. Alles war Kulisse.

Es fiel Ghost schwer, sich nicht davon einlullen zu lassen. Sie nippte am Pappbecher mit lauwarmen Panamakaffee vom Chinesen zwei Blocks weiter, verzog angewidert das Gesicht, weil sie sich zu viel Zucker genommen hatte und ließ ihren Blick von den inzwischen dunklen Fenstern der Wohnung hinunter zur Straße schweifen.

Der mattschwarze Van mit dem dilettantisch abgeschabten Hattori-Logo jenseits der Straßenkreuzung war ihr schon vor zwei Stunden aufgefallen. Von dem stilisierten Tigerkopf waren noch deutlich die Reißzähne zu erkennen, die – umgeben von zerkratztem Metall – wie die überdimensionalen Fänge eines Vampirs wirkten, mit denen die mexikanischen Lucha-Libre-Wrestler gerne ihre Masken schmückten. Das wäre an sich nichts Auffälliges, ungewöhnlich war jedoch, dass zwei Kerle hinter den getönten Scheiben saßen und der komplette Wagen manchmal in den Federn ächzte, was auf weitere Gesellschaft im Laderaum schließen ließ.

In solchen Momenten kamen die Instinkte der Soldatin wieder hoch, die auf derartigen Belanglosigkeiten achtete, da man davon ausgehen konnte, dass es sich nicht um ein fickendes Pärchen handelte.

Durchaus denkbar, dass hier einer einen Deal abzog und auf seine Kunden wartete, ebenso gut aber auch, dass sie das gleiche Ziel observierten wie sie selbst. Das würde wiederum bedeuten, dass dieses fiese Arschloch Banks den Auftrag zweimal vergeben hatte, weil er es ihr nicht zutraute. Oder dass eine weitere, ihm unbekannte Partei an der Netrunnerin interessiert war.

Was, wenn mein erster Gedanke richtig war? Wenn Banks mich angeheuert hat, damit ich die Runnerin töte und die Lieferwagencrew dazu da ist, mich kalt zu machen?

Scheiß drauf, ich zieh die Sache durch. Banks kann sich nicht erlauben, mich zu hintergehen!

Und wenn doch?

Halts Maul und erledige, weshalb du gekommen bist. Denk‘ an die Bucks!

Ghost stand mit dem Rücken zur Wand, sie brauchte das Geld. Deshalb wischte sie die Zweifel beiseite und bewegte sich zur rückseitigen Dachkante, um die Feuerleiter nach unten zu klettern. Sie folgte zwei Blocks einer dunklen Seitengasse, in der sich stinkender Müll türmte, und überquerte an einer Stelle die Straße, von der sie sich sicher war, dass die Typen aus dem Van sie nicht sehen konnten. Sie durchquerte einen engen Durchgang zwischen zwei Wohnblocks und gelangte aus der rückwärtigen Richtung in die Gasse, von der die Feuertreppe nach oben zur Wohnung der Netrunnerin führte. Die Gittertür aufzubrechen, war leicht. Der Riegel rostig und ihre Hände mit einer vom Neuroprozessor gesteuerten Hydraulik versehen, mit der sie das Schloss knackte wie ein dünnes Streichholz. Sich in den Schatten haltend, huschte sie die Stufen nach oben, konnte jedoch nicht vermeiden, dass die rostigen Tritte ächzten wie die Federn einer durchgelegenen Matratze.

Und sie hatte weiterhin Glück, denn ein Fenster stand offen. Eine Einladung par excellence.

Leicht verdientes Geld, stahl sich die Unachtsamkeit in ihren Kopf.

Geschmeidig wie eine Katze und gleichermaßen wie ein Schatten, glitt sie in die dunkle Wohnung. Die Waffe ließ sie stecken, denn die würde sie nicht brauchen.

Nur meine verfickten Mörderhände!

Ein ekelhafter Gedanke, der unangenehm bitter schmeckte und vor dem sie sich fürchtete, weil er sie zögern ließ. In solchen Momenten flüchtete sie sich gerne in die Ausrede, dass in dieser Welt das Gesetz des Dschungels galt. Die Starken fraßen die Schwachen. Doch so simpel war das nicht. In letzter Zeit kehrten jene, die sie gefressen hatte, nachts in ihren Albträumen wieder, stumm und mit anklagendem Blick, manchmal mit Tränen in den Augen. Entstellt, wie sie sie zurückgelassen hatte.

Bleib professionell!

In der Wohnung roch es nach Jasmin und chinesischem Essen. Die Digitalanzeigen des Kühlschranks und der Stereoanlage schufen ein diffuses Licht. Ghost stieß sich das Schienbein an einem Sessel, fluchte lautlos in sich hinein, weil ein Glas auf dem Tisch daneben klapperte. Unter der Decke schwebte ein Holo-TV. Der Bildschirm stand auf Standby, flimmerte wie die Hitze über dem roten Sand der Wüste. Die Netrunnerin hatte das, wovon sie träumte.

Eine eigene Wohnung ... Ein echtes Leben!

Ein Ort, an den sie sich zurückziehen und die Welt aussperren konnte, ganz gleich, wie abgefuckt es auch war.

Bis feige Mörder durchs Fenster steigen und das fragile Habitat für immer zerstören...

Sie atmete durch, verbannte Zweifel und Gewissensbisse, schloss für einen Moment die Augen, weil ihr schwindelig wurde.

»Hab vermutet, ihr kommt mit ‘nem lauten Knall durch die Tür. Aber das Fenster, das ist innovativ.«

Die Worte drangen Ghost durch Mark und Bein. In einer fließenden Bewegung wirbelte sie herum und riss dabei die Waffe aus dem Holster. Die stellte über den Smartlink in ihrer Handfläche binnen Millisekunden eine Verbindung zum Neuroprozessor her, der ein Fadenkreuz in sanftem Nachtmodus-Blau vor ihr Auge projizierte. Okay, eher in ihrem Auge.

»Hab ‘ne Doppelläufige auf dich gerichtet, also mach‘ bloß keinen Fehler!«

Die weibliche und überraschend angenehme Stimme kam aus der dunklen Ecke der Couch, die Ghost nicht gecheckt hatte. Der leicht enttäuschte Unterton verwirrte sie. Ghost erkannte die vagen Konturen einer Frau, die sich im Zwielicht ständig veränderten. Sie war der Netrunnerin wie ein Anfänger in die Falle getappt.

Die wusste, dass jemand kommt, hat mir aufgelauert.

Ghosts Nacken kribbelte, wurde erst heiß, dann kalt. Die mit dem Neuroprozessor verbundenen Synapsen spielten verrückt. »Überhitzung« meldete der Prozessor in ihrem Auge. Das Fadenkreuz flackerte und erlosch.

Fuck!

Von einem plötzlichen Schwindel ergriffen, verlor sie das Gleichgewicht, taumelte gegen die Küchentheke und brach zusammen.

Ich werde gehackt!

Die Frau mit der Schrotflinte bewegte sich ruckartig auf sie zu, erwuchs über Ghost zu einem verschwommenen Giganten. Ihre Konturen verwirbelten zu bunten Schlieren und explodierten in einem gleißenden, elektrisch knisternden Blitz.

 

Reboot...

Writing Error ...

Substance Check...

 

Der intensive Duft von frisch erblühtem Jasmin.

 

System Error ...

 

Ghosts Kopf drohte zu explodieren. Ihr Gehirn fühlte sich an, als würde es, von einem scharfen Messer tranchiert, in kochendem Wasser liegen. Die Implantate in ihren Pupillen brannten wie Alkohol in einer frischen Wunde. Als die Sehkraft zurückkehrte, schwebten zwei kreisrunde, hell erleuchtete Displays vor ihren Augen.

Die Schlampe hat mir ein VR Headset aufgezogen ...

Fickt mein Hirn!

»Nicht ganz«, sagte das süß duftende Jasmin und zog ihr die VR vom Kopf. Überraschend weiches schwarzblaues Haar bedeckte für einen Moment Ghosts Gesichtsfeld, dann sah das Jasmingesicht auf und lächelte sie an. »Vielmehr habe ich verhindert, dass du gegrillt wirst.«

Die Netrunnerin legte das Headset beiseite und zog einen Stick aus Ghosts Datenslot über dem Ohr.

»Die haben dich gehackt und ‘ne Überladung deines Neuroprozessors initiiert, wollten dich damit abservieren ...«

Ghost realisierte, dass sie auf der Couch lag und einen nassen Lappen auf der Stirn hatte. Die Bildstörungen wegblinzelnd, setzte sie sich auf. Im Zimmer war es jetzt auf angenehme Weise heller. Verwundert musterte sie die Bandplakate an den Wänden, sah in unangenehmer Schärfe die ausgefransten Ränder, wo die Reißzwecken staken.