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Jenny Behnisch, die Leiterin der gleichnamigen Klinik, kann einfach nicht mehr. Sie weiß, dass nur einer berufen ist, die Klinik in Zukunft mit seinem umfassenden, exzellenten Wissen zu lenken: Dr. Daniel Norden! So kommt eine neue große Herausforderung auf den sympathischen, begnadeten Mediziner zu. Das Gute an dieser neuen Entwicklung: Dr. Nordens eigene, bestens etablierte Praxis kann ab sofort Sohn Dr. Danny Norden in Eigenregie weiterführen. Die Familie Norden startet in eine neue Epoche! »Müssen wir heute eigentlich früher los?« Dr. Daniel Norden warf seiner geliebten Ehefrau Felicitas über den Rand seiner Tageszeitung einen fragenden Blick zu. »Ich fahr dich gern zu deinem Vortrag in der Schule, ich muss nur wissen, was du für den heutigen Vormittag geplant hast.« Energisch klappte er seine Morgenlektüre zusammen und legte sie zur Seite. Dann griff er zu seiner Kaffeetasse und trank sie in einem Zug leer. Unternehmungslustig klopfte er mit der flachen Hand auf seinen rechten Oberschenkel. Er war startklar. Deutlicher hätte er es nicht signalisieren können. Ein gemeinsames Frühstück war dem Arztehepaar heilig. Wann immer es möglich war, tranken sie gemeinsam ihren Morgenkaffee und stärkten sich für den Tag. Normalerweise fuhren sie danach zusammen in die Behnisch-Klinik. Dort war Dr. Daniel Norden als Chefarzt tätig und Felicitas leitete die Abteilung für Kinderheilkunde. Nicht selten kam es vor, dass sie sich dann den ganzen langen Tag nicht sahen, obwohl sie unter einem Dach arbeiteten. Ihre Arbeitstage waren bis zur letzten Minute ausgelastet und nicht selten kam es vor, dass an einen pünktlichen Feierabend nicht zu denken war. Aber das machte ihnen nichts aus, denn beide verstanden ihren Beruf als Berufung. Mit viel Herz und einem großen Einfühlungsvermögen taten sie alles, damit es ihren großen und kleinen Patienten gut ging. Sie taten allerdings auch alles dafür, dass ihr glückliches Familienleben nicht zu kurz kam. Daniel und Felicitas Norden hatten fünf wohlgeratene Kinder, die längst erwachsen waren.
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2025
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»Müssen wir heute eigentlich früher los?« Dr. Daniel Norden warf seiner geliebten Ehefrau Felicitas über den Rand seiner Tageszeitung einen fragenden Blick zu. »Ich fahr dich gern zu deinem Vortrag in der Schule, ich muss nur wissen, was du für den heutigen Vormittag geplant hast.« Energisch klappte er seine Morgenlektüre zusammen und legte sie zur Seite. Dann griff er zu seiner Kaffeetasse und trank sie in einem Zug leer. Unternehmungslustig klopfte er mit der flachen Hand auf seinen rechten Oberschenkel. Er war startklar. Deutlicher hätte er es nicht signalisieren können.
Ein gemeinsames Frühstück war dem Arztehepaar heilig. Wann immer es möglich war, tranken sie gemeinsam ihren Morgenkaffee und stärkten sich für den Tag. Normalerweise fuhren sie danach zusammen in die Behnisch-Klinik. Dort war Dr. Daniel Norden als Chefarzt tätig und Felicitas leitete die Abteilung für Kinderheilkunde. Nicht selten kam es vor, dass sie sich dann den ganzen langen Tag nicht sahen, obwohl sie unter einem Dach arbeiteten. Ihre Arbeitstage waren bis zur letzten Minute ausgelastet und nicht selten kam es vor, dass an einen pünktlichen Feierabend nicht zu denken war. Aber das machte ihnen nichts aus, denn beide verstanden ihren Beruf als Berufung. Mit viel Herz und einem großen Einfühlungsvermögen taten sie alles, damit es ihren großen und kleinen Patienten gut ging. Sie taten allerdings auch alles dafür, dass ihr glückliches Familienleben nicht zu kurz kam.
Daniel und Felicitas Norden hatten fünf wohlgeratene Kinder, die längst erwachsen waren. Die Zwillinge Janni und Desiree lebten noch zu Hause, die anderen drei standen bereits auf eigenen Beinen. Fee war zu Recht stolz auf ihre Kinder.
»Schatz, ich fahr lieber selbst, denn nach meinem Vortrag muss ich ja auch irgendwie wieder zurück, beziehungsweise in die Klinik kommen.« Fee, wie ihr Mann und enge Freunde sie nennen durften, zwinkerte Daniel amüsiert zu.
»Ach so, ja da hast du natürlich recht, meine Fee. Dann schickst du mich jetzt also ganz alleine los.« Er bemühte sich um einen gequälten Gesichtsausdruck, aber alles, was er damit erreichte, war ein liebevolles Lächeln im Gesicht seiner Frau.
»Das schaffst du schon, mein Großer«, gab sie schmunzelnd zurück.
»Dann musst du mir einen dicken und festen Kuss mitgeben«, forderte er ein und um seinen Worten auch gleich Taten folgen zu lassen, erhob er sich, beugte sich über den Tisch und drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.
Das Ehepaar verharrte ein paar Sekunden in einer zärtlichen Umarmung, bis sie sich mit einem tiefen Seufzer voneinander trennten. »Komm gut über den heißen Tag«, flüsterte er ihr noch ins Ohr. »Der Wetterbericht für München hat heute wieder Temperaturen weit über dreißig Grad vorhergesagt.«
»Ich weiß, das wird wieder anstrengend«, stimmte sie ihm zu. »Und dabei ist es noch gar nicht richtig Sommer. Bis zu den Schulferien dauert es noch ein paar Wochen. Umso wichtiger ist ja mein Vortrag an der Schule. Wie du ja weißt, geht es darum, die Kinder zu sensibilisieren, wie man Körper und Stoffwechsel bei Hochsommertemperaturen unterstützen kann. Es ist der erste Vortrag dieser Art und ich hoffe, dass sich bald noch weitere Schulen bereit erklären, dafür eine Stunde der wertvollen Unterrichtszeit zu opfern.«
»Ich drück dir die Daumen, mein Schatz. Gibst du mir kurz Bescheid, sobald du in der Klinik bist? Vielleicht können wir gemeinsam in die Mittagspause.« Daniel schnappte sich seinen Aktenkoffer und verließ das Haus, nicht ohne seiner Frau noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu geben. Dann machte sich auch Fee auf den Weg. Die Schule lag etwa fünfzehn Autominuten entfernt und wenn sie jetzt losfuhr, konnte sie so rechtzeitig dort sein, dass sie sich noch in aller Ruhe vorbereiten konnte.
Um diese Veranstaltung hatte sich Fee schon längere Zeit bemüht. Sie hatte mehrere Schulen angeschrieben und ihren Vorschlag unterbreitet. An Zustimmung hatte es nicht gemangelt, allerdings gab es andere Probleme. Der einen Schule fehlte es an Raumkapazitäten, die andere hatte für dieses Jahr kein Budget mehr, obwohl Fee betonte, dass sie ehrenamtliche Arbeit leiste. Die meisten Schulen argumentierten mit dem allgegenwärtigen Lehrermangel. Es mussten im laufenden Schuljahr schon genug Stunden ausfallen, da wollte man nicht noch weitere Unterrichtszeit »opfern« für eigentlich schulfremde Themen. Erst als Fee erneut betonte, wie wichtig ihr Anliegen sei, und dass sie es durchaus für pädagogisch wertvoll halte, wenn die Jugend dafür sensibilisiert werden könne, schwenkte eine einzige Schule um und erlaubte, dass sie in der Aula ihren Vortrag halten konnte, der sich planmäßig über zwei Schulstunden hinziehen sollte.
Mit ihrem Redemanuskript auf dem Beifahrersitz und der mittlerweile obligatorischen Wasserflasche in der Mittelkonsole ihres kleinen Stadtflitzers fuhr Fee rechtzeitig los. Ihr Zeitplan ging trotzdem nicht auf, denn schon nach wenigen Minuten stand sie im Stau. Sie seufzte resigniert. Das hätte sie sich ja denken können! München war nun mal eine Stadt, aus der die täglichen Verkehrsstaus nicht wegzudenken waren. Na gut, dachte sie. Mit ein wenig Glück werde ich immer noch rechtzeitig da sein.
Dass sie dann doch nur drei Minuten vor Beginn ihres Vortrags an der Schule ankam, ließ ihr Herz ein wenig schneller schlagen. Zum Glück wurde sie am Eingang schon erwartet.
»Wiedemann, ich bin die Konrektorin, wir haben miteinander telefoniert«, stellte sich die flotte Mittvierzigerin vor. »Ich dachte schon, Sie kommen nicht mehr.«
Fee entschuldigte sich, aber Frau Wiedemann schnitt ihr das Wort ab. »Kommen Sie, ich bringe Sie zur Aula, wir können uns danach noch unterhalten. Die drei Klassen, die wir ausgesucht haben, sind bereits vollständig versammelt.«
Dankbar schloss sich Fee der Lehrkraft an. Schon nach wenigen Schritten mussten die beiden allerdings ihren Weg unterbrechen.
»Shirin, was tust du da?« Frau Wiedemann sprach ein Mädchen an, das offensichtlich auf der Suche nach etwas war. Fee erkannte auf den ersten Blick, dass das Kind verwirrt war. Als Kinderärztin wusste sie, dass es viele Ursachen dafür geben konnte, von völlig harmlos bis hin zu schweren Erkrankungen.
»Die Aula …«, stammelte das Mädchen. »Frau Wiedemann, ich finde die Aula nicht.« Shirins Blick irrte hilflos umher. Das Kind war blass, ihre blauen Augen angstvoll aufgerissen und ihre Hände machten unwillkürliche, fahrige Bewegungen.
»Na also sag mal … wie lange bist du nun schon in unserer Schule?«, fragte Frau Wiedemann erstaunt. »Die Aula ist dort vorne rechts, das weißt du doch, du warst in den letzten Jahren doch schon mehrmals dort. Nun aber schnell, wie du siehst, habe ich Frau Doktor Norden dabei, der Vortrag beginnt gleich.«
»Entschuldigung«, murmelte Shirin verlegen. Dann drehte sie sich nach links und lief los.
»Halt, das ist die falsche Richtung!«, rief Frau Wiedemann sichtlich genervt. »Rechts habe ich gesagt! Kannst du jetzt nicht mal mehr rechts und links auseinanderhalten?«
Fee beobachtete das Mädchen genau. Ihr entging nicht, dass in ihren Augen die ersten Tränen glitzerten. Gerne hätte sie Shirin ein paar Fragen gestellt, um den Grund für ihr auffälliges Verhalten herauszufinden, aber sie hatte nun offensichtlich den richtigen Weg gefunden und eilte zur Aula.
»Immer wieder dieses Kind«, beschwerte sich Frau Wiedemann.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Fee interessiert nach.
»Sie ist einfach nicht von dieser Welt.« Endlich lächelte Frau Wiedemann, aber Fee war klar, dass sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen sollte. Erneut fragte sie nach.
»Shirin war immer ein aufgewecktes Mädchen«, erklärte die Lehrerin. Mittlerweile standen die beiden Frauen am Eingang zur Aula und warteten noch einen Moment, bevor sie eintraten. »Aber dann begann sie sich zu verändern. Das geht jetzt schon seit gut einem Jahr so. Sie vergisst ständig was, wirkt oft abwesend und unkonzentriert. Ich wollte schon mit der Mutter sprechen, denn die schulischen Leistungen sind rasant in den Keller gerutscht. Es gäbe dringenden Redebedarf. Aber sie kommt nicht in die Sprechstunde. Auch nicht nach mehrmaligen Aufforderungen.«
»Haben Sie die Eltern denn wiederholt kontaktiert?«, fragte Fee und bereute ihre Worte sofort.
»Selbstverständlich, was denken Sie denn?« Frau Wiedemann wirkte jetzt sichtlich verärgert. »Shirins Eltern gehören offenbar zu der Sorte, die mit der Schule wenig zu tun haben möchten. Und jetzt kommen Sie, es ist höchste Zeit.«
Damit war klar, dass Fee keine Chance für weitere Fragen hatte.
Beim ersten Schritt in die Aula fühlte sich Fee einen kurzen Moment in ihre eigene Schulzeit zurückversetzt. Wie schnell doch die Zeit vergeht, dachte sie. Damals war sie eine ruhige, fleißige und sehr ehrgeizige Schülerin gewesen, und heute stand sie nun als renommierte Ärztin und Mutter von fünf Kindern vor Jugendlichen, die sich auf den Start in ein selbstständiges Leben vorbereiteten. Fee fragte sich, was die Zukunft wohl für die Schülerinnen und Schüler bereithielt und welche unterschiedlichen Schicksale auf die noch unschuldigen Seelen warteten.
Das Stimmengewirr verebbte ein wenig, denn die meisten Schüler hatten sie bereits bemerkt. Sie legte das Manuskript vor sich hin, stellte ihre Wasserflasche daneben und sah sich neugierig um. Fee ließ ihren Blick über die Köpfe der Kinder schweifen, obwohl – Kinder waren sie nicht mehr, aber vom Erwachsensein waren sie auch noch weit entfernt. Fee schätzte die meisten von ihnen etwa 12 bis 14 Jahre alt. Das passte zu den Infos, die sie vorab von Frau Wiedemann erhalten hatte. Die Schule hatte entschieden, die gesamte achte Jahrgangsstufe der Mittelschule für die Veranstaltung auszuwählen. Es waren um die hundert Schülerinnen und Schüler, die nun erwartungsvoll in ihre Richtung schauten. Sie genossen offensichtlich die Abwechslung vom üblichen Schulalltag.
Frau Wiedemann ergriff das Wort. Sie klopfte erst gegen das Mikrofon, um zu prüfen, ob es eingeschaltet war und bat dann energisch um Ruhe. Das klappte nicht auf Anhieb, aber sobald die Lehrerin ein paar einleitende Worte sprach und Fee vorstellte, wurde die Geräuschkulisse deutlich leiser. Fee nutzte die Gelegenheit, während die Konrektorin sprach. Sie ließ ihren Blick noch einmal über die Menge vor ihr schweifen und suchte nach Shirin. Als sie sie entdeckte, war sie einigermaßen beruhigt. Ihre leuchtend hellblonde Haarpracht stach richtig heraus aus der Menge. Die Schülerin hatte sich ganz hinten in der letzten Reihe einen Platz gesucht. Fee fiel auf, dass sie zu ihren Mitschülern keinen Kontakt hatte. Sie schaute weder links noch rechts, sondern saß wie versteinert da. Inmitten der bunt zusammengewürfelten Gruppe wirkte sie wie ein Fremdkörper. Hatte sie denn keine Freundinnen?
Für weitere Überlegungen hatte Fee jetzt keine Zeit mehr, denn Frau Wiedemann war mit ihrer Einleitung fertig und sie konnte mit ihrem Vortrag beginnen.
Schon während der ersten paar Minuten wurde sie von ihrem Vorsatz, Shirin im Auge zu behalten, abgelenkt. Ihr wurde ihr klar, dass sie ihr Konzept nicht beibehalten konnte. Warum nur hatte sie nicht auf ihren Sohn Janni gehört, der ihr angeboten hatte, ein paar Grafiken und anderes Bildmaterial zu erstellen und auf ihren Laptop zu laden. »Die kannst du dann an die Wand werfen«, hatte er ihr erklärt. »Dein Vortrag wird dadurch lebendiger, nicht, dass die Kids einschlafen«, hatte er noch verschmitzt lächelnd hinzugefügt.
Fee hatte geglaubt, dass es doch reichen müsse, wenn sie ihren Vortrag einfach nur mit Worten halte, schließlich sei das Thema an sich doch schon spannend genug. Aber bereits nach den ersten zehn Minuten musste sie feststellen, dass die ersten schon nicht mehr bei der Sache waren. Vereinzelt wurde getuschelt, manche kritzelten irgendetwas auf ein Blatt, das vor ihnen lag und einige hatten sogar ungeniert ihr Handy in der Hand und spielten darauf herum. Nur Shirin hatte ihren Blick auf sie gerichtet. Fee hatte fast den Eindruck, das Kind starre sie unentwegt an. Fee war klar: Sie musste sich etwas einfallen lassen, um die Sache interessanter zu gestalten.
Kurzentschlossen packte sie den Stapel Papier, der ihr als Grundlage für ihren Vortrag diente, weg. Sie verließ ihre starre Position hinter dem Rednerpult und ging auf die Schüler zu. »Wer von euch hat eine Vorstellung davon, wie viel ein Mensch pro Tag trinken sollte?«, fragte sie in die Runde. Die beabsichtigte Wirkung blieb erst aus. Dann meldete sich ein Junge zögerlich. »Ich habe gehört, ein bis zwei Liter«, antwortete er. Der Bann war gebrochen. Fee freute sich über die rege Diskussion, die sich nun entwickelte und auch wenn sich nicht alle Schülerinnen und Schüler daran beteiligten, so zeigten sich die meisten dann doch interessiert – bis auf eine. Shirin saß teilnahmslos auf ihrem Platz und starrte Fee noch immer ununterbrochen an. Allerdings gab es keinerlei Anzeichen darüber, ob sie der Diskussion wenigstens passiv folgte oder ob sie überhaupt nicht zuhörte. Fee fürchtete Letzteres.
Die Zeit verging wie im Flug. Mit ein paar aufmunternden Worten verabschiedete sich Fee von den Schülern und bemühte sich um Blickkontakt mit Shirin. Sie wollte sie nicht aus den Augen verlieren und mit ihr sprechen, bevor sie wieder in ihr Klassenzimmer zurückging. Aber Fee suchte das Kind vergeblich. Der Platz, an dem Shirin eben noch saß, war jetzt leer.
Die warmen Worte der Konrektorin unterbrach Fee kurzerhand. »Frau Wiedemann, danke, aber mir wäre jetzt wichtig, mit Shirin kurz zu sprechen, sie ist aber wohl schon gegangen. Könnten Sie mir wohl sagen, wo ich sie finde?«