Shy - Max Porter - E-Book

Shy E-Book

Max Porter

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Beschreibung

Ein bravouröser und von Musik geradezu besessener Roman, in dem der Erfolgsautor Max Porter die Erkundung der Jugend aus Lanny fortsetzt. Es läuft nicht gut für Shy. Dabei sehnt er sich eigentlich nur nach Sex, Gras und einem eigenen Plattenspieler. Außerdem soll endlich das wütende Rauschen in seinem Kopf aufhören. Aber wieder und wieder gerät er in eine bedrohliche Spirale und verliert die Fassung. Trotz der liebevollen Versuche seines Umfelds, ihm zu helfen, lassen die nächtlichen Panikattacken nicht nach und so flieht Shy für ein paar Stunden allein in die Dunkelheit. Begibt sich mitten hinein in einen Gedankenstrudel aus Vergangenheit, Gegenwart und den offenen Fragen nach seiner Zukunft. Ein Roman über Wut, Fantasie, Jugend und Gefühle, die wir alle kennen.

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Seitenzahl: 102

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INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

Max Porter, 1981 geboren, studierte Kunstgeschichte und arbeitete jahrelang als unabhängiger Buchhändler und Lektor. Sein international gefeiertes Debüt Trauer ist das Ding mit Federn (2015) wurde u. a. mit dem International Dylan Thomas Prize und dem Europese Literatuurprijs ausgezeichnet. Mit Lanny (2019) stand Max Porter auf der Longlist des Booker Prize. Shy (2023) erreichte sofort nach Erscheinen Platz 1 der Sunday-Times-Bestsellerliste. Sein Werk wurde in über dreißig Sprachen übersetzt.

ÜBER DAS BUCH

Es läuft nicht gut für Shy. Dabei sehnt er sich eigentlich nur nach Sex, Gras und einem eigenen Plattenspieler. Außerdem soll endlich das wütende Rauschen in seinem Kopf aufhören. Aber wieder und wieder gerät er in eine unheilvolle Spirale, und trotz der liebevollen Versuche seines Umfelds, ihm zu helfen, lassen die nächtlichen Panikattacken nicht nach. Eines Nachts flieht Shy für ein paar Stunden allein in die Dunkelheit. Begibt sich mitten hinein in einen Gedankenstrudel aus seiner Vergangenheit, Gegenwart und den zahlreichen Fragen nach seiner Zukunft.

Ein Roman über Jugend, Fantasie, Wut und Gefühle, die wir alle kennen.

 

Für Lisa Baker

 

 

 

 

 

 

 

Hau rein, Shy

Der Rucksack ist unverschämt schwer.

Die Dielen ächzen.

Er sieht noch mal nach, ja, doch, sein Joint klemmt schön quer in der Embassy-Schachtel.

Bloß noch ein Halbtraum bis zum morgendlichen Wecken.

Das Zimmer ist schmelzweich. Verlockend.

Los jetzt.

Der Rucksack unverschämt schwer.

Es ist 3 Uhr 13.

Ist schließlich ein Sack voller Steine, klar ist der schwer.

Flintsteine sind im Durchschnitt 600 Millionen Jahre alt, sagt Steve.

Zerreißprobe. Knirschende Riemen.

Walkman am Start.

Pandemonium Andromeda Tour, Plymouth 1994, Tape 1.

Randall Back2Back Kenny Ken.

Express how you’re feelin.

Drum’n’Bass. Jungle.

Das Allergrößte.

Das Amen.

Absolut.

Abgefahren.

Heiß. Richtig schwer der Scheiß.

600 Millionen Jahre, und wir bilden uns auf unsere bestenfalls hundert was ein. Das hält er im Kopf nicht aus.

Die schiere Dimension. Den Druck.

Sein Magen spielt verrückt.

Zeit.

Leichter Drang zu scheißen.

Er macht im Zimmer kein Licht. Shys Zimmer abzüglich Shy. Eve 1965 in den Balken geschnitzt. Ein schiefes Herz in den Balken geschnitzt. 1891 in den Balken geschnitzt. Shy 95, frisch gekritzelt in den Balken geritzt, mit gezacktem S, eher ein Z. Nicht mal das hat er hingekriegt.

Hier gibt es eine Zukunft, Shy. Für dich.

Damit es nicht knarzt, bleibt er auf dem Weg durch den Flur in der Mitte des Läufers.

Jamie schläft nie, hat aber bestimmt seinen Kopfhörer auf. Steve, Amanda, Owen unten, Benny, Posh Cal, Paul, Riley, Ash.

Der Rucksack ist unverschämt schwer.

Miese kleine Ratte.

Die Schultern tun ihm mörderisch weh.

Ein Schritt und noch einer.

Sachte, sachte.

Riecht noch nach dem Chili con carne vom Abend.

Achselschweiß und flächendeckender Furzmief.

Leckt mich doch.

Tex-Mex und altfeuchte Mauern.

Er bleibt am Fuß der Treppe stehen und nibbelt an seinem Daumen.

Zischtick-Zischtick, der Stromzähler wie ein langsam rückwärts laufender Break.

Zwischen Zuständen gefangen. Geborgen. Flüchtig.

Es schlägt dreizehn, seht den kleinen Shy mit seinem letzten Spliff und Lieblingstape. Junge auf der Treppe, dann draußen. Als die Uhr dreizehn schlug. So fühlt sich das an, genau so, verdammt. An das Buch hat er seit Jahren nicht mehr gedacht.

Und das hier ist Shy. Den findet man meist hier unter seinem Kopfhörer monologisierend in seiner Ecke. Er will nicht gefilmt werden. Aber sag doch hallo, Shy, machst du das?

Wenn die Riemen reißen, ist das Ding gelaufen, dann rasseln hundert Flinte auf die Fliesen der Diele. Denkmalschiefe Treppen und Böden, schutzwürdige Historie, hysterische Lehrer.

Beschissener uralter Reebok-Rucksack.

Lynx Africa.

Herz wummwummert wie vor Angst. Blödsinniges Drama vor leerem Saal. Obsessiv offerierte Stimmen aus dem Off.

Heute sind wir ein ganzes Stück weitergekommen, Shy. Das freut mich sehr.

Was hat er nicht alles angestellt – gesprayt, gekokst, geraucht, geflucht, gestohlen, gestochen, geschlagen, gelauert, Reißaus genommen, einen Escort geschrottet, einen Laden zerlegt, ein Haus verwüstet, eine Nase gebrochen, den Finger seines Stiefvaters durchstochen, aber geschlichen ist er schon länger nicht mehr. Das stresst.

Psychisch vulnerable Jugendliche mit besonderem Betreuungsbedarf – oder ein Haufen minderjähriger Straftäter auf steuerfinanzierter ländlicher Kur?

Er hat den Wintergarten erreicht, neun stille, teppichstumme Schritte zu den hohen Verandafenstern hinter dem schäbigen Blumendruckvorhang. Nächstes Jahr wird das hier die Küche irgendeines stinkreichen Saftarschs sein. Die alten Fenster lassen sich nicht öffnen. Die neueren, in den Sechzigern eingesetzt, schon, und das schön leise. Er tritt aus dem muffigen Haus und zieht seine Kapuze hoch.

[Die Kamera schwenkt über den Rasen.]

Ganz gewöhnliche Kids, die ein bisschen kicken – oder einige der labilsten und gewalttätigsten Delinquenten im Land? Hier, in der ungewöhnlichen Einrichtung Last Chance, heißt es immer wieder: beides.

Er könnte schneller machen, um rasch außer Sichtweite zu sein, aber die Steine wären zu laut, also schleicht er weiter. Er späht zurück und denkt an alle im Haus. Hübsch zugedeckt. Owen und die Nachschicht, die Jungs. Schlafen noch wie Murmeltiere, schnauben und schnaufen und träumen den verpanikten, brutalen, süßen oder seichten Scheiß, den sie eben so träumen. Alle behaupten immer, sie schliefen hier so wahnsinnig fest. Die Neuen erzählen von abgefuckten Träumen, und dann machen Gespenstergeschichten die Runde (von Lady Nash, die deinen Schlaf bewacht und nach deinem Nachtatem schnappt; vom knochigen, inkontinenten Alten, der rieselnd im Nachthemd die Hintertreppe rauf- und runtersteigt) und auch die wahre Geschichte von Sir Henry Radcliffe, der in der verriegelten Dachkammer eine Bedienstete ermordete, weshalb jeder, der neu einzieht, sie schreien hört, Willkommensgruß des Hauses aus seiner traumatisierten Vergangenheit. Alle haben den Schrei gehört, oder wenn nicht, tun sie doch so.

Du bist ja nicht dumm, Junge, aber du legst es echt darauf an, dein Leben an die Wand zu fahren, wie?

Die Nacht ist weit und tut weh.

Oho, die miese Ratte hat plötzlich Oberwasser! Ich dachte, du wärst depressiv?

Er kehrt dem allen den Rücken und wandelt hinaus ins Blaue. Flüchtiger Schatten.

Im letzten Jahr, noch daheim, noch normal an der Schule, in der Mittagspause bei Becky das Rumfummeln mit dem stinkigen, latexzähen Kondom, seine schlappe Schwanz-Nudel zu nichts zu gebrauchen, und Becky so süß überbemüht, streichelt, stupst, presst, probiert peinlich, ihm einen zu blasen, Mitleidslächeln, als wär was kaputt, armes Pimmelchen, was alles nur schlimmer machte; er hatte sich wortlos angezogen, nicht nett, war rot und halb entblößt davongestürmt, dabei meinte Becky, bleib doch, chill noch, komm kuscheln wir, entspann dich mal, mach kein Ding draus, er aber, beschämt, den Tränen nah, poltert die Treppe hinunter, zieht kleinlaut ab, stürmt zur Schule zurück und findet, wenn das Leben so eine Scheiße ist, so ein Stress, so viel Druck, dann ist das zu viel, einfach fucking zu viel, nichts als Ärger das Ganze, wie kam da überhaupt jemand klar, Becky so süß, aus Scham bald schon Wut, wieder mal Versagen am Hals, und alle warten nur auf den nächsten Schlag, er wird nie irgendwo nett mit einer ihm gewogenen Person sitzen, auf offene Ohren stoßen, was beitragen können, was wer hören will, für ihn wird nie phasenweise alles gut sein und er bequem in der Zeit unterwegs, einfach gut drauf, rummachen, mal Spaß, mal Talsohle, nein, stattdessen Totalschaden und das ausweglose Gefühl, versagt zu haben, zurück auf Los, gezinkte Karten, Beckys trauriger Blick auf seinen schrumpfenden pinken Winzling-Pimmel, Vorhaut schrumpelig wie ein Nacktmull, Verrat nach dem oft pickelharten Ständer, der krassen Knutscherei, Cunnilingus-Lektionen, Latten satt, klebrigen Boxershorts, geschundenen Lippen, und lieber Gott, am liebsten würde er sich klein zusammenrollen und schluchzen, wie oft hat er sich, sie ihm in den Pausen einen runtergeholt, weil sie sich doch aufsparen wollten, wieder so ein Griff ins Klo, immerzu stellt er sich vor, wies sein wird und tillt aus, wenn es anders kommt, jetzt hat er Chemie-Doppelstunde, ausgerechnet, das macht ihn kirre, der Geruch des Labors, Mrs Fryn, die ihm voll auf die Nüsse geht, könnte er doch nur zurück, Rückspultaste betätigen zur Angeberei, zur Aufregung, zur Erregung, Schule ist der reine Hohn, endlose Stufen, lange Flure, das Läuten verpasst und immer noch keine genagelt, platzt in den Naturwissenschaftstrakt, pfeffert im Labor seine Tasche hin und blödelt mit Noddy herum, bis Mrs Fryn sagt: Mir passt deine Haltung nicht, und er darauf: Und mir Ihr Gesicht, prompt der Rauswurf und sie ihn zum Direktor geschickt, aber er so: Sie können mich mal, und bei seinem Abgang hatte er mit dem Arm eins, zwei, drei, vier, fünf komplette Chemiekästen vom Tisch gewischt, Glaskolben und Säureflaschen und Metallklammern und Bunsenbrenner klirrten und krachten zu Boden, dazu das Nach-Luft-Schnappen und Gackern seiner bekittelten Klassenkameraden, und er schnurstracks zur Schule raus, erste Fluppe schon beim Überqueren des Schulhofs und die böse Ahnung, das heute könnte dem Fass schulisch den Boden ausschlagen und ihm einen ganzen Abend anmaßender Endlosfragen seiner Mutter einhandeln: Aber warum denn nur, aber was hat dich bloß geritten, hörst du mir überhaupt zu, was ist bloß los mit dir, warum tust du mir das an, rede gefälligst mit mir, mit uns, während sein Stiefvater im Türrahmen ihn mit Blicken straft, selbstgefälliger Arsch, also macht er sich stattdessen auf den Weg zu Gill und Michael, die legen für ihn immer einen Schlüssel unter die Matte, damit er, wenn alles zu viel wird, sich in ihre durchgestylte Küche hocken und erst mal runterkommen kann, Freunde seiner Mum und des Stiefvaters, keine eigenen Kinder, Gill möglicherweise seine Patentante, weiß er nicht mehr, er schließt auf, stampft eine Zeitlang schimpfend durch die Küche, verputzt einen Haufen Doppelkekse, schaut sich ihr Zeug an, Gill und Michael in Paris, Gill und Michael auf Korfu, ein gerahmtes Plakat mit dem Slogan »Prognose heute: Die Wein-Wahrscheinlichkeit liegt bei 99 Prozent«, einen Kalender mit Gartenvögeln, geht an den Barschrank und kippt etwas Gordon’s, dann raucht er auf der Terrasse, tigert auf und ab, wünscht, er hätte noch einen Rest Speed vom Fantazia-Rave, schenkt sich stattdessen Wodka ein, findet im Kühlschrank ein paar Dosen Kronenbourg und leert eine gleich in einem Zug, gönnt sich weiteren Wodka und legt sich im Wintergarten aufs Sofa, trinkt noch ein Bier, raucht noch eine, da hört er die Haustür, also knallt er die Küchentür zu, shit!, hört Gill einen kleinen verschreckten Huch-Laut von sich geben, packt einen Stuhl, zertrümmert den Glasschrank mit den ganzen teuren Weingläsern, hört Gill kreischen, hört die Haustür zuschlagen, knöpft sich die Fotos vor, bearbeitet Glas mit den Fäusten, Gill und Michael in Avebury mit den Armen um einen Hinkelstein, die junge Gill mit Sonnenbrand auf einem Balkon, so boxt er sich an der ganzen Fotowand entlang, schlägt schnell und fest zu wie bei dem Kirmesspiel mit den aufpoppenden Köpfen, mit blutenden Knöcheln, einem tiefen Schnitt mit Glaskrümeln drin, zertrümmert das Weinprognoseposter, reißt die Mikrowelle aus der Steckdose und schleudert sie zu Boden, haut die Wodkaflasche gegen die Wand, knallt einen Stuhl gegen die Wintergartentür, aber die ist aus Sicherheitsglas, deshalb bricht bloß ein Stuhlbein ab, er schreit ein einziges Mal, ein lautes Jaulen, lässt den kaputten Stuhl fallen, sinkt aufs Sofa und heult, bis er Schluckauf hat, Shit, Schnief, Fuck, fühlt sich schon etwas besser, so dass er, als die Sirenen sich nähern, seelenruhig fast reuig dasitzt.

Am unteren Ende des Rasens bleibt er stehen, da, wo Jamie im letzten Quartal Nick Fulshaws Kopf einen Tritt versetzt hat und die Polizei dauernd fragte, warum ihn niemand dort in seinem Blut hat liegen sehen, worauf alle auf den Graben gezeigt und wieder und wieder erklärt hatten: Wegen des Ha-Ha.

Seine Mum rief an und meinte, sie machten sich Sorgen, und er solle doch auf sich achtgeben, das viele Kiffen, das hemme womöglich das Wachstum, und es sei bestimmt nicht gesund, immer nur drinnen herumzusitzen und seine Drums und seinen Bass zu hören, und er sagte, Drum’n’Bass liebe er viel mehr, als er sie je geliebt hätte, und legte auf.

Die Erinnerung tarnt sich mit anderem Scheiß.

Er rief noch mal zurück.

Vielen Dank auch, blöde Kuh. Dein Geseier kannst du dir sparen. Lass mich einfach in Ruhe. Und sag Iain, er kann mich mal.

Dann legte er zum zweiten Mal auf und ließ ihr Schluchzen im Hörer.

Er blickt zurück, das Haus sieht aus wie ein unscharfes, gelbstichiges altes Foto. Fast erwartet er, an einem der Fenster ein bleiches Gesicht zu sehen.