Siddhartha - ins Deutsche übersetzt - Herman Hesse - E-Book

Siddhartha - ins Deutsche übersetzt E-Book

Herman Hesse

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Beschreibung

Wer ist Siddhartha?
Er ist jemand, der sucht und vor allem versucht, sein ganzes Leben zu leben. Er geht von einer Erfahrung zur anderen, von der Mystik zur Sinnlichkeit, von der philosophischen Meditation zum Geschäftsleben, und er bleibt bei keinem Meister stehen, er betrachtet keine Errungenschaft als endgültig, denn was es zu suchen gilt, ist das Ganze, das geheimnisvolle Ganze, das in tausend wechselnde Gesichter gekleidet ist. Und am Ende wird dieses Ganze, das Rad der Erscheinungen, hinter Siddharthas perfektem Lächeln zurückfließen, das das "konstante, ruhige, feine, undurchdringliche, vielleicht gütige, vielleicht spöttische, weise, vielfaltenreiche Lächeln von Gotama, dem Buddha, wiederholt, wie er es selbst Hunderte von Malen mit Verehrung gesehen hatte". Siddhartha ist zweifelsohne Hesses bekanntestes Werk.
Dieser kurze Roman mit indischem Ambiente, der 1922 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, hat in den letzten Jahren ein durchschlagendes Glück gehabt. Zunächst in Amerika, dann in allen Teilen der Welt haben ihn junge Menschen als ihren eigenen Text wiederentdeckt, in dem sie nicht nur einen großen modernen Schriftsteller, sondern auch einen subtilen und delikaten Essay gefunden haben, der durch diese fiktive Parabel eine Lehre über das Leben zu vermitteln vermag, die seinen Lesern offensichtlich anderswo nicht begegnet ist.

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Inhalt

 

ERSTER TEIL

Der Sohn des Brahmanen

Mit den Samanas

Gotama

Erwachen

ZWEITER TEIL

Kamala

Mit dem kindlichen Volk

Sansara

Am Fluss

Der Fährmann

Der Sohn

Om

Govinda

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Siddhartha

 

Herman Hesse

ERSTER TEIL

Der Sohn des Brahmanen

Im Schatten des Hauses, im Sonnenschein des Flussufers in der Nähe der Boote, im Schatten des Sal-Waldes, im Schatten des Feigenbaums wuchs Siddhartha auf, der hübsche Sohn des Brahmanen, der junge Falke, zusammen mit seinem Freund Govinda, Sohn eines Brahmanen. Die Sonne bräunte seine hellen Schultern am Ufer des Flusses, wenn er badete, die heiligen Waschungen vollzog und die heiligen Opfer darbrachte. Im Mangohain fiel der Schatten in seine schwarzen Augen, wenn er als Junge spielte, wenn seine Mutter sang, wenn die heiligen Opfergaben dargebracht wurden, wenn sein Vater, der Gelehrte, ihn lehrte, wenn die Weisen sprachen. Lange Zeit hatte Siddhartha an den Diskussionen der Weisen teilgenommen, sich in der Debatte mit Govinda geübt, mit Govinda die Kunst des Nachdenkens, den Dienst der Meditation geübt. Er wusste bereits, wie er das Om, das Wort der Worte, still in sich hineinsprechen konnte, während er einatmete, und wie er es still aus sich heraussprechen konnte, während er ausatmete, mit der ganzen Konzentration seiner Seele, der Stirn, die von der Glut des klar denkenden Geistes umgeben war. Er wusste bereits, dass er Atman in den Tiefen seines Wesens fühlte, unzerstörbar, eins mit dem Universum.

Das Herz des Vaters freute sich über seinen Sohn, der schnell lernte und wissensdurstig war; er sah ihn zu einem großen Weisen und Priester heranwachsen, zu einem Fürsten unter den Brahmanen.

Glückseligkeit stieg in der Brust seiner Mutter auf, als sie ihn sah, als sie ihn gehen sah, als sie ihn sich setzen und aufstehen sah, Siddhartha, stark, gut aussehend, er, der auf schlanken Beinen ging, grüßte sie mit vollkommenem Respekt.

Die Liebe berührte die Herzen der jungen Töchter der Brahmanen, als Siddhartha mit der leuchtenden Stirn, mit dem Auge eines Königs, mit seinen schlanken Hüften durch die Gassen der Stadt schritt.

Aber mehr als alle anderen wurde er von Govinda geliebt, seinem Freund, dem Sohn eines Brahmanen. Er liebte Siddharthas Auge und seine süße Stimme, er liebte seinen Gang und die vollkommene Anständigkeit seiner Bewegungen, er liebte alles, was Siddhartha tat und sagte, und was er am meisten liebte, war sein Geist, seine transzendenten, feurigen Gedanken, sein glühender Wille, seine hohe Berufung. Govinda wusste: Er würde kein gewöhnlicher Brahmane werden, kein fauler Beamter, der für Opfergaben zuständig ist; kein gieriger Händler mit Zaubersprüchen; kein eitler, nichtssagender Redner; kein gemeiner, betrügerischer Priester; und auch kein anständiges, dummes Schaf in der Herde der Vielen. Nein, auch er, Govinda, wollte nicht einer von denen werden, nicht einer von den Zehntausenden von Brahmanen. Er wollte Siddhartha folgen, dem Geliebten, dem Großartigen. Und in den kommenden Tagen, wenn Siddhartha ein Gott werden würde, wenn er sich den Herrlichen anschließen würde, dann wollte Govinda ihm folgen als sein Freund, sein Gefährte, sein Diener, sein Speerträger, sein Schatten.

Siddhartha wurde also von allen geliebt. Er war eine Quelle der Freude für alle, er war eine Wonne für sie alle.

Aber er, Siddhartha, war keine Quelle der Freude für sich selbst, er fand keine Freude an sich selbst. Auf den rosigen Pfaden des Feigenbaumgartens wandelnd, im bläulichen Schatten des Hains der Kontemplation sitzend, seine Glieder täglich im Bad der Reue waschend, im schummrigen Schatten des Mangowaldes opfernd, seine Gesten von vollkommenem Anstand, jedermanns Liebe und Freude, fehlte ihm noch immer jede Freude im Herzen. Träume und unruhige Gedanken kamen in seinen Geist, fließend vom Wasser des Flusses, funkelnd von den Sternen der Nacht, schmelzend von den Strahlen der Sonne, Träume kamen zu ihm und eine Unruhe der Seele, rauchend von den Opfern, ausatmend von den Versen des Rig-Veda, ihm eingeflößt, Tropfen für Tropfen, von den Lehren der alten Brahmanen.

Siddhartha hatte begonnen, Unzufriedenheit in sich zu nähren, er hatte begonnen zu fühlen, dass die Liebe seines Vaters und die Liebe seiner Mutter und auch die Liebe seines Freundes Govinda ihm nicht ewig Freude bringen würden, ihn nicht nähren, ihn nicht zufriedenstellen würden. Er hatte angefangen zu ahnen, dass sein ehrwürdiger Vater und seine anderen Lehrer, dass die weisen Brahmanen ihm bereits das meiste und beste ihrer Weisheit offenbart hatten, dass sie sein erwartungsvolles Gefäß bereits mit ihrem Reichtum gefüllt hatten, und das Gefäß war nicht voll, der Geist war nicht zufrieden, die Seele war nicht ruhig, das Herz war nicht zufrieden. Die Waschungen waren gut, aber sie waren Wasser, sie wuschen die Sünde nicht ab, sie heilten den Durst des Geistes nicht, sie lösten die Angst in seinem Herzen nicht. Die Opfer und die Anrufung der Götter waren ausgezeichnet - aber war das alles? Haben die Opfer ein glückliches Schicksal beschert? Und was war mit den Göttern? War es wirklich Prajapati, der die Welt erschaffen hatte? War es nicht der Atman, Er, der Einzige, der Einzigartige? Waren die Götter nicht Schöpfungen, geschaffen wie du und ich, der Zeit unterworfen, sterblich? War es deshalb gut, war es richtig, war es sinnvoll und die höchste Beschäftigung, den Göttern Opfergaben zu bringen? Wem sonst sollten Opfer dargebracht werden, wer sonst sollte verehrt werden als Ihm, dem Einzigen, dem Atman? Und wo war der Atman zu finden, wo wohnte er, wo schlug sein ewiges Herz, wo sonst als im eigenen Selbst, in seinem innersten Teil, in seinem unzerstörbaren Teil, den jeder in sich hatte? Aber wo, wo war dieses Selbst, dieser innerste Teil, dieser letzte Teil? Es war nicht aus Fleisch und Knochen, es war weder Gedanke noch Bewusstsein, so lehrten die Weisesten. Wo, wo war es also? Um diesen Ort zu erreichen, das Selbst, mich selbst, den Atman, gab es einen anderen Weg, nach dem zu suchen sich lohnte? Ach, und niemand zeigte diesen Weg, niemand wusste ihn, nicht der Vater, nicht die Lehrer und Weisen, nicht die heiligen Opferlieder! Sie wussten alles, die Brahmanen und ihre heiligen Bücher, sie wussten alles, sie hatten sich um alles und um mehr als alles gekümmert, die Erschaffung der Welt, den Ursprung der Sprache, der Nahrung, des Einatmens, des Ausatmens, die Anordnung der Sinne, die Handlungen der Götter, sie wussten unendlich viel - aber war es wertvoll, all das zu wissen, ohne das eine und einzige zu kennen, das Wichtigste, das einzig Wichtige?

Gewiss, viele Verse in den heiligen Büchern, besonders in den Upanishaden des Samaveda, sprachen von diesem Innersten und Letzten, wunderbare Verse. "Deine Seele ist die ganze Welt", stand dort geschrieben, und es stand geschrieben, dass der Mensch in seinem Schlaf, in seinem Tiefschlaf, mit seinem Innersten zusammentreffen und im Atman verweilen würde. Wunderbare Weisheit steckte in diesen Versen, alles Wissen der Weisesten war hier in magischen Worten gesammelt worden, rein wie der Honig, den die Bienen sammeln. Aber wo waren die Brahmanen, wo die Priester, wo die Weisen oder Büßer, denen es gelungen war, dieses tiefste Wissen nicht nur zu kennen, sondern es auch zu leben? Wo war der Wissende, der seine Vertrautheit mit dem Atman aus dem Schlaf in den Zustand des Wachseins, in das Leben, in jeden Schritt des Weges, in Wort und Tat zu bringen vermochte? Siddhartha kannte viele ehrwürdige Brahmanen, vor allem seinen Vater, den Reinen, den Gelehrten, den Ehrwürdigsten. Sein Vater war zu bewundern, ruhig und edel waren seine Manieren, rein sein Leben, weise seine Worte, zarte und edle Gedanken lebten hinter seiner Stirn - aber selbst er, der so viel wusste, lebte er in Glückseligkeit, hatte er Frieden, war er nicht auch nur ein Suchender, ein Durstiger? Musste er nicht immer wieder aus heiligen Quellen trinken, wie ein Durstiger, aus den Opfergaben, aus den Büchern, aus den Streitgesprächen der Brahmanen? Warum musste er, der Untadelige, jeden Tag Sünden abwaschen, jeden Tag eine Reinigung anstreben, immer wieder jeden Tag? War nicht Atman in ihm, entsprang nicht die ursprüngliche Quelle aus seinem Herzen? Sie musste gefunden werden, die ursprüngliche Quelle im eigenen Selbst, sie musste besessen werden! Alles andere war Suchen, war ein Umweg, war Verirren.

So waren Siddharthas Gedanken, so war sein Durst, so war sein Leiden.

Oft sprach er zu sich selbst die Worte aus einer Chandogya-Upanishad: "Wahrlich, der Name des Brahman ist satyam - wahrlich, wer so etwas weiß, wird jeden Tag in die himmlische Welt eingehen." Oft schien sie nahe, die himmlische Welt, aber nie hatte er sie ganz erreicht, nie hatte er den letzten Durst gestillt. Und unter allen Weisen und Klugen, die er kannte und deren Belehrungen er erhalten hatte, gab es keinen, der sie ganz erreicht hatte, die himmlische Welt, der sie ganz gestillt hatte, den ewigen Durst.

"Govinda", sprach Siddhartha zu seinem Freund, "Govinda, mein Lieber, komm mit mir unter den Banyanbaum, lass uns meditieren."

Sie gingen zum Banyan-Baum und setzten sich, Siddhartha genau hier, Govinda zwanzig Schritte entfernt. Während er sich niederließ, bereit, das Om zu sprechen, wiederholte Siddhartha murmelnd den Vers:

Om ist der Bogen, der Pfeil ist die Seele, das Brahman ist das Ziel des Pfeils, das man unaufhörlich treffen sollte.

Nachdem die übliche Zeit der Meditationsübung vergangen war, stand Govinda auf. Der Abend war gekommen, es war Zeit, die abendliche Waschung vorzunehmen. Er rief Siddharthas Namen. Siddhartha antwortete nicht. Siddhartha saß gedankenverloren da, seine Augen waren starr auf ein sehr weit entferntes Ziel gerichtet, die Zungenspitze ragte ein wenig zwischen den Zähnen hervor, er schien nicht zu atmen. So saß er da, in Kontemplation versunken, und dachte Om, seine Seele war wie ein Pfeil auf das Brahman gerichtet.

Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, Asketen auf Pilgerfahrt, drei magere, vertrocknete Männer, weder alt noch jung, mit staubigen und blutigen Schultern, fast nackt, von der Sonne versengt, umgeben von Einsamkeit, Fremde und Feinde der Welt, Fremde und schmächtige Schakale im Reich der Menschen. Hinter ihnen wehte ein heißer Duft von stiller Leidenschaft, von zerstörerischem Dienst, von gnadenloser Selbstverleugnung.

Am Abend, nach der Stunde der Kontemplation, sprach Siddhartha zu Govinda: "Morgen früh, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas gehen. Er wird ein Samana werden."

Govinda wurde blass, als er diese Worte hörte und die Entscheidung in dem unbeweglichen Gesicht seines Freundes las, unaufhaltsam wie der Pfeil, der vom Bogen geschossen wurde. Bald und mit dem ersten Blick erkannte Govinda: Jetzt fängt es an, jetzt geht Siddhartha seinen eigenen Weg, jetzt nimmt sein Schicksal seinen Lauf und mit ihm das meine. Und er wurde blass wie eine trockene Bananenschale.

"O Siddhartha", rief er aus, "wird dein Vater dir das erlauben?"

Siddhartha sah hinüber, als wäre er gerade aufgewacht. Pfeilschnell las er in Govindas Seele, las die Angst, las die Unterwerfung.

"Oh Govinda", sprach er leise, "lass uns keine Worte verschwenden. Morgen, bei Tagesanbruch, werde ich das Leben der Samanas beginnen. Sprich nicht mehr davon."

Siddhartha betrat die Kammer, in der sein Vater auf einer Bastmatte saß, trat hinter seinen Vater und blieb dort stehen, bis sein Vater spürte, dass jemand hinter ihm stand. Da sprach der Brahmane: "Bist du das, Siddhartha? Dann sprich, was du zu sagen hast."

Siddhartha sprach: "Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass es mein Verlangen ist, morgen dein Haus zu verlassen und zu den Asketen zu gehen. Mein Wunsch ist es, ein Samana zu werden. Möge mein Vater sich dem nicht widersetzen."

Der Brahmane verstummte und schwieg so lange, dass die Sterne in dem kleinen Fenster wanderten und ihre relative Position änderten, bevor das Schweigen gebrochen wurde. Stumm und regungslos stand der Sohn mit verschränkten Armen, still und regungslos saß der Vater auf der Matte, und die Sterne zogen ihre Bahnen am Himmel. Dann sprach der Vater: "Es gehört sich nicht für einen Brahmanen, harte und zornige Worte zu sprechen. Aber in meinem Herzen ist Empörung. Ich möchte diese Bitte nicht ein zweites Mal aus deinem Mund hören."

Langsam erhob sich der Brahmane; Siddhartha stand schweigend da, die Arme verschränkt.

"Worauf wartest du?", fragte der Vater.

Siddhartha: "Du weißt, was."

Entrüstet verließ der Vater die Kammer; entrüstet ging er zu seinem Bett und legte sich hin.

Nach einer Stunde, da ihm kein Schlaf über die Augen gekommen war, stand der Brahmane auf, schritt hin und her und verließ das Haus. Durch das kleine Fenster der Kammer blickte er wieder hinein und sah Siddhartha mit verschränkten Armen stehen, der sich nicht von der Stelle rührte. Blass schimmerte sein helles Gewand. Besorgt kehrte der Vater zu seinem Bett zurück.

Nach einer weiteren Stunde, da ihm kein Schlaf in die Augen gekommen war, stand der Brahmane wieder auf, schritt hin und her, ging aus dem Haus und sah, dass der Mond aufgegangen war. Durch das Fenster der Kammer schaute er wieder hinein; dort stand Siddhartha, der sich nicht von der Stelle rührte, die Arme verschränkt, das Mondlicht spiegelte sich auf seinen nackten Schienbeinen. Mit Sorgen im Herzen ging der Vater zurück ins Bett.

Und er kam nach einer Stunde zurück, er kam nach zwei Stunden zurück, schaute durch das kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mondlicht, im Licht der Sterne, in der Dunkelheit. Und er kam zurück, Stunde um Stunde, schweigend, er schaute in die Kammer, sah ihn an der gleichen Stelle stehen, erfüllte sein Herz mit Zorn, erfüllte sein Herz mit Unruhe, erfüllte sein Herz mit Angst, erfüllte es mit Traurigkeit.

Und in der letzten Stunde der Nacht, bevor der Tag anbrach, kehrte er zurück, trat in das Zimmer und sah den jungen Mann dort stehen, der ihm groß und wie ein Fremder erschien.

"Siddhartha", sprach er, "worauf wartest du?"

"Weißt du was?"

"Willst du immer so dastehen und warten, bis es Morgen, Mittag und Abend wird?"

"Ich werde stehen und warten.

"Du wirst müde werden, Siddhartha."

"Ich werde müde werden."

"Du wirst einschlafen, Siddhartha."

"Ich schlafe nicht ein."

"Du wirst sterben, Siddhartha."

"Ich werde sterben."

"Und würdest du lieber sterben, als deinem Vater zu gehorchen?"

"Siddhartha hat seinem Vater immer gehorcht."

"Werden Sie also Ihren Plan aufgeben?"

"Siddhartha wird tun, was sein Vater ihm sagt."

Das erste Licht des Tages schien in den Raum. Der Brahmane sah, dass Siddhartha leise in den Knien zitterte. In Siddharthas Gesicht sah er kein Zittern, seine Augen waren auf einen fernen Punkt gerichtet. Da erkannte der Vater, dass Siddhartha auch jetzt nicht mehr bei ihm zu Hause wohnte, dass er ihn bereits verlassen hatte.

Der Vater berührte Siddharthas Schulter.

"Du wirst", sprach er, "in den Wald gehen und ein Samana sein. Wenn du die Glückseligkeit im Wald gefunden hast, dann komm zurück und lehre mich, glücklich zu sein. Wenn du Enttäuschung findest, dann kehre zurück und lass uns noch einmal gemeinsam den Göttern Opfer bringen. Geh jetzt und küsse deine Mutter, sag ihr, wohin du gehst. Für mich aber ist es Zeit, zum Fluss zu gehen und die erste Waschung zu vollziehen."

Er nahm seine Hand von der Schulter seines Sohnes und ging hinaus. Siddhartha schwankte zur Seite, als er zu gehen versuchte. Er brachte seine Glieder wieder unter Kontrolle, verneigte sich vor seinem Vater und ging zu seiner Mutter, um zu tun, was sein Vater gesagt hatte.

Als er im ersten Licht des Tages auf steifen Beinen langsam die noch stille Stadt verließ, erhob sich in der Nähe der letzten Hütte ein Schatten, der dort gehockt hatte, und gesellte sich zu dem Pilger - Govinda.

"Du bist gekommen", sagte Siddhartha und lächelte.

"Ich bin gekommen", sagte Govinda.

Mit den Samanas

 

Am Abend dieses Tages trafen sie auf die Asketen, die mageren Samanas, und boten ihnen ihre Gesellschaft und ihren Gehorsam an. Sie wurden angenommen.

Siddhartha gab seine Kleider einem armen Brahmanen auf der Straße. Er trug nicht mehr als den Lendenschurz und den erdfarbenen, ungesäten Mantel. Er aß nur einmal am Tag, und nie etwas Gekochtes. Er fastete fünfzehn Tage lang. Er fastete achtundzwanzig Tage lang. Das Fleisch schwand von seinen Schenkeln und Wangen. Fiebrige Träume flackerten aus seinen vergrößerten Augen, lange Nägel wuchsen langsam an seinen ausgedörrten Fingern und ein trockener, struppiger Bart wuchs an seinem Kinn. Sein Blick wurde zu Eis, wenn er Frauen begegnete; sein Mund zuckte vor Verachtung, wenn er durch eine Stadt voller gut gekleideter Menschen ging. Er sah Kaufleute, die Handel trieben, Fürsten, die jagten, Trauernde, die ihre Toten beweinten, Huren, die sich anboten, Ärzte, die den Kranken zu helfen versuchten, Priester, die den günstigsten Tag für die Aussaat bestimmten, Liebende, die sich liebten, Mütter, die ihre Kinder stillten - und all das war seines Blickes nicht würdig, es log, es stank, es stank nach Lüge, es gab vor, sinnvoll und freudig und schön zu sein, und es war alles nur versteckte Fäulnis. Die Welt schmeckte bitter. Das Leben war eine Tortur.