Sie dürfen hier nicht parken - Peter Schön - E-Book

Sie dürfen hier nicht parken E-Book

Peter Schön

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Beschreibung

Wenn man fast 50 Jahre seines Lebens nicht laufen kann, weiß man seinen Rollstuhl zu schätzen. Ich nenne ihn meinen besten Freund. Es vergeht keine Sekunde, in der er nicht an meiner Seite ist. Er hat es mir ermöglicht, unendlich viel Lebensgenuss, Lebensfreude und Glück zu erfahren. Ich hege und pflege ihn, wie es besser nicht sein kann. Wir beide haben so viel zusammen erlebt. Einige dieser Erlebnisse habe ich hier aufgeschrieben. Sie sollen unterhalten, aber auch zum Nachdenken anregen.

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Für meine Kinder Lea und Luca

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

„Sie dürfen hier nicht parken!“

Klingt doch spannender

Mein bester Freund

Im Kreißsaal

Waffenschmuggler

Fast im Knast

Ich nehme die Treppe

Nicht zu Ende gedacht

Ich bin kein Rollifahrer

Deutsche Bahn – unerbittlich

Ich parke ja nur kurz

Papa, Du bist aber groß

Steh doch einfach auf

So soll es sein

Nein danke

Ich könnte grad nochmal

Sie können mich mal

Beine ab - geschenkt

Mein Open Water

Lästereien

Eine Kröte als Nachbar

Rollstuhltransport

Stoff im Stuhl

Kalte Dusche

Seegang-Seismograph

Schiefe Füße

Anders als es aussieht

Unangenehme Bevorzugung

Halbes Flipchart

Richter mit Rampe

Ich hau Dir auf´s Maul

Duschsessel

Vorwort

Am 05. September 1976 fuhr ich abends mit meinem VW Käfer zu der Bundeswehrkaserne, in der ich stationiert war. Kurz vor meiner Ankunft, gegen 21:00 Uhr, krachte ein Soldat der U.S. Army mit seinem Auto frontal gegen das meine. Der Aufprall war so heftig, dass sein Fahrzeug hoch geschleudert wurde und genau über meiner Fahrerseite wieder runterkam. Das Dach meines Käfers hielt diesen Gewalten nicht Stand und drückte meinen Oberkörper trotz angelegtem Gurt mitsamt der Fahrerertür aus der Karosserie. Das wiederum hielt meine Wirbelsäule nicht aus und tat, was Knochen bei solchen Gelegenheiten machen – sie brechen. Folge: Querschnittlähmung.

Das ist jetzt 46 Jahre her. Genügend Zeit, um viel zu erleben, was irgendwann einmal erzählt werden sollte. Dieses Buch beschreibt Erlebnisse, die ich als Rollstuhlfahrer während dieser Zeit hatte. Es soll zum einen unterhalten, aber auch hier und da zum Nachdenken anregen.

„Sie dürfen hier nicht parken!“

Ich oute mich. Ich besitze einen 911er Porsche, als Zweitwagen – ein richtig protziges Teil.

Ich fahre ihn nicht so häufig. Meistens steht er unbewegt in der Garage. Die Batterie verliert dabei nach und nach ihre Ladung, bis sie nur noch ein paar Lichtchen am Armaturenbrett zum Glimmen bringen kann. Dann muss sie erst einmal wieder aufgeladen werden.

Fast noch lieber als ihn zu fahren, genieße ich seinen Anblick, wenn ich in die Garage gehe. Er steht dann da in seiner ganzen Eleganz und Schönheit. Am besten gefällt mir seine Hinteransicht. Er hat so schöne breite, ausladende, kurvige Hüften und ein schmales Oberteil.

Wenn wir beide ausfahren, genießen wir die Power im Heck, den satten Sound und die Beschleunigung.

So fiel mir auf einer unserer Ausflüge ein, dass ich vergessen hatte, eine Kleinigkeit aus dem Supermarkt einzukaufen. Mehr als eine Kleinigkeit passt eh nicht in den Miniatur-Kofferraum.

Also parkte ich wie gewohnt auf dem Behindertenparkplatz unmittelbar vor dem Discounter. Kaum hatte ich den Motor abgestellt, kam ein Ehepaar mittleren Alters im Schnellschritt auf mich und meinen Porsche zu. Einer von beiden klopfte an die Scheibe und warf mir mit einer Mischung von Ermahnung und Vorwurf die Worte zu: „Sie dürfen hier nicht parken.“ Gleichzeitig deutete der Ehepartner auf das blaue Verkehrsschild, welches den Parkplatz als Behindertenparkplatz auswies.

Ich kann nicht verhehlen, dass es für mich ein gewisses Lustgefühl war, daraufhin die Fensterscheibe herunterfahren zu lassen und den beiden mit einem freundlichen Lächeln die Frage zu stellen: „Wetten, dass …?“.

Bevor ich Gefahr lief, wüst beschimpft zu werden oder gar Schlimmeres geschehen konnte, zeigte ich auf meinen Rollstuhl, der zusammengeklappt auf dem hinteren rechten Notsitz meines Boliden lehnte. Die beiden selbsternannten Ordnungshüter kapierten sofort, was ich ihnen mit meinem Hinweis sagen wollte.

Mir zeigt das Erlebnis, dass es achtsame und couragierte Menschen gibt, die selbst keine Rollstuhlfahrer sind, aber trotzdem darauf achten, dass unsere Behindertenparkplätze nicht unrechtmäßig belagert werden.

Allerdings scheint ein Rollstuhlfahrer mit Porsche weniger in das übliche Bild eines Behinderten zu passen.

Für meinen vierjährigen Enkel bin ich übrigens der „Opa Porsche“. Wenn er mich besucht, führt ihn sein erster Weg in die Garage, um sich ans Lenkrad des besagten Sportwagens zu setzen.

Ist Dekadenz eigentlich erblich?

Klingt doch spannender

Natürlich fragen die Leute immer wieder, wie es denn dazu kam, dass ich mein Leben mit einem Rollstuhl teile.

Das ist kurz erzählt. Ich hatte einen Unfall bei der Bundeswehr. In unserer Kaserne waren neben uns Deutschen auch viele amerikanische Soldaten. Einer von ihnen ist eines Abends mit seinem Auto frontal auf meinen heißgeliebten VW-Käfer geknallt. Sein Fahrzeug hatte so viel Speed drauf, dass es nach dem Aufprall in die Luft geschleudert wurde und beim Landen genau auf der Fahrerseite meines Käfers wieder runterkam. Leider saß ich zu diesem Zeitpunkt genau an dieser Stelle. Das heruntergedrückte Dach presste meinen Kopf und Oberkörper aus dem Fahrerfenster und brach mir zusätzlich noch das Kreuz.

Diese Geschichte habe ich schon hundert Male erzählt. Irgendwann wurde es mir zu langweilig, immer dasselbe berichten zu müssen. Also musste etwas Anderes, Spannenderes her.

Ich erinnerte mich an einen Kriegsfilm, bei dem ein Pilot spektakulär mit dem Schleudersitz aus dem Flugzeug katapultiert wurde und sich per Fallschirm rettete. Das wäre doch eine Story für mich. Ich müsste nur noch die Wirbelsäulenverletzung einbauen.

Also erdachte ich einen völlig neuen Unfallhergang. Ich war als Pilot auf einem Aufklärungsflug mit einem McDonnell F-4 Phantom II Jagdbomber. In einer Höhe von 3.000 Metern fielen plötzlich die Triebwerke aus. Der Ausstieg war unvermeidlich. Ich sprengte das Kabinendach ab und wurde mit dem Schleudersitz aus dem Flugzeug katapultiert. Dabei blieb ich mit dem Oberkörper am Dachrahmen hängen und meine Brustwirbelsäule brach. Nach einer kurzen Weile öffnete sich mein Fallschirm und ich sank halb ohnmächtig in Richtung Erde. Dort landete ich auf einem einsam stehenden Baum in einem Maisfeld. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort im Baumwipfel hing, unfähig mich zu bewegen. Ich erwachte erst wieder aus meiner Ohnmacht, als Leute an mir zerrten und mich vom Baum schnitten.

Bei der Nationalität meiner Retter bin ich immer recht wählerisch, je nach dem, wem ich die Geschichte erzähle. Afghanistan kommt immer gut an, obwohl über dem Land zu der fraglichen Zeit keine deutschen Jagdbomber unterwegs waren.

Irgendwann fiel mir ein, dass ich in meiner Jugendzeit viele Phantom-Kampfflugzeuge im Tiefflug über das Rheintal habe fliegen sehen. Sie flogen so tief, dass man Details aus der Pilotenkapsel erkennen konnte - und da saßen zwei Personen drin. Also musste ich zu meiner Geschichte noch eine Lösung für den zweiten Mann der Besatzung finden: Mal stürzte er mit der Maschine ab, ´mal öffnete sich sein Fallschirm nicht, mal landete er sanft auf der Erde und wurde sofort in feindliche Kampfhandlungen verwickelt.

Diese Version meines Unfallhergangs ist für die Leute viel interessanter als die wahre. Sie hängen förmlich an meinen Lippen, schauen mich mit einer Mischung aus Mitleid und Bewunderung an und nicken mir anerkennend zu. Auf jeden Fall kommen sie auf ihre Kosten, eine spannende Story zu hören.

Um alles zu untermauern, lege ich manchmal am Ende meiner Geschichte meinen Schwerbehindertenausweis auf den Tisch, auf dem dick und fett „kriegsbeschädigt“ steht. Ich finde die Wortfindung nicht besonders gelungen, aber hier erfüllt sie ihren Zweck. Jeder Zweifel über die Wahrheit meiner Geschichte wird vom Tisch gewischt.

Ich möchte den Leser dieser Zeilen aber nicht im Unklaren darüber lassen, dass ich, nachdem der Spannungsbogen meiner Erzählung am Ende wieder ganz unten ist, meine wahre Geschichte erzähle.

Mein bester Freund

Was ist ein bester Freund? Muss er aus Fleisch und Blut sein?

Nach meiner Auffassung sind die Eigenschaften eines besten Freundes, dass man regelmäßig Kontakt zu ihm hat, dass man eine enge Beziehung mit ihm pflegt, und dass er jederzeit für einen da ist – besonders, dass er hilft, schwierige Lebenssituationen zu bewältigen.

Mein bester Freund ist nicht aus Fleisch und Blut. Mein bester Freund ist mein Rollstuhl.