Sieben Quadratmeter Glück - Marion Hahnfeldt - E-Book

Sieben Quadratmeter Glück E-Book

Marion Hahnfeldt

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Beschreibung

Weil weniger so viel mehr bedeuten kann: Minimalistisch leben im Wohnmobil Mein Haus, mein Auto, mein Boot – wer hat, der kann, und wer nichts hat, zieht in den Caravan? Das mag früher so gewesen sein, und noch immer ist das Leben in einem Wohnwagen eher ungewöhnlich und verhältnismäßig günstig. Doch die Idee von Marion Hahnfeldt ist eine andere. Nämlich herauszufinden, was man im Leben wirklich braucht. Kommt man noch klar ohne den üblichen Komfort? Reichen sieben Quadratmeter, wenn es früher mal 95 waren? Wie lebt es sich draußen im Winter – ohne Zentralheizung, Toilette und fließend Wasser? • New life, old caravan: das spannende Tagebuch einer Minimalistin • Porträts der anderen Campingplatz-Bewohner geben interessante Einblicke in die alternativen Wohnformen Tiny House und Mobilheim • Anhang mit praktischen Tipps und Antworten auf die häufigsten Fragen rund um reduziertes Wohnen • Minimalismus für Einsteiger: Checkliste für alle, die mit der Idee einer minimalistischen Lebensweise spielen Minimalismus als Lebensstil – Vom Wohnen auf dem Campingplatz Üblicherweise schafft sich der Mensch mit den Jahren immer mehr Dinge an. Doch was passiert, wenn man zu entrümpeln beginnt? 2018 gab Marion Hahnfeldt ihr bürgerliches Leben auf und zog auf einen Campingplatz nahe Hannover. Zunächst war das Leben im Wohnwagen nur für einen Winter konzipiert, inzwischen aber sind daraus mehr als anderthalb Jahre geworden. Im Tagebuchstil berichtet sie von den Höhen und Tiefen des alternativen Wohnens im Camper und lässt auch andere Minimalisten zu Wort kommen. Eine packende Hommage an das einfache Leben!

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MARION HAHNFELDT

Sieben

Quadratmeter

Glück

MEIN JAHR IM CAMPER

MEINER FAMILIE

INHALT

EINLEITUNG

HERBST

WINTER

FRÜHLING

SOMMER

PRAKTISCHE TIPPS

Leben auf dem Campingplatz

20 Dinge, die ein Camper wissen muss

Stellplatz-Apps

Campen beim Bauern

Nachhaltiges Campen

Essen auf Rädern

Wetter und Ausrüstung

20 Dinge und Momente, die das Leben im Caravan besonders machen

VOM TINY HOUSE ZUM MOBILHEIM

Anja Wehrmann – Häuschen am See

Daniel Hirschligau – Tiny House

Stefan Klimek – Wohnwagen

Melanie zum Bild – Mobilheim

Debora Richter und Michael Karl – Tiny House zu zweit

EINLEITUNG

Es regnet. Gut so. In Momenten wie diesen kommt der Platz dem am nächsten, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Einsam und verlassen liegt er vor mir, nur der Ruf der Gänse ist zu hören und das sanfte Klopfen der Tropfen auf dem Dach. Ich liebe dieses Geräusch. Es klingt, als würde ich unter der Plane eines Zeltes liegen, beschützt und geborgen wie von einer warmen Decke.

Seit etwas über einem Jahr wohne ich jetzt auf dem Campingplatz, irgendwie fern der Welt und doch mittendrin und anders, als ich es früher gewohnt war. Früher. Das ist noch gar nicht so lange her und inzwischen doch so weit in die Ferne gerückt, dass ich die Konturen kaum noch wahrnehmen kann. Und während ich anfangs die meiste Zeit damit beschäftigt war, mich in mein neues Leben einzugewöhnen, weiß ich mich inzwischen längst auch in der Dunkelheit katzengleich in meinem Mini-Tiny-House zu bewegen. Alles ist irgendwie vertraut, alles hat eine gewisse Routine.

Ich habe Rasen vor dem Wohnwagen gesät, ich habe mit zwei kleinen himmelblauen Windmühlen mein Minigrundstück abgesteckt, ich habe mir ein Vogelhäuschen gekauft – und jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster schaue, blicke ich auf den See und bin aufs Neue verliebt. In die Unschuld des Morgens, in die Sentimentalität des Abends, in die Ruhe, in das Licht, in die Weite, die von den Bäumen hinten am Ufer aufgefangen wird.

Die Dinge waren so nicht geplant, sie haben sich ergeben, nun sind sie, wie sie sind, mit allen Vor- und Nachteilen. Und davon nun erzählt dieses Buch. Wie es sich lebt über das Jahr hinweg in einem Wohnwagen, auf sieben Quadratmetern und auf das Nötigste beschränkt, mit einem Tisch als Bett, Wind und Wetter ausgesetzt.

My home is my castle, my home is my Chateau. Und zusammen ist es der Versuch, herauszufinden, was im Leben wirklich wichtig ist.

HERBST

28. SEPTEMBER

Die Unsicherheit ist groß. Was, wenn alles ein Missverständnis war? Wenn der Verkäufer mich über den Tisch gezogen hat? Wenn nichts so kommt, wie wir es abgesprochen hatten. In Gedanken male ich mir aus, wie ich um die Ecke biege, ich sehe meinen Gesichtsausdruck, spüre schon jetzt die Enttäuschung. Ich kann fühlen, wie sie von ganz unten in den Zehen nach oben ins Herz steigt. Ich habe mir einen Wohnwagen gekauft, obwohl ich nie einen Wohnwagen haben wollte, ich fand Wohnwagen immer kleinkariert, langweilig, spießig. Ich habe nie verstanden, was das sollte, darin zu reisen, und mit Dauercamping assoziierte ich das Endstadium allen Abenteuers.

Ich bin Zelter durch und durch, das hat mir – zumindest im Urlaub – immer gereicht. Morgens unter der Plane aufwachen, über mir nichts weiter als der Himmel, der Regen, die Sonne. Doch neue Aufgaben erfordern neue Umstände, ich wechselte beruflich von Lübeck nach Hannover – und in meinem North Face VE 25 Expeditionszelt zu überwintern, das erschien mir dann doch etwas gewagt.

Ich hätte mir eine Wohnung nehmen können. Wollte ich nicht. Ich war die Suche leid. Ich hätte mich in ein WG-Zimmer einmieten können. Das erschien mir angesichts meines Alters nicht angemessen. Und nachdem ich wochenlang ergebnislos etliche Gartenkolonien nach Alternativen zum Überwintern abgeklappert hatte, gab ich alle Aktivitäten in diese Richtung wieder auf, zumal mich der Gedanke, gegebenenfalls unter den wachsamen Augen eines Nachbarn mit Blockwartmentalität aufzuwachen, zusätzlich ernüchterte.

Am Ende entsann ich mich eines Besuchs in einem Trailerpark in den USA, in denen, anders als in deutschen Kleingärten, das Wohnen erlaubt und erwünscht ist.

Gesagt, getan. Und nach einigem Hin- und Her war er dann erstanden, der Wohnwagen, mein neues Zuhause, wenngleich anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Denn natürlich hatte ich mich zunächst in einem dieser magazinkompatiblen Oldtimer sitzen sehen, Airstream, Eriba, so die Richtung. Und so besuchte ich dann auch, getrieben von dem Gedanken an ein künftig einigermaßen lässiges Dasein, zunächst ein Händlerpaar, das alte Wohnwagen restauriert, die beiden bieten sie quasi im Dutzend an. Ihr Grundstück ähnelte einem Museum, und ich erinnere mich noch gut an den alten Tabbert Comtesse 460 mit dem mintfarbenen Dekor im Bad, Holzvertäfelung und mit Wimpelchen an den Fenstern, herzallerliebst. In so etwas wollte ich leben, genau so hatte ich es mir vorgestellt, und selbst der Preis von 4.700 € erschien mir einigermaßen angemessen.

Das Problem nur war: Die beiden redeten ununterbrochen. Er redete und redete, sie redete und redete, die beiden redeten ohne Punkt und Komma, und irgendwie beschlich mich in der ganzen Zeit ein ungutes Gefühl. Wer so viel redet, dachte ich mir, der hat vielleicht etwas zu verbergen. Und tatsächlich, sah man sich die Wohnwagen dann etwas genauer an, sah man Dinge, die man womöglich besser nicht sehen wollte; und ob eines ihrer Modelle wirklich auch einen Winter schadlos überstehen würde, blieb fraglich.

Wie anders dagegen die Begegnung mit Herrn E. aus Friesoythe, einem stillen bescheidenen Mann, einem von der Sorte, die nicht viel Aufhebens um sich macht und die Schicksalsschläge gewöhnt ist. Statt mich zum Kauf seines in einer Kleinanzeige inserierten Wohnwagens zu drängen, erzählte er mir mit Tränen in den Augen vom kürzlichen Verlust seines Hundes. Seine Trauer wirkte so ehrlich, dass ich mir dachte, wer derart sensibel ist, der tut niemandem etwas Böses, der haut niemanden übers Ohr. Eine Stunde nach dem Kennenlernen unterzeichneten wir den Vertrag und plötzlich war ich Besitzerin einer in meinen Augen ziemlichen Spießer-Kiste, irgendwie aber hatte ich zugleich das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Chateau Chiara Trophee 450 mit Graffitimuster auf den Polstern, beinahe 30 Jahre alt, sechs Meter lang, etwas über zwei Meter breit. Belgisches Modell, leicht derangiert, aber mit tapferem Herzen.

Ich gab Herrn E. das Geld, er mir im Gegenzug das Versprechen, ein noch kaputtes Dachlukenfenster zu reparieren; für meinen Geburtstag einige Wochen später verabredeten wir die Übergabe.

Und so fahre ich jetzt mit ungewissem Gefühl meinem neuen Leben entgegen und mache mir so meine Gedanken.

Was, wenn die Geschichte mit dem Hund erlogen war? Wenn der Wohnwagen nicht am verabredeten Platz steht, und was, das nächste Risiko, was, wenn der Platzwart des Campingplatzes mich plötzlich in die hinteren Reihen verweist statt mich – wie besprochen – am See platziert? Zwar hatte ich bereits die Miete für ein halbes Jahr im Voraus bezahlt und mir mehrfach telefonisch meinen Wasserplatz zusichern lassen, in diesem Moment aber war ich mir in nichts mehr sicher. Hinzu kam, Herr E. hatte mich am Morgen überraschend angerufen, um mir zu sagen, dass er es eben doch nicht zum verabredeten Zeitpunkt schaffen könne. Stattdessen würde er, so sagte er, den Wagen früher zum Campingplatz fahren und den Schlüssel dann im Wohnwagen für mich hinterlegen. Enttäuscht hatte ich nach dem Gespräch aufgelegt.

Nun also ist es so weit. Die Rezeption ist nach kurzem, aber ermutigendem Gespräch mit der Dame am Empfang passiert, der Schlagbaum öffnet sich, ein Schild weist zum Zeltplatz, es geht rechtsrum, es geht linksrum, noch ein paar Meter, noch einmal um die Ecke, eine letzte Biegung und dann: tatsächlich. Da ist es, das Chateau, mein Chateau. Es steht zwar nicht ganz auf dem verabredeten Platz, nein, es steht sogar viel besser, es steht direkt am Ufer, Herr E. hat Wort gehalten, wusste ich’s doch. Auch der Schlüssel liegt wie versprochen im Wohnwagen. Und dort nun gibt es gleich die nächste Überraschung: Herr E. hat sogar an meinen Geburtstag gedacht. Auf dem Tisch steht ein Strauß Rosen und im Kühlschrank wartet eine Flasche Sekt. Nicht ein Stein, Tausende fallen mir in diesem Moment vom Herzen, ich höre sie poltern, es rumpelt und pumpelt als wäre ich der Wolf in Rotkäppchens Märchen.

Meine erste Nachricht via Mail an meine alte Welt heißt: »Stolz wie Bolle. Wenn man ein Chateau hat. Hab ich. Und wie.«

29. SEPTEMBER

Die erste Nacht – ein Albtraum. Den ganzen Nachmittag hatten meine zu Hilfe geeilte Schwester, mein Schwager, mein Freund und ich das Chateau geputzt, wir sind in jede kleine Ritze gekrochen, haben gelüftet, gewischt, geschrubbt, aber selbst danach sah der Wohnwagen nicht eben besser aus. Statt kuschelig und gemütlich blieb er eine alte wackelige Spießermöhre mit graublauem Graffiti auf den Polstern und nikotingelben Plastikteilen über der Spüle und im Bad. Und die schwarzen Abdrücke auf dem PVC von auf dem Boden gelagerten Autoreifen machten die Sache auch nicht besser.

Während der Putzaktion hatten immer wieder andere Camper unseren Platz gequert und ihre zum Teil skeptischen Blicke konnte man ihnen kaum verdenken. Die Putzaktion hatte auch an uns Spuren hinterlassen, zwischen den ausgelagerten Polstern und Koffern sahen wir aus wie die Flodders, gestrandet und verlottert. Und während es sich meine Schwester und mein Schwager später für die Nacht im Hotelzimmer gemütlich machten, liegen mein Partner und ich nun im Chateau, und jedes Mal, wenn er sich im Schlaf dreht, spüre ich die Bewegung. Am Morgen noch hatte ich es für eine gute Idee gehalten, mein Leben künftig in einem Wohnwagen zu verbringen, jetzt bin ich mir gar nicht mehr so sicher, alles fühlt sich fremd und falsch an. Selbst mit vereinten Kräften hatten wir die Heizung nicht zum Laufen gebracht. Über das richtige Kabel für den Stromanschluss war ein Streit entbrannt. Es riecht nach dem billigen Parfum der Dufttücher, mit denen der Vorbesitzer die Schubladen des Wohnwagens aus welchen Gründen auch immer ausstaffiert hatte; der penetrante Duft kriecht in meine Nase, in meinen Kopf, über meine Haut, in meine Gedanken. Aus den alten Polstern steigt Vergangenheit, eine Vergangenheit, die nichts mit mir zu tun hat; fremdes Leben, fremdes Land, und die Vorstellung, hier nun künftig mein Dasein fristen zu sollen, allein, wie ausgesetzt, dazu die fremde Stadt, der neue Job, das alles hinterlässt ein großes Gefühl der Leere. Der Abschied, das Gehen war noch leichtgefallen, das Ankommen ist nun umso schwerer. Um ehrlich zu sein: Im Moment kann ich mir nichts Schlimmeres vorstellen.

1. DEZEMBER

Einen Monat bin ich jetzt hier, die ersten Widrigkeiten sind überwunden.

Der erste Sturm. ✓ Tick. Abgehakt.

Der erste Frost. ✓ Tick. Abgehakt.

Der erste (behutsame) Schnee. ✓ Tick. Abgehakt.

Dazwischen: Viel kaputte Heizung. Viel kalter Wohnwagen. Und immer wieder die Frage: Was machst du eigentlich hier? Aber es ist wie immer im Leben: Sind die Probleme erst einmal überwunden, geht es danach um einiges geschmeidiger. Und der Morgen entschädigt mit einem Blick aus dem Fenster. Die Gänse rufen, die Blässhühner verteidigen ihr Revier. Auch der Wind der letzten Tage hat sich einigermaßen gelegt – und nachts im Bett kuschle ich mich ein, ich halte den Atem an, damit der Zauber nicht vergeht. Ich fühle mich wie der Pinguin in Urmel aus dem Eis: Ich liege in meiner Mupfel und die Sonne geht auf und unter und schiebt über mich hinweg …

Sicher, man muss das alles nicht haben. Es geht einfacher. Schlafen ohne Mütze. Aufwachen nicht bei 0 °C Raumtemperatur. Die Toilette in Reichweite. Das Wasser fließend aus dem Hahn und nicht aus dem Kanister. Erstens aber hatte ich das alles sehr lange, zweitens werde ich das alles noch ein kleines Weilchen haben – und drittens: Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben.

Ich habe keine Ahnung, was mich hier erwartet. Ich habe keinen Plan, ich habe null Erfahrung mit dem Leben auf einer Achse. Ich bin hier irgendwie reingeraten, aus Gedanken wurden Worte, die Worte formten Sätze, und irgendwann fiel irgendwie die Entscheidung, es ab jetzt einfach alles anders zu machen.

Und das Überraschende war oder ist: Während ich mir selbst auch noch nach dem Kauf des Chateaus nicht wirklich sicher war, eines Tages darin zu leben, nahmen meine Freunde, meine Familie die Entwicklung wie selbstverständlich hin, sie taten so, als hätten sie nichts anderes von mir erwartet. Ich dagegen aber traute mir selbst nicht. Und ein bisschen war es wie damals, als ich in der Nacht vor unserem Urlaub nach Ungarn wach im Kinderzimmer gelegen hatte, zu nervös, zu aufgeregt zum Schlafen und mit dem sicheren Gefühl, irgendetwas würde die Reise verhindern. Der Plan, wirklich, endlich in Budapest zu sein, entglitt meiner Vorstellung wie Seife nassen Händen, nie zuvor waren wir so weit in den Urlaub gefahren, nie würden wir dort ankommen. Am Ende aber fuhren wir doch. Und der Wohnwagen ist nun, wenn man so will, mein zweites Ungarn. Wenn alles klappt, finde ich hier ein neues kleines Stück Heimat.

2. DEZEMBER

Wer noch nie in einem Wohnwagen unterwegs war, für den ist jeder erste Griff am Camper eine neue Erfahrung. Den Tisch zum Bett um- und aufbauen. Das Bett zum Tisch ab- und umbauen. Jedes Schloss, jede Tür, jedes Detail ein zögerliches Kennenlernen. Wie geht das mit dem Kühlschrank? Wo sind die Lichtschalter? Und vor allem: Wie funktioniert diese störrische Heizung?

Funktioniert natürlich nicht, zumindest nicht zuverlässig, inzwischen weiß ich aber immerhin, wie lange ich den Zünder drücken muss, bis es ihr zumindest einigermaßen gefällt, und wie lange die 5-Kilo-Gasflasche gegebenenfalls hält. An kalten Tagen drei, allenfalls fünf Tage. Und da man den Verbrauch leider bestenfalls erahnen kann, ist jedes Heizen eine Überraschung, es ist wie beim Russisch Roulette. Und natürlich versagt das Gas immer dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Bei Sturm. Bei Regen. Und immer, immer in der Dunkelheit. Also wieder raus aus dem Bett, rein in die Klamotten, raus zum Flasche wechseln. Wenn denn das Problem eine leere Flasche ist. Wenn. Wenn. Wenn. Denn da bin ich mir gar nicht so sicher. Die Heizung macht, was sie will, sie führt ihr eigenes Leben, störrisch wie ein alter Esel.

Und während ich früher zu Hause in der Wohnung selbst im Winter meist barfuß und nur im T-Shirt bekleidet saß, trage ich heute zwei Paar Wollsocken über der Strumpfhose. Darüber zwei Paar Leggings. Ein T-Shirt. Zwei Fleecepullover. Eine Daunenweste. Nicht selten dazu eine Mütze. Bisher noch keine Handschuhe, zumindest nicht im Wohnwagen. Ich sehe aus wie eine russische Babuschka. Und in etwa fühle ich mich auch so.

3. DEZEMBER

Erst Job weg. Dann Frau weg. Dann Kind weg. Dann Haus weg. Oder, etwas variiert in der Reihenfolge: Erst Gesundheit kaputt. Dann Frau weg. Dann Haus weg. Dann Freunde weg.

Das sind so die Geschichten, die man aus dem Umfeld hier hört, und immer ähneln sie sich. Da ist nichts mit Lichterkerzenromantik und Abenteuer, da sind vor allem Probleme. Insolvenz. Einsamkeit. Schmerz. Da hilft auch der Blick auf den See nichts. Der ist verstellt von Trauer.

Das ist die andere Seite vom Leben im Wohnwagen. Von der man allenfalls etwas ahnt.

Und zugleich froh ist, in seinem eigenen kleinen bequemen Leben zu stecken.

Diese Menschen haben Tränen in den Augen, wenn sie erzählen. Denen muss man nicht kommen mit »simple your life« oder wie das alles heute heißt, die wären weg, wenn sie könnten, die wären weg, wenn sie wüssten, wie und wohin.

Losgelöstes Leben? Aussteigen? Freiheit? New life, old caravan?

Das muss man sich leisten können, auch emotional.

Ein bisschen schäme ich mich. Für mein Leben, für die Möglichkeiten, die ich hatte, dafür, dass es mir gut geht.

7. DEZEMBER

Der schönste Moment? Der Morgen. Wenn ich dem Tag mit einer Tasse Kaffee in der Hand beim Aufstehen zusehen kann. Die Nacht. Wenn die Sterne so klar am Himmel stehen, als könne man sie greifen. Das sind Augenblicke, die tatsächlich mit allem versöhnen. Mit der Kälte. Mit dem Alleinsein. Mit der räumlichen Beschränktheit. Vielleicht ist es ja Selbstbetrug. Vielleicht kommt alles ganz anders. Vielleicht richte ich mich schon bald wieder häuslich ein. Vielleicht bin ich irgendwo mit dem Chateau unterwegs. Nur, was heißt das alles schon, und sind es nicht die Momente, die zählen?

Inzwischen hat sich so etwas wie Alltag eingestellt zwischen mir und dem Wohnwagen. Wir sind uns vertraut. Selbst in der Dunkelheit weiß ich mich in seinem Inneren wie eine Katze zu bewegen. Und er weiß, dass er sich auf mich verlassen kann. Die Routine bringt so etwas wie ein Gefühl von Geborgenheit mit sich. Anhand der ersten Einkäufe kann ich den anfänglichen Respekt vor dem Ungewohnten ersehen: Zwei Bremskeile gegen die Angst, bei Sturm mit dem Chateau ins Wasser zu rutschen.

Eine Heizmatte gegen die Kälte. Heizlüfter in verschiedenen Varianten, um im Fall der Fälle die störrische Heizung ersetzen zu können. Am Ende entscheide ich mich nach einer Testphase für einen Keramikheizlüfter in Schuhkartongröße. Das Teil verfügt über einen Eco-Modus, der verhindert, dass man bei zeitgleicher Nutzung des Kühlschranks im Dunkeln steht. Außerdem besitzt er einen Überhitzungsschutz, fällt das Gerät um, geht es aus. Wie man sieht, das Ganze ist eine Wissenschaft für sich, und ich frage mich, warum der Beginn zu einem einfachen Leben so kompliziert sein muss. Draußen jault schon wieder der Wind, irgendwo schlägt ein Seil gegen einen Fahnenmast.

Zum Waschen gehe ich morgens nackt in den See. Die Herausforderung ist, im Dunkeln nicht lang hinzuschlagen. Mit der Taschenlampe leuchte ich das Ufer ab, aber dort sind nur die Blässhühner, die sich quietschend, einem alten Bett gleich, über den Störenfried beschweren. Rein ins Wasser, mit angehaltenem Atem zählen. 21, 22, 23 … – runter, abtauchen. Sind die Hände über dem Wasser, ist es gut auszuhalten. Ich lerne, dass der Umgang mit den Temperaturen tatsächlich weniger eine physische als eine mentale Sache ist. Je weniger ich mich gegen die Kälte sträube, je ruhiger ich atme, desto besser geht es. Die Kälte ist dein Freund, sagt der Niederländer Wim Hof, der gelegentlich für Stunden im Eiswasser sitzt und damit Weltrekorde bricht. Ich sage: Es sind die kleinen Dinge, die zählen. 21, 22, 23.

Nach dem Bad fühlt sich die Haut wie Menthol an, frisch und prickelnd, das ist schön. Und schön ist das Gefühl, sich ein ums andere Mal überwunden zu haben. Ich bin die Frau Hof unter den Campern.

Meine Kleidung wasche ich in der Waschmaschine auf dem Campingplatz, einmal die Woche gönne ich mir eine Dusche. Die Toilettengänge versuche ich auf angenehme Umgebungen zu verschieben, weil einige Damen sich auf der Damentoilette so wenig damenhaft benehmen.

Ich habe keinen Fernseher. Ich habe kein Radio. Ich schlafe im Schlafsack, darüber ein Federbett und in besonders kalten Nächten zusätzlich mit zwei Wärmflaschen. Ich liege im Bett, der Wind zerrt an den Seiten, ich höre, wie er seine Böen in Wellen schickt; von ganz hinten nehmen sie Anlauf, Augenblicke später werfen sie sich wütend gegen den Wohnwagen. Im Gegensatz zu den ersten Nächten jedoch, in denen ich jeden überstandenen Sturm mit Angaben zur Stärke und Dauer akribisch in einem Buch notierte, um abschätzen zu können, wann der Wohnwagen womöglich an seine Grenzen stößt und kippt, kümmert es mich jetzt wenig, im Gegenteil: Der Wind nimmt mich auf, umgibt mich, trägt mich mit meinen Gedanken fort, und wie ein Kind auf den Weihnachtsmann freue ich mich nun auf den ersten richtigen Schnee. Ich stelle mir vor, wie ich morgens die Tür vom Chateau öffnen werde und mich dann endlos gleißendes Weiß empfängt, gemütlich knarzt der Schnee zentimeterdick unter den Schuhsohlen.

10. DEZEMBER

Es bleibt dabei, die Heizung zickt. Funktioniert, funktioniert nicht, funktioniert, funktioniert nicht, funktioniert, funktioniert nicht. Das Ganze treibt mich in den Wahnsinn, schließlich melde ich mich verzweifelt bei Truma, dem Platzhirsch auf dem Gebiet der Wohnwagenheizungen. Die Antwort allerdings befriedigt wenig. Fahrtkostenpauschale für die Entsendung eines Klempners: 71 €. Arbeitszeit pro Stunde: 87 €. Macht: 158 € – und da ist die Reparatur noch nicht mal inbegriffen. Von dem Geld könnte ich hier locker den Stellplatz für einen Monat bezahlen. Also warten und auf Besserung hoffen oder doch einen Termin vereinbaren? Ich entscheide mich fürs Warten, das kann ich am besten, und schaue mir derweil die ganze Konstruktion zum wiederholten Mal etwas genauer an. Weißes, etwas klappriges Blech, ein bisschen windschief das Ganze, dahinter ein Kabel, ein Zünder, viel Staub – und drücke ich den Zünder, bedankt sich die Heizung mit einem Stromschlag. Keine Flamme. Olle Zicke.

Nachlesen im Internet, die Foren sind voll mit Tipps zum Thema, wie etwa die Batterie der Anlage zu wechseln ist. Doch wenn ich auch sonst nicht eben mit technischem Talent gesegnet bin, den Unterschied zwischen einer Batterie und keiner Batterie, den erkenne ich. Hier: nix Batterie. Also hinterlasse ich einen Hilferuf im digitalen Ausschuss für verzweifelte Camper und blättere mich derweil durch die Sorgen der Leidensgenossen. Das Wissen, mit der eigenen Ratlosigkeit nicht allein zu stehen, hat zumindest etwas Tröstliches. Und erstaunlich auch, mit was für Nöten andere so geplagt sind: Heizen beim Fahren (!) – ja oder nein? Fußbodenheizung – ja oder nein? Therme zum Duschen – ja oder nein? Als es aber auch nach Stunden keine Antwort auf meine Frage gibt, kapituliere ich und denke, was ich in solchen Momenten immer denke: Wird schon.

12. DEZEMBER

Diffuses Gefühl beim Aufwachen. Pendelnd zwischen Zweifel und Trauer. War das Ganze hier vielleicht keine so gute Idee? »Mit den Flügeln der Zeit fliegt die Traurigkeit davon«, sagt der Adventskalender. Der Tag ist gerettet.

15. DEZEMBER

Anders als vielleicht bei anderen Freizeitaussteigern war es früher nie mein sehnlichster Wunsch, in einem Wohnwagen zu leben. Wenn ich mir ein Dasein darin hätte vorstellen können, dann allenfalls um zu reisen, wie damals in Australien, als wir in einem himmelblauen Landcruiser über Monate im Land unterwegs waren. In Australien auch hatte ich Menschen kennengelernt, zumeist waren es ältere, die ihr Hab und Gut verkauft hatten, um um die Welt zu reisen, man nennt sie dort »Grey Nomades«. Die Idee, draußen zu leben, reduziert zu leben, keine Verpflichtungen einzugehen, ihre Unabhängigkeit, das alles imponierte mir. Auf die Idee aber, mir deswegen einen Wohnwagen zu holen, wäre ich im Traum nicht gekommen, und jeden, der mir erzählt hätte, eines Tages würde eben genau das passieren, den hätte ich mit wissendem Lächeln und einem »ist klar« abserviert.

Der Prozess begann derweil schleichend, flankiert von äußeren Umständen. Strukturwechsel im Job, der daraus resultierende Wunsch, das Arbeitsverhältnis zu reduzieren, das Weniger an Gehalt wollte ich mit einem Weniger an Miete kompensieren, und so erfolgte zunächst der Umzug von der 100-Quadratmeter-Wohnung mit Garten in eine 2-Zimmer-Wohnung mit 40 Quadratmetern.

In unserer großen Wohnung hatten mein Freund und ich drei großzügige Zimmer besessen. Den größten Teil der Zeit aber verbrachten wir beinahe ausschließlich in nur einem Raum. Und aus dieser Zeit erinnere ich mich an einen Nachbarn, wie er vor dem Hauseingang mit dem Messer in der Hand das Moos aus den Gehwegplatten pulte. Stunde um Stunde hockte er so auf der Straße, vom Fenster aus sah ich ihm zu und dachte dabei an die verlorene Lebenszeit. Wenige Monate später starb er dann tatsächlich – und wir zogen um. Wir verschenkten oder verkauften den Großteil unserer Möbel, die Garderobe in den Schränken wurde aussortiert, anderes trotz einiger Sentimentalität weggeworfen, darunter auch Bücher und Fotos, und schon damals überwog das seltsam befriedigende Gefühl der Erleichterung. Und bis heute bin ich überzeugt davon: Erinnerung speist sich nicht aus materiellen Dingen, anderes zählt.

Mit dem beruflichen Wechsel von Lübeck nach Hannover folgte das Chateau, es war quasi die logische Folge. Zunächst plante ich, nur zwei, drei Nächte die Woche im Wohnwagen zu verbringen und den Rest der Zeit zu pendeln. Es kam anders. Mein Freund pendelt stattdessen immer häufiger zu mir und dem Chateau, weil er mir einerseits bei technischen Problemen mit dem Camper helfen wollte und sollte. Und zugleich, glaube ich, hatte das Neue auch für ihn seinen Reiz, mal auszuprobieren, wie das so ist mit einer Auszeit vom Alltag.

Grundsätzlich gilt, zumindest lehrte mich das die Erfahrung: Das Wichtigste ist bei allem, den Rücken freizuhaben, selbst entscheiden zu können, wann man geht, immer einen Ausweg zu sehen, wenn das Alte nicht behagt. Sich sagen zu können: »Dann eben nicht.« Ich kenne jemanden, der legt jeden Monat etwas Geld zurück für den Fall der Fälle, er nennt es sein Scheißegal-Konto. Mein Chateau ist kein Aussteigerprojekt. Mein Chateau ist mein ganz persönlicher Scheißegal-Puffer, es ermöglicht mir dem Leben gegenüber eine gewisse Entspannung. Nicht müssen, stattdessen: können oder wollen. Sich bescheiden, um der Freiheit willen.

Allerdings, und das muss ich ehrlich eingestehen: Weniger Platz erfordert ein Mehr an Disziplin. Und so besteht die Kunst nun vor allem darin, die Dinge so zu sortieren, dass sie ein geordnetes Ganzes ergeben. Nur, Kunst kommt von Können, und wenn man eher über eine gewisse Nonchalance verfügt und allein das Kochen eines Kaffees ein mittelschweres Durcheinander hinterlässt, kann man sich in etwa ausmalen, was das bedeutet. Und so beginnt jeder neue Tag mit einer neuen Suche, jeden Morgen wiederholt sich das Spiel, es ist zum Verrücktwerden. Wo ist das Ladekabel? Wo steckt die Taschenlampe? Wo ist der Deckel für die Wärmflasche? Gedankenlosigkeit wird umgehend bestraft, man könnte auch sagen: Das Leben im Wohnwagen schult das Bewusstsein, es ist der stetige Versuch, das Chaos zu bewältigen.

Denn selbst auf so wenig Raum ist es tatsächlich möglich, eine Brille so zu verlegen, dass man sie tagelang nicht findet, immatrialisiert von der dunklen Seite der Macht. Und erst als ich kapituliere und um den Versand einer Ersatzbrille bitte, zeigt sich das Universum gnädig. Am Ende findet sich die Brille wieder: versteckt zwischen zwei Zeitungen, als wäre nie etwas gewesen.

Ein anderes, nicht zu unterschätzendes Problem: Richtiges Lüften. Der winzige Raum reagiert auf große Temperaturschwankungen mit viel Schwitzwasser. Passt man nicht auf, kassiert man wie ich umgehend die Rechnung, und das bedeutet: zurück auf Los. All das, was mit viel Mühe aufgebaut wurde, wird wieder eingerissen; alles raus, alles lüften, alles putzen, die kleine Ordnung findet sich im großen Wirrwarr wieder, mit Schimmel in den Ecken ist nun wirklich nicht zu spaßen. Ein Camper rät zur Verwendung von Salz, ich soll es abgefüllt in Porzellangefäßen versteckt in Nischen drapieren, ein anderer erklärt den Unterschied zwischen Gaswärme und Heizlüfterwärme, nur, hilft alles nix, das Chateau wird langsam eins mit dem Ufer.