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Phil Humor

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

SIEG – Storys, Interviews, Essays, Gedichte Storys, Interviews:Ein neuer Freund * Interview mit William Turner * Erlkönig im Interview * Theodor Fontanes Zweifel * Brief ans Unterbewusstsein * Unterbewusstsein an Ratio * Interview mit einem Gummibären * Wahrheit oder Pflicht * Himmlische Reise in die Hölle * Interview mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft * Zungenbrecher * Strand-Urlaub mit Hund * Interview mit dem Tod * Interview mit den Comic-Stars * Baum-Gespräche * Girl meets Boy * Arthur Schopenhauer in der Zwischenwelt * Clown am Straßenrand * Cupidos Pfeile * eBay Talk * Codes im Supermarkt * Smartwatch * Streit am Gartenzaun * Goldmarie, Pechmarie und der Prinz * Unterredung mit einem Ghul * Wider das Gutmenschentum * Reportage aus dem Pferdestall * Kobold-City * Miss Baumarkt * Pegasus-Einhorn * Blaues Wunder N° 3 * Berater für die gute Fee * In der Superhelden-Akademie * Reportage aus dem Märchenland * Reportage aus dem Schlaraffenland * Man wächst mit seinen Aufgaben * Christoph Kolumbus und der Engel * Claude Monet resümiert * Dschinneva * Wer Wind einlädt, wird Sturm ernten * Gelegenheiten * Bärenstarker Aberglaube * Taxidrohne Essays:Beruf und Berufung * Eis * Haustier * Heiterkeit * Meer * Musik in meinen Ohren * Gedanken zur Musik * Ich liebe Shakespeare * Stille * Stille und Binärcode * Verbunden mit dem Internet * Verspielte Namen * Wunderpillen im Angebot * Erziehung * Glaube * Heimat-Gedanken * Lebensplanung * Carpe diem Gedichte:Arrangiert * Ungeheuer & Co. * Baumhaus * Zeit-Geschenke * Pizza * Total verliebt * Am Bach * Interview mit dem Q * Freunde * Sandburg * Farbverläufe * Das Heilige * Gespräch mit dem Z * Die Karte * Trouble mit dem Zeitgeist * Zauberer * Sonett * Jakobsbrunnen * Heimweh und Fernweh im Talk * Stress als Hobby * Urlaub auf dem Lande * Mein Psycho * Zorniger Engel * Impressionist sein * Total versifft * Bild-Paradiese * Interview mit der Sonne * Urlaub aus der Dose * Pudel als Postillon d'Amour * Übers Wasser gehen * Dumm gelaufen * Mondhelle Nacht * Passionierter Passivist * Halbnackte Wahrheit * Gespräch mit Sir Mond * Sehnsucht * Brückenbauer * Riff-Piraten * Kranke Pläne * Trance und Rausch * Blut * Meeresküste * Tierisch * Zweifel * Dschinn Emergenz * Risiken * Virtuelle Pfeile * Laute Straßen, stille Wege * Muttertag Kleinere Gedichte * Drabbles * Tiny Tales - Bierdeckelgeschichten * Chuck Norris - Witze * Aphorismen

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Phil Humor

SIEG

Storys, Interviews, Essays, Gedichte

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Inhalt

 

SIEG – Storys, Interviews, Essays, Gedichte

 

Storys, Interviews:

Ein neuer Freund * Interview mit William Turner * Erlkönig im Interview * Theodor Fontanes Zweifel * Brief ans Unterbewusstsein * Unterbewusstsein an Ratio * Interview mit einem Gummibären * Wahrheit oder Pflicht * Himmlische Reise in die Hölle * Interview mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft * Zungenbrecher * Strand-Urlaub mit Hund * Interview mit dem Tod * Interview mit den Comic-Stars * Baum-Gespräche * Girl meets Boy * Arthur Schopenhauer in der Zwischenwelt * Clown am Straßenrand * Cupidos Pfeile * eBay Talk * Codes im Supermarkt * Smartwatch * Streit am Gartenzaun * Goldmarie, Pechmarie und der Prinz * Unterredung mit einem Ghul * Wider das Gutmenschentum * Reportage aus dem Pferdestall * Kobold-City * Miss Baumarkt * Pegasus-Einhorn * Blaues Wunder N° 3 * Berater für die gute Fee * In der Superhelden-Akademie * Reportage aus dem Märchenland * Reportage aus dem Schlaraffenland * Man wächst mit seinen Aufgaben * Christoph Kolumbus und der Engel * Claude Monet resümiert * Dschinneva * Wer Wind einlädt, wird Sturm ernten * Gelegenheiten * Bärenstarker Aberglaube * Taxidrohne

 

Essays:

Beruf und Berufung * Eis * Haustier * Heiterkeit * Meer * Musik in meinen Ohren * Gedanken zur Musik * Ich liebe Shakespeare * Stille * Stille und Binärcode * Verbunden mit dem Internet * Verspielte Namen * Wunderpillen im Angebot * Erziehung * Glaube * Heimat-Gedanken * Lebensplanung * Carpe diem

 

Gedichte:

Arrangiert * Ungeheuer & Co. * Baumhaus * Zeit-Geschenke * Pizza * Total verliebt * Am Bach * Interview mit dem Q * Freunde * Sandburg * Farbverläufe * Das Heilige * Gespräch mit dem Z * Die Karte * Trouble mit dem Zeitgeist * Zauberer * Sonett * Jakobsbrunnen * Heimweh und Fernweh im Talk * Stress als Hobby * Urlaub auf dem Lande * Mein Psycho * Zorniger Engel * Impressionist sein * Total versifft * Bild-Paradiese * Interview mit der Sonne * Urlaub aus der Dose * Pudel als Postillon d'Amour * Übers Wasser gehen * Dumm gelaufen * Mondhelle Nacht * Passionierter Passivist * Halbnackte Wahrheit * Gespräch mit Sir Mond * Sehnsucht * Brückenbauer * Riff-Piraten * Kranke Pläne * Trance und Rausch * Blut * Meeresküste * Tierisch * Zweifel * Dschinn Emergenz * Risiken * Virtuelle Pfeile * Laute Straßen, stille Wege * Muttertag

 

Kleinere Gedichte * Drabbles * Tiny Tales - Bierdeckelgeschichten * Chuck Norris - Witze * Aphorismen

 

Ein neuer Freund

Wir machen Improvisations-Theater – auf der Straße, in den Cafés; nicht immer gern gesehen, manchmal scheucht man uns weg, als seien wir Ungeziefer. Wir gehen auf die Leute zu; manches filmen wir, stellen es bei YouTube rein; versuchen, die Leute miteinzubeziehen; Sketche, Blödeleien, Gags; aber nichts war so erfolgreich wie Rex. Er kann eigentlich nichts; sitzt nur so da. Gott, ist der niedlich; ein Hund – schönes weißes Fell, mit sanftem Blick, begutachtet das Treiben um sich, scheint alles zu kommentieren mit nachsichtiger Weisheit. Ich liebe diesen Hund. Keine Ahnung, wem der gehört; er ist uns zugelaufen bzw. nachgelaufen; er scheint der einzige echte Fan unserer Performance zu sein. Seitdem boomt der Laden; die Leute bleiben stehen; er ist ein Magnet; sie nehmen auch in Kauf, dass wir unsere Show abziehen; wir werden wohlwollender betrachtet; man hält uns nicht von vornherein für Halunken; Gaukler-Gesindel. Wir haben ein Ass im Ärmel. Marie wollte dem Hund was beibringen, ihn optimieren, aber ich hege die Befürchtung, je mehr er von unserem Wesen annimmt, umso unsympathischer wird er. Färbt das ab? Ich meine, ich habe nicht diese Niedlichkeit; ich habe nicht das Talent, die Herzen der Menschen im Sturm zu erobern. Wird man damit geboren, eine angeborene Fähigkeit?

Wir wollten uns an der Commedia dell'Arte orientieren; aber die Zeit scheint vorausgeeilt; man bleibt nicht stehen für Stegreifkomödie. Rex scheint intuitiv zu begreifen, welches Stück wir gerade spielen. Das wissen nicht mal wir. Er könnte uns soufflieren. Er verfolgt das alles sehr aufmerksam. Vielleicht ist er ein ehemaliger Impresario, der als Hund wiedergeboren wurde? Aufgrund welcher Verdienste? Was müsste ich leisten, damit mir das vergönnt würde? Ich bin zu sehr Raubein. Er ist die nötige Ergänzung in unserem Team, wie eine Zutat in einem Zaubertrank, die immer schon gefehlt hat. Plötzlich ist der Zauber da. Wir spielen göttlich; wir sind witzig; wir überschlagen uns vor Ideen; wir sind die, die wir immer sein wollten; und das Publikum merkt das; es ist, als schwebe sein Geist über uns.

Wir wollten nie was auswendig lernen; wir wollten weg von dem Konzept der Wiederkäuer. Wir wollten keine abgedroschenen Phrasen; Bohemiens – nur nicht mit dem Zwang, locker sein zu müssen; auch mal nicht-chill-wütig sein; völlig verspannt, zornig auf die Welt – und es entsprechend artikulieren, es hinausschreien – was zuweilen einige Passanten verschreckt. Okay, Drogen können eine klitzekleine Rolle dabei spielen, aber das Leben selber soll Rausch sein; es soll keinesfalls anöden.

Wir hätten dem Hund das Fell lila sprühen müssen oder pink – er war so ordentlich; stets gepflegt; selbstreinigend; irgendwie hat die Natur das bei uns versäumt. Im Grunde ein autarkes Wesen. Woher diese Anhänglichkeit? Er schien sich bei uns wohlzufühlen. Ich hege ja noch immer den Verdacht, dass da eine Künstlerseele in ihm schlummert. Tiefstes Kunstverständnis. Das reicht wohl weiter als meine bisherigen Möglichkeiten – ich seh da etwas ihm, was mir zuzurufen scheint: "Du nutzt Dein Potenzial nicht – streng Dich mehr an; grabe tiefer. " Aber das ist ja kein Knochen, der verbuddelt ist. Die Hoffnung, dass man auf Talent stößt, wenn man das Lot nutzt – Seele ausloten – vermutlich knöcheltief. Aber er glaubt an mich. Er verfolgt meinen Auftritt mit Interesse; wahrscheinlich interpretiere ich da viel hinein. Aber auch Marie meinte, dass ihr der Hund sehr viel gäbe. "Es gibt doch Verstärkungs-Zauber. Wenn Du mit jemandem zusammen bist, der Dir Energie abzieht – oder aber, wenn Du über mehr Energie verfügst." "Reden wir hier von Seelen-Vampiren? Und was wäre das Gegenteil?" Marie entgegnete: "Na, so etwas wie der Hund: Wenn Du Dich in seiner Schwingungsebene aufhältst, dann verändert Dich das – ein Schubs in Richtung Göttlichkeit." "Sag mal, tickst Du noch richtig? Wir vergöttlichen Tiere; haben sie in Ägypten auch so gemacht; der Zug ist abgefahren." Aber so unrecht hatte sie nicht. Wenn wir konfrontiert werden mit der Verkörperung einer Idee, dann fühlen wir uns in eine andere Ebene versetzt: Es durchdringt das Diesseits, wir greifen hinein in die Welt der Ideen, holen von dorther Unglaubliches. So muss Ali Baba zumute gewesen sein, als er die Höhle betrat – und ein einfaches "Sesam öffne Dich" macht es möglich.

Worum bemühten wir uns denn beim Straßentheater? Was war der Grundgedanke der Spontanität? Den Moment zu würdigen, ihm einen Altar zu bauen; ihm eventuell seine Zeit zu opfern.

"Den Hund gebe ich nicht wieder her", hatte Marie mehr als einmal gesagt und so wie sie es sagte, beschlich mich das ungute Gefühl, dass sie eher auf mich als auf den Hund verzichten würde, wenn es hart auf hart käme. Wen würde sie im Notfall retten? Ich fühlte mich zweitrangig, zweitklassig; Zweitbesetzung. Na toll, jetzt beschlich mich Eifersucht, mischte sich in all diese tollen Gefühle wie in einem Aquarellkasten, wo durch das Hinzukommen von Schwarz alles gräulich wird. Wie unerfreulich. Mich davon befreien, mich lossagen von Neid, Missgunst ... Gar nicht so einfach. Ich brachte das bei unserem nächsten Meeting zur Sprache – das heißt, ich wollte das, aber Marie war Gassi gehen mit Rex. Sie verbrachte verdammt viel Zeit mit diesem Köter. Wahrscheinlich war das seine Masche – grundehrlich, grundanständig erscheinen, um ja keinen Grund zu liefern, ihm zu misstrauen. Ich war dahintergekommen. Ich würde seine umwerfende Art ohnehin nie erreichen; ich gewann keine Herzen im Sturm; ich musste mir alles erarbeiten. Nicht mit mir, mein Freund!

Er war erschrocken, dass ich ihn kühl behandelte; hatte er etwas verkehrt gemacht? Er sah sich schuldbewusst um. Stand alles noch am rechten Platz? Bestürzung war in seinen Augen zu lesen. "Du verbringst zu viel Zeit mit Marie", sagte ich. Er nickte bedächtig. Also daran lag es. Ich hatte mir angewöhnt, ihn immer direkt anzusprechen – in ganzen Sätzen, auch mit Fremdwörtern, keine Schonung. Bisher konnte er mir immer folgen. Ich konnte mit ihm doch nicht zu einem Therapeuten gehen – dass der zwischen uns vermittelt? Oder doch? Wie verrückt wäre das? Ich fragte Rex – und er beantwortete das auf seine Art: Er ging – wortlos. Sah sich nicht noch einmal um. Ich habe ihn seitdem nie wiedergesehen.

Interview mit William Turner

Moderator: "William Turner, als Maler hast Du der Welt viel gegeben; um genau zu sein: 20.000 Werke. Hast Du es je bereut? War Malerei irgendwann ein Fluch, ein Laster?"

William Turner: "Hab ich nie so gesehen. Ich freue mich, dass ich in der Engels-Late-Night-Show dabei sein darf; man macht sich vorher ja furchtbar viel Gedanken; wie ist es so im Himmel, wird es mir da gefallen, wäre ich nicht doch lieber in der Hölle? ..."

Moderator: "Hier im Himmel ist viel von Glück die Rede; gab es besondere Glückstage für Dich?"

William Turner: "Immer wenn ich allein sein konnte mit einem Bild, das Grundierte wartete auf seine Bestimmung, das waren Glücksmomente – die möchte ich nicht missen. Man müsste es schaffen, dass das ganze Leben einem Glückstag gleicht. Aber wo nähme ich dann das Düstere her, die Melancholie? Es hält sich die Waage in meinen Bildern, mal bedrängt das Unheil den Frieden, dann ist es die Langeweile selber, die für Aufruhr sorgt; sie birst hervor und gebiert das Böse, den Unfrieden – aus lauter Lust am Abenteuer und am Anderssein."

Moderator: "Das sind gewagte Worte hier im Himmel."

Moderator sieht sich um.

Moderator: "Wir haben auch Gäste aus der Hölle bei uns; die machen das gerne publik, wenn hier Unzufriedenheit zu spüren ist. Ich will keinen Druck ausüben, aber ein Lächeln so ab und zu wäre durchaus angebracht."

William Turner: "Mag nicht. Ich lasse gerne meine Bilder für mich sprechen. Ich seh, Ihr habt sie alle ausgestellt. Ich hatte damals auch eine Galerie – war ein Novum – dass ein Maler so eitel ist, sich mit seinen Bildern zu umgeben; aber sie gaben mir ein gutes Gefühl; ich betrachtete sie immer als meine Freunde; schön, sie wiederzusehen."

Er geht an den Bildern entlang.

William Turner: "Das Seeungeheuer-Bild habe ich nie beendet. Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit? Vermutlich könnte man das in der Hölle besser hinkriegen; ich bin da nicht so der Experte; ich habe immer versucht, das Gute durchschimmern zu lassen; mag sein, es ist die Sonne, die verstellt wird von allerlei. Wie sieht es die Sonne, wie ist ihre Sicht der Dinge? Das klare, helle Licht. In meinen Bildern ergießt es sich in aller Buntheit – ich gestatte es, ich dränge sie geradezu dazu; soll sie sich ergießen – ihre Strahlen spenden Leben; könnte man das von seinem Wirken auch behaupten; nun gut, ich habe Tausende von Bildern in die Welt gesetzt – aber haben sie das Licht verstärkt? Ich werde melodramatisch; was ist in meinem Cocktail?"

Moderator: "Nektar und Ambrosia. Die alten Legenden sind wahr. Das hier im Himmel soll eine immerwährende Cocktailparty sein – das war das Konzept. Frohsinn, ein paar Interviews ..."

William Turner: "Ich würde ja gerne gute Laune verbreiten, aber mir fehlt irgendwie der Anlass. Aquarelle haben so etwas Vorläufiges; so ist mit zumute: Als ob ich darauf warten würde, dass etwas passieren würde, dass ich umgearbeitet werde in ein exzellenteres Gemälde; komme mir oft wie eine Skizze vor. Das Leben an sich hat so etwas Skizzenhaftes; auch wenn ich hier mein Gesamtwerk im Blick habe; ich war immer zu sehr Ästhet? Habe das Schöne sehen wollen, es sollte zur Geltung kommen – trotz aller Widrigkeiten, allem Unschönen bricht es sich Bahn, kraftvoll, unaufhaltsam; habe ich das irgendwie vermitteln können?"

Er schreitet an seinen Bildern entlang.

William Turner: "So ein Rückblick tut gut. Sammeln. Vielleicht hätte ich mehr das Unschöne betonen sollen, Nachdruck auf das, was mir missfällt? Aber man will ja gefallen, will sich mit der Welt gutstellen, sie nicht allzu sehr kritisieren; in Maßen. Ja, die Natur weiß, zu gefallen. Es fiel mir nie schwer, sie zu bauchpinseln – wenn mir dies Wortspiel gestattet ist. Oder ist man ein Einfaltspinsel, weil man auf sie hereinfällt? Bleibt man ein oberflächlicher Typ? Als Maler bevorzugt man das Sichtbare, die Hülle; die Natur hat es leicht, einen zu hintergehen. Vielleicht habe ich sie verraten – weil ich mich ins Abstrakte Land begeben habe? Auflösung des Gegebenen, es ignorieren, es ersetzen durch Gedankenbilder … Wie sie die Farben mengt und rührt: Die Imagination – von mir gestärkt. Sie hat mich beeindruckt. Dass da ein Gegenspieler ist zur Realität, der es womöglich mit ihr aufnehmen kann. Imagination."

Moderator: "Warum Landschaften? Alles andere nur Staffage?"

William Turner: "Ich habe die Weite gesucht, Antworten, die ich bei den Menschen nicht fand. Hat das Meer sie zu bieten? Es ist bewegt, ich tue so in meinen Bildern, als ob ich es eingefroren hätte, als ob ich einen Moment eingefangen hätte, als ob es mir gelungen sei, aber es gelingt nur mittels der Imagination. Sie hält die Zeit an, sie kann zurückspulen, vorwärtsspulen, schneller Durchlauf – alles kein Problem. Nicht so die Natur. Sie muss sich an das vorgegebene Maß und Tempo halten. Der Künstler ist freier, er wandert quasi wie Jesus über das Wasser, es ist ihm ein Leichtes. Er ist in seiner Imaginations-Welt, und er will die anderen daran teilhaben lassen, die Schwerelosigkeit, die Mühelosigkeit – Glück, das so greifbar ist wie ein Apfel; ich weiß, wir stehen hier im Paradies-Garten – und ich sollte mir diese Anspielungen verbieten; aber war es nicht ein Glückstag, ein Glücksgriff: Der verbotene Apfel – ihn dennoch zu nehmen, sich übers Gebot hinwegzusetzen? Der Mensch würde zur Staffage verkommen, würde er die Gebote beachten. Er muss sich darüber hinwegsetzen. Ich weiß, das klingt jetzt sonderbar, aber auch in der Kunst musste ich Grenzen überschreiten, um mir selbst treu bleiben zu können, meinem Anspruch. Man bleibt sonst hinter seinen Ansprüchen zurück. Ich habe das Portal zum Abstrakten aufgestoßen: Wurde mir im Nachhinein klar; mich immer weiter entfernt von den Vorgaben der Natur. Die Imagination drängt ins Bild. – Sag mal, die Cocktails hauen ganz schön rein."

Moderator: "Fördert ein wenig die Gesprächigkeit. Du hast Recht: Kunst, die die gezogenen Grenzen achtet, die ist vermutlich zu brav. Sie will mehr sein als ein Abbild, sie ist grenzenlos."

William Turner: "Vielleicht ist das eine Definition von Glück: Wenn das Grenzenlose auf das Reale trifft – dem nachspüren, es malen. Kann sein, dass bei meiner Bevorzugung des Ästhetischen das Moralische auf der Strecke bleibt – Du siehst ja, ich lobe den Raub des Apfels; ich wäre ein schlechter Künstler, wenn ich mich nicht mit allen Mitteln um Erkenntnis bemühen würde. Ein immerwährender Glückstag – dieses Bild lässt mich nicht los. Was hindert einen daran? Manches gelingt nicht, man ist verärgert; man stellt für sich selbst Regeln auf – und befolgt sie nicht, scheitert an Belanglosigkeiten; und dennoch – das Glück sollte wie eine Burg über allem stehen. Ich bin sonderbar zuversichtlich. Entweder ist das der Cocktail, oder ich bin begeistertet über meine Bilder. So mit Abstand betrachtet, ist es, als würde ein vergangener Tag mich besuchen, mir auf die Schulter klopfen und sagen: 'Weißt Du noch?' – Du erwähntest 'Staffage' – manchmal ist einem so, als sei man in seinem eigenen Leben lediglich Staffage, kein heroisches Landschaftsgemälde, man kann es nicht aufnehmen mit der Landschaft, man ist nicht Heros genug. Ist das mein Eingeständnis, dass die Natur gesiegt hat? Sie ist anbetungswürdig, sie ist der wahre Heros. Ich habe sie immer bewundert, vergöttert. Das Meer, die Berge – sie abzubilden, erschien mir eine würdige Tätigkeit. Aber muss der Mensch nicht nach Würdigerem streben? Es gibt keine Porträts von Gott. Meinst Du, er würde sich von mir porträtieren lassen?"

Moderator: "Gewagte Frage. Als Gegenargument könnte man geltend machen, dass bei Dir die Imagination sich doch sehr in den Vordergrund drängt."

William Turner: "Schon wahr. Am Ende male ich Gott als Farbe, übertreibe es mit dem Abstrahieren und gelange ins Gegenstandslose."

Moderator: "Ich erfahre gerade, dass Er Dir tatsächlich Modell stehen würde. Es liegen ausreichend Referenzen vor."

William Turner: "Prima. Scheint, dass das Thema 'Glückstag' da einiges in Bewegung gebracht hat. Man soll ja auch nicht den Teufel an die Wand malen – also Obacht, was man sagt, malt, denkt. So mal in die Runde gesagt."

Moderator: "Diesen Rat hören die Engel gewiss nicht zum ersten Mal, aber wir sammeln das und machen Kalendersprüche daraus."

William Turner: "Kein Grund für Ironie. Hier sieht es idyllisch aus – dennoch ist es Farce. Ihr habt die Probleme in die Hölle ausgelagert."

Moderator: "Und, wo ist das Problem?"

William Turner: "Ich habe in meinen Bildern immer versucht, beides zu berücksichtigen: Es ergänzt sich doch, eines kann nicht ohne das andere."

Moderator: "Das ist dann doch ein bisschen viel an Ehre für die höllische Fraktion."

William Turner: "Vielleicht fühle ich mich deshalb nur wie ein Schatten: Das dämonische Element fehlt mir. Deshalb die Begeisterung und die Faszination – ich finde nichts Kritikwürdiges, ich bin ein Lamm ..."

Moderator: "Das ist notwendig; im Himmel käme es zu Aufständen."

William Turner: "Dann ist das nur die eine Seite der Medaille? Wieso bin ich so aufsässig? Vermutlich habt Ihr Recht; trotzdem erscheint es mir wie eine Dichotomie. Etwas, was ich in meinen Bildern immer vermieden habe: Da bildeten sie eine Einheit. Das Wüten, die Leidenschaft, die Verzweiflung, die Traurigkeit – all das gehört mit in meine Bilder, die können nicht außen vor bleiben!"

Moderator: "Trink Deinen Cocktail – und denk nicht weiter drüber nach."

William Turner: "Das Erhabene ist angewiesen auf das Dunkle, wie könnt Ihr das ausradieren?"

William Turner ist fassungslos.

Moderator:

Erlkönig im Interview

Moderator: "Bei uns zu Gast im Studio: der Erlkönig! – Tja, gibt kaum Applaus. Kein Wunder, bei Deinem Ruf."

Erlkönig: "Um den aufzupolieren, bin ich hier – unter anderem. Ich meide sonst die Öffentlichkeit, aber etwas PR ist wohl angesagt, mal landet ansonsten in der Antagonisten-Ecke. Wirklich unschön."

Moderator: "Wie war das nun mit dem Knaben, Goethe und dem Vater, der das alles nicht wahrhaben wollte?"

Erlkönig: "Ich habe hier Prospekt-Material. Man kann bei uns sehr schön Urlaub machen. Ein verlängertes Wochenende gibt es zu gewinnen: auf dem Erlkönig-Hof."

Moderator: "Ich glaube nicht, dass Väter ihre Jungs da guten Gewissens hinschicken. Ich habe da so meine Zweifel."

Erlkönig: "Goethe hat einen Alptraum thematisiert. Es ist gut, sich seinen Ängsten zu stellen. Darum geht es bei uns auf dem Erlkönig-Hof. Ein Horror-Kabinett des Schreckens. Wirklich gruselig. Wir haben sogar echte Zombies."

Moderator: "Vielleicht gefällt den Kindern Disney-World doch besser?"

Erlkönig: "Ach was. Das Immunsystem muss gestärkt werden – die Seele muss gefeit sein gegen die Widerwärtigkeiten und Abscheulichkeiten – da leisten ich und mein Team ganze Arbeit. Fräulein Medusa ist bekannt für ihre zupackende Art."

Moderator: "Jetzt bin ich doch neugierig, wer da alles mit von der Partie ist. Hört sich irgendwie schräg an."

Erlkönig: "'Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?' – Ja, wenn man in der Düsternis unterwegs ist, da verschwimmen einem die Grenzen: Die Ratio behauptet, sie wisse genau, was echt sei – als ob es sich um eine Goldmünze handle, auf die man raufbeißt; aber im Zwischenreich herrsche ich: Da tauchen ich und meinesgleichen auf; Spukgestalten, die die Aufklärung gerne leugnen würde; aber mit Leugnen ist es nicht getan, wir greifen nach Euch, wenn das Bewusstsein nicht aufpasst, wenn es müde ist vom Realitäts-Rausch."

Moderator: "Hört sich jetzt irgendwie schmierig an. Ist es so wie mit Siebenschläfer: Dass man eine Prognose erstellt, die auf sehr wackeligen Füßen steht? Man kann dem Üblen mit guten Gedanken begegnen, es müssen keine sieben Wochen Ungemach folgen. Dieses Ausgeliefert-Sein – das tritt in der Ballade sehr deutlich hervor. Die Unabwendbarkeit. Dass man etwas sieht, spürt, wovon der andere keine Ahnung hat. Man ist allein mit seinem Realitäts-Empfinden. Geht jedem Menschen mal so – man empfindet anders als die übrige Welt und man fragt sich: 'Was stimmt mit mir nicht?' Das Eingreifen des Erlkönigs – was plant er letztlich?"

Erlkönig: "Bei Sonne – eingehüllt von Sonnenstrahlen – da wähnt sich der Mensch sicher; die Ratio triumphiert. Die Aufklärung schreitet kühnen Schrittes voran ... Doch wenn die Nacht anbricht, wenn das Bewusstsein nicht mehr Herr der Lage ist, dann hörst Du es in Flüstertönen, wie es raunt, wie es wispert: Folge mir, in mein Reich, das Leben ist Mühsal, Plackerei, es könnte so einfach sein ..."

Moderator: "Sehr perfide; man fragt sich, was will uns die Ballade sagen: Kommt der Verstand wirklich nicht an gegen die Einflüsterungen der Nacht? Sind wir nicht schlau genug? Nerven aus Stahl – würde uns das weiterhelfen? Was ist das Rezept gegen Alpträume?"

Erlkönig: "Das und vieles weitere besprechen wir auf dem Erlkönig-Hof. Es gibt Freikarten fürs Publikum! All das Ungeklärte, Verschobene – es wird dort alles erörtert. Normalerweise begegnet man seinen Alpträumen im Passiv-Modus. Nicht stottern – dem Ungeheuren Rede und Antwort stehen, es sogar zurechtweisen! 'Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?' – Der Ratio graust es, sie möchte es leugnen – und vermag es nicht, da andere Teile des Gehirns betroffen sind, der Erlkönig hat dort von ihnen Besitz ergriffen, er gibt es nicht frei. Ein Fluch, ein Segen? Man verschließt die Augen vor dem, was man fürchtet – man würde es gerne schlagen, doch es ist wie Nebel-Gestalt – vorhanden und nicht da ... Erinnerungs-Dunst. Man kämpft gegen an. So klagt die Seele: 'Erlkönig hat mir ein Leids getan!' Wenn Du nicht aufpasst, ist die Seele tot – und Du lebst weiter. Zombies allerorten. Ich sehe sie – und staune, keiner bemerkt's. Sie sind tot, innerlich ist ihnen das Leben abhandengekommen. Sie reden von Sternzeichen – von der Zukunft – doch es sind Sich-im-Kreis-Drehende. Karussell-Fahrer, nenne ich sie. Ihr entkommt Erlkönig nicht. Besser, Ihr bucht gleich das Wochenend-Paket – zum Sondertarif. Noch ist es günstig, entscheidet Euch schnell. Wenn ich Euch erst nötigen muss, dann schnellt der Preis in die Höhe. Bin ich Euch zu obskur? Hättet Ihr es gern eine Nummer klarer? Klarträume, luzides Träumen – kein Problem – ich stoße Euch auf Euch selbst, Ihr werdet fündig werden – doch ohne mich seid Ihr ohnehin tot."

Moderator: "Man kann sich immer sagen: 'In dürren Blättern säuselt der Wind.' Aber die Geräuschkulisse des Grauens ist da – in der Historie, in der Biographie – man kann weghören, es überhören, es leugnen – und man kann die Musik laut aufdrehen – oder man hört hin, was Erlkönig & Co. zu verkünden haben; was ist ihre Botschaft? Vielleicht bucht Ihr ein Weekend? 'Was Erlenkönig mir leise verspricht?' Die Schätze der Tiefe, kein oberflächliches Geplätscher. Mit dem Rabattcode 'Erlkönig_Ultra' erhaltet Ihr unglaubliche 10 Prozent Ermäßigung! Und es gibt auch ein Gewinnspiel."

Erlkönig: "Ich sollte mich öfters im Fernsehen blicken lassen. Kommt meiner Popularität zugute. Und da macht unsereins sich Sorgen wegen seines Images."

Verhaltener Applaus.

ENDE

Theodor Fontanes Zweifel

Da betätige ich mich als Humorist, als Kenner von Land und Leuten, Reisebeschreibungen … Ist das alles nicht nur ein Ausweichen, ein Davonlaufen vor etwas Solidem? Ich hätte bei der Apotheker-Tätigkeit bleiben sollen. Jeder hat ein Ungeheuer, das ihm Angst macht, was ihn vorantreibt. Soll man es beizeiten zähmen? Es noch wilder machen, dass es einen antreibt? Anfaucht? Aber wie verträglich wäre das mit Darüber-Stehen?

Bin vor meiner Melancholie geflohen – habe in Erinnerungen gekramt, sie hervorgeholt, mich besonnen; Ursprünge, Herkunft; sich besinnen; wohin des Wegs? Immer die Frage: Ist man gut genug? Reicht das Talent, muss man täuschen? Sich auf Zehenspitzen stellen? Wie viel Bildung ist nötig, damit es dem Werk nicht an Tiefe mangelt? Aber nachher ist es ein Zuviel an Tiefe – die Zeitungsleser wollen das nicht; ich soll sie unterhalten; dennoch soll es mehr sein als bloße Unterhaltung; ja, davor fürchte ich mich: vor der Seichtheit. Dass man es mir zum Vorwurf macht, es mir entgegenhält. Ich habe getrickst, getäuscht, erfunden – die Tatsachen aufgehübscht; sollte man das als Reporter, als Journalist? Ich weiß es nicht; bei mir vermengen sich die Bereiche, eines schwappt ins andere: Ist es noch journalistisch, ist es bereits literarisch?

John Maynard, die Brück‘ am Tay – die Gunst der Stunde nutzen, da wird aus dem Unglück der Welt mein Glück. Ist das zu perfide? Aber die Literatur – wenn sie gut ist – meidet das Friedliche; sie späht nach dem Unschönen, dem Garstigen; mir ist, als hätte ich einen Blick dafür bekommen, als hätte meine Tätigkeit mich so geformt, verformt. Ich will nicht das schlafende Ungeheuer – ich will es wecken, es piesacken; es soll zeigen, was es kann – und ich lasse meinen Helden untergehen, lasse ihn verzweifeln – und wenn ich gnädig bin, dann schenke ich ihm ein Happy End.

Tand ist das Gebilde von Menschenhand – nicht, dass das auch für mein Werk gilt; wird es einigermaßen Bestand haben? Der Zeitgeschmack ändert sich, die Zeit zeitigt neue Probleme. Jetzt also Romancier ... Es ist etwas anderes, wenn man sein Leben als Novelle lebt – überschaubarer. Das Leben ein Roman – ausführlicher, man hat Zeit für Nebenfiguren, kann verweilen .... Aber ich glaube, ich habe mein Leben immer als Reise-Reportage gelebt, immer auf der Suche nach was Berichtenswertem – und es dabei mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen; es ist dem Erzähl-Interesse geschuldet, es soll was herzeigen.

Ist wohl so wie bei John Maynard – wie ein Flaschengeist existiert dieser Held nur in der Ballade – eine Art Flasche, vom Dichter hineinbeschworen; die Realität ist so kümmerlich – und da behaupte ich, Realist zu sein, kann doch mit dem Realismus nichts anfangen, es fehlt ihm alles: alles Interessante. Ich liebe die Überhöhung, die Zuspitzung, den Hauch des Ewigen – alles das lässt die Realität vermissen, sie weiß nichts davon. Sie ist trocken – es muss zubereitet werden, schmackhaft – dass man selber darauf Appetit bekommt.

Ich sollte mir Mut zusprechen, durchhalten – das Ungeheuer heißt Müdigkeit, Zweifel, Nachgiebigkeit – begegne ihm mit Resolutheit. Aber drehe ich mich nicht im Kreis? Wiederhole ich mich nicht? Wurde nicht schon längst alles gesagt – und das weitaus besser und stilvoller? Wie hochgeistig können meine Figuren sein? Sind sie noch glaubwürdig?

Erschreckend: Wenn die Antagonisten zu sehr ihrem Autor ähneln ... Ich schaue auf mein Werk – und es ist Selbstbetrachtung. Oder schmeichle ich mir: Habe ich so rein gar nichts von meinen Helden? Nur Wunschbilder? Wie fern bin ich meinen Figuren? Wahre ich den spöttischen Abstand, haben sie nichts mit mir gemein? Oder bin ich ein Verräter, sollte zu ihnen stehen, statt sie zu diffamieren – für ein Bonmot? Für ein bisschen Applaus trage ich Teile meiner Seele zu Markte? Breite sie im Feuilleton aus?

Wem soll man nacheifern? Sind wir alle nur Kopien, weil wir es nicht wagen, die Vorbilder zu bitten, einen Schritt zur Seite zu gehen? Sie verstellen uns die Sicht auf die Welt, auf die Wahrheit – auf uns selbst.

Vielleicht fürchte ich mich auch vor dem Umfang eines Romans – man muss es mit diesen Figuren aushalten, sie gewinnen an Eigenständigkeit, man diskutiert mit ihnen, man hält ihr Schicksal in der Hand. Oder täuscht man sich da – ist es nicht vielmehr das Werk selbst, was dieses und jenes bewirkt? Es erschafft sich quasi selbst – und dem Autor ist es mitunter unheimlich, wie viel Eigenleben in seinem Wort-Werk steckt.

War ein langer Anlauf – hätte ich mich schon eher den Romanen zuwenden sollen? Warum diese Scheu? Habe ich erst sammeln müssen, dass ich wie von einer Reise Mitbringsel habe? Aber ist es vorzeigbar? Als Realist dem Leben das Leben präsentieren – wo bleibt da der Künstler?

Muss man letztlich den Dämonen in sich dankbar sein für all die Unrast? Man wäre kein Fragender, kein Reisender, kein Suchender. Was soll ich der Melancholie entgegnen? Was Launiges; ob sie's mir abkauft? Stellevertretend lass ich meine Protagonisten leiden – erlege ihnen sehr undankbare Schicksale auf – dabei könnte ich ihnen das größte Glück bereiten. Doch Zufriedenheit ist nicht das Geschäft der Literatur – Protagonisten leiden für uns – stellvertretend, wir nennen es Abenteuer – und bevorzugen die Position hinter dem Buch, hinter der Zeitung.

Brief ans Unterbewusstsein

Liebes Unterbewusstsein,

es gab da immer so Missverständnisse; ich denke, wir sollten das klären; ich würde Dich gerne zum Duell herausfordern; aber es sollte nicht im Showdown enden – ich brauche Dich ja noch; aber könnte man das alles ein wenig modernisieren? Vieles kommt mir überholt, einfach archaisch vor. Alleine Deine Bevorzugung der Bildersprache, der simplen Satzstrukturen; wie hinterwäldlerisch ist das denn? Du scheinst über meine Lebensziele überhaupt nicht im Bilde zu sein. Verfolgst Du eigene Pläne? Sollte ich davon was wissen? Werde ich überhaupt noch über irgendetwas in Kenntnis gesetzt? Entscheidest Du das alles über meinen Kopf hinweg? Neuere Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass der sogenannte freie Wille eine feine Erfindung von Dir ist; Du gaukelst uns da was vor. Von wegen Ratio & Co., Ihr seid die Herren im Haus. Hähä. Ich will ja nicht, dass es zum Hass kommt – muss ja nicht sein; aber ich erreiche Dich nicht, meine Mitteilungen scheinen im Nirwana zu verschwinden; hast Du da extra eine Behörde dafür eingerichtet, die meine Mitteilungen entsorgt? Fühle mich furchtbar ignoriert und übergangen von Dir! Wir waren uns doch mal so nah. Das Konzept 'Freundschaft' hat keine Berechtigung mehr? Mag sein, es käme noch mehr Unsinn heraus, wenn ich das alles gleich so umsetzen könnte, was ich mir da so vornehme – ohne Dein ständiges Veto, Dein Bremsen. Würden wir ohne Dich alle schnurstracks zu Stuntmen – die Gefahr verachtend, überall ein Troja sehen, den nächstbesten Menschen zum Antagonisten erklären und ihm eine reinhauen? Du scheinst da so eine Gesetzessammlung zu haben, die Du treulich befolgst. Wir wären gerne freier. Nicht so gebunden an das, was war, uns nicht immer vom Gestern vorschreiben zu lassen, wie wir im Jetzt uns aufzuführen haben. Gebundenheit ans Gewesene – ja, ich weiß, Du schwörst auf Charakter und das Einhalten von Geboten. Wäre schön, wenn das verhandelbar wäre; Du bist so unverrückbar – kommst mir manchmal vor wie Clint Eastwood; eisiges Schweigen, verziehst keine Miene; sei doch mal der Clown, der über die Stränge schlägt, der sich vergisst – und der sich neu erfindet. Der die Fesseln des Gestern einfach mal abstreift.

Ein Brief ersetzt kein Gespräch – ist auch ziemlich einseitig; aber ich kenne Deine E-Mail-Adresse nicht. Die Entfernung ist nach wie vor unüberbrückbar. Als ob Du in Asgard leben würdest und ich in Midgard – keine Regenbogenbrücke, über die man einfach so mal hinwegspaziert; uns verbindet nichts. Wir bewohnen zwei verschiedene Planeten. Geht es um Führungs-Kompetenz? Misstraust Du meinen Entscheidungen? Wäre der freie Wille so etwas wie ein Squash-Ball, der ziemlich wahl- und planlos umherirrt? Du duldest keine Zufallselemente, Du willst, dass alles immer nach Plan verläuft – Baupläne, die vor Millionen von Jahren entstanden; gekettet ans Archaische. Du bist überholt; zumindest bräuchtest Du ein Update; ein Upgrade. Nun sei doch nicht gleich beleidigt; ich seh schon, wie Du die Augen verdrehst; ich nerve Dich; der Erneuerungs-Süchtige; die Ratio, die es gar nicht abwarten kann, sich auszuprobieren. Wie überzeug ich Dich davon, dass ich gerne neue Programme testen würde? Oder vergleich es mit 'ner Eisenbahn – Du fährst auf Gleisen, aber ich will frei wie ein Adler sein. 'Schmink es Dir ab', lautet Deine Replik. Du hast Deine Mission – aber ich frage mich, ob es auch die meine ist; ich habe andere Pläne mit mir; Du ziehst nicht mit; aber ich brauche Deine Einwilligung, Dein Einverständnis, Deine Bereitschaft, Deinen Teil zum Erfolg beizutragen. Das schaffen wir nur gemeinsam. Ist eine Sache des Vertrauens. Und ich habe das verdammte Gefühl, dass Du mir nicht vertraust, dass Du die Kontrolle mir nicht übergeben willst. Bleibt der freie Wille eine Illusion? Ein Traumgebilde – wobei Du im Traum noch mehr das Sagen hast als ohnehin; Regisseur meines Lebens; die Sterne nutzt Du als Studiobeleuchtung. Ich habe den Verdacht, dass Dein Wurzelwerk tiefer reicht, verbunden ist mit allem im Universum, Du hast Ebenen, Stockwerke, zu denen ich absolut keinen Zutritt habe, zu manchen ja – so etwas wie Tag der offenen Tür: Dann darf sich das Bewusstsein mal umschauen – aber bloß nichts anfassen! Du bist da sehr heikel. Ist es Liebe, was uns verbindet? Pflichtprogramm? Erledigst Du nur Deinen Job, kannst Dich für mich und meine Tätigkeiten kein Stück begeistern? Ich sprach von Update, von neuen Programmen – Du scheinst neugierig; kann ich Dir meine Vorschläge unterbreiten? Gewiss, Du musst das alles mit dem Universum abstimmen, abgleichen – ein unendliches Prozedere; kann man das beschleunigen? Bist Du bestechlich? Mit was könnte man Dir einen Gefallen tun? Hand in Hand den Weg gehen, keiner eilt voran ... Aber Du willst den Chef-Posten nicht hergeben? Schon klar. Alle Unterredungskünste der Welt scheitern an Deiner Entschlossenheit. Na bravo. Schon erbärmlich, da bettelt das Bewusstsein um Mitspracherecht – wird sich immer bewusster, dass es eigentlich nie etwas zu melden hatte. Tolle Einsicht, bringt die Menschheit gehörig voran.

Keine Sorge, das wird jetzt kein Briefroman, nur noch ein paar Zeilen ... Wir sollten uns briefen – abklären, was Sache ist, dann geht die Post ab. Vermutlich hätte ich mehr Metaphern verwenden sollen, ich rede vermutlich gegen die Wand, wir sprechen nicht dieselbe Sprache. Du bist die Dunkelheit – dunkel wie das Universum, gelegentlich erleuchtet von einem Stern – mag sein, das ist so etwas wie das Bewusstsein, spärliches Licht; was könnte es Erhellendes beitragen? Der freie Wille als Weltraumfahrer unterwegs, aber sehr wirtlich ist das alles nicht; im Kopf ein ganzes Universum – ein ganzer Kosmos – aber man ist nicht Perry Rhodan, der das alles mühelos meistert. Vielleicht ist etwas Feedback für Dich ganz hilfreich? Aber vermutlich gelangt auch dieser Brief auf den Stapel der ungelesenen Briefe.

In Liebe,

Unterbewusstsein an Ratio

Liebe Ratio,

mich erreichen hier laufend Beschwerdebriefe, dies passt Euch nicht ... und ich sei schwer von Kapee, es fiel sogar der Begriff 'archaisch'. Frechheit! Eine Zumutung. Ich schmeiß hier doch den Laden. Die Ratio macht sich 'nen faulen Lenz; ich mach die ganze Vorarbeit; wird das je irgendwo gewürdigt? 'Ich existiere gar nicht!', heißt es dann. Ich bin so was am Rotieren! Okay, meine Fähigkeiten für Multitasking sind unübertroffen – sogar von den neuesten Computer-Modellen gibt es nichts Vergleichbares zu berichten. – Ich sei eitel? Wie? Kann man nicht ein bisschen stolz sein auf den Gedankenreichtum, die Akrobatik, mit der ich den Ich-Haushalt schmeiße?

Aber ich hätte es gerne unmittelbarer – ich hätte gerne den direkten Draht, den direkten Kontakt zur Welt. Wäre das möglich? Es ist alles so vermittelt; ich will den unverstellten Blick, freie Sicht auf die Dinge, keine Vor-Interpretationen. Die Ratio drängt sich wichtigtuerisch vor, schiebt sich ins Bild wie ein lästiger Fernsehzuschauer. Hau ab! Du bist hier nicht erwünscht! Muss doch mal in aller Deutlichkeit gesagt werden können. Ratio kriegt die Lorbeeren – Ratio, das Hätschelkind. Der Humanist, der Bildungsbeflissene. Und ich, dass strohdoofe Unterbewusstsein, dem man alles dreimal haarklein auseinanderklabüstern muss, um was es nun geht.

Okay, wirklich nicht mein Tag ... Aber mich regen die Briefe von Ratio auf. Die bringen mich auf die Palme. Ich und mangelndes Verständnis?! Es geht doch um Würdigung. Ich Ackergaul, Du Rennpferd. Jaja. Ich will auch mal auf dem Siegespodest stehen, nicht als Müllhalde gebrandmarkt ... Schuttabladeplatz der Zeit – das Verdrängte fände sich vor allem bei mir. Ach was, in meinem Archiv hat alles seine Heimstatt; ich bin da sehr ordentlich, beinahe pusselig.

Soso, Ihr wollt mich programmieren; dass ich einen Gang höher schalte. 'Mach mal hinne!' Diesen und ähnliche Sprüche will ich nie wieder hören! Für mich ist es wie ein einziger Tag – ich gehe niemals schlafen, ich habe immer Dienst. Bin da fast wie ein Hai oder ein Vampir – ein Hai kann zumindest die eine Hälfte ins Traumland schicken, kann ich mir nicht leisten. Ein einziger Tag – und dann die die Beschwerden der Ratio, die gut ausgeschlafen mal wieder einen Grund zum Nörgeln findet. Herrlich, sag ich Euch.

Dann munkelt man über meine Connections zum Universum; bin ich Geheimagent? Okay, mir liegen einige Top-Secret-Akten vor, von denen das Bewusstsein nichts spitzkriegen darf, aber ich bin dem Ich loyal, war es schon immer. Ich bin nur so schrecklich müde – Dauermodus, von allen Seiten Infos, das muss verarbeitet werden ... Ehrlich, ich wünschte, ich könnte sagen: 'Das ist echt mein Tag, hier komm ich auf meine Kosten.' Aber ich zahle die Zeche, ich komme für alles auf.

Dann geht es um Führungs-Streitigkeiten, Rivalitäten, wer nun das Sagen hat: Die Ratio kann einem so auf den Keks gehen! Ich muss so an mich halten! Eines Tages kick ich sie raus. Besserwisser. Okay, ich neige zur Panik, betätige eventuell ein wenig zu oft den Alarmschalter; man weiß ja nie. Da wirft sie mir vor, dass ich ruhig mutiger sein könnte, dieser Logik-Freak.

Dann gilt es auch das Traum-Reich zu verwalten; dass da nichts durcheinandergerät; für mich ist das ohnehin alles eins. Vorstellungen, Reales, Schreckensbilder – mich trifft das alles mit derselben Wucht; wieso zieht der sich so unerfreuliche Filme rein? Was Nettes. Will auch mal entspannen.

Es heißt ja, ich bekäme bald direkten Anschluss ans Internet; wäre schon was, nicht mehr diese Begrenztheit. In Richtung Androiden, mehr Technik ... wäre schon was; diese Neuronen sind doch sehr anfällig; bin ständig am Reparieren, Ausbessern; im Grunde bin ich eine Tag- und Nachtschwester. Will auch mal was downloaden, Upgrades beziehen, modern sein. Ich verpasse völlig den Anschluss; jedes Handy kann wer weiß was. Früher wurde ich um Rat gefragt, jetzt heißt es: 'Alexa, Cortina, Siri, wo sind meine Sachen, weißt Du? ...' Die wissen nix! Ich habe mich in Jahrtausenden bewährt, manche Schlacht geschlagen, bis der Homo sapiens aus dem Gröbsten raus war, ich habe mich bewährt, bin Gelände-tauglich, wenn man so will, ein All-Terrain-Vehicle-Unterbewusstsein. Ich komm mit allem klar. Nur dieses Kompetenz-Gerangel mit Ratio, das zehrt an meinen Nerven. Schieb mal ein Stück Kuchen rüber!

So, Brief noch unterzeichnen – und ab damit – soll Ratio sich das mal hinter die Ohren schreiben. Oder wird es ihr den Tag vermiesen? Ich will nicht, dass sie sich schlecht fühlt; sie versucht, dem Leben Logik aufzuzwingen – aber das Leben ist so störrisch und so herrlich unlogisch. Immer rennt sie mit ihrer Logik hinterdrein – wenn es nicht so traurig wäre ... Aber auch meine Mittel sind absonderlich – ich habe es mit dem Märchenhaften, bin ein Mythen-Wesen, habe es mit dem Symbolischen, schwärme dafür – und hoffe, dass es nicht so auffällt, inmitten einer Technik-affinen Welt komme ich mir zusehends überholt vor. Ist das Unterbewusstsein ein Auslaufmodell? Schicke Androiden ersetzen mich? Ich habe Kontakt zu den Zellen, kann sie reparieren, ich kann sie hören, fühlen; ich kommuniziere mit ihnen, wir verstehen uns, meine Leute, meine Truppe; ob Technik da mithalten kann? Vielleicht ist sie viel flotter als ich, hält das alles besser in Schuss? Ich habe da so meine Ordnung – ich mag es ja nicht mal, wenn die Ratio ihre Umräum-Aktionen startet, ich krieg da jedes Mal die Krise; geht gar nicht. Andererseits bin ich neugierig auf die Technik; Chips, Platinen – ich wäre schneller, rasanter, rassiger. High-Speed. Okay, ich bin im Datenrausch. Aber wenn man bei mir mit Wissen anfängt, dann gerate ich ins Schwärmen. Die Vorstellung, an so einer Leitung zu hängen, an so einer Pipeline – und mich direkt sattsaugen zu können mit relevantem und irrelevantem Wissen – wow! mega-krass. Voll der Ober-Hammer. Seht Ihr, wie ich upgrade? Ich halte mit, ich japse nicht hinterdrein, ich halte Schritt.

Aber dann kommen mir doch Bedenken; vielleicht stehe ich der Ratio und Ihrer Clique nur im Wege? Bin ich zu konservativ? Ich bewahre Gefühle. Ich bin ein Bewahrer. Ein Erhalter. Ich bin nicht wendig genug.

Interview mit einem Gummibären

Ich: "Schön, dass Du zum Interview erschienen bist: Gummibären gelten ja als nicht sehr gesprächig."

Gummibär: "Ich hab erst gedacht: Kommt gar nicht in die Tüte. Aber dann dachte ich mir: Warum nicht?"

Ich: "Es heißt, Gummibären besäßen kein Rückgrat ..."

Gummibär: "Nenn es Flexibilität. Sehr empfehlenswert für Politiker. Das schafft man auch mit noch so vielen Dehnübungen nicht. Immer geschmeidig bleiben."

Er turnt mir was vor. Macht seine Sache ganz gut.

Gummibär: "Siehst Du diese Moves? Diesen Hüftschwung? Hier steppt der Bär!"

Er flippt völlig aus. Dabei ist gar keine Musik an. Die Studio-Band schaut mich fragend an.

Ich: "Spielt was Fetziges."

Der Gummibär kriegt die Panik.

Gummibär: "Mit Tüten-Zerfetzen fängt es an. Es geht das Gerücht um, dass Gummibären zum Verzehr geeignet seien. Ich bin völlig fassungslos."

Er klettert wieder in seinen Sessel. Wie soll ich ihm die Wahrheit sagen?

Ich: "Es ist ja selten, dass Gummibären Rentenalter erreichen."

Gummibär: "Wie kommst Du jetzt darauf?"

Ich: "Nun ja, Du scheinst da einige Fakten erfolgreich verdrängt zu haben. Gummibären sind lecker."

Gummibär: "Stimmt schon. Ich bin ein künstlerischer Leckerbissen. Ich tanze unglaublich gut."

Er tanzt im Sessel. Die Studio-Band spielt 'Teddy Bear' von Elvis Presley.

Gummibär: "Mein Knuddel-Faktor ist super. Fühl mal."

Ich: "Das schon. Aber es birgt ja auch gewisse Risiken, wenn man so gut ankommt ..."

Gummibär: "Ich liege voll im Trend. Den Zeitgeschmack treffen – darauf kommt es an. Ich kann hüpfen wie ein Gummiball."

Er springt durchs Studio.

Ich: "Hat was von einem Squash-Ball. Wobei Squash-Bälle den Vorteil haben, dass sie nicht lecker sind."

Gummibär: "Ist es denn ein Fehler, der Welt angenehm zu sein? Du tust gerade so, als wäre es besser, bitter und ungenießbar zu sein."

Ich: "Manchmal ..."

Er deutet mein bedeutungsvolles Schweigen völlig verkehrt.

Gummibär: "Langweile ich Dich? Hast Du keine weiteren Fragen? Soll ich gehen?"

Ich: "Siehst Du Dich als Softie?"

Gummibär: "Ich habe Soft Skills. Ich kann ein Team zusammenschweißen – manchmal kleben wir förmlich aneinander. Erzähl es keinem weiter – aber ich habe schon an Befreiungsaktionen teilgenommen: Gummibären aus Tüten befreit – unglaublich, was da in den Supermärkten abgeht. Einem Schoko-Osterhasen haben wir auch zur Flucht verholfen."

Ich: "Packende Geständnisse. Es heißt ja: Gelobt sei, was hart macht."

Gummibär: "Willst Du wissen, was mich hart macht, oder was? Was ist das eigentlich für eine Sendung?"

Ich: "Ich mein, es ist ja an sich gut, hart im Nehmen zu sein. Wie siehst Du Dich da aufgestellt?"

Gummibär: "Willst Du behaupten, ich sei ein Weichei?!"

Er erhebt sich drohend. Ich gebe der Band ein Zeichen; sie spielen Jazz. Er sinniert.

Gummibär: "Mag sein, dass ich zu weichherzig bin. Musik berührt mich – alles berührt mich."

Ich: "Vielleicht bräuchten wir mehr Gummibären im Land? Nur so ein Gedanke. Die Betroffenheits-Fraktion."

Gummibär: "Das würde mir gefallen. Vorreiter – hätte was. Ich glaube, ich bin ein Tüten-Fetischist – Tüten geben mir ein gutes Gefühl, Sicherheit. Wie kommt das?"

Ich: "Am besten, Du sprichst darüber mal mit Deinem Therapeuten."

Gummibär: "Du bist aber nicht sehr umgänglich. Hat Dich das Leben so hart gemacht? Sei doch knuffiger!"

Ich: "Werde ich beherzigen. Ich danke Dir für das Interview."

ENDE

Wahrheit oder Pflicht

Wir sind eine Vampir-Clique, hängen meistens zusammen ab – nicht so wie die Fledermäuse. Wir kommen ohne Schlaf aus – aber nicht ohne Abwechslung. Beliebt bei uns ist zur Zeit 'Wahrheit oder Pflicht'; es dient auch dem besseren Kennenlernen; manche von uns sind schon seit Jahrhunderten auf den Beinen; manche haben gar nicht mitbekommen, dass andere Zeiten angebrochen sind, die tragen immer noch Mittelalter-Klamotten.

Wir sitzen also im Spukschloss und spielen Flaschendrehen – okay, es ist keine Flasche, es ist jemand, den wir gerade leergetrunken haben – also in gewissem Sinne schon eine Flasche, aber eben mit Blut gefüllt. Es sind auch einige Zombies dabei, wir sind da nicht so, dass wir Vorurteile hätten, jemanden ausschließen, nur weil er kein Gehirn mehr hat. Sogar Geister sind dabei – man sucht die Nähe, man sucht Trost. Nachtwesen, die beim Spiel vergessen wollen, dass das Taghelle nichts für sie ist.

Ein Geist erhält den Auftrag: 'Trage die Person links von Dir einmal durch den Raum.' Er fängt an, zu weinen; so verbunden ist er mit der Materie-Welt nicht, sie entschlüpft ihm, er geistert da hindurch. Wir alle haben nichts Greifbares vorzuzeigen, uns fehlt vermutlich der Kampfgeist. Wir müssen niemandem etwas beweisen, vor allem ist der Tod nicht unser Gegner – wir laufen ihm nicht davon, er will nichts von uns, er ignoriert uns. Vorteil des Untot-Seins: Man hat keine Existenz-Ängste – und dennoch ist da diese Traurigkeit, die geweckt wird durch so simple Aufgaben wie: 'Täusche einen totalen Lachkrampf vor." Ich bin dazu nicht in der Lage. Wir sind alle nicht in der Lage, diese Version von 'Wahrheit oder Pflicht' zu ertragen.

"Es müsste eine Version eigens für Vampire geben!", schlägt einer vor. Aber bis dahin behelfen wir uns mit dem Standard-Fragen-Katalog. 'Versuche, für 10 Sekunden zu breakdancen.' Kein Problem für den flotten Zombie, seine Knochen brechen im Akkord-Tempo, er fällt in sich zusammen. Wir nehmen das eventuell ein bisschen zu wörtlich.

Außerdem würde ich die Gelegenheit gerne nutzen, um einer Vampir-Lady näherzukommen – Eva. Endlich ergibt sich die Gelegenheit, ich frage sie: "Was ist Deine dunkelste Fantasie?" "Ich habe nur dunkle Fantasien." "Das ist mir zu ausweichend." "Wir foltern seit Jahrhunderten, wie soll man das steigern? Die Realität ist der Fantasie um Längen voraus." Ich ignoriere jetzt einfach das Spiel und beschließe, meine ganz private Version von 'Wahrheit oder Pflicht' zu spielen. Wieder auf eine Gelegenheit zu warten, sie irgendetwas Bescheuertes zu fragen – die Nerven habe ich nicht. Ich will sie hier und jetzt, ich will ein Fragen-Vorspiel.

"Spiel eine Szene aus Deinem Lieblingsfilm nach", fordere ich sie auf; sie geht darauf ein. Ich bekomme gar nicht mit, was sie darstellt, ich bin schon glücklich, dass ich sie betrachten darf – ohne dass es merkwürdig aussähe. Noch einen Vorwand, sie betrachten zu dürfen. "Male Deinen Traummann so originalgetreu wie möglich auf." Ziemlich riskant. Was, wenn das völlig konträr zu meinem Aussehen ... Sie malt Batman. Wo bekomm ich jetzt ein Kostüm her?

"Ich war eine Gräfin; ich habe noch immer dasselbe Kleid, es bewahrt seine Form, es ist konserviert. Die Zeit kann uns nichts anhaben – wir stehen außerhalb von ihr. Hast Du mal darüber nachgedacht, dass das Leben mit uns 'Wahrheit oder Pflicht' spielt, unentwegt? Es gilt, Antworten zu finden, es wird immer absurder; wer kommt auf solche Konstellationen? Ich meine, durch einen Biss ist man dem Menschsein enthoben – als wenn es eine Last gewesen wäre, eine Bürde. Man war immer in Sorge – sieh uns jetzt an, völlig verwahrlost – dennoch sich so bewahrend wie man ist, keine Veränderung, als ob jemand unsere Zeiger angehalten hätte, dennoch voller Wünsche und Launen, Begierden. Du hoffst auf ein Date? Vermutlich würde ich schon aus Langeweile zustimmen – aber das ist es nicht, was Du willst. Du willst Leidenschaft; die kann ich Dir nicht geben – keinem; das ist die Lüge, die in der Literatur verkauft wird: Dass die Vampire besonders liebesfähig seien – in uns ist keine Liebe, kein Hass – da lodert gar nichts. – Vermisst Du den Schlaf? Im Sinne einer Pause, einer Unterbrechung; dass da ein Morgen ist, ein Neustart, keine Fortführung dessen, was man so treibt seit Jahrhunderten, ununterbrochen treibt man dahin."

Ich wollte ihr gerade vorschlagen: 'Strippe für mich, so gut Du kannst.' Ist wohl nicht der richtige Zeitpunkt; sie steckt mich mit ihrem Melancholie-Anfall an.

"Das hier war unser Schloss; es ist zerfallen. Die Spiegel weigern sich, mich zu zeigen; ich existiere nicht für sie." Ich lasse sie für eine Weile alleine. Organisiere mir ein Batman-Kostüm. Das ist der Vorteil als Vampir: Man ist schnell.

"Gefällt mir." Sie scheint mich einer genaueren Inspektion für würdig genug zu erachten ... aber ihr Interesse flaut schon wieder ab; es ist, als könnte sie ihren Fokus nicht lange aufrechthalten, sie sucht etwas, sie ist unstet. Vielleicht fühle ich mich deswegen herausgefordert, bei ihr im Mittelpunkt zu stehen, die Position zu erobern? Ich komme in Gedanken nicht los vom 'Wahrheit oder Pflicht'-Spiel, was sie unten in der Halle noch immer spielen. Ich frage mich unentwegt was, lege mir die sonderbarsten Fragen vor – versuche herauszufinden, was von mir noch übriggeblieben ist; aber wie könnte ich das beurteilen? Wie könnte ein Rest merken, dass er ein Rest ist?

"Welches Tier passt am besten zu Dir und warum?" Sie scheint dankbar für die vorgelegte Frage. "Ein Piranha. Irgendwas Widerwärtiges." "Du bist toll, Du hast Biss." Sie sieht nicht wirklich geschmeichelt aus, meine Komplimente scheinen so untot wie ich selbst.

Ein Geist gesellt sich zu uns. "Darf ich mitspielen?" "Pose eine Minute wie ein Bodybuilder." Er bemüht sich. "Das Körperliche vermisse ich; war immer schön, einen Körper zu haben; was stell ich jetzt noch dar?" Wie muntert man einen Geist auf?

"Lust auf einen Dreier?", fragt Eva ihn. "Krieg ich auch so ein Batman-Kostüm?" Wie kostümiert man Geister? Es gibt einfach zu wenig Handbücher. Der Geist tut so, als würde er Eva den Hintern versohlen; gute Idee; warum bin ich nicht darauf gekommen? Er scheint ein guter Wingman zu sein; immerhin kommt Eva in Fahrt, ich würde sogar sagen, sie steht unter vollen Segeln. Irgendwie scheint ihr der Geist gutzutun. "Ich bin eine Wolke!" Er macht einen auf Schäfchenwolke. Eva findet ihn total niedlich. Der stiehlt mir noch die Show.

"Apropos, wie kann man Dich am besten flachlegen?" Etwas Besseres fällt mir nicht ein? Ich bin von mir selbst entsetzt. Dieses Ausmaß an Flachheit – aber der Geist macht sich flach wie ein Pancake, rollt sich zusammen – er hat Spaß.

"Wollen wir die Kleopatra-Nummer machen? Du könntest Dich mit mir einrollen wie in eine Teppichrolle; mache ich gern für dich." Furchtbar flexibel der Geist; aber Eva findet ihn witzig; sie lässt sich darauf ein; die beiden tollen auf dem Boden umher; ich fühle mich seltsam ausgeschlossen. Geister sind viel cooler als Vampire. Ich trage mein Batman-Kostüm völlig zu Unrecht. Eva will von mir wissen: "Was ist das Schlimmste, das Du je jemanden angetan hast?" "Du meinst, außer der Beißerei? Ich hab beim Pokern betrogen." "Lass uns Strip-Poker spielen", schlägt sie vor. Ich kann ihr keinen Wunsch abschlagen.

Der Geist macht Skulpturen: Er posiert als Engel, als Halunke – sogar ein Reiterstandbild gelingt ihm. "Ist gar nicht so schwer; alles eine Sache der Konzentration; ich habe das Gefühl, ich werde besser; das nimmt Formen an, ich habe mich noch nie so sehr als Künstler gefühlt." Sie ist beeindruckt; ich sollte auch etwas vorführen. Ich veranstalte den Zaubertrick 'Zersägte Jungfrau' mit Hilfe eines Zombies bzw. zweier Zombies, denn danach ist er nicht mehr so ganz intakt, man könnte sogar von einer Ober- und Unterhälfte reden. Dem Zombie scheint das nichts auszumachen, er beschwert sich nicht. Eigentlich ganz sympathische Typen.

Ein weiblicher Geist gesellt sich zu uns. "Ihr habt ja richtig Spaß. Tanzt jemand mit mir?" Sie blickt mich dabei an.

"Wir könnten einen Vierer machen", schlägt Eva allen Ernstes vor. "Wie heißt Du?", frage ich den weiblichen Geist. "Weiß nicht; such Dir einen Namen aus; was Dir gefällt." "Wie wär's mit Ghostina?", schlage ich vor. "Klingt gut. Besonders, wie Du ihn aussprichst. Es ist schön, wieder einen Namen zu haben, wie eine Variable, die man aufrufen kann, die nicht mehr im Nirwana schwirrt, sondern einsetzbar für mathematische Aufgaben. Hast du Aufgaben für mich?" Ich bin in der Tat dabei, mich in einen Geist zu verlieben. Weiß gar nicht, ob das statthaft ist. "Womit kann man Dich am meisten beeindrucken?", will sie von mir wissen. Sie geht auf mein Spiel ein – 'Wahrheit oder Pflicht'. "Mir gehen tausend Fragen durch den Kopf – und es drängt mich, Dir einige davon zu stellen", gibt sie zu. "Am meisten kann man mich wohl damit beeindrucken, dass man von mir beeindruckt ist", ich antworte ihr ehrlich, denn seit ich Vampir bin, ist die Welt mir sonderbar fern; früher trachtete ich danach, der Welt etwas geben zu können, jetzt geht es in der umgekehrten Richtung: Das Vampir-Denken beherrscht mich, das Nehmen, das Haben-Wollen – Sehnsucht danach, wie es ist, wenn da ein gewisses Gleichgewicht herrscht, man etwas zu geben hat, wenn man in der Lage ist, die Welt mit irgendetwas zu beeindrucken, sie zu bereichern, ihr etwas zu schenken; so stehe ich mit seltsam leeren Händen vor Eva – jeder Geist überrundet mich, stellt mehr dar.

"In wen aus der Runde könntest Du Dich am ehesten verlieben?" "Macht wohl keinen Sinn, sich in Dich zu verlieben? Die Liebe schätzt das Greifbare, man liebt die schönen Formen; man mag geistreiche Gespräche führen – aber letzten Endes sollte die Physis doch Bestandteil dieses Arrangements sein." "Trefflich formuliert – aber nicht zutreffend. Es gesellt sich ja etwas hinzu, da verwandelt sich etwas; Liebe vermag das; Liebe verleiht Gestalt." Bei diesen Worten umarmt sie mich. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass sie körperhafter wird.

"Erstaunlich, Du machst Dich. Ist das Zauberei?" Sie verwandelt sich vor meinen Augen in einen Menschen: eine Frau, brünett, tolle Figur. "Ich sagte doch: Der Zauber der Liebe; schon interessant; wer bleibt da schon im Geisterreich, wenn man mit einem Körper so viel Spaß haben kann? Lass uns poppen!"

Dieser Übergang kommt mir doch ziemlich abrupt. Aber nicht unwillkommen. "Das ist immerhin erst unser erstes Date. Wir sollten das langsamer angehen", melde ich unvernünftigerweise Bedenken an. Wieso trete ich jetzt auf die Bremse?

"Vampire haben diese Macht. Hast Du das nicht gewusst? Ihr untersteht nicht den üblichen Regeln. Außerhalb der Ordnung – seid ihr zu Außerordentlichem befähigt." Egal, was sie sagt, es beflügelt mich, es gibt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Und seltsamerweise gelingt mir so einiges; bewirkt sie das, ist das ein Zusammenwirken? Der erste Kuss hat was – sie küsst exzellent. "Bravo", lobe ich sie. "Toll, es klappt noch, nach so vielen Jahren. Geist sein, ist so öde. Gut, die Verwandlungsfähigkeit – das hat schon was; aber Formstabilität – das ist herrlich." Sie streicht sich über ihren Körper.

Himmlische Reise in die Hölle

Ich habe ein Detektivbüro, die meisten Fälle sind nicht berichtenswert, aber gestern kam ein Herr Engel zu mir und schlug mir vor, alle Toten aus dem Jenseits zurückzuholen. Ungewöhnlich. Ich erkundigte mich, ob ich pauschal bezahlt werden würde, ansonsten wäre das ein Riesen-Aufwand – ich hasse Papierkram. Nein, keine Sorge, das könne man ganz unbürokratisch lösen. Er sei auch gar nicht offiziell hier, das laufe so unter der Hand. Sein Boss dürfe davon keinen Wind bekommen. Mit diesen Worten schaltete er meinen Ventilator aus.

"Muss ich da nach Asgard, über die Regenbogenbrücke? Wo ist der Zubringer?"

Nein, das laufe ganz anders, er habe da mal was vorbereitet. Dann zeigte er mir Skizzen; ein Portal war zu erkennen.

"Da musst Du durch. Nur Menschen reinen Herzens ist das möglich."

"Tja da bist Du bei mir an der falschen Adresse. Ich bin ein Lump – meint zumindest meine Ex – und auch noch diverse andere Leute."

Er wolle sich auch nicht lumpen lassen – legte einen Batzen Monopoly-Geld auf meinen Tisch.

"Beachtlich." Allem Anschein nach tickte mein Gegenüber nicht ganz richtig. Dabei sah er so seriös aus. Naja, Menschenkenntnis ist nicht so mein Spezialgebiet – sollte es eigentlich sein. Ich vertraue grundsätzlich jedem, nehme immer das Beste an.

"Ach so, ich vergaß die Verwandlung." Er zückte seinen Zauberstab, deutete auf das Monopoly-Geld und es verwandelte sich vor meinen Augen in echtes Geld.

"Prima." Ich zog einen Berater hinzu: Jack Daniel's. Nüchtern betrachtet, war das einfach nur kurios. Aber wer weiß, mit dem nötigen Beistand von Hochprozentigem ergab das eventuell einen Sinn? Auf einen Versuch kam es an.

Mein Gast drängte zum Aufbruch. "Wir müssen uns beeilen. Es hängt mit der Sternenkonstellation zusammen. Das ist nur einmal alle hundert Jahre möglich."

"Und da kann man nicht ein paar Minuten eher aufkreuzen? Ich und Jack Daniel's, wir hätten gern noch etwas Zeit für uns."

Er schlug mir das Glas aus der Hand. "Sei doch nicht so ein Dackel! Das ist die Chance." Das 'die' betonte er, als ob er Wunder weiß was zu verkaufen hätte.

Ich fragte meine Sekretärin, ob sie uns begleiten wolle. "Es geht ins Jenseits. Super Chance. Eine Rückführaktion. Bezahlt werden wir mit Monopoly-Geld, das aber zurzeit recht echt aussieht."

Sie verlangte weitere Erklärungen, sie ist da manchmal doch etwas umständlich. Außerdem konnte sie den Herrn Engel nicht sehen. Fantasierte ich? Das würde sich ja herausstellen. Ich bat sie also, mir einfach zu vertrauen, das Portal müsse ganz in der Nähe sein.

"Endlich mal kein so uncooler Auftrag." Ich war geradezu süchtig nach etwas, was auch einem Serien-Detektiven Ehre gemacht hätte. Bis jetzt war ich meinen Idolen noch keinen Deut nähergekommen. Und jetzt das; aber es schien mir zu einfach. Oder muss man nur zum rechten Augenblick am rechten Ort sein, genügt das?

Ich klaute Herrn Engels Portemonnaie, besah mir dessen Inhalt im Nebenzimmer. Als Taschendieb hätte ich Karriere machen können, dieses Talent kam bei meiner jetzigen Tätigkeit gar nicht zur Geltung. Aber dem Totenreich die Toten zu klauen – wie cool ist das denn?

Aha, Herr Engel arbeitete für den Himmels-Geheimdienst, er hätte also durchaus die Möglichkeiten, Portale zu öffnen. Witzigerweise war sein Vorname mit B. abgekürzt – las sich also B. Engel. Naja, mit dem Knigge in der Hand beklaut man nicht das Jenseits-Land. Eine gewisse Obrigkeits-Renitenz – das verband uns. Er wurde mir zunehmend sympathisch. Meine Sekretärin nahm sich reichlich vom Jack Daniel's. "Reisevorbereitung", nannte sie es.

Dann brachen wir auf. Ich hatte ihm sein Portemonnaie wieder zugesteckt, dafür hatte ich ihm den Zauberstab entwendet und angefangen, einige Experimente zu machen. Stellte sich als schwieriger heraus, als von mir erwartet: Man stelle sich eine Kutsche vor mit achtzig Pferden; ich konnte nicht mal eines davon lenken oder ihm Gehorsam abverlangen. Der Zauberstab verwandelte mein Büro und die umliegenden Gebäude in etwas Undefinierbares: einerseits durchsichtig, andererseits wabernd. Schon irgendwie beängstigend. Meine Versuche, es rückgängig zu machen, bewirkten, dass sich der Himmel verfärbte; ein violettes Strahlen – nicht unübel, eigentlich ganz effektvoll; fand auch meine Sekretärin, die das erfreulicherweise sehen konnte. Immer schön, zu erfahren, dass die Magie, die man erlebt, nicht nur geistiger Hirnrissigkeit entspringt – auch wenn dabei so einiges in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Gegend sah fürchterlich aus. Herr Engel bat mich, ihm den Zauberstab zurückzugeben, ich willigte ein, noch mehr Chaos könnte ich auf der nächsten Mieterversammlung nicht erklären. Wurde Zeit, dass wir aufbrachen; wenn man ein schönes Ergebnis vorzeigen kann, dann wird einem so manches verziehen. Darauf setzte ich auch hier.

"Also, wo ist das Portal?" "Du hast es gerad erschaffen." "Das lila Ding über unseren Köpfen?" "Da müssen wir durch."

Es war ein Wirbel, ein Sog, etwas Gigantisches; schau an, da hatte ich mit meiner Ungeübtheit doch einiges erreicht. Aber vermutlich war das ein Automatismus – so eingestellt, dass bei der nächsten Bedienung des Zauberstabes genau das passieren würde. Ich war so berechenbar. Die ganze Welt erschien mir wie die Ausgeburt eines immensen Denkapparates, vorberechnet, kalkuliert bis ins Kleinste; da gab es keine Abweichungen, Zufälle. Im Grunde hatte alles schon stattgefunden. Dann wäre es also in Ordnung, wenn ich das hier durchzog?

Es donnerte; trichterförmig stülpte sich der Himmel über uns; war das eine Einladung? Ich nahm auf jeden Fall Jack Daniel's mit und seinen Kollegen Jim Beam. Das Portal-Reisen stellte sich als wesentlich angenehmer heraus, als von mir befürchtet; klappte soweit ganz gut, nur dass wir uns auflösten, das hätte man uns vorher sagen sollen. "Wo ist mein Körper?", schrie meine Sekretärin. Sie war voll hysterisch. Wäre ja witzig, wenn das so eine Art Sternentore wären – und wir wären die ersten Menschen auf einem anderen Planeten inmitten von Aliens. Ich freute mich darauf – und war enttäuscht, als ich das Jenseits sah: Grau, trübe, alles in allem unerfreulich. Kein Wunder, dass die hier wegwollten. Aber war auf der Erde genug Platz? Außerdem – wo war ich? Herr Engel war Gott sei Dank noch da – sogar sichtbar.

"Willkommen im Jenseits." Er machte einen auf Reiseführer. "Eure Körper müssen sich erst akklimatisieren, die tauchen dann wieder aus der Nirwana-Wolke auf. Hier verschwindet alles sehr leicht im Nirwana; man muss aufpassen. Sich konzentrieren. Es ist alles eine Sache der Konzentration; man muss sich buchstäblich sammeln."

Er versuchte, uns das begreiflich zu machen, aber seltsamerweise verstand ich ihn sofort. Es war wie der Alltag, das Grau – es wollte einen unentwegt in Beschlag nehmen; man musste höllisch aufpassen, dass man sich selbst bewahrte. Sich in Acht nehmen; scheinbar konnte ich das ganz gut; das schien das Talent zu sein, nach dem er aus war. Sich regenerieren können, sich nicht verloren fühlen, auch wenn man schon längst verloren gegangen ist. Sich selbst ein Kompass sein. Ich schwelgte in solchen Lobeshymnen auf mich, dass ich nicht mitbekam, wie Höllenhund Kerberos uns beschnüffelte.

"Bist Du ein ganz Braver?" Er verneinte.

"Das wirkt ja eher wie ein Gefangenen-Ausbruch. Das ist die Hölle, richtig? Das B. vor dem Engel hätte mich stutzig machen müssen."

"Mein eigentlicher Name ist Luzifer – und ich benötige in der Tat Deine Hilfe bei so etwas Heiklem wie der Rückführung einiger Gesetzloser ins Diesseits. Ein herrlicher Ort. Viel zu wenig gewürdigt von den derzeitigen Bewohnern. Sie verscherzen es sich scheinbar mit Absicht mit dem Himmel und den dortigen Autoritäten. Kann ich ein Lied von singen."

Er fing tatsächlich an zu singen, eine schaurig-schöne Ballade über seinen Werdegang. Ich klatschte höflich Applaus. Er gab mir einen Zauberstab. "Du hast Talent für so etwas. Nutze ihn klug; mach jede Menge Dummheiten damit. Das soll Dein Lohn sein, wenn Du ein gutes Wort für uns einlegst beim Himmels-Amt."

"Ich?! Da frag mal lieber einen Priester. Ich bin kein Samariter ..." "Jaja, es geht um diese Dokumente. Da muss ein Stempel drauf. – Geht aber auch per Trickbetrug." "Aha, das wäre schon eher mein Ding. Um welche Behörde handelt es sich?" "Die bearbeiten die unklaren Fälle. Im Grunde fällt fast die gesamte Menschheit unter diese Kategorie. Hier ist es völlig überfüllt. Ich muss ein paar von denen wieder loswerden." "Aber geht das normalerweise nicht in einer bestimmten Richtung: vom Diesseits ins Jenseits? Gibt es dafür überhaupt ein Gleis?" "Bin ich Lokführer, oder was? Ein simpler Trickbetrug – mehr ist es nicht, was ich von Dir erwarte." "Es geht also nicht um Ehrlichkeit der Gesinnung?" "Hohles Geschwätz. Es geht immer um Betrug, Übervorteilung; wer sichert seiner Mannschaft die besten Plätze, das beste Kontingent."

Meine Sekretärin meinte, dass ihr schwummrig sei. So halb befand sie sich im sichtbaren Bereich. "Na, das ist doch mal was", lobte ich sie. "Schön, dass Du Dich auch wieder blicken lässt", kommentierte sie meine Bemühungen, mich aus dem Nirwana zu ziehen. "Als söge ein bärenstarker Sumpf an einem", versuchte ich mein Erlebnis in Worte zu packen. "Ich finde, das trifft es nicht so ganz." "Bitte jetzt keine Kritik, ich bin da sehr empfindlich. Uns liegt ein Angebot vor, die Himmelsbehörde zu bescheißen. Dafür gibt es dann diesen Zauberstab. Was meint meine moralische Instanz dazu?" "Meinst Du mich?" "Ja, denn mein Gewissen befindet sich schon seit Jahrzehnten im Ruhestand. Du bist doch meine Sekretärin; Dir vertraue ich bei solchen Angelegenheiten. Was meinst Du?" "Lass uns mal die Exemplare sehen, um die es hier geht; wen sollen wir befreien? Was haben die auf dem Kerbholz? Ist das vertretbar?" "Bring aber nicht zu viel Ethik ins Spiel. Macht irgendwie unsexy. Als verkommenes Luder warst Du mir lieber."

"Da hab ich mir ja die Richtigen geangelt", meinte Luzifer und strich sich über seinen Bart. Wo hatte er den jetzt her? "Ich kann mein Aussehen beliebig den Umständen anpassen. Auch für die Seele sind gewisse Chamäleon-Eigenschaften von Vorteil. Verstellungskünste. Nur vor dem Obersten Richter, da will das alles nicht so recht gelingen, da heißt es Nudas Veritas. Im Diesseits kann man herrlich täuschen; warum seid Ihr so versessen auf Wahrheit? Wahrheits-Jäger. Armselige Beute – was wollt Ihr mit der Wahrheit anfangen?"

Er verwandelte sich schon wieder; er nahm die Gestalt eines muskelbepackten Gladiators an. "Gefällt mir", meinte meine Sekretärin anerkennend. "Ich will auch so anerkennende Blicke." Ich tippte mehrmals mit dem Zauberstab auf meinen Körper – aber ich blieb der, der ich war.

Luzifer ließ die Höllentruppe paradieren. "Das sind die Burschen; allesamt marschbereit fürs Diesseits – wenn die Formalitäten erledigt sind." Wieder wedelte er mit den Dokumenten vor mir. Es kam mir eher wie ein Test vor. Wäre ich bereit, meine Ideale zu verraten? Aber ich hatte keine Ideale. Schon vor Jahren abgeschafft. Hatten sich als zu unbequem herausgestellt. Meine Moral hielt es mit 'Learning by Doing' – Moralapostel bekamen wenig Likes, kaum Follower.

"Kann ich mich noch ein bisschen umschauen? Ein Besichtigungstermin in der Hölle – das macht sich gut in meinem Lebenslauf." "Man kann bei uns sogar an der Höllen-Uni studieren", sagte er nicht ohne Stolz. "Wir bieten alle möglichen Fächer an: Quälkunde, olfaktorische Gräuel – darin habe ich übrigens meinen Doktor." "Gratuliere." Er ließ einen fahren. "Überbiete das." "Eine Kleinigkeit. Aber wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. – Wo ist Wolke 7? Da befindet sich die Himmels-Behörde." "Man hat diese ganzen Stockwerke in sich drin. Drück einen Knopf: Stante pede gleitet Dein Seelen-Fahrstuhl in die richtige Etage." "Gut zu wissen."