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Serg Kos

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Beschreibung

Lisa Brandt, eine Krankenschwester mit lückenhafter Vergangenheit, nimmt eine Stelle in der psychiatrischen Klinik Haus Stillenfels in den Alpen an. Der Ort ist isoliert, das Personal undurchschaubar, die Patienten sprechen in Rätseln. Schon bald merkt Lisa, dass etwas nicht stimmt: Jeder hier scheint sie zu kennen – und manche nennen sie bei einem Namen, der zu viele Erinnerungen weckt. Nachts hört sie Geräusche, die nicht in den Flur gehören – ein rhythmisches Klopfen, das wie ein Code klingt. Ein Patient behauptet, sie habe einst das Haus in Brand gesetzt. In der Personalakte findet Lisa ein Foto von sich, das fünf Jahre alt ist – aus einer Zeit, an die sie sich nicht erinnern kann. Während sie tiefer gräbt, entdeckt sie eine verschlossene Akte mit der Bezeichnung B-12 und ein Video, das sie zeigt – nicht als Pflegerin, sondern als Versuchsperson in einem psychologischen Experiment. „Projekt LISA“, wie sie erfährt, war der Versuch, Schuld und Erinnerung zu löschen, um aus Traumata „neue Menschen“ zu formen. Doch die Probandin ist durchgedreht, das Labor brannte – und jemand hat überlebt. Lisa erkennt, dass sie nicht neu im Haus ist, sondern zurückgeholt wurde, um das Experiment fortzusetzen. Der Chefarzt Dr. Falk spricht von „Zyklen“, Schwester Miriam von „Heilung durch Wiederholung“. Zwischen Realität und Erinnerung verliert Lisa den Boden unter den Füßen. Als erneut ein Feuer ausbricht, flieht sie – nur um sich draußen im Schnee wiederzufinden, vor einem unversehrten Haus, das nie gebrannt hat. Dr. Falk wartet auf sie, ruhig, mit einem Schlüsselbund in der Hand. „Wenn Sie wissen wollen, wer Sie sind,“ sagt er, „öffnen Sie die letzte Tür.“ Im Archiv West findet Lisa den Ursprung des Experiments: Dutzende Aufzeichnungen zeigen, wie sie selbst – oder frühere Versionen von ihr – denselben Weg immer wieder gegangen sind. Das Haus ist eine Maschine, die Erinnerung rekonstruiert und löscht. Sie begreift, dass sie selbst der Zyklus ist – Versuchsperson und Betreuerin zugleich. Am Ende steht sie wieder im Empfang. „Willkommen, Schwester Brandt,“ sagt Miriam. „Sie sind spät.“ Draußen fällt Schnee. Das Klopfen erklingt wieder. Zwei Schläge. Pause. Zwei Schläge. Und der Zyklus beginnt von vorn.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kapitel 1 – Die Fahrt in die Berge

Kapitel 1 – Die Fahrt in die Berge

Der Bus kämpft sich wie ein dunkler Käfer über die weiße Haut der Straße. Schneeflocken schlagen gegen die Scheiben, bleiben einen Moment haften, lösen sich wieder und tanzen zurück in den Wind. Lisa hält die Finger um den Haltegriff am Sitz vor ihr geschlossen, als müsste sie etwas festhalten, das zu rutschen droht. Ihr Koffer liegt in der Gepäckablage, zu leicht für einen Neuanfang, zu schwer für eine Flucht.

Die Fahrgäste sind schweigsam. Ein alter Mann mit Filzhut, dessen Atem nach Pfeife riechen muss, auch wenn er nicht raucht; eine junge Mutter, die ihrem Kind leise Geschichten ins Ohr flüstert; zwei Arbeiter in Neonjacken, die halb schlafen. Und Lisa. Krankenschwester, sagt ihr Ausweis. Haus Stillenfels, sagt der Brief, den sie immer wieder durch den Stoff ihrer Manteltasche spürt, als trüge sie einen Talisman gegen Zweifel.

Der Fahrer schaltet einen Gang herunter. Der Motor brummt tiefer, die Kurve zieht den Bus nach innen, und jenseits der Leitplanke öffnet sich das Tal – ein graues Loch aus Nebel, dessen Ränder sich im Schneefall verlieren. Lisa zwingt sich, nicht hinzuschauen, und starrt stattdessen auf das Schild, das am Straßenrand auftaucht und wieder verschwindet: Höhenlage 1610 m. Sie sagt sich, dass Zahlen beruhigen. Sie tun es nicht.

Das Handy hat seit einer Stunde kein Netz. Die letzte Nachricht – Wir freuen uns auf Ihre Mitarbeit, Schwester Brandt. Ankunft zwischen 17:00 und 19:00 Uhr bei Hauptpforte – leuchtet stur im Display, wenn sie es einschaltet. Darunter das Foto: eine Front aus dunklem Holz und milchigem Glas, die wie ein altes Hotel wirkt, gepflegt und bemüht, warm zu sein. Eine Hand hatte es signiert: Falk. Daneben ein Kürzel: C. oder G.? Lisas Blick verrutscht jedes Mal in dem Augenblick, in dem sie die Buchstaben fassen will.

Ein kurzer Schlenker, dann wieder geradeaus. Der Bus durchquert einen Tunnel – gelbes Licht, das die Gesichter der Mitfahrer flach macht, ohne Konturen, als wären sie gezeichnet. Als sie wieder herauskommen, ist es dunkler. Die Sonne zeigt nur noch eine helle Stelle im Grau, weit hinter den Gipfeln. Von den Reifen spritzt Schneematsch, der am Unterboden in knisternden Brocken gefriert.

„Stillenfels!“ ruft der Fahrer plötzlich, als hätte er vergessen, dass er sprechen kann. Der alte Mann schreckt auf. Die junge Mutter drückt ihr Kind fester an sich. Lisa steht auf, obwohl der Bus noch rollt, und greift nach dem Koffer; ihre Hand ist zu früh da, der Bus bremst, der Griff rutscht ihr aus den Fingern. Sie lächelt, obwohl niemand sie ansieht, und nimmt den zweiten Anlauf. Der Koffer fühlt sich schwerer an, jetzt, da er wieder ihr gehört.

Die Haltestelle ist kein Ort, eher ein Konzept: ein Schild in den Schnee gerammt, ein Blechkasten für Fahrpläne, in dem sich Feuchtigkeit gesammelt hat. Daneben, ein Pfad, den die Räder eines Fahrzeugs in den Weißton geschnitten haben, der zum Hang hinauf führt. Keine Häuser, keine Lichter. Nur der Pfad, der zwischen dunklen Fichten verschwindet.

„Sie müssen da hoch“, sagt der Fahrer, als hätte er ihre Gedanken gehört. Er hat eine Stimme, die man nicht widerspricht, obwohl sie so müde klingt wie das Wetter. „Halbe Stunde zu Fuß, wenn der Schnee trocken ist. Heute…“ Er lässt den Satz stehen, als könne man die fehlenden Worte aus dem Nebel ziehen. „Sie sind spät.“

„Ich hatte… Verzögerungen.“ Lisas Stimme ist leiser als beabsichtigt. Sie nickt, dankt, obwohl er bereits die Tür schließt. Der Bus fährt an, hinterlässt einen Husten schwarzer Abgase im Weiß. Sein roter Rücken verschwindet in der Kurve. Danach ist Stille. Eine Stille, die nicht leer ist, sondern mit einem leisen, körnigen Rascheln von Schnee gefüllt.

Sie zieht den Mantel enger, setzt die Mütze tiefer, nimmt den Griff des Koffers, der gleich den Widerstand des Schnees spürt und protestierend quietscht. Die ersten Schritte sind unförmig. Der Pfad steigt an. Fichten stehen dicht beieinander wie Männer in zu großen Mänteln, die sich verschworen haben. Ein Vogel fliegt auf, geschwärzter Schatten, verschwindet im Weiß, bevor ihre Augen ihm folgen können.

Lisa zählt Schritte. Hundert bis zur nächsten Biegung. Fünfzig mit ruhigem Atem, fünfzig mit einem Ziehen in den Seiten. Der Koffer kippt einmal, fällt ins Weiche, sie zerrt ihn heraus. Das Rad hinterlässt eine Furche, die der Schnee langsam wieder füllt, als wolle der Berg jede Spur verwischen. Nach der dritten Biegung tauchen die Mauern einer Stützmauer auf: Stein, alt, von Eis gebissen, mit Moosfahnen an den Fugen. Dahinter: ein Tor. Kein Schmuck, nur Stahl, den der Frost grau gemacht hat. Darüber ein Schild, in großen, schlichten Buchstaben: HAUS STILLENFELS.

Sie bleibt stehen, atmet, schmeckt Metall. Für einen Moment glaubt sie, eine Bewegung hinter dem Tor zu sehen – ein Schatten, der nicht zum Wind gehört. Als sie blinzelt, ist da nur das Gitter, das sich wie Notenlinien in den Himmel schreibt. An der Seite des Tores ein kleiner Kasten, Telefonhörer, Rufknopf. Sie hebt den Hörer. Kälte springt in ihre Hand. Nichts. Kein Ton. Dann, nach einer Sekunde, ein Knistern, als würde jemand Papier in ein Mikrofon kneten.

„Ja?“ Die Stimme ist tief, aber freundlich geölt. Ein Mann, der sein Lächeln am Telefon trägt.

„Lisa Brandt“, sagt sie. „Schwester. Ich… ich soll heute beginnen.“

Eine kurze Pause. Das Knistern setzt aus. „Sie sind spät“, sagt die Stimme, zum zweiten Mal an diesem Abend, als hätte der Berg eine Uhr und Lisa niemals auf sie gehört. „Der Sturm hat die Leitung zerschossen. Wir schicken jemand runter. Bleiben Sie am Tor. Und…“ Die Stimme macht einen kleinen Haken, ein Geräusch, das an das Absetzen einer Feder erinnert. „Fassen Sie das Gitter nicht mit bloßen Händen an. Die Kälte zieht bis auf den Knochen.“

„Natürlich“, sagt Lisa und hält den Hörer noch einen Moment, obwohl die Leitung bereits tot ist. Das Knistern ist weg. Nur noch das eigene Blut, das im Ohr pulst.

Der Pfad unterhalb des Tores ist zu einem Hof gerodet. Schneewülste stehen wie erstarrte Wellen. Ein kleiner Wachhäuschen-Kubus kauert am Rand, Fenster blind vor Reif. Drinnen ein Stuhl, auf dem niemand sitzt. Ein Thermosbecher auf dem Boden, auf dem ein Name aus Filzstift hängt – die letzte Buchstabe ausgefranst. Mi… oder Ni…? Lisa beugt sich näher. Ihr Atem malt Wolken an die Scheibe, löscht sie wieder.

Eine Bewegung. Weit unten, auf dem Pfad: Licht, das durch den Schnee saugt und ihn in schiefen Winkel in die Nacht wirft. Ein Fahrzeug kämpft sich herauf, Scheinwerfer zuckend, die Karosserie in einem Weißgrau, das an eine zu oft gewaschene Uniform erinnert. Als es vor dem Tor stoppt, klappen die Scheinwerfer ab, und die Dunkelheit kehrt zurück, dichter als zuvor. Die Fahrertür öffnet sich; ein Mann steigt aus, mittleren Alters, glatt rasierte Wangen, die unter der Kälte sofort rosa werden. Seine Bewegungen sind effizient und ruhig, als hätten sie eine eigene Heizung.

„Guten Abend“, sagt er. Kein Lächeln. Nur eine Sorgfalt in den Worten, die fast freundlich wirkt. „Ich bin Dr. Falk.“

Er gibt ihr die Hand, doch ehe ihre Finger zueinander finden können, nimmt er seine wieder zurück, als hätte er sich besonnen. „Entschuldigen Sie“, sagt er und zeigt auf den Handschuh an seiner rechten Hand. Schwarz, glatt, ohne Naht. „Metall. Friert an. Man lernt.“

„Lisa Brandt“, sagt sie wieder. Er nickt, als hätte sie das nur für sich gesagt.

Er zieht einen Schlüsselring aus der Tasche. Die Schlüssel sind alt und schwer. Er wählt einen, der nicht passt, dann einen anderen, der in das Schloss taucht und das Tor mit einem körnigen Geräusch öffnet. „Kommen Sie“, sagt er, nimmt ihr den Koffer aus der Hand. Er trägt ihn, als wäre er leichter, als er ist.

Der Innenhof ist größer, als er von außen wirkte. Lampen werfen Kreise auf den Schnee, zwischen denen dunkle Flächen liegen, als wären es Löcher, die man vermeiden sollte. Das Gebäude hebt sich dahinter ab: drei Flügel, die einen U bilden, Holz in großen Paneelen, deren Maserung im Licht wie Wasser aussieht, das im Frost erstarrt ist. Hinter manchen Fenstern leuchtet warmes Licht. Hinter anderen nur Dunkel.

---ENDE DER LESEPROBE---