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Willkommen in Kronwald, einer verschneiten Kleinstadt, in der nichts nach Plan läuft – und genau darin liegt ihr Zauber. Bäckerin Hannah Bremer hat eigentlich alles im Griff: Rezepte, Kundschaft, den alten Ofen ihrer Oma und sogar den alljährlichen Weihnachtsstress. Doch als ein Stromausfall die Stadt mitten in der Adventszeit lahmlegt, steht plötzlich mehr auf dem Spiel als die Lieferung von Zimtsternen. Während Bürgermeister Hartmut Rechlin versucht, das Chaos mit Verordnungen zu bekämpfen, improvisieren die Kronwälder: Kerzen statt Lichterketten, Musik statt Strom, Zusammenhalt statt Routine. Und mittendrin steht Hannah – zwischen Teig und Turbulenz, zwischen Pflichtgefühl und einem Musiker, der das Herz auf den Bogen trägt. Leo Falk, Geiger mit Charme und verschlepptem Lebensplan, strandet zufällig in Kronwald, als der Sturm losbricht. Sein Humor ist so schräg wie der Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz – und doch bringt er Wärme in Hannahs geordnetes Leben. Während sich die Stadt zu einer Notgemeinschaft im Kerzenlicht verwandelt, entstehen Freundschaften, Lieder und ein Gefühl, das sich nicht reglementieren lässt. Dann tauchen geheimnisvolle Holzsterne auf – kleine Geschenke eines Unbekannten, signiert mit einem einzigen Buchstaben: M. Wer steckt dahinter? Ein heimlicher Verehrer? Ein stiller Beobachter? Oder einfach jemand, der Kronwald daran erinnern will, worum es wirklich geht? Zwischen Glühwein-Physik, Triangel-Soli und der großen Kunst des Nicht-Aufgebens wird der Heiligabend zu einem Fest, das niemand je geplant – und genau deshalb nie vergessen wird. Und irgendwo zwischen Mehlstaub und Musik entdeckt Hannah, dass Liebe manchmal einfach nur Mut mit Zimt ist.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Der erste Schnee fiel in Kronwald nie leise. Er kam nicht in zarten Flocken, die man in den Händen fangen konnte, sondern in wuchtigen Schwärmen, die wie verspätete Federn eines geplatzten Kissens durch die Straßen tanzten. Der Wind spielte Dirigent, die Dächer verneigten sich, und selbst die alten Fachwerkhäuser sahen für einen Moment aus, als hätten sie die Bühne betreten.
Hannah Bremer stand hinter der Theke ihrer Bäckerei „Krume & Karamell“ und versuchte, gleichzeitig Teig zu kneten, Kundschaft zu bedienen und ein Radio zu ignorieren, das seit sieben Uhr morgens unaufhörlich „Last Christmas“ sang. Auf dem Fensterbrett lagen Zimtsterne wie kleine Sterne aus einer anderen Galaxie, und der Duft von Vanille und Orange schwebte durch den Raum, warm wie eine Decke.
„Oma!“, rief Hannah in die Backstube hinein, „kannst du bitte dem Herrn mit der doppelten Sahne sagen, dass doppelte Sahne auf einer Buttercremetorte physikalisch nicht vorgesehen ist?“
Aus dem Hinterzimmer ertönte die sonore Stimme ihrer Großmutter Lilo Bremer, die sich in den letzten Jahren erfolgreich zur inoffiziellen Bürgermeisterin der Stadt erklärt hatte. „Sag ihm, er soll’s mit Mut versuchen. Weihnachten ist für Experimente da!“
Hannah verdrehte die Augen, aber ein Lächeln zog sich trotzdem über ihr Gesicht. Sie wischte sich Mehl von der Stirn, schob eine Ladung Vanillekipferl in den Ofen und öffnete das Fenster einen Spalt. Draußen lag Kronwald, die kleine Stadt am Rand des Hohenforsts, verschneit, geschmückt, lebendig. Die Lichterkette über dem Marktplatz blinkte unentschlossen, als wüsste sie nicht, ob sie warmweiß oder festlich bunt sein wollte.
Dann klingelte das Telefon.
„Bremer, Krume & Karamell, guten Morgen!“
Eine Stimme polterte los, bevor sie überhaupt richtig „Hallo“ sagen konnte. „Frau Bremer! Hier Rechlin! Wir haben eine visuelle Krise!“
Hannah seufzte. „Herr Bürgermeister, es ist zehn Uhr. Was kann visuell so früh schon schieflaufen?“
„Der Tannenbaum! Der stolze Mittelpunkt unseres Weihnachtsmarktes! Er steht… also, er neigt sich.“
„Wie schlimm?“
„Wie jemand, der gleich fällt, aber so tut, als wär’s Yoga.“
Hannah biss sich auf die Lippe, um nicht zu lachen. „Und was soll ich tun?“
„Ihn kaschieren! Mit etwas Dekorativem, etwas… Gebäckartigem! Sie sind doch kreativ!“
„Sie wollen, dass ich den Baum mit Plätzchen rette?“
„Mit Geschmack!“, korrigierte Rechlin. „Sie haben dreißig Minuten. Die Presse kommt.“
Bevor sie protestieren konnte, legte er auf.
Hannah sah auf ihre Uhr, dann auf den Backofen, dann auf die Welt. „Na wunderbar. Der Baum kippt, die Kipferl sind im Ofen, und Oma experimentiert mit der Gravitation.“
Die Türglocke bimmelte. Ein Schwall kalter Luft und Schneeflocken fiel herein – zusammen mit einem Mann in einem langen, dunklen Mantel, der einen schwarzen Geigenkoffer trug. Sein Haar war vom Schnee leicht durchnässt, seine Wangen gerötet. Er sah sich kurz um, so, als müsse er sich vergewissern, dass er nicht in einem Traum gelandet war.
„Einen Moment!“, rief Hannah und griff nach einer Tasse, in die sie heißen Kakao goss. „Ich bin gleich—“
In diesem Moment blieb ihr Fuß an einem herabgefallenen Zuckergussbeutel hängen. Die Tasse kippte, der Kakao flog in einem Bogen durch den Raum – und landete zielsicher auf dem Geigenkoffer.
„Oh nein!“, rief sie. „Oh nein oh nein oh nein! Ich – ich putze – ich entschuldige – oh Gott!“
Der Mann blieb erstaunlich gelassen. „Kein Grund zur Panik. Die Geige hat schon Schlimmeres erlebt. Ich hab sie mal in der Straßenbahn vergessen.“
„Ist sie … okay?“
„Noch atmet sie.“ Er öffnete vorsichtig den Koffer, sah hinein, schloss wieder. „Sie riecht jetzt nach Zimt. Das ist immerhin ein Fortschritt.“
Hannah stand da, Servietten in der Hand, und fühlte sich wie ein wandelndes Missgeschick. „Ich backe Ihnen was zur Entschuldigung.“
„Das ist das Netteste, was mir seit Wochen passiert ist.“ Er lächelte. Es war kein großes, aufgesetztes Lächeln, sondern eines, das von innen kam, ruhig und etwas schüchtern. „Ich bin Leo.“
„Hannah. Freut mich. Und … es tut mir wirklich leid.“
„Ich nehme einen Zimtstern. Nur einen. Mehr wäre Überkompensation.“
„Zwei. Ich bestehe darauf. Ich bin nämlich furchtbar darin, Menschen mit Kakao zu übergießen, und brauche ein gutes Ende für diese Geschichte.“
Er nahm den Keks, probierte, nickte langsam. „Sie backen Entschuldigungen, die funktionieren.“
Da piepste der Ofen. Hannah fuhr herum, rettete gerade noch die Kipferl. Als sie sich wieder umdrehte, saß Leo an einem der kleinen Tische, die Hände um eine Tasse Kaffee gelegt, den Blick auf die vorbeiziehenden Schneeflocken gerichtet.
Draußen fuhr ein Lkw vorbei, beladen mit Girlanden und Holzsternen, der Schnee wirbelte, Kinder lachten. Und für einen winzigen Moment war alles, was sie hörte, das leise Klirren der Kaffeelöffel und das Ticken der Uhr.
„Was führt Sie nach Kronwald?“, fragte sie schließlich.
„Ein geplatzter Zugplan“, sagte er. „Ich wollte eigentlich nach Leipzig. Der Zug blieb stecken, der Bus kam nicht, der Himmel hatte schlechte Laune – also bin ich ausgestiegen. Und irgendwie … hier.“
„Klingt, als hätte der Himmel entschieden, Sie brauchen Gebäck.“
„Oder als hätte er Humor.“
„Das hat er. Kronwald ist der Beweis.“
In diesem Moment flog die Tür wieder auf – Bürgermeister Rechlin stürmte herein, begleitet von einem Schneeschwall und zwei frierenden Männern mit Leitern. „Frau Bremer! Zeit! Der Baum droht … dramatisch zu werden!“
„Ich komm ja schon!“
Sie schnappte sich einen Korb mit Krapfen, ein paar Meter Schleifenband und ihre dicke Jacke. Leo erhob sich. „Darf ich helfen? Ich bin zufällig groß und kann Dinge halten.“
„Dann sind Sie jetzt offizieller Leiterhalter. Die Stadt bedankt sich.“
„Gibt’s dafür Urkunden?“
„Vielleicht Zimtsterne.“
„Akzeptiert.“
Der Rathausplatz war ein Chaos aus Lichtern, Stimmen und halb aufgestellten Buden. Der Baum – Kronwalds ganzer Stolz – stand in einem leicht schrägen Winkel und sah dabei aus, als wollte er höflich grüßen.
„Er hat Charakter“, sagte Leo.
„Er hat Rückgratprobleme“, entgegnete Hannah. „Aber das kriegen wir hin.“
Sie kletterte auf die Leiter, während Leo sie unten festhielt. Der Wind zerrte an ihrem Schal, Schnee sammelte sich in den Haaren. Mit jeder Bewegung duftete es nach Zucker und Nelken.
„Ein Stück weiter nach links!“, rief Rechlin.
„Mein links oder Ihr links?“
„Das öffentliche links!“
„Ah ja. Das hilft.“
Leo grinste. „Wenn der Baum fällt, wird das wenigstens spektakulär.“
„Dann hoffe ich, Sie spielen dabei die passende Musik!“
Er nickte. „Trauermarsch oder Walzer?“
„Weihnachtsmedley.“
Sie befestigte die Krapfen, hängte Pfefferkuchensterne an Zweige, die schon leicht ächzten. Dann kam eine Windböe – heftig, unerwartet. Die Leiter wackelte. Hannah verlor das Gleichgewicht.
Leo griff zu, fest, sicher, hielt sie an der Taille. Für einen Atemzug stand die Zeit still.
„Alles gut?“, flüsterte er.
„Ja. Nur die Statik war beleidigt.“
„Ich halte Sie fest, bis Sie sich wieder an die Schwerkraft gewöhnen.“
„Das könnte dauern.“
„Ich hab Zeit.“
Sie lachten gleichzeitig, kurz, leise, echt.
Dann brach Applaus aus – der Baum hatte sich tatsächlich ein Stück aufgerichtet, wie von unsichtbarer Hand gestützt. „Er lebt!“, rief Finn, der kleine Chorsolist, und schwenkte begeistert eine Zuckerstange.
„Er steht!“, jubelte der Bürgermeister. „Ein Wunder! Oder gute Bäckerei!“
„Beides“, sagte Hannah und stieg langsam von der Leiter.
Als der Chor „O du fröhliche“ anstimmte und Schneeflocken in den Lichterketten glitzerten, reichte sie Leo eine Thermotasse. „Auf den erfolgreichsten Baum der Stadtgeschichte.“
Er stieß mit ihr an. „Auf Kakao … und zweite Chancen.“
„Und auf Menschen, die Leitern halten.“
Er lächelte. „Das ist das Mindeste.“
Und während der Schnee leise auf ihre Schultern fiel, dachte Hannah, dass dieser Winter vielleicht mehr versprach, als nur Frost und Geschäft. Vielleicht – ganz vielleicht – auch Musik.
Kapitel 2 – Der Baum, der zu viel wollte
Am Morgen danach roch Kronwald nach zwei Dingen: nach kalter Luft, die einem die Wangen zwickte, und nach Kaffee, der tröstlich versprach, alle Probleme zu lösen, bevor sie überhaupt aus dem Bett krochen. In der Bäckerei Krume & Karamell war es warm wie in einer Erinnerung. Die Fensterscheiben schwitzten, weil drinnen schon wieder die Backöfen atmeten, und auf dem Tresen wölbten sich Plätzchenberge, die aussahen, als hätte jemand versucht, die Alpen zu modellieren – nur mit mehr Zimt.
Hannah stand am Kühlregal und klebte Etiketten. Ein neues Schild trug den stolzen Namen: „Stütz-Keks“. Darunter in kleiner Schrift: „Nicht für tragende Konstruktionen geeignet, nur für die Seele.“ Sie kicherte, als sie es gerade richtete. Oma Lilo, eine Schürze um, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, verteilte Puderzucker so großzügig, als würde sie einen Segen sprechen.
„Gestern war hübsch mit dem Musiker“, sagte Lilo beiläufig, ohne von den Vanillekipferln aufzusehen. „Die Stadt braucht mehr Kerle, die bereit sind, Leitern zu halten. Metaphorisch, mein Kind, metaphorisch.“
„Oma, ich kenne dich zu gut. Du meinst es nicht metaphorisch.“
„Manchmal vermischen sich bei mir Metaphern und Handwerk. Ich bin eine Frau des praktischen Bildes.“ Sie zwinkerte. „Wie schaut’s ums Herz?“
Hannah schnitt das nächste Etikett gerade. „Wie immer: ordentlich gelagert, nicht überverkauft.“
„Geschmacksprobe gefällig?“
„Oma!“
Die Türglocke bimmelte, und Jonna Westphal, Postzustellerin, Infozentrale, wandelndes Gerücht mit Schal, stampfte die Kälte aus den Stiefeln. „Breaking News!“ rief sie, als wäre die Bäckerei ein Newsroom. „Der Bürgermeister hat den Wettbewerb Stern der Stadt offiziell ausgerufen! Heute Abend: Runde eins – Zimtstern. Morgen: Runde zwei – Warmgetränk. Übermorgen: Gesamtkonzept, also Dekoration, Atmosphäre und irgendwas mit ‚Narrativ‘, weil seine Nichte irgendwas mit Marketing studiert.“
„Ich habe keine Zeit für Wettbewerbe“, sagte Hannah, ohne große Hoffnung, damit durchzukommen.
„Ich hab dich schon angemeldet“, grinste Jonna. „Wenn du gewinnst, spendierst du mir bitte lebenslang Postbotenrabatt.“
„Und wenn ich verliere?“
„Dann auch. Ich bin schließlich Stammkundin.“
„Das ist Erpressung mit Zuckerschicht“, brummte Hannah – und lächelte doch. In dieser Stadt war viel möglich, aber eine Ruhigstellung von Jonna stand nicht auf der Liste.
Die Glocke bimmelte ein zweites Mal, und Leo trat ein. Der Schnee auf seinen Locken sah aus, als hätte sich der Winter in sein Haar verliebt und würde nur ungern wieder gehen. Er hielt eine Mappe unter dem Arm und tippte vorsichtig mit den Fingerspitzen auf den Tresen, als wäre er unsicher, wie laut man in einer Bäckerei sein durfte.
„Guten Morgen“, sagte er.
„Guten Morgen“, sagte Hannah und versuchte, lässig zu klingen. Es gelang nur bedingt.
„Ich wollte nachfragen, ob der Baum überlebt hat.“
„Er tut so. Wir auch.“
„Dann kann ich heute etwas … musikalisches Stabilisierungsmaterial beisteuern.“
„Ich nehme musikalisches Stabilisierungsmaterial, wo ich’s kriegen kann.“ Hannah deutete zur Kasse. „Kaffee? Auf mich. Nicht über der Geige, Ehrenwort.“
„Ich vertraue Ihnen. Mehr als gestern, was erstaunlich ist.“
Oma Lilo stellte ihm die Tasse hin, als wäre sie der Frieden zwischen zwei Reichen. „Und ein Stütz-Keks on the house.“
„Was ist ein Stütz-Keks?“
„Ein Keks, der behauptet, mehr zu können, als er kann“, erklärte Hannah. „Wie Wahlversprechen, nur süß.“
„Ich esse ihn später, direkt vor einer Chorprobe. Vielleicht stützt er die Töne.“
„Oder den Mut“, sagte Lilo, „den stützt er zuverlässig.“
