Simon Dale und das rosarote Nilpferd - Dieter Moitzi - E-Book

Simon Dale und das rosarote Nilpferd E-Book

Dieter Moitzi

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Beschreibung

Der junge Brite Simon Dale hat gerade seinen Master in Politikwissenschaften abgeschlossen und ist auf der Suche nach einem Job in die Heimatstadt seiner Mutter, Paris, gezogen. Überraschenderweise wird er von einer internationalen Agentur angeheuert, von der er noch nie zuvor gehört hat – dem UNBUA (United Nations Bureau of Uncommon Affairs) oder auf Deutsch dem Büro der Vereinten Nationen für ungewöhnliche Angelegenheiten. Sein neuer Chef, Untergeneralsekretär Rodelio de Montferrat, entpuppt sich nicht nur als umwerfend gutaussehender Mann; er scheint auch recht unbesonnen zu sein und mehr als nur ein bisschen seltsam. Kaum ist Simons Vorstellungsgespräch beendet, sitzen die beiden auch schon in einem Flugzeug und sind nach Luxor unterwegs. Jemand, so scheint es, hat den ägyptischen Präsidenten attackiert, und das UNBUA soll Licht in die Angelegenheit bringen. Simon hat keine Ahnung, was ihn erwartet. Selbst in seinen wildesten Träumen hätte er es nicht erraten können. „Seltsam“ ist ein Hilfsausdruck für die Kreaturen, die ihm unterkommen, die Abenteuer, die er erlebt, und die riskanten Situationen, in die er stolpert. Vielleicht hätte ihn das Wort „ungewöhnlich“ von Anfang an stutzig machen sollen…

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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„Außergewöhnliche Abenteuer“, Band 1

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Buchumschlag & Layout Dieter Moitzi

© Dieter Moitzi 2024

Fotos: © Adobe Stock

Independently published

Falls ihr mit dem Autor in Verbindung treten wollt, schreibt bitte eine E-Mail an

[email protected]

© All Rights Reserved Dieter Moitzi 2024

Dies ist ein Roman. Namen, Personen, Unternehmen, Orte, Ereignisse und Erlebnisse entstammen entweder der Fantasie des Autors oder werden auf fiktive Weise verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen oder Ereignissen, die sich tatsächlich zugetragen haben, sind reiner Zufall.

Dieses Buch darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors nicht verwendet oder reproduziert werden, auch nicht auszugsweise. Kurze Zitate dürfen jedoch im Rahmen einer Buchrezension wiedergegeben werden.

Herzlich willkommen in meinem neuesten Buch, dem ersten Band von Simon Dales außergewöhnlichen Abenteuern. Sie werden in den folgenden Seiten auf zahlreiche imaginäre Personen stoßen, und ich wollte kurz auf ein paar Eigenheiten eingehen. Denn unter diesen Fabelwesen befinden sich solche, deren Geschlecht unbestimmt ist. Mit anderen Worten, sie sind non-binär. Sollten Sie damit Probleme haben, würde ich das äußerst schade finden, aber von der Lektüre dieses Buches dringend abraten.

Vorab eine kurze Bemerkung zu den Feen und Ghulen (ja, beide werden Ihnen in meiner Romanwelt unterkommen). Beide Begriffe, Fee und Ghul, sind in unserer schönen Sprache eindeutig gegendert, und zwar weiblich einerseits („die Fee“, anders kennen wir es nicht), männlich andererseits („der Ghul“). Unter meinen Feen und Ghulen gibt es jedoch männliche und weibliche. Und andere, die sich weder als das eine noch das andere definieren.

Deshalb beschloss ich, für die Feen das Wort „Faerie“ aus dem Englischen zu übernehmen, mit seinem kleinen „s“ im Plural. Der Faerie, die Faerie, de Faerie, das liest sich gleich viel leichter. Ich hoffe, Sie verzeihen mir diesen Anglizismus. Meine Ghule hingegen blieben männlich, und weiblichen Ghulen habe ich einfach das Wortteil „-frau“ angehängt. Der weibliche Ghul wurde so zur Ghulfrau.

Aber zurück zu den non-binären Personen. Hier stand ich als Schriftsteller vor einer großen Hürde, nicht zuletzt, weil es in diesem Bereich im deutschen Sprachraum noch keinen allgemeinen Konsens gibt, was Pronomen und andere grammatikalische Formen betrifft. Allerdings findet man Vorschläge zuhauf, und ich musste eine Entscheidung treffen.

Der Einfachheit halber habe ich das System übernommen, das vom Verein für geschlechtsneutrales Deutsch vorgeschlagen wird (nachzusehen auf https://geschlechtsneutral.net). Ich gebe zu, die Verwendung fühlte sich zuerst holprig an. Kein Wunder, für neuen Formen braucht man eben eine gewisse Adaptationsphase. Aber ich entdeckte, dass ich mich in diesem System schnell zurechtfand; ich war schon immer ein lernfreudiger Mensch und hatte also Spaß, mit den Pronomen und Endungen herumzuexperimentieren. Ich hoffe, dass es Ihnen beim Lesen genauso gehen wird, und möchte mich im Voraus entschuldigen, falls ich irgendwo einen Fehler begangen habe.

Damit diese einleitenden Bemerkungen nicht im luftleeren Raum stehen, möchte ich nur ganz kurz die wichtigsten Besonderheiten des von mir angewandten non-binären Systems auflisten.

Er/sie werden zu en (im Genitiv ense, im Dativ em, im Akkusativ en).

Der/die werden zu de (ders, derm, de).

Bei Substantiven fällt das geschlechtsspezifisch männliche End-r weg (der Schüler wird zu de Schüle).

Ein wird ein, einers, einerm, ein dekliniert.

Das geschlechtsspezifisch männliche End-r bei Adjektiven wird so abgeändert: ein guter Schüler – ein gutey Schüle (gutey, guters, guterm, gutey).

Ich kann mir vorstellen, dass sich spätestens hier einige sagen: „Wie kann man bloß die Grammatik so verschandeln?“, sich schaudernd abwenden und dieses Buch weglegen. Lernfreudigere und Neugierige, die dennoch Angst bekommen, dass sie überfordert sein könnten, darf ich beschwichtigen. So oft kommen meine non-binären Charaktere gar nicht vor. Und sie sind wirklich voll lieb, Sie werden sehen!

In diesem Sinne hoffe ich, dass Ihnen dieses neue Werk gefällt, und ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Randnotiz für den Eigenbedarf: nie wieder auf Papa hören!

Dieser Gedanke flatterte mir unwillkürlich durch den Kopf, als ich von der Rolltreppe stieg. Links und rechts ragten seelenlose Wolkenkratzer aus Glas und Beton in den Himmel, hinter mir klaffte die riesige Öffnung der Arche. Ich ließ meinen Blick über den Parvis und die Esplanade de la Défense schweifen, die eine lang gezogene Fläche bis runter zur entfernten Seine bildeten. Gebäude und Vegetation fehlten gänzlich, so dass der eisige Wind sich auf dem Platz ungestört austollen konnte. Und zwar buchstäblich.

Schaudernd verschränkte ich die Arme vor der Brust, lehnte mich nach vor und stapfte über den Parvis. Nur einhundertzwanzig Meter, aber lang genug, um mich sofort bis auf die Knochen schockzugefrieren.

Danke, Papa. Das ist deine Schuld. Nicht meine Anwesenheit hier oder das miese Wetter. Aber die Klamotten, die ich anhabe.

Ich seufzte. Eigentlich hatte ich mir nur gewünscht, dass ich von ihm ein Feedback, Zuspruch und ja, wie blöd von mir, gute Ratschläge bekomme. Deshalb hatte ich ihm gestern Abend eine Skype-Einladung geschickt. Und deshalb hatte ich ganz stolz den bordeauxfarbenen Anzug angezogen, den ich mir fürs heutige Gespräch gekauft hatte. Er war fachmännisch auf meine dürre Figur zugeschnitten und aus festem Tweed gefertigt, was perfekt für die kühlen Temperaturen gewesen wäre. Eine bräunliche Weste und ein schwarzes Hemd hatten mein Outfit vervollständigt.

Aber Papa hatte ganz anders reagiert als erwartet. Anstatt meine vernünftige Modeentscheidung zu loben, hatte er den Kopf geschüttelt. „Oh nein. Das geht gar nicht. So kannst du nicht dort auftauchen, Simon! Du siehst ja aus, als würdest du über einen Laufsteg stolzieren!“

„Ich stolziere nicht, Papa!“

„Wenn du dir das unbedingt einreden willst, meinetwegen, Sohnemann. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Fummel ganz bestimmt nicht für ein Vorstellungsgespräch geeignet ist. Wer hat dir denn weisgemacht, dass du ein schwarzes Hemd anziehen kannst?“

„Warum denn nicht?“

„Darum. Vertrau deinem alten Vater, der weiß so was.“ Er hatte sein nachdenkliches Gesicht aufgesetzt – die Lippen gestülpt, die Stirn gerunzelt, sich mit dem Finger auf die Nase getippt. „Weißt du was? Warum probierst du nicht den Anzug an, den wir für Dariens Hochzeit gekauft haben? Erinnerst du dich noch? Den dunkelblauen Sommerblazer, die schwarze Hose und das weiße Hemd? Das war ein Klasse-Outfit.“ Er hatte in die Hände geklatscht. „Genau! Schlüpf mal rein! Mach schon, trödel nicht herum!“

„Den Anzug haben wir vor fünf Jahren gekauft, Papa! Ich vermute stark, dass er mir mittlerweile zu klein ist.“

„Quatsch. Du warst doch schon mit zwölf fertig ausgewachsen.“

„Für mein Selbstwertgefühl bist du wirklich einmalig.“

„Hör auf zu jammern. Und zieh das rote Ding aus…“

„Bordeaux, Papa!“

„Hey, kannst du mich sehen? Ich verdrehe gerade die Augen.“

Mit einem niedergeschlagenen Seufzer war ich in den Anzug geschlüpft, den er vorgeschlagen hatte.

Sofort hatte er mir sein breitestes Lächeln geschenkt. „Ah! Das gefällt uns. Einfach toll! Tritt mal einen Schritt zurück, damit ich dich im Ganzen sehe. – Großartig! Passt dir immer noch wie angegossen.“

„Papa, ich sehe aus wie…“

„… der perfekte Kandidat für einen hochkarätigen Job. Jeder wird denken: ‚Der Junge hat Oxford oder Cambridge absolviert, auf jeden Fall.‘ Du siehst genauso aus, wie sich ein Arbeitgeber seinen zukünftigen Angestellten erträumt, Simon. Jung, aufgeweckt, eifrig, frisch von einer großen Uni, energiegeladen. Ganz heiß darauf, dir die ersten Sporen zu verdienen, bereit, dein gesamtes Privatleben aufzuopfern, und das für ganz wenig Geld.“

„Wenn du mir so kommst, will ich, glaube ich, gar keinen Job.“

„Red doch nicht so ein dummes Zeug daher. Es ist höchste Zeit, dass du deine Ausbildung sinnvoll nutzt.“

„Aber was, wenn…“

„Schluss mit ‚Was-wenn‘. Du bist perfekt, Simon. Und das sage ich nicht bloß, weil du mein Sohn bist. Du siehst wirklich toll aus. Deine Mutter wäre stolz auf dich.“ Mein Vater hatte sich geräuspert und dann gescherzt: „Darf ich hinzufügen, dass du richtig heiß aussiehst? Also ehrlich, wenn ich schwul wäre und wir beide nicht blutsverwandt…“

„PAPA! Das reicht!“

In dem Moment waren die Würfel bereits gefallen. Mein Vater war schon immer meine Schwachstelle gewesen. Schließlich hatte ich nur noch ihn, und er hatte nur noch mich. Und seit ich im Ausland lebte, war ich noch mehr dazu geneigt, auf ihn zu hören.

Deswegen zitterte ich gerade in meiner Kleidung, die für diesen frostigen Märzmorgen viel zu dünn war, wie ich mittlerweile feststellen durfte. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass ich eher einem Abiturienten glich als einem vierundzwanzigjährigen Uniabsolventen. Was nur ein winziger Kritikpunkt war.

Ich schob meinen kleinen Lederrucksack höher, schlang die Arme fester um meinen Oberkörper und hastete zu den Hochhäusern hinüber, um wenigstens ein bisschen Schutz vor den Windböen zu finden.

+++

Ich war eine halbe Stunde zu früh von zu Hause weg. Das erwies sich als kluger Schachzug, denn ich brauchte fünfzehn Minuten, um das Gebäude zu finden, in dem ich vor meinem – hoffentlich – zukünftigen Arbeitgeber glänzen sollte. Man könnte annehmen, dass ein vierzigstöckiger Wolkenkratzer leicht zu finden sei. Achtung, Spoiler: in einer Gegend, wo nur Wolkenkratzer stehen, nicht unbedingt.

Natürlich hatte ich in der Früh meine Marschroute ausrecherchiert. Das Problem war, dass ich mit Google Maps gar nichts anfangen konnte. Es war eigentlich lächerlich. Ich sprach fließend vier Sprachen und hatte einen Master in Politikwissenschaft. Aber irgendwie weigerte sich mein Verstand, die Funktionsweise der Google-App zu raffen.

Das erklärte, warum ich eine Weile im Kreis herumlief und langsam, aber sicher in Panik verfiel. Dieses Viertel war ein modernes Labyrinth!

Endlich fand ich das richtige Gebäude und seufzte erleichtert auf. Wuchtig und grau ragte es vor mir in den Himmel, ein Paradebeispiel architektonischer Scheußlichkeit. Das einzige Dekorationselement bestand aus riesigen schwarzen Tupfern, die wahllos-willkürlich über die Fassade verstreut waren. Das Gebäude sah aus, als hätte es die Beulenpest. Und bitte, der Name – „Gollum Tower“! Wer war auf den Einfall gekommen, ein Bürogebäude nach einem gruseligen, abstoßenden Fantasiewesen zu benennen? Offensichtlich schwurbelte es in den Köpfen der Leute, die für Großkonzerne arbeiteten, ziemlich heftig.

Ich starrte auf den Haupteingang und den Namen, der darüber in Druckbuchstaben prangte. Die forsche Frau hatte mir am Telefon eine genaue Wegbeschreibung gegeben, also wandte ich mich nach links und marschierte weiter. „Wir sind auf keiner Karte verzeichnet“, hatte sie präzisiert. „Schreiben Sie sich meine Anweisungen besser auf. Vor dem Eingang zum Gollum Tower gehen Sie nach links, bis zur Ecke. Halten Sie nach der Rue de la Licorne Nummer 1 Ausschau. Das ist eine Sackgasse, die man leicht übersehen kann.“

Als ich besagte Straßenecke erreichte, blieb ich stehen und blickte mich um.

Ähm, ja. Schön. Ich glaube, wir haben da…

Ich zückte mein Handy und las mir die pflichteifrig eingetippten Notizen noch einmal durch.

Nein. Ich hatte keine Abzweigung verpasst, keine Etappe ausgelassen.

Aber Houston, wir hatten ein klitzekleines Problem.

Die Straße blieb unauffindbar. Ich sah sie weder links noch rechts. Weder vor mir noch hinter mir.

Eigenartig. Egal, ob es sich um eine breite Allee oder eine Sackgasse handelte, ich sollte sie sehen können, oder?

Ich überprüfte noch einmal die Straßenschilder.

Keine Rue de la Licorne. Nur eine Rue François Rabelais, und ein bisschen weiter weg die Avenue de l’Arche.

Mist!

Gehen wir die Anweisungen noch einmal durch, dachte ich.

La Défense: abgehakt.

Gollum Tower: abgehakt.

Straßenecke: abgehakt.

Rue de la Licorne: leider überhaupt nicht abgehakt.

Ich starrte auf meinen Bildschirm. Nichts hatte sich dort verändert.

Bloß die Uhrzeit. Es war mittlerweile zwanzig nach zehn. Mir blieben also genau zehn Minuten, um die Straße, die Sackgasse oder was auch immer aufzuspüren, ins richtige Gebäude zu hasten und das verdammte Bewerbungsgespräch zu führen.

Kalter Schweiß brach aus, während ich versuchte, eine Lösung zu finden.

Jemanden nach dem Weg fragen? Lachhaft. Die Leute hier waren alle zu sehr damit beschäftigt, Geld für ihre Großkonzerne zu scheffeln, was bedeutete, dass ich mutterseelenallein war. Über mir ragten die Wolkenkratzer empor, deren Glasfronten die dunklen, über den tief hängenden Märzhimmel jagenden Wolken widerspiegelten.

„Rue de la Licorne, verdammt!“, murmelte ich mit einer gewissen Dringlichkeit in der Stimme.

Und da…

… ja, da entdeckte ich sie, die blöde Rue.

Sie war halb versteckt, okay. Aber sie existierte. Das heißt, mein Blick fiel plötzlich auf ein Straßenschild, wo der Name draufstand.

Dass sich die Sache so schwierig anließ, sinnierte ich, während ich mich wieder in Bewegung setzte, kam davon, dass man die Rue de la Licorne noch nicht einmal als Sackgasse bezeichnen konnte. Sie war eine Lücke. Als hätte jemand vom Erdgeschoss bis zum obersten Stockwerk ein schmales Stück aus dem Gollum Tower herausgeschnitten und ein zusätzliches Gebäude in den Spalt geklotzt.

Ein äußerst seltsames Gebäude noch dazu. Rund, rank, etwa fünf Stockwerke hoch, mit einer schwarzen, undurchsichtigen Fassade. Ich konnte weder Fenster noch Türen ausmachen. Das Bauwerk stand da wie eine sonderbare, übergroße, von glupschäugigen Außerirdischen errichtete Stele. Vielleicht handelte es sich um die Botschaft der Vulkanier?

Als ich nah genug herangekommen war, entdeckte ich auf Augenhöhe ein Schild. UNBUA. United Nations Bureau for Uncommon Affairs, stand da auf Englisch. Was zu Deutsch so viel bedeutete wie „Büro der Vereinten Nationen für außergewöhnliche Angelegenheiten“.

Hallöchen! Eine UN-Agentur! Das klang vielversprechend. Für jemanden mit meiner Ausbildung klang es sogar wie ein Traumjob. Warum hatte man das nicht in der Anzeige angegeben? Und warum hatte die forsche Frau es nicht am Telefon erwähnt?

Einen Moment lang starrte ich auf die Übersetzung unter dem englischen Schriftzug. Sie ähnelte keiner Sprache, die ich zuvor gesehen hatte. Was ungewöhnlich war – ich hatte gelernt, die meisten Schriften zu erkennen, ob vereinfachtes und traditionelles Chinesisch, Koreanisch, Japanisch, Thailändisch, die indischen Schriften, Arabisch, Hebräisch, Ge’ez, Kyrillisch, Griechisch, Armenisch, Georgisch und so weiter.

Aber das da? Die Zeichen sahen aus wie… Runen.

Ähm, Frage – war das wichtig?

Wahrscheinlich nicht.

Unter dem Schild befand sich ein Knopf mit der Aufschrift „Besucher“.

Gut. Jemand hatte sich gedacht, es wäre vielleicht praktisch, den Leuten Zutritt zum Gebäude zu gewähren. Ich konnte immer noch nicht ausfindig machen, wie oder wo, aber ich wertete das als positives Zeichen. Vielleicht würde mich ein Vulkanier hineinbeamen? Überraschen würde mich das nur mäßig.

Ich beschloss, optimistisch zu bleiben, und drückte auf den Knopf.

Ein Teil der glatten Oberfläche glitt zur Seite.

So weit, so gut.

Ich straffte meine Schultern. Auf geht’s, Simon. Jetzt heißt es nur noch, die Welt – und diesen Job – zu erobern.

+++

Ich betrat eine halbdunkle Empfangshalle, die größer wirkte als erwartet. Höher war sie auch. Das ganze Gebäude sah gar nicht so klein aus, wie man von außen annehmen konnte. Das war merkwürdig. Vielleicht stand es so nah an seinem riesigen Nachbarn, dass es vergleichsweise winzig wirkte? Oder vielleicht…

Lautlos glitt die Tür hinter mir zu.

Ich schluckte eine neue Stresswelle runter. Vorstellungsgespräche waren nicht ganz mein Ding. Die letzten Wochen hatten mir außerdem gezeigt, dass die Franzosen bei der Suche nach potenziellen Mitarbeitern eigen waren. Vor allem, wenn es um potenzielle Mitarbeiter aus dem Ausland ging. Sie waren unheimlich begabt, einem das Gefühl zu geben, total unfranzösisch zu sein. Was man in ihren Augen mit „unzulänglich“ gleichsetzen konnte.

Dass der Ort eine gewisse geheimnisvolle Atmosphäre ausstrahlte, half mir bei der Stressbewältigung auch nicht. Bei dem Baumaterial, das von draußen undurchsichtig gewirkt hatte, durfte es sich um eine Art milchiges Einwegglas handeln. Es ließ also das spärliche Tageslicht durchsickern. Beleuchtungstechnisch war’s das aber auch. Was bedeutete, dass alles in Dämmerlicht getaucht war, weswegen ich zunächst keine Details erkennen konnte. Alles fühlte sich grau an. Ich dachte sogar, meine Brille sei beschlagen, bis mir einfiel, dass ich gar keine Brille trug.

Ein seltsames Gefühl überkam mich, das ich nur schwer beschreiben konnte. Irgendwie fühlte ich mich fehl am Platz. Und die riesige Halle schien mit unheimlichen, klammen Fingern nach mir zu greifen, als wäre ich ein Kapuzineräffchen kurz vor dem Labortest.

Ich schüttelte meinen Kopf, um meine Gedanken zu ordnen, und sah mich um.

Zu meiner Linken befand sich ein Bereich mit Sesseln, Sofas und niedrigen Tischen. Direkt vor mir standen Drehkreuze, hinter denen ein düsterer Saal lag, groß genug für eine Ballveranstaltung.

Zu meiner Rechten erblickte ich einen langen, geschwungenen Empfangstresen. Er war unbemannt…

Mist!

Ich zuckte unwillkürlich zusammen.

Der Empfangstresen war nicht unbemannt. Jemand stand dahinter. Nahm ich zumindest an. Eine große, sylphenartige Person unbestimmten Geschlechts, die sich durch eine wabernde, beinahe substanzlose und irgendwie verschwommene Beschaffenheit auszeichnete. Ich führte das auf die suboptimale Lichtsituation im Gebäude zurück. Langes Haar von ungewisser Farbe flatterte um ein langes, blasses, durchscheinendes Gesicht. Die Person trug etwas Fließendes, das alles und nichts hätte sein können: vom Hosenanzug über ein Kleid, einen Sarong, einen Sari, einen Kaftan, eine Decke im Schottenmuster bis hin zum Duschvorhang.

Plötzlich hörte ich ein sanftes: ‚Puis-je vous aider, Monsieur? Kann ich Ihnen behilflich sein?‘

Da ich nicht wusste, ob ich es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hatte, verwendete ich sofort non-binäre Pronomen. Also en.

En hatte Französisch gesprochen. Und ense Stimme klang wie das Säuseln einer Frühlingsbrise, die durch die Jungtriebe eines Apfelgartens strich. Was übrigens für eine Stimme der dümmste Vergleich sein musste, der mir je in den Sinn gekommen war, und zwar mit Abstand.

Ich trat näher und räusperte mich. Obwohl en vor meinen Augen wogte und waberte, versuchte ich, mich auf die erscheinungsähnliche Person zu konzentrieren. Die personenähnliche Erscheinung. Was auch immer.

„Ähm, Bonjour. Ich bin Simon Dale. Ich habe einen Termin mit…“

‚… Untersekretär de Montferrat‘, hauchte die Person frühlingshaft. ‚Sie sind pünktlich, Monsieur Dale.‘

„Ähm…“

‚Eine Assistentin wird Sie in Kürze nach oben ins Büro des Untersekretärs bringen. Darf ich Sie in der Zwischenzeit um einen Ausweis bitten, Monsieur Dale?‘ Eine durchsichtige Hand mit dünnen Fingern erschien vor meinem Gesicht. ‚Das gehört zu unseren Sicherheitsvorkehrungen.‘

„Natürlich.“ Ich kramte in meinem Rucksack herum, fischte meinen Reisepass heraus und legte ihn auf den Tresen.

‚Vielen Dank, Monsieur Dale.‘ De Rezeptioniste nahm den Pass, schwenkte ihn vage durch die Luft und gab ihn mir zusammen mit einem Besucherausweis aus Plastik zurück. Ich hatte den Eindruck, letzterer sei aus dem Nichts aufgetaucht, was natürlich unmöglich war. Er trug meinen Namen sowie meine Passnummer, einen QR-Code und die Aufschrift „Besucher“.

‚Nehmen Sie bitte Platz, Monsieur Dale. Kriemhild wird gleich hier sein‘, hörte ich.

„Danke schön.“ Ich nahm den Ausweis und befestigte ihn am Revers meines Blazers. Dann verstaute ich meinen Reisepass und ging zu den Sofas rüber. Von Sekunde zu Sekunde fühlte ich mich unrunder. Verwirrt. Fast wie im falschen Film.

Was war das bloß für ein Ort? Und was war los mit mir?

+++

Kaum eine Minute später gab eines der Drehkreuze ein diskretes Klickgeräusch von sich.

Eine junge Frau kam auf mich zugestampft. Sie war um die dreißig und…

Herrje. Selbst gedanklich hatte ich Mühe, den passenden, politisch korrekten Begriff zu finden. Sie war vertikalgehemmt, hätte man sagen können. Eine Person mit jäh abgebrochener Emporentwicklung.

Kurz gesagt, sie war klein. Fast schon winzig.

„Bonjour, Monsieur Dale. Ich bin Kriemhild“, sagte sie knapp auf Französisch.

Interessanterweise erkannte ich den gereizten Tonfall sofort wieder. Sie war die Person, mit der ich telefoniert hatte.

Noch ein Fun Fact: ihr Name passte perfekt zu ihrem Erscheinungsbild. Sie sah genau so aus, wie ich mir eine wagnerianische Frauenfigur vorgestellt hatte. Im Kleinformat natürlich. Vollbusig, mit breiten Schultern, kräftigen, harten Gesichtszügen und langem, lockigem Haar. Ihr gesamtes Auftreten zeugte von Ernsthaftigkeit, was ihre barsche Art zu sprechen unterstrich. Sogar ihr schwarzer, kleidartiger Kittel sah robust und effizient aus. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie eine Streitaxt an ihrem Ledergürtel befestigte. Oder ein riesiges Schwert, mit dem sie den einen oder anderen Drachen besiegen konnte.

Kriemhild streckte mir ihre Hand entgegen, die ich schüttelte, während ich aufstand. Ohne ersichtlichen Grund hatte ich das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen. Ich war nicht mit zwölf fertig ausgewachsen gewesen, wie Papa immer scherzhaft behauptete, aber alles in allem war ich relativ klein gewachsen. Und zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben überragte ich eine andere erwachsene Person.

„Sehr erfreut.“ Ich lächelte zögernd.

Mein Lächeln blieb einseitig. Ich hörte bloß ein ruppiges: „Ganz meinerseits. Dann mal los.“

Wir scannten unsere Ausweise und durchquerten die düstere Halle. Unsere Schritte hallten durch die leeren Weiten. Ganz hinten sah ich unzählige verschlossene Türen, hinter denen ich Kerker oder Folterkammern vermutete.

Wir traten in einen Aufzug, und Kriemhild drückte auf einen Knopf. Die Geschwindigkeit, mit der wir nach oben schossen, ließ meinen Magen bis irgendwo unter meine Füße plumpsen.

„Ja hallo!“, quäkte ich und streckte die Hand aus, um mich an einer Aufzugswand festzuhalten.

Für ein fünfstöckiges Gebäude dauerte die Fahrt ziemlich lange. Als wir anhielten, machte mein Magen den umgekehrten Hüpfer und endete in meiner Kehle.

Kriemhild stapfte mit schweren Schritten hinaus und einen spärlich beleuchteten Korridor entlang, der so unpersönlich war wie die meisten Bürokorridore. Für den Sitz einer UN-Agentur war er auch überraschend leer. Wo versteckten sich denn die anderen Mitarbeiter? Hatten sie Angst, weil meine Drachentöterin anmarschierte?

Egal. Kriemhild war schnell auf den Beinen, das musste ich ihr lassen. Ich eilte ihr hinterher.

Sie blieb vor einer Tür stehen, klopfte zweimal, öffnete sie und verkündete knapp: „Rodelio. Dein Termin, Monsieur Dale.“

„Merci, Kriemhild. Danke. Kommen Sie herein, Monsieur Dale“, sagte eine melodische, tiefe Stimme.

Okay. Jetzt ging’s an die Leberwurst.

Ich rückte meinen Blazer zurecht, räusperte mich und straffte meinen Rücken. „Sei selbstbewusst, aber nicht überheblich“, hatte Papa mir gestern geraten. „Sei zurückhaltend und forsch.“

Zurückhaltend und forsch. Genau. Die beiden Adjektive waren überhaupt nicht widersprüchlich.

Kriemhild warf mir einen letzten Blick zu – eigentlich war es eher ein böses Funkeln. Sie ließ mich vorbei und warf die Tür hinter mir ins Schloss.

+++

Du lieber Schwan – Untersekretär de Montferrat muss ein echter Kapazunder sein. Was heißt Kapazunder – ein Gott!

Das war mein allererster Gedanke.

Denn das Büro, das ich betrat, war riesig. Aberwitzig, unfassbar riesig.

Vergoldete Holzkassetten zierten die hohe Decke. Der Parkettboden war mit einem dicken Perserteppich bedeckt. Auf drei Seiten ragten Wände mit massiven, alten Holzregalen empor, in denen ledergebundene Bücher standen. Ich musste unwillkürlich an die Bibliothek in Downton Abbey1denken.

1Englische Fernsehserie, die zwischen 1910 bis 1930 in einem prächtigen englischen Schloss spielt und das Leben der Familie Crawley (der Earls of Grantham) und ihrer Bediensteten beschreibt.

Die vierte Seite hob sich vom Rest ab, sie spiegelte eindeutig unser Jahrhundert wider. Ihre fugenlose, vom Boden bis zur Decke reichende Fensterfront bot einen atemberaubenden Blick über das Défense-Viertel.

Auch das wollte mir nur schwer eingehen, aber ich zuckte im Geiste mit den Schultern. Ich sollte mich auf wichtigere Dinge konzentrieren. Nämlich auf meinen potenziellen Chef, den ich mit meiner forschen Zurückhaltung beeindrucken musste. Und mit meinem Master-Abschluss.

„Treten Sie doch näher, Monsieur Dale“, meinte die melodische Männerstimme.

Das riss mich aus meinen Gedanken. Ich marschierte in den hinteren Bereich des Raumes, wo ein großer, selbstgefälliger Schreibtisch stand. Daneben befanden sich ein paar Plüschsofas und ein niedriger Tisch. Der riesige offene Kamin dahinter stammte wahrscheinlich aus derselben Epoche wie der Rest der Innenausstattung mit Ausnahme der Fenster. Ein Feuer knisterte mir fröhlich entgegen.

Ich war so was von nicht in der Botschaft der Vulkanier gelandet!

Je näher ich kam, desto besser sah ich Lord Granthams UN-Gegenstück. Der Mann lehnte am Kaminsims und starrte mich mit funkelnden Augen an. Er war schlank und groß und trug einen eng anliegenden, makellosen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd.

Ein schwarzes Hemd, Papa! Ha! Wenn du das bloß sehen könntest.

Was ich dank meiner Standardeinstellungen sofort mitbekam: Der Mann sah teuflisch gut aus. Er hatte scharf geschnittene, edle Gesichtszüge, und sein Teint unter den halblangen, dunklen Haaren war äußerst blass. Die perfekt geformte Nase, die schönen schwarzen Augen und der volle, verführerische Mund hätten ihm problemlos einen Job als Model verschafft. Das wusste er anscheinend auch, wie seine fotogene Modelpose suggerierte. Er war einer der Männer, die mir das Gefühl gaben, erbärmlich zu sein. Zu klein, zu dünn, zu unbedeutend, ein wertloses Staubkorn…

Er kam um den Schreibtisch herum und streckte mir die Hand entgegen. Ich schüttelte sie energisch. Meine Unsicherheit brauchte er nicht gleich bei der ersten Berührung spüren. Seine Finger waren schön und schlank, seine Haut fühlte sich kühl an, sein Griff war fest und stark, sein Blick direkt und offen.

„Ich bin Untersekretär Rodelio de Montferrat.“

„Simon Dale. Sehr erfreut, Monsieur.“

„Bitte, setzen Sie sich doch.“ De Montferrat, der Mann mit den schönen Fingern und dem schicken Namen, zeigte auf die Sofasitzecke.

„Danke, Monsieur.“

Wir ließen uns auf zwei gegenüberliegenden Sofas nieder, während ich meinen Rucksack auf den Teppich stellte.

De Montferrat verschränkte die Hände über dem Knie. Er schenkte mir ein freundliches Lächeln. „Vielen Dank, dass Sie gekommen sind, Monsieur Dale. Ich hoffe, dass Sie problemlos hergefunden haben. Das kann schwierig sein, wurde mir gesagt.“

„Vielen Dank, Monsieur“, log ich. „Die Anweisungen Ihrer Assistentin waren sehr hilfreich.“

„Freut mich zu hören.“ Er beugte sich vor. „Bevor wir mit unserem – ähm – Vorstellungsgespräch beginnen, würde ich gerne etwas loswerden, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

„Ganz und gar nicht, Monsieur.“

„Ich muss gestehen… Sie sind eine ziemlich harte Nuss, Monsieur Dale.“

„Oh. Wirklich?“

„Ja.“ Er hielt kurz inne. „Sie haben wegen unseres Stellenangebots in Le Monde angerufen, stimmt’s?“

„Richtig.“

„Nun, die Sache ist die, Monsieur Dale – wir haben kein Stellenangebot aufgegeben. Weder in Le Monde noch in irgendeiner anderen Zeitung. Weder gestern noch letzte Woche noch letzten Monat noch jemals. Wir stehen auch nicht im Telefonbuch, falls ich das noch schnell präzisieren darf.“

Er breitete seine Hände auseinander, als wollte er sagen: „Sehen Sie, welche harte Nuss Sie sind?“

Nach einer weiteren Kunstpause fügte er hinzu: „Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir das alles erklären könnten. Denn ich frage mich wirklich, wie Sie an unsere Telefonnummer gekommen sind.“

Seine Stimme blieb freundlich.

Aber sie klang ein wenig bedrohlich.

+++

Ähem. Hallo? Wie bitte? Warum glaubte der Mann, dass ich im Sitz einer Organisation saß, von deren Existenz ich vor einer halben Stunde keinen blassen Schimmer hatte? Für wen hielt er mich? Einen Witzbold? Einen Spion? Einen Terroristen?

Unzählige andere Gedanken schwirrten mir in einer Kakofonie synaptischer Verbindungen durch den Kopf.

Und natürlich schoss mir der dümmste vom Hirn in den Mund. Ich meinte fassungslos: „Warum stehen Sie nicht im Telefonbuch?“

Der Untersekretär blinzelte. „Wie belieben?“

Jetzt war alles egal; den Ast, auf dem ich saß, konnte ich endgültig absägen. „Sie sind eine UN-Agentur. Warum stehen Sie nicht im Telefonbuch?“

Blinzel, Blinzel. „Was hat Ihre Frage mit meiner zu tun, bitte schön?“

„Wahrscheinlich nichts. Ich bin nur… neugierig… nehme ich an…“ Meine Stimme wurde mit jedem Wort leiser und endete in einem Flüstern.

De Montferrat lehnte sich zurück und starrte mich an. „Neugier hat die Katze getötet, wie man auf Englisch sagt. Und diese Katze wollen Sie sicher nicht sein, oder?“

„Ähm…“ Hatte er mir gerade mit – dem Tod gedroht?

„Hören Sie, Monsieur Dale, reden wir nicht länger um den heißen Brei herum. Wenn es in meiner Agentur eine Lücke im Sicherheitssystem gibt, muss ich dem so schnell wie möglich auf den Grund gehen. Hier beim UNBUA befassen wir uns mit hochsensiblen Angelegenheiten. Geheimhaltung und Sicherheit sind daher von größter Bedeutung, wie Sie sicherlich verstehen werden.“

Nicht unbedingt. Dennoch nickte ich brav.

Die Stimme des Untersekretärs wurde samtweich. „Ich frage Sie noch einmal: Wie haben Sie unsere Telefonnummer ausfindig gemacht?“

Verdammt noch mal, war er taub? Ich hatte sie nicht ausfindig gemacht!

Ich bemühte mich, meinen Ärger nicht durchklingen zu lassen. „Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, las ich das Stellenangebot und…“

De Montferrat unterbrach mich mit einer knappen Geste. Ein warmes Lächeln spielte um seine Lippen. Die Worte, die aus seinem Mund kamen, wurden immer samtiger und spannen fast unmerkliche Fäden der Überredung um mich. „Wir stellen keine Jobangebote in die Zeitung, Monsieur Dale. Niemals. Wenn eine Stelle frei wird, verfügen wir über andere Methoden, um Kandidaten zu finden. Deshalb ist Ihre Behauptung offensichtlich eine Lüge.“

Wie angenehm es wäre, das Handtuch zu werfen, mich von seiner hypnotisierenden Stimme einlullen zu lassen und zu gestehen, was auch immer er von mir hören wollte.

Aber eine laute Stimme, die verdächtig nach meinem Vater klang, protestierte in meinem Kopf: Er hat dich gerade einen Lügner geschimpft, Simon! Und du weißt, dass du keiner bist!

Ich kämpfte gegen die magnetische Anziehungskraft seiner samtenen Töne an, schüttelte den Kopf und hob meinen Rucksack auf. Ich öffnete ihn und fischte die Ausgabe von Le Monde heraus, in der ich das verdammte Stellenangebot gefunden hatte. Ja, ich dummer, unsicherer Mensch hatte die Zeitung als eine Art Glücksbringer aufbewahrt.

Ich knallte die Ausgabe auf das Tischchen. „Schauen Sie doch selbst nach. Im hinteren Teil.“

Der Untersekretär langte nach der Zeitung, entfaltete sie und überflog die Seiten. Ich hätte ihm sagen können, wo genau er suchen sollte, aber ich kam mir schon dumm genug vor. Vielleicht fühlte ich mich auch ein bisschen rachsüchtig.

„Ha!“, rief de Montferrat und tippte mit seinem langen Zeigefinger auf eine Stelle. „Sie haben recht! Da ist es ja…“

Auf einmal geschah etwas Unerwartetes. Etwas noch Unerwarteteres als die ganze Unterredung bisher, die ohnehin schon ein tristes Spektakel gewesen war.

Plötzlich stand die Zeitung in grünen Flammen.

Ja, tatsächlich. Flammen. Grüne Flammen.

Und ja, ganz spontan. Woff!

Der Untersekretär schoss so schnell vom Sofa hoch, dass ich seine Bewegung kaum mitbekam… Zzing!

Der grünliche Flammenball landete im Kamin, vor dem der Mann auf einmal stand.

„AUA! Scheiße, was ist denn hier los?“, schrie er.

Auch wenn ich seine Formulierung vulgär fand, dachte ich: Scheiße, was ist denn hier wirklich los?

+++

Der Geruch von verbranntem Papier und Schwefel wehte zusammen mit einer kleinen Rauchwolke durchs Büro. Ich starrte den Untersekretär an, der mit den Händen in der Luft herumwedelte. Was zum Teufel hatte ich gerade miterlebt? Und warum wirkte de Montferrat nachdenklich und nicht schockiert?

Kopfschüttelnd murmelte er: „Grüne Flammen? Kack im Ofen – grüne Flammen? Das ist ja, als wäre… Ach, Quatsch… Aber trotzdem… Du lieber Elf, wie faszinierend!“

Okay. Ich hatte die Nase gestrichen voll. Vielleicht fand ich ja irgendwo einen Fast Food-Job. Hamburger und Fritten verkaufen war sicher besser als das hier.

Langsam und etwas unsicher stand ich auf. „Ich nehme an, dass hiermit meine Unschuld bewiesen ist“, sagte ich schroff. „Sie haben keinen Job für mich, was Sie mehrmals und mit Nachdruck betont haben. Ich denke, ich sollte mich besser verabschieden, Monsieur.“

Er wandte sich wieder meiner bescheidenen Person zu. „Sie haben die Wahrheit gesagt!“, meinte er und klang überrascht.

„Natürlich, Monsieur. Ich bin hierhergekommen, um mich für einen Job zu bewerben, nicht, um Lügenmärchen zu erzählen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden…“

Zzing!

Der Untersekretär stand neben mir und schob mich wieder aufs Sofa zurück. „Aber nein, Monsieur Dale! Sie können noch nicht gehen! Bitte nehmen Sie wieder Platz!“

Für einen so schlanken Mann war er unglaublich stark. Es blieb mir nichts anderes übrig als zu gehorchen. Der Druck seiner schlanken Finger auf meinem so dünn bekleideten Arm machte mich für seine Bitte auch empfänglicher.

Er setzte sich ebenfalls und sah mir in die Augen. „Ich schulde Ihnen eine Entschuldigung, Monsieur Dale.“

„Nicht notwendig, Monsieur.“

„Ich bin sicher, dass Sie sehr verwirrt sind, nicht zuletzt wegen…“

„… all den verwirrenden Dingen, die passiert sind, seit ich ihr Gebäude betreten habe? Ja, das könnte man sagen.“

„Möchten Sie etwas trinken? Kaffee? Tee? Brandy? Whiskey?“ Seine schwarzen Augen bohrten sich in meine.

„Ähm, zu einer Tasse Kaffee würde ich nicht nein sagen…“

Ich hatte den Satz kaum beendet, als sich die Tür auf der anderen Seite des Raumes auch schon öffnete. Eine hübsche Frau in einem eng anliegenden, glitzernden Overall glitt herein. Sie trug ein silbernes Tablett mit einer Kaffeekanne, einer Milchkanne, einer Zuckerdose und zwei Tassen. Langes, rotes, welliges Haar tanzte ihr fröhlich um das ovale Gesicht, während sie lautlos zu unserer Sitzgruppe herübersegelte. Sie strahlte mich an, als sie das Tablett auf dem Tischchen abstellte.

„Danke, Mélusine“, sagte der Untersekretär.

Auch ich murmelte: „Danke“.

Die junge Frau neigte den Kopf und entfernte sich so leise, wie sie eingetreten war.

De Montferrat schenkte mir ein strahlendes, weißzahniges Lächeln. „Darf ich?“ Er goss Kaffee in die Tassen und deutete dann auf die Milchkanne und die Zuckerdose. „Milch? Zucker?“

„Nein, danke.“

Er schob mir eine Tasse hin.

Wir tranken schweigend einen Schluck und beäugten uns gegenseitig. Die Situation kam mir höchst sonderbar vor. Ich fühlte mich so unwohl in meiner Haut wie noch nie. Vielleicht sollte ich einfach meinen Kaffee austrinken und mich dann schnell davonmachen. Ich war sicher, dass irgendwo Hamburger darauf warteten, gegrillt zu werden.

Der Untersekretär stellte seine Tasse ab. „Nun, Monsieur Dale… Wo Sie schon mal hier sind, warum erzählen Sie mir nicht mehr über sich?“

„Ich dachte, Sie brauchen niemanden…“

Er machte eine vage Geste. „Vielleicht doch.“ Er lächelte. „Ich nehme an, Sie sind kein Franzose?“

„Was hat mich denn verraten?“

„Ihr Name. Simon Dale.“ Er sprach die beiden Wörter in einwandfreiem Englisch aus, nicht à la française. „Sie kommen von den wunderschönen britischen Inseln?“

„Ja.“

„Aus London?“

„Nein, aus dem Oxfordshire.“

„Wie schön. Ihr Französisch ist, wenn ich das sagen darf, tadellos. Sie haben überhaupt keinen Akzent.“

„Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft, französisch und britisch.“

„Wie schön für Sie!“ Seine Stimme wurde wieder samtig, fast ein hypnotisches Schnurren. „Wie das, Monsieur Dale?“

„Wie das was?“

„Wie kommt es, dass Sie die doppelte Staatsbürgerschaft haben? Welches Elternteil ist Franzose?“

„Ähm, meine Mutter. Sie war aus Paris.“

Er summte. „Tatsächlich?“

„Ja. Ihr Name war Clarence. Clarence Dale, gebürtige Perdrelle.“

„Interessant. Und Ihr Vater ist…“

„Brite, Monsieur. Professor Jonathan Dale.“

„Sieh an. Der berühmte Mittelalterforscher.“ Wieder summte er.

„Na ja, berühmt, ich weiß nicht…“

„Ist er, ist er, glauben Sie mir. Aber Sie sagen, Ihre Mutter war aus Paris. Was ist denn passiert, Monsieur Dale?“ Er hob seine Tasse an den Mund und summte erneut.

Etwas in seiner Stimme und seinem Tonfall machte mich völlig willensschwach. Meine Güte – dieses Summen! Es prickelte meinen Rücken runter, wärmte meine Schrittgegend und glänzte in meinen Augen. Am liebsten hätte ich ihm bis in alle Ewigkeiten zugehört. Ich würde alles über Mama und ihr plötzliches Verschwinden preisgeben, wenn er nur weiter summte. Wie sehr ich sie vermisste. Wie Papa und ich versuchten, ohne sie auszukommen. Wie schwer alles war. Notfalls hätte ich sogar verraten, was ich gerne im Bett machte und welche Schuhgröße ich hatte.

Aber die Tür zum Büro flog unvermittelt auf und hinderte mich daran, meine intimsten Geheimnisse auszuplaudern.

Kriemhild, die Westentaschen-Walküre, kam hereingestampft, gefolgt von Mélusine, glitzernd und gleitend, und vom geschlechtsneutralen Empfangsphantom.

„Kriemhild? Mélusine? Fred?“, sagte de Montferrat halb beunruhigt, halb verärgert. „Was ist los? Ich habe alles unter Kontrolle, es ist also unnötig, dass ihr…“

Kriemhild unterbrach ihn. „Tut mir leid, dass ich euer gemütliches Stelldichein unterbreche, Rodelio. Wir haben ein Problem.“

+++

Für den Bruchteil einer Sekunde starrte de Montferrat seine Kollegen an. Im Handumdrehen blieb die Tasse, die er an den Mund geführt hatte, in der Luft hängen. Und der Untersekretär – Zzing! – war schneller als menschenmöglich zur Tür gestürmt.

„Ein Problem?“, blaffte er.

Dem Himmel sei Dank für meine unfehlbaren Reflexe.

Meine Hand schoss vor und fing die Tasse auf, bevor sie auf dem Tischchen zerschellte. Während ich sie vorsichtig auf die Untertasse stellte, hörte ich Kriemhild zischen: „Etwas Furchtbares ist passiert! Der ägyptische Präsident wurde in Luxor angegriffen. Von einem…“

Die nächsten Worte bekam ich nicht mit. Oder mein verwirrter Verstand weigerte sich, sie zu verarbeiten.

„… Darius ist benachrichtigt worden. Er konnte den Präsidenten und sein Gefolge isolieren. Deine Anwesenheit ist trotzdem so schnell wie möglich erforderlich. Du kennst Darius – für solche Situationen ist er einfach nicht geeignet. Wenn der Vorfall nicht mit größter Sorgfalt gehandhabt wird, könnte das katastrophale politische Auswirkungen haben.“

Auch wenn Kriemhild ihre Stimme zu einem Zischen gesenkt hatte, war sie immer noch gut hörbar. Ich verstand jedes Wort.

Aber ich wollte vermeiden, dass man mich für einen neugierigen Lauscher hielt. Deshalb blieb ich starr und steif sitzen, ohne mich umzudrehen. Die tanzenden Flammen im Kamin waren plötzlich das Faszinierendste auf der Welt für mich.

„Ich mache mich sofort auf den Weg!“, rief de Montferrat aus.

„Du kannst da nicht allein hin! Das ist zu gefährlich! Und verstößt gegen die Regeln!“

„Dann muss jemand mitkommen!“

„Ist dir nicht aufgefallen, dass wir im Moment minimal besetzt sind? Unsere letzten Leute mussten wir auf Einsatz schicken, während du weg warst. Jaime und sein Team sind nach Maracaibo abgereist. Gudrun und Lin kümmern sich um das Problem in der Walachei. Und Vasilis steckt in Kambodscha fest.“

„Was ist mit James? Ist er immer noch nicht zurück?“

„Hallo? Arbeitest du hier? Der ist als vermisst gemeldet! Die Warnung kam gestern rein.“

„Mein Gott!“ De Montferrat klang wirklich schockiert. „Vermisst? Ich… nein, das wusste ich nicht! Bin gestern Abend zurückgekommen und hatte noch keine Zeit, die Berichte zu lesen. Sollten wir nicht ein Erkundungsteam aussenden?“

„Bereits erledigt, Rodelio.“

„Gut. Hoffen wir, dass sie ihn schnell finden. Und dass er wohlauf ist.“ Er machte eine kurze Pause. „Aber das verkompliziert die Sache erheblich. Haben wir Assistenten, die einspringen könnten?“

„Ich bedaure, nein.“

„Eine von euch?“

„Auf keinen Fall. Wir sind das Koordinationsteam. Weder Fred noch Mélusine noch ich können die Zentrale verlassen.“

„SCHEISSE!“

Auf das Schimpfwort folgte Funkstille.

Ich wusste, dass ich mich nicht bewegen sollte. Aber ich konnte nicht anders.

Ich warf einen Blick über meine Schulter.

Vier Augenpaare starrten mich an. Das heißt, bei drei Paaren war ich mir sicher, weshalb ich davon ausging, dass das vierte es auch tat, auch wenn die substanzlose Empfangsperson immer noch sehr schwer auszumachen war.

Ich wurde knallrot.

Was zum Teufel war protokollarisch in einer solchen Situation vorgesehen?

Ich tat so, als würde ich umständlich auf meine nicht existierende Armbanduhr schauen. „Oh Gott, wie die Zeit vergeht! Ich sollte Sie in Ruhe lassen, damit Sie sich mit Ihrem Problem befassen können. Ich bin sicher, dass Sie einiges zu besprechen haben.“

„Weise Entscheidung, Monsieur Dale“, meinte Kriemhild trocken.

‚Er hat zu viel gehört’, sagte das Empfangsphantom mit seiner Frühlingssäuselstimme. ‚Wir sollten dafür sorgen, dass er nichts weitererzählt.‘

Oh-oh. Trotz des unbeschwerten Hauchtons hatte der Satz einen bedrohlichen Beiklang.

Ich hängte mir den Rucksack über die Schulter und eilte zur Tür. Mit einem unschuldigen Lächeln sagte ich: „Bitte, machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe nichts gehört. Keinen Pieps. Und was ich eventuell mitbekommen habe, ist bereits vergessen. Mein Kurzzeitgedächtnis, wissen Sie… das ist ganz miserabel. Ich bin ein echter Goldfisch. Wie auch immer… es war mir eine Freude, Sie kennengelernt zu haben, Monsieur. Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für mich genommen haben.“

Ich reichte de Montferrat meine Hand.

Der Untersekretär packte sie und…

… ließ sie nicht mehr los.

„Ähm, entschuldigen Sie. Ich glaube, die werde ich noch brauchen.“ Ich versuchte, meine Hand zurückzuziehen.

Aber er hielt sie fest und starrte mich an, als würde er mich zum ersten Mal wirklich sehen. Ohne den Blick von mir abzuwenden, erklärte er: „Planänderung, Kriemhild. Ich nehme Monsieur Dale mit.“

„Ähm…“ Ich zerrte erneut an meiner Hand.

„Du kannst doch keinen Unbekannten in die Sache reinziehen, Rodelio!“ Kriemhild verschluckte sich fast an ihren Worten. „Keinen – Ignoranten wie den da!“

Hey!

‚Niemand hat einen Background-Check gemacht‘, raunte Fred. ‚Außerdem hat er unseren Vertrag nicht unterschrieben. Ganz zu schweigen davon, dass er diverse Genehmigungen für die Mission braucht. Und da ist diese… Dissonanz, die ich bereits erwähnt habe. Wir wissen nicht, worum es sich handelt. Das gibt Ärger, Rodelio. Schon wieder.‘

De Montferrat wandte sich an die Empfangsperson. „Aber du hast etwas gespürt, Fred, oder?“

‚Vielleicht? Ich bin mir nicht sicher… ich bräuchte mehr Zeit.‘

Was redeten sie denn für sonderbares Zeug zusammen?

De Montferrat sah seine Kollegen an. Seine Stimme klang offiziell. „Ich nehme eure Einwände zur Kenntnis. Aber hiermit stelle ich Monsieur Simon Dale als meinen persönlichen Assistenten ein.“ Er drückte meine Hand. „Und hiermit erteile ich ihm die erforderlichen Genehmigungen. Zumindest für die vorliegende Mission.“

Ein weiterer Handdruck. Meine Handfläche und meine Finger kribbelten.

„Kriemhild – bereite den Papierkram vor, bevor wir abreisen. Monsieur Dale wird seinen Vertrag im Flugzeug unterschreiben.“

Kriemhild grunzte. Dann stapfte sie zum Schreibtisch und begann, eine Schublade nach der anderen aufzureißen. Sie machte viel Lärm, um zu zeigen, wie sehr sie die Entscheidung ihres Chefs missbilligte.

„Bitte bereite seinen Diplomatenpass vor, Fred. Und wenn du beim Rest behilflich sein könntest, wäre ich dir sehr dankbar.“

Das Gespenst flackerte, bevor es Richtung Bücherregale entschwand.

„Mélusine, wenn du so nett sein könntest, bitte zwei Plätze für den nächsten Flug nach Luxor zu buchen.“

Endlich ließ de Montferrat meine Hand los. Er sagte: „Ihr habt zehn Minuten, meine Lieben!“

Dann schaute er auf mich herab – unser Größenunterschied war einfach lächerlich! – und grinste mich schief an. „Herzlichen Glückwunsch, Monsieur Dale. Sie haben einen Job. Über die Einzelheiten gebe ich Ihnen später Auskunft. Machen Sie sich bereit für Ägypten.“

Er trat durch die Tür und schloss sie sanft hinter sich.

Ich stand angewurzelt da, als wäre Lots Frau in Form eines mageren kleinen Briten wiedergeboren worden.

Ich hatte einen Job.

Verdammt, ich hatte einen Job!

Einen Traumjob bei einer UN-Agentur!

Der einzige Knackpunkt war, dass ich bezweifelte, ob er mir überhaupt zusagte. Zu viel… sonderbare Dinge spielten sich hier ab.

Mein Missbehagen ließ natürlich nicht nach, als ich Kriemhild knurren hörte: „Pff! So was Verrücktes! Schnell, dreist und unbesonnen drauf sein, das kann er. Ich wette, er bringt uns den Jungen noch um – merkt euch meine Worte!“

Es klang, als würde sie das nur so vor sich hin brummen; dennoch fragte ich mich – warum schienen es heute alle auf mein Leben abgesehen zu haben?

Als hätte en meine Gedanken gelesen, kam Fred zur Tür zurückgeschwebt. En legte mir eine überraschend solide Hand auf die Schulter. ‚Willkommen im Irrenhaus, Monsieur Dale‘, sagte en. ‚Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden sich schon noch daran gewöhnen, wie’s hier zugeht. Rodelio wird ohnehin auf Sie aufpassen. Ich habe das Gefühl, dass Sie sich gut ins Team einfügen werden.‘

„Danke“, murmelte ich.

Nachdem sie einen Laptop gefunden hatte, fing Kriemhild an, auf die Tastatur einzuhacken, während sie immer noch vor sich hin grummelte. Wahrscheinlich beschwor sie gerade hundert grausame Todesarten für mich herauf.

Fred beugte sich näher. En war immer noch sehr unscharf. Ense Finger drückten meine Schulter, während ense andere Hand ein kleines Dokument aus dem Nichts fischte, als hätte en es herbeigezaubert. En drückte es mir in die Hand. ‚Ihr Diplomatenpass, Monsieur Dale.‘

Ich starrte auf das Dokument. Auf dem Umschlag prangte das UN-Logo über den Aufschriften „United Nations Special Agency“ sowie „Diplomatic Passport“.

Schick. Ich war jetzt Teil des diplomatischen Korps.

„Danke, Fred“, murmelte ich. „Ähm, wäre es unangebracht, Sie zu bitten, mich Simon zu nennen?“

‚Aber wo denn. Ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit, Simon. Sollten Sie jemals etwas brauchen, egal was, dann rufen Sie einfach nach mir. Egal, wo Sie sind, egal, in welcher Situation, egal, wie spät es ist. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um Ihnen zu helfen. Okay?‘

En drückte erneut meine Schulter und klopfte dann auf meinen Rucksack, der mir von der Schulter baumelte. ‚So. Damit sollten Sie gut vorbereitet sein.‘

Ich schwenkte den Pass. „Und ich habe meinen Reisepass. Ich hoffe, ich verliere ihn nicht.“

Die Antwort war ein zartes Lachen. ‚Das werden Sie sicher nicht.‘

Mit diesen Abschiedsworten verließ en den Raum.

Durch die geschlossene Tür.

Ich nahm das kaum noch als seltsam wahr. Warum sollte ich? Eine Skurrilität mehr oder weniger machte heute keinen großen Unterschied mehr.

Ich schlug den Reisepass auf. Von der Innenseite starrte mir mein obligatorisch grimmiges Konterfei entgegen. Anscheinend war das Foto in diesem Raum aufgenommen worden, ohne dass ich es mitbekam. Ich erkannte die Bücherregale sowie meinen Sommerblazer, mein weißes Hemd und die verwirrt gerunzelte Stirn wieder, die wahrscheinlich Teil meiner Miene war, seit der Staatssekretär gesagt hatte, welche harte Nuss ich war. Alle Felder waren ordnungsgemäß und korrekt ausgefüllt. Die Leute in dieser Agentur waren eigenartig, aber über ihre Effizienz konnte ich mich nicht beschweren.

Ich hörte eine unbekannte Stimme und blickte automatisch auf.

Oh.

Mélusine.

Bis jetzt hatte ich ihre Stimme noch nicht vernommen. Sie war überraschend tief und… ähm, sinnlich.

Die junge Frau saß auf dem Schreibtisch ihres Chefs, baumelte fröhlich mit den Beinen und gurrte in ein Handy. „Hallo, Mélusine am Apparat“, sagte sie und zog die Worte in die Länge wie eine professionelle Stripperin die Etappen ihres Entblätterns. Ihr Begrüßungssatz klang wie die unverhohlenste Anmache, die ich je gehört hatte. Ziemlich erregend, fiel mir auf. „Oh, Sie sind’s, Charles. Wie geht’s Ihnen denn! Wir haben schon lange nicht mehr geplaudert, was? – Oh, hören Sie auf, Sie Schäker!“ Sie lachte rauchig.

Unerwünschte, unerwartete Gefühle stiegen in mir auf. Eine seltsame Sehnsucht, seltsame Gedanken, seltsame Träume.

Frage: warum fühlte ich mich eigentlich zu Männern hingezogen? Und zwar ausschließlich?

Stimmte das überhaupt? Oder war das nur eine Phase gewesen?

Als Mélusines Stimme an meine Ohren drang, überkamen mich plötzlich Zweifel.

Denn ihre Stimme war unbeschreiblich! Singend, süß und beruhigend, zugleich verführerisch, voller sinnlicher Versprechen. Beinahe betörend. Jede Silbe war ein erhobener Zeigefinger, der mich verlockte, die reife, saftige Frucht im Füllhorn der Lust zu kosten, die sie zu sein versprach. Ich hatte das Gefühl, dass sie die Frau war, die mich ein für alle Mal auf Frauen umpolen könnte. Sie bräuchte mich nur darum zu bitten, und ich würde bereitwillig versuchen, mit ihr ein paar Babys zu machen, und zwar hier und jetzt. Egal, ob der Prozess der Herstellung sich als schwierig entpuppen sollte.

„Ja, das Übliche“, gurrte sie. „Ich weiß, ich weiß. Es tut mir wirklich leid. Bei uns werden Entscheidungen immer in letzter Minute getroffen. – Von Paris aus, ja. – Nach Luxor. Und zwar so schnell wie möglich. – Zwei Passagiere. – Ach, Sie sind so ein Schalk, Charles! – In einer Stunde? Perfekt! – Air Cairo, Terminal 3, alles klar. Ich schreibe das gleich mal auf.“ Sie tat nichts dergleichen, nickte nur. „Rodelio de Montferrat, ja. Den sollten Sie bereits abgespeichert haben. Und Simon Dale. D-A-L-E. Natürlich Economy-Class. Budgetkürzungen, wissen Sie. – Wirklich? Oh, Sie sind ein Engel, Charles! Vielen Dank! – Ja, wir versuchen, sie so schnell wie möglich hinzubringen. – Ja, wie letztes Mal. – Oh, hören Sie bloß auf, Sie Turteltaube! – Ja, vielleicht machen wir das wirklich mal, wer weiß. – Tschüss.“

Sie warf das Handy auf den Schreibtisch und lächelte mich an.

Gleichzeitig rief Kriemhild: „Fertig!“ Sie hämmerte auf ein paar letzte Tasten und klappte dann den Laptop zu. Nachdem sie Mélusine angeblickt hatte, fragte sie: „Bei dir auch alles erledigt, meine Liebe?“

Ihre Kollegin nickte fröhlich.

„Okay. Dann halt ab jetzt bitte die Klappe.“ Unsere entzückende Kriemhild zog sich Ohrstöpsel aus den Ohren. Über die riesige Bürofläche hinweg starrte sie mich finster an. „Was ist denn mit Ihnen los, Sie Dummkopf? Ihr Mund steht offen, und Sie sabbern mir gerade den Teppich voll.“

Ich schüttelte den Kopf. „Was? Wie? Hä?“

Ich konnte fast hören, wie sie die Augen rollte. „Himmel, hat denn niemand den Jungen vorgewarnt? Rodelio? Fred? Ihr seid solche Idioten, wisst ihr das? Ich fasse es gar nicht!“

Sie sprang vom Stuhl und stampfte auf mich zu, während ein luftiges ‚Hi, hi, hi…‘ durch den Raum säuselte.

„Entschuldigung Kumpel.“ Kriemhild boxte mich in den Arm. „Ein Scherz, den sie sich mit Grünhörnern gern erlauben. Ich warne Sie – falls es ein nächstes Mal geben sollte, dürfen Sie Mélusine nie zuhören.“

Sie starrte mir ins Gesicht und gluckste, was sich anhörte, als würde sie Steine in der Kehle zermalmen. „Aber komisch ist es schon.“

Ja. Urkomisch.

Die kleine Frau stieß die Tür auf und packte mich am Ellbogen. „Dann mal los!“

Während sie mich den Korridor entlang zerrte, steckte ich den neuen Pass in meinen Rucksack.

Wir erreichten die Stelle, an der mein Gedächtnis den Aufzug wähnte. An seiner Stelle entdeckte ich jedoch eine Sicherheitsstahltür.

Ich hatte keine Zeit, mich zu fragen, wie das möglich war; Kriemhild hatte die Tür bereits aufgesperrt. Dahinter befand sich eine Wendeltreppe. Grob schupste sie mich rein und grunzte: „Hurtig, Junge, hurtig! Rodelio wartet schon oben.“

Mit zusammengebissenen Zähnen sagte ich: „Sie werden ihn wahrscheinlich nie benutzen, aber mein Name ist Simon. Okay?“

„Klarer Fall, Kumpel. Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern. Für den Fall, dass Sie lebendig zurückkommen. Alsdann – viel Glück.“

Sie drehte sich um und stampfte zum Büro zurück.

Ich holte tief Luft und trat auf die erste Stufe.

+++

Die Wendeltreppe führte – aufs Dach. Wie’s aussah, war das UNBUA-Gebäude mindestens fünfzig Stockwerke hoch, wenn nicht sogar höher. Ich hatte keine Ahnung, wie oder warum. Aber zu diesem Zeitpunkt war mir bereits klar geworden, dass es sinnlos war, mir zu viele Fragen zu stellen. Ich ließ mich einfach von den Ereignissen treiben.

Der Wind beutelte mich, und instinktiv hielt ich mich an der Tür fest. Schließlich war ich ein Federgewicht, und das Dach verfügte natürlich über kein Geländer.

In der Mitte der kreisförmigen Fläche war ein seltsamer Metallapparat mit Stahlseilen festgezurrt. Neben dem Ding stand Untersekretär de Montferrat. Er war in eng anliegendes schwarzes Leder gehüllt, das aussah, als hätte man es ihm direkt auf den wunderschönen, schlanken Körper aufgesprüht. Der Typ hatte Muskeln, verdammt noch mal! Eine Lederkappe verbarg sein Haar. Das Ergebnis hätte hässlich sein sollen, konnte seiner Schönheit aber nichts anhaben. In einer Hand hielt er eine kleine Ledertasche und in der anderen zwei altmodische Schutzbrillen.

Als er sah, wie ich ihn anstierte, rief er: „Monsieur Dale – kommen Sie schon! Tick, Tack! Wir müssen ein Flugzeug erwischen!“

Natürlich. Ich hatte gehört, was Mélusine am Telefon gesagt hatte. Aber wie wollte er von hier oben zum Flughafen gelangen?

Ich beugte mich vor und eilte zu ihm rüber. „Was machen wir auf dem Dach, Monsieur?“, überschrie ich den Wind.

„Wir fliegen zum Flughafen. Warum glauben Sie, dass hier ein Trike steht?“ Er strahlte mich an.

„Oh“, meinte ich tonlos. Ich hatte keine Ahnung, was ein Trike war. Aber ich vermutete, dass er den Metallapparat meinte. Eine Fahrt mit Uber wäre mir lieber gewesen. Vor allem, weil ein Uber nicht flog. Und ich hatte eine böse Vorahnung, dass wir genau das tun würden.

Er reichte mir eine Schutzbrille, vergewisserte sich, dass ich sie aufsetzte, und drückte mir dann seine Ledertasche in die Hand. Er setzte seine eigene Schutzbrille auf. „Dann packen wir’s. Sie werden sehen, wie amüsant so ein Trike ist!“

„Wissen Sie denn, wie man mit dem Ding umgeht?“

„Wie schwierig kann das schon sein?“

Das war nicht die Antwort, die ich hören wollte.

Ich setzte zu lautstarkem Protest an, aber de Montferrat hatte sich bereits auf den Vordersitz gesetzt und angeschnallt. Er klopfte auf den Rücksitz. „Wir haben nur fünfzig Minuten, wenn wir unser Flugzeug nicht verpassen wollen. Beeilen Sie sich.“

Unser Flugzeug würde ich gern verpassen. Ehrlich gesagt stimmte das für Flugzeuge generell. Aber ich wollte nicht wie der letzte Hinterwäldler dastehen, also schluckte ich meine Bedenken runter.

Widerwillig setzte ich mich hinter ihn und befestigte mühsam den Gurt – schließlich musste ich sowohl die Ledertasche meines Chefs als auch meinen eigenen Rucksack handhaben.

Dann sprach ich ein stilles Gebet.

De Montferrat drückte auf einen Knopf.

Über unseren Köpfen entfalteten sich zwei flexible Tragflügel aus irgendeinem Kunststoffgewebe. Der Wind hatte große Freude mit ihnen und schaukelte unser Trike hin und her. Der Motor stotterte, die Metallseile lösten sich.

Und…

HUI!

Eine besonders starke Böe wehte uns seitlich auf die Dachkante zu.

Eigentlich wollte ich nur eins, nämlich mir den Gurt vom Leib reißen und abspringen. Plan B oder Hamburger Grillen klang immer verlockender. Besser bis zu den Ellbogen im Fett stecken als vom Dach in ein verfrühtes Grab plumpsen.

Im letzten Moment hob unser winziges Flugobjekt mit heulendem Gesurre ab und drehte scharf nach rechts.

Ich hatte einen atemberaubenden Blick auf die Straßen. Sie sahen aus wie schmale, graue Bänder.

Schluck.

Ich drückte meine Augen fest zu.

Ja, vor meinem ersten Flugerlebnis hatte ich schon immer Angst gehabt. Aber selbst in meinen schlimmsten Albträumen hatte ich ihn mir nicht so gruselig vorgestellt.

De Montferrat jauchzte laut.

+++

Wie durch ein Wunder überlebten wir den Flug zum Flughafen trotz ruckartiger Auf- und Abbewegungen. Ein oder zwei Vögel, die wir kreuzten, hatten da weniger Glück. Mir schien, dass ich mindestens zwei Mal ein lautes Krächzen gefolgt von einem dumpfen PFLACK! hörte.

Als ich meine Augen wieder aufmachte, waren wir auf dem Rollfeld gelandet und standen zwischen einem Flugzeug der Croatia Airlines und einem lang gestreckten grauen Hangar.

De Montferrat stellte den Motor ab, löste seinen Sicherheitsgurt, drehte sich um und grinste mich an. „Das hat doch Spaß gemacht, oder?“

„Total. Am liebsten würde ich es sofort wieder tun“, sagte ich mit flacher Stimme. „Schlägt eigentlich mein Herz noch?“ Ich betastete meine Brust. „Oh ja, ich spüre es. Schnell und heftig. Für eine Sekunde dachte ich, ich hätte einen Herzstillstand gehabt.“

De Montferrat zeigte hinter mich. „Hier kommt die Kavallerie.“

Ich drehte mich um.

Ein junger Mann in blauem Anzug und einer gelben Sicherheitsweste kam auf uns zu gerannt. Er rief: „Bonjour, Monsieur de Montferrat! Quel plaisir de vous revoir! Freut mich, Sie wiederzusehen! Wie war’s auf den Bermudainseln?“

„Charles, mein guter Mann!“ Mein Chef sprang vom Trike. „Anstrengend, aber ich bin immer noch da. Was beweist, dass die ganze Dreieckstheorie Unsinn ist.“

Der junge Mann blieb keuchend vor uns stehen. „Hier sind Ihre Bordkarten.“ Er schwenkte zwei Dokumente und warf sie mir schließlich in den Schoß, als niemand Anstalten machte, sie ihm abzunehmen. „Monsieur Dale, nehme ich an.“

„Was von ihm übrig ist, ja.“ Ich hob die Papiere auf, bevor ich die beiden Taschen auf den Asphalt warf. Dann löste ich meinen Sicherheitsgurt und hievte meine bebende Person aus dem Trike.

„Sie haben natürlich ein Upgrade auf die erste Klasse“, sagte der Flughafenmitarbeiter. „Das Boarding ist seit ein paar Minuten abgeschlossen. Aber der Kapitän war bereit, auf Sie zu warten, meine Herren. Wenn Sie so freundlich wären, mir zu folgen, bitte. Ihr Flugzeug ist gleich da drüben.“

Stöhnend hob ich die Taschen auf.

Charles geleitete uns zu einem Flugzeug auf der anderen Seite des Rollfelds. Die Motoren liefen bereits. Eine stirnrunzelnde Stewardess wartete oben auf der Passagiertreppe und schaute auf ihre Uhr. Er winkte ihr zu, und sie machte eine ungeduldige Handbewegung.

„Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug und einen schönen Aufenthalt“, sagte Charles.

„Danke. Sehr nett von Ihnen“, antwortete de Montferrat.

„Schöne Grüße auch an Mélusine.“ Sterne glitzerten in den Augen des jungen Mannes. Ich vermutete, dass meine Kollegin mit der sinnlichen Stimme der wahre Grund für unser Upgrade war.

„Wird gemacht, guter Mann. – Monsieur Dale? Schlafen Sie nicht ein!“ De Montferrat stürmte flink die Treppe hinauf, während ich hinter ihm her trottete. Das hohle Gefühl in meinem Magen wollte einfach nicht verschwinden.

Die stirnrunzelnde Stewardess bat uns in die Kabine, während eine ihrer Kolleginnen die Tür hinter uns schloss.

Ägypten – wir kommen, dachte ich. Das heißt, wenn ich die bevorstehende Tortur überlebe.

+++

Wie sich herausstellte, war das Flugzeug nur halb voll. Die erste Klasse hatten wir sogar ganz für uns allein. Sie bestand zwar nur aus drei Reihen, aber trotzdem. Ich fühlte mich beinahe wie ein Mitglied des Königshauses.

Obwohl ich bezweifelte, dass sich die Royals mit einem so klaustrophobisch kleinen Raum abfinden würden.

Mir gefiel es hier nicht. Ganz und gar nicht.

Auf Anweisung der mürrischen Stewardess verstaute ich unser Gepäck in einem Gepäckfach, setzte mich neben de Montferrat und schnallte mich an. Es fiel mir schwer, nicht nervös mit den Beinen zu zappeln.

Der Untersekretär lächelte mich an. Er berührte das Revers meines Blazers. „Kein Grund, kribbelig zu sein. Ich glaube, Ihren Ausweis brauchen Sie jetzt auch nicht mehr, Monsieur Dale.“

„Oh.“ Ich blickte an mir herab. Er hatte recht, der Ausweis war noch immer da. Mit zitternden Fingern nahm ich ihn ab und steckte ihn in die Außentasche meines Blazers. Bevor er hineinglitt, sah ich, dass sich der Text geändert hatte. Nicht nur unsere Flugtickets waren upgegradet worden. Ich auch. Vom „Besucher“ zum „Persönlichen Assistenten von Untersekretär de Montferrat“. Wann und wo das passiert war, hätte ich beim besten Willen nicht sagen können. Es war mir auch ziemlich schnuppe.

Zehn Minuten später waren wir in der Luft. Ohrenbetäubender Motorenlärm hatte den kleinen Raum erfüllt (hatten sie die Türen wirklich zugemacht?), die Sicherheitsmaßnahmen waren erklärt worden, und als wir abrupt abhoben, hatte sich mein Magen zu einem Organ zusammengedrückt, das so dünn wie Zigarettenpapier war. Ich fühlte mich immer noch angespannt, aber zumindest wusste ich, dass eine der gefährlichsten Flugphasen hinter mir lag.

Die Vorhänge zur Economy-Class wurden geschlossen, die Stewardess trat an uns heran. Sie war jetzt professionell freundlich und fürsorglich. „Willkommen an Bord. Ich heiße Nabila und bin dafür verantwortlich, dass Sie sich bei uns wohl und sicher fühlen, meine Herren. Das Mittagessen wird in Kürze serviert. Darf ich Ihnen in der Zwischenzeit eine Erfrischung anbieten?“

„Oh ja, gerne. Ein Gläschen Champagner.“ De Montferrat schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Er drehte sich zu mir. „Ich hoffe, Champagner passt Ihnen.“

„Ähm, ja, wunderbar.“ Mir war alles recht, wenn es bloß meine blank liegenden Nerven beruhigte.

Nachdem unser Getränk serviert worden waren, lehnte sich der Untersekretär zurück und öffnete den Reißverschluss seiner Lederjacke. Alles, was er darunter anhatte, war seine herrliche blasse Haut. Er seufzte frustriert. „Und jetzt sind wir hier sechs Stunden eingepfercht. Wie öde! Ich hasse Flugzeuge.“

Wahrscheinlich weniger als ich. Ich versuchte, mein Unbehagen hinter einer mondänen Bemerkung zu verbergen. „Tja, schneller kommt man leider nicht nach Ägypten.“

„Doch. Aber Mildred ist auf Urlaub, Humphrey hat sich in der Walachei verletzt, und Fred kann aus der Zentrale nicht weg. Es blieb uns also keine andere Wahl.“

Auch das ergab wieder einmal absolut keinen Sinn. Aber auf die Schnelle würde ich sicher keine simple Antwort bekommen, also murmelte ich: „Mildred. Humphrey. Fred. Aha.“

De Montferrat starrte mich an. Aus heiterem Himmel sagte er: „Es ist erstaunlich, wie problemlos Sie alles hinnehmen, Monsieur Dale. Nichts scheint Sie aus der Fassung zu bringen.“

Wie er zu dem Schluss kam, war mir unklar. Ich fühlte mich sehr aus der Fassung gebracht. Schließlich saß ich in einem Flugzeug und musste meinen Jungfernflug über mich ergehen lassen, wenn ich mein Erlebnis im abscheulichen Trike ausblendete.

„Ich glaube, meinem Hirn sind die Synonyme für ‚unerwartet‘ und ‚erstaunlich‘ ausgegangen“, improvisierte ich.

Er gluckste. „Kann es sein, dass Ihr Stoizismus von der ‚stiff upper lip‘ kommt, für die ihr Briten bekannt seid? Immer Haltung bewahren und so?“

„Das klingt nach einem Vorurteil, wenn Sie mir diesen Kommentar erlauben.“

„Natürlich. Sie haben recht.“ Nachdenklich nippte er an seinem Champagner, seine dunklen Augen waren immer noch auf mich gerichtet. Mir fiel auf, wie faszinierend sie waren. „Aber Sie sind bemerkenswert hart im Nehmen, Monsieur Dale. Eine Frage: Sie sind mit dem Zug nach Paris gekommen, oder?“

Ich nickte.

„Dann sitzen Sie jetzt zum allerersten Mal in einem Flugzeug, stimmt’s?“

„Ähm, wie haben Sie das denn erraten?“

Er lachte erneut. „Ihre Lippen sind fest zusammengekniffen, Ihre Atmung geht schnell und flach, Ihre Augen haben etwas Rasendes, und Sie krallen sich so intensiv an die Armlehnen, dass Ihre Knöchel weiß hervorstehen, Monsieur Dale.“

Verdammt! Hatte er gerade einen Verrückten beschrieben, oder was?

Ich versuchte, meinen Stress in den Griff zu bekomme, war mir aber nicht sicher, dass es mir gelang. „Ähm, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich Simon zu nennen, Monsieur?“, schlug ich mit wackeliger Stimme vor.

„Natürlich nicht. Dann müssen Sie mich aber Rodelio nennen.“ Er lächelte und berührte meinen Arm. „Sie sind hier in Sicherheit, Simon. Entspannen Sie sich.“ Sein Tonfall war samtig und überzeugend. So überzeugend, dass ich mich tatsächlich ein bisschen gelassener fühlte. Ich hätte mich fragen sollen, wie er das angestellt hatte und was zum Teufel hier los war. Aber ich fühlte endlich eine tiefe innere Ruhe und beschied, dass es mich wenig interessierte. Irgendwie war es, als hätte ich eine Beruhigungstablette eingenommen. Eine starke Tablette noch dazu; ich hätte mich wahrscheinlich sogar freiwillig gemeldet, um den Piloten abzulösen, wenn Rodelio angefangen hätte, mir wieder etwas vorzusummen.

Er summte jedoch nicht. Er starrte bloß in mein Gesicht und nickte. „Fühlen Sie sich besser?“

„Oh, ja.“

„Gut. Dass mein Assistent vor Angst schlottert, wäre mir ziemlich unangenehm. So… sagen Sie mal, Simon, was wissen Sie über das UNBUA?“

„Nichts. Ich wusste nicht einmal, dass es die Agentur gibt, bevor ich Ihr Bürogebäude betrat.“

„Wir versuchen, unauffällig zu bleiben.“

„Erfolgreich.“

„Es ist nicht immer einfach. Aber je weniger die Leute über uns wissen, desto besser.“