Wie kriegt man einen Premierminister ins Bett - Dieter Moitzi - E-Book

Wie kriegt man einen Premierminister ins Bett E-Book

Dieter Moitzi

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Beschreibung

Ein Junge, der nicht an die Liebe glaubt, lernt einen Mann kennen, der keine Zeit dafür hat. Klingt das nicht nach einer Liebesgeschichte, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden… Dirk Bormann langweilt sich. Und zwar gewaltig. Weil Stinksö – meine Güte! In seinen Augen der letzte Außenposten der Zivilisation im hohen Norden. Ein kleines Inselchen, drei Stunden vom pulsierenden Stockholm – und den geilen Männern! – entfernt, wo man nur Eichhörnchen und den einen oder anderen Elch zum Reden hat… Dann endet sein erster Kajakausflug fast tödlich. Zum Glück fischt ihn ein gutaussehender Volkswirtschaftsprofessor, Sven Bergson, aus dem tosenden Meer. Sie essen gemeinsam zu Abend, sie plaudern und lachen miteinander, sie schlafen im selben Bett (leider ganz züchtig), sie entdecken, dass vieles sie verbindet. Und plötzlich scheint es da Platz für mehr zu geben… Doch Dirk hat sich vorgenommen, dass er sich nie verlieben wird, und Sven hat sowieso keine Zeit dafür. Einen emsigeren Universitätsprofessor hat die Welt noch nicht gesehen. Oder steckt etwas anderes dahinter als bloße Uniarbeit? Was auch immer es ist, als die beiden sich in Stockholm wiedersehen, springt ein Funke über, der bei beiden Verwirrung auslöst… Könnte es Liebe sein? Und stehen nicht alle Anzeichen gegen sie? Das ist die dritte und letzte Sommerromanze der Serie „Leichte Herzen“.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Zusammenfassung

Ein Junge, der nicht an die Liebe glaubt, lernt einen Mann kennen, der keine Zeit dafür hat. Klingt das nicht nach einer Liebesgeschichte, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden…

Dirk Bormann langweilt sich. Und zwar gewaltig. Weil Stinksö – meine Güte! In seinen Augen der letzte Außenposten der Zivilisation im hohen Norden. Ein kleines Inselchen, drei Stunden vom pulsierenden Stockholm – und den geilen Männern! – entfernt, wo man nur Eichhörnchen und den einen oder anderen Elch zum Reden hat…

Dann endet sein erster Kajakausflug fast tödlich. Zum Glück fischt ihn ein gutaussehender Volkswirtschaftsprofessor, Sven Bergson, aus dem tosenden Meer. Sie essen gemeinsam zu Abend, sie plaudern und lachen miteinander, sie schlafen im selben Bett (leider ganz züchtig), sie entdecken, dass vieles sie verbindet. Und plötzlich scheint es da Platz für mehr zu geben…

Doch Dirk hat sich vorgenommen, dass er sich nie verlieben wird, und Sven hat sowieso keine Zeit dafür. Einen emsigeren Universitätsprofessor hat die Welt noch nicht gesehen. Oder steckt etwas anderes dahinter als bloße Uniarbeit? Was auch immer es ist, als die beiden sich in Stockholm wiedersehen, springt ein Funke über, der bei beiden Verwirrung auslöst… Könnte es Liebe sein? Und stehen nicht alle Anzeichen gegen sie?

Das ist die dritte und letzte Sommerromanze der Serie „Leichte Herzen“.

Dirks Kritzeleien

auf schwarz vertraue ich,

auf schattenliebhaber,

auf dunkle leidenschaft,

neumondberührungen

ich küsse in schwarz,

und die einsamkeit ist

mein sicherer hafen

SOS

Wo bin…

SPRITZ!

… wo bin ich, verdammt noch mal?

Wo verdammt noch mal komme ich her?

SCHWAPP!

Und wo zum Teufel geht’s lang?

Tiefgründiger Scheiß für einen Freitagnachmittag, stimmt. Das heißt, ich hoffe, es ist immer noch Freitagnachmittag. Sicher bin mir da nicht ganz – es fühlt sich an, als würde ich schon wochenlang mit den Elementen kämpfen.

SPRITZ! KLATSCH!

Ich brauche eine Antwort. Und zwar dringend. Was Heidegger, Nietzsche, Schopenhauer, Hegel oder Kant zu dem Thema zu sagen hatten, könnt ihr mir ersparen. Ich bin sicher, dass sie famose Kerle mit famosen Antworten waren. Aber abstrakte Konzepte sind mir momentan pupsegal. Meine Fragendreifaltigkeit betrifft Bodenständigeres, oder besser gesagt: Wasserständigeres. Nämlich das Hier und Jetzt, also konkret: „Wo verdammt noch mal bin ich wirklich? Wo ist das bekackte Ufer, das ich hinter mir gelassen hab? Und wo ist die verfickte Insel, auf die ich zugepaddelt bin?“

Seht ihr, genau das tu ich nicht. Nämlich sehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die grauen Wolken hängen so tief, dass sie mit dem dunkelgrauen Meer verschwimmen und die Trennlinie, wo eins endet und das andere beginnt, unsichtbar geworden ist. Das tobende Unwetter klatscht mir Regenschauer ins Gesicht. Meterhohe Wellen lassen mein Kajak auf und ab hüpfen, drehen es und wirbeln es in alle Richtungen, schütteln es wie einen von einem sehr angepissten Barkeeper gemixten Cocktail.

KLATSCH!

Ehrlich, Leute – ich bin geliefert. Dazu verdammt, in den eisigen, sturmgepeitschten Gewässern dieses verfluchten Ecks im Stockholmer Archipel zu ersaufen.

SCHWAPP!

Der richtige Moment, in Panik auszubrechen, wäre schätzomativ… jetzt.

Oh Götter, ich schwöre, ich werde mich bessern, wenn ich das hier überlebe! Ich kümmere mich um Waisen und Witwen. Ich werde für einen guten Zweck spenden. Ich werde mich ernsthaft für die Erderwärmung und für Dritteweltprobleme interessieren. Ich werde Rosenkohl essen und ihn lecker finden. Ich werde jeden Moment in vollen Zügen genießen und nie wieder Trübsal blasen! Um Himmels willen, ich werde mich sogar verlieben, wenn das die Bedingung sein sollte, dass ich überlebe!

Odin, Freyja, Thor – ich verspreche es!

KLATSCH!

Bis aufs Knochenmark durchnässt, durchgefroren im beißenden Nordwind und arktischen Regenguss, beiße ich meine Zähne so fest zusammen, dass meine Kiefermuskeln sich in Marmor verwandelt haben. Wie die Temperatur in wenigen Minuten von satten 25 Grad auf diese Kälte herabsinken konnte, ist mir schleierhaft.

Links, rechts, links, rechts, links, rechts.

Ich habe immer gedacht, ich wäre durchtrainiert, aber lange werde ich nicht mehr durchhalten. Meine Oberschenkel fangen an, sich zu verkrampfen, weil ich sie seit ein, zwei Ewigkeiten gegen den Plastikrumpf drücke. Meine Arme sind zu langen, schmerzenden Automaten geworden, von der Schulter bis zum Handgelenk, und mein Rücken, meine Brust und mein Bauch tun auch schon weh. Es wäre einfacher, mich zu fragen, welcher Teil meines Körpers keine Schmerzsignale aussendet.

Links, rechts, links, rechts, links, rechts.

Verbissen paddle ich weiter. Ich kann mich nicht bezwingen lassen. Ich darf mich nicht bezwingen lassen. Sonst bringt mich eine dieser riesigen Wellen zum Kentern, und dann ist Schluss. Mein Tod durch Ertrinken ist wahrscheinlich nur noch eine Sache von Minuten; aber solange meine Kraft ausreicht, werde ich weiterkämpfen.

Links, rechts, links, rechts, links, rechts.

KLATSCH! SCHWAPP! SPRITZ!

Mein ganzes Leben zieht übrigens nicht vor meinen Augen vorbei, wie die Leute immer behaupten. Mein Kopf ist nämlich so voll mit geschrienen, gekreischten, gebrüllten, gebetsartig vorgebrachten „Scheiße!“-Rufen, dass was anderes einfach keinen Platz mehr hat.

Scheiße! Scheiße! SCHEISSE! Ich will nicht sterben, Leute! Bitte!

KLATSCH!

Wie’s dazu kam

Eine kurze Rückschau auf heute Morgen. Da fing eigentlich alles an. Auch wenn ich oft denke, dass alles am Tag meiner Geburt angefangen hat.

Aber das wäre dann ja eine ganz andere Geschichte.

Als ich aufwachte, fiel mir wieder ein, welcher Tag heute war. Die Funktionsweise meines Hirns ist ziemlich unergründlich, wisst ihr. Namen oder Wörter vergesse ich oft im Handumdrehen oder bringe sie durcheinander. Aber ein Datum, ein Ereignis? An so was erinnere ich mich problemlos.

Also ja. Ich wusste, dass heute ein besonderer Tag war. Sollte es nicht sein, war es aber. Ich wusste auch, dass heute kein guter, sondern ein beschissener Tag sein würde. Aus gewissen Gründen. Stellt keine Fragen, ja?

Ich krabbelte mürrisch aus dem Bett, pisste, warf ein paar Klamotten über meinen nackten Körper und schleppte mich in die Küche, um mir eine schöne, große Kanne Kaffee zu kochen. Er musste stark sein und so schwarz wie meine Laune.

Das Wetter war dufte. Sonnenschein, sanfte Temperaturen, eine leichte Sommerbrise. Vögel zwitscherten, was das Einzige war, das die ohrenbetäubende Stille der Insel aufstörte.

Ach, Stinksö. So ein Stinkloch. Auf Deutsch würden wir stöhnen, dass sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Auf Französisch würden wir die Insel „le trou du cul du monde“ nennen – den Arsch der Welt. Unmittelbar verständlich, oder? Ich bin sicher, die Schweden können’s noch kürzer und prägnanter. Sie sagen einfach „Stinksö“.

Genau. So heißt meine verdammte Insel.

Gern geschehen.

Um elf saß ich auf der Terrasse, schlürfte meine x-te Tasse, starrte düster auf den Fichtenhain vor mir und dachte: Mein Gott – Natur, Natur, Natur… wo kommt bloß die ganze Natur her? Wirklich Unmengen davon, grün und saftig und voller Leben. Igitt.

Da klingelte das Festnetztelefon. WLAN hatten wir hier keins, aber einen bekackten Festnetzanschluss. Man fragt sich echt, warum.

Mit der Tasse in der Hand stürzte ich ins Haus hinein, denn hey, Telefon bedeutete Kontakt mit der Menschheit.

Meine Tante Karin war am Apparat.

„Hallo, Liebling“, trällerte sie.

„Hey, Tante.“

Jemand rief im Hintergrund etwas, das überraschenderweise wie… Griechisch klang. Was sollte das denn? Tantchen sollte doch in der Ostsee herumkreuzen! Bevor ich mich erkundigen konnte, was los war, meinte sie herzlich: „Ich glaub, ich brauch dich nicht fragen, wie’s dir geht. Also frag ich stattdessen: Wie schlägst du dich durch?“

„Wunderbar, Tante.“

„Hmpf.“

„Wirklich. Ich versteh gar nicht, warum du fragst.“

„Komm schon. Wir wissen, welcher Tag heute ist, und wir wissen ebenfalls, wie niedergeschlagen du immer bist.“

„Ich bin nicht niedergeschlagen, Tantchen!“

„Lüg mich nicht an!“ Ihr Ton war scharf. Geduld konnte man Tante Karin bestimmt nicht vorwerfen.

Wir schwiegen einen Moment. Ein Specht tock-tock-tockte auf einem Baum hinter dem Haus. Dann murmelte meine Tante sanft: „Ach, ich wär jetzt gern bei dir, Liebling.“

„Wozu denn? Um mein Händchen zu halten? Mir über die Haare zu streichen?“

Sie schnaubte. „Als ob das jemals was geändert hätte. Nein, wir könnten reden.“

„Wir reden ja.“

„Von Angesicht zu Angesicht, du dummer Junge.“

Ich lehnte mich auf dem Holzstuhl zurück und kratzte mich am Kopf. „Ob du’s glaubst oder nicht, es gibt nichts zu bereden.“ Ich hörte sie wieder „Hmpf“ machen, also fügte ich hinzu: „Nichts, worüber ich reden möchte.“

„Es ist auf den Tag fünf Jahre her! Du solltest schön langsam über deine Gefühle sprechen.“

„Das Thema ruft in mir aber keine Gefühle hervor.“

„Blödsinn. Sie war deine Mutter, um Himmels willen.“

„Auf dem Papier.“

Tante Karin seufzte. „Für jemanden, der mir einreden will, dass alles eitel Honiglecken ist, klingst du ziemlich aufgewühlt, Liebling.“

Ihre Stimme war so weich, dass ich nachgab. „Okay. Vielleicht bin ich heute tatsächlich ein bisschen nachdenklich. Aus den Gründen, auf die du anspielst. Die Tatsache, dass ich in diesem letzten nördlichen Außenposten der Zivilisation feststecke, verbessert die Situation auch nicht unbedingt. Und die Aussicht, den ganzen Tag nichts zu tun zu haben, noch weniger.“

„Warum bist du nicht mit der Morgenfähre nach Stockholm gefahren, Liebling?“

„Bin zu spät aufgewacht.“

„Du könnest immer noch die Mittagsfähre nehmen.“

Ich seufzte. „Ich weiß, das klingt verrückt, aber ich hab heute keine Lust auf Menschenmengen.“ Ich sagte ihr nicht, dass ich Stinksö seit einer Woche nicht verlassen hatte, weil sie sich unnötig Sorgen machen würde. „Ich denke, ich werde später spazieren gehen. Oder ich schau kurz bei Gunnar vorbei. Sicher ist das aber nicht. Du weißt ja, wie geschwätzig er ist. Wahrscheinlich bleib ich einfach hier und unterhalte mich mit einem Eichhörnchen.“

Tante Karin kicherte. Dann meinte sie: „Warum gehst du nicht zum Bootshaus runter? Ich bin mir sicher, dass du’s dir noch nicht einmal angesehen hast. Du könntest, ich weiß auch nicht, schwimmen gehen.“

Ich schnaubte. „Dass du verrückt bist, Tantchen, hab ich immer für selbstverständlich gehalten. Aber der Vorschlag setzt dem Wort ‚verrückt‘ noch mal ein Sahnekrönchen auf. Das Meer hat höchstens fünfzehn Grad! Falls du mich umbringen willst, musst du wissen, dass ich mein Geld schwulen Hilfsorganisationen vermache. Du bekommst keinen Cent.“

Sie lachte herzlich. „Du dummer, dummer Junge. Als ob ich dein Geld brauchte. Okay, geh nicht schwimmen. Mach was anderes. Da wäre zum Beispiel das Ruderboot…“

Ich hörte Onkel Sven was einwerfen, das Tante Karin sofort weitergab: „Man weist mich darauf hin, dass es auch ein paar Kajaks gibt. Bist du nicht letztes Jahr in Griechenland gern Kajak gefahren?“

„Bin ich, aber hauptsächlich, weil ich mit dem Typen im Wassersportzentrum eine kurze Affäre hatte. Stavros, oder?“

„Der große, gut aussehende Junge mit dem Lippenpiercing? Hieß der nicht Yiorgos?“

„Ach was, Yiorgos war der Kellner vom Strandcafé. Der mit der Tintenfischtätowierung.“

„Dann hieß er Christos.“

„Oder Dimitrios.“

„Athanasios?“

„Vielleicht Thermos. Wie auch immer.“ Ich seufzte. Sie merkt sich Namen fast so schlecht wie ich.

„Aber klingt ein Kajakausflug nicht nach einer tollen Idee?“, meinte Tante Karin hartnäckig. „Ich bin sicher, das würde dir gefallen. Die kleineren Inseln rund um Stinksö sind wunderschön, so wild und naturbelassen…“

Ich schnaubte, weil noch mehr Natur?

„… und sie sind in Reichweite. Du könntest den Tag an einem schönen Strand verbringen und an andere Dinge denken als…“

Ich unterbrach sie rasch: „In Ordnung, in Ordnung. Ich werd es mir mal anschauen.“

Wir unterhielten uns noch ein bisschen, und ich erfuhr, dass ich nicht halluziniert hatte. Tante Karin und Onkel Sven waren tatsächlich nicht irgendwo zwischen dem Kattegat und Sankt Petersburg unterwegs, wie ich naiv geglaubt hatte, sondern befanden sich in Griechenland. In Tantchens Haus, wo ich letzten Sommer gewohnt hatte und wo es mir gelungen war, den großen, gutaussehenden Stavros mit dem Lippenpiercing (falls das sein Name war) ins Bett zu kriegen. Und Yiorgos mit der Tintenfischtätowierung auch. Sowie unzählige andere.

„Ich hab Sven gesagt, dass ich Sonne und Wärme brauche“, meinte Tante Karin anstelle einer Erklärung. „Ich wollte auch endlich von diesem Boot runter.“

„Das ist eine Jacht, um Himmels willen“, protestierte Onkel Sven auf Englisch. Er hatte anscheinend das deutsche Wort „Boot“ verstanden, was mich vermuten ließ, dass das schwedische Wort ähnlich klingen musste. Ja, meine Tante und ich sprechen Deutsch. Weil wir Deutsche sind.

Tante sagte beruhigend: „Natürlich, mein Honigbrötchen. Eine Jacht.“

Ich kicherte. Tante Karin… Sie war wirklich einzigartig. Kennt ihr viele Leute, die Kreuzfahrten lieben, aber es hassen, auf einem Boot zu sein? Oder auf einer Jacht?

Als wir auflegten, fühlte ich mich besser. Spontan beschloss ich, mir Tante Karins Vorschlag zu Herzen zu nehmen. Nämlich die Kajakfahrt. Was hatte ich zu verlieren?

Ich duschte, zog mir ein T-Shirt und Shorts an und begutachtete dann die große Karte des Archipels, die im Flur hing. Ich fand einen Ort, den ich in einer Stunde erreichen konnte. Östra Stinksö, ein anderes Inselchen ein paar Kilometer von hier entfernt. Der Name bedeutet übrigens Oststinksö. Obwohl das Inselchen aufgrund seiner Größe Mycket Liten Stinksö oder Fitzifutzi-Stinksö heißen sollte.

Ja, ich hatte ein bisschen Schwedisch gelernt. Nur Bruchstücke, das eine oder andere Wort, ein paar brauchbare Formeln. Snälla, tack, ursäkta, hej, fan, det är superdyrt för en sån liten öl, kan vi gå hem till dig? oder Vill du knulla? Was „Bitte“, „Danke“, „Entschuldigung“, „Hallo“, „Scheiße, das ist ja urteuer für so ein kleines Bier“, „Können wir zu dir gehen?“ und „Willst du ficken?“ bedeutet.

Nützliches Zeug, wir ihr seht.

Selbstverständlich hatte ich diese Wörter auf Internet aufgestöbert, was bedeutet: Angaben ohne Gewähr. Ich brachte sowieso oft Dinge durcheinander und machte mich völlig lächerlich. Aber die Schweden fanden das liebenswert. Mein unbeholfenes Schwedisch gewährte mir Zugang zu Unterhoseninhalt und Bett, und das war alles, was ich wollte.

Ich ging zum Bootshaus runter, wo mein iPhone im wasserdichten Innenfach eines Kajaks landete. Dann schob ich selbiges ins Wasser, paddelte aus unserer Bucht raus, und hielt auf die dicht bewaldete kleine Erhebung zu, die ich in der glatten See liegen sah. Der Himmel war immer noch eine arktisch blaue Unendlichkeit, mit ein paar flauschigen Wolken am Horizont, und die Sonne ließ die sanften Wellen aufglitzern.

Mein Lebensretter trägt gelb

Flauschige Wolken und sanfte Wellen – das sollte wohl ein Witz sein! Wie sich herausstellte, waren diese Wolken keineswegs flauschig, sondern Vorboten einer fiesen Unwetterfront! Gut, sie sahen ein bisschen bedrohlich aus, und Form und Farbe hätten mir zu denken geben müssen. Aber ich war immer noch in Grübellaune wegen… gewisser Dinge. Selbst wenn ich klarer gedacht hätte, hätte ich sowieso nicht vorhersehen können, dass das Wetter so schnell umschlagen würde. Ich meine schnell wie in „Du drückst auf einen Knopf, und die Hölle bricht los“. Denn genau das geschah nur zwanzig Minuten, nachdem ich die ruhigen Gewässer rund um Stinksö verlassen hatte.

Und jetzt stecke ich in dieser verdammten Scheiße.

Links, rechts, links, rechts.

KLATSCH! SCHWAPP!

Kalt. So kalt. Sogar die Sätze in meinem Kopf frieren ein. Regen und Meer pieken in meine nackten Arme, Eisböe auf Eisböe, und ich fühle, wie mein Herz bleierne Erschöpfung durch meine Adern pumpt. Nur noch ein paar Minuten, und ich gebe mich geschlagen, überlasse mich den Elementen und akzeptiere mein Wassergrab.

Er war so hübsch. So jung. Hatte noch seine ganze Zukunft vor sich. Obwohl er nicht wusste, wie man liebt, wurde er… geliebt. Von ein paar Leuten. Irgendwie. Zumindest hofft er das, sonst wäre seine Geschichte echt traurig.

Himmel. Ich fange schon an, an mich in der dritten Person zu denken. Ist sicher kein gutes Zeichen. Oder?

Aber wartet mal. Was ist das für ein Geräusch?

Ich blicke auf, und ein weiterer Regenschauer fetzt mir in die Augen. KLATSCH!

Ich glaube, ich kann trotz Regendröhnen und wütender See etwas hören.

Kann das… ein Motorboot sein? Oder rauscht da ein bisher unbekannter Mahlstrom, der spontan aufgetaucht ist, um mich in den Tod zu ziehen?

Hör auf, Bormann. Du bist fast schon hysterisch. Nicht ganz grundlos, okay, aber Hysterie wird dir auch nicht weiterhelfen.

Was auch immer es verursacht, das Geräusch kommt stetig näher. Vom Rauschen der Wellen zerhackt, hört es sich solide, maschinell und dadurch beruhigend an.

KLATSCH!

Ist wirklich jemand ausgezogen, mich zu retten? Oder ist das bloß die nächste Etappe, die meine letzten Lebenszüge versüßen soll? Die Phase, die eintritt, nachdem man auf sich selbst in der dritten Person angespielt hat? Wenn man anfängt, sich Dinge einzubilden?

Nein. Ich glaube nicht, dass ich halluziniere. Das Geräusch ist reell. Es wird immer lauter. Und klingt auch überhaupt nicht wie ein Mahlstrom.

Vor Freude und Erleichterung schluchze ich beinahe auf, während ich mich doppelt anstrenge, die Schmerzen in meinen Armen und Beinen ignoriere und versuche, mein Kajak auf das Geräusch zuzusteuern. Nach einigen langen Minuten des Kampfes kann ich eine schwarze Form in der Endzeitdunkelheit ausmachen. Ein alter rot-weißer Fischkutter taucht plötzlich neben meinem Kajak auf, zieht einen engen Kreis um mich und hüpft dabei wild auf den Wellen. In der kleinen Bugkabine steht eine menschliche Gestalt in einem gelben Regenmantel.

Jetzt tanzt das Boot vor mir.

Jetzt habe ich es hinter mir.

Der Motor wird gedrosselt.

Die gelbe Gestalt kommt aus der Hütte gerannt und schreit etwas, das sofort vom Lärm des Sturms verschluckt wird. Dann lehnt er (oder sie) sich über die Reling und streckt mir einen Arm entgegen.

Obwohl Kajak und Boot ständig auf- und abschwappen, gelingt es mir, nach der Hand zu greifen und mich an ihr festzuklammern.

Alles geht jetzt sehr schnell, obwohl ich es wie in Zeitlupe registriere.

Als mein Retter mich näher zieht, kann ich ihn (sie?) grunzen hören. Alles glitscht, ich spüre, wie unsere klammen, kalten Hände aneinander abrutschen, und plötzlich habe ich Angst, dass das Ganze immer noch fatal enden könnte. Eine dumme Frage kommt mir in den Sinn: Soll ich das Paddel wegwerfen oder nicht? Das Kajak beginnt, einen Wellenkamm zu erklimmen, der Fischkutter einen anderen, eine Böe spritzt mir noch mehr Regen ins Gesicht… KLATSCH. Der Retter in Gelb umklammert meinen Arm mit beiden Händen, während ich das Paddel endlich loslasse. Eine sanfte, aber ruckartige Bewegung, ich werde hochgehievt. Zusammen mit meinem Kajak, das ich immer noch zwischen meinen gespreizten Schenkeln festklammere. Ich und das Kanu purzeln auf meinen Retter.

Meine Oberschenkelmuskeln entspannen sich, ich kralle mir sofort mit zitternder Hand mein Kajak und starre in zwei funkelnde Augen über einer regennassen Nase und einem durchtränkten Bart. Ach. Schau. Mein Retter ist ein Mann. Mehr kann ich nicht erkennen, weil er mich sofort wegschubst und auf Englisch brüllt: „What the fuck? Warum hast du das Kajak nicht zurückgelassen? Du hättest uns beide umbringen können, du Idiot!“

Kein tosender Sturm hätte diesen wütenden Schrei überdröhnen können.

„Danke, dass du mich gerettet hast!“, schreie ich zurück, bevor ich ihm einen feuchten Kuss auf den Mund drücke.

Er stößt mich weg und funkelt mich noch mal an. Dann rappelt er sich hoch, wankt in die Kabine zurück, schnappt sich das Ruder und drückt auf Vollgas. Mit dem Kajak im Schlepptau folge ich ihm hinein und sinke gegen eine Kabinenwand.

Wir schießen über das Inferno, plumpsen von Welle zu Welle. Mein Retter dreht sich kurz um und sieht mich wieder finster an. Er öffnet den Mund, bis ihm einfällt, dass ich in diesem lauten Sturm wahrscheinlich kein Wort verstehe. Also konzentriert er sich darauf, uns in Sicherheit zu bringen.

Ich halte mich an der Kabinenwand fest und schließe die Augen. Er kann finster dreinblicken und schreien, so viel er will, das ist mir scheißegal. Meine letzte Energie ist mittlerweile auf den Meeresgrund gespült. Ich bin nur froh und dankbar, dass ich nicht tot bin.

Eine heiße Dusche… und Hasenschwänzchen

Nach einer scheinbar endlosen, holprigen Fahrt erreichen wir eine relativ geschützte Bucht, wo der gelbe Mann den Fischkutter an Pollern befestigt, bevor er mich einen rutschigen Pfad hinaufhetzt und in ein Haus schiebt. Soweit ich sehen kann, ist es ein Torp, ein typisches schwedisches Holzhäuschen. Vom Grundriss rechteckig, einfach, solide und gemütlich gebaut, im typischen Falu-Rot gestrichen, mit weißen Fenster- und Türrahmen.

Ich stehe jetzt in einem hell erleuchteten Flur: weiß, holzgetäfelt, sehr wohnlich. Alles wirkt bodenständig, von der roten Holzbank über die Holzhaken für Mäntel und Jacken bis hin zur weißen Kommode und den Fotos und Aquarellen an den Wänden. Mein Retter, immer noch in seinen triefenden Regenmantel gehüllt, wickelt in ein Badetuch um mich und beginnt, mich trocken zu reiben.

Ich zittere so heftig, dass ich gerade mal, „D-d-danke…“ stammeln kann.

„Sch-Sch-Sch. Du musst nicht reden.“ Die Stimme des Mannes ist tief, ein bisschen rau und angenehm sanft. Wie die meisten Schweden spricht er sehr gut Englisch. Ich stelle erleichtert fest, dass seine Wut anscheinend verraucht ist. „Komm, zuerst brauchst du eine heiße Dusche. Ich zeig dir das Badezimmer, dann mach ich uns Tee.“

„S-s-sorry… h-h-h-h-asse… T-t-t-tee… k-k-kann’s auch K-k-kaffee s-s-sein?“

Mein Retter lächelt breit. „Okay. Kaffee“, meint er. „Und du – unter die Dusche.“

Ich lasse mich den Flur entlang und in ein großes Badezimmer mit begehbarer Dusche schieben.

„Ich lass die Tür offen“, sagt er. „Schrei einfach, wenn du Hilfe brauchst. In der Zwischenzeit schau ich mal, ob ich trockene Klamotten für dich finde.“ Er tätschelt meinen Arm, bevor er mich allein lässt.

Mit zittrigen Schusselfingern ziehe ich meine nassen Turnschuhe, das T-Shirt, die Shorts, Boxershorts und Socken aus und bibbere so stark, dass ich mich am Waschbecken festhalten muss.

Als ich endlich nackt bin, stürze ich unter die Dusche, drehe das Wasser auf und lasse es über meinen vereisten Körper rauschen. Herrlich! Das heiße Wasser piekst natürlich auf meiner Haut wie ein Bienenschwarm, aber ich genieße die Wärme, die sich langsam von meiner Pelle bis tief ins Fleisch und die Knochen ausbreitet.

Als mein Retter ins Badezimmer zurückkommt, kann ich ihn durch den Dampf, der inzwischen durch den Raum wabert, kaum sehen. Er legt ein Bündel auf den Stuhl neben dem Waschbecken und klaubt meine Kleider vom Boden auf. Ich hoffe inbrünstig, dass er nicht zu mir herguckt, denn mein Schwanz und meine Eier sind immer noch so schockgefroren, dass sie sicher aussehen wie die eines Neugeborenen.

Ich bleibe mindestens zehn Minuten unter der Dusche, bis mein Zittern nachgelassen hat. Dann drehe ich das Wasser ab und greife blind nach dem frischen Badetuch oben auf dem Bündel. Im beschlagenen Spiegel über dem Waschbecken erhasche ich einen flüchtigen Blick auf mich. Meine Haut ist hummerrot, meine Augen sehen gehetzt aus, mein blondes Haar steht igelig von meinem Kopf weg. Ich schaue aus wie einer, der gerade aus der Klapsmühle ausgebüchst ist. Was in mehr als einer Hinsicht stimmig wäre.

Ich trockne mich ab, bevor ich mir den zweiten Gegenstand schnappe und… JAPS.

Es handelt sich um einen Frotteeoverall mit Kapuze.

Einen pinkfarbenen Frotteeoverall, bitte schön! Er hat sogar ein Tüpfchen-auf-dem-i-Detail: einen weißen Hasenschwanz auf der Rückseite! Ich halte eine Hand vor meinen Mund, damit ich nicht laut losgackere. Jungs! Was ist das denn bitte für ein Gewand? Habe ich ein Gesicht, auf dem geschrieben steht: „Passt am besten zu einer Kinderverkleidung“? Ach, und danke für das dicke Paar Socken, aber, äh, Unterwäsche? Überflüssig? Ist mein Retter ein Perverser, der mich karnickeln will?

Nachdem ich den lächerlichen Overall einen Moment angestarrt habe, zucke ich mit den Schultern und schlüpfe hinein. Wer keine Wahl hat, hat auch keine Qual. Und wenn der Mann mich partout karnickeln will… dann werde ich halt sagen: „Passt, danke, gehen wir’s an.“

Der Overall ist kuschelig und warm, das muss ich zugeben. Ich sehe sicherlich aus wie ein Idiot, aber wie ich bereits erwähnt habe, ist mir zurzeit alles wumpe.

Ich drapiere das Badetuch ordentlich über den beheizten Handtuchhalter hinter der Tür. Dann schleiche ich mich auf Zehenspitzen den Flur entlang.

Mein lieber Schwan, mein Hasenfetischist war ganz schön fleißig. Der Boden, auf dem wir eine Wasser- und Schmutzspur hinterlassen haben, ist bereits trocken und sauber. Ein köstlicher Kaffee- und Zimtgeruch schwebt durchs Haus. Draußen rüttelt der heulende Wind an den hölzernen Wandverkleidungen, und das wütende Regenklatschen erinnert mich daran, was für ein Glück ich habe, hier zu stehen, in unsäglichen Kleidern, okay, aber immer noch in einem Stück, unersoffen und am Leben.

„Hey, Meeresfindling!“, ruft mein Retter. Seine Stimme kommt aus dem Raum rechts vom Eingang. „Ich bin hier im Wohnzimmer. Komm.“

Ich folge der Stimme…

… und bleibe prompt in der Tür stehen.

Mister Lebensretter sitzt auf einem Sofa vor einem offenen Kamin, in dem ein lustvolles Feuer knistert. Auf dem niedrigen Tischchen vor ihm stehen eine Kaffeekanne und zwei Tassen. Als ich eintrete, dreht er mir den Kopf zu und lächelt wieder. Es ist das erste Mal, dass ich mehr zu sehen bekomme als bloß seinen finsteren Blick, aufblitzende Zähne oder einen durchnässten Bart.

Er sieht gut aus. Mehr oder weniger. Nicht umwerfend, nicht der Typ, nach dem man sich auf der Straße umdreht. Bloß ein durchschnittliches Schnäppchen. Um einiges älter als ich, Mitte bis Ende dreißig, würde ich sagen. Er hat breite Schultern und eine massige Silhouette. Sehr männlich. Ihr wisst schon, männlich auf die Schnurrrrrr-Art. Sein dichtes, rotblondes Haar ist an den Seiten sehr kurz geschnitten, oben aber halblang, und fällt ihm über die Ohren und sein Gesicht. Den Bart, der mir bereits aufgefallen ist, hat er ordentlich auf Hipster-Proportionen getrimmt, und er hat jetzt eine schwarze Brille auf, durch die er mich mit durchdringenden blauen Augen anstarrt.

Dass ich jedoch stehenbleibe und von einem Ohr zum anderen grinse, hat nichts mit seinen Augen zu tun. Auch nicht mit seinem Aussehen.

Sondern mit seinem Outfit.

Denn ja – er hat den gleichen pinkfarbenen Frotteeoverall an wie ich.

Erste Eindrücke sind wichtig

Einen Moment lang stehe ich in der Tür, grinse und versuche, passende Worte zu finden. „Danke, dass du mich gerettet hast“, wäre nicht schlecht. Oder einfach „tack“. Womit ich jedoch herausplatze, weil die Funktionsweise meines Hirns eben so unergründlich ist, ist: „Hat deiner auch einen Hasenschwanz?“

„Was?“ Das Lächeln des Mannes verwandelt sich in ein verwirrtes Stirnrunzeln. So einen unerwarteten Einleitungssatz hat er wohl noch nie gehört.

„Dein Overall“, meine ich lahm. „Ähm, hat der auch einen Hasenschwanz?“

Er gluckst schließlich. „Oh. Der Overall. Ja, ich fürchte, er hat auch einen.“

„Wo hast du die Dinger denn gekauft?“

„Die waren ein Geschenk aus einer früheren Beziehung. Ich hab was Kuscheliges und Warmes für dich gesucht. Da ist mir eingefallen, dass ich die noch irgendwo in meinem Schrank hab.“ Er klopft aufs Sofa. „Warum setzt du dich nicht her?“

Ich gehorche. So nah bei ihm kann ich fast spüren, wie seine Körperwärme in meine Sicherheitszone eindringt und sich um mich legt. Das ist ein bisschen… verblüffend. Nicht die Wärme selbst, sondern meine seltsame Reaktion.

Ich räuspere mich und presche vor: „War sie blind oder was? Deine Ex, meine ich.“

Du bist ein echter Small-Talk-Spezialist, Bormann. Weiter so!

Er lacht. „Überhaupt nicht. Die Overalls waren als privater Scherz gedacht.“

„Oh. Sie hatte einen Hasenfetisch? Oder wollte dir subtil mitteilen, dass du dir Zeit lassen solltest, wenn du sie pompelst?“ Kaum sind mir die Worte über die Lippen gekommen, klatsche ich mir eine Hand vor den Mund. Weil hallo? Das ist absolut nicht, was man zu dem Mann sagen sollte, der einem gerade das Leben gerettet hat. „Tut mir furchtbar leid“, mummle ich durch meine Finger. Ich kann ihn gar nicht ansehen. „Manchmal schießen die dümmsten Sachen aus meinem Mund.“

Er klingt weder schockiert noch beleidigt. Eigentlich eher erheitert. „Kein Problem. Weißt du was? Vielleicht hast du sogar recht. Ich hab noch nie drüber nachgedacht, aber vielleicht ist das wirklich die versteckte Bedeutung des Geschenks. Vielleicht ist das sogar der Grund, warum er jetzt mein Ex ist.“ Er zwinkert mir zu.

Oh. Unwillkürlich werfe ich ihm einen diskreten Blick zu. Hat er gerade „er“ gesagt? Ist der Mann schwul, Leute? Ich spüre, wie meine Laune sich bessert. Denn wie gesagt, in letzter Zeit gab’s da eine längere Durststrecke in meinem Sexualleben. Eine ganze verflixte Woche, bitte, die ich in mönchischer Abgeschiedenheit auf der Insel Stinksö verbracht habe. Hier und heute könnten das Mittel und der Tag sein, dem ein Ende zu setzen. Ehrlich gesagt hätte ich nichts dagegen. Gar nicht.

Aber zuerst muss ich einen besseren Eindruck machen. Was habe ich ihm bisher geboten? Einen Ausflug im strömenden Regen, um den er nicht gebeten hat, einen Kuss, um den er noch weniger gebeten hat, und schließlich meinen zweifelhaften Humor.

Ich schenke ihm mein bestes, reuevolles Lächeln. „Tut mir wirklich leid. Normalerweise bin ich im Umgang mit Leuten nicht so tollpatschig. Könnten wir bitte das Gespräch zurückspulen? Zuerst möchte ich dir danken, dass du mich aus dem Wasser gefischt hast. Du hast mir das Leben gerettet. Ohne dein schnelles Eingreifen wär ich sicherlich schon tot.“ Ich strecke ihm meine Hand entgegen. „Ich heiße Dirk. Dirk Bormann.“

Immer noch belustigt, schüttelt er meine Hand, ohne mich aus den Augen zu lassen. „Sehr erfreut. Ich bin Sven Bergson.“

„Sven. Na klar.“

Seine Augenbrauen schießen nach oben, während er sich vorbeugt und Kaffee in die Tassen gießt. Er nimmt sich eine und hält mir die andere hin. „Was soll das heißen? Wir Schweden heißen nicht alle Sven, weißt du.“

Ich nehme die Tasse, nicke dankend und meine: „Natürlich nicht. Ihr heißt alle Gustaf. Das weiß doch jeder.“

Seine Augenbrauen schießen noch weiter nach oben. „Wie bitte?“

„Erinnerst du dich nicht an die Krisprolls-Werbung? Wo der Typ heimlich Krisprolls isst, und seine Frau ertappt ihn dabei und sagt vorwurfsvoll: ‚Gustaf!‘“

Für eine Sekunde ist er zu baff, um darauf etwas zu erwidern. Dann lacht er. „Das muss das Dümmste sein, was ich je gehört hab. So dumm, dass es irgendwie sogar sinnvoll klingt. Aber warum hast du ‚na klar‘ gesagt, als du meinen Namen gehört hast?“

„Weil ich endlich mal Glück hab. Ich bin furchtbar, was Vornamen angeht. Aber ich glaube, Sven wird einfach sein. Ich werd es nicht mit Sten oder Kent verwechseln. Auch nicht mit Gustaf.“

„Was?“ Er mustert mich mit dem ernsten Gesichtsausdruck eines Entomologen, der gerade einen unbekannten, faszinierenden Käfer entdeckt hat.

Ich glaube, ich muss diesmal ehrlich sein. „Ich bin Legastheniker.“ Ich zucke mit den Schultern, als würde mich das nicht stören. „Deshalb bringe ich Namen und Wörter oft durcheinander. Aber mein neuer Schwiegeronkel heißt Sven. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mir das gemerkt habe, aber jetzt rede ich ihn nicht mehr mit anderen Vornamen an.“ Ich tippe mir an sie Schläfe. „Sven. Hallo, Sven. Danke, Sven. Wie geht’s dir, Sven? Siehst du – auf meiner Festplatte abgespeichert.“

Er lacht wieder. „Freut mich zu hören. Auch wenn ich nichts dagegen hätte, Sten oder Kent genannt zu werden. Vor allem, wenn ich weiß, was der Grund für die Verwechslung ist. Legasthenie ist eine dieser Behinderungen, die die meisten Menschen nicht ernst nehmen. Aber sie kann für diejenigen, die darunter leiden, peinlich sein.“

Ich lächle ihn an und trinke einen Schluck. Der Kaffee, stark und schwarz, läuft heiß meine Kehle runter und verbreitet dann eine angenehme Wärme in meinem Magen. „Hey, das ist eine ausgezeichnete Marke. Mit einem schönen, würzigen Nachgeschmack.“

„Bio-Kaffee aus Guatemala. Ich hab auch ein bisschen Rum reingetan. Ich hoffe, das stört dich nicht.“

„Ach, woher denn.“ Ich trinke noch einen Schluck und lasse meinen Blick neugierig durch den Raum schweifen. Mit seiner weißen Holzvertäfelung an den Wänden, dem hellen Holzboden und den Möbeln sieht er wie eine Werbung für schwedische Innenausstattung aus. Es gibt auch mehrere Regale voller Bücher. Die beiden Fenster uns gegenüber rahmen den scheußlichen dunklen Nachmittag ein, der dadurch wie ein lebendig gewordenes Turner-Gemälde wirkt. Windböen schleudern den Regen fast waagrecht gegen die Scheiben. Das grauenhafte Wetter draußen verstärkt das Gefühl von perfekter Sicherheit und Geborgenheit hier drinnen.

„Du hast ein schönes Haus, Sven“, stelle ich fest.

„Vielen Dank.“ Er stellt seine Tasse ab und verschränkt völlig entspannt die Arme hinter dem Kopf. „Das war das Sommerhaus meines Vaters. Aber er ist nach Schonen gezogen, als er in Rente ging, und hat es mir überlassen. Er behauptet, dass das Wetter dort unten wärmer sei.“

„Ich dachte, ihr mögt kühlere Temperaturen. Ich meine, ihr Schweden.“

„Die meisten von uns, ja. Aber mein Vater bevorzugt den Süden.“ Er greift wieder nach seiner Tasse. „Woher kommst du, wenn ich fragen darf?“

„Ich bin aus Deutschland“, antworte ich. „Aber ich lebe in Paris. Frankreich.“

„Oh. Bin schon mal dort gewesen. Eine schöne Stadt. Aber für meinen Geschmack viel zu viele Leute.“

Ich zucke mit den Schultern. „Wahrscheinlich. Ich hab mich mittlerweile daran gewöhnt, also fällt mir das gar nicht mehr auf. Ehrlich gesagt leben für meinen Geschmack viel zu wenig Leute hier oben.“

Er scheint überrascht. „In Stockholm? Wir sind fast eine Million.“

„Nur ein winziger Bruchteil davon hat sich dafür entschieden, in dieser abgelegenen Gegend zu hausen.“

Er kichert. „Da hast du recht. Natürlich siehst du jung aus, also musst du diese Inseln hier langweilig finden. Was hat dich überhaupt hierher verschlagen? Wo wohnst du denn?“ Er legt mir eine warme Hand auf den Arm. „Tut mir leid, ich will nicht aufdringlich sein.“

„Keine Sorge – ist ja kein Staatsgeheimnis. Ich bin aus familiären Gründen hier. Derzeit lebe ich auf der Insel Stinksö, in diesem Haus, das die Leute ‚The Smial‘ nennen. Vielleicht hast du schon davon gehört – das große Haus, das in einen Hügel gebaut wurde.“

„Sven Halberströms Ökohaus!“, ruft er aus. „Du bist Svens Kind?“

„So ungefähr. Er ist mein neuer Schwiegeronkel, könnte man sagen. Ich bin eher Karin Halberströms Kind. Seine neue Frau. Sie hat sich um mich gekümmert wie eine… Mutter…“ Meine Kehle schnürt sich bei dem letzten Wort zu. Was bin ich doch für ein Dummkopf. Ich räuspere mich diskret. „Nachdem sie Onkel Sven geheiratet hat, hat sie mich hierher eingeladen.“

„Sven ist ein alter Bekannter von mir. Natürlich kennen wir uns hier alle. Was deine Tante betrifft, hab ich sie auch schon getroffen, glaube ich. Ein- oder zweimal.“ Unwillkürlich verzieht er sein Gesicht, obwohl er versucht, es zu kaschieren.

Ich schnaube. „Ja. Du hast sie getroffen. Deine Miene? Die ist Beweis genug.“

„Tut mir leid. Sie ist, ähm, nett. Aber, äh, eigen.“

„Ich nehme an, sie hat dich auf ihre wahnsinnig subtile Weise angebaggert. Stimmt’s?“

Er errötet. „Äh, kein Kommentar. Wie geht’s den beiden denn? Ich hab sie schon eine Weile nicht mehr gesehen.“

„Gut, vermute ich. Sie sind gleich nach meiner Ankunft abgereist. Wollten auf Onkel Svens Jacht eine Ostseekreuzfahrt machen. Jetzt sind sie unten in Griechenland, weil meine Tante das dringende Bedürfnis nach richtiger Sonne und richtigem Sommerwetter verspürte. – Oh, tut mir leid. Nichts für ungut“, füge ich hastig hinzu.

„Ist schon okay.“ Er blinzelt mich an, und sein freundliches, gelassenes Lächeln kommt wieder zum Vorschein, das seine Augen zum Funkeln bringt und ein feines Netz aus Lachfältchen rund um sie ausbreitet.

„Kann ich dich was fragen?“, meine ich.

„Na klar.“ Er nippt an seinem Kaffee.

„Ich verstehe schon, warum du mir dieses Ding gegeben hast…“ Ich zupfe an meinem Overall. „… das ist übrigens echt warm. Aber warum hast du es auch angezogen?“

Er zuckt mit den Schultern. „Ich dachte, du würdest dich vielleicht weniger lächerlich fühlen, wenn wir die gleiche Kleidung anhaben.“

Verblüfft starre ich ihn an. „Das muss das Netteste sein, was jemals jemand für mich getan hat“, würge ich schließlich hervor. Eine unerwartete Emotion steigt in meiner Brust auf. Es ist erbärmlich, ich weiß. Aber… was ich gerade gesagt habe, ist die Wahrheit.

Dirks Kritzeleien

dies sind die felsen, auf denen ich

meine kirche baue:

diese arme, meine arme

diese beine, meine beine

dieser kopf, mein kopf

diese brust, meine brust

meine festung,

mein zuhause,

meine welt

eindringlinge werden

bestraft

Eine Einladung

„Hey, willst du noch Kaffee?“, fragt Sven nach einer Sekunde und wechselt behutsam das Thema. Er beugt sich vor und greift nach der Kanne.

„Hm. Ja bitte.“ Ich halte ihm meine Tasse hin.

Er schenkt mir ein, dann sich selbst. Und plötzlich springt er auf. „Verdammt! Die Zimtschnecken! Entschuldige mich einen Augenblick.“

Er läuft zur Tür hinaus, was mir erlaubt, in von hinten zu bewundern. Und seinen Hintern anzustarren. Auch wenn die Overalls weit geschnitten sind, füllt er seinen mit seiner Statur und Masse weit besser aus als ich. Mit anderen Worten, der Fummel steht ihm gut. Er hat breite Schultern, schöne Arme und Beine, eine schmale Taille, und dann dieser Arsch… Herrgott, ich bin ein begnadeter Sünder, aber glaubt mir – für einen solchen Arsch würde ich so viele zusätzliche Sünden begehen, dass die Hölle nicht mehr höllisch genug wäre! Und ich würde diese Sünden jederzeit, gerne, bedingungslos, wiederholt und lustvoll begehen.

„Soll ich dir helfen?“, rufe ich ihm mit belegter Stimme hinterher.

„Nein, danke. Ich krieg das schon hin“, ruft er zurück.

Eine Minute später schreitet er wieder durch die Tür, in der einen Hand Papierservietten und in der anderen einen Teller mit kanelbullar. Er stellt beides auf den niedrigen Tisch. „Bitte“, sagt er. „Bedien dich. Ich hoffe, du magst Zimtschnecken.“

„Soll das ein Witz sein? Ich würde sie vom Kopf eines Penners essen.“

„Wie bitte?“ Er setzt sich wieder auf die Couch.

„Das ist ein französischer Ausdruck, der bedeutet, dass ich sie jederzeit und überall essen würde. Ich liebe eure schwedischen Zimtschnecken.“ Ich beuge mich vor und schnappe mir eine. Sie ist noch warm. „Wie hast du die denn her? Ich nehm nicht an, dass ihr auf dieser Insel eine Bäckerei habt. Und sag bloß nicht, dass du die gebacken hast, während ich unter der Dusche war!“

Er lacht. „Auf Östra Stinksö gibt’s außer meinem Haus nichts. Und ich und backen? Mein Gott, nein. Aber ich kaufe immer ein paar Schnecken in Östermalm, bevor ich hierherfahre. Dort gibt’s diese Bäckerei am Valhallavägen, wo sie die besten kanelbullar aller Zeiten machen.“ Er grinst mich reuevoll an. „Natürlich überlebt nur die Hälfte die Reise, falls du verstehst, was ich meine.“

„Ja, Mann. Drei Stunden… genug Zeit, um ganz viele Schnecken zu essen.“ Ich grinse zurück.

„Aber einige überleben, und die landen immer im Gefrierschrank, damit ich was hab, wenn ich Trostkost brauche.“

Ich beiße hinein und mache ein anerkennendes „Mmmmmm“, während ich die Augen verdrehe. Der Teig ist fluffig, aber fest, voller Zimt, und der Hagelzucker oben drauf gibt dem Gebäck diese knusprige Textur und zusätzliche Süße, die mich fast zum Stöhnen bringt.

Sven nimmt auch eine Schnecke und beißt hinein.

Wir essen schweigend, während wir uns mit unverhohlener Neugier anstarren. Ist euch schon mal aufgefallen, dass man einiges lernen kann, wenn man jemandem beim Essen zuschaut? Sven zum Beispiel ist ein ordentlicher und organisierter Mensch, der eine Hand unter seine Schnecke hält, um Krümel oder Zuckerkörner aufzufangen. Er leckt sich auch regelmäßig mit der Zunge die Lippen ab – eine akrobatische, geschickte Zunge, Schnurrrrrr –, damit nichts in seinem Bart landet.

Um seine Augen kräuseln sich immer noch Lachfältchen. Mir fällt auf, dass sein blauäugiger, offener und ehrlicher Blick mich nicht einschätzt, streichelt und auszieht, wie es der Blick der meisten anderen Typen tut. Es fühlt sich fast so an, als würde er meine Hand halten.

Eine seltsame Wärme breitet sich wieder in meinem Bauch aus, die dem mit Rum versetzten Kaffee gleicht.

Als wir fertig gegessen haben, reicht er mir eine Serviette.

„Diese Schnecken sind… sündhaft gut“, gebe ich zu. „Es ist wirklich nett von dir, sie mit mir zu teilen. Danke vielmals.“

„Nicht der Rede wert.“ Er trinkt einen Schluck Kaffee und schaut zum Fenster rüber. „Gott, was für ein Unwetter!“

Ich folge seinem Blick. Tatsächlich heult noch immer ein starker Sturm über die Insel und biegt und schüttelt die Fichten, die ich durch den starken Regen erahnen kann. Ich bin sicher, wir befinden uns nicht weit vom Ufer entfernt, aber das Meer ist nicht auszumachen.

„Ich hoffe, du hast nicht vor, heute noch nach Stinksö zurückzukehren“, sagt Sven. „Denn ich befürchte, du musst über Nacht hierbleiben. Der Wetterbericht hat angekündigt, dass der Sturm morgen nachlassen wird. Natürlich könnten wir später versuchen, rüberzufahren – mein Boot ist alt, aber robust. Allerdings wär das trotzdem riskant.“

Ich schüttle den Kopf. „Kommt nicht in Frage, dass du noch einmal dein Leben aufs Spiel setzt. Aber ich will mich nicht aufdrängen.“

Er winkt ab. „Ist schon okay. Ich freu mich über Gesellschaft. Die Sache ist die, wir müssen in einem Bett schlafen. Die beiden Gästezimmer werden derzeit renoviert. Und diese Couch ist bequem zum Sitzen, aber wenn du versuchst, drauf zu schlafen, hast du morgen keinen Rücken mehr.“

„Es macht mir nichts aus, ein Bett zu teilen“, sage ich und spüre, wie mein Herz etwas schneller schlägt. Hallo? Wenn ich an seinen Hintern und seine geschickte Zunge denke, macht es mir überhaupt nichts aus, ein Bett mit ihm zu teilen.

Wir starren schweigend auf die Böen draußen. Der Wind heult, der Regen klatscht aufs Dach und gegen die Fenster, das Feuer knistert im Kamin.

„Ich hab mich gefragt, woher du gewusst hast, wo du mit deinem Boot hinfahren musst“, meine ich nach einem Moment nachdenklich. „Bei dem Wetter konnte ich nicht einmal die Hand vor meinen Augen sehen. Deswegen hab ich ja auch den Plan verloren.“

„Du hast Glück gehabt“, antwortet er und sieht mich wieder an. „Heute Morgen hab ich die Sturmwarnung im Radio gehört. Als es anfing zu regnen, bin ich also nach draußen gerannt, um nachzuschauen, ob mein Boot sicher festgemacht ist. Da hab ich dich in deinem Kajak gesehen, auf halbem Weg zwischen Stinksö und hier. Ich dachte: ‚Wer kann so verdammt dumm sein und heute in einem Kanu rauspaddeln?‘“

Ich zeige auf wie in der Schule. „Ein verdammt dummer Dirk.“

„Ähm, Entschuldigung. Ich wollte dich nicht beleidigen.“

„Nein, du hast recht. Ich hätte mein Gehirn einschalten sollen, bevor ich wegruderte. Aber zu meiner Verteidigung, ich war heute ein bisschen… grüblerisch, also hab ich nicht wirklich auf die Wolken geachtet.“ Ich kichere. „Ich fand sie flauschig, kannst du dir das vorstellen?“

„Kann ich. Du bist nicht von hier“, meint Sven ruhig. „Du weißt nicht, wie schnell das Wetter umschlagen kann.“ Er breitet seine Hände aus. „Jedenfalls war das alles. Ich sah dich durch die Gegend paddeln, und eine Sekunde später brach die Sintflut los, und ich wusste, ich muss dich finden. Sonst wärst du in kürzester Zeit tot gewesen. Ich hab das Boot losgemacht und bin in die Richtung gefahren, wo ich dich zuletzt gesehen hatte.“

„Geht ja nicht, dass ein dummer Tourist vor der Küste von Stinksö ertrinkt, was?“

Er kichert. „Nein. Wäre schlecht für den Sommertourismus.“

„Der, wie wir alle wissen, gerade total boomt. Überall auf der Insel wimmelt es nur so von Menschen, die die Natur genießen.“

Jetzt lacht er. „In deinem Mund klingt Natur wie ein Schimpfwort. Ich nehme an, du bist kein Landjunge.“

„Nein, ich bin ein Stadtmensch durch und durch.“ Ich sehe ihm fest in die Augen. „Am liebsten bin ich in Städten mit vielen anderen Jungs zum Herumspielen.“

Er versteht meine Anspielung sofort. „Oh. Du bist also auch…“

„Schwul, ja. Schwuler geht’s nicht.“

Er nickt langsam, als ob er ein inneres Zwiegespräch führen würde. „Okay. Gut. Dann muss ich dich wenigstens nicht beruhigen, oder?“

„In welcher Hinsicht?“

„Dass ich dich nicht anbaggern oder befummeln werde.“

Och, das ist ja schade. Ich versuche, eine neutrale Miene aufzusetzen. „Wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass du das vorhaben könntest.“ Ich hebe feierlich meine Hand. „Ich schwöre bei Freyja, dass ich dich auch nicht anbaggern oder befummeln werde.“ Leise murmle ich: „Auch wenn’s mir schwerfallen wird.“

„Was?“, fragt er.

„Nichts, nichts. Also, erzähl mal… was machst du denn so beruflich, Sven?“

Schwedisches Abendessen

Ja, Überraschung! Sven ist ein Professor an der Universität Stockholm. Was – richtig wow ist! Er hat nicht nur einen tollen Körper, sondern scheint ihn mit einem tollen Hirn zu toppen. Er lehrt Wirtschaftswissenschaften. Oder genauer gesagt, wie er erklärt, Volkswirtschaft, Handelsmechanismen und nachhaltige Entwicklung.

Da ich über diese Themen genau einen Scheiß weiß, stelle ich interessierte, wenn auch wahrscheinlich ignorante Fragen. Wir waren uns einig, dass wir uns nicht anbaggern oder befummeln würden? Ja, schon. Ich stehe auch zu meinem Wort. Aber ein unaufdringlicher Versuch kostet nichts. Und die beste Strategie, dass könnt ihr mir glauben, ist in dieser Hinsicht immer, einen Typen dazu zu bringen, über sich selbst zu reden.

Zum Glück versucht Sven nicht, mir seinen ganzen Wissensstand auf einmal in den Rachen zu stopfen, auch wenn er mit unverhohlenem Vergnügen von seinem Job erzählt. Nachdem er einige vage Theorien erläutert hat, meint er einfach: „Ich will dich nicht mit den Einzelheiten langweilen.“ Ich protestiere natürlich, aber er wechselt das Thema und gibt lustige Schwänke über seine Studenten und Kollegen zum Besten. Er weiß, wie man Geschichten erzählt, verfügt da über eine gewisse frische Spontanität, bei der eine Anekdote nicht einstudiert oder Effet heischend klingt. Sein Wortschatz ist präzise und unterhaltsam, Svens Stimme warm und angenehm.

Ich muss gestehen, dass ich irgendwann abdrifte. Das knisternde Feuer, der Wind und der Regen, die ums Haus toben, meine Erschöpfung, weil ich um mein Leben gepaddelt bin, dazu der Rum, den Sven in den Kaffee getan hat…

Ich höre aufmerksam zu, ich schwöre es, und plötzlich…

Schnaaaaaarch.

Als ich aufwache, bin ich allein im Wohnzimmer. Die Lampen sind ausgeschaltet, das einzige Licht kommt vom lodernden Feuer, dessen Flackern unregelmäßige, unheimliche Muster auf Wände und Möbel zeichnet. Ich höre Sven auf der anderen Seite des Flurs zufrieden vor sich hin summen.

Ich setze mich auf und stöhne. Autsch. Sven hat die Wahrheit über die Couch gesagt. Ich bin steif wie ein Holzbrett, und als ich die Arme über den Kopf strecke, knackt meine Wirbelsäule an mehreren Stellen. Ich stehe auf. Durch die offene Tür sehe ich direkt in die gegenüberliegende, warm beleuchtete, altmodische und gemütliche große Küche, wo mein Gastgeber gerade Teller und Besteck auf den Tisch legt.

Langsam gehe ich zu ihm rüber.

Er blickt auf und lächelt mich an. „Hey, Schlafmütze“, meint er sanft. „Fühlst du dich besser?“

Ich gähne und kratze mich am Kopf. „Tut mir leid, dass ich mitten in deinen Erzählungen eingeschlafen bin. Das ist echt unhöflich von mir. Du musst uns Deutsche für Barbaren halten.“

„Das tat ich schon, bevor ich dich kennengelernt hab“, erwidert er trocken. Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, kichert er. „War bloß ein Scherz. Keine Sorge, ich bin nicht so schnell eingeschnappt. Komm schon, setz dich. Ich hab ein leichtes Abendessen für uns zubereitet.“

„Wie spät ist es denn?“

„Fast acht Uhr.“

„Mein Gott – ich muss ja stundenlang geschlafen haben.“

„Überhaupt nicht. Vielleicht vierzig Minuten. Wir haben gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit verging, während wir uns unterhielten. Das passiert, wenn man angenehme Gesellschaft hat.“

Ich rutsche auf die Eckbank. „Du hättest nicht für mich kochen sollen, Sven.“

„Hab ich auch nicht wirklich. Bloß ein paar Kartoffeln.“ Er nimmt einen Topf von der Herdplatte und leert das dampfende Wasser in die Spüle. „Tut mir leid, aber kochen hab ich nie gelernt. Es gibt also rustikale Kost. Aber typisch schwedisches Essen.“ Er schnappt sich zwei bis zum Rand gefüllte Servierteller und stellt sie zusammen mit dem Topf Kartoffeln in die Mitte des Tisches. „Vier Sorten Hering mit Grädfil, das ist Sauerrahm. Dazu Knäckebröd, weil mir vor zwei Tagen das Roggenbrot ausgegangen ist. Möchtest du Wein zum Abendessen?“

Ich schüttle den Kopf. „Nein, danke. Ich bin im Moment zu müde für Wein. Wenn du Wasser hast, wär das perfekt.“

„In Ordnung, Kleiner.“

Ich runzle die Stirn. Kleiner? Er ist ein gutes Stück älter als ich, okay, aber ich bin kein kleiner Bub. Was das betrifft, war ich wahrscheinlich nie einer.

Er kehrt zum Waschbecken zurück, nimmt einen Krug und füllt ihn mit Leitungswasser.

Als er mir gegenüber Platz genommen hat, bedienen wir uns. Der Hering ist ausgezeichnet, und das sage ich ihm auch. Sven strahlt vor Freude. „Ich hab ihn in den Hötorgshallen gekauft, nicht weit vom Kungsträdgården.“

Ich nicke, weil ich den Namen kenne. „Kungsträdgården – war ziemlich viel Arbeit, bis ich mir das Wort gemerkt hab, aber ich weiß, wo das liegt. Da trinke ich immer Kaffee, wenn ich in der Stadt bin.“

Während des Essens unterhalten wir uns gemütlich über Stockholm, und Sven fragt mich, was ich schon alles gesehen habe. Da ich drei Stunden von Stinksö zum Fährterminal im Zentrum von Stockholm und dann drei Stunden zurück brauche, habe ich nicht ganz so viele Sehenswürdigkeiten besichtigt, wie mir lieb wäre. Meistens bin ich durchs Zentrum geschlendert: Östermalm, Norrmalm, Kungsholmen, Riddarholmen und natürlich Gamla Stan, das der Touristenmagnet schlechthin ist. Die meiste Zeit war ich auch eher in Aufreiß- als in Touristenlaune.

„Das nächste Mal musst du länger bleiben“, sagt Sven. „Du musst unbedingt das Vasa-Museum, den Königspalast, das Stadshuset sehen… das Freilichtmuseum auf Djurgården auch. Und Södermalm, das würde dir bestimmt gefallen…“

„Ja, ich weiß.“ Ich seufze. „Ich hab mir drei Reiseführer gekauft, und es ist frustrierend, dass ich fast noch keins der darin angeführten Sightseeing-Highlights besichtigt hab.“

„Weißt du was? Meine Wohnung liegt etwas außerhalb, aber immer noch viel näher als Stinksö. Du kannst ja ein paar Tage bleiben, wenn du möchtest. Ich hab viel Platz, und wenn mein Projekt demnächst erfolgreich ausgeht, werde ich wahrscheinlich sowieso nicht oft zu Hause sein.“

„Das ist wirklich nett von dir“, sage ich und meine es ernst. „Auch wenn mir deine Gesellschaft lieber wäre.“

Er errötet leicht und konzentriert sich auf seinen Teller.

Das mit seiner Gesellschaft meinte ich übrigens ebenfalls ernst. Beschimpft mich, aber Sven ist der netteste, lockerste Typ, den ich je kennengelernt habe. Außer Karim, natürlich. Aber der ist eine Ausnahme der Menschheit, fast zu nett, um wahr zu sein.1

Nach dem Abendessen waschen wir das Geschirr ab und verstauen die Reste des Nachtmahls im Kühlschrank. Als die Küche sauber ist, unterdrücke ich ein Gähnen.

„Ich schätze, du brauchst deinen Schönheitsschlaf.“ Kaum hat er das gesagt, macht Sven eine Grimasse. „Nicht, dass du nicht ohnehin schon schön wärst.“

„Ich hab schon verstanden“, antworte ich mit einer Handbewegung. Trotzdem strahle ich innerlich auf. Hat er mich gerade schön genannt? Ohne ein eingebildetes Arschloch zu sein, weiß ich, dass ich kein hässliches Entchen bin. Aber es ist trotzdem nett, ab und zu ein Kompliment zu hören, auch wenn es so ungeschickt daherkommt.

Sven betrachtet seine Hände. „Es tut mir leid, dass ich kein schickes Nachtgewand hab. Ich bin spontan hierhergekommen, sehr zum Leidwesen meiner Mitarbeiter. Das heißt, ich hab nur das Nötigste mitgebracht. Keine Pyjamas, kaum irgendwelche Klamotten.“

„Mach dir keine Sorgen. Pyjamas trage ich nie.“

„Gut.“ Sven schaltet das Licht in der Küche aus. „Wenigstens hab ich mehrere Zahnbürsten auf Lager, also putzen wir unsere Zähne. Und dann ab ins Bett.“

Ich zeige mich von meiner besten Seite (oder auch nicht)

Es ist eigenartig, mit einem anderen Mann im Badezimmer zu stehen. Eigenartig, sich beim Zähneputzen im Spiegel anzustarren und anzulächeln. Das habe ich noch nie gemacht. Die Situation hat etwas… Heimeliges. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mag, was ich fühle. Seltsamerweise bin ich mir auch nicht sicher, ob ich es nicht mag.

Als wir fertig sind, begeben wir uns ins angrenzende Schlafzimmer „Was ist dir lieber? Die linke oder die rechte Seite?“, fragt Sven.

Ich zucke mit den Schultern. „Ist mir egal. Sag mir, wo du normalerweise schläfst, und ich nehme die andere Seite.“

Er gluckst, während er den Reißverschluss seines Overalls herunterzieht. „Das letzte Mal, dass ich mein Bett mit jemandem geteilt hab, ist lang her. Ich bin es mittlerweile gewohnt, mich übers ganze Bett auszubreiten. Deine Antwort hilft uns also auch nicht weiter.“

„Ach. Verstehe. Die linke Seite, bitte.“

„Okay.“ Sven geht um das Kingsize-Bett herum und windet sich dabei aus dem Overall.

Ich kann nicht anders, ich starre ihn an, und mein Mund wird trocken. Eine seltsame Reaktion, als ob ich in meine Teenagerjahre zurückfallen würde, als der bloße Anblick einer nackten männlichen Brust mich ganz benebelt und geil machte. Natürlich kann ich die soeben durchlebte Durststrecke in meinem Sexualleben als Entschuldigung anführen. Es ist, als würden meine Eier eine Tonne wiegen, so voll sind sie, wenn ich das mal grob ausdrücken darf. Der bloße Anblick eines vage schwanzförmigen Pilzes im Wald würde mich zurzeit wahrscheinlich steif machen. Noch wichtiger ist jedoch, dass Svens Brust jedem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließe. Breit, muskulös, mit genau der richtigen Menge an Haaren, die sich von einem köstlichen rosa Nippel zum anderen köstlichen rosa Nippel ausbreiten. Beide stehen Habt Acht und flehen mich beinahe an, meinen Mund über sie zu stülpen und daran zu saugen.

Herr im Himmel, Bormann, beruhig dich, sonst kriegst du noch einen Megaständer!

Es ist ohnehin zu spät, diesen physiologischen Mechanismus zu umgehen. Denn je tiefer Sven seinen Overall zieht, desto stärker brennt in mir das Verlangen, seinen Körper zu berühren, ihn zu küssen, ihn unter mir, über mir, in mir zu spüren. Was auch immer er bevorzugt, ich würde freudig nicken.

Eine Folter, Jungs! Wir haben uns schließlich auf eine Politik des „Wir baggern uns nicht an, wir befummeln uns nicht“ geeinigt.

Ich atme tief durch. Und versuche, mich nicht vom Anblick des immer weniger bekleideten Sven, seiner wirklich köstlichen Brust und seinem flachen, muskulösen Bauch und – OH MEIN GOTT! – seinen pelzigen, muskulösen Beinen in Versuchung führen zu lassen, weil er den Overall jetzt weiter nach unten rutschen lässt, und zum Glück trägt er weite karierte Boxershorts, denn sonst wäre ich vielleicht ohnmächtig geworden oder hätte den ganzen Holzboden vollgesabbert.

Unmöglich. Er ist verdammt geil!

Schließlich drehe ich mich um, bevor ich beginne, mich auszuziehen. Langsam, damit untenrum alles wieder schlaff wird. Ich glaube, ich höre ein Keuchen, aber das ist wahrscheinlich nur der Frotteestoff, der über meine Haut knistert. Ich falte meinen Overall ordentlich zusammen und lege ihn auf die weiße Kommode neben dem Bett. Gut. Mein Schwanz ist jetzt wieder brav und niedlich.

Ich drehe mich um und hebe die Decke hoch, um darunter zu schlüpfen.

Und da ertappe ich Sven dabei, wie er mich mit großen Augen anstarrt.

Oh.

Anscheinend habe ich mir das Keuchen doch nicht eingebildet.

„Was ist los?“, frage ich und schiele auf meinen Körper. Nichts scheint fehl am Platz zu sein. Mir ist kein spontaner Pickel oder zweiter Schwanz gewachsen, und der, den ich habe, steht auch nicht keck zu Sven rüber oder…

Scheiße. Na klar.

Schwanz.

Mein Schwanz.

In seiner ganzen Pracht gut sichtbar.

„Hoppla.“ Ich kichere nervös und lege meine Hände über meine Geschlechtsteile. Ich weiß jetzt, wie Trevor sich gefühlt haben muss, als er Chao unfreiwillig sein Gedöns gezeigt hatte2. „Tut mir leid. Ich hab vergessen, dass ich, äh…“

Sven wendet endlich seinen Blick ab und hüstelt. „Kein Problem. Ich war einfach überrascht.“

„Positiv, hoffe ich.“

Er antwortet nicht, aber ich glaube, ich höre ihn schlucken.

„Es tut mir wirklich leid. Ich hab unüberlegt gehandelt, und jetzt fühlst du dich unwohl“, sage ich verlegen. „Soll ich den Overall wieder anziehen?“

„Nicht meinetwegen, okay?“

„Bist du dir sicher? Stört es dich wirklich nicht?“

„Nein, ist schon in Ordnung.“

„In dem Fall bleib ich lieber so. Ich mag es nicht, die ganze Nacht in meinem eigenen Saft zu schmoren.“ Äh, warum habe ich gerade Körpersäfte erwähnt? Ist das ekelhaft, oder was? Könnte mich bitte jemand ohrfeigen?

„Versteh ich.“ Sven schnaubt. Dann blickt er mich wieder an. Er wirkt leicht nervös, aber seine Stimme klingt ruhig. „Mach dir keine Sorgen, Dirk. Ich bin nicht schockiert. Wie gesagt, es ist bloß schon ein Weilchen her, seit… ähm… du weißt schon… seit ein gut aussehender, nackter Junge neben meinem Bett stand…“

Schnell gleite ich unter die Decke. Aus der Nähe kann ich ihn richtig riechen. Sven, meine ich. Und er riecht… heil. Sauber. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber ich fühle mich an frisch gemähtes Gras erinnert. An heißen, von leichtem Sommerregen benetzten Asphalt. An frisch gewaschene, weiße Laken, die im Wind wehen.

Sven schaltet das Licht aus und sagt leise: „Gute Nacht, Dirk.“

„Gute Nacht“, antworte ich dem dunklen Plafond über mir.

Nach einer Weile dreht sich Sven auf die Seite. Ich spüre seinen Atem auf meiner nackten Schulter, und als ich rüberschaue, sehe ich das Weiße seiner Augen durch die Dunkelheit schimmern. Er starrt mich offensichtlich an.

Unwillkürlich zittere ich.

„Dirk – ist dir kalt?“, flüstert Sven.

„Nein. Alles in Ordnung.“ Ich drehe mich ebenfalls auf die Seite, weg von ihm, und schließe die Augen.

Ohne Vorwarnung schwillt eine seltsame Sehnsucht in meiner Brust an. Eine Sehnsucht, die ich schon lang nicht mehr gespürt habe, wahrscheinlich, weil ich immer dagegen ankämpfe. Visionen von Wellen und Regen und Dunkelheit und einem Grab wirbeln durch meinen Kopf… und ich muss wieder dran denken, welcher Tag heute ist.

Wäre es nicht ironisch gewesen, wenn ich heute auch gestorben wäre?

Ich zittere wieder.

„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“, fragt Sven leise.

Ich krächze: „Nein, nicht wirklich.“

„Kann ich irgendwas tun?“

Ich schlucke. „Würde es dir was ausmachen… würde es dir was ausmachen, mich in deine Arme zu nehmen?“

Schweigen.

„Ich bin immer noch ein bisschen… aufgewühlt. Wegen des heutigen Missgeschicks“, lüge ich.

„Ist schon okay. Du musst mir nichts erklären.“ Er rutscht näher, legt seinen Arm über meine Brust und vergräbt sein Gesicht in meinem Nacken. Ich fühle seinen Bart, seine kräftigen Beine, seine Brustbehaarung, seinen Herzschlag. Ich rieche seinen Geruch. „Ich halt dich schon fest“, flüstert er. „Du musst dir keine Sorgen mehr machen. Ich halt dich fest.“

Meine geschlossenen Augen brennen, als würde immer noch Salzwasser dagegen klatschen.

Ich atme tief ein, rieche noch einmal gemähtes Gras, Sommerregen auf heißem Asphalt, wogende Laken, heile Welt, Sauberkeit… Ich kann nicht beschreiben, was es in mir hervorruft, dass ein starker Mann mich festhält, mich vor heulenden Winden und Albträumen beschützt. Ich weiß nur, dass mir im Moment nichts Schlimmes passieren kann. Ich weiß, dass ich gegen dieses Gefühl ankämpfen sollte, wie ich es sonst immer tue.

Aber ich bin zu erschöpft.

Ich hoffe nur, dass ich es nicht bereuen werde.

Dirks Kritzeleien

niemals aufgeben,

niemals schwach werden

ich bin ein zaunkönig

sitze auf

holzpfosten

im ödland,

singe meine elegie,

meine federn wie ebenholz

vor dem mitternachtsmond

Rührei, mit Enthüllungen gewürzt

Als ich meine Augen aufschlage, liege ich allein in einem großen Bett, das sich ungewohnt anfühlt, mit einem seltsamen, sauberen Geruch in der Nase und einem verwaisten Gefühl auf meiner Brust. Und mit einem ordentlichen Ständer, denn so reagieren unsere Schwänze morgens einfach, nicht wahr, Jungs?

Ich setze mich auf und wundere mich… Warum sieht mein Zimmer heute so anders aus?

Ich mustere meine Umgebung. Wer zum Teufel hat meine moderne Stahl-und-Glas-Einrichtung ausgewechselt? Wo kommt der karierte Bettüberzug her? Was ist das für ein rosa Haufen auf der Kommode da drüben

Ach. Genau. Der Hasenoverall.

Mein Gedächtnis schaltet sich wieder ein. Und ruft mir in Erinnerung, was gestern passiert ist und dass ich mich in Svens Haus befinde.

Mein Blick fällt auf ein silbergerahmtes Foto auf Svens Nachttisch. Es wurde wohl vor ein paar Jahren aufgenommen, wie’s aussieht, und zeigt den Universitätsprofessor und einen anderen jungen Mann, über dessen Schulter er seinen Arm drapiert hat.

Ich rolle auf die andere Seite rüber und ziehe das Foto heran. Die Neugier hat vielleicht die Katze getötet, wie man auf Englisch so schön sagt, aber mich hat sie bisher noch nicht umgebracht, also was soll’s.

Die beiden Männer stehen am Sandstrand einer Paradiesinsel, im Hintergrund Palmen und eine herrliche, türkisfarbene Bucht. Sven sieht verzückt aus und starrt seinen Kumpanen liebevoll an, der wiederum in die Kamera lächelt.

Ist das Svens Ex-Freund? Mein Gott, der ist ja umwerfend. Anders kann man es gar nicht sagen. Gewelltes, halblanges schwarzes Haar, strahlend weiße Zähne und exotische, klar geschnittene, männliche Gesichtszüge mit einer natürlichen Bräune, die auf einen südlichen Ursprung hindeutet. Nicht Götaland oder Schonen, sondern Südamerika.

Ich finde den Typen sofort unausstehlich, ohne logischen Grund.

Als ich das Foto wieder auf den Nachttisch stelle, höre ich Sven irgendwo im Haus pfeifen. Er ist ein lausiger Pfeifer, der mehr Luft als Musik produziert, aber er geht mit Begeisterung und Hingabe ans Werk. Irgendwie erfüllt mich das mit einer plötzlichen Wärme. Dass jemand so ruhig und beharrlich, so intelligent und selbstbewusst wie dieser Mann sein kann und dann trotzdem Makel hat, die er unbefangen akzeptiert, ist ziemlich herzig.

Ich stehe auf und schlüpfe in meinen Overall. Dann öffne ich die dicken Vorhänge und blicke in einen windigen, regnerischen Morgen hinaus. Das Wetter ist nicht ganz so grauenhaft wie gestern, sieht aber alles andere als fröhlich aus. Ich ziehe das Fenster einen Spalt weit auf, um das Zimmer zu lüften, bevor ich das Bett mache. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.

Als ich die Schlafzimmertür öffne, ist das Gepfeife verebbt, und mir steigt sofort ein verführerischer Kaffeeduft in die Nase. Mmmm… wie perfekt kann ein Morgen sein?