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Seit dem Inkrafttreten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG) im Jänner 2006 sind nun beinahe 15 Jahre vergangen. Ein wesentliches Instrument dieses Gesetzes zur Streitbeilegung sind Schlichtungen beim Sozialministeriumservice (SMS). In dieser Broschüre wird aufgezeigt, wie es zu der nun geltenden gesetzlichen Regelung im BGStG kam. Dabei wird das Augenmerk insbesondere auf das Instrument der Schlichtung gelegt. Es wird erläutert, wie Schlichtungen in der Praxis funktionieren und wer ihre Einleitung beantragen kann. Ergänzend wird dargelegt, welche alternativen Regelungen bei Schlichtungsverfahren in die Verhandlungen eingebracht, aber schlussendlich wieder verworfen wurden. Funktionieren Schlichtungen in der Praxis? Folgenden Fragen wird in dieser Broschüre nachgegangen: Von welchen Faktoren hängt die Nutzung des Instruments Schlichtung ab? Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg bei Schlichtungen? Ist das Instrument Schlichtung in der Praxis geeignet, Barrieren zu beseitigen? Gibt es eine Änderung der Schlichtungsnutzung im zeitlichen Verlauf? Ergeben sich aus den Erkenntnissen Handlungsvorschläge? Diese Broschüre enthält den Text der Master-Thesis Sind Schlichtungen ein erfolgreiches Instrument zur Durchsetzung von Anliegen bei Behindertendiskriminierung?. Die Arbeit wurde von Martin Ladstätter im Rahmen des Universitätslehrgang Menschenrechte / Human Rights erstellt und beim Department für Wirtschaftsrecht und Europäische Integration an der Donau-Universität Krems eingereicht.
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2020
Seit dem Inkrafttreten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG) im Jänner 2006 sind nun beinahe 15 Jahre vergangen. Ein wesentliches Instrument dieses Gesetzes zur Streitbeilegung sind Schlichtungen beim Sozialministeriumservice (SMS).
In dieser Broschüre wird aufgezeigt, wie es zu der nun geltenden gesetzlichen Regelung im BGStG kam. Dabei wird das Augenmerk insbesondere auf das Instrument der Schlichtung gelegt. Es wird erläutert, wie Schlichtungen in der Praxis funktionieren und wer ihre Einleitung beantragen kann. Ergänzend wird dargelegt, welche alternativen Regelungen bei Schlichtungsverfahren in die Verhandlungen eingebracht, aber schlussendlich wieder verworfen wurden.
Funktionieren Schlichtungen in der Praxis?
Folgenden Fragen wird in dieser Broschüre nachgegangen:
Von welchen Faktoren hängt die Nutzung des Instruments Schlichtung ab?
Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg bei Schlichtungen?
Ist das Instrument Schlichtung in der Praxis geeignet, Barrieren zu beseitigen?
Gibt es eine Änderung der Schlichtungsnutzung im zeitlichen Verlauf?
Ergeben sich aus den Erkenntnissen Handlungsvorschläge?
Diese Broschüre enthält den Text der Master-Thesis „Sind Schlichtungen ein erfolgreiches Instrument zur Durchsetzung von Anliegen bei Behindertendiskriminierung?“. Die Arbeit wurde von Martin Ladstätter im Rahmen des Universitätslehrgang „Menschenrechte / Human Rights“ erstellt und beim Department für Wirtschaftsrecht und Europäische Integration an der Donau-Universität Krems eingereicht.
Abgerundet wird die Broschüre mit Empfehlungen, wie man das Instrument Schlichtung weiterentwickeln könnte.
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei meinen Eltern Berta und Peter Ladstätter. Ohne deren jahrelange emotionale und moralische Unterstützung hätte ich kein Studium beginnen und absolvieren können. Herzlichen Dank an meinen Bruder Markus Ladstätter und meine Partnerin Roswitha Schachinger für das Korrekturlesen des Textes und den ständigen Zuspruch, damit ich diese Master-Thesis abschließen konnte.
Für meine Bewerbung um einen Studienplatz erhielt ich dankenswerterweise von Dr. Günther Kräuter (Volksanwalt), Mag. Heinz Patzelt (Generalsekretär Amnesty International Österreich) und Dr.in Marianne Schulze, LL.M. (Menschenrechtskonsulentin) Empfehlungsschreiben.
Großer Dank für die Übersendung hilfreicher Informationen gilt der Behindertenanwaltschaft, dem Verein BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern, dem Österreichischen Behindertenrat, dem Sozialministerium und dem Sozialministeriumservice (SMS).
Besonderen Dank auch an meinen Betreuer ao. Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger, der mich seit dem Jahr 2015 kontinuierlich und aufmunternd begleitet hat, für die Unterstützung beim Prozess der Erstellung meiner Master-Thesis. Diese Begleitung war sehr hilfreich und ich bedanke mich für die Chance, die mir dadurch ermöglicht wurde.
Martin Ladstätter
Wien, 28. April 2020
A(E)
Entschließungsantrag
AB
Ausschussbericht
Abb.
Abbildung
ABGB
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
ADA
Americans with Disabilities Act
ADG
Anti-Diskriminierungsgesetz
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
APA
Austria Presse Agentur
AStG
Alternative-Streitbeilegung-Gesetz
ASVG
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
AuskunftspflichtG
Auskunftspflichtgesetz
AVG
Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz
B-VG
Bundes-Verfassungsgesetz
BBG
Bundesbehindertengesetz
BEinstG
Behinderteneinstellungsgesetz
BGBl
Bundesgesetzblatt
BGStG
Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz
BIZEPS
BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben
BlgNR
Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats
BUK
Forum der Behinderten- und Krüppelinitiativen (Vorläufer der österreichischen Selbstbestimmt-Leben-Bewegung)
Bundessozialamt
Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (heute: SMS - Sozialministeriumservice)
BZÖ
Bündnis Zukunft Österreich
ErläutRV
Erläuterungen zur Regierungsvorlage
EuGH
Europäischer Gerichtshof
Forum Gleichstellung
vereinsübergreifendes Gremium von ExpertInnen zur Entwicklung eines Behindertengleichstellungsgesetzes
FPÖ
Freiheitliche Partei Österreichs
GlBG
Gleichbehandlungsgesetz
GP
Gesetzgebungsperiode
GRÜNE
Die Grünen - Die Grüne Alternative
idF
in der Fassung
ISL
Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V.
Klagsverband
Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern
LIF
Liberales Forum
ME
Ministerialentwurf
NAP Behinderung
Nationaler Aktionsplan Behinderung 2012-2020
ÖAR
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation
ÖBR
Österreichischer Behindertenrat (früher ÖAR)
ÖVP
Österreichische Volkspartei
ÖZIV
Österreichischer Zivil-Invaliden-Verband (heute: Österreichweite zukunftsorientierte Interessen-Vertretung)
RL
Richtlinien der Europäischen Union
RV
Regierungsvorlage
SLIÖ
Selbstbestimmt Leben Österreich - Interessenvertretung der Selbstbestimmt Leben Initiativen Österreichs
SMS
Sozialministeriumservice (früher: Bundessozialamt)
SPÖ
Sozialdemokratische Partei Österreichs
Sten Prot
Stenographisches Protokoll des Nationalrates
UN
United Nations (dt. Vereinte Nationen)
UN-BRK
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (auch: CRPD - Convention on the Rights of Persons with Disabilities)
VersRÄG
Versicherungsrechts-Änderungsgesetz
VersVG
Versicherungsvertragsgesetz
VfGH
Verfassungsgerichtshof
WHO
World Health Organization (dt. Weltgesundheitsorganisation)
ZPO
Zivilprozessordnung
Ziel dieser Arbeit
1.1. Einleitung
1.2. Menschen mit Behinderungen fordern Bürgerrechte ein
1.3. Schlichtung und Mediation
1.4. Welche Fragen ergeben sich in der Praxis bei Schlichtungen?
1.5. Hypothesen
1.6. Herangehensweise
1.7. Transparenz
Historische Entwicklung
2.1. Definition von Behinderung
2.2. Österreich wechselt teilweise zum sozialen Modell von Behinderung
Fokus in der Behindertenpolitik
3.1. Vergleich zwischen den USA und Österreich
3.2. ExpertInnen in eigener Sache
3.3. Behindertenpolitik in Österreich: Wer vertritt wen?
3.4. Anfänge der Selbstbestimmt-Leben Bewegung in Österreich
Auf dem Weg zu Gleichstellungsrechten
4.1. Bürgerrechtstradition in den USA
4.2. ADA aus den USA
4.3. Ergänzung des Artikel 7 B-VG als Zwischenschritt
4.4. Was bewirkt die Artikel 7 B-VG Ergänzung?
4.5. Entfaltet die Artikel 7 B-VG Ergänzung (k)eine Drittwirkung?
4.6. Erster Entwurf für ein Behindertengleichstellungsgesetz liegt vor
4.7. Entwurf eines allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes liegt vor
4.8. Aufnahme des BGStG ins Regierungsprogramm
Wie Schlichtungen Teil des BGStG wurden
5.1. Entwurf vom „Forum Gleichstellung“ vorgelegt
5.2. BGStG-Vorbegutachtungstext setzt auf Schlichtungen
5.3. Begutachtungstext regelt Schlichtungen im Detail
5.4. Regierungsvorlage geht von 1.000 Schlichtungen pro Jahr aus
5.5. Parlamentarische Behandlung unter heftiger Diskussion beendet
5.6. Inhalte des beschlossenen BGStG im Detail
5.7. Was wurde von den Ideen im Bereich Schlichtungen umgesetzt?
5.8. Vergleiche mit Gleichstellungsgesetzen im deutschsprachigen Raum
Was wurde von Schlichtungen erwartet?
6.1. Beseitigung von Barrieren als Ziel definiert
6.2. Klagsflut soll mit verpflichtender Schlichtung verhindert werden
6.3. Konflikt soll mit Schlichtung schnell und gütlich geregelt werden
6.4. Positive Rahmenbedingungen sollen geschaffen werden
6.5. Unterstützung bei Schlichtungen soll ermöglicht werden
6.5.1. Angehörige werden in den Schutzbereich aufgenommen
6.5.2. Behindertenanwaltschaft wird eingerichtet
6.5.3. VertreterInnen und Vertrauenspersonen
6.6. Instrument Schlichtung
Was wurde mit Schlichtungen erreicht?
7.1. Beseitigung von Barrieren
7.1.1. Verpflichtung der Wirtschaft
7.1.2. Verpflichtende Etappenpläne für den Bund
7.1.3. Einigungsquoten
7.2. Klagen aufgrund von Diskriminierungen
7.3. Regelung von Konflikten
7.3.1. Anzahl der Schlichtungen
7.3.2. Einigungsquoten nach Geschlecht
7.3.3. Behinderungsart und Nutzung des Instruments
7.3.4. Nutzung in den Bundesländern
7.4. Positive Rahmenbedingungen
7.4.1. Akzeptanz des Schlichtungsverfahrens
7.4.2. Bundesförderungen zur Herstellung von Barrierefreiheit
7.4.3. Schlichtungsstelle schafft Rahmenbedingungen
7.5. Unterstützungen bei Schlichtungen
7.5.1. Nicht behinderte Menschen und Schlichtungen
7.5.2. Behindertenanwaltschaft
7.5.3. Vertrauenspersonen als Unterstützung
Informationen und Öffentlichkeitsarbeit
8.1. Sozialministerium stellt Informationen zur Verfügung
8.2. Wissen um Gleichstellungsrechte
8.3. NAP Behinderung benennt Handlungsbedarf
8.4. Informationen zu Schlichtungen
8.5. Dialog mit Interessensvertretungen
Ergebnisse
Wie Schlichtungen weiterentwickelt werden könnten
10.1. Schlichtungsstelle unterbreitet Lösungsvorschläge
10.2. Schlichtungsstelle gibt Stellungnahmen ab
10.3. Schlichtungsstelle trifft Entscheidungen
10.4. Einsatz von Mediation
10.5. NGOs unterstützen vermehrt SchlichtungswerberInnen
10.6. SchlichtungspartnerInnen werden mit Förderungen unterstützt
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Anhänge
13.1. Anhang 1: BGStG - Vorbegutachtungstext (Frühjahr 2004)
13.2. Anhang 2: BGStG - Begutachtungstext (Sommer 2004)
13.3. Anhang 3: BGStG - beschlossener Text (Sommer 2005)
Damit behinderte Menschen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, bedarf es einerseits einer Vielzahl von unterstützenden Maßnahmen (z. B. Barrierefreiheit, Persönliche Assistenz) zur Inklusion, andererseits aber auch gesetzliche Regelungen, die die Gleichstellungsrechte von Menschen mit Behinderungen festschreiben. Im Rahmen dieser Arbeit wird in groben Zügen nachgezeichnet, welche Veränderungen in den letzten 25 Jahren im Gleichstellungsbereich für Menschen mit Behinderungen stattfanden und wie es dazu kam.
Ich werde versuchen darzulegen, welchen wichtigen Einfluss die „Independent Living“-Bewegung (= Selbstbestimmt-Leben-Bewegung) in den USA für Europa hatte. Es wird anhand von Beispielen aufgezeigt, wie der Funke nach Europa übergesprungen ist und was dies in Österreich und Deutschland für die Organisationslandschaft im Behindertenbereich im Detail bedeutete. Erst durch das Einfordern von Bürgerrechten für Menschen mit Behinderungen wurde der Bedarf an legistischen Änderungen deutlich. Doch vom Aufzeigen bis zu konkreten Änderungen war es ein weiter Weg, den ich grob skizzieren werde. Anschließend werde ich im Detail darlegen, welche gesetzlichen Verbesserungen schlussendlich beschlossen wurden.
Im Jahr 1997 wurde das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)1 im Artikel 7 um den Text „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“ ergänzt. Neben dieser Anti-Diskriminierungs- und Staatszielbestimmung beschloss der Bundes-Gesetzgeber im Sommer 2005 ein Behindertengleichstellungspaket, mit dem u.a. das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG)2 um ein Diskriminierungsverbot erweitert und das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG)3 geschaffen wurde.
Im Jahr 2008 ratifizierte die Republik Österreich zusätzlich die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK). Dieser völkerrechtliche Vertrag beinhaltet in Artikel 9 umfangreiche Pflichten für die Vertragsstaaten zum Thema Barrierefreiheit und in Artikel 5 die Verpflichtung, einen wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung bereitzustellen. Der wichtigste Teil der österreichischen Gleichstellungsgesetzgebung ist zweifellos das BGStG. Als Gesetzesziel wird in § 1 festgeschrieben: „Ziel dieses Bundesgesetzes ist es, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.“ Im BGStG wird weiters definiert, was eine Diskriminierung ist und wie diskriminierte Personen ihre Rechte bei den ordentlichen Gerichten geltend machen können.
Voraussetzung für eine Klage wegen Diskriminierung ist gem § 10 Abs 2 BGStG ein Schlichtungsverfahren gem §§ 14 ff BGStG, welches beim Sozialministeriumservice (SMS) durchzuführen ist; (früher: Bundessozialamt)45. Aus dieser Konstruktion des BGStG ist ersichtlich, welche zentrale Rolle bei der Rechtsdurchsetzung den Schlichtungen zugedacht wurde. Der Gesetzgeber erwartete rund 1.000 Schlichtungen pro Jahr.6 Die Verpflichtung zu einem Schlichtungsversuch wurde geschaffen, da zu erwarten sei, „dass der überwiegende Teil der Diskriminierungsfälle durch die Schlichtung einer gütlichen Einigung zugeführt werden und nicht zu Gericht kommen wird“.7
Sowohl bei Schlichtung als auch bei Mediation handelt es sich um Konfliktlösungsverfahren. Alle Beteiligten können sanktionslos entscheiden, ob sie am Verfahren freiwillig teilnehmen wollen. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass ein Versuch der außergerichtlichen Streitbeilegung durchgeführt wird.
Die Abgrenzung von Schlichtung und Mediation ist allerdings nicht eindeutig (vgl. Risak 2010, 389). Wenn ein Unterschied gesehen wird, dann darin, dass Mediation als strukturiertes Verfahren auch durch Vorschläge helfen soll, Vereinbarungen zu erzielen. Bei Schlichtungen hingegen soll bloß eine vermittelnde Funktion wahrgenommen werden.8 Doch auch dieser Unterschied ist umstritten9 (vgl. Sonnleitner 2015, 67). Zusätzlich kommen Aspekte der unterschiedlichen Ausprägungen (Rollenverständnis, Kostenersatzregeln, usw.) zwischen dem angelsächsischen Raum und beispielsweise Deutschland und Österreich hinzu. (vgl. Risak 2010, 395)
Selbst beim Vergleich verschiedener österreichischer Gesetzestexte zeigen sich unterschiedliche Ansätze und Rollenverständnisse von Mediationsverfahren. Gem § 15a Abs 5 Berufsausbildungsgesetz10 ist als Zweck der Mediation zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen „eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses möglich ist“. Das Mediationsverfahren soll „auf die Lösung von Konflikten hinwirken, um alle Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Lehrverhältnisses auszuschöpfen“.11 Weniger strikt auf eine Lösung fokussiert ist die Rollenbeschreibung gem § 1 Abs 1 Zivilrechts-Mediations-Gesetz12 in dem Mediation als Methode beschrieben wird, die „die Kommunikation zwischen den Parteien systematisch mit dem Ziel fördert, eine von den Parteien selbst verantwortete Lösung ihres Konfliktes zu ermöglichen“. Interessant unter dem Aspekt der Abgrenzungsunterschiede ist ebenfalls § 107 Abs 3 Außerstreitgesetz13, wenn als Maßnahmen „Mediation oder Schlichtungsverfahren“ gleichbedeutend erwähnt, aber in der Folge nicht definiert werden, aber auch § 2 Abs 1 Z 1 EU-Mediations-Gesetz14, der Mediation definiert als „ein strukturiertes Verfahren ungeachtet seiner Bezeichnung, in dem zwei oder mehr Streitparteien mit Hilfe eines Mediators auf freiwilliger Basis selbst versuchen, eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeit zu erzielen [...]“.
Es lohnt daher zu erkunden, welche Intentionen der Gesetzgeber bei der Schaffung des Behindertengleichstellungspakets hatte. Im Rahmen der historischen legistischen Entwicklung des Behindertengleichstellungspakets hat sich das im BGStG festgeschriebene Schlichtungsverfahren ohne Entscheidungsbefugnis und die mögliche Beiziehung von Mediation herausgebildet. Eingeladen werden die SchlichtungswerberInnen wie SchlichtungspartnerInnen vom SMS. Diese Behörde bietet den Rahmen für ein Schlichtungsgespräch, trifft aber keine Entscheidungen.
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Schlichtungen und Mediationen durchgeführt werden: „Es ist - insbesondere im Hinblick auf die durchzuführende Mediation - zu erwarten, dass der überwiegende Teil der Diskriminierungsfälle durch die Schlichtung einer gütlichen Einigung zugeführt werden und nicht zu Gericht kommen wird.“15
Die Konfliktlösungsverfahren Schlichtung und Mediation sollen hintereinander durchgeführt werden. „Erfolgt eine Einigung nicht bereits im Erstgespräch, ist das Angebot externer Mediation zu machen. Seitens der Streitparteien ist die Mediation jedenfalls freiwillig. Mediation als Mittel der Streitschlichtung hat sich bewährt und kommt bereits in verschiedenen gerichtlichen Verfahren zur Anwendung“ ist der Regierungsvorlage zu entnehmen.16 „Der Unterschied zwischen Schlichtung und der Mediation dürfte in erster Linie in der das auf eine gütliche Einigung abzielende Verfahren durchführenden Person liegen: Dies ist bei der Schlichtung ein Bediensteter des Bundessozialamts, bei der Mediation ein eingetragener Mediator.“17 (vgl. Risak 2010, 392)
Die Abgrenzung von Schlichtung und Mediation ist im § 14 und 15 BGStG nicht scharf getrennt. Das SMS hat einerseits das Schlichtungsverfahren (§ 14 BGStG) abzuhalten, aber andererseits auch Vorschläge zu unterbreiten. Gem § 15 Abs 1 BGStG (Mediation) wird dem SMS aufgetragen, „unter Einbeziehung einer Prüfung des Einsatzes möglicher Förderungen [...] zu versuchen, einen einvernehmlichen Ausgleich der Interessensgegensätze zwischen den Parteien herbeizuführen“. In der Praxis wird die Tätigkeit der SchlichtungsreferentInnen des SMS in der Wahrnehmung von SchlichtungswerberInnen häufig mit Mediation gleichgesetzt. (vgl. Schober et al. 2012, 82)18
Seit dem Inkrafttreten des BGStG im Jänner 2006 sind nun beinahe 15 Jahre vergangen. Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich mit der Frage beschäftigen, ob Schlichtungen ein erfolgreiches Instrument zur Durchsetzung von Anliegen bei Behindertendiskriminierung sind.
Zuerst werde ich aufzeigen, wie es zu der nun geltenden gesetzlichen Regelung im BGStG kam und werde dabei das Augenmerk insbesondere auf das Instrument der Schlichtung legen und erläutern, wie Schlichtungen in der Praxis funktionieren und wer sie einleiten kann. Ergänzend werde ich darlegen, welche alternativen Regelungen bei Schlichtungsverfahren in die Verhandlungen eingebracht aber schlussendlich wieder verworfen wurden.
Folgende Fragestellungen ergeben sich daraus:
Von welchen Faktoren hängt die Nutzung des Instruments Schlichtung ab?
Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg bei Schlichtungen?
Ist das Instrument Schlichtung in der Praxis geeignet, Barrieren zu beseitigen?
Gibt es eine Änderung der Schlichtungsnutzung im zeitlichen Verlauf?
Ergeben sich aus den Erkenntnissen Handlungsvorschläge?
Barrierefreiheit ist in weiten Bereichen der Wirtschaft gem BGStG vorgeschrieben, allerdings noch immer nicht geschaffen worden. Menschen, die sich diskriminiert fühlen, haben als einziges Instrument des BGStG die Möglichkeit, eine Schlichtung einzuleiten.
Folgende Hypothesen möchte ich überprüfen:
Es gibt Unterschiede in der Nutzung von Schlichtungen je nach Wohnort.
Es gibt Unterschiede in der Nutzung von Schlichtungen je nach Behinderung.
Es gibt Faktoren, die es wahrscheinlicher machen, dass Schlichtungen mit einer Einigung enden (Beratung im Vorfeld; NGO-Beteiligung).
Das Wissen um die Möglichkeiten eines Schlichtungsverfahrens dürfte begrenzt sein.
Nicht behinderte Menschen führen kaum Schlichtungen.
Schlichtungen ermöglichen das Gespräch zwischen SchlichtungswerberInnen und SchlichtungspartnerInnen.
Die Einladung durch eine Behörde bewirkt in der Praxis eine hohe Verbindlichkeit des Schlichtungsverfahrens.
Schlichtungsverfahren bewirken häufig eine teilweise Verbesserung der Situation auf individueller Ebene.
Die ältesten Anhaltspunkte zum Wirken von Schlichtungen gemäß BGStG bilden Daten, der im Dezember 2007 präsentierten Erkenntnisse einer Befragung des SMS (Schlichtungen von Jänner 2006 bis Oktober 2007).1920 Die Auswertung der 243 Schlichtungen (2006-2007) führte ebenfalls das SMS durch.21 Im Jahr 2012 wurde eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums zur Evaluierung des Behindertengleichstellungsrechts2223 veröffentlicht, die Daten zu Schlichtungen (2006-2010) beinhaltet.
Ergänzend wurde auf Gesetzesentwürfe, Protokolle der Arbeitsgruppe der Bundesregierung zu Schaffung des BGStG, einer Chronologie24 vom Verein BIZEPS zur Behindertengleichstellung, Informationen aus der Sektion IV des Sozialministeriums, dem SMS und der Behindertenanwaltschaft zurückgegriffen. Zuletzt wurde auf Erkenntnisse einer Master-Thesis von Frau Brunhuber25 an der Johannes-Kepler-Universität Linz aus dem Jahr 2018 verwiesen.
Vom SMS zur Verfügung gestellte Statistiken zu Schlichtungen und Mediationen wurden ebenfalls für diese Arbeit genutzt; zur Auswertung lagen ergänzende Detail-Daten (Anfang 2006 bis September 2017) von 2.322 Schlichtungen - im Folgenden „SMS Detaildaten Schlichtungen 2006-2017“ genannt - vor. Zusätzlich wurden die öffentlich zugänglichen Informationen zu Ergebnissen einzelner Schlichtungen der Behindertenanwaltschaft26 und aus 165 Schlichtungen der BIZEPS-Schlichtungsdatenbank27 berücksichtigt. Bei den drei verbandsklageberechtigten Organisationen wurde bezüglich Verbandsschlichtungen recherchiert. Es muss weiters angemerkt werden, dass außer der Gesamtsumme und dem Ausgang der Schlichtungen kaum öffentlich zugängliche Daten von Schlichtungen verfügbar sind. Dies liegt - so wurde im Laufe der Zeit erkennbar - auch an dem Umstand, dass diese Daten weder exakt noch umfassend erhoben werden.
Ich bin Aktivist der Selbstbestimmt-Leben Bewegung sowie Gründungsmitglied und Obmann von BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. BIZEPS ist das erste österreichische Zentrum für Selbstbestimmtes Leben und wurde im Jahr 1994 in Wien als Verein gegründet. Bei der Entwicklung des Behindertengleichstellungspakets habe ich für die Behindertenbewegung in der Arbeitsgruppe der Bundesregierung zur Schaffung des Gesetzes mitgewirkt. Im Jahr 2004 habe ich den Klagsverband mitbegründet.
1 BGBl 1930/1 idF BGBl I 1997/87.
2 BGBl 1970/22 idF BGBl I 2005/82.
3 BGBl I 2005/82.
4 BGBl I 2013/138.
5 BGBl II 2014/59.
6 ErläutRV 836 BlgNR 22. GP, 5.
7 ErläutRV 836 BlgNR 22. GP, 10.
8 Risak (2012), 389.
9 Sonnleitner (2015), 67.
10 BGBl 1969/24 idF BGBl I 2008/82.
11 ErläutRV 505 BlgNR 23. GP, 5.
12 BGBl I 2003/29.
13 BGBl I 2003/111 idF BGBl I 2013/15.
14 BGBl I 2011/21.
15 ErläutRV 836 BlgNR 22. GP, 10.
16 ErläutRV 836 BlgNR 22. GP, 12.
17 Risak (2012), 392.
18 Schober/Sprajcer/Horak/Klein/Djukic/Soriat (2012), 82.
19 SPÖ: „Buchinger: Behinderten-Gleichstellungspaket ist ein großer Erfolg“, APA-OTS0114 vom 03.12.2007.
20 Ladstätter (2007).
21 Bundessozialamt (2007), 6.
22 Schober/Sprajcer/Horak/Klein/Djukic/Soriat (2012).
23 Pfeil/Mayer (2012).
24 BIZEPS: „Behindertengleichstellungsrecht-Geschichte“, URL: https://www.bizeps.or.at/wissenswertes/behindertengleichstellungsrecht-geschichte/ (abgefragt am 21.04.2020)
25 Brunhuber (2018).
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