Sissi Im Dienst der Krone - Gaby Schuster - E-Book

Sissi Im Dienst der Krone E-Book

Gaby Schuster

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Beschreibung

Es hatte wie im Märchen begonnen. Doch aus der lebensfrohen Prinzessin ist eine einsame Kaiserin geworden. Sissi muss am Wiener Hof um alles kämpfen, was ihr teuer ist: um ihre Kinder, ihre Wünsche, ihre Freiheit. Eins nach dem anderen wird ihr genommen. Aber dann lernt sie den rebellischen Grafen Andrässy kennen. Und plötzlich hat ihr Leben wieder einen Sinn. Teil zwei der Sissi-Trilogie von Gaby Schuster

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet

diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliographie.

Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet

überhttp://dnb.d-nb.deabrufbar.

                                   º

                     ISBN 978-3-86466-102-0

  © 2013 by BestSelectBook Digital Publishers

Digitalised in Germany

Inhaltsverzeichnis

 

Der Kinderzimmerkrieg   5

Triumph in Italien    22

Schwarze Schleier    37

Tränen und Pflichten    50

101 Kanonenschüsse    62

Perlen und Orden    78

Der Glanz erlischt    96

Flucht in den Süden    111

Tödliches Übel    125

Neue Pläne und Ziele    138

Alles für die Schönheit    152

Rettung für Rudolf    167

Der Blitz schlägt ein    180

Herzklopfen und Wahrheiten    195

Heimlicher Kummer    209

Diplomatische Missionen    224

Geheimnisse und Schwüre    239

Ein Schloss in Ungarn    252

Glückwünsche und eine Krone    264

Eine bayerische Verlobung    280

Versöhnung    292

Alles für Ungarn    302

Das Treffen der Kaiserinnen    317

Geburt in Ungarn     331

Die Einzige    343

Hochzeit im Sommer    356

Nachsatz    363

Gaby Schuster / Die Sissi-Romane    365

Der Kinderzimmer-Krieg

„Wie schön das ist! Ich hab ganz vergessen, wie sich die Sonne auf der Haut anfühlt!” Kaiserin Elisabeth von Österreich schloss die Augen und hob das Gesicht den warmen Strahlen entgegen.

Ihre Hofdamen schauten sich verständnislos an. In steife Gewänder mit zahllosen Unterröcken gehüllt, von eng geschnürten Korsetts um den Atem gebracht und mit Schweißperlen auf der Stirn, empfanden die hochwohlgeborenen Damen diese sportliche Exkursion als Zumutung. Warum musste Elisabeth den Kaiser begleiten? Weshalb konnte sie nicht im Tal warten, bis er den höchsten Berggipfel Österreichs, den Großglockner, ausreichend besichtigt hatte?

„Wünschen Kaiserliche Hoheit eine Erfrischung?”

„Nein! Ich möcht' einfach nur ein bisserl hier sitzen und die Aussicht genießen!”

Vielsagende Blicke wurden hinter Sissis Rücken getauscht. Die Hofdamen zogen sich gehorsam zurück, behielten sie aber im Auge. Kritisch, missbilligend und lauernd. Wie sie es seit zwei Jahren ununterbrochen taten. Aber die schlanke, mädchenhafte Fürstin, die reglos auf der grob behauenen Holzbank neben der Wallnerhütte saß, achtete offenbar nicht darauf. Sie schien ganz unbefangen den geschenkten Tag unter freiem Himmel zu genießen. Das einfache grüne Lodenkostüm umspannte ihre beneidenswert schlanke Taille, und die schmalen Füße steckten in eigens für sie gefertigten, ledernen Wanderstiefeln. Sie hatte den Jägerhut mit der feschen Feder abgenommen, und das Sonnenlicht zauberte goldene Reflexe auf ihre kompliziert geflochtenen Haare.

Ihre Kaiserliche Hoheit Elisabeth von Österreich hatte sich in den beiden Jahren, die seit ihrer Heirat mit Kaiser Franz Joseph vergangen waren, aus der scheuen, ängstlichen Braut in eine elegante junge Monarchin verwandelt. Sie hatte gelernt, ihre Hofdamen auf Distanz und ihre Gedanken für sich zu behalten.

Elisabeths Augen glitten über die imponierende Landschaft des Großglocknermassivs. Sie war glücklich über die kurze Spanne des Friedens und der Ungestörtheit. Normalerweise eine geübte Bergsteigerin, hatte sie sich an diesem Tag für das Pferd und den Tragsessel entschieden, damit sie Franz Joseph wenigstens bis zum Laretterboden auf knapp über zweitausend Meter begleiten konnte. Schließlich hatte sie dem Kaiser erst vor wenigen Wochen, innerhalb von sechzehn Monaten, die zweite Tochter geschenkt, da war an ausgedehnte Bergwanderungen noch nicht zu denken.

Die kaum überstandene Geburt war für sie jedoch kein Hindernis gewesen, den Kaiser auf seiner Reise durch Kärnten und die Steiermark zu begleiten. Jeder Tag, den sie nicht in der Wiener Hofburg verbringen musste, war ein schöner Tag für sie.

Sissis Gedanken wanderten zu der kleinen Gisela, die für alle eine solche Enttäuschung gewesen war. Armes kleines Mädchen. Nicht einmal sie selbst hatte sich über Giselas Geburt so freuen können, wie es sich eigentlich gehört hätte. So viele Mühen, und dann wieder kein Sohn! Da konnte die kaiserliche Mutter, Erzherzogin Sophie, noch einen Minuspunkt auf der Liste verbuchen, die sie für ihre ungeliebte bayerische Schwiegertochter aus dem Hause Wittelsbach führte. Aber wenigstens hatte die kleine Sophie jetzt eine Schwester.

Gisela, nach der ungarischen Schutzheiligen benannt, würde für Sophie das sein, was Nene, Marie und Mathilde für die Kaiserin waren: Heimat, Vertraute, Freundinnen, ein Halt in dem verwirrenden Durcheinander aus höfischer Etikette und den Zwängen des Kaiserhauses. Auch die beiden kleinen Prinzessinnen würden einen solchen Trost einmal dringend benötigen, dessen war sich ihre Mutter sicher.

Sissi unterdrückte einen Seufzer und versuchte, sich zusammenzureißen. Es hatte ja keinen Sinn, in Melancholie zu versinken. Immerhin hatte sie sich nach dieser zweiten Geburt keine dummen Hoffnungen mehr darauf gemacht, dass sich im Leben der kaiserlichen Familie irgendetwas zum Besseren wenden würde. Die „Kinderkammer”, die direkt neben den persönlichen Räumen von Franz Josephs Mutter lag, wurde von der Erzherzogin wie ihr ureigenstes Reich regiert.

Obwohl Sissi es anfangs erleichtert begrüßt hatte, dass ihre Schwiegermutter zahllose Gänge und Treppen entfernt in der Hofburg residierte, änderte sich diese Meinung nach der Geburt ihres ersten Kindes sehr schnell. Es kam einer Wanderung gleich, wenn sie Sophie besuchen wollte. Erst recht, als ihr die Beschwerden der zweiten Schwangerschaft zusetzten und sie bei Treppenstufen um Atem rang.

Sie hatte sich jedes Mal eigens anmelden müssen, wenn sie ihr Kind sehen wollte. Wurde sie endlich vorgelassen, konnte sie keine Minute mit ihrem kleinen Mädchen allein verbringen. Fast immer waren fremde Menschen an Sophies Wiege, denen die Kaisermutter das kleine Mädchen so stolz vorführte, als wäre es ihr eigenes Kind. Eine Amme stillte den Säugling, und die adelige Kinderfrau rümpfte die Nase, sobald die junge Mutter ihre Erstgeborene auf den Arm nehmen wollte. So hatte sich Sissi das Familienleben nicht vorgestellt!

Die zweite, mühevolle Schwangerschaft hatte ihr dann nach und nach die Energie geraubt, sich zu wehren. Zudem litt sie unter dem Wissen, dass alle Welt auf den ersehnten Thronfolger wartete. Man sah es als ihre Pflicht und Schuldigkeit an, diesen Wunsch zu erfüllen. Und sie selbst hatte am meisten darauf gehofft. Nicht einmal die Kaisermutter war enttäuschter gewesen als Sissi, sobald die Hebamme das Geschlecht des kleinen Geschöpfes verkündete, das krebsrot und empört dagegen protestierte, dass es auf die Welt gekommen war.

„Ein Schluck Wasser, Kaiserliche Hoheit?”

Sissi schrak aus ihren Gedanken und unterdrückte eine gereizte Antwort. Warum konnten sie diese Gräfinnen und Baroninnen nicht in Frieden lassen, wenn sie ausdrücklich darum bat?

„Danke”, erwiderte sie und griff nach dem Becher. Aber sie trank nicht. Im Gegensatz zu ihren erschöpften Hofdamen fühlte sie sich frisch und nicht im Geringsten müde. Diese Reise ohne die bedrückende Gegenwart der Erzherzogin, die in Wien die Regierung für den Kaiser übernommen hatte, tat ihrem Wohlergehen besser als alle Mixturen des kaiserlichen Leibarztes.

Auch Franz Joseph hatte das festgestellt. Er war verliebter als je zuvor in seine schöne Sissi, der niemand die Geburt ihrer beiden Kinder ansah. Er konnte ihr keinen Wunsch abschlagen. Sissi hatte die günstige Stunde genutzt und ihn auf ihre Sorgen mit der „Kinderkammer” angesprochen. So weit von Wien und dem strengen Blick seiner Frau Mama entfernt, war es kein Problem für sie gewesen, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Alle beide hielten sie es für eine gute Idee, jeder Diskussion mit der Erzherzogin aus dem Wege zu gehen. Der Kaiser hatte Sissis Wünsche in einem persönlichen Brief an seine Mutter als seine eigenen ausgegeben.

Sissi erinnerte sich mit ausgesprochenem Vergnügen an die steifen, aber unmissverständlichen Formulierungen. Von dem „peinlichen Gefühl” war da die Rede gewesen, das die Eltern empfanden, weil sie ihre Kinder in der Wohnung der Erzherzogin „eingeschlossen” wussten. Davon, dass es dem Kaiser als Vater ein „Gräuel” war, wenn sich die Kleinen vor fremden Menschen produzierten. Es „verkürze” ihm zudem die kostbare Zeit, die er mit seinen Kindern verbringen könne, wenn er sie nie alleine vorfand. Am Ende forderte er in dem Schreiben, die beiden Prinzessinnen künftig in den „Radetzky-Zimmern” der Hofburg unterzubringen. Sie lagen unmittelbar neben den Räumen der Kaiserin, sodass Sissi endlich ihre Kinder bei sich hatte und sie sehen konnte, wann sie wollte.

Für die unbeugsame Erzherzogin bedeuteten diese Forderungen einen Affront. Die junge Kaiserin verspürte ein leichtes Frösteln und hob die Schultern. Die strenge, aber doch leidlich freundliche Tante Sophie ihrer Verlobungstage hatte sich in Wien in eine erbitterte Feindin gewandelt. In eine Rivalin, die mit kalter Eifersucht ihren Einfluss auf den Sohn geltend machte. In eine unbarmherzige Kritikerin, die ihre Schwiegertochter im vertrauten Kreis mit einem betonten Seufzer „dieses lästige Kind” nannte. Natürlich hatte der Hofklatsch Sissi davon unterrichtet. Je boshafter die Gerüchte waren, umso eher kamen sie ihr zu Ohren.

Mit Ausnahme von Franz Joseph schien es am steifen Wiener Hof nicht einen Menschen zu geben, der sie so akzeptierte, wie sie war. Alles das, was man zu Hause in Possenhofen an ihr so gemocht hatte, war in Wien tabu. Der Hof missbilligte die „Perle von Possenhofen”, die das steife Zeremoniell zu vermeiden versuchte, wo es nur ging, da sie keinen Sinn darin sah. Die lieber im Prater ausritt, als im Cercle der Damen über alberne Nichtigkeiten zu plaudern.

Wo sie auch war, überall schlug Sissi Verachtung entgegen, zwar höflich kaschiert, aber dennoch verletzend. Sie hatte gedacht, dass die Liebe des Kaisers sie darüber hinwegtrösten würde. Aber sosehr der 26-jährige Monarch seine Frau auch anbetete, konnte er beim besten Willen nicht verstehen, dass sie mehr von ihm wollte als männliche Leidenschaft bei Nacht und freundliche Schwärmerei am Tag. Er hatte keine Zeit, ihr auch noch Kamerad und Seelenfreund zu sein, er war der Kaiser, er musste seine Pflicht tun. Sissi kannte seine Argumente aus vielen vergeblichen Diskussionen. Weshalb beschwerte sie sich? Hatte sie nicht alles, was ein Mensch sich nur wünschen konnte? War sie nicht die geliebte Kaiserin eines mächtigen Mannes? Wenn Sissi seine Zeit wollte, winkte Franz Joseph nervös ab. Zeit hatte er doch am allerwenigsten. Dass sie Zärtlichkeit, Lachen und herzliche Freundlichkeit im steifen Alltag der Hofburg vermisste, fand er kindisch und ärgerlich unreif. Er hoffte dringend darauf, dass sie endlich begriff, was man von einer Kaiserin erwartete.

Sissis schöner Mund verzog sich bitter. Sie war erst 18 Jahre alt. Kaum richtig erwachsen. Aber wenn sie in diesem Augenblick über ihr Leben in den vergangenen beiden Jahren nachdachte, kam es ihr vor, als wäre es ein halbes Jahrhundert der Enttäuschung und Einsamkeit gewesen. Nichts war so gekommen, wie sie es sich gewünscht hatte!

„Sissi! Wie schad, dass du nicht mitgegangen bist! Es war wunderbar! Schau, was ich dir mitgebracht hab!”

„Franzi!”

Mit den kniekurzen Lederhosen, dem Bauernjanker und dem wippenden Gamsbart, der über den Hut ragte, sah der Kaiser in diesem Moment gar nicht nach einer Respektsperson aus, sondern nach einem unbeschwerten jungen Mann. Er lächelte Sissi aus seinen klaren blauen Augen an und reichte ihr mit einer kleinen Verneigung das winzige Sträußchen Edelweiß, das er für sie gepflückt hatte.

„Edelweiß”, flüsterte Sissi mit belegter Stimme. „Wie damals in Ischl ...”

Damals, als niemand sie davor gewarnt hatte, was es bedeutete, verheiratet zu sein. Was es bedeuten würde, Kaiserin und Frau zu sein.

„Ich hab dich auch noch genauso lieb wie damals”, strahlte Franz Joseph und schloss sie glücklich in seine Arme. „Vielleicht sogar lieber!”

Denn noch mehr als die einfachen Menschen, die ihren Reise weg säumten und bei jedem Halt „Hurra” schrien, bewunderte Franz Joseph die zarte Schönheit, die er in jenem Ischler Sommer vor zwei Jahren erobert hatte.

Sein leidenschaftliches Geständnis vertrieb die Traurigkeit aus Sissis Augen. Hier in der freien Berglandschaft, weit weg vom steifen Zeremoniell des Wiener Hofes, fand sie den jungen Mann wieder, in den sie sich damals verliebt hatte. Ihren „Franzi” und nicht den Kaiser. Den attraktiven, schneidigen Cousin, der so sehr ihren Träumen von einem edlen Ritter entsprach. In solchen Augenblicken wünschte sie sich aus ganzem Herzen, nie wieder nach Wien zurückkehren zu müssen. Allerdings hatte sie bereits gelernt, diese Wünsche für sich zu behalten. Franz Joseph begriff nicht, weshalb ihr Wien und das Leben dort so sehr missfielen. Wenn sie es ihm zu erklären versuchte, schaute er sie nur ratlos an. Ebenso gut hätte sie mit einer der zahllosen Marmorstatuen sprechen können, die in der Hofburg herumstanden.

„Hast du dich ausgeruht?”, erkundigte sich der Kaiser jetzt besorgt und suchte in dem ovalen Gesicht mit den ausdrucksvollen braunen Augen nach Spuren von Anstrengung oder Müdigkeit.

„Natürlich”, beruhigte ihn Sissi und erhob sich, um ihre Röcke in Form zu schütteln. Sie steckte das kleine Sträußchen ins Revers ihrer Jacke und legte eine Hand auf Franz Josephs Arm. Dann sah sie ihn mit ihrem unverwechselbaren, spitzbübischen Lächeln an, das alle umsonst zu beschreiben versuchten und das ihren besonderen Charme ausmachte. „Wenn du noch gut beieinander bist, könnten wir unserem Tross vielleicht sogar davonlaufen!”

Wandern war eines der wenigen Dinge, die sie gemeinsam liebten. Laufen, mit weit ausgreifenden Schritten in der herrlichen Bergwelt. Die Naturliebe verband sie und machte aus dieser Reise etwas Besonderes, an das sich Sissi noch viele Jahre später erinnern sollte.

Unten in Heiligenblut warteten nicht nur Böllerschüsse und Blaskapellen auf sie, sondern der Kurier aus Wien. Neben den Aktenstapeln, die Franz Joseph auch auf dieser Reise gewissenhaft durcharbeitete, fand sich ein Brief der Erzherzogin. Steif, knisternd und mit strengen Schriftzügen, wie das papierne Abbild seiner einschüchternden Absenderin.

„Was schreibt sie?” Sissi versuchte vergeblich, ihre Stimme fest klingen zu lassen. Ihr Herz klopfte bis in den Hals hinauf. Sie kam sich wie ein kleines Kind vor, das etwas angestellt hat und nun zur Rede gestellt wird.

Franz Joseph überflog die mütterlichen Zeilen mit gerunzelter Stirn. Es war wohl besser, wenn die arme Sissi dieses Schreiben nicht zu lesen bekam. Sie hätte sonst wirklich allen Grund gehabt, empfindlich zu reagieren. Die Mutter des Kaisers wusste genau, wer hinter seinem Entschluss steckte, die Kinder ihrem Einfluss zu entziehen. Der Brief wimmelte vor verstohlenen Anspielungen auf Sissi, und die Erzherzogin hatte auch nicht mit deutlichen Worten gespart.

„Na, sie ist aufgebracht”, schwächte Franz Joseph die empörten Sätze diplomatisch ab und lächelte seine schöne Frau beruhigend an. „Und am Ende droht sie gar, dass sie ihre Wohnung aufgeben wird und die Hofburg verlassen will. Das kommt natürlich gar nicht in Frage!”

Sissi biss sich auf die Unterlippe. Und warum nicht? Wäre es nach ihr gegangen, sie hätte der Erzherzogin eigenhändig beim Umzug geholfen. Aber das würde der Franzi vermutlich, wie vieles andere, nicht verstehen. Wenn es um seine Mutter ging, war er immer noch ein gehorsames, gutgläubiges Kind.

„Die Hofburg verlassen? Das tut sie nie! Wirst du ihr schreiben?”, erkundigte sie sich leise.

„Nicht gleich”, winkte der Kaiser ab und wandte sich seiner übrigen Post zu. „Es gibt Wichtigeres im Moment.”

„Ich hab Angst”, rutschte es Sissi heraus. Die unbeschwerte Fröhlichkeit des gemeinsamen Wandertages schien eine Ewigkeit her zu sein. Sie verkrampfte die schlanken Hände vor der Taille und sah ihn Hilfe suchend an.

Der Kaiser ließ die Papiere sinken und schenkte ihr jenes leicht abwesende und ratlose Lächeln, an dem sie stets erkannte, dass er einfach nicht begreifen konnte oder begreifen wollte, was sie fühlte. Er liebte seine Sissi, aber was in ihrer Seele vorging, war ihm ein völliges Rätsel.

„Du wirst doch keine Angst vor der Mama haben”, sagte er dann auch prompt ein wenig unwirsch. „Sie regt sich nur im Moment etwas auf. Bis wir nach Wien kommen, hat sich alles eingerenkt.”

Sissi öffnete den Mund, aber dann entschloss sie sich doch zu schweigen. Sie wusste, mit welcher eigensinnigen Hartnäckigkeit der junge Kaiser unangenehmen Gesprächen und Briefen aus dem Wege ging. Er mochte keine Auseinandersetzungen, und ganz besonders hasste er es, wenn er zwischen Sissi und seiner Mutter vermitteln sollte. Er konnte nicht verstehen, weshalb die beiden Frauen, die er liebte, sich ständig befehdeten.

„Und jetzt sei ein Schatz, und lass mich diese Depeschen lesen”, bat der Kaiser und begann bereits, die erste Mappe aufzuschnüren. „Wir sehen uns beim Nachtmahl. Ich werd' mich auch beeilen.”

Sissi senkte den Kopf und ersparte sich eine Antwort. Franz Joseph würde sich nicht beeilen. Er würde in seiner gründlichen, langsamen Art jede Zeile lesen und ebenso bedächtig seine Antworten formulieren. Pflichtbewusst, diszipliniert und ermüdend. Das Bild des strahlenden Ritters verblasste nur allzu oft hinter dem eines pedantischen Beamten. Aber vielleicht sah sie heute auch alles zu schwarz.

Sie zog sich zu ihren Damen zurück, die sie bereits hektisch zum Umkleiden erwarteten. Es kam nicht in Frage, dass sich die Kaiserin im Wanderkostüm zu Tisch setzte. Im letzten Moment konnte Sissi das kleine Edelweißsträußchen aus dem Revers ziehen. Die zarten Blüten ließen traurig die Köpfe hängen, und sie fühlte sich ihnen auf seltsame Weise verwandt. Es fehlte den samtigen weißen Sternen an der richtigen Umgebung, an der Erde. Franz Joseph hatte sie um ihrer Schönheit willen gepflückt und einmal mehr nicht begriffen, dass der Kaiser vielem befehlen konnte, aber nicht der Natur. Weder der Natur einer Blume noch der Natur eines empfindsamen jungen Mädchens.

„Bringen Sie mir eine Vase, Gräfin”, bat Sissi leise.

„Ob sich das noch lohnt?”, wagte ihre Obersthofmeisterin einzuwenden. „Man könnt sie höchstens pressen, damit Kaiserliche Hoheit Freude daran haben.”

Trockene Blumen zwischen Seidenpapier. Ordentlich und in Albumformat gepresst, logisch, dass so etwas der kleinlichen Gräfin gefiel. Sissi senkte die langen Wimpern über ihrem schwermütigen Blick. Sie kam sich wie eine der kleinen Blüten vor. Eingepresst in ein Korsett aus Etikette und seelenlosen Zeremonien. Sie ersparte sich die Antwort, und die Gräfin Esterhazy schob es einmal mehr auf die wunderlichen Launen der jungen Kaiserin.

Sissi war es egal. Sie versuchte, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Ihr war nur zu bewusst, dass jedes ihrer Worte und jede ihrer Gesten nach Wien berichtet wurde. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, wer im Einzelnen für die Erzherzogin Spitzel dienste verrichtete. Sie begegnete allen Damen mit Vorsicht und schwor sich im Geheimen, sie alle zum Teufel zu jagen, sobald sie die nur Macht dazu bekommen würde.

Wenn die Frage der Kinderzimmer in der Hofburg tatsächlich zu ihren Gunsten entschieden würde, dann hatte sie bereits einen großen Schritt in diese Richtung getan. Bis dahin indes musste sie ihre Obersthofmeisterin, die verkniffene Fürstin Sophie Esterhazy, ebenso ertragen wie die verbitterte Gräfin Karoline Lamberg, die es immer noch nicht verwunden hatte, dass ihr Vater von den aufständischen Ungarn im Jahre 1848 getötet worden war.

Sissi spürte sehr wohl, dass diese reifen Damen sie im Geheimen missbilligten und ihren Dienst bei ihr nur versahen, weil es eine Ehre für ihre Familien war, dem Kaiserhause zu dienen. Aber sie war nicht länger bereit, sich von ihnen einschüchtern zu lassen. Es lag an diesem Abend etwas in ihrer Haltung, das den aufmerksamen Beobachtern, die tatsächlich jede ihrer Gesten überwachten, unangenehm auffiel. Mit ihrer Gesundheit hatte die schöne junge Kaiserin auch ihre Energie und ihren unbeugsamen Stolz zurückgewonnen. Beides benötigte sie dringend.

Der Zug mit den königlichen Salonwagen traf Mitte September 1856 wieder in Wien ein. Die Kutschen warteten am Bahnhof, aber die Hochrufe der Wiener für das Herrscherpaar hielten sich in Grenzen, als der Konvoi in Richtung Hofburg trabte, von den kaiserlichen Gardisten begleitet. Wenn überhaupt galten sie der schönen jungen Kaiserin und nicht dem Kaiser, dem man nachsagte, dass er ohnehin nur das tat, was seine Mutter haben wollte.

Sissi enttäuschte die Wiener, denn sie winkte nicht zurück. Sie war ganz darin vertieft, sich auf die Begegnung mit der Erzherzogin vorzubereiten. Die hohe Dame hatte dem Wunsch ihres Sohnes am Ende erstaunlicherweise doch entsprochen und der Umquartierung der Prinzessinnen zugestimmt. Aber das würde Sissi erst glauben, wenn sie ihre Mädchen in den Radetzky-Zimmern fand. Zuvor indes musste sie noch ihre Reverenz vor der gestrengen Schwiegermutter machen, die sie betrachtete, als sei sie etwas unerhört Empörendes.

Die Frauen tauschten einen stummen Blick, in dem das Eis klirrte. Ihnen beiden war klar, dass sie sich im Krieg befanden. Nur ein junger, argloser Mann wie Franz Joseph, der nicht die Spur von Verständnis für weibliche Gefühle und Gedanken besaß, konnte in diesem Moment glauben, dass damit alle Schwierigkeiten beseitigt seien. Er küsste der verehrten Frau Mama schwungvoll die Hand, lächelte Sissi zu und entschwand in sein Arbeitszimmer. Sissi blieb bei der Erzherzogin zurück, die sofort zum Angriff überging. Beim Versuch, wieder Boden zu gewinnen, zielte die Mutter des Kaisers sofort auf Sissis wundesten Punkt. Noch immer fehlte der Thronerbe!

„Es ist deine Pflicht, dem Kaiser einen Erben zu schenken!”, verkündete sie, als habe sich Sissi geweigert, das zu tun.

„Ich bin erst 18”, entgegnete Sissi und streckte eigensinnig das Kinn vor. Sie ahnte bereits, dass sich ihre Schwiegermutter auf dieses Thema konzentrieren würde.

„Es liegt an deiner unsinnigen Lebensweise”, warf die Erzherzogin Sissi ein paar Tage später vor, als sie sich in den neuen Kinderzimmern der Hofburg begegneten.

„Dieses ständige Reiten! Das Getue mit den Hunden, Papageien und Pferden! Es ist an der Zeit, dass du begreifst, dass du die Kaiserin bist und keine Zirkusdirektorin!”

Sissis Hände vergruben sich in den Falten ihres Rockes, und sie straffte die schmalen Schultern. Sie hatte die mädchenhafte Harmlosigkeit der ahnungslosen Prinzessin verloren und war zu einer schönen, stolzen Erscheinung herangewachsen, die mit ihren 172 Zentimetern sogar den Kaiser ein wenig überragte. Etwas, das ihr die Erzherzogin zusätzlich vorwarf, obwohl sie dafür nun wirklich nichts konnte.

„Innerhalb von zwei Monaten nach der letzten Geburt kann nicht einmal ein Wunder Ihnen einen Enkel und Thronfolger verschaffen!”, sagte sie leise, aber sehr nachdrücklich. „Aber Sie können sicher sein, verehrte Mama, dass Ihr Sohn, der Kaiser, auch weiterhin sein Möglichstes tun wird, um einen Thronerben zu bekommen.”

Die Erzherzogin wusste nicht, worüber sie sich mehr ärgern sollte. Über die feine Ironie des ersten Teils dieser Antwort oder über den Sarkasmus des zweiten Teils. Wollte sich diese Person etwa darüber beschweren, dass Franz Joseph sie mit geradezu närrischer Leidenschaft begehrte?

„Der Kaiser weiß eben, was seine Pflicht ist!”, erklärte die Erzherzogin hoheitsvoll, und Sissi verzichtete darauf, diesen Krieg der Worte und versteckten Beleidigungen fortzusetzen.

Sie beugte sich über die Wiege ihrer kleinen Tochter und streichelte mit den Fingerkuppen über die feinen hellblonden Härchen, die unter dem spitzenbesetzten Häubchen zum Vorschein kamen.

„Mein armes kleines Mädchen”, dachte sie im Stillen resigniert, während sie spürte, dass die Erzherzogin sie mit scharfen Augen beobachtete. „Welch ein Glück, dass du heute noch nicht weißt, was dir das Leben einmal alles aufbürden wird!”

Triumph in Italien

„Das kommt überhaupt nicht in Frage! Ein solches Unternehmen ist völlig närrisch! Man setzt den Kaiser nicht unbekannten Attentätern aus, nur um einer Horde von italienischen Verrätern zu schmeicheln! Auch nicht, wenn seine Gattin wieder auf Reisen gehen will.”

Erzherzogin Sophie ging ungewohnt gereizt im großen Arbeitszimmer des Kaisers auf und ab. Ihre mehrfach gerüschten, steifen schwarzen Seidenröcke raschelten über den dicken Perserteppich. Die gestärkten Spitzenbänder der Haube flatterten hinter ihr her, ein Symbol für den Sturm, der in ihr tobte.

Franz Joseph wäre es lieber gewesen, wenn sie sich endlich gesetzt hätte. Das Hin und Her machte ihn nervös. Aber er wagte nicht, sie darum zu bitten. Er mochte ja der Kaiser sein, aber in solchen Augenblicken war er nur der gehorsame Sohn einer energischen Mutter.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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