Sissy Engl Mein ganzes Leben ist immer alles aus Versehen passiert. - Heinz Michael Vilsmeier (D) - E-Book

Sissy Engl Mein ganzes Leben ist immer alles aus Versehen passiert. E-Book

Heinz Michael Vilsmeier (D)

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Beschreibung

Das Interview mit Sissy Engl, einer anerkannten und erfolgreichen Sängerin, Schauspielerin und Choreografin, fand am 6. Juli 2012 in München statt. Sissy Engl ist Mitbegründerin der "Mandolin Motions Einstein Show Academy", die sie 1980 zusammen mit Peter Mühlen gegründet hat. Sie ist bekannt für ihre künstlerische Vielseitigkeit. Besonders prägend waren ihre Rollen in Theaterstücken von Fernando Arrabal und Jean-Paul Sartre sowie ihre provokativen Auftritte in Filmen während der sexuellen Befreiung der 1970er Jahre. Im Interview spricht Sissy Engl auch über ihre Zusammenarbeit mit Münchner Kulturgrößen wie Katja Ebstein und Konstantin Wecker und gewährt Einblicke in ihre oft herausfordernden persönlichen Erfahrungen mit Kollegen und Kolleginnen im Kulturbetrieb der alten Bundesrepublik. Ein wiederkehrendes Thema ist das Leben mit Peter Mühlen, der in der Nacht vor einem von ihr arrangierten Interview einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Das Interview mit Peter Mühlen, das dann doch unter ungewöhnlichen und schwierigen Umständen zustande kam, war eines seiner letzten öffentlichen Auftritte vor seinem Tod am 15. September 2012.

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Heinz Michael Vilsmeier

im Gespräch mit

Sissy Engl

Mein ganzes Leben ist immer alles aus Versehen passiert.

E-Book

Impressum

HAMCHA art integration

Heinz Michael Vilsmeier

Spiegelbrunn 11

84130 Dingolfing

© Copyright by Heinz Michael Vilsmeier, 2012

Erste deutschsprachige Auflage:

© Copyright by Heinz Michael Vilsmeier, 2020

Fotos: © Copyright by Heinz Michael Vilsmeier,2020

Sammlung Peter Mühlen, mit freundlicher Genehmigung

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

https://interview-online.blog

[email protected]

Vorwort

Zu dem nachfolgenden Interview mit der Sängerin, Schauspielerin und Choreografin Sissy Engl kam es am 6.07.2012 in den damaligen Räumen der „Fachakademie für künstlerischen Tanz, Gesang und Musical“ in der Einsteinstraße in München. Die „Mandolin Motions Einstein Show Academy“ wurde 1980 von Sissy Engl und Peter Mühlen in dem Münchner Außenbezirk Haar gegründet und ist später in die Einsteinstraße 123, einem Baudenkmal im Bezirk Haidhausen mit neubarocker Fassade umgezogen. – Die Adresse ist deswegen erwähnenswert, weil sie zur Namensgebung der Show-Academy beigetragen hat. – Obwohl die Show Academy Mandolin Motions in den Jahren nach Peter Mühlens Tod in die Grillparzer Straße 3 umgezogen ist, ist „Einstein“ noch immer im Namen enthalten.

Sissy Engl blickt auf ein äußerst reichhaltiges, buntes und mit vielen Höhen und Tiefen ausgestattetes Leben zurück, in das sie im Folgenden tiefe Einblicke gewährt. Künstlerisch trat sie als Sängerin, Schauspielerin und Choreografin bei Holiday on Ice, auf der Bühne, im Kinofilm und im Fernsehen in Erscheinung.

An der Seite von Peter Mühlen, der wie sie eine feste Größe im Münchner Kulturgeschehen, insbesondere auch beim Bayerischen Rundfunk war, beeinflusste Sissy Engl den Münchner Kulturbetrieb über viele Jahrzehnte. – Insbesondere ihre Auftritte in Stücken von Fernando Arrabal oder Jean Paul Sartre, zum Beispiel als die „ehrbaren Dirne“ in dem gleichnamigen Stück von Sartre, ist Sissy Engl vielen in Erinnerung geblieben. Mit ihrer Rolle als Monika in dem Stück „Magic Afternoon“ des Österreichers Wolfgang Bauer, mit dem Bauer 1968 der internationale Durchbruch als Dramaturg gelang, provozierte Sissy Engl das Theaterpublikum.

Doch damit war keineswegs das Ende der Provokationen erreicht – Sissy Engl tat etwas, was im Zuge der „sexuellen Befreiung“ viele taten: Sie spielte in Streifen wie „Graf Porno und die lebenslustigen Töchter“ (1969), „Dr. Fummel und seine Gespielinnen“ (1970) und „Hurra die deutsche Sexpartei“ (1974).

Viele Sternchen und Stars der Münchner Kulturszene wie Katja Ebstein oder Konstantin Wecker sind Sissy Engl in ihren Jahren im Münchner Kulturbetrieb als Kollegen und Kolleginnen begegnet und haben persönliche Eindrücke und Erfahrungen bei ihr hinterlassen. - Nicht immer übrigens die besten! – Auch darüber berichtet Sissy Engl in dem nachfolgenden Interview.

Am Ende des Gesprächs kamen wir wieder auf ihren Mann und Lebensgefährten Peter Mühlen zu sprechen, der zu diesem Zeitpunkt bereits an einer tödlichen Krankheit litt. Sissy Engl erklärte sich dennoch bereit, einen Interviewtermin mit Peter Mühlen in ihrem gemeinsamen Haus in München Haar zu arrangieren. Am 1.8.2012 kam es dann dazu, jedoch unter nicht vorhersehbaren Umständen. – Peter Mühlen hatte in der Nacht vor dem Termin versucht sich zu suizidieren. – Um das Interview dennoch stattfinden zu lassen, beauftragte er Sissy Engl, meine Fragen zu beantworten. – Später stieß er, ganz zu meiner Überraschung dann zu dem Gespräch hinzu. Dieses ist in einem gesonderten Interviewband veröffentlicht – es war das letzte öffentliche Auftreten des Peter Mühlen. – Ich selbst sah Peter Mühlen danach nicht wieder; er starb am 15.09.2012.

Abbildung 1 Sissy Engl in der Mandolin Motions Einstein-Show-Academy

Ich habe mir alles erzwungen.

HMV: Sissy Engl, sollen wir Du oder Sie sagen?

Sissy Engl: Ich weiß es nicht! – Wie es erwünscht ist…

HMV: Fürs Interview finde ich es schöner, wenn wir beim „Sie“ sind. – Nehmen wir das „Sie“?

Sissy Engl: Ja.

HMV: Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen?

Sissy Engl: Das ist eigentlich schwierig zu sagen. Das weiß ich eigentlich selbst nicht. Das ist eigentlich alles durch Zufall. Also ich weiß nicht, ob es einem sozusagen in die Wiege gelegt ist oder nicht gelegt ist, ob … Das weiß ich nicht. Aber ich hab‘ als Kind natürlich … - meine Mutter war Schauspielerin. Die war vermisst, das war in der Kriegszeit. Und ich hatte sie immer angehimmelt, die war wunderschön! Ich hatte sie angebetet, ich hatte ihre Fotos – und da war vielleicht ein bisschen der Gedanke drin, Schauspielerin zu werden, obwohl ich mich damit eigentlich als kleines Kind noch nicht damit befasst habe. Aber ich bin überall rumgeturnt durch alle Stühle durch, ich war unheimlich beweglich, hatte immer verrückte Ideen. Dann habe ich als kleines Kind immer Lieder – wir hatten Dienstboten und es gab so Dienstbotenlieder ...: ,Steig hinauf auf hohen Berge, da sah sie herunter und da sah sie ihn an und er fuhr herbei und … – Was weiß ich! – Weil er nicht mehr kann ...“ Das waren so Lieder, die hab‘ ich gesungen. Und da gab es ein Lied, das hieß: „Ein Kind mit sieben Jahr, das schon eine Waise war. Und als es groß genug nach ihrem Mütterlein frug: Ach Vater, liebster mein, wo ist mein Mütterlein? – Dein Mütterlein, das schläft fest, sich nicht mehr wecken lässt.“ – Ich glaube bewusst hab‘ ich das nicht gemacht, aber ich glaube, dass ich mich unbewusst damit identifiziert hab‘. Und dieses Stück zum Beispiel, das hab‘ ich mit den Kindern gespielt. Ich war das Kind und da haben wir richtiges Theater gemacht. Und am Schluss haben wir das wunderschön gesungen. Wir haben 5 Pfennig Eintritt verlangt und die Leute sind gekommen. Und die andere Sache war, dass ich halt eben es war die Nachkriegszeit in Arzbach einige Jahre gelebt habe, bei Bad Tölz, was mir, glaube ich, sehr gutgetan hat, denn meine Kindheit war eine sehr harte Kindheit. – Aber es waren Bauernkinder, ich war sehr gut gekleidet, ich wollte in Schürzen rennen, ich wollte barfuß rennen, ich wollte Kühe hüten, ich wollte alles tun, was die Bauernkinder machen! Und ich durfte das eigentlich nicht, und ich bekam immer Schläge …

HMV: … Wer hat Dich so streng erzogen?

Sissy Engl: Meine Großmutter. Die hat mich geliebt, hundertprozentig geliebt. Mein Großvater war Kunstmaler, der war viel unterwegs beim Malen usw., und meine Großmutter ist halt selbst so streng erzogen worden. Die kam halt auch aus einem dementsprechenden Hause, wo man noch in der dritten Person gesprochen hat und wo noch der Anstandswauwau hinterhergegangen ist. – Die wollte halt aus mir etwas machen. Und die wollte halt meine Talente pflegen. Sie hat mich sehr geliebt, sie war aber sehr impulsiv. Die war überintelligent und hat mich zur Schule … irgendwie … Die hat alles in mich reingeschlagen, weil ich wollte alles tun, nur nicht lernen. Ich wollte immer nur spielen, spielen, Höhlen erforschen und was weiß ich was. Die verrücktesten Sachen machen! – Ich hatte viele Spielsachen, vor allem um die Weihnachtszeit. Dann sind immer die Kinder eingeladen worden, da durfte jedes Kind zwei Tage mit mir spielen, dann kam das nächst und dann hat die Puppenfee alles wieder abgeholt, damit ich nicht zu verzogen werde. Und ich musste eben nachmittags um vier Uhr spätestens zu Hause sein, oder ich musst von der Schule aus pünktlich nach Hause. Und wir sind den Schachen runtergerutscht, das war so ein Berg, und meine Großmutter kam schon mit dem Kochlöffel an … Damals hat es noch den Kochlöffel gegeben. – Und die bösen Bauernkinder, die haben überhaupt keine Erziehung gehabt. Wenn ich Schläge bekommen hab‘, dann sind die vorm Fenster gestanden und haben gelacht! – Und hinterher haben wir das dann gespielt. Wir haben gespielt, wie ich die Schläge bekommen hab‘ und warum. Und dann hab‘ ich meine vielen Spielsachen, das war die einzige Möglichkeit, mit diesen Bauernkindern, mit diesen frechen überhaupt zurechtzukommen, mit diesen Spielsachen … Also musste ich die mitnehmen. Da hab‘ ich gesagt: ‚Wenn ich die mitnehme, dann bekomme ich Schläge!‘ Dann haben die gesagt: ‚Und, wenn Du sie nicht mitnimmst, dann bekommst Du von uns Schläge! – Jetzt kannst du es dir aussuchen, woher du die Schläge haben willst!‘

HMV: Tolle Alternativen!

Sissy Engl: Und dann kam der Gedanke: ‚Oder, du spielst uns ‚Scarlett von Schmarotzer‘ vor! – Wenn Du das spielst, dann kannst du deine Spielsachen wieder mitnehmen.‘ – Warum Scarlett? Ich hab‘, glaube ich, als Kind mitbekommen, ‚Vom Winde verweht‘, der Name Scarlett. Ich kann es nur da herhaben. – Das ‚von Schmarotzer‘ – weiß ich nicht, das ist eine verrückte Idee … Und das ‚von‘? – Wir hatten ja doch einige Adelsleute in unserer Familie, da war so ein bisschen „von Schmarotzer“. – ‚Schmarotzer‘ – weiß ich nicht, ich hab‘ nicht an Schmarotzen gedacht. Das ist mir spontan eingefallen. Was ich da gespielt habe, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich weiß nur: Ich hab‘ da etwas gespielt. – Ich hab‘ mich hingestellt, hab gesungen, hab gespielt, hab getanzt und die Kinder waren total begeistert. Und wenn ich fertig war, durfte ich meine Spielsache nehmen und wieder nach Hause gehen. – Ich glaube, das war der erste Gedanke bei mir, Schauspielerin zu werden, so wie meine Mutter … – oder Malerin!

HMV: Wann wurde aus dem Spiel ernst?

Sissy Engl: Mit dem Schauspiel erst sehr, sehr spät. Ich habe dann eigentlich mit Tanz begonnen. Zum Tanz kam ich durch Zufall. Ich habe alle Sportarten gemacht, Skifahren, Eislaufen, Wasserwacht und alles Mögliche schon als kleines Kind. Ich habe viele Ehrenurkunden bekommen. Das Einzige, was mich in der Schule gerettet hat, waren die vielen Urkunden. Da war ich so angeblich übermusikalisch … So konnte ich vom Blatt weg singen und so weiter … und malen. Ich bin mit meinem Großvater immer malen gegangen. Das sind die drei Dinge, die ich konnte, und das waren die drei Dinge, die ich geliebt hab‘. – Und da bin ich einmal, ich bin in den Ferien immer zu irgendeiner Tante geschickt worden, der Onkel war Schuldirektor von zwei Schulen … Dort bin ich auch sehr streng erzogen worden, aber man hat versucht, mir alles möglich zu machen. Ich war ja allein! Man hat ein paar Cousins geholt, damit ich nicht allein bin. Und da hab‘ ich über die Betten Saltos geschlagen, auch rückwärts mit meinen Cousins – das waren Buben! Die haben das alles mitgemacht, ich hab‘ immer dirigiert, was ich da so gemacht hab!

HMV: Wie alt warst Du da?

Sissy Engl: Elf. – Und da kam dann eines Tages meine Tante und sagte … Da gab es ein Mädchen, das hatte schwarze Haare, schwarze Locken und hatte zwar blaue Augen – meine Mutter hatte schwarze Augen, aber ich fand sie so schön wie meine Mutter. Für mich gab es ja nur schwarze lange Haare. Dieses Mädchen habe ich verehrt, weil sie mich an meine Mutter, die war ja immer noch vermisst, erinnert hat. Dann durfte ich mit diesem Mädchen zum Sportverein gehen, um Ballett zu machen. Da sagte ich zu meiner Tante: ‚Was ist denn Ballett?‘ Dann sagte sie: ‚Etwas sehr Schönes, aber etwas sehr Schweres!‘ – Das war die Antwort. Dann wusste ich so viel wie vorher. Dann bin ich dorthin gegangen zum Sportverein. Da war der Rudi Benz, ‚Benzke‘ hat der eigentlich geheißen, aber er hat sich Rudi Benz genannt, ein Russe, russischer Ballettmeister oder Tänzer. Da war richtiger Ballettunterricht in dem Turnverein. Da hat der mich an die Stange hingestellt … Na ja, ich durfte am nächsten Tag wieder hingehen, wieder hingehen und er sagte, ich sei sehr begabt. Dann hat er, ich war sechs Wochen da, eine Eignungsprüfung abgenommen und ich habe so ein Büchlein bekommen, das habe ich heute noch, das Ballettbuch … Da hat er dann reingeschrieben. – Ich habe das komischerweise, als ich dann wieder zurückgekommen bin nach Bad Tölz, da haben wir dann schon in Bad Tölz gewohnt, nicht erzählt. Aber! – Von dem Moment an … Meine Tante gab mir lauter so Seidenfetzen mit … und Tüll! Dann habe ich, ich kann nicht nähen, und ich will nicht nähen, und ich hasse nähen, aber ich habe Röckchen genäht und so kleine Höschen dazu für meine Freundinnen und für mich. Und dann habe ich immer Frühlingsstimmenwalzer gesungen [lacht] und dazu getanzt. – Ich war total besessen! Besessen eigentlich von dieser Idee von dem Ballett. Dann bin ich in irgendeine Gymnastik, da gab es so eine Gymnastik, so zwischen Gymnastik und Metamorphose, von der ich noch nicht so viel gehört hatte, die aber tänzerisch ist. Da hat man mich dann hineingesteckt, weil ich ja im Turnen und bewegungsmäßig sehr begabt war. Das war dann auch schon so ein bisschen, hatte aber mit mir nichts zu tun … - Dann kam meine Mutter irgendwann mal wieder …

HMV: Wo war Deine Mutter die ganze Zeit gewesen?

Sissy Engl: Die war in Wien. Wien war in vier Zonen geteilt durch den Krieg. Sie war in der russischen Zone, sie hatte eine Theatertournee gemacht, hatte mich zu irgendwelchen Leuten gebracht, hat gesagt, sie ‚kommt in drei Tagen zurück …‘ – und kam nie wieder. Ich habe dann Essen und Trinken verweigert. Ich war vier Jahre alt. Bis dann meine Großmutter, meine Großtante und mein Onkel mich hochholten …

HMV: … haben sie Dich aus Wien abgeholt?

Sissy Engl: Nein, nein, nein, das war nicht Wien, das war in München. – Sie ist auf Tournee gegangen, wohin, das weiß ich bis heute nicht! … Kann sein nach Wien. – Das weiß ich nicht. Sie hatte mich in München, das waren Freunde von ihr, gelassen. Und meine Urgroßmutter war Schriftstellerin, eigentlich recht bekannt, Elise Miller, die hatte ‘ne Villa in Pullach. Und da war auch meine Großtante. Und mein Onkel, bei dem ich in Württemberg immer war, durch den ich auch Ballett lernen durfte …

HMV: … der Schuldirektor …

Sissy Engl: … Ja genau! Der war da gerade zu Besuch. Und die holten mich dann nach Pullach. Dann durfte ich jeden Abend mit meiner Tante in den Keller gehen und weinen, wegen meiner Mutter, weil: ich hab‘ immer nach meiner Mutter geweint. Weil meine Großmutter so streng war und ich so viele Schläge bekommen habe und so viele Strafen und dass nicht durfte und jenes nicht durfte, was andere durften, hab‘ ich immer geglaubt: ‚Wenn meine Mutter jetzt da wäre, dann wäre das nicht so … Das war natürlich Blödsinn, aber ich hab‘ das geglaubt. Kinder sind halt so. Ich habe mich schon als Kind ein bisschen selbst bemitleidet. Ich hatte keine Mutter, die anderen hatten schon Mütter. Ich hatte eine strenge Großmutter, die hatte ihren Kochlöffel. Ich durfte das nicht, ich durfte jenes nicht, ich musste dies, ich musste das. Ich habe ja Tricks gemacht … Tricks …

HMV: Würdest Du sagen – jetzt bin ich bei Du, jetzt bleiben wir beim Du … – Du sagtest, deine Kindheit sei hart gewesen. – Würdest Du sagen, sie war leidvoll?

Sissy Engl: Ja. – Ich habe fast jeden Abend gebetet, dass meine Mutter wiederkommt. Ich habe meine Mutter vergöttert. Nicht verehrt, vergöttert! Mein Vater war im Krieg ... Der kam ab und zu und hat mir schöne Geschenke gemacht. Der war immer lieb, der hat sich immer um mich gekümmert. Der hat dann aber später geheiratet, weil meine Mutter ja vermisst war. Und der wollte mich auch zu sich nehmen …

HMV: … waren die beiden verheiratet?

Sissy Engl: Nein. – Das war ja auch so eine Sache. Damals waren ledige Kinder eine Katastrophe. Auch bei meinen Großeltern. Das war ja auch ein Punkt. Ich meine, mein Vater hätte meine Mutter hundertprozentig geheiratet. Der kommt aus einer alten Offiziersfamilie, hat noch unterm Kaiser gedient. Der war viel zu konservativ, als dass er ein lediges Kind gehabt hätte …

HMV: Haben Deine Großeltern Deine Mutter verurteilt dafür, dass sie ein lediges Kind in die Welt gesetzt hat?

Sissy Engl: Ja.

HMV: Das heißt, sie konnte gar nicht so einfach nach Pullach oder nach Bad Tölz kommen, um Dich dort zu besuchen.

Sissy Engl: Doch. Nein, das hätte sie schon gekonnt. Man hat sie zwar verurteilt, aber man hat sie … Familie ist Familie! Und man hat schon gesagt: ‚Du kümmerst dich um dein Kind!‘ Das hätten sie schon … Das war nicht die Sache! Die Sache war ihr Beruf als Schauspielerin! Sie war begnadet, sagt man … Ernst Fritz Fürbringer hat gesagt … Was weiß ich, was die für Lobeshymnen bekommen hat. Das hat es ganz allgemein geheißen, dass sie so übertalentiert gewesen sei. Aber sie hat aus ihrem Talent wahrscheinlich auch nichts gemacht, das weiß ich nicht. Da war wahrscheinlich auch ich im Weg. – Das kann schon sein und das war vielleicht schon mit der Grund. Der Vater war die erste Liebe. Ich weiß nur die Geschichte so, dass mein Großvater viele Atelierfeste hatte. Er war ja ein sehr bekannter Kunstmaler, Karl Max Lechner. Und da kam ein Offizier, der sagte: ‚Verzeihen Sie bitte, darf ich mit Ihrer Tochter …, darf ich erbitten, dass ich mit Ihrer Tochter diesen Tanz tanze?‘ So hat meine Mutter meinen Vater kennengelernt. Eigentlich auf irgend so einem Atelierfest. Und das war die erste und auch große Liebe. Daraus entstand ich und …

HMV: … Warum wurde aus dieser großen Liebe nichts?

Sissy Engl: Weil er im Krieg war. Er ist wieder in den Krieg und war weg! – Und weil sie sehr enttäuscht war. Ich glaube, dass sie damit nicht fertig wurde, dass sie ein Kind bekommt, auch noch ein lediges Kind, und dass vielleicht ihre Karriere zerstört wurde. – Ich weiß es nicht! Das weiß ich alles nicht. Das hat man mir auch nie erzählt. Aber ich glaube, dass das alles Fakten sind. Die war auch zu jung, die 18 Jahre!

HMV: Gab es irgendwann einen Moment in Deinem Leben, in dem Du dich mit deiner Mutter aussprechen konntest?

Sissy Engl: Ja … - ja und nein! Das ist schwer zu beantworten. Als meine Mutter zurückkam, sah sie ganz anders aus. Mit blond gefärbten Haaren, das war zwar nur vorübergehend, aber immerhin. Kurze Locken statt diesen wunderschönen, langen, schwarzen Locken.

HMV: Wie alt warst Du, als sie zurückkam?