Smith & Wesson - Alessandro Baricco - E-Book

Smith & Wesson E-Book

Alessandro Baricco

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Beschreibung

Tom Smith und Jerry Wesson haben mit der Waffenfabrik nur die Nachnamen gemein. Echte Abenteurer brauchen keine Waffen. Die Habenichtse lernen sich bei den Niagarafällen kennen, wo sich der eine als Erfinder und Meteorologe, der andere als »Leichenfischer« verdingt. Und dann ist da noch die Journalistin Rachel, die der erste Mensch sein will, der einen Sturz von den Fällen überlebt. Zu dritt wollen sie der Welt eine unvergessliche Geschichte liefern und zu Helden werden. Die Niagarafälle - spektakuläres Naturereignis, irdisches Paradies und mythischer Ort. Sie haben die Phantasie vieler Schriftsteller beflügelt, auch wenn Charles Dickens sagte, dass »jedes Wort über diesen wundervollen Ort nur reiner Unsinn sein könnte«. Als Tom, Jerry und Rachel sich begegnen, hat jeder seinen eigenen Vorteil im Sinn. Um Schlagzeilen zu schreiben, bedarf es einer tollkühnen Tat - und vertrauenswürdiger Helfer. Rachel will sich in einem Holzfass die Wasserfälle hinunterzustürzen und diesen Sturz als erster Mensch überleben. Doch ihr Plan geht nicht auf.

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Alessandro Baricco

Smith & Wesson

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki

Hoffmann und Campe

Erster Akt

Erster Satz, Allegro.

Unweit der Niagarafälle, 1902.

Eine ärmliche Baracke, im Inneren ein wildes, aber würdevolles Durcheinander.

Ein Mann liegt auf dem Bett. Er schläft nicht unbedingt. Er liegt dort, ruhig.

Es klopft an der Tür.

WESSON(der Mann auf dem Bett) Wer ist da?

SMITH(von draußen) Mrs. Higgins oben im Hotel hat mir von Ihnen erzählt. Sie sagt, ich könnte Sie besuchen.

WESSON Mrs. Higgins ist eine Nutte!

Pause.

WESSON Haben Sie mich gehört?

SMITH(immer noch von draußen) Ja, ich habe Sie gehört. Aber ich habe diesbezüglich keine Meinung. Darf ich hereinkommen?

WESSON Drücken Sie, die Tür ist nicht abgeschlossen.

Smith kommt herein, sieht, dass Wesson im Bett liegt.

SMITH Entschuldigen Sie bitte, ich wusste nicht, dass Sie schlafen …

WESSON Ich schlafe nicht, ich liege im Bett. Alle vier Monate bleibe ich fünf Tage lang im Bett liegen, das bringt die inneren Organe wieder in Ordnung, durch die horizontale Position kommen sie wieder ins Gleichgewicht. Ich liege im Bett und esse Bohnenpüree. Ich stehe nur auf, um zu pinkeln, aber selten. Und um das Bohnenpüree aufzuwärmen.

SMITH Bemerkenswert.

WESSON Sollten Sie mal probieren.

SMITH Ist das nicht ein bisschen langweilig?

WESSON Die Langeweile gehört zur Kur.

SMITH Verstehe. Darf ich mir einen Stuhl nehmen?

WESSON Bitte sehr, nur zu.

SMITH(nimmt einen Stuhl und stellt ihn neben das Bett) Mrs. Higgins hat mir von Ihnen erzählt.

WESSON Wunderschöne Frau, Sie werden es bemerkt haben.

SMITH Außergewöhnlich, ja.

WESSON Sie ist nicht verheiratet, hat keine Kinder, da stimmt was nicht. Da fragt man sich doch, mit wem sie ins Bett geht, und warum, haben Sie sich das nicht gefragt?

SMITH Nein, ich kann mich nicht entsinnen, dass ich mir diese Frage gestellt hätte.

WESSON Mit den Gästen!

SMITH Verstehe.

WESSON Eine Hure, aber verstehen Sie mich nicht falsch. Sie tut es aus Leidenschaft, bezahlen lässt sie sich nicht, da geht kein einziger Dollar über den Tisch, es ist reine Leidenschaft. Bewundernswerte Frau. Wohnen Sie in dem Hotel?

SMITH Drei Wochen habe ich da gewohnt.

WESSON Ist nichts passiert?

SMITH Wie meinen Sie das?

WESSON Mit Mrs. Higgins.

SMITH Nein, nichts.

WESSON Sie ist ziemlich wählerisch.

SMITH Das kann ich mir vorstellen.

WESSON Mrs. Higgins hat eine Vorliebe für Anwälte. Sind Sie Anwalt?

SMITH Ich? Nein, ich bin Meteorologe.

WESSON Und das bedeutet?

SMITH Ich habe meine ganz eigene Methode, um das Wetter vorherzusagen, die habe ich mir patentieren lassen, sie funktioniert ganz gut. Ich bediene mich der Statistik, wissen Sie, was das ist?

WESSON Geben Sie mir ein Beispiel.

SMITH Nehmen wir Chicago. Und nehmen wir irgendeinen Tag im Jahr. Sagen wir den Weihnachtstag. Nun, ich weiß, wie das Wetter in den letzten siebenundsiebzig Jahren am 25. Dezember in Chicago war.

WESSON Und wen zum Teufel könnte es interessieren, wie das Wetter am Weihnachtstag vor zehn Jahren war?

SMITH Mich.

WESSON Ernsthaft?

SMITH Wenn ich weiß, wie das Wetter war, kann ich vorhersehen, wie das Wetter wird. Wenn die Einwohner von Chicago in siebenundsiebzig Jahren zweiundsechzig Mal am Weihnachtstag bei Schnee aufgewacht sind, weiß ich, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von vier zu fünf Komma sieben am kommenden Weihnachtstag wieder bei Schnee aufwachen werden. Und ich könnte ihnen sogar sagen, wieviel Zentimeter Schnee wahrscheinlich auf dem Gehweg liegen werden.

WESSON Und von dem Quatsch können Sie leben?

SMITH Es spricht sich allmählich herum. Wenn Sie zum Beispiel in Chicago Schneeschaufeln verkaufen würden, hätten Sie ein gewisses Interesse an meinen Statistiken.

WESSON Ich würde niemals Schneeschaufeln in Chicago verkaufen.

SMITH Das war nur ein Beispiel.

WESSON Im Sommer müsste ich mir eine andere Arbeit suchen.

SMITH Vermutlich.

WESSON Ich weiß immer, wie das Wetter am nächsten Tag sein wird.

SMITH Woher wissen Sie das?

WESSON Ich seh’ mir an, welche Farben der Fluss hat. Hat man Ihnen gesagt, was ich von Beruf bin?

SMITH Ja, man hat mir gesagt, wer Sie sind. Man nennt Sie den Fischer. Aber Sie fangen keine Fische, ich weiß. Sie fangen … wie soll ich sagen? Leichen?

WESSON Ich seh’ mir die Farben an und wie der Fluss sich bewegt, wie hoch er ist, wie schnell, wie er seinen Arsch bewegt. Er weiß, wie das Wetter wird, und sagt es mir.

SMITH Irrt er sich oft?

WESSON Selten. Sind Sie deswegen zu mir gekommen?

SMITH Nein. Ich wusste gar nichts von dieser Sache mit den Farben.

WESSON Warum dann?

SMITH Wissen Sie, es gibt im Grunde doch nicht so viele Schneeschaufelverkäufer in Chicago, also habe ich mir gesagt, es ist vielleicht besser, sich auf touristische Ziele zu konzentrieren. Können Sie mir folgen?

WESSON Reden Sie weiter.

SMITH Also habe ich an die Wasserfälle gedacht. Die Leute kommen von überall her, um dieses Schauspiel zu erleben, das wird jetzt zu einer richtigen Manie. Also bin ich hergekommen, um mir das anzusehen. Und ich habe beschlossen, zu bleiben. Ich muss meine Tabellen anfertigen. Das wird eine Weile dauern.

WESSON Tabellen.

SMITH Das Wetter in den letzten siebenundsiebzig Jahren, hier bei den Wasserfällen, an jedem Tag, den Gott werden ließ.

WESSON Wie wollen Sie das machen?

SMITH Ich recherchiere ein bisschen in den Archiven im Rathaus, lese alte Zeitungen. Aber da findet man nicht viel. Also frage ich die Menschen.

WESSON Na, den möchte ich sehen, der sich dran erinnert, wie das Wetter vor vierzig Jahren war.

SMITH Ja, das denken alle. Aber es stimmt nicht. Die Leute erinnern sich.

WESSON Blödsinn.

SMITH Wann haben Sie zum letzten Mal da unten einen Menschen rausgefischt?

WESSON Am dritten März. Großes Tier, ein Bankier aus New York. Er hat drei Tage im Great Falls Hotel gewohnt, dann, kurz vor der Abreise, als das Auto schon auf ihn wartete, hat er ein Glas Champagner bestellt und gesagt, er geht noch mal einen Blick nach draußen werfen. Er ist allein auf die Brücke gegangen, hat seinen Champagner getrunken und sich dann runtergestürzt. Wissen Sie, was er als Letztes getan hat, bevor er sprang?

SMITH Sagen Sie’s mir.

WESSON Er hat sich die Handschuhe ausgezogen, ganz langsam, und sie aufs Brückengeländer gelegt. Das Merkwürdige ist, dass er seinen Hut aufhatte, einen schönen Bankiershut, aber den hat er nicht abgenommen, er ist mit seinem schönen Hut gesprungen … Die Menschen sind schon seltsam.

SMITH Wo haben Sie ihn aus dem Wasser geholt?

WESSON Unten bei den Stromschnellen, in der Bucht mit den Pappeln. Es war ziemlich mühsam, ihn rauszuholen, denn der Körper hatte sich in einem Gewirr aus Ästen und anderem Zeugs verheddert, weit weg vom Ufer. Ich musste das Boot nehmen, außerdem regnete es und war verdammt windig, man wurde überall nass vom Regen, eine Scheißarbeit.

SMITH Sehen Sie?

WESSON Was soll ich sehen?

SMITH Dritter März 1902, windig und regnerisch, kalt. Gestatten Sie, dass ich mir eine Notiz mache?

WESSON Was soll der Quatsch, was machen Sie da?

SMITH(schreibt in ein Notizheft, das er aus seiner Jackentasche gezogen hat) War es nachmittags, morgens, abends? Sie erinnern sich doch bestimmt?

WESSON Nachmittags.

SMITH Nachmittags. (klappt das Notizheft zu) Sehen Sie, die Leute wissen, wie das Wetter war.

WESSON Das ist doch kein Beweis, ich hab an dem Tag einen Mann aus dem Fluss gefischt!

SMITH Sie haben in den letzten vierundzwanzig Jahren 217 Leichen aus dem Fluss gefischt. Wenn wir ein bisschen zusammenarbeiten, können Sie mir von großem Nutzen sein, da bin ich sicher.

WESSON Okay, ich fische Tote aus dem Fluss, aber die anderen? Die fischen keine Toten aus dem Fluss und können sich nicht erinnern …

SMITH Aber es gab einen Tag, an dem sie ihren Vater sterben sahen. Oder zum ersten Mal mit dem Zug gefahren sind. Sie haben eine Frau geküsst, einen Wettkampf gewonnen, einen Haufen Geld verloren, sind in ihr neues Haus gezogen, aus dem Krankenhaus gekommen. Alles besondere Tage. Darf ich Sie fragen, ob Sie sich an den Tag erinnern, als Sie zum ersten Mal Ihren Namen in der Zeitung gesehen haben?

WESSON Na klar, da hinten liegt der Ausschnitt, die haben meinen Namen auch noch falsch geschrieben, diese Idioten.

SMITH Hatten Sie die Zeitung gekauft oder hat man sie Ihnen gezeigt?

WESSON Seh’ ich aus wie einer, der Zeitungen kauft? Horace kam zum Fluss runter und wedelte damit in der Luft rum, schrie irgendwas und brachte sie mir.

SMITH Er lief zum Fluss und wedelte mit der Zeitung. Wie war das Licht in dem Moment?

WESSON Ein starkes Licht, würde ich sagen. Viel Licht. Es war ein schöner Morgen, sehr warm.

SMITH Sehen Sie?

WESSON Wahnsinn.

SMITH Sie haben doch nichts dagegen, dass ich mir eine Notiz mache? (holt das Notizheft wieder heraus)

WESSON Haben Sie es auch bei Mrs. Higgins probiert?

SMITH »Probiert« in welcher Bedeutung dieses Wortes, wenn ich fragen darf?

WESSON Nein, nicht in dem einen Sinn, sondern, ob Sie sie nach dem Wetter gefragt haben, das meine ich.

SMITH Nein. Die Dame flößt mir eine gewisse Scheu ein.

WESSON Das kommt, weil sie so schön ist.

SMITH Ja, das ist durchaus möglich.

WESSON Also haben Sie sie nichts gefragt.

SMITH Ich habe zu keinem Zeitpunkt eine elegante Gelegenheit gefunden, um das Thema anzuschneiden.

WESSON Schade.

SMITH Das ist in der Tat ein Umstand, der ein gewisses Bedauern verdient.

WESSON Sie sind immer so …

SMITH Wie?

WESSON Glatt … ich meine, Sie werden nie laut, Sie drehen nie durch … immer so gelassen, ja?

SMITH Ziemlich.

WESSON Ziemlich?

SMITH Gelegentlich geschieht es mir, dass ich die Kontrolle verliere, ja, wenn es das ist, was Sie meinen. Aber nur wenn ich mich ganz bestimmten, seltenen Situationen ausgesetzt sehe.

WESSON Soso. Wie steht’s mit Ihnen und dem Bohnenpüree?

SMITH Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe.

WESSON Sie mögen es, Sie finden es eklig oder was?

SMITH Sagen wir, ich respektiere es.

WESSON Aha, gut, würde es Ihnen dann was ausmachen, aufzustehen und ein bisschen davon aufzuwärmen? So muss ich nicht aufstehen und mache mit meiner Kur weiter.

SMITH Einverstanden. (er steht auf, geht in eine Ecke der Baracke, wo ein kleiner Gasherd steht)

WESSON Sie müssen den Herd nur anmachen, dann nehmen Sie den Holzlöffel und rühren, aber ohne aufzuhören und langsam.

SMITH Einverstanden.

WESSON Hat Mrs. Higgins wirklich von mir gesprochen?

SMITH Ja.

WESSON Was hat sie gesagt?

SMITH Dass niemand die Wasserfälle so gut kennt wie Sie. Stimmt das?

WESSON Natürlich.

SMITH Und sie hat mir erzählt, dass Sie alle Toten finden. Wie machen Sie das?

WESSON