So sehen Siegerinnen aus - Katrin Klewitz - E-Book

So sehen Siegerinnen aus E-Book

Katrin Klewitz

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Beschreibung

Auseinandersetzungen gehören im Leben einfach dazu. Die Frage ist also: Wie reagieren wir souverän und selbstbewusst auf Angriffe und Provokationen und gehen gewinnbringend damit um? Katrin Klewitz ist Expertin für Kampftechniken und weiß, wie Frauen sich richtig zur Wehr setzen und für ihre Sache einstehen. Denn in jeder von uns schlummert eine Kämpferin. Was lernen wir von der Kriegerin Éowyn, die ihre Ziele gegen alle Widerstände verfolgt? Oder von Artemis, Göttin der Jagd, und Meisterin in der Kunst des Beobachtens mit dem Gespür für den perfekten Moment? Von weiblichen Archetypen können wir uns jede Menge abschauen und so unsere eigenen Kräfte entdecken. Mit dem Heldenmut der Ritterin und der Nervenstärke der Schützin kann jede Frau Konfliktsituationen entspannt meistern und so ihre Ziele erreichen.

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Seitenzahl: 320

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Vorwort

KAPITEL 1: DAS STANDING ODER DIE HIGH-HEEL-FORMEL

Was bedeutet »Standing«, und wie erwerbe ich es?

Standing Ovations: Welche positiven Auswirkungen hat Standing?

Schuh(waffen)schrank: Was haben Schuhe und richtiges Standing miteinander zu tun?

Ruckedigu, Blut ist im Schuh: Wie man einen Abend auf zehn Zentimetern übersteht und was man daraus lernen kann

Halte Stand! Wie erarbeitet man sich Standing, ohne dass es erzwungen oder aufgesetzt wirkt?

KAPITEL 2: VON DANCING QUEENS UND TANZBEREICHEN

Grenzwächter: Was ist (d)eine Distanzzone?

Grenzgänger: Wie verhalten sich Freund und Feind in der eigenen Komfortzone?

Mein Tanzbereich, dein Tanzbereich: Wie halte ich jemanden auf Abstand?

Push & Pull: Wie kann ich die Kraft des Gegners zu meinem Vorteil nutzen?

45 Grad, und es wird noch heißer: Wo muss ich stehen, um gar nicht zu kämpfen? Positionierung am richtigen Ort

KAPITEL 3: DIE KRAFT DER EIGENEN HALTUNG ODER

FLIGHT, FREEZE, FIGHT

Erziehungssache: Wieso halten wir gern die linke Wange hin, wenn die rechte schon schmerzt?

Wachstumsschmerz: Welche »gute« Erziehung ist gut für uns – und welche nicht?

It ain’t over till the fat lady sings,

oder: Gehen lernen

Flight, Freeze, Fight:

Was sind die drei Grundtypen der Reaktion?

Entscheidung: Weshalb ist es problematisch, keine Haltung einzunehmen?

Die Bulldogge und der Papagei: Welche Auswirkungen haben Entscheidungen?

Plädoyer für Auseinandersetzungen: Warum es nicht richtig ist, immer die Klappe zu halten

KAPITEL 4: DIE KRIEGERIN

Im Trainingslager. Teil 1: Eine Front zieht auf!

Die Kriegerin. Was können wir von Éowyn aus dem Herrn der Ringe lernen?

Im Trainingslager. Teil 2: Kriegsrat

En garde!

Blößen und Einladungen: Grundlagen der Fechtkunst oder Was ist eine Provokation?

Ich höre was, was du nicht sagst!: Mit vier Ohren hören

Im Trainingslager. Teil 3: Der Schlachtplan

Was stört es den Mond, wenn ihn der Hund anbellt: Die fünf besten Reaktionen auf eine Provokation

Kick it: Warum ist es okay, das Gegenüber imaginär zu treten, statt »an sich zu halten«?

Mut zur Wut: Was ist der Unterschied zwischen Wut und Aggression? Wie nutze ich diese Energien?

»Ran ans Eingemachte«: Wut, Lachen, Trauer, Angst – die Anwendung von Schauspieltechniken

KAPITEL 5: DIE JÄGERIN

Leben und leben lassen

Die Jägerin: Was können wir von Artemis lernen?

Die Kunst der Beobachtung in der modernen Zeit

Sitzen & schauen: Wie reagieren wir bei feindlichen Annäherungen?

Sprachlos: Keine Antwort? Auch eine Antwort!

»Revierpinkeln«: Lernen, das Revier zu markieren, anstatt das brave Mädchen zu sein

KAPITEL 6: DIE KAMPFELFE

Das Waffenarsenal der Wunder: Überraschungsmomente und ihre Wirkung

Die Kampfelfe und ihre Schwestern, die Elben: Was können wir von Arwen aus dem Herrn der Ringe lernen?

Spieglein, Spieglein an der Wand: Haltungsschulung und Blickführung

Die »schallende« Ohrfeige

Die perfekte Täuschung

What would Wonder Woman do? Wie Sie richtig Wirkung erzeugen

Simsalabim! Paradoxe Intervention, oder: Wie wir uns die Schwiegermutter vom Leib halten

KAPITEL 7: DIE SCHÜTZIN

Auf den Punkt

Die Schützin: Was können wir von Katniss aus

Die Tribute von Panem

lernen?

Ins Visier nehmen

Zwischenziele und Endziele

Übung macht den Meisterschützen

Ladehemmung: Auf das Unkalkulierbare vorbereitet sein

Ein einziger Pfeil, oder: Verschieß dein Pulver nicht zu früh!

Schützenhilfe:

Stand your ground! Don’t flinch, follow through!

KAPITEL 8: DIE KNAPPIN

Die Kampf-Azubine – auf dem Weg zur Ritterin

Die Hex muss weg, der Dreck muss weg

Nachtwache

Warum vierzehn Jahre gerade genug sind

Die Metamorphose: der Schlag zur Ritterin

Die Knappin: Was können wir auf dem Weg zu wahrer Größe lernen?

KAPITEL 9: DIE RITTERIN – HEROIN IN VIELEN GESTALTEN

Vierzehn Kerle gegen ein Meter dreiundsechzig, oder: Die Feder ist mächtiger als das Schwert

Was willst du denn? Nur dann kämpfen, wenn es sich wirklich lohnt

Die Ritterin: Was können wir von Brienne von Tarth lernen?

Die Erde ist rund, und morgen ist auch noch ein Tag: Warum ein Rückzug nicht das Ende bedeutet

Von der Ritterin zum Heerführer

Visier hoch! Konfrontationen mit Köpfchen

Mein Freund, die Feige

Die wilde Dreizehn

Wer bin ich und, wenn ja, wie viele?

Nachwort

Danksagung

Über dieses Buch

Auseinandersetzung gehören im Leben einfach dazu. Die Frage ist also: Wie reagieren wir souverän und selbstbewusst auf Angriffe und Provokationen und gehen gewinnbringend damit um? Katrin Klewitz ist Expertin für Kampftechniken und weiß, wie Frauen sich richtig zur Wehr setzen und für ihre Sache einstehen. Denn in jeder von uns schlummert eine Kämpferin. Was lernen wir von der Kriegerin Éowyn, die ihre Ziele gegen alle Widerstände verfolgt? Oder von Artemis, Göttin der Jagd, und Meisterin in der Kunst des Beobachtens mit dem Gespür für den perfekten Moment? Von weiblichen Archetypen können wir uns jede Menge abschauen und so unsere eigenen Kräfte entdecken. Mit dem Heldenmut der Ritterin und der Nervenstärke der Schützin kann jede Frau Konfliktsituationen entspannt meistern und so ihre Ziele erreichen.

Über die Autorin

Die Kampfchoreografin Katrin Klewitz wurde 1981 in Ingolstadt geboren. Als Jugendliche absolvierte sie in München eine Schauspielausbildung. Mit 24 Jahren ließ sie sich von Bret Yount zur Kampfchoreografin ausbilden. 2008 wurde ihr eine Dozentenstelle für Bühnenkampf und Rollenarbeit an der Hochschule in Karlsruhe geschaffen. Sie entwirft Choreografien für Opern und Theaterstücke und hält Seminare u.a. an der TU München. Zudem ist sie Fahrlehrerin und akkreditierter »Professional Field Guide«.

Katrin Klewitz

So sehen Siegerinnen aus

Konflikte souverän meistern mit den Waffen einer Frau

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Valérie Thieme, DüsseldorfIllustrationen: Mira Schmidt, KölnUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenUnter Verwendung von Motiven von © Michele Paccione/shutterstock.com; Karthikeyan_Ravichandran/shutterstock.comE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-8924-1

www.luebbe.dewww.lesejury.de

Für alle starken Frauen da draußen, die für sich und ihre Sache kämpfen,und für alle Männer, die das Gleiche tun.Und für Papa und Babsi.

Vorwort

»Geht’s noch ein bisschen langsamer?«

»Du weißt wie immer alles besser.«

»Dein Leben möchte ich haben!«

Im Alltag werden wir ständig mit Provokationen konfrontiert, sei es von Wildfremden, Arbeitskollegen oder uns nahestehenden Personen. Manchmal sind diese Provokationen gar nicht böse gemeint oder eher als Witz gedacht – und manchmal verfolgen sie ganz eindeutig das Ziel, uns aus der Reserve zu locken und zu einer impulsiven, unbedachten Reaktion zu verleiten, die unsere Position schwächt und die unseres Gegenübers stärkt. Egal, ob beabsichtigt oder nicht, Provokationen bringen uns schneller aus dem Gleichgewicht, als uns lieb ist, und sorgen dafür, dass wir uns unwohl fühlen. Vor allem wenn uns die Mittel fehlen, den Kampfansagen souverän und entspannt zu begegnen.

Wir Frauen haben oft ein Problem damit, gelassen auf Einladungen zur Auseinandersetzung zu reagieren. Das hat viel mit unserer kulturellen Prägung zu tun. Mädchen sollen brav, Frauen nachsichtig sein. Was jahrzehntelang eingeübt wurde, legt man nicht binnen Sekunden ab. Wir wurden zur Sprachlosigkeit erzogen, das artige Betragen haben wir bereits im Kindesalter erlernt. Während sich Jungen auf dem Pausenhof rauften, jagten und mit Dreck bewarfen, standen die Mädchen, zumindest in meiner Schulzeit, in der Ecke und spielten Gummitwist, tauschten Sammelkarten oder tratschten über die Mitschüler. Sie verpassten nicht nur die Gelegenheit, ihre körperliche Stärke in spielerischen Auseinandersetzungen kennenzulernen, sondern versäumten auch, diese zu trainieren. Blöd, denn mit Gummitwist lässt sich beim besten Willen kein Streit gewinnen.

Doch es gibt Mittel und vor allem viele unterschiedliche Wege, wie Frauen lernen können, souverän und selbstsicher auf Angriffe zu reagieren, und zwar ohne sich verstellen zu müssen oder maskuline Verhaltensweisen zu adaptieren. Im Gegensatz zu Männern, die viele Konflikte allein durch ihre körperliche Präsenz und ihr Auftreten gewinnen, müssen Frauen ohnehin etwas mehr tun, um sich durchzusetzen. In der Kulturgeschichte wimmelt es nur so von starken Frauenfiguren, die für sich und die Sache einstehen, an die sie glauben, wenn auch mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Da wäre zum Beispiel die Menschenfrau Éowyn aus dem Herr der Ringe, die am Kampf teilnimmt, obwohl es ihr verboten wurde, und am Ende sogar den übermächtigen Gegner tötet. Oder die Bogenschützin Katniss aus Die Tribute von Panem, die wenig Worte und noch viel weniger Pfeile verliert, um zu überleben. Egal ob Schwert schwingende Kriegerin, sich leise anpirschende Jägerin, Kampfelfe, die auf die Macht der Wirkung setzt, zielgenaue Schützin oder edle Ritterin mit Heldenmut: Es gibt sie, die wehrhaften Frauen, die sich nicht alles gefallen lassen. Sie greifen zum Schwert, zu Pfeil und Bogen oder zum Degen, wenn sie sich verteidigen oder ihre Rechte einfordern müssen. Auch in jeder Leserin wartet eine Kämpferin darauf, an die Oberfläche zu gelangen.

Ziel dieses Buches ist, Ihre eigenen Kräfte und Energien kennenzulernen, zu verstehen und so anzuwenden, sodass Sie in Zukunft mit mehr Gelassenheit und vielleicht sogar Neugier in Konfliktsituationen handeln und diese meistern. Das Buch will Ihnen als Leserin dazu verhelfen, einen für Sie geeigneten Weg zu finden, der zu Ihrem Naturell, Ihren Talenten und Ihren Begabungen passt, um sich zukünftig gegen die Konfrontationen der Welt »zur Wehr zu setzen«. Starke weibliche Archetypen bedienen sich ihrer eigenen Waffen – und die haben oft nichts mit den richtigen Worten oder besonderer verbaler Schlagfertigkeit zu tun. Meistens sind vorgefertigte Antworten nicht das, was wir brauchen, wenn wir in einen Konflikt gehen.

Dieses Buch richtet sich an all jene Frauen, die mit Verstand, Herz und Kraft für sich selbst und für ihre Sache einstehen wollen. Mir ist bewusst, dass für sich selbst einzustehen kein Sonntagsspaziergang, sondern ein anstrengender Weg ist. Und liebend gern würde ich Ihnen eine schlichte Formel präsentieren, die Sie zukünftig in allen (unangenehmen) Situationen Ihres Lebens anwenden können. Doch die meisten guten Dinge brauchen Zeit. Es wäre schön, wenn wir uns am Abend hinlegen könnten und am nächsten Morgen aufwachten, und mit dem ersten Augenaufschlag wären wir genau die, die wir sein wollen. Wie gern würden wir in unser Idealbild einfach so hineinwachsen – und wie oft scheitern wir an Vorstellungen, unseren eigenen oder denen, die uns andere aufdrängen.

Seitdem ich denken kann, musste ich mich immer wieder von landläufigen Meinungen distanzieren, in mich hören und versuchen, meinen eigenen Weg zu gehen – und dabei eckte ich nicht nur einmal an. »Das geht nicht, Katrin!«, hörte ich, bis es mir aus den Ohren heraushing. Es ist schwer, den ersten Schritt zu tun, vor allem dann, wenn man hört, dass etwas nicht möglich ist. Folglich musste auch ich mich zuerst freikämpfen, bevor ich meinen Weg gehen konnte, und oft genug trat ich dabei auf diverse Zehenspitzen.

Seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen kann einsam machen. Es birgt Schmerzen und Unverständnis, denn man bewegt sich jenseits der eingestampften Pfade, macht Dinge anders und trifft Entscheidungen, die nicht jedem gefallen. Zum Beispiel: einer verbalen Provokation etwas entgegensetzen. Den nervigen Kollegen ein für alle Mal in die Schranken verweisen. Eine Konkurrentin zur Freundin zu machen, statt auf ihre Angriffe einzugehen.

Wie aber bringt man einen Gedanken oder Glauben, den man selbst ganz tief in sich spürt, in die Welt?

Wie steht man für eine Sache ein, wenn diese utopisch erscheint und alle anderen das auch noch sagen?

Wie setzt man sich durch?

Wie ficht man die hierfür nötigen Konflikte aus, boxt seine Meinung durch und steht am Ende siegreich da?

Mithilfe unserer Schattenkämpferinnen. Das sind die Teile, die verborgen in uns vor sich hin schlummern und nur darauf warten, aus dem Dunkeln heraustreten zu dürfen.

In neun aufeinander aufbauenden Kapiteln präsentiere ich Ihnen verschiedene Konzepte der Kampfchoreografie, die dabei helfen, Konflikte von der eigenen Person zu trennen und Handlungsoptionen zu entwickeln, die zu mehr Souveränität und Gelassenheit führen. Indem Sie verstehen, nach welcher Logik Kämpfe funktionieren, wird Ihnen klar, nach welchem Prinzip ein Konflikt ablaufen kann. So sind Sie zukünftig in der Lage, proaktiv, deeskalierend und in jeder Sekunde selbstbewusst zu handeln. Oder es eben richtig drauf ankommen zu lassen, wenn es sein muss.

Methoden aus dem Darstellenden Spiel unterstützen Sie dabei, mehr körperliche Präsenz und selbstbewusstes Auftreten zu entwickeln. Einfache Körperübungen, die sich spielend leicht in den Alltag integrieren lassen, laden Sie dazu ein, sich mit der eigenen Präsenz, Gestik und Mimik zu befassen und auch nonverbale Handlungsoptionen einzusetzen.

Ich wünsche viel Spaß beim Lesen – und Kämpfen!

Katrin Klewitz

Kapitel 1

Das Standing oder die High-Heel-Formel

Im Alter von vier Jahren bekam ich meine erste große Rolle. Ich wurde auserwählt, beim jährlichen Kindergartenfest den Sankt Martin zu spielen. Während der Vorstellung ritt ich auf meinem Holzsteckenpferd über die Bühne – glücklicherweise konnte ich mir nicht nur gut Texte merken, sondern auch Abläufe.

Es kam zur entscheidenden Szene: der Durchtrennung des Mantels, um ihn mit dem Bettler zu teilen. Das Kleidungsstück war durch ein Klettband zusammengehalten, und eigentlich hätte ich nichts weiter tun müssen, als den Mantel mit meinem Plastikschwert entzweizuschlagen. Also schlug ich zu. Doch der Klettverschluss bewegte sich kein bisschen. Ich schlug erneut, aber der Klett hielt bombenfest. Ein weiteres Mal hieb ich auf den Stoff ein. Der Bettler musste jedoch weiter frieren, und das Publikum begann zu lachen.

Ich fühlte mich grauenhaft. Wie peinlich! Da stand ich auf der Bühne, prügelte auf den Mantel ein und war zu schwach, um ihn zu zerteilen. Ich dachte: Menno! Ich bin sowieso schon die Kleinste hier, noch dazu ein Mädchen und kein Junge. Doch der Gedanke, einfach auf meinem Steckenpferd davonzureiten und den Bettler sitzen zu lassen, kam mir komischerweise nicht in den Sinn. Denn obwohl ich erst vier Jahre alt war, wusste ich intuitiv, dass es wichtiger war, die Geschichte zu Ende zu erzählen, als mich aus der unangenehmen Situation zu befreien.

Also blieb ich stehen und prügelte weiter auf den Mantel ein. Und bekam prompt Hilfe. Denn der Bettler erhob sich und ergriff den Mantel. Er hielt die eine Seite, ich die andere, und gemeinsam rissen wir den störrischen Stoff mit bloßen Händen entzwei. Das Publikum amüsierte sich königlich, und wir bekamen Szenenapplaus für unsere Teamarbeit.

Trotz dieses etwas holprigen Starts auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ließ mich die Schauspielerei nicht wieder los. In der Bühnentruppe meines Vaters verkörperte ich zahlreiche Mädchen- und Frauenfiguren und entschied mich später dazu, die Schauspielschule zu besuchen. Ich begann, am Theater zu arbeiten – auf und neben der Bühne. Egal ob ich Stücke schrieb, inszenierte, choreografierte oder als Darstellerin mitwirkte, das Theater war meine Welt, eine Spielwiese, auf der ich mich ausprobieren konnte und fürs Leben lernte.

Vor allem aber stellte ich fest, dass mich die Darstellung ohne Worte begeisterte. Mich fasziniert bis heute, welche Ausdruckskraft dem menschlichen Körper innewohnt – wie viel ein Schweigen sagen kann, ein einziger Blick, eine gezielte Geste.

Mit Mitte zwanzig nahm ich an einem Workshop des Kampfchoreografen Bret Yount teil. Er hatte unter anderem bei dem Blockbuster Troja mitgewirkt und begeisterte mich mit seinem Können. So sehr, dass ich mich kurz darauf von ihm zur Kampfchoreografin ausbilden ließ. Ich lernte, dass hinter einem dargestellten Kampf auf Bühne oder Leinwand viel mehr steckt als das, was man auf den ersten Blick sieht. An der Oberfläche choreografiert man als Fight Director den Ablauf des Kampfes, die Provokation, die Eröffnung, die Erwiderung, die Abfolge und den Ausgang – aber darunter verbirgt sich noch viel mehr. Im ersten Schritt geht es um das richtige Standing.

Mit dem Stehen verbinden wir in unserer Welt eine Menge. Es gibt den Stand, der viel über unsere soziale Position in der Gesellschaft verrät. Wir sind imstande, etwas zu tun, oder halten einer Sache stand oder können aus dem Stand etwas Beachtliches leisten. Auch Ausdrücke wie die Stellung halten oder gut mit jemandem oder hinter jemandem stehen sind mit dem Wort verwandt.

Das aus dem Englischen kommende »Standing« wird mittlerweile auch im Deutschen ganz selbstverständlich verwendet. Es bedeutet Stehvermögen, aber auch Reputation, Rang, Achtung und Ansehen, Bedeutung, Geltung, Prestige und Renommee, um nur ein paar Begriffe zu nennen. Wer also gut dasteht, der hat das Wichtigste schon einmal geschafft – damit (ha!) steht und fällt der Rest.

Was bedeutet »Standing«, und wie erwerbe ich es?

Oft heißt es, dass man ein Standing von Natur aus besitze – als wäre es eine Charaktereigenschaft, deren Anlage man von der Geburt an in sich trägt und im Laufe seines Lebens ausbildet. Verfügt man nicht über diese Eigenschaft, hat man Pech gehabt, dann bleibt man für immer das arme Würstchen ohne Durchsetzungskraft und Einfluss.

Glücklicherweise ist dem nicht so. Standing kann man sich, genau wie vieles andere auch, erarbeiten. Manche Menschen brauchen das nicht, ihnen ist eine gewisse Autorität und Stärke in die Wiege gelegt worden. Andere können etwas dafür tun.

Richtiges Stehen ist die Grundlage von allem. Der erste Satz meines Fechtlehrers lautete deswegen: »Bevor du gehen lernst, musst du erst mal stehen können.« Ehe ich also auch nur einen einzigen Angriff abwehrte, kümmerten wir uns um die Beinarbeit, wie es beim Fechten so schön heißt. Ist man nämlich noch nicht in der Lage, einen Schlag abzuwehren, indem man eine Parade setzt, oder gar fähig, einen eigenen Angriff zu fahren, erlauben die Beine, auszuweichen oder Reißaus zu nehmen. Das ist vielleicht keine große Kampfkunst, aber zu Beginn zumindest ein adäquates Mittel, um nicht binnen Sekunden in ein Nadelkissen verwandelt zu werden.

Nach dem Ausweichen kommt also das Stehen – die Grundlage, um sich für Konflikte zu wappnen und ihnen nicht mehr aus dem Weg zu gehen. Beim Stehen kommt es vor allem auf die Balance an, die Verteilung des Gewichts zu gleichen Teilen auf beide Beine. Ein sicherer Stand ermöglicht es, uns schnell zu bewegen und in jede Richtung fliehen zu können.

Leider ist ein gutes Standing im Supermarkt nicht neben den Wattepads oder Abschminktüchern zu finden. Wir müssen es wohl oder übel selbst aus uns herauskitzeln. Die gute Nachricht lautet: Es gibt nicht die eine richtige Form von Standing – und wer die nicht hat, muss leider draußen bleiben. Standing ist individuell und höchst verschieden. Wer beispielsweise eine gute Balance hat, legt sich vielleicht ein Standing auf nur einem Bein zu. Eine robustere Natur braucht sich lediglich schulterbreit aufzustellen und Präsenz zu zeigen. Standing hat nichts mit Lautstärke, Schlagfertigkeit oder Eloquenz zu tun, sondern kann leise und wortlos genauso wirken.

Standing bedeutet, wie das Wort sagt, Stehen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Denn wir stehen mit uns selbst und mit dem, was wir sind. Hört sich simpel an, aber wie oft hadern wir genau damit: unserem Selbst und unserem Sein?

Wichtig ist, dass wir im Hier und Jetzt stehen. Hinter uns liegt die Vergangenheit, vor uns die Zukunft. Und genau das ist bereits der erste Knackpunkt. Denn die Vergangenheit beeinflusst unsere Fähigkeit des Standings, sie bringt uns ins Wanken. Oft haben wir nämlich folgende Gedanken: Wenn ich gestern kein Standing hatte, habe ich heute auch keines. Meine Kollegen kennen mich als zurückhaltenden Menschen, deshalb darf und kann ich mich heute nicht anders verhalten als gestern. Was sollen die denn von mir denken? Oder wir erinnern uns an Situationen, in denen wir gern für uns eingestanden wären, es aber nicht »zustande« gebracht haben. Und schon knicken wir ein … Dieser Mechanismus greift übrigens auch, wenn wir an das denken, was vor uns liegt, und es mit Ängsten und Befürchtungen garnieren. Et voilà, fertig ist die Dysbalance.

DER AUFSTAND

Ein-Stehen für sich selbst

Stellen Sie sich hin, wo auch immer Sie gerade sind, und schließen Sie die Augen. Spüren Sie, wie gerade Sie stehen und welche Teile Ihres Fußes belastet werden. Lassen Sie Ihr Gewicht auf den Fußsohlen kreisen. Spielen Sie damit, indem Sie den Schwerpunkt nach vorn auf Ihre Zehen oder nach hinten auf die Ferse verlagern.

Möglicherweise fühlt es sich merkwürdig an, so herumzustehen, vielleicht schämen Sie sich sogar ein bisschen. Aber bevor Sie sich ein Standing vor anderen erwerben, sollten Sie erst einmal für sich selbst stehen können.

Werfen Sie einen Blick auf Ihre Vergangenheit. Wie sind Sie zu der geworden, die Sie sind? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Welche Situationen haben Sie gestärkt, welche Ihnen das Gefühl von Angst oder Hoffnungslosigkeit vermittelt?

Nun werfen Sie einen Blick auf Ihre Zukunft. Auf die Person, die Sie sein möchten. Stehen Sie jetzt und hier für sie ein! Versprechen Sie ihr, sich selbst mehr zu stärken, um genau die zu werden, die Sie sein wollen. Betrachten und erkennen Sie: Zwischen dieser Person und Ihnen wird ein Weg liegen. Sie werden straucheln, einmal, zweimal. Na und? Wenn Sie hinfallen, wissen Sie, was zu tun ist: aufstehen, mehr muss es zu Beginn gar nicht sein. Somit wäre Runde eins im Boxring geschafft. Denn eines ist klar: Es ist nur diejenige k. o., die liegen bleibt.

Diese Übung können Sie so oft wiederholen, wie Sie wollen, auch in Situationen, in denen Sie sich unsicher fühlen. Stehen Sie auf, schließen Sie die Augen und bestätigen Sie sich, wo Sie hinwollen, wer Sie sein möchten. Betrachten Sie Ihre Vergangenheit und Ihre Zukunft, und erkennen Sie, dass Sie für Ihre Sache einstehen können, unabhängig davon, was war oder sein wird.

Standing Ovations: Welche positiven Auswirkungen hat Standing?

Menschen gehen zu Boden – im metaphorischen Sinn oder tatsächlich körperlich. Besonders diejenigen, die immer wieder für sich oder eine Sache aufstehen, hinterlassen Eindruck bei uns. Denn diese Personen widersetzen sich der Schwerkraft, der äußeren und vor allem der inneren. Sie sind unerschütterlich und frei in ihrem Willen. Sie holen sich ihr Standing wieder und richten sich ein ums andere Mal auf, egal wie schwer es ist. Dem zollen wir intuitiv Respekt. Denn es gibt Momente, da will man am liebsten einfach liegen bleiben, und diese Momente kennen wir alle.

Aber: Wenn wir uns erheben, immer wieder, egal für was, verändern wir etwas. Was also zeigen wir mit unserem einfachen Aufstehen, mit unserer Standhaftigkeit?

Stellen wir uns ein großartiges Konzert oder einen tollen Theaterbesuch vor. Wir sind, aus welchem Grund auch immer, von der Darbietung bewegt und werden sprichwörtlich vom Hocker gehauen. Beim Schlussapplaus haben wir das Gefühl, unsere Begeisterung ausdrücken zu wollen, aber das Klatschen wird nicht ausreichen. Was tun wir? Genau, wir stehen auf!

Viele Standing Ovations beginnen mit Klatschen. Der letzte Ton ist verklungen, der Saal wird dunkel. Das Geräusch von aufeinanderschlagenden Handinnenflächen dringt durch den Raum, die Füße setzen zu einem Getrampel ein, einer steht schließlich auf und viele weitere folgen.

Es gibt auch Momente, in denen fünf Sekunden nach dem letzten Satz, dem letzten klingenden Ton, nichts geschieht. In diese Stille hinein steht ein Zuschauer auf, dann ein weiterer, bis alle stehen, dann erst setzt nach und nach das Klatschen ein. Nur durch den Körper wird etwas klar und deutlich ausgedrückt – universal, weltweit für jeden verständlich.

Trotzdem kostet es Überwindung, aus einer großen Menge für jemanden aufzustehen. Bleiben wir allein? Vielleicht finden nur wir gut, was wir hören, und blamieren uns, wenn die Allgemeinheit es gar nicht so großartig fand und wir (man stelle sich vor) mutterseelenallein dastehen mit unserer Meinung! Folglich stehen wir oftmals nicht auf, wenn wir berührt oder überwältigt (aber auch: gegen etwas) sind. Denn dass wir unsere Gefühle zeigen, macht uns auch angreifbar.

Also verzichten wir auf den Auf-Stand, gehen hinaus aus dem Konzertsaal und bedauern. Wir haben die Chance vorbeistreichen lassen, dem Künstler unseren Respekt zu zollen. Unser Gegenüber weiß nicht, wie begeistert wir von der Darbietung waren, ob sie eventuell sogar einen Unterschied in unserem Leben macht, etwas in uns verändert. Wäre das nicht auch wichtig für die Person, die uns so bewegt hat? Möglicherweise hat sie ihr ganzes Herzblut hineingelegt, wollte uns etwas mitgeben. Aber wir zucken mit den Schultern, fügen ein »Schade« im Kopf hinzu und vergessen den Moment.

KOMPLIMENT! DEN »AUF-STAND« IN UNSEREN ALLTAG BRINGEN

Übung 1: Standing Ovations

Gehen Sie in Konzerte oder besuchen Sie eine Vorstellung im Theater. Manchmal sind es kleine Veranstaltungen in irgendeiner Bar oder Theaterstücke im Hinterhofgebäude, die uns von den Socken hauen. Wenn Sie ehrlich bewegt sind, stehen Sie dafür auf!

Auf den ersten Blick haben Komplimente nicht viel mit unserem Standing zu tun – bei näherer Betrachtung jedoch eine ganze Menge. Wenn ich in meinem Leben sattelfest bin und mich wohlfühle, kann ich dieses Gefühl an andere weitergeben. Bei den folgenden Übungen geht es nicht darum, wahllos mit wohlwollenden Worten um sich zu werfen, ohne dass wir die Bewunderung empfinden. Aber untersuchen Sie genau, was Ihnen Positives an einer anderen Person auffällt, und sprechen Sie es aus. Es kann sein, dass Sie eine verhaltene Gegenreaktion bekommen und Ihr Gegenüber irritiert ist – das ist okay, denn wir haben in unserer Kultur nicht gelernt, auf ein nettes Kompliment einfach »Danke« zu sagen. Stattdessen schmettern wir es mit einem schönen Volleyschlag zurück: »Ach, das alte Teil …«, oder: »War keine große Sache.« Bereiten Sie sich auf diese Reaktionen vor. Sie lernen mit den Übungen, sich davon unabhängig zu machen und einzustehen für das, was Sie sagen und denken.

Übung 2: Kompliment an einen Freund

Machen Sie einer Ihnen nahestehenden, bekannten Person (Familie, Freund) ein Kompliment.

Übung 3: Kompliment an Bekannte

Machen Sie einer Person ein Kompliment, die Sie kennen und interessant finden, zu der Sie aber ein neutrales Verhältnis haben.

Übung 4: Kompliment an Unbekannte

Machen Sie einer fremden Person ein Kompliment, zum Beispiel: In einem Café sehen Sie eine Frau in einem Mantel, der ihr umwerfend gut steht. Sagen Sie es ihr.

Übung 5: Kompliment an den Feind

Machen Sie einem Menschen ein Kompliment, mit dem Sie eine Auseinandersetzung haben oder hatten oder den Sie nicht besonders gut leiden können. Tun Sie dies aufrecht und mit fester Stimme. Sie können auch dazu sagen, dass Sie sich ja nicht besonders gut verstehen, Sie diese eine Sache dennoch toll an dieser Person finden.

Schuh(waffen)schrank: Was haben Schuhe und richtiges Standing miteinander zu tun?

Es mag vielleicht überraschen, aber im Prinzip hat jede Frau in ihrer Wohnung einen Waffentresor. Die wenigsten wissen jedoch darum. Und weshalb? Weil kaum jemand für möglich hält, dass der erste Schritt in Richtung körperliche Präsenz im Schuhschrank beginnt. Ja, genau. Im Schuhschrank! Nicht umsonst sagte einmal Marilyn Monroe: »Gib einem Mädchen die richtigen Schuhe, und sie kann die ganze Welt erobern.«

Wir Frauen wissen es schon lange: Man kann gar nicht genug Schuhe haben. Und warum? Weil sie einen Großteil unserer Probleme im Alltag lösen – wenn wir sie richtig einsetzen. Balancierend auf Pfennigabsätzen, breitbeinig marschierend in schweren Boots, dynamisch im Sportschuh und tänzelnd in Ballerinas. Jeder Schuh verschafft uns eine eigene Art, in ihm zu gehen.

Vor allem in hohen Absätzen. Das habe ich als Kampfchoreografin sowieso noch nie verstanden: Da steh ich am Flughafen und soll meine Bergstiefel ausziehen, damit sie durch den Scanner geschickt werden, um auszuschließen, dass in meiner Sohle irgendwelche Waffen oder Drogen verborgen sind. Die Frau hinter mir mit ihren Zehn-Zentimeter-Stilettos wird lächelnd durchgewunken. Was, bitte schön, ist denn ein Stöckelschuh, wenn nicht eine Waffe? Welche tätlichen Möglichkeiten bietet er mir? Der High Heel, oder sagen wir es doch gleich: High Hell, ist nicht nur irgendeine Waffe, er ist die nahezu perfekte. Einerseits betörend, verführend, bestechend, wenn sich jemand gut darin bewegt. Andererseits ein furchtbarer »pain in the ass«. Man kann damit hervorragend kicken, treten und ins Auge stechen. Aus Sicht der Kampfchoreografin fallen mir sehr viele Nutzungsmöglichkeiten eines herkömmlichen Stilettos ein.

Es erfordert jedoch Übung, diese »Waffe« einzusetzen. Ich erinnere mich an die Schauspielschule, wie ich, naive siebzehn Jahre alt, Runde um Runde auf der Bühne drehte – in elf Zentimetern. Meine Lehrerin saß im Zuschauerraum und rief herauf: »So nicht, Katrin! Es knallt zu laut, du musst lernen, die Fußspitze mehr aufzusetzen. Geh noch mal zurück.« Und nach einem weiteren Versuch: »Das ist zu nuttig, die Frau, die du verkörperst, ist elegant.«

Eine Stunde ging das so. Meine Füße schmerzten, und mit dem Monolog hatten wir noch nicht mal angefangen.

Irgendwann war mein Gang so weit in Ordnung, dass ich den Text aufsagen sollte. Aber mein Kopf war leer. Blackout. Ich stand stammelnd auf der Bühne, unfähig, mich in irgendeine Richtung zu bewegen. Die Füße hingen unkoordiniert an meinem Körper, mein Mund klappte auf wie bei einem Fisch. Es war schlicht zu viel in diesem Moment: schön reden und schön laufen.

Meine Karriere als Choreografin hat wahrscheinlich genau in diesem Moment Fuß gefasst. Denn das mit dem Steckenpferd und dem Mantel an St. Martin war mir irgendwie leichter gefallen als der Catwalk.

Ein Schuh ist nicht nur ein Schuh. Er ist die Grundlage, auf die alles aufbaut. Haben wir einen sicheren Stand? Passt sich das Fußbett an unseren Fuß an, oder ist es umgekehrt? Können wir schnell die Richtung wechseln? Oder brauchen wir einen starken Arm, der uns hilft, im Gleichgewicht zu bleiben? Ohne es zu wissen, entscheiden wir jeden Morgen mit der Wahl des Schuhwerks, welches Standing wir für diesen Tag aussuchen.

Und die Auswahl ist groß. Zu groß. Es gibt Theorien, dass Frauen deswegen eine so enge Beziehung zu Schuhen und Handtaschen haben, weil die immer passen – selbst wenn man fünfzehn Pfund mehr auf den Rippen hat als vor einem Jahr. Schuhe sind für viele die allseits sichere Bank – und dennoch werden die meisten Schuhe nicht getragen, sondern fristen ein Leben im Dornröschenschlaf, übereinandergestapelt, vergessen, aus der Mode gekommen, nicht kombinierbar oder einfach nur verdammt unbequem. Genau deswegen ist es auch so schwer, sich für ein Modell – und damit das Standing – zu entscheiden: Es sind so viele Nieten unter den Gewinnen, dass man eine Menge (an)ziehen muss, um das Richtige zu erwischen.

Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach. Die Schranktür aufzuschieben, hinter der sich unsere gesammelten Schätze verbergen, ist im Prinzip dasselbe, wie den Waffenkoffer zu öffnen und sich zu fragen: Welche Waffe brauche ich für den heutigen Tag? Den schweren Säbel, den ich nur mit Schwung durch die Luft sausen lassen kann? Die Pistole, mit der ich auch rücklings und aus der Entfernung Treffer erziele? Oder das Rasiermesser, das ich an der empfindlichsten Stelle ansetzen und im richtigen Winkel führen muss? Wonach ist mir heute?

Und vor allem: Welchen Stand werde ich brauchen? Möchte ich für das schwierige Gespräch mit der Büronachbarin auf Pfennigabsätzen um Balance ringen? Oder robust wie ein Bauarbeiter durch die Fußgängerzone pflügen?

Ruckedigu, Blut ist im Schuh: Wie man einen Abend auf zehn Zentimetern übersteht und was man daraus lernen kann

Vor Jahren war ich auf der Hochzeit einer meiner besten Freundinnen eingeladen – in einer katholischen Kirche. Bei den Katholiken ist eine Trauung immer mit körperlicher Ertüchtigung verbunden. Kaum hat man auf der harten Holzbank eine einigermaßen erträgliche Position gefunden, soll man aufstehen, sich dann wieder hinsetzen, knien, stehen, sitzen, knien, sitzen … Bis auf das Knien machte ich bei allem mit, wenn auch in Gedanken ganz woanders. Denn keine drei Tage vorher hatte mir mein Freund Moritz den Laufpass gegeben, weshalb er auch nicht mitgekommen war zur Hochzeit und mich allein meine Übungen in der Büßerbank machen ließ.

Nach der knapp zweistündigen Trauung stakste ich in meinen viel zu hohen Hacken über den Kies des Friedhofs und blieb natürlich prompt auf der Wiese stecken, auf der das Auto geparkt war. Das Auto war mein Fluchtpunkt, meine Insel der Glückseligkeit, denn im Kofferraum befand sich ein Paar flacher Ersatzschuhe. Doch zu denen kam ich erst gar nicht, denn eine Freundin passte mich ab, hängte sich bei mir ein und zog mich zu einer Spaziergangrunde mit. Sophia war nach sechsmonatiger Trennung von ihrem Gatten mit ihrem neuen Freund hier aufgeschlagen und sah besser aus als je zuvor. Bezeichnenderweise trug sie keine hohen Absätze, sondern bequeme und zugleich schicke Sandalen.

Später dann, am Abend, brannten meine Füße lichterloh – doch der Wagen war in weiter, ja unerreichbarer Ferne. Und immerhin gab es jetzt Alkohol, welcher den Schmerz zumindest ein wenig betäubte. Während des Abendessens, welches dankbarerweise sitzend absolviert wurde, fragten mich die Leute, wo denn Moritz sei, und immer lächelte ich nur und faselte etwas von »verhindert«.

Irgendwann fand ich mich elegant-verzweifelt an einem Tresen lehnend wieder, mit Blasen an den Füßen, so groß wie meine Handflächen. Ich lächelte trotz der Schmerzen. Diesmal aber für den Barkeeper. Meine Füße waren zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Klumpen, ein toter, gefühlloser Fleischhaufen, nur noch in der Lage, Schmerz zu verursachen und in regelmäßigen Abständen in Richtung Hirn zu entsenden. Die Tauben schrien es von den Dächern: »Ruckedigu, ruckedigu, Blut ist im Schuh!«

Und doch blieb ich stehen. Selbst wenn ich innerlich flehend aus der Situation und den zugehörigen Schuhen herauswollte, ich hielt tapfer durch, solange es eben sein musste. Bis zum bitteren Ende. Ich »durchstand« den Abend, die nervigen Fragen und die blutenden Füße.

Zwei Tage später, als ich auf dem Weg in die Schauspielschule war, zerbrach ich mir den Kopf darüber, wie ich das Gespräch mit den beiden anstrengenden Leiterinnen der Schule führen sollte. Seit Wochen drückte ich mich schon davor, da ich wusste, es würde Diskussionen geben.

Plötzlich hielt ich inne. Echt jetzt? Im Ernst? Ich war eine Stunde mit Sophia am Arm durch den Park geeiert, hatte humpelnd das Fest überstanden und für den Walzer mit Elvira meine Qualen ignoriert, hatte möglichst allgemein alle Nachfragen in Moritz’ Richtung beantwortet und sogar darauf verzichtet, ihm eine herzzerreißende SMS zu schreiben – und jetzt machte ich mir wegen eines lächerlichen Gesprächs mit zwei Leuten ins Hemd, die ich noch nicht einmal besonders gut leiden konnte? Es war verrückt: Wenn ich nur an die Auseinandersetzung dachte, wurde mir schon ganz anders, und ich wollte weglaufen.

Flucht ist ein Reflex, der tief in uns verankert ist. Wir brauchen einen Grund, um stehen zu bleiben – und müssen erst lernen, wie es sich anfühlt, konfliktreiche Situationen auszuhalten. Unser Instinkt schreit uns an: »Lauf! Bring dich in Sicherheit, hier kannst du nur verletzt werden!« Dagegen können wir nichts tun – das Handlungsmuster Flight (deutsch: Flucht) hat in früheren Zeiten dafür gesorgt, dass wir nicht von anderen Clans und deren Mitgliedern zu Schaschlik verarbeitet wurden.

Doch alte oder erlernte Muster müssen nicht für immer die einzige Handlungsoption bleiben. Wir sind in der Lage, Muster zu durchbrechen und neue Reaktionen anzutrainieren. Das erfordert Überwindung und jede Menge Übung, und nicht nur einmal werden wir dabei scheitern. Doch irgendwann werden wir unseren Instinkt überlistet haben und selbst entscheiden können, welche Handlungsoption hilfreich in der Situation ist.

Meine Freundin Heike hat einen tollen Trick, wie sie sich selbst zum Innehalten zwingt. Heike ist eine absolut umwerfende Frau. Sie ist stets perfekt geschminkt, ihre Frisur sitzt einfach immer. Selbst wenn sie mal einen Bad-Hair-Day hat, schüttelt sie nur kurz die blonden Haare durch, und schon sieht sie aus, als wäre sie gerade vom Friseur gekommen. Heike ist der Typ Frau, der sagt: »Bis acht Zentimeter Höhe ist alles gut, ab da muss ich mich ein bisschen konzentrieren.«

Ich traf sie in einem Café und erzählte ihr von meinem bevorstehenden Gespräch mit den Schauspielleiterinnen, das mir unangenehm im Magen lag. »Das wird richtig knallen, glaube ich«, sagte ich. »Ich spüre jetzt schon alle Fluchtreflexe, wenn ich nur an das Gespräch denke.«

Heike zuckte mit der Schulter, blickte an mir hinab und meinte: »Deine Schuhe sind das Problem.«

Ich folgte ihrem Blick, der auf meinen schweren Bergstiefeln hängen geblieben war. Heute trug ich ein Paar mit tiefem, rilligem Profil, ideal für unebene Hänge und lange Märsche über Stock und Stein.

»Schätzchen, zieh zu dem Gespräch Stilettos an, das löst dein Dilemma.«

Entsetzt starrte ich Heike an. »Warum das denn? Auf den Hacken breche ich mir doch nur die Knöchel! Du weißt, wie es um meine Fähigkeit steht, mit den Dingern zu gehen.«

»Eben. Deswegen ist Weglaufen auch keine Option«, war ihre lapidare Antwort, während sie sich eine Martini-Olive auf einem kleinen Spießchen in den Mund schob.

Was soll man dazu sagen? Sie hatte verdammt recht. Wie sehr, hatte ich höchstpersönlich auf der Hochzeit meiner Freundin bewiesen. An Flucht war in diesen Killerhacken gar nicht zu denken gewesen – deswegen hatte ich den Abend so bravourös gemeistert und war nicht einmal den unangenehmen Fragen nach Moritz ausgewichen.

Es gibt Schuhe, die uns helfen, die Flucht zu verhindern. Und natürlich Schuhe, die uns noch flotter werden lassen, wenn wir die Beine in die Hand nehmen und uns so schnell wie möglich vom Acker machen. Etwa, wenn ein Hund zähnefletschend auf uns zurennt. Oder der Chef diese Ader auf der Stirn bekommt, die immer so pulsiert, wenn er sauer wird. Oder wenn die zickige Nachbarin von unten sich schon wieder beschwert, weil wir angeblich so laut durch die Wohnung trampeln.

In Situationen, in denen ich dazu neige, die Flucht zu ergreifen, lasse ich seit meinem Gespräch mit Heike die Bergstiefel zu Hause und ziehe die High Heels an. Ich muss die Sache im wahrsten Sinne des Wortes »durchstehen«, kann mich nur langsam bewegen, aufrecht gehen und mich aufs Wesentliche konzentrieren. Überlegt und bedacht, weil der Schuh es einfach verlangt. Mit fünf Zentimetern. Heike macht das mit zehn. Jede, wie sie kann.

Selbst wenn ich mich in letzter Sekunde doch noch dazu entscheiden sollte, den Stiefel anzuziehen, hab ich die Idee des High Heels im Kopf und bin mental besser darauf vorbereitet, in einer Situation Stand zu halten.

Merke

Wenn Sie zur kopflosen Flucht neigen, geben Sie sich selbst einen Grund, damit Sie bleiben müssen. Bei mir ist es der hohe Schuh, der mich an das innere Stehenbleiben erinnert – oder dafür sorgt, dass ich nicht einfach auf dem Absatz kehrtmache und türme. Indem ich mich auf meine Balance, die innere wie die äußere, konzentriere, bin ich von meiner Angst abgelenkt. Das Wissen, dass das Standing in mir liegt und ich es nur mit dem richtigen Schuh herauskitzeln muss, gibt mir Kraft.

Halte Stand! Wie erarbeitet man sich Standing, ohne dass es erzwungen oder aufgesetzt wirkt?

Eine deutsche Hochschule bat mich vor ein paar Jahren darum, das weibliche Lehrpersonal mit meinem Wissen aus dem Bühnenkampf zu unterstützen. Und so kam es, dass ich all das, was ich von der Kampfchoreografie über richtiges Standing, Provokationen, Eröffnungen und Schlagabtausche wusste, in die Kommunikation übertrug und Hochschulunterrichtenden beibrachte, wie sie sich nonverbal, allein durch ihre Körperpräsenz, gegen Angriffe aufmüpfiger Studenten zur Wehr setzen können. In diesen Kursen zeigte ich, wie sich Techniken aus dem Kampf in die zwischenmenschliche Konfrontation übertragen lassen und zu mehr Gelassenheit verhelfen. Denn wer die »Seitenhiebe« und »Angriffe« seines Gegenübers kennt, ist in der Lage, nicht mehr nur zu reagieren, sondern die Situation aufzulösen. Das richtige Standing ist hier der Anfang von allem.