So sind wir - Christian Hafenecker - E-Book

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Christian Hafenecker

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Beschreibung

Die Ibiza-Affäre hat die österreichische Innenpolitik im Jahr 2019 nachhaltig aufgewirbelt. Alexander Van der Bellens Aussage "So sind wir nicht" galt bald nach Beginn des Untersuchungsausschusses und den Ermittlungen der WKStA gegen die ÖVP als überholt. Es offenbarte sich ein tiefer Staat, errichtet von der türkisen ÖVP, der nur Eines zum Ziel hatte: Sebastian Kurz und seine Prätorianer ins Bundeskanzleramt zu bringen und auch dort zu halten. Letzteres ist bekanntermaßen vorerst gescheitert, die türkise Familie ist in Auflösung begriffen. Welchen Beitrag der Untersuchungsausschuss dazu leisten konnte, beschreibt dieses Buch.

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ChristianHafenecker

SOSINDWIR

Mein besonderer Dankgilt den MitarbeiternConny, Krisztina, Verena, Alfred, Alex,Arno, Bernhard, Dominik, Hans Jörg,Konstantin, Maximilian und Volker,dem Freiheitlichen Bildungsinstitut,Klubobmann NAbg. Herbert Kickl undKlubdirektor Mag. Norbert Nemethstellvertretend für den FreiheitlichenParlamentsklub sowie meinenFraktions- und Abgeordnetenkollegen imIbiza-UntersuchungsausschussDr. Susanne Fürst, Dr. Martin Graf,Christian Ries und Mag. Philipp Schrangl.

Inhalt

Prolog

Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus öffnen die Büchse der Pandora

Wurden bei Straches Friseurbesuch Haare abgezweigt?

„Der Typ hat eine Menge Geld gefordert“

Krone.tv-Moderatorin machte Lockvogel für Strache schön

Sex und Drogen: Video-Falle für eine Edelprostituierte

Russischer Oligarch hatte gar keine Nichte

„Wer zahlt, schafft an“

„Die roten Idioten kommen mit dem Geld nicht mehr weiter“

„Lass uns reich werden! Aber mit lustig“

Eine merkwürdige TV-Wette zwischen Kern und Strache

„Ich war in diesem schwarzen Netzwerk ein Fremdkörper“

„Genug ist genug!“ – „So sind wir nicht!“

Rätselraten um Doppelgänger von Strache

Über Geld und Informanten spricht man nicht

Viel Alkohol und eine hohe Sprachbarriere

„Kann sein, dass morgen Österreich brennt“

Die Selbstjustiz des Julian Hessenthaler

Exkurs: Herbert Kickl zu den politischen Vorgängen rund um die Veröffentlichung des Ibiza-Videos

Als Kurz wegen seiner Oma keine Zeit hatte

„Diese Bilder bringst du nicht mehr weg“

Notizen auf einem Pizzakarton

„Unser größter Fehler war, dass wir der ÖVP vertraut haben“

„Van der Bellen agierte wie ein Agent der ÖVP“

„Die Bombe platzt“

Die Rolle von Van der Bellen: Was wusste er?

Grüne Funktionäre wurden bei der Erste Bank zwischengeparkt

Projekt „Ballhausplatz“

Seltsame Chat-Protokolle und „zufällige“ Personalentscheidungen

„Tu es für mich“

„Ich liebe meinen Kanzler“ – „Basti-Boy“ Thomas Schmid zimmert sich die ÖBAG-Ausschreibung zurecht

Die Schredder-Affäre

Eine unbezahlte Rechnung brachte Skandal ins Rollen

Ein stämmiger Mann mit Vollbart bei der Kurz-Pressekonferenz

Korruptionsermittler auf Weisung gestoppt

Die Causa „CASINOS“

Millionen Gründe, warum Bettina Glatz-Kremsner nicht Finanzministerin wurde

Maulkorberlass im Finanzministerium

ÖVP wollte Büro des Finanzstaatssekretärs „auslagern“

Casinos-Chefin genoss Kochkünste bei Thomas Schmid

Der Fall „Peter Sidlo“

Sidlo wurde genau unter die Lupe genommen

Ein Deal, der keiner war

Casinos Austria in tschechischer Hand

Casino-Anteile auf Pump

„Tu es für mich“

Wie die Steuernachzahlung für Novomatic zu „Bella Italia“ wurde

Mit dem Mafia-Paten von Neapel auf einer Hochzeitsfeier

Blümels „Generalamnesie“

86(!) Erinnerungslücken und ein merkwürdiges Geschäft von René Benko

René Benko – der Schüchterne

Vom Berg Athos Insolvenzantrag gebremst

Der Laptop im Kinderwagen

Die „verratene“ Hausdurchsuchung bei ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel

„Bitte Vollgas geben“

Kurz und Schmid drangsalierten die katholische Kirche – ein verstörendes Sittenbild

Er war zunächst rot, dann blass, dann zittrig

Faule Tricks rund um den PRIKRAF

Der politische Wille muss erkauft werden

Der Angriff auf die Justiz

Edtstadler: Die karenzierte Vizechefin der WKStA patzt ihre eigene Behörde an

Pauschale Unterstellungen des Kanzlers sorgen für Entrüstung

Venceremos - „Wir werden siegen“

Christian Pilnacek und Johann Fuchs: Zwei Spitzenbeamte geraten ins Zwielicht

Verfassungsrichterin wäre auch eine gute Müllfrau

„Setzt euch z‘samm und daschlogt‘s es“

„Black Angel“ und der Feuerwehrmann

Freund von Pornodarstellerin versteckte das „Ibiza-Video“ hinter einer Steckdose

Bundeskriminalamt sprach schon 2018 von einem großen Knall in der Koalition

Ibiza-Detektiv Julian Hessenthaler und Slaven K. standen bereits seit Jahren auf der Payroll des Bundeskriminalamtes

„Für ein Inserat gibt‘s ein Gegengeschäft“

ÖVP-Parlamentspräsident Wolfang Sobotka entlarvt sich im Fernsehen selbst

Sobotka Seite an Seite mit Wirecard-Manager

Sobotkas Problem mit der Wahrheitspflicht

Sobotka wehrt sich gegen Video-Lieferung an U-Ausschuss

Think Austria, des Kanzlers Denkfabrik auf Abwegen

Die Verbindung von Sebastian Kurz zu den Bossen von Wirecard

„Für das Trinkgeld ist das Bargeld doch noch wichtig“

Hessenthaler nannte Marsalek seinen „Bank-Kumpel“

Die Freilegung des „Tiefen Staates“

Der „Ibiza“-U-Ausschuss brachte ein schwarzes Sodom und ein türkises Gomorra zutage

„Novomatic zahlt alle“

„Durch Vereine am Rechnungshof vorbeispenden“

„Übernahme der Kronen Zeitung“

„Haselsteiner bekommt keine Aufträge mehr“

„Privatisierung des Wassers“

Epilog

Die türkise Braut der Grünen entpuppt sich als schwarze Witwe

Der Abwehrkampf des Wolfgang Sobotka

Der „Tiefe Staat“ – die türkise „Familie“

Als die Grünen ihre postulierten Grundsätze über Bord warfen

Eine Schande für den Parlamentarismus

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Quellen Abbildungen

Endnoten

Autor

Impressum

Prolog

Dienstag, 28. September 2021, 9.00 Uhr. Die Presseabteilung der „neuen Volkspartei“ versendet hastig die Einladung zu einem Pressestatement mit Gaby Schwarz, stellvertretender Generalsekretärin der ÖVP, für 11.00 Uhr. Vor den in die türkise Parteizentrale geeilten Journalisten sollte die Spitzenfunktionärin dann einen skurrilen Auftritt abliefern. Sichtlich nervös sprach sie von angeblichen Medienanfragen zu einer bevorstehenden Hausdurchsuchung in der ÖVP-Zentrale, verbunden mit der nahezu trotzig wirkenden Ankündigung „Es ist nichts mehr da“ und dem Verweis darauf, dass die ÖVP schon länger alle Daten lösche, zu deren Aufbewahrung sie nicht verpflichtet sei.

Auf den Tag genau eine Woche später ließen die Türkisen ihren Fraktionsobmann im beendeten Ibiza-Untersuchungsausschuss, den verhaltensauffälligen Nationalratsabgeordneten Andreas Hanger, auf einer extra einberufenen Pressekonferenz zum Rundumschlag gegen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ausholen, die schon längst zum Feindbild der ÖVP geworden war. Selbst bestens vernetzte Polit-Insider fragten sich: Welchen Zweck verfolgt die Volkspartei mit diesen Medienauftritten? Wurden ihr etwa tatsächlich bevorstehende Ermittlungsmaßnahmen der Justiz durchgestochen und will sie Betroffene aus ihren Reihen vor diesen warnen?

Der darauffolgende Tag, Mittwoch, der 6. Oktober 2021, brachte die Antwort: Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale, im Bundeskanzleramt und im Finanzministerium. Schon wenige Stunden danach bestätigte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft entsprechende Medienberichte und gab bekannt, dass unter anderem gegen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, sein engstes politisches Umfeld, eine Meinungsforscherin, Ex-ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin und gegen zwei der mächtigsten Medienmacher des Landes ermittelt werde. Die Vorwürfe: Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit in Zusammenhang mit einem in der Zweiten Republik beispiellosen Fall von Medienkorruption. Kurz und seine Getreuen sollen 2017 in Kooperation mit der beschuldigten Meinungsforscherin gefälschte Umfragen der Tageszeitung „Österreich“ zugespielt und die Kosten dafür in der Höhe von rund zwei Millionen Euro durch Scheinrechnungen dem Finanzministerium – also dem Steuerzahler – verrechnet haben.

Auf Druck der Opposition und letztlich auch des grünen Koalitionspartners trat Sebastian Kurz am folgenden Samstagabend als Bundeskanzler zurück.

An diesen innenpolitisch turbulenten Tagen befand sich das vorliegende Buch bereits auf dem Weg in die Druckerei. Ich erachtete es aber für unabdingbar, dem geneigten Leser einleitend eine Schilderung des endgültigen Beginns der Implosion des „Systems Kurz“ mit auf den Weg zu geben. Denn es waren die eineinhalb Jahre Arbeit des „Ibiza-Untersuchungsausschusses“, welche de facto durch das Schlüsselloch der Republik auf einen von der ÖVP in fast 35 durchgängigen Regierungsjahren errichteten, Tiefen Staat blicken ließen und darin schwarze Netzwerke sichtbar machten, auf denen die türkise Truppe ab ihrer Machtübernahme 2017 erst ihr „System Kurz“ aufbauen konnte.

Die tiefschwarzen Fäden, die sich durch das Finanz-, Innen- und Justizministerium – zentrale Institutionen unseres Staates – ziehen, haben Sebastian Kurz und seine „türkise Familie“ in den vergangenen Jahren zum Zwecke des Machtausbaus miteinander berknüpft.

Der „neue Stil“, mit dem der von manch begeistertem Anhänger zum Messias Verklärte vor vier Jahren gestartet war, ist ertrunken in einem Sumpf aus Korruption, Postenschacher, Niedertracht und einer Verachtung für Demokratie sowie Grund- und Freiheitsrechte, wie sie die politische Geschichte Österreichs seit 1945 noch nicht gesehen hat.

Meiner Meinung nach ist das „System Kurz“ zu Ende. Auch wenn dessen gefallene Gallionsfigur zum jetzigen Zeitpunkt die politische Bühne noch nicht endgültig verlassen hat und seine Handlanger teilweise derzeit noch in der zweiten Reihe von Kabinetten und Ministerien am Werk sind, die ÖVP liegt am Boden, gestolpert über die „Superstar-Falle“ – ein Ende des Absturzes ist nicht in Sicht. Mittelfristig ist davon auszugehen, dass die alten, schwarzen Kräfte wieder das Ruder in der ÖVP übernehmen werden und das verfilzte Geflecht aus mächtigen Landesorganisationen auf der einen und klientelistischen Bünden auf der anderen Seite die verblichene Modefarbe „Türkis“ ersetzen.

Der Skandal rund um frisierte Umfragen und gekaufte Berichterstattung ist aber bei weitem nicht nur ein Fanal für die Volkspartei, sondern vielmehr eine Zäsur für die gesamte Politik und Medienlandschaft. Der nunmehr von der FPÖ gemeinsam mit SPÖ und NEOS eingesetzte ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss schließt nahtlos an die Erkenntnisse seines Vorläufers an und wird das „Projekt Ballhausplatz“, den skrupellosen Plan von Kurz & Co. zur Machtübernahme, in den Fokus nehmen.

Die im Zuge des Inseraten-Korruptionsskandals von der Staatsanwaltschaft als Beweismittel sichergestellten Chatnachrichten von Sebastian Kurz, Gernot Blümel, Thomas Schmid und türkisen Mitarbeitern legen insgesamt Abgründe offen, wogegen die Ibiza-Video-Affäre – eingedenk aller Verfehlungen ihrer Protagonisten – geradezu lächerlich erscheint. In Verbindung mit den in diesem Buch dokumentierten Machenschaften des schwarzen Tiefen Staates und des Systems Kurz ergibt sich ein demokratiepolitischer Notstand, in welchen die ÖVP unsere Republik manövriert hat und aus dem es nur einen Ausweg gibt: vollständige Aufklärung, um Österreich aus den Fängen der schwarzen Netzwerke zu befreien.

Die folgenden Kapitel sollen einen ersten Beitrag dazu leisten und Hintergründe, Funktionsweisen und Zahnräder des türkis-schwarzen Systems schonungslos offenlegen.

Eine Fortsetzung folgt…

Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus öffnen die Büchse der Pandora

Wo waren Sie, als Prinzessin Diana in Paris bei einem Autounfall ums Leben kam oder als Flugzeuge von Terroristen in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York gelenkt wurden? Diese Frage können Sie bestimmt ganz leicht beantworten.

Genau dasselbe Phänomen beobachtet man im Zusammenhang mit Freitag, dem 17. Mai 2019. Jenem Tag, an dem zur besten Sendezeit das auf sieben Minuten zusammengeschnittene „Ibiza-Video“ erstmals im ORF gezeigt wird. Kai Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im parlamentarischen „Ibiza“-Untersuchungsausschuss, erinnert sich sofort, dass er zuhause gewesen ist. Auf die Frage, was sein erster Gedanke war, als er dieses Video sah, antwortet er geheimnisvoll:

„Ich hatte so ein Déjà-vu. Das kam ja auch. Nicht ganz so, aber so ähnlich.“ (Anm. Schlussendlich hat der ÖVP-nahe Unternehmer René Benko sich über ein ihm zurechenbares Firmennetzwerk an der Kronen Zeitung beteiligt)

Auch die NEOS-Fraktionsführerin im U-Ausschuss, Stephanie Krisper, weiß sofort, wo sie sich aufhielt:

„Ich war im Zug von Wien nach Bleiburg. Das Video konnte ich wegen schlechten WLANs im Zug aber erst im Hotel in Bleiburg in Ruhe ansehen. Es war dann mehr als beunruhigend“.

Dass mit den versteckten Aufnahmen der Gespräche des damaligen FPÖ-Obmanns Heinz-Christian Strache und des damaligen FPÖ-Wien-Chefs Johann Gudenus mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte auf einer Finca in Spanien eine „Bombe platzt“, wie einen Tag zuvor in einem Kalendereintrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu lesen war, kann im Nachhinein nur bestätigt werden. Strache und Gudenus öffneten die Büchse der Pandora, die viel Unheil in die politische Landschaft Österreichs brachte.1

Die Video-Falle von Ibiza war aber nicht nur der Anfang vom Ende der türkis-blauen Bundesregierung unter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, sie war vielmehr der Endpunkt einer Verschwörung, die vermutlich seit dem Jahr 2014 zum Ziel hatte, die FPÖ und ihren damaligen Obmann Strache zu Fall zu bringen. Der kriminellen Energie der Protagonisten spielten dabei die verwundbaren Stellen von Strache und Gudenus in die Hand. Und bald sollte sich herausstellen, dass die ÖVP zumindest streckenweise in die Vorkommnisse involviert war.

Es muss im Jahr 2011 oder 2012 gewesen sein, als der ehemalige „Sicherheitsmann“ von Heinz-Christian Strache, Oliver R., mit seinem Job offenbar nicht mehr ganz zufrieden war, vielleicht sogar eine persönliche Kränkung erlebte und dies dem Rechtsanwalt Ramin M., der den Bodyguard in mehreren Fällen vertreten hatte, kundtat. M. hörte dem gesprächigen Mann, einem der engsten Mitarbeiter des FPÖ-Chefs, aufmerksam zu. Ob damals schon der Plan geschmiedet wurde, Heinz-Christian Strache zu vernichten, kann anhand der mittlerweile vorliegenden Dokumente nicht gesichert angenommen werden.

Feststeht allerdings, dass sich Oliver R. in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 nochmals an M. gewandt hat. Diesmal scheinbar mit belastendem Material gegen Strache. Dem Vernehmen nach sollen Fotos von einer mit Bargeld gefüllten Sporttasche gezeigt worden sein. Weiters soll auch über angeblichen Suchtgiftmissbrauch des damaligen FPÖ Chefs gesprochen worden sein. Ramin M. soll dafür Beweise verlangt haben.2

Wurden bei Straches Friseurbesuch Haare abgezweigt?

Die Jagd auf Heinz-Christian Strache nimmt erst jetzt so richtig Fahrt auf. Denn Oliver R. nützt einen Friseurbesuch seines Chefs, um Haare abzuzweigen, die im Fall einer forensischen Analyse als Beweis für den behaupteten Drogenkonsum herangezogen werden könnten. Mit dem nun erlangten Zugriff auf die vermeintlichen Beweise, berät sich Ramin M. mit seinem bei den NEOS in führender Rolle tätigen Jugendfreund Christoph J. über die weitere Vorgehensweise. Bei einem Treffen der beiden mit „Sicherheitsmann“ Oliver R. verständigen sie sich darauf, den ehemaligen ÖVP-Politiker Fritz Kaltenegger hinzuzuziehen. Kaltenegger war von 2008 bis 2011 Generalsekretär der Volkspartei und ist nach wie vor gut in der Partei vernetzt. Er stellt den Kontakt zum Direktor der ÖVP-Parteiakademie, Dietmar Halper und zu VP-Parteianwalt Werner Suppan her. In weiterer Folge gesellt sich auch der ehemalige Pressemann von ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll, Daniel Kapp, zu dieser illustren Runde.3

Im September 2014 wird erstmals konkret über Geld gesprochen. Und zwar bei einem Treffen zwischen Halper, Suppan und M. in dessen Anwaltskanzlei. Die Herren besprechen eine „finanzielle Absicherung“ für Oliver R., der – nach der geplanten „Aktion gegen seinen Chef“ – ohne Job dastehen würde. Laut Aussage von M. sei damals ein Betrag von 40.000 bis 70.000 Euro in Aussicht gestellt worden.4

Diese Summe waren die hochrangigen Vertreter der ÖVP offenbar bereit aufzutreiben, um den damaligen FPÖ-Obmann zur Strecke zu bringen, wobei man vor allem am mutmaßlichen Suchgiftmissbrauch von Strache interessiert war.

Der ehemalige Chef der ÖVP-Parteiakademie, Dietmar Halper, bestätigte in seiner Einvernahme im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss zwar, dass es dieses Treffen in der Anwaltskanzlei gab, bestritt aber gleichzeitig, dass ein Betrag genannt wurde. Warum M. von 40.000 bis 70.000 Euro gesprochen habe, wisse er nicht.5 Pikantes Detail am Rande ist allerdings, dass er über dieses Treffen mit niemanden gesprochen haben will, „denn das war ja nur -- (sic)“, so Halper.6

Demnach hat er also alles für sich behalten. Ob man es für lebensnah hält, dass der Chef der ÖVP-Parteiakademie eine derartige politische Bombe weder dem damaligen Präsidenten der Akademie, Sebastian Kurz, noch dem damaligen Parteiobmann Reinhold Mitterlehner mitteilte, kann jeder selbst beurteilen.

Parallel dazu vermittelt Fritz Kaltenegger einen weiteren Gesprächskanal in dieser Causa, nämlich in das Bundeskriminalamt zu Andreas Holzer. Dieser wird nach der Veröffentlichung des Videos skurrilerweise Chef der „Soko-Tape“, also jener Einheit, die mit den Ermittlungen zur Causa „Ibiza“ betraut wurde.7

Am 27. März 2015 kommt es im Bundeskriminalamt zu einem Treffen zwischen Holzer und Rechtsanwalt M., dem auch der Nachfolger Holzers als Soko-Chef, Dieter Csefan beiwohnt. Der Anwalt erzählt dort von angeblichem Suchtgiftkonsum und der mutmaßlichen Finanzierung des Privatlebens Straches aus Parteigeldern.8

Holzer gab später im Untersuchungsausschuss an, dass er die Anschuldigungen über einen mutmaßlichen Drogenkonsum Straches damals bereits gekannt habe, schien aber in erster Linie an den Hintermännern, den Lieferanten interessiert gewesen zu sein.9

Wie aus einem später ergänzten Aktenvermerk hervorgeht, versuchten die Kriminalpolizisten in den Wochen nach diesem Treffen mehrmals, Rechtsanwalt M. zu erreichen, jedoch vergeblich. Es wurden keine Ermittlungen eingeleitet, da der Mandant von M., Oliver R., nicht in Erscheinung treten wollte und somit keine konkreten Hinweise vorlagen.10

„Der Typ hat eine Menge Geld gefordert“

Über den Grund, weshalb Oliver R. beim Bundeskriminalamt nicht in Erscheinung treten wollte, kann nur gemutmaßt werden.

Über die finanziellen und politischen Absichten von M. und Oliver R. sagte Holzer in einem Interview vom 27.5.2020 gegenüber „oe24“:

„Der Anwalt ist damals bei mir aufgetaucht und hat gesagt: Vor den Landtagswahlen 2015 müsst ihr mit euren Ermittlungen gegen Strache fertig sein.‘ Der Typ hat dann eine Menge Geld vom Innenministerium gefordert – aber er hat uns nicht sagen wollen, von wem er das angebliche Belastungsmaterial hatte.“11

Nachdem sich Oliver R. dem Vernehmen nach nicht mit den in Aussicht gestellten 70.000 Euro zufrieden geben will, betritt ein weiterer Spieler der ÖVP die Bühne. Daniel Kapp, der in der PR-Branche als Mastermind für „spezielle Einsätze“ der ÖVP gilt, unternimmt einen weiteren Anlauf, die Vorwürfe gegen Strache an die Öffentlichkeit zu bringen. Seine Destination ist die SPÖ. Kurz vor der Wiener Landtagswahl im Jahr 2015 kontaktiert Kapp deren PR-Berater Rudi Fußi und erzählt ihm vom Material gegen Strache: von den Fotos von Geldtaschen, den beim Friseur entwendeten Haaren, aber auch von regelmäßigen Besuchen Straches bei einer Esoterikern vor wichtigen Entscheidungen. Der ÖVP-Mann Kapp fragt also bei der SPÖ an, ob sie sich hier nicht beteiligen wolle.

Fußi informiert daraufhin den damaligen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler. Dieser, 2015 auch Wahlkampfmanager der Wiener SPÖ, sagte dem „Standard“ im September 2019, dass es damals Gerüchte über belastendes Material über Strache gegeben habe. „Gesehen habe ich die Bilder aber nie“, meinte er.12

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch bei den NEOS wegen einer finanziellen Beteiligung angeklopft wurde. Das behauptete Rudi Fußi in seiner Zeugeneinvernahme gegenüber der Polizei. Bestätigt wurde die Aussage von NEOS-Generalsekretär Nick Donig Ende Mai 2019 gegenüber der Zeitung „Welt am Sonntag“. Der Partei, so Donig, seien belastende, verwackelte Bilder und SMS-Chatverläufe von Strache zum Kauf angeboten worden. Die NEOS hätten aber abgelehnt. Donig bestätigte auf eine Anfrage des „Standard“ im September 2019, dass Anwalt Ramin M. in Verkaufsgespräche involviert gewesen sei.13

Brisant: Ein anonymer Informant, wie ihn der „Standard“ bezeichnete, sagte der Zeitung, dass sich die Verhandlungsgespräche 2015 bereits „konkret um das Spesenthema“ von Heinz-Christian Strache gedreht hätten. Um jene Spesen also, die nach der „Ibiza-Affäre“ zum endgültigen Bruch zwischen der FPÖ und ihrem früheren Parteichef führten. Heikel ist die Sache deshalb, weil es hier um einen Betrugsverdacht ging, den man – wer auch immer davon wusste – den Behörden verschwieg.

Dennoch, der perfide Plan, Heinz-Christian Strache ans Messer zu liefern, scheiterte vorerst.

In den Monaten nach diesen Geschehnissen, vor allem im Sommer 2015, sollte sich die politische Landschaft in Österreich nachhaltig verändern. Durch die Flüchtlingswelle und die verfehlte Asylpolitik der österreichischen Bundesregierung gerieten die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP zunehmend unter Druck. Im Oktober 2015 errang die FPÖ bei der Landtags- und Gemeinderatswahl in Wien mit knapp 31 Prozent einen deutlichen Wahlsieg.

Ein halbes Jahr später, bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016, erreichte keiner der Kandidaten von SPÖ oder ÖVP die Stichwahl. Norbert Hofer, Kandidat der Freiheitlichen, erhielt 35 Prozent und mit Abstand die meisten Stimmen. Während die FPÖ in Umfragen mittlerweile stärkste Partei in Österreich war, hatten Rot und Schwarz zusammen keine Mehrheit. Nervosität und Angst beim politischen Establishment, auch auf internationaler Ebene, waren die Folge.

Es musste daher etwas Neues her, etwas Größeres, um Strache zur Strecke zu bringen, nachdem alle vorherigen Versuche gescheitert waren.

Der mit M. schon länger bekannte Detektiv und mutmaßliche Drahtzieher des „Ibiza-Videos“, Julian Hessenthaler, sagte in diesem Zusammenhang vor dem Untersuchungsausschuss jedenfalls, dass das Video nicht notwendig gewesen wäre, hätte es schon davor Ermittlungen und eine Anklage gegen Strache gegeben.

Hessenthaler war 2015 Geschäftsführer der „Konsic GmbH“. Diese Firma „beschäftigt sich“, so die damalige Eigendarstellung auf der Homepage, über die „Zur Zeit“ berichtete, „mit der Aufklärung von Straftaten für Unternehmen.“ Bei „operativen Ermittlungen“ komme es zum „Einsatz von verdeckten Ermittlerteams“, zur „Beweismittelgewinnung“ und zu „juristische[r] Begleitung“. Interessant sind auch die beispielhaft genannten Auftraggeber (Stand April 2017): „Zu den Klienten gehören renommierte internationale Konzerne, sowie BKA, BMI und Regierungen innerhalb Europas.“14

Gerüchte wollen nicht verstummen, dass die „Konsic GmbH“ zumindest einmal auch mit österreichischen Behörden kooperiert haben soll. „Der Standard“ schreibt dazu am 7. August 2019:

„Die Hinweise auf eine frühere Zusammenarbeit zwischen einem der am Ibiza-Video beteiligten Detektive und den österreichischen Behörden verdichten sich. Dabei soll es um eine Operation namens „Projekt Mezzo“ im Bereich des Tabakschmuggels gehen. Der internationale Tabakkonzern Philip Morris soll eine Detektei mit Ermittlungen beauftragt haben, dabei kam es zur Kooperation mit der Finanzpolizei und dem Bundeskriminalamt“.15

Der Tabakkonzern bestätigte dem „Standard“, eine Operation mit diesem Namen zu kennen. Es stimme auch, dass es im Zeitraum der Operation zum Aufgriff „großer Mengen illegaler Zigaretten durch die Zollbehörden kam“. Unterlagen zu dem Projekt lägen jedoch nicht mehr vor, weil die zuständigen Mitarbeiter den Konzern verlassen hätten. Deshalb könne man nicht sagen, ob der durch den Ibiza-Clip in die Schlagzeilen geratene Detektiv Julian Hessenthaler daran beteiligt gewesen wäre.

Beim Innenministerium, so der „Standard“, gebe man sich dazu bedeckt: Laufende Ermittlungen wolle man dort nicht kommentieren, auch die Existenz eines „Projekt Mezzo“ werde nicht kommentiert.16

Krone.tv-Moderatorin machte Lockvogel für Strache schön

Die Kontakte zwischen dem „Ibiza“-Detektiv Hessenthaler und dem Bundeskriminalamt bestanden also schon länger. Dies bestätigte Hessenthaler auch vor dem Untersuchungsausschuss.

Tatsächlich wurden die Bemühungen, den FPÖ-Chef in verfängliche Situationen zu bringen, um dies dann politisch nutzen zu können, intensiviert. Wer als Mastermind dahinter stand, inwieweit hier noch immer die ÖVP oder andere Interessengruppen involviert waren oder ob tatsächlich die Ibiza-Bande alleine Regie geführt hat, konnte der Untersuchungsausschuss nicht aufklären. Fakt ist aber, dass Julian Hessenthaler zu diesem Zeitpunkt in die Pläne von Rechtsanwalt Ramin M. eingebunden war. Das Ibiza-Projekt nahm somit seinen Lauf.

Vielmehr noch: Hessenthaler wollte seinen Kumpanen zeigen, wie man ein derartiges Projekt aufzieht. Parallel zum laufenden Bundespräsidentenwahlkampf entstand im Sommer 2016 bei „ein paar Drinks“ die Idee, Strache wegen seines angeblichen Drogenkonsums auffliegen zu lassen. Schon damals setzte Hessenthaler auf schöne Frauen, die als Lockvögel fungieren sollten, um dem FPÖ-Parteichef näher zu kommen. Die damalige Freundin des Anwalts M., eine heutige „Krone.tv“-Moderatorin, machte ihrer eigenen Aussage zufolge die Ex-Freundin von Julian Hessenthaler in der Wohnung des Ibiza-Anwaltes „schön“.17 Sie soll von der Moderatorin für den Besuch einer Geburtstagsfeier geschminkt und aufreizend angezogen worden sein, um so den geladenen Politikern näherzukommen und im Zuge dessen belastendes Material zu sichern.

Später gab Hessenthaler zu Protokoll, dass es sich dabei um eine „eher amateurhafte“ und nicht „ernst gemeinte“ Aktion gehandelt habe. Man habe sich dann damit gegenseitig gehäkelt und gehänselt, „dass wir Strache nicht erwischen“. Anwalt M. dürfte die Sache allerdings nicht gefreut haben, denn es kam zum Disput mit Hessenthaler, dem er vorwarf, bei der Strache-Geschichte nicht weiterzukommen. Hessenthaler rechtfertigte sich damit, dass ja kein Budget da sei, worauf M. ihn fragte, was er denn brauchen würde. Laut Hessenthaler warf er dann eine „Nummer“ in den Raum.18

Im ORF-Report sagte Hessenthaler am 18. Mai 202119, dass das Geld für die Sachkosten der „Ibiza-Falle“ – rund 100.000 Euro – von Anwalt M. stammte. Das Interview wurde im Gefängnis aufgenommen, wo Hessenthaler wegen mutmaßlichem Drogenhandel und mutmaßlicher Erpressung von Heinz-Christian Strache in Untersuchungshaft sitzt.