0,99 €
Ist der Tod etwas, was einem Vergnügen bereiten kann?
Was entsteht, wenn man die sozialen Netzwerke, die Gier nach neuen Erfahrungen und die technische Entwicklung konsequent weiter entwickelt?
In dieser Science-Fiction-Kurzgeschichte wird genau diesen Fragen nachgegangen und gezeigt, was unsere Gesellschaft schon in einigen Jahren erwarten könnte.
Gleichzeitig stellt 'So wertvoll Leben ist' eine Vorgeschichte zu 'Willkommen in Utopia' dar, welches unter der ISBN 978-3-7368-7484-8 überall kostenlos als Ebuch erhältlich ist.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2015
Johnny hatte von seinen Freunden einen fast normalen Tod zum Nacherleben geschenkt bekommen. Dies war aktuell schwer in Mode. Bisher hatte er sich erfolgreich rausreden können, weil er keinen gesteigerten Bedarf darauf legte zu erleben, wie man starb. Lange hatte er gezögert, den Gutschein einzulösen, aber die Freunde nervten ihn immer wieder. Schließlich entschied er sich, den örtlichen Todeshändler aufzusuchen und es hinter sich zu bringen. Er konnte die ständigen Nachfragen nicht mehr ertragen, dennoch blieb die Nervosität, die ihn schon immer bei neuen Erfahrungen begleitete.
Mit unsicheren Schritten betrat er die Filiale der Sensenmann AG. Personal gab es hier keines, weswegen ihn auch eine computergenerierte weibliche Stimme aus einem verborgenen Lautsprecher grüßte.
"Guten Tag, wie kann die Sensenmann AG Ihnen heute einen guten Tod bringen?"
Johnny sah sich nach der Quelle der Stimme um. "Ich habe einen Gutschein geschenkt bekommen und wollte diesen nun einlösen."
"Was für einen Tod möchten Sie?"
Auf einem Wanddisplay erschienen verschiedene Todesarten. Johnny betrachtete diese lange und eingehend, konnte sich aber einfach nicht entscheiden. Die Stimme drängte ihn aber auch nicht, fast als wüsste sie, wie schwer ihm dies fiel. Die Beschreibungen klangen vage und trotzdem wurde Johnny bei jeder einzelnen mulmig.
"Ich kann mich einfach nicht entscheiden", brachte er schließlich hervor und war froh, dass hinter ihm keine Schlange wartete. Nichts war schlimmer als eine schwere Entscheidung zu treffen und dabei auch noch unter Druck zu stehen.
"Der Zufallsgenerator kann einen guten Tod für Sie auswählen, wenn Sie wünschen."
Da er nicht wusste, wie man einen 'guten' Tod wählte, ließ Johnny den Computer per Zufall wählen. Am liebsten hätte er gar nicht gewählt und wäre einfach wieder gegangen. Der Gedanke einen Tod zu erleben, verursachte Beklemmung bei ihm. Das war ein Thema, mit dem er sich lieber gar nicht befassen wollte.
Während Johnny anschließend im Wartezimmer der Sensenmann AG auf die Bereitstellung der sehr umfangreichen Datei mit dem Todeserlebnis wartete, las er zur Ablenkung einen Artikel über den Wandel zur elektronischen Unsterblichkeit auf seinem Ärmeldisplay. Seine Finger zitterten leicht, während er durch den Text scrollte. Der Ärmel konnte fast wie die gesamte Kleidung inzwischen zum Lesen genutzt werden. Druckbare OLEDs machten dies möglich. Teilweise wurde auch Werbung über die Klamotten eingeblendet. Akzeptierte man Werbeeinblendungen, gab es die Kleidung inzwischen häufig sogar kostenlos. Johnny verstand nicht, warum die ältere Generation werbefinanzierte Kleidung ablehnte.
Der Artikel, welchen er nur las, um das mulmige Gefühl zu vertreiben, wusste Johnny zu berichten, dass es seit kurzem möglich war, ein Bewusstseinsbackup zu machen. Das hieß, das gesamte Ich wurde stimuliert, gescannt und digitalisiert. Diese Bewusstseinskopie wurde dann dauerhaft gespeichert. Wie sich das wohl anfühlte? Man wäre quasi unsterblich hieß es. Neben dem Artikel sah er die wenig subtil eingeblendete Werbung für ein Bewusstseinsbackup. Johnny war sich nicht sicher, ob eine derartige Kopie wirklich das Wahre wäre. Es erschien ihm einfach unglaubwürdig, dass eine Kopie das gesamte Original enthielt. Dazu war es auch noch unglaublich teuer. Marktführer war derzeit die Gogbookcloud mit zahllosen Kunden. Er wollte dieser Firma aber nicht vertrauen, dazu hatte er schon zuviel schlechtes über sie gehört.
"Herr Sturm bitte in Erlebnisraum 3. Ihre Todeserfahrung steht nun bereit", erschallte plötzlich die Stimme erneut. Er zuckte zusammen. Wurde aus seinen Überlegungen gerissen. Johnny folgte mit zögernden Schritten diesem Aufruf. Sollte er das wirklich machen? Er hatte doch schon soviel über diese Erfahrungen gelesen und dies hatte nicht gerade seine Begeisterung geweckt. Es gab Artikel, welche vor den Folgen warnten, sich zu früh auf den Tod einzulassen. Personen sollten sich durch den Blick in die 'Augen des Todes' komplett verändert haben. Nicht immer zum Besseren. Einige sollte es sogar in den Selbstmord getrieben haben. Er schluckte. Fühlte sich wie auf dem Weg zum Henker.
Die Tür glitt vor ihm lautlos zur Seite und gab den Blick auf einen bequem wirkenden Sessel frei. Kaum zu glauben, wie unscheinbar dieser wirkte. Über dem Sessel war eine Art überdimensionale verkabelte Krone angebracht. Diese 'Krone' würde bald sein Gehirn zu fremden Erlebnissen stimulieren. Anders als seine Freunde hatte er noch keine Schnittstelle für direkten Datenzugriff implantiert. So würde er wohl diese sperrige Krone tragen müssen. Der Computer hatte ihn natürlich gescannt und dies automatisch festgestellt.
Die Erinnerungen an die letzte Diskussion, warum er kein Interface wollte, waren noch frisch. Er gehörte wohl zu der aussterbenden Spezies jener, die nicht einfach ihre Selbstbestimmung für ein wenig mehr Bequemlichkeit aufgaben. Zu tief saß das Misstrauen des Missbrauchs. In den repressiven USA wurde das System zum Beispiel für die Kontrolle der Bevölkerung genutzt. Die Meinung wurde einfach vorgegeben und in die Gehirne eingespielt. Er wollte frei bleiben. Handfeste Beweise gab es keine, außer dem seltsamen Verhalten der Bevölkerung und natürlich den Wahlergebnissen. Diese lagen bei nahezu hundert Prozent, wie es früher nur in der heutigen Vorzeigedemokratie Nordkorea vorkam.