SOL die energie wette - Dominic de Vries - E-Book

SOL die energie wette E-Book

Dominic de Vries

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Beschreibung

Kaum jemand ist sich unserer bedrohlichen Abhängigkeit von einer kontinuierlichen Energieversorgung tatsächlich bewusst. Nicht sauberes Wasser, ausreichend Nahrungsmittel oder der Treibhauseffekt werden zukünftig die grösste Herausforderung für die Menschheit darstellen, sondern die Verknappung des Treibstoffs unserer Zivilisation und dessen immer riskantere Beschaffung. Keine lebenswichtige Ressource ist ausserdem derart monopolistisch strukturiert, wie die Produktion und Verteilung von Energie, was deren Verfügbarkeit ausgesprochen anfällig für jegliche Art von Störung macht. Naturkatastrophen, Kriege oder Umweltaktivisten legen diese Situation immer wieder schonungslos dar und verursachen den mächtigen Profiteuren dieser scheinbar endlosen Geld- und Machtmaschinerie zunehmend Unbehagen. Vor allem auf dem Rücken der Ärmsten dieser Welt werden im Namen einer gesicherten Energieversorgung der reichen Staaten Krieg, Betrug und die Zerstörung der Umwelt gerechtfertigt. Wenn es nun gelänge, eine ungefährliche Energiequelle zu erschliessen, die jedem Bewohner dieses Planeten von diesen Strukturen unabhängig und kostengünstig versorgen könnte? Eine Utopie? Oder unglaubliche Realität? Garry Newitt, ein etwas phlegmatischer einunddreissig jähriger Versicherungsmitarbeiter nimmt in diesem Roman die Leser mit auf seine unfreiwillige, abenteuerliche Reise rund um den Globus auf der Suche nach der Wahrheit über eine faszinierende Erfindung, die unser Leben tatsächlich verändern könnte.

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

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Impressum

„Nicht der Mensch, die Sonne bestimmt das Leben“

Garry Newitt

SOL

Erstauflage 2011

© 2011 Dominic de Vries

Herstellung & Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 9783842374805

1

Kleine, glitzernde Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und bahnten sich ihren Weg durch einige jüngere Falten der Schwerkraft entgegen. Es war eigentlich nicht einmal besonders heiß, an diesem Sonntagmorgen an der Costa Brava. Das Klima an der spanischen Mittelmeerküste war zu dieser Jahreszeit ausgesprochen angenehm, was durchaus hilfreich war, meine in den letzten Monaten aufgebaute Anspannung weiter auf ein erträgliches Niveau zu senken. Denn ich hatte einen verdammt langen, anstrengenden Weg hinter mir. Als ich die leichte Holztür des weiß getünchten Bungalows hinter mir geschlossen hatte, fühlte ich mich das erste Mal seit langem wieder an einem Ort zu Hause. Ich verstaute Kleider und Verpflegung, dann packte ich meinen kleinen Laptop aus, der meine Odyssee erstaunlicherweise schadlos überstanden hatte. Mein wichtigstes Werkzeug für die kommenden Wochen, in denen ich das, was ich in den letzten Monaten erlebt hatte, niederschreiben wollte.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann habe ich mein Vorhaben erfolgreich abgeschlossen und Sie werden die Hintergründe zu den Vorgängen, die in den kommenden Jahren diese Welt verändern werden, besser verstehen, ja sich vielleicht sogar auf das Unvermeidliche vorbereiten können. Das Buch ist gewissermaßen auch meine Lebensversicherung. Mich werden Sie nie kennenlernen. Ich werde aus Gründen, welche ihnen nach der Lektüre einleuchten werden, keine Bücher signieren oder Kritiken kommentieren können. Nicht dass ich so etwas vermissen würde, aber es gibt Dinge, die stehen ohnehin über unseren persönlichen Interessen. Ob wir es wollen oder nicht. Sie werden aus diesem Grund auch keine direkten Hinweise auf meine Identität oder diejenige von Freunden, Familie oder den beteiligten Personen ausmachen können. Auf Danksagungen jeglicher Art muss ich bedauerlicherweise gleichfalls verzichten. Auch wenn ich Vielen durchaus zu Dank verpflichtet bin. Die Namen und Orte wurden, wo ich es für nötig und wichtig hielt, aus dem gleichen Anlass verändert.

Sollten sich dennoch Leser in den dargestellten Personen oder Handlungen wiederfinden, ist dies nicht beabsichtigt. Diejenigen, die mich auf meinem Weg begleitet hatten, werden dies garantiert für sich behalten.

Er hasste Wasser. Er hasste den Gedanken, dasjenige nicht erreicht zu haben, wofür er jahrelang, ja jahrzehntelang verbissen gekämpft hatte. Er hasste den Gedanken, die Sonne nie wieder sehen zu können. Er hasste gleichermaßen die Tatsache, dass trotz aller Maßnahmen sein Geheimnis, sein Erbe vielleicht nie enthüllt werden würden. Oder noch schlimmer, in die Hände der falschen Personen geraten könnten. Doch er sollte sich in den letzten Sekunden seines Lebens, als ihn das kalte, dunkle Wasser umschloss, getäuscht haben.

2

Mein Großvater war sich absolut sicher, dass man mit etwas Geduld über das unendlich große Netzwerk des Internets einen Mahagoni-Schaukelstuhl aufspüren könnte, der genau demjenigen entspräche, den er damals wiederum von seinem Großvater geerbt hatte. Das gute Möbelstück war jedoch dem Brennstoffmangel eines harten Nachkriegswinters zum Opfer gefallen. Natürlich wollte er die Geduld nicht selbst aufbringen, dafür wären ja schließlich die Jungen da, die sich mit dem modernen Zeug auskennen würden, weil es ihnen ja praktisch in die Wiege gelegt wurde. Vielleicht wollte er aber auch nur die Ausdauer seines Enkels, der zu diesem Zeitpunkt nicht gerade durch nachhaltige private oder berufliche Erfolge von sich reden machte, prüfen. Mir wurde jedenfalls nichts Derartiges in die Wiege gelegt, zumindest hätte ich mich nicht daran erinnern können.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Zugang zu dieser virtuellen Welt lediglich im Büro für die Informationsbeschaffung und für das Buchen von geschäftlichen Reisen genutzt, was den alten Herrn jedoch nicht im Geringsten interessierte. Nun saß ich also bereits den halben Samstag vor meinem etwas in die Jahre gekommenen elektronischen Freund und registrierte überhaupt nicht, wie die Zeit verrann. Fasziniert stöberte ich durch unzählige Suchmaschinen und Versteigerungsplattformen, die das Internet dem informations- und unterhaltungssüchtigen Konsumenten zu bieten hatte. Es war mir bis zu diesem Moment nicht bewusst, und ich hätte es auch keinem geglaubt, der es mir erzählt hätte, dass es tatsächlich Hunderte Arten von Schaukelstühlen in einer schier unglaublichen Vielfalt an Ausführungen zu erwerben gab. Ein Möbelstück, für welches ich mir heutzutage beim besten Willen weder einen Bedarf geschweige denn eine Nachfrage hätte vorstellen können. Aber angesichts der aktuell ungünstigen Wirtschaftslage schien die Bereitschaft bei vielen Menschen groß zu sein, sich gegen schnödes Geld auch von liebgewonnenen Sammlerstücken zu trennen. Andere wiederum nutzten ganz offensichtlich die Gunst der Stunde, sich ein lange gesuchtes Sammlerstück zu einem Schnäppchenpreis zu ergattern. Also eigentlich die vielbeschworene „win–win“ -Situation, wie es mein pomadiger Chef zu sagen pflegte, wobei der Kunde, wie auch der gewöhnliche Mitarbeiter vom zweiten „win“ kaum etwas abbekam.

Kurzfristig faszinierte mich die Homepage eines portugiesischen Schreinermeisters, der behauptete, jegliche Möbelstücke nach Fotovorlagen zu einem festen Kilo Preis, abgestuft nach Holzarten, fertigen zu können. Wahrscheinlich saß er nur in seinem eleganten Büro mit einem atemberaubenden Blick auf den Hafen von Lissabon und leitete die Bestellungen zu seinem Unterlieferanten in Vietnam weiter. Dessen Sklaven fertigten dann in Windeseile und zu einem unschlagbar günstigen Preis ein Möbelstück, welches ein Chinesischer Seelenverkäufer nach Lissabon schiffte. Meine Vermutung basierte auf der Tätigkeit eines unserer Versicherungskunden, der Büromöbel aus dem fernen Osten importierte, zu Einkaufskonditionen, welche das Geschäft aus meiner bescheidenen Sicht an den Rand des Obszönen rückten.

Zumal mein Großvater, trotz seines stattlichen Alters von fast achtzig Jahren, noch den Blick eines Adlers sowie den Verstand eines Dreißigjährigen zu besitzen schien, konnte ich ihn jedoch unmöglich mit einer billigen asiatisch–portugiesischen Imitation abspeisen. Dies hätte ihn einmal mehr in seiner Ansicht über den bescheidenen Tatendrang und nicht existenten Kampfgeist der heutigen Jugend und seines Enkels im Speziellen bestärkt.

Der erneute Gedanke, ob er mir diese Aufgabe lediglich anvertraut hatte, um meinen Durchhaltewillen zu prüfen oder weil er seine moderne Computeranlage mit Glasfaser-Hochgeschwindigkeits-Internet-Zugang nur zu Dekorationszwecken hatte installieren lassen, beschäftigte mich nicht allzu lange. Vermutlich hatte der alte Herr ein persönliches Interesse mit einem kleinen Test für seinen Enkel verbunden. Ich wollte ihm den Gefallen gerne tun. Zunächst musste ich meine Suche einschränken und benutzte dafür ein etwas veraltetes Hilfsprogramm, welches verschiedene Suchmaschinen nach meinen Stichwortvorgaben absuchte und die Ergebnisse auf dem Bildschirm nach Treffergenauigkeit mit dem entsprechenden Verweis anzeigte. Das Programm stammte zwar aus dem elektronischen Mittelalter und wurde damals mit dem Computer geliefert, ich hatte es jedoch zuvor noch nie eingesetzt.

Nach weiteren Stunden, mit gelegentlichem Abschweifen auf Seiten, die gar nichts mit antikem Mobiliar zu tun hatten, fand ich endlich ein Objekt, das so ziemlich genau demjenigen entsprach, welches das alte, etwas vergilbte Foto meines Großvaters abbildete. Das Bild zeigte hohe, geschwungene dunkle Armlehnen und zwei große polierte Holzkugeln zum Abschluss der Kopfstütze. Ein wirklich bequemes Sitzgefühl konnte in diesem Stuhl gewiss nicht erreicht werden, aber das war ja auch nicht das Ziel. Der Verkäufer hatte das gute Stück auf einer Versteigerungsplattform angeboten, zu der mir natürlich die Zugangsberechtigung als Käufer fehlte. Also eine erneute Hürde für einen Internetamateur, die es zu nehmen galt.

Die Versteigerung lief schlussendlich kurz vor Mitternacht ab, ohne dass ich es geschafft hatte, ein Gebot zu platzieren, was mich angesichts der großen Anzahl an offensichtlich wesentlich schlaueren Nutzern dieser Plattform, doch beachtlich frustrierte. Etwas desillusioniert schrieb ich dem Verkäufer trotzdem eine E-Mail, in welchem ich meine Unfähigkeit bezüglich der Nutzung von Versteigerungsplattformen und dem Internet im Allgemeinen mit der naiven Bitte, mir die Adresse des Käufers zu übermitteln, verknüpfte. So hoffte ich mit etwas höheren Kosten, weitere Abende und Samstage am Computer vermeiden zu können, indem ich dem Ersteigerer des guten Stücks einen einfachen Gewinn offerierte.

Nachdem ich zwei Tage lang nichts gehört hatte und weitere, etwas halbherzige Suchaktionen erfolglos verlaufen waren, erhielt ich unerwartet ein Email von einem [email protected]. Der Absender entschuldigte sich ausschweifend für die Verspätung, doch sei er in den letzten Tagen außerordentlich beschäftig gewesen. Vermutlich mit wesentlich sinnvolleren Tätigkeiten als ich. Zwei Tage waren in der Welt der globalen, virtuellen Vernetzung eine Ewigkeit, was seine blumige Entschuldigung durchaus rechtfertigte. Er teilte mir mit, dass die Angabe des Käufers keinen Sinn machen würde, da sich dieser ohnehin aus dem Staub gemacht hätte, was ihm natürlich eine ganz miese Bewertung auf der Versteigerungsplattform einbringen würde. Zu meinem Glück wurden nur registrierte Käufer öffentlich bewertet, womit ich mit meiner technischen Unfähigkeit einer öffentlichen Bloßstellung, wie auch immer die Transaktion ausging, entgehen konnte. Der Absender des Emails gab weiter an, dass er, aufgrund der Tatsache, dass der eigentliche Käufer sich nicht gemeldet hatte, mir den Stuhl gerne direkt verkaufen würde. Ich solle ihn doch einfach mal anrufen, damit man alles absprechen könne.

Ohne es mir selbst eingestehen zu wollen, überkam mich eine leichte Befriedigung darüber, dass sich traditionelle Kommunikationsmethoden noch nicht ganz aus dieser virtuellen Welt verabschiedet hatten. Also verschwendete ich einige träumerische Gedanken an eine computerlose Gesellschaft in welcher auch ein Typ wie ich seine Fähigkeiten entfalten könnte. Welche dies sein sollten, wusste ich hingegen nicht genau. Trotz dieser opportunistischen Einstellung meisterte ich mit einem intellektuellen Kraftakt schlussendlich noch meinen Zugang zur Versteigerungsplattform. Damit überraschte ich mich selbst mit einem Engagement für etwas Neues, was ich seit längerem nicht mehr so richtig auf die Reihe bekommen hatte. Vielleicht war damit der Plan meines weisen Großvaters bereits aufgegangen, wobei ich nach wie vor nicht gerade die Welt verändert hatte. Aber immerhin.

Mit Hilfe meiner alten Reisekarten fand ich heraus, dass mein Geschäftspartner über vierhundert Kilometer von meinem Wohnort entfernt lebte, was mein Glücksgefühl ein klein wenig trübte. Spontaneität war auch nicht unbedingt eine meiner ausgeprägtesten Eigenschaften, doch schließlich hatte ich etwas zu beweisen! Dem geringschätzigen Blick von Conny Newitt zu entgehen war durchaus einen kleinen Sondereffort wert. Allenfalls hätte ich jetzt noch eines dieser kleinen GPS–Navigationssysteme ersteigern können – doch zu offensiv wollte ich meine wiedererwachte Lust auf Abenteuer dann doch nicht angehen, weil ich vermutlich an der Einrichtung des Gerätes gescheitert wäre und mein neu aufflammendes Selbstbewusstsein bereits wieder ausgebremst hätte.

Der Verkäufer stellte sich mit einer sympathischen Stimme und einer einnehmenden Art vor. Nach einem kurzen Plaudern über die Tücken des Internets vereinbarten wir die Modalitäten und legten den Abholtermin auf den nachfolgenden Samstag fest. Nun musste ich noch meinen Freund Scott anrufen, um unseren Kinotermin am Samstag auf eine spätere Vorstellung zu verschieben. Ein Bruch meiner seit Jahren eingefahrenen und immer weiter verfeinerten Routine eines optimierten Langweilerlebens. Doch es lagen schließlich noch über achthundertfünfzig Kilometer Fahrt vor mir. Eine gewaltige Distanz, vor allem für mein in die Jahre gekommenes Fahrzeug. Scott wunderte sich und unterstellte der ganzen Aktion eine ungeheure Bedeutung aufgrund der allbekannten Tatsache, dass ich mich doch normalerweise an einem Samstag erst kurz vor Ladenschluss aus dem Haus wagen würde, sowie dem etwas undefinierbaren Zustand meines fahrbaren Untersatzes. Trotz meinem Kontern, dass jemand, der sich ausnahmslos alles über das Internet bestellen würde, natürlich leicht reden hätte, wurde mir einmal mehr vor Augen geführt, dass er nicht ganz danebenlag mit seinen Sticheleien. Es beschlich mich ein leichtes Unbehagen bei dem Gedanken, am Samstag das Haus noch vormittags verlassen zu müssen um eine Strecke zu fahren, welche ich üblicherweise kaum in einem ganzen Monat mit meinem vernachlässigten Wagen zurücklegte.

Wenn ich geahnt hätte, welche Auswirkung diese kleine Reise auf meine Zukunft haben würde, hätte sich das leichte Unbehagen wohl zu einem waschechten Grauen ausgewachsen…

3

Ungeachtet der unverrückbaren Tatsache, dass ich nicht studiert hatte, war ich stolzes Mitglied einer Art Studentenvereinigung. Natürlich hätte ich mir nie eingestanden, ein Studium nicht geschafft zu haben. Die Realität war einfach, dass ich mit der Fachausbildung zum Versicherungskaufmann endlich auf eigenen Beinen hatte stehen wollen. Meine Eltern interessierten sich mehr für die Entfaltung ihrer eigenen zuweilen sonderbaren Lebensphilosophien und herzlich wenig für die berufliche Entwicklung ihres Nachwuchses. Ein monatliches Salär war demzufolge bei der Erreichung dieser Zielsetzung von meiner Wenigkeit höher eingestuft worden, als die Aussicht auf akademische Ehren. Vermutlich hätten mir damals ohnehin der Durchhaltewille und höchstwahrscheinlich auch der Wissensdurst gefehlt, ein Studium durchzuziehen. Meine Ambitionen zu Nachdiplomstudien und Ähnlichem hielten sich auch danach in engen Grenzen, aber ließen die theoretische Möglichkeit offen, dass ich eines Tages ein adäquates Diplom an meine ansonsten kahlen Wände würde nageln können. Das Wissen um diese Möglichkeit genügte meinem Ego und, zusammen mit den altbekannten guten Vorsätzen, lösten sich diese exotischen Vorstellungen jeweils relativ kurz nach Neujahr jeweils wieder in Luft auf. Weil ich mich mit meinem alten Schulfreund Scott vor drei Jahren an einer wohltätigen Veranstaltung zusammen mit einer Studentengruppe engagiert hatte, wurde ich aber gleichwohl in den erlauchten Kreis einer Studentenvereinigung aufgenommen, wobei alle anderen Mitglieder tatsächlich ehemalige Studenten waren, deren intellektuelles Ego dazumal offensichtlich etwas anspruchsvoller gewesen war als meines.

Wir trafen uns einmal in der Woche, meist donnerstags um zwanzig Uhr, in einer kleinen Diskothek, wo der Betrieb erst ab dreiundzwanzig Uhr so richtig loslegte. Eigentlich trafen wir uns nur dort, weil im Keller noch eine baufällige Bowlingbahn ihre alten Tage fristete, die der Besitzer, zufälligerweise der Onkel eines der Mitglieder, eigentlich nur noch wegen uns und ein paar Rentnern am Leben erhielt.

An diesem Tag kam ich zum ersten Mal seit über einem Jahr zu spät, konnte aber gegenüber den anderen glaubwürdig meinem Großvater die Schuld zuschieben. Dass es eher meinen Unkenntnissen der modernen Kommunikationstechnik anzulasten war, verschwieg ich wohlweislich.

Scott kam eigentlich permanent zu spät. Vermutlich trug er deshalb aus Überzeugung keine Uhr. Er arbeitete außerdem in einer Firma, die Webserver und Netzwerke betreute, und wo sich die Arbeitszeiten nach den Anforderungen der Kunden und den Launen der Systeme richteten. Bei meinem Job in der Versicherungsbranche waren trotz Krise und Umsatzeinbrüchen die Kunden eher ein unberechenbarer Faktor in einer ansonsten reibungslos funktionierenden Geldmaschine, auf den bedauerlicherweise nicht verzichtet werden konnte, dem jedoch nicht zu große Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Wie mein Chef, der Zahlenfetischist, lauthals zu verkünden pflegte. „win–win“ eben…

Sammy war immer der erste, obwohl er als Journalist doch eigentlich bis zum Redaktionsschluss in der Nacht die aktuellsten Nachrichten hätte aufarbeiten müssen. Er klärte uns jedoch einmal nach etlichen Bieren darüber auf, dass er das meiste bereits Tage oder Wochen vor dem Erscheinen der neuesten Ausgabe schrieb und dann, je nach Anforderung, den entsprechend passenden Bericht in kürzester Zeit etwas zurechtbog, um Textbausteine ergänzte und aktualisierte. Technologiezeitalter sei Dank! Ich war eindeutig der Einzige, der dies noch nicht gecheckt hatte. Vieles, was in den Zeitungen stehe, sei sowieso nicht wirklich aktuell und würde aus Datenkonserven aufgekocht. Das Wertvollste einer Zeitung sei neben den Abonnenten ohnehin das Archiv und der Draht zu den richtigen Agenturen und Korrespondenten. Das Außergewöhnliche von Gestern wäre immer noch interessanter als das Gewöhnliche von Heute, erklärte er uns. Dies konnte ich als anspruchsloser Konsument von Massenmedien wiederum durchaus nachvollziehen.

Thomas verdiente als Therapeut seine Brötchen. Er arbeitete nur vormittags und kümmerte sich am Nachmittag um den Haushalt und die Kinder. Er teilte sich mit seiner Frau eine Stelle, war aber trotzdem, oder gerade deshalb, der mit Abstand Ausgeglichenste und, so spekulierte ich, möglicherweise auch der Zufriedenste von uns allen. Unsere faulen Sprüche, dass man für das Wechseln von Windeln kein Studium bräuchte (was in mir die leise Hoffnung aufkeimen ließ, dass ich möglicherweise wenigstens in diesem Bereich langfristig etwas erreichen konnte), ließen Thomas kalt. Mehrere Artikel in einer der größten Illustrierten des Landes über die Erfolge seiner Familienpraxis, brachten unseren Vorrat an faulen Sprüchen rasch zur Neige.

Paul war der Krösus in unserer Truppe. Er hatte bereits mit achtzehn Jahren das Vermögen seines verstorbenen Vaters geerbt und hatte es nach seinem Studium verstanden, dieses um ein Vielfaches zu vermehren. Erstaunlicherweise hatte er äußerlich jedoch so gar nichts von einem gestressten Manager – er war immer braungebrannt und sah im Vergleich zu mir, wie ein ewig junger Spitzensportler aus. Dass er daneben noch einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften besaß, einen Lamborghini fuhr und von einer Freundin angehimmelt wurde, die bei den letzten Miss-Wahlen den zweiten Rang belegt hatte, rundete das Gesamtbild ab. Seine Firma KOSKO stellte elektronische Steuerungscomputer für komplexe Produktionsanlagen auf der ganzen Welt her und entwickelte neue Webshops für fast alles, was das moderne E – Commerce Geschäft hergab. Also rundherum das pure Gegenteil von meiner Wenigkeit. Eleganz, ambitioniert und erfolgreich. Er hatte freundlicherweise meinem Arbeitgeber all seine Versicherungen übertragen, was möglicherweise der Grund für meinen letztjährigen Extrabonus war, obwohl ich mir auch dies nur schwerlich hätte offen eingestehen können. Er meinte einfach, ich hätte ihn überzeugt, was dieses Argument als völlig unglaubwürdig entlarvte, da ich im Überzeugen von Menschen nicht unbedingt „oskarverdächtig“ war.

Kennengelernt hatten sich die vier ehemaligen Studenten in der Mensa der Uni in unserer Stadt nach einem Kurs für Zeitmanagement. Sie waren sich nach wenigen Ausbildungsstunden einig darüber, dass derjenige, der nicht selbst in der Lage wäre, seine eigene Zeit vernünftig zu verwalten und dafür Kurse und Unterstützung bräuchte, besser auch keine höheren Ziele anstreben sollte, bevor er das nicht in den Griff bekäme. Ab diesem Tag besuchten sie anstelle der Weiterbildung die Diskothek von Sammys Onkel und gründeten die Studentenvereinigung „Omnibus“.

Die Gruppe verstand sich als innovative, gemeinnützige Denkfabrik, ohne dass die profanen Freuden des Lebens darüber vernachlässigt wurden. Jedes Mitglied hatte das Recht, einmal pro Jahr eine Idee einzubringen, zu deren Umsetzung die anderen Mitglieder neben einem Anteil ihres Mitgliederbeitrages auch wenigstens zwanzig Stunden ihrer Zeit investieren mussten. Die Vorgabe war lediglich, dass es sich um eine kreative Herausforderung oder ein soziales Engagement handeln musste. Mir war es bisher nicht gelungen, etwas halbwegs Sinnvolles beizusteuern. So übernahm ich jeweils dankbar eine der zahlreichen Ideen von Scott, dessen Vorrat an Einfällen trotz übermäßigem Film- und Spielekonsum praktisch unerschöpflich schien.

Da Scott und ich bereits seit der Grundschule dick befreundet waren und er außerdem in der Firma, in der ich arbeitete, regelmäßig die komplexe Netzwerkverkabelung auf Vordermann brachte, war auch die IT privat immer wieder ein Thema zwischen uns. Eines, vor dem ich mich lange Zeit mit aller Macht gedrückt hatte. Ich hatte einfach das Gefühl, es ausreichte, wenn ich mich während meiner Arbeitszeit mit dieser Materie abquälte. Doch mein Freund gab nicht auf. Er bot mir an, mir meinen privaten, selten genutzten PC ans Internet anzuschließen, wenn ich dafür bereit wäre, einen Samstagnachmittag für eine gemeinnützige Sache zu investieren. So nahm die Geschichte ihren Lauf, und ich wurde ein halbes Jahr und einige ehrenamtliche Einsätze später würdevoll in die Studentenvereinigung „Omnibus“ aufgenommen, was im lateinischen „für alle“ stand und nicht, wie von mir peinlicherweise angenommen, auf der Definition eines Transportmittels für den öffentlichen Verkehr beruhte. Damit hatte ich an einem Abend eine längere Diskussion um Sinn und Unsinn der lateinischen Sprache in der modernen Welt ausgelöst, die größtenteils und glücklicherweise ohne meine weitere Beteiligung ablief.

Die ersten Bowling-Runden missrieten mir an diesem Abend, wie praktisch immer, während die anderen bereits gut punkteten und ihre Kugeln rund laufen ließen. Paul ließ auch beim Bowling nichts anbrennen und ging locker in Führung, als würde er den ganzen Tag nichts anderes tun, als eine Kugel über eine lackierte Holzbahn zu schieben. Doch darauf kam es bei uns im Prinzip gar nicht an. Das Spiel war nur der Rahmen, der unsere Gesprächsrunde auflockerte und bei hitzigen Diskussionen als eine Art Ventil wirkte. Ich musste natürlich meinen Interneterfolg breitschlagen und schmückte die Suchaktion nach dem antiken Möbelstück noch etwas aus, wobei ich die Stelle mit der fehlgeschlagenen Registrierung und der nachfolgend verpassten Auktion großzügig ausließ. Paul hatte bereits mit dem zweiten Wurf wieder einen Kranz erreicht und referierte über seine unzähligen erfolgreichen Webshops, die seine Firmen aufgesetzt hatte. Er vertrieb neben seinen Steuerungen alles, vom Rasenmäher, bis zum Taschenrechner mit horrenden Margen, da er die Produkte aus Konkursen, Liquidationen und Restposten günstig von großen Herstellern zusammenkaufte. Warum wurde nur alles ein Erfolg, was dieser Mann anfasste? Wenn ich etwas anfasste, verkümmerte es meistens oder dämmerte in der Bedeutungslosigkeit meiner Gedanken dahin, bis es sich in Rauch auflöste. Wieder kam mir mein Chef in den Sinn, der mir mit den Worten „Es kann nicht nur Häuptlinge geben, Newitt!“ klar machte, wo mein Platz war.

Sammy und Thomas betrieben selbstverständlich jeweils ihre eigene Homepage, wo sie ihre Tätigkeiten und Thomas sogar seine ganze Familie vorstellten. Sammy hatte eine Infodatenbank für Journalisten aufgebaut, wo man skurrile und unglaubliche Meldungen aus aller Welt kostenlos ablegen und herunterladen konnte. Er hielt für unsere Abende jeweils einen enormen Fundus an interessanten Geschichten aus der Welt des Skurrilen bereit, wobei ich die Eine oder Andere später tatsächlich in der Zeitung wiederfand. Eigentlich wollte ich sarkastisch anmerken, dass er darüber offensichtlich ohne Aufwand an seine ganzen Berichte käme und überhaupt gar nichts selber schreiben verfassen würde, ließ dies jedoch, da sich das Gespräch in eine technische Richtung bewegte, wo ich ohnehin nicht mehr ganz mithalten konnte. Also versuchte ich die Ablenkung auszunutzen, um meinen Punktestand zumindest in die Richtung desjenigen der Kollegen zu heben.

Sammy bestand auf seiner Meinung, dass nur eine professionell gestaltete Seite die Benutzer nachhaltig ansprechen würde und dadurch große Zugriffszahlen erreichen konnte. Ausschließlich die Anzahl der Zugriffe belegten den Erfolg und die Verbreitung einer Seite im Internet. Thomas war hinsichtlich der Gestaltung anderer Meinung. Viele Seiten wären zu überladen mit Bildern und technischen Animationen. Einfache, informationsorientierte Darstellungen seien wesentlich erfolgreicher. Effektiv seien nicht die Anzahl der Klicks entscheidend, sondern wie lange ein potentieller Konsument auf einer Seite gehalten werden könne. Schlussendlich müsse man zudem die Wege einer optimalen Verbreitung auf Suchmaschinen kennen und einen guten Domänennamen reservieren, ergänzte Scott, der soeben eine Kugel neben die Bahn platzierte, was mir ein befriedigendes Schmunzeln entlockte. Dieses erstarb jedoch gleich wieder, weil ich, wie aus dem Nichts, nach meiner persönlichen Homepage gefragt wurde. Natürlich wussten alle, dass ich keine hatte, sowie bei der Installation meines vorsintflutlichen Computers auf die Hilfe von Scott angewiesen gewesen war. Zu allem Übel musste dieser erneut in einer Randbemerkung darauf hinweisen, dass er meinen Computer eigentlich gerne für das Museum in seiner Firma gehabt hätte, wenn ich ihn dann mal nicht mehr bräuchte.

Doch das Motto „Flucht nach vorne“ war eine von mir selten beanspruchte Devise gewesen, auch wenn ich damit bis zu diesem Zeitpunkt noch nie wirklich bahnbrechende Erfolge erzielt hatte und grundsätzlich bereits im Ansatz einer geplanten Umsetzung scheiterte. Einer plötzlichen Eingabe folgend, deren Ursprung ich mir bis heute nicht erklären kann, schlug ich jedenfalls vor, dass wir einen Wettbewerb austragen sollten. Jeder bekäme einen Monat Zeit, eine Internetseite aufzusetzen, welche nichts unmittelbar mit seiner Person, seiner beruflichen Tätigkeit oder seinem wichtigsten Hobby zu tun haben sollte. Der Domänenname musste mindestens zwanzig Zeichen lang sein um damit keinem einen direkten Vorteil zu verschaffen. Zudem sollte das ganze Projekt nicht mehr als zehn Webseiten umfassen, um den finanziell besser gestellten auch hier keine Begünstigung zu gewähren. Bezahlte Einträge oder Werbung bei Suchmaschinen oder Ähnlichem wären selbstverständlich ausgeschlossen. Nach einer gleichzeitigen Freischaltung der Seiten, würde dann gemessen, wer in den nächsten drei Monaten die meisten Zugriffe erreichen könnte. Diese Seite würden wir dann als unsere „Vereinsseite“ übernehmen und mögliche Erträge für einen guten Zweck spenden. Noch immer hielt ich, erstaunt über meinen eigenen, völlig unerwarteten Exploit, eine der abgewetzten, grauen Bowlingkugeln in der Hand und legte diese wieder ungenutzt in das wackelige Gestell zurück.

Zu meinem Erstaunen setzte nun auch Sammy in diesem Augenblick seine Kugel neben die Bahn, was ansonsten eine absolute Seltenheit darstellte, worauf mich alle ungläubig anstarrten, wie einen Geist. Mit meinem für mich selbst unerwarteten Einfall hatte ich ganz offensichtlich den Nerv meiner studierten Freunde getroffen. Dies war mir bislang noch nie so effektiv gelungen. Eigentlich war es mir in letzter Zeit überhaupt nie gelungen. Scott blickte begeistert in die Runde, wobei das, aufgrund seiner Vernarrtheit in alles, was mit Computertechnik zu tun hatte, noch kein Indiz für eine mehrheitsfähige Idee war. Er schlug jedoch sogleich vor, dass er die entsprechende Hardware organisieren würde. Jedes Mitglied bekäme einen eigenen Zugang und das System würde einen Zähler für alle Seiten führen. Der unvermeidbaren Bemerkung, dass er für mich natürlich noch einen Grundkurs kostenlos mit offerieren würde, folgte das Lob für meine tolle Initiative, worauf ein Gefühl des Stolzes ein Lächeln auf mein Gesicht zauberte.

4

Mein betagter, vernachlässigter VW Golf hatte alle erdenkliche Mühe, sich die steile Rampe der Tiefgarage hoch zu kämpfen. Scheinbar hatte er sich gerade mit dem alten Austin eines Nachbarn angefreundet, der etwa gleich selten bewegt wurde und zeigte nicht die geringste Lust auf eine große Reise. Trotzdem schafften wir es gemeinsam bis an die nächste Tankstelle, wo ich den Wagen und mich mit dem Nötigsten versorgen konnte. Während der Zähler der Zapfsäule surrte, blinzelte ich in die aufgehende Sonne und dachte an die Zeit, als der Wagen häufiger im Einsatz und der Beifahrersitz besetzt war.

Meine Freundin hatte mich vor über sechs Monaten verlassen. Ich wusste schon nicht mehr genau ob es im September oder Oktober gewesen war. Nach zwei, wie ich fand, schönen und durchaus harmonischen Jahren, hatte sie plötzlich das Gefühl entwickelt, dass sie zu Höherem berufen war, als sich mit den wiederkehrenden Alltagsritualen auf ein unvermeidlich langweiliges Familienleben mit meiner Wenigkeit vorzubereiten. Das Wort „Versager“ ist zwar nie gefallen, aber es beschlich mich im Nachhinein so das Gefühl, dass ihr dies des Öfteren ziemlich weit vorne auf der Zunge gelegen hatte. Ich zerfleischte mich zwar nicht in Selbstmitleid, war dennoch kurzzeitig durchaus etwas in meinem verbliebenen Stolz getroffen, als sie mich an einem Freitagabend über ihren unumstößlichen Entschluss informiert hatte. Doch schlussendlich nahm ich es hin wie so vieles und führte mein Leben mit der unveränderten Routine einfach weiter. Genauso, als hätte sich nicht wirklich etwas Wesentliches geändert, was meine Attraktivität gegenüber dem anderen Geschlecht mit Sicherheit nicht in erfolgreichere Bahnen beförderte.

Da stand ich also an einer neonbeleuchteten Tankstelle neben meinem rostigen Auto und stellte fest, dass der Kauf eines alten Möbelstückes bereits meinen Adrenalinspiegel anzuheben vermochte und der Höhepunkt des Wochenendes zu werden versprach. Dieser hätte ansonsten im gemeinsamen Popcornessen mit Scott in einem muffigen Kinosaal stattgefunden. Vielleicht war es doch an der Zeit, meinem Leben wieder etwas mehr Schwung zu verpassen. Nur so ein bisschen mehr, wäre vielleicht gar nicht so übel, sinnierte ich vor mich hin. Damals ahnte ich noch nicht, was für ein beispielloser Schwung mich in naher Zukunft noch erfassen würde und so rollte ich mit meinem Wagen selbstzufrieden wieder zurück auf die Autobahn. Zur Produktionszeit meines Fahrzeuges gab es Navigationssysteme nur in Raketen und Großraumflugzeugen, weshalb ich meine alte Europakarte aus dem Handschuhfach gekramt und mir die wichtigsten Autobahnnummern und Kreuzungen von Hand notiert hatte. Ausgerüstet mit einer Flasche Mineralwasser und einem schlabbrigen Tankstellensandwich wälzte ich mich mit meinem Oldtimer Richtung Norden, nachdem ich ihm noch einen Liter des billigsten Motorenöls gegönnt hatte.

Während der Fahrt kam mir die Wette wieder in den Sinn, wie auch die Tatsache, dass ich mich noch gar nicht substantiell mit dem Projekt befasst hatte, welches ja auf meinem eigenen Mist gewachsen war. Meine in früheren Jahren blühende Fantasie brannte, mit der Gewöhnung an die Annehmlichkeiten eines modernen Lebens ohne den Anflug von nennenswerten Herausforderungen, auf Sparflamme und es gelang mir auch auf der monotonen Fahrt nicht, diese Flamme in ein loderndes Feuer zu verwandeln. Also drehte ich das Radio auf und lauschte einer belanglosen Diskussion um unsere vergeigte Altersvorsorge. Bei meinen derzeitigen Ansprüchen an das Leben würde ich vermutlich ohnehin keine brauchen. Kurz vor der Autobahnausfahrt begann es zu regnen und die Scheibenwischer verteilten den Schmutz der letzten Monate über die ganze Windschutzscheibe. Ich schaffte die Ausfahrt noch knapp und erkannte den Namen der Ortschaft, welche mir Daniel angegeben hatte, auf einem verbeulten Straßenschild.

Ein paar Minuten später hatte ich den Ort erreicht und bog nach dem Passieren einer schmucken katholischen Kirche in eine kleine Nebenstraße ein. Der Regen war stärker geworden, also machte ich mir bereits Gedanken über mögliche Wasserflecken auf dem Stuhl und der damit verbundenen Gefahr, dass mein Großvater, der alte Perfektionist, auf ein Abschleifen mit anschließender Neulackierung bestehen könnte. In diesen Dingen war er einfach unerbittlich und unternahm ständig neue Versuche, um meine nachweislich nicht vorhandenen handwerklichen Fähigkeiten aus dem vermuteten Dauerschlaf zu erwecken. Doch ich vertrat dann einfach die Meinung, dass was nie eingeschlafen war auch nicht erweckt werden könnte. Mein Großvater fand das alles andere als amüsant. Als sein Handlanger durfte ich dann unter Aufsicht immerhin die Drecksarbeit übernehmen.

Ein Blick auf meine Notizen bestätigte mir, dass ich an der korrekten Hausnummer angelangt war. Die Glasfassade des modernen, großzügigen Einfamilienhauses im Bungalowstil ließ nicht auf einen älteren Eigentümer schließen, der sein Inventar zu Geld machen wollte. Es war mir fast peinlich, meine gelbe Rostlaube in der Auffahrt abzustellen. An der Haustüre gab es keine Klingel, dafür leuchtete ein kleines Schild mit der Aufschrift „WAIT A MINUTE…“ auf, als ich auf den Fußabtreter trat. Es keimte erneut der unangenehme Gedanke auf, dass es wohl nur noch technisch hochgradig begabte und versierte Menschen auf dieser Welt zu etwas brachten. Daniel öffnete die Türe und hieß mich willkommen, so als wäre ich ein altes Mitglied der Familie, das einmal die Woche auf einen Kaffee zu Besuch kam. Wir betraten das Wohnzimmer, welches auf der Rückseite des Hauses fast nur aus Glas zu bestehen schien und zusammen mit den exotischen Pflanzen im Haus und im Garten den Eindruck vermittelte, als befände man sich in einem riesigen, tropischen Wintergarten. Daniel führte mich in den Garten, denn der Regen hatte bereits wieder nachgelassen worauf sich die ersten Sonnenstrahlen in einem blauen, nierenförmigen Swimmingpool spiegelten.

„Da hast du aber einen langen Weg auf dich genommen, um einen alten Schaukelstuhl abzuholen! Ein Bierchen?“

„Lieber ein Wasser, ich muss ja noch fahren“, antwortete ich und ließ meinen Blick über den hervorragend gepflegten Garten schweifen, während der Hausbesitzer an der massiven, polierten Holzbar auf der Veranda die Getränke zubereitete.

Ich stellte mich vor und erzählte ihm kurz von meinen Großvater und seinem verschollenen Erbstück, sowie von meinen Problemen mit der Registrierung auf der Versteigerungsplattform.

„Ist doch ganz normal. Ich hatte auch so meine Probleme am Anfang, doch heute ist es fast zu einer Sucht geworden. Ich verkaufe und kaufe fast jede Woche etwas übers Internet. Meine Frau und meine zwei Töchter lachten mich anfangs aus, wenn ich wieder irgendetwas Exotisches ersteigert hatte. Doch heute sind sie alle vom Internetvirus befallen! Wir haben einfach vereinbart, dass jeder auch wieder verkaufen muss, wenn das Haus voll ist. Und dieser Stuhl ist ziemlich unbequem, das kannst du mir glauben…“, fuhr er lachend fort.

Daniel sah, dass ich den großen Swimmingpool bestaunte.

„Wenn du willst, kannst du ein Erfrischungsbad nehmen, bevor wir das gute Möbelstück verladen. Das Wasser ist auf 26 Grad geheizt, also richtig angenehm für eine Stärkung der Glieder vor der Arbeit.“ Er lachte erneut laut, so dass einige Vögel panikartig aus dem kleinen Regenwald, der sich um das Schwimmbecken ausbreitete, flüchteten.

Ich staunte, weil die Temperaturen in den vergangenen Tagen im Durchschnitt unter zwanzig Grad gelegen hatten und das Heizen eines Pools vermutlich Unsummen verschlingen musste. Doch bei der großzügigen Villa und der eleganten Kleidung meines Internet–Geschäftspartners war das offensichtlich kein Argument, welches eine Rolle spielte.

Als hätte er erneut meine Gedanken erraten, fuhr er fort: „Alles ganz umweltfreundlich mit Sonnenenergie geheizt. Die Energie des ganzen Hauses wird ausschließlich durch Nutzung der Sonnenstrahlung gewonnen. In den letzten zehn Monaten haben wir keine einzige Kilowattstunde Fremdenergie bezogen. Darauf bin ich mehr als stolz!“

Obwohl mich das elegante Haus und der parkähnliche Garten irgendwie faszinierten, wollte ich eigentlich nur den alten Holzstuhl verladen und rechtzeitig zu meinem Treffen mit Scott wieder zurück sein. Der bestand nämlich trotz meiner spät angekündigten Rückkehr auf den rituellen Kinobesuch und brauchte seine wöchentliche Ration Popcorn. So raffiniert die Energieversorgung des Hauses auch sein mochte, ich verspürte kein großes Interesse, stellte jedoch aus reiner Höflichkeit eine Frage, die im Nachhinein gesehen, vermutlich entscheidende Auswirkung auf mein zukünftiges Leben hatte.

Entscheidende Ereignisse werden immer von ganz kleinen Ursachen ausgelöst, die wiederum nur bei ganz besonderen und dazu passenden Umständen zu einem großen Geschehnis führen. In diesem Moment war mir dies genauso wenig bewusst, wie ich auch kaum eine Ahnung von alternativen Energien hatte. Ein System wechselseitiger Abhängigkeiten hatte mein Vater die Energieversorgung einmal umschrieben, als wir bei einem Stromausfall vor einer Kerze saßen. Wobei dies in seinem Fall sein ausschweifendes Liebesleben genauso zu umschreiben vermocht hatte wie die Komplexität der Energiegewinnung- und Verteilung. Damit war der Vorrat an Gedanken, die dieses Thema in mir hervorrief auch bereits erschöpft.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit der Sonnenstrahlung genügend Energie gewinnen kann, um ein ganzes Haus zu versorgen, noch dazu ein solch großes“ war alles, was mir dazu einfiel.

Daniel schenkte mir einen prüfenden Blick, der mich als absoluten Laien entlarvte und entledigte sich seiner Sonnenbrille, die zwei blitzende, tiefblaue Augen freigab. Ich hatte zwar einen Solartaschenrechner im Büro, war mir aber bewusst, dass bei einem solchen Fachmann damit wohl kaum Bonuspunkte zu gewinnen waren. Also verkniff ich mir weitere Ausführungen. Außerdem sah mein Rechner nie das Sonnenlicht und musste sich mit einfachem Neonlicht begnügen, was ich erst recht nicht verstehen konnte, weil das Ding ja eigentlich Solarrechner genannt wurde. Also war die Devise: Klappe halten und erst mal zuhören.

Der etwa fünfunddreißigjährige, eins achtzig große Besitzer des Hauses bat mich also zum unvermeidlichen Rundgang. Vermutlich verbunden mit der Hoffnung, einem Unwissenden in Sachen moderner Energietechnik etwas beibringen zu können. Wir liefen um den Pool an der Rückseite des Garagengebäudes entlang, bis wir einen guten Blick auf das ganze Gebäude hatten.

„Hier auf dem Dach über der Garage siehst du die thermische Solaranlage. Durch die Vakuumkollektoren fließt eine spezielle Flüssigkeit, die sich am Sonnenlicht stark erwärmt und dann zurück in einen Wärmetauscher fließt, der die Wärme an das Brauchwasser abgibt, welches wiederum in den Kreislauf des Pools strömt oder für warmes Wasser im Haus sorgt. Im Grundsatz ein ganz simples Prinzip.“

Dann steuerte er zielstrebig auf eine Veranda zu, die über eine kleine mit dunklen Holzstufen belegte Stahltreppe mit dem großen Vorplatz verbunden wurde.

„Da oben, neben dem großen Dachfenster siehst du die Photovoltaikanlage. Solarzellen produzieren Strom, der einerseits direkt wieder verbraucht, andererseits aber auch in einem Akku zwischengespeichert oder zurück ins Stromnetz gespeist wird. Zudem sorgen die großen Fenster mit automatischer Beschattungsanlage für ein angenehmes Klima und genügend Licht im Innern des Gebäudes. So einfach ist das!“

War es natürlich nicht und der Energieexperte gab sich alle Mühe, bei mir das Interesse an diesem Thema zu wecken. Damit im Winter bei längeren bewölkten Perioden trotzdem warmes Wasser erzeugt werden konnte, befand sich im Garten neben dem Pool ein großer, isolierter Öltank, der Wärme über einen längeren Zeitraum speichern und bei Bedarf wieder abgeben konnte. Meine Frage, ob das genügte um das Schwimmbad im Winter auch auf 26 Grad zu heizen, zeigte meinem Internet-Freund, dass sich mein Verständnis für die Sache erst sehr zögerlich dem näherte, was man als minimalste Grundkenntnisse hätte deklarieren können. Einem erstaunten Blick folgte eine weitere Erklärung, die jedoch keines technischen Verständnisses bedurfte.

„Nein, das wäre natürlich des Guten zu viel. Im Winter lassen wir das Wasser im Pool natürlich ablaufen.“

Ich schwor mir innerlich, mich mehr zu konzentrieren und weitere Fragen nur nach reiflicher Überlegung zu stellen. Ich gab es auch auf, nach dem Schaukelstuhl zu schielen, den ich im Wohnzimmer vermutete. Es war scheinbar noch nicht der richtige Zeitpunkt, Daniel darauf anzusprechen.

Manche Menschen kennt man jahrelang, arbeitet täglich Stunden mit ihnen zusammen oder lebt Tür an Tür als Nachbarn über Jahrzehnte. Vielleicht versteht man sich ganz ordentlich und trifft sich nach einigen Monaten zu einem Glas Wein und beschließt, dass man sich beim Vornamen ansprechen könnte. Bei anderen ergibt sich das auch nach vielen Jahren nicht. Doch wenn man jemandem über das Internet etwas abkauft oder verkauft, dann scheint das eine Verbundenheit zu vermitteln, die jahrelanges Abtasten und Kennenlernen auf einige Minuten zusammendampft. Da spazierten also Garry und Daniel über ein etwa zweitausend Quadratmeter großes Grundstück eines modernen, energieoptimierten Wohnhauses und unterhielten sich über ein Thema, das nichts mit dem zu tun hatte, was sie vor kurzem zusammengeführt hatte, als wären sie uralte Kollegen. Nach einem dreissigminütigen Rundgang, kam ich zur Überzeugung, dass ich noch einen Versuch einer halbwegs intelligenten Frage wagen konnte: „Wenn das Ganze so gut funktioniert, praktisch ohne laufende Kosten zu verursachen und außerdem völlig umweltverträglich ist, warum verbreitet sich diese Technologie dann nicht in Windeseile über den ganzen Erdball, so wie zum Beispiel der Computer?“

„Das, lieber Garry, ist die große Frage!“

Endlich eine Frage, die anscheinend nicht allzu deplatziert und unqualifiziert gewesen war. Daniel holte tief Luft und ließ seinen Blick noch einmal über seine imposante Immobilie schweifen. „Die Technik ist schlicht noch zu teuer und wie immer geht es ausschließlich ums liebe Geld. Ein einfaches Beispiel: Eine Kilowattstunde Strom aus der Steckdose kostet heute ungefähr zehn bis zwanzig Cent je nach Standort, Uhrzeit und bezogener Menge. Damit kannst du zum Beispiel eine konventionelle hundert Watt Glühbirne zehn Stunden brennen lassen. Die Leitungsverluste lassen wir mal unberücksichtigt. Eine Solarzelle, die ein Watt Leistung erbringt, produziert im Jahr in unseren Breitengraden so um die 1000 Wattstunden, also eben eine solche Kilowattstunde. Die Betriebskosten sind praktisch nicht von Bedeutung, da die Sonne ja keine Gebühren verlangt fürs Scheinen!“

Daniel schmunzelte und war in seinem Element also hörte ich überraschenderweise fasziniert zu, denn bisher hatte ich tatsächlich praktisch alles verstanden.

„Aber die Anlagekosten sind das Problem. Pro Watt Leistung müssen nach wie vor so um die eins Komma fünf Euro investiert werden für eine private Anlage. Über zwanzig Jahre Betriebsdauer ergibt das dann etwa dreißig bis vierzig Cent für Abschreibung, Nebenkosten, Unterhalt und eine reelle Verzinsung pro Kilowattstunde. Die Kosten für Großanlagen sind zugegebenermaßen geringer, dafür kommen die Transportverluste sowie andere Probleme und Leitungskosten hinzu. Also sagen wir mal fünfzehn Cent für den Atomstrom aus der Steckdose und um die vierzig Cent für meinen Solarstrom vom Dach. Das ist die eigentlich die simple und eigentlich einzige vernünftige Erklärung!“

Mit Zahlen konnte ich leidlich umgehen und daher erschien mir die Kalkulation zumindest rechnerisch plausibel, worauf ich einen wissenden Gesichtsausdruck aufsetzte. Daniel versuchte zu ermitteln, ob ich seinen Ausführungen folgen konnte, was ich durch Nicken bestätigte, weshalb er mit seinen Ausführungen fort fuhr:

„Vorteile, wie dezentrale Produktion, Umwelt-Freundlichkeit und Unabhängigkeit wiegen diesen Nachteil leider noch nicht auf. Daneben gibt es natürlich auch einen politischen Hintergrund. Die mächtigsten und reichsten Gesellschaften dieser Welt sind fast monopolistisch organisierte Energiekonzerne, die wiederum die Politik beeinflussen. Mit einer dezentralen Energieerzeugung lässt sich eben kein Monopol aufrechterhalten und das macht solche progressiven Ideen in diesen Kreisen nicht gerade salonfähig. Selbstverständlich investieren die großen Energiekonzerne auch in Solar- und Windanlagen, bevorzugen jedoch auch hier komplexe Technologien und Großanlagen zur Zentralisierung der Energieherstellung. Schlussendlich sind globale Klimaerwärmung sowie die kommende Ressourcen-Knappheit in aller Munde und keiner kann es sich leisten, dies nach außen einfach zu ignorieren.“

„Ist das nicht eigentlich unser größtes Problem? Die Umweltverschmutzung?“, versuchte ich mein Halbwissen einzubringen.

Meine Internetbekanntschaft schüttelte entschieden den Kopf: „Alle reden zwar von der Klimaerwärmung, doch bevor diese für unsere Zivilisation wirklich nachhaltig gefährlich wird, gehen wir an Energiemangel und dem daraus folgenden Kampf um die Ressourcen zugrunde. Das wird ein wirtschaftlicher Niedergang in Raten, denn die Abhängigkeit von Öl und Uran ist beängstigend hoch. Doch es gibt durchaus auch einen Lichtblick am Horizont! Die aktuelle Wirtschaftskrise ist ja eigentlich eine Wohlstandskrise. Die Ausgabefreudigkeit ist höher als die Leistungsbereitschaft, was zwangsläufig zu Engpässen und Verschiebungen des Wohlstandes führen muss. Also müssen die verfügbaren Mittel umverteilt werden, wobei man versucht, dies über Zinsen und Steuern zu regulieren. Nun sind Steuern auf Energieträgern natürlich populärer als Einkommens- oder Unternehmenssteuern, denn die immer größeren Risiken bei der Ressourcenerschließung und deren Folgen sind ausgesprochen unbeliebt. Also werden Uran und Kohle aus Australien, Öl aus Kanada und Brasilien und auch Gold aus Südafrika durch schwindende Ressourcen, teurere Erschließung und die zusätzlichen Steuern teurer. Der Konsument bekommt dies natürlich dann wieder zu spüren. Sonne und Wind werden jedoch nicht teurer und es wird auch schwierig diese zu besteuern! Also ein langfristiger Vorteil für die Erneuerbaren Energieressourcen. Die Frage ist nur, ob dieser Prozess schnell genug geht…! Vielleicht holt uns auch die nächste Eiszeit ein, bevor wir eine Lösung gefunden haben. Wer weiß das schon?“

Damit war die Lektion abgeschlossen und ich musste mir einen großen Schluck aus meinem Glas genehmigen. Daniels Leber meldete die gleichen Bedürfnisse an und er leerte sein Bierglas in einem Zug. Ich verzichtete auf eine weitere Frage und war mir nicht sicher, ob der richtige Zeitpunkt für eine vorsichtige Anmerkung hinsichtlich des Schaukelstuhls angebracht gewesen wäre.

Glücklicherweise besann sich auch der innovative Hauseigentümer auf den eigentlichen Grund unseres Treffens und führte mich in die Garage unter der thermischen Solaranlage. Dort stand er geduldig zwischen einem elektrischen Rasenmäher und einer gigantischen Kühltruhe.

„Wusstest du eigentlich, dass die erste Großsolaranlage der Welt 1913 in Kairo von Amerikanern und Briten gebaut und dann im ersten Weltkrieg wieder abgeschaltet wurde? Die Technologie ist also nicht neu, nur der Leidensdruck der Menschen noch nicht groß genug für einen totalen Wechsel. Hoffentlich sehen wir das noch alle ein, bevor die Welt den Bach runter geht!“ schloss er das Thema mit einem trockenen Lachen endgültig ab.

Der Verlad war erstaunlich problemlos vonstattengegangen und da Daniels Tochter nach Hause kam, fiel auch der Abschied relativ kurz aus, weil sich beide im solargewärmten Swimmingpool austoben wollten. Ich suchte meinen Weg auf die Autobahn, untermalte das Klappern meines alten Vierzylinders mit etwas Musik von Joe Cocker und rollte zufrieden und etwas erschöpft Richtung Heimat. Die Ausführungen des Solar-Freaks spukten noch etwas in meinem Kopf herum, doch ich sah keine Möglichkeit auf meinem Balkon eine Solaranlage zu installieren um dem drohenden Energiefiasko zu entgehen, also drehte ich einfach das Radio etwas lauter um die apokalyptischen Gedanken im Keim zu ersticken. Nach einigen Kilometern erinnerte ich mich an meinen Termin mit Scott und schaute das erste Mal seit Stunden auf meine Armbanduhr. Doch ich lag noch gut in der Zeit, also reduzierte ich die Geschwindigkeit auf ein dem Zustand meines Wagens angepasstes Niveau und begann mir zu überlegen, dass Scott mich ganz bestimmt auf unsere Wette ansprechen würde. Wie ich ihn kannte, befand sich sein Projekt bereits im Status der Umsetzung. Ich hingegen hatte noch nicht einmal ein Grundkonzept vorzuweisen, geschweige denn überhaupt eine auch nur im Ansatz brauchbare Idee. Weil mir die faszinierenden Eindrücke des Besuches trotz Cockers Ballade doch nicht aus dem Kopf gehen wollten, fing ich an, meine eingerosteten Fantasien etwas auf Touren zu bringen und schaltete das Radio wieder aus. Bis zum nächsten Halt an einer Autobahntankstelle hatte sich meine Ideenpalette von einem alternativen Tourenplanungssystem für GPS-Verweigerer bis zur Informationsplattform für Solarhäuser in unzähligen unzusammenhängenden Fragmenten entwickelt.

Doch schlussendlich ging es nicht darum, etwas zu verkaufen oder die Menschen mit hochwertigen Informationen zu versorgen, sondern eine Seite im Internet bereitzustellen, die so spektakulär war, dass eine möglichst hohe Aufmerksamkeit erzielt werden konnte. Außerdem durfte das Projekt nicht allzu viele Mittel verschlingen, weil ich nicht vorhatte, für diesen Spaß mein über die Jahre mühsam aufgebautes Sparkonto zu plündern. Eines der wenigen Dinge, die ich nachhaltig erfolgreich zustande gebracht hatte.

Es war eine Tatsache, dass ich von allen Mitgliedern unserer Vereinigung eindeutig am wenigsten Ahnung hatte, wie man eine Internetseite richtig aufbaute, geschweige denn, wie man deren Bekanntheitsgrad steigern könnte. Also fragte ich mich nach ergebnislosem Nachdenken wiederholt etwas frustriert, warum ich so etwas überhaupt vorgeschlagen hatte. Das Resümee meiner kurzen Gedankenspiele war nicht unbedingt aufbauend. Es fehlte an Fachwissen, an finanziellen Mitteln, Ideen und Perspektiven. Die absolut ideale Kombination von Voraussetzungen für ein erfolgreiches Projekt!

In diesem Moment wurde ich von einem Lastwagen überholt und fühlte mich gezwungen dem alten Vergaser wieder etwas mehr Treibstoff zukommen zu lassen, um den Verkehrsfluss nicht zu beeinträchtigen. Bei den meisten meiner Aktivitäten war dies der allerspäteste Zeitpunkt, an welchem ich meine Projekte jeweils begrub und den erfolgreichen Abschluss ohne Ergebnis, aber mit der befriedigenden Gewissheit, auch nichts verloren zu haben, mit einem Bierchen feierte. Doch dieser Fall lag einfach anders. Vielleicht war es ein Zeichen des Wiedererwachens meiner Lebensgeister, ein Grund mehr, sich wirklich anzustrengen und die Herausforderung diesmal richtig anzugehen. Auch wenn der Gegenwind aus meiner bequemlichen Vergangenheit nach wie vor ziemlich heftig war.

Beim Tanken kam mir dann unvermittelt die Idee!

5

Scott musste eine halbe Stunde im Pub am Marktplatz warten und unterbrach sein angeregtes Gespräch mit einer etwas in die Jahre gekommenen Blondine nur ungern, als ich mich, ziemlich außer Atem, neben ihn setzte. Ich erzählte ihm von meinem erfolgreichen Ausflug und nach einem spannenden Film, einigen Runden Darts und weiteren Partien Billard schleppte ich mich um drei Uhr morgens in meine Wohnung. Über unsere Wette wurde kein Wort verloren, und ich hatte auch nicht die Kraft, mir noch konkretere Gedanken zu meinem vermeintlichen Geistesblitz zu machen. Ich schlief immerhin mit der Gewissheit ein, endlich einen kleinen Schritt vorangekommen zu sein und alle Bedenken lösten sich in Wohlgefallen auf.

Ein Sonnenstrahl verirrte sich durch einen Spalt zwischen den alten, indischen Wollvorhängen, die mir meine Großmutter vererbt hatte und weckte mich aus meinem selbstzufriedenen Tiefschlaf. Es war Sonntagmorgen, die Wäsche im Badezimmer schrie danach, erledigt zu werden, die Küche hatte eine große Reinigung nötig und eigentlich hatte ich mir auf dem Rückweg fest vorgenommen, auch meinem alten Wagen wieder mal etwas Wasser und Shampoo zu gönnen. Zudem könnte ich mir den ganzen Tag meine Idee durch den Kopf gehen lassen, vielleicht würde sich noch herausstellen, dass sie gar nicht so gut war. Doch diesen Gedanken verdrängte mein neu erwachtes Selbstbewusstsein glücklicherweise umgehend wieder. Sie musste einfach brillant sein.

Zunächst ging es darum meinen Erfolg mit meinem Internetkauf bei meinem Großvater auszukosten. Mein Oldtimer ruckelte die Kopfsteinplastereinfahrt zum Grundstück meines Großvaters hinauf. Vermutlich hatte er das von mir am Vortag großzügig spendierte Motorenöl bereits wieder verraucht und die Maschine hatte wie gewohnt auf Diätbetrieb umgeschaltet. Seit dem Tod meiner Großmutter vor fünf Jahren ließ der alte Conny, so nannten ihn alle im Dorf, seinen Garten von einem befreundeten Gärtner pflegen. Es sah aus, wie in einem Schlosspark. Der Gärtner hatte ganze Arbeit geleistet. Mein Großvater verfügte nie über einen ausgesprochen grünen Daumen, gärtnerte jedoch seiner Frau zuliebe, was dem Garten in gewissen Bereichen einen eher wilden Ausdruck verlieh. Mir gefiel das auch ganz gut. Als Gegenleistung für die Unterstützung verzogen sich die beiden Wittwer einmal in der Woche in Connys Weinkeller. Ein altes Gewölbe in dem alten Herrschaftshaus, welches diesen Namen tatsächlich verdiente. Ich verstand nicht viel von Wein, was meinen Großvater veranlasste, mich von seinem Heiligtum konsequent fernzuhalten. Seine Versuche, aus mir einen Menschen zu machen, der die feinen Gaumengenüsse von Mutter Natur nicht nur als banale Energieaufnahme betrachtete, hatten allesamt in seinen Augen fehlgeschlagen. Und ich gab meine erfolglosen Bemühungen auf, ihm das Gegenteil beweisen zu wollen.

Der alte Herr sagte mir einmal während meiner äußerst zähen Pubertät: „Lieber Enkelsohn, das Leben ist doch wie ein Film im Kino. Manche Besucher sitzen auf dem Balkon, manche im Parkett und wer früher kommt, rechtzeitig vorbucht oder mehr bezahlt, bekommt die besten Plätze. Schlussendlich sehen aber alle den gleichen Film und am Ende verlassen alle den Saal durch die gleiche Türe. Aber manche haben ihr eigenes Kino und können sich den Film den sie sehen möchten und die Personen mit denen sie ihn sehen möchten selbst aussuchen. Dafür lohnt es sich doch, etwas mehr zu leisten?“ Meine Leidenschaft für populäre Produkte der Filmindustrie war ihm bekannt, also versuchte er möglicherweise seinen Enkel auf diesem Weg den Sinn eines erfüllten und erfolgreichen Arbeitslebens näherzubringen. Doch mir gefiel das muffige Odeon mit den abgewetzten Klappsitzen ganz gut.

Vermutlich war ich eben meistens im falschen Film und die Botschaft meines Großvaters, dem Grandseigneur, kam nicht so ganz bei mir an. Zusätzlich wollte er mich mit den Vorzügen seines Machtinstinkts vertraut machen, was gleichermaßen bei mir auf absolut unfruchtbaren Boden fiel. Mir war es mehr oder weniger gleichgültig, was im Kino lief. Hauptsache es war unterhaltsam und es gab Cola und Popcorn. Genauso hielt ich es auch mit allen anderen Dingen meines Junggesellenlebens. Aber ich unterließ es natürlich, ihm meine Lebensphilosophie zu erklären. Vermutlich war sie ihm bereits klar und viel zu erklären gab es dazu ohnehin nicht.

Aber grundsätzlich verstanden wir uns gut, und er hatte immer ein offenes Ohr, wenn ich mal ein Problem vorbrachte oder Unterstützung benötigte. Wie damals als ich meine erste Wohnung mietete und einen Bürgen vorweisen musste. Als mein Vater und meine Mutter sich getrennt hatten, war ich vierzehn Jahre alt. Sie trennten sich jedoch in guter Freundschaft, soweit man dies nach einer gescheiterten Ehe so bezeichnen konnte. Aus diesem Grund konnte ich mich eigentlich nicht beklagen. Meine Schwester und ich lebten abwechslungsweise bei meiner Mutter und meinem Vater und schlussendlich zog ich mit zwanzig ganz in das Haus meines Vaters, weil sich meine Mutter immer mehr der Esoterik und Wahrsagerei zugewandt hatte womit ich den Draht zu ihr mehr oder weniger verloren hatte. Meine Schwester Sally wohnte einige Zeit bei einer Tante, die selbst kinderlos war und sich damit ihren Kindertraum verwirklichen konnte, eine Tochter großzuziehen. Vor fünf Jahren entschied sich Paul Newitt, nach dem Tod seiner Mutter, zur Emigration nach Neuseeland, da es ihm in Europa zu eng wurde, wie er es ausdrückte und ich musste mir eine eigene Bleibe suchen.

Vielleicht lag es auch an der langbeinigen, blonden und um fünfzehn Jahre jüngeren Neuseeländerin, die er bei einem Immobilienverkauf kennengelernt hatte. Wie auch immer, erstaunlicherweise war er mit „Missy“ am anderen Ende der Welt glücklich und scheinbar auch mit seinen Immobiliengeschäften durchaus erfolgreich. Ich hatte ihn in den letzten fünf Jahren nur zweimal getroffen, hatte aber nach wie vor ein ordentliches Verhältnis zu ihm und wir bedachten uns gegenseitig ab und zu mit einem belanglosen Email oder einer Karte. Aus diesem Grund sah ich meinen Großvater immer als mein eigentliches väterliches Vorbild an, auch wenn ich nie die Ambitionen entwickelte, ihm nachzueifern, was mir sowieso nie gelungen wäre. Höchstwahrscheinlich waren es sein selbstsicheres Auftreten, seine Prinzipien und seine einnehmende Art, die mich schon als kleines Kind, als ich die Ferien bei meinen Großeltern verbringen durfte, ausgesprochen faszinierten.

„Hallo Conny“. Ich musste fast schreien, da die Schleifmaschine durch den ganzen Werkstattschuppen kreischte.

„Guten Morgen mein Junge.“

Der alte Herr zog die Schutzbrille über die grauen, vollen Haare und schaltete die Maschine aus.

„Du wirst staunen, was ich dir mitgebracht habe!“ verkündete ich feierlich und schüttelte meinem Großvater die Hand.

„Es wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, dem Vorsitzenden der Newitt-Familie einen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen“ schmeichelte ich seinem Ego.

Conny Newitt schmunzelte und folgte mir auf den Vorplatz, wo ich bereits die Heckklappe meines Wagens geöffnet hatte.

„Mein Gott, Garry! Das ist kaum zu glauben. Das ist doch tatsächlich der gleiche Typ, das gleiche Holz. Und dies in einem wirklich außerordentlich guten Zustand. Wo hast du denn dieses gute Stück aufgetrieben?“ Er ließ seine sehnigen Finger sanft über das geschliffene Holz gleiten. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte mit den üblichen kleinen Ausschmückungen und schien den alten Herrn damit durchaus etwas zu beeindrucken. Weil er auch etwas über den ehemaligen Eigentümer wissen wollte, gab ich auch die Informationen über das faszinierende Haus und den tropischen Garten weiter. Eigentlich wollte ich ihm nichts über die Wette und meine damit zusammenhängende Idee anvertrauen, doch ganz bestimmt könnte mir mein Großvater noch einige Tipps geben, so wie er es immer gerne getan hatte. Und ich war durchaus dankbar für einen kleinen zusätzlichen Schub, welcher mich aus meiner nach wie vor nicht überwundenen Lethargie würde befördern helfen. Wir schleppten den Stuhl in das große Wohnzimmer, dessen Wände mit dunklem Teakholz verschalt und mit einigen alten Meistern behangen waren. Das neue Möbelstück passte zwischen die Anrichte mit der schweren Marmorplatte und den Beistelltisch mit dem antiken Plattenspieler, als hätte es schon immer dagestanden, was mich etwas mit Stolz erfüllte.

In diesem Raum schien die Zeit stillgestanden zu sein und er hätte ohne jegliche Anpassung als hervorragenden Drehort für alte englische Kriminalfilme dienen können. Conny zauberte zwei Flaschen Schweppes, unser gemeinsames Lieblingsgetränk (der Weinkeller war für mich ja tabu), auf den kleinen Marmortisch neben dem Sofa und ließ sich in den neuen Schaukelstuhl fallen, der zum Glück den Stabilitätstest erfolgreich bestand.

„So, mein Junge, das ist wirklich eine eindrückliche Überraschung. Ich hoffe natürlich, ich kann mich dafür irgendwann einmal revanchieren. Es ist schon erstaunlich, was man über das Internet alles auftreiben kann, doch dass du den weiten Weg auf dich genommen hast, weiß ich ganz besonders zu schätzen. Wie dir bekannt sein dürfte, habe ich eine ganz neue Computeranlage vor einigen Monaten in mein Büro einbauen lassen, aber eigentlich brauche ich diesen ganzen Firlefanz nur für meine Emails und die Online-Nachrichten. Deshalb bin ich in diesen Dingen nicht so fit, wie man vielleicht angesichts der Ausstattung vermuten könnte. Zu meinen Zeiten waren sogar Vereinbarungen am Telefon noch mehr wert, als elektronisch signierte Verträge heutzutage. Aber du solltest dich weiter intensiv mit dieser Materie auseinandersetzen, denn ohne elektronisches Netzwerk wird sich bald gar nichts mehr bewegen auf diesem Planeten. Wir haben hier das Privileg, Zugang zu den modernsten Systemen und Verbindungen zu haben! Diesen Vorsprung müssen wir erhalten, denn die Konkurrenz schläft nicht und viele sogenannte ehemalige Drittweltstaaten holen schon mächtig auf. Du hast doch sicherlich schon eine eigene Internetseite, kaufst virtuell ein und wickelst deine Bankgeschäfte Online ab…?“

Da war sie wieder, die bekannte Frage. Natürlich vermutete er korrekterweise, dass dem nicht so war. Daher erzählte ich ihm dann doch von der Wette mit meinen Kollegen und von meinem Problem, dass ich mit ihnen technisch nicht unbedingt mithalten konnte. Meine Ambitionen, dieses Manko nun endlich zu überwinden, schob ich etwas kleinlaut nach.

Der alte Mann schien in Gedanken versunken und plötzlich erhob er sich aus dem Stuhl, der auf dem alten Parkett knarrend hin und zurückwippte.

„Wenn man etwas erreichen will, dann halten einen ein paar kleine Probleme doch nicht auf! Wenn du eine wirklich gute Idee hast, dann musst du sie auch mit aller Macht verfolgen, auch wenn es in diesem Fall nur um eine Wette geht. Eine gute Wette ist besser fürs Gemüt als manch gutes Geschäft, pflegte mein Onkel Eddi zu sagen, der es zwar nie zu etwas gebracht hatte, aber als Lebemann seine leider zu kurze Zeit auf Mutter Erde jede Minute genossen hatte. Ich kenne da einen alten Geschäftsfreund, dessen Sohn bei einer Bank für die ganzen Internettransaktionen zuständig ist und mir noch einen Gefallen schuldet. Wenn du also möchtest, kann ich da einige Hebel in Bewegung setzen. Man muss nicht wissen, wie alles im Detail funktioniert, sondern man muss diejenigen kennen und pflegen, die es wissen!“

Ich war immer wieder überrascht, über welches umfangreiche Beziehungsnetz mein Großvater verfügte und wer so alles in seiner Schuld zu stehen schien. Er war bis zu seinem siebzigsten Lebensjahr, als meine Großmutter schwer erkrankte, in der ganzen Welt unterwegs gewesen und hatte für große Konzerne Investitionen in kommerzielle Grundstücke und Rohstoffminen, ob in New York oder im brasilianischen Regenwald evaluiert. Mit seinen Geschichten konnte ich damals meine Klassenkameraden glänzend unterhalten, wobei mein Großvater einmal als Eroberer und ein andermal als Pirat natürlich stets mit den besten Absichten die Welt bereiste.

„Und welche fantastische Idee soll denn nun unserer wetterprobten Familie einen weiteren Sieg bescheren?“

Seine Augen blinzelten erwartungsvoll und er ließ sich wieder langsam in den Schaukelstuhl fallen, der ihm zu meiner Freude sichtlich gefiel. Ich überlegte kurz, wie ich meine Idee, die ja noch gar nicht richtig ausgereift war, vernünftig präsentieren konnte, ohne vom alten Newitt gleich zerrissen zu werden. Wenn es um innovative Ideen ging, dann überflügelte der fast Achtzigjährige mit seinem Ehrgeiz wesentlich jüngere Kontrahenten mit einer Leichtigkeit. In meinem Fall war dies jedoch kein Maßstab, da meine Ambitionen für eigene Innovationen in den letzten Jahren etwas vor sich hingedämmert hatten. Ich ließ noch ein paar Sekunden verstreichen, um die Spannung zu erhöhen und legte mir meine Worte zurecht.

„Ich hatte dir ja erzählt, was für ein interessantes Haus der ehemalige Eigentümer deines neuen Schaukelstuhls gebaut hatte. Er erklärte mir, dass er in der Lage sei, seinen gesamten Energiebedarf ausschließlich mit der Energie der Sonnenstrahlung abzudecken. Dies bezweifelte ich auch nicht, weil praktisch das ganze Hausdach mit Solaranlagen belegt war und die ganzen Systeme einen äußerst professionellen Eindruck hinterließen. Warum, fragte ich ihn dann jedoch, investierten dann nicht alle Immobilienbesitzer, wenn die Vorteile so klar auf der Hand lägen?“

Mein Großvater räusperte sich, als hätte ich ihm ein Stichwort geliefert. Nervös rieb er plötzlich mit seinen Händen über die glänzenden Armlehnen des Stuhls und ließ sich ein wenig Zeit zum Nachdenken. Dann hob er seinen Zeigefinger leicht an: „Die Kosten! Das liebe Geld! Vor einigen Jahren hatte ich für einen meiner großen Kunden eine Plantage in Chile besucht, die über keinen elektrischen Stromanschluss an das Netz verfügte. Lediglich ein uralter Dieselgenerator, der täglich an die zweihundert Liter Diesel verbrannte, lieferte die benötigte Energie. Der Leiter der Plantage hatte vorgeschlagen, eine Solaranlage zu installieren, die sich bereits in wenigen Jahren amortisieren ließe, weil das Verlegen von Leitungen und der Transport des Diesels Unsummen verschlingen würden, womit er absolut Recht hatte. Doch das sind die absoluten Ausnahmen. Im Allgemeinen ist diese Technik noch viel zu kostspielig, und es gibt günstigere Wege an Energie zu kommen und vor allem muss die Energie auch in die entlegensten Ecken dieser Erde kostengünstig transportiert werden können wie auch zu jeder Tages- und Nachtzeit in ausreichender Quantität zur Verfügung stehen. Außerdem interessiert sich niemand ernsthaft für die CO2- oder Feinstaubproblematik, solange diese keine wirklich unmittelbaren Auswirkungen auf das persönliche Wohl haben. Aus diesem Grund fristen die alternativen Energien nach wie vor ein Nischendasein, wenn man sich den globalen Energiebedarf vor Augen führt. Aber lass hören, was dies mit deiner Wette zu tun hat!“

Der alte Mann war überraschend aufmerksam und interessiert, also nickte ich und fuhr fort: „Da hast du natürlich recht, die Kosten sind der wesentliche, wenn nicht sogar der einzig wirklich entscheidende Faktor. Das Motto, „Geld allein macht nicht glücklich!“, ist zwar ein netter Spruch, der jedoch in den wenigsten Fällen der Realität des menschlichen Interesses entspricht. Denn schlussendlich strebt doch praktisch jeder nach dem größten eigenen Profit. Da habe ich mir überlegt, was wäre, wenn ich ein System erfunden hätte - natürlich nur rein hypothetisch - welches für die Energiegewinnung nur einen Bruchteil der heutigen Kosten verursachen würde? Außerdem wären die Grundlagen überall auf der Welt einfach herzustellen sowie völlig umweltverträglich in der Nutzung!“

Jetzt schaute Conny Newitt an die alte Teakholzdecke und kratzte sich an seinem Kinn. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass ihn das angeschnittene Thema mehr als erwartet beschäftigte und damit seine früher so gefürchtete Artillerie in Stellung ging. Erwartungsvoll ließ ich meine Worte erneut im Raum stehen und wartete auf eine entsprechende Reaktion. Kurzzeitig wanderte sein Blick nervös durch den Raum. Er benötigte einige Zeit seine Gedanken zu ordnen, was jedoch nichts mit seinem fortgeschrittenen Alter zu tun hatte, wie mir erst sehr viel später klarwerden würde.

„Und was hat das mit deiner Wette wegen dieser Internetseite zu tun?“ kam es zunächst ganz trocken vom Schaukelstuhl. Wie üblich hielt mein Großvater die Gesprächsfäden in der Hand und kam sofort wieder auf den Punkt, um den es ging. Den Bezug zu meiner Wette hatte ich bei meinen Ausführungen tatsächlich kurzzeitig vergessen und ich benötigte ich einige Sekunden, um mich auf die Frage einzustellen.

„Das ist genau der Punkt. Eine solche Erfindung würde doch die ganze Welt brennend interessieren. Bei der Wette geht es darum, eine Internetseite zu kreieren, die nichts mit meinem Beruf und meinen Hobbies zu tun haben darf wie auch keine direkten wirtschaftlichen Ziele verfolgen soll. Es sollen lediglich innerhalb einer festgelegten Frist möglichst viele Zugriffe auf die Webseite erreicht werden.“

Der alte Mann schüttelte leicht den Kopf worauf ein erneutes Kratzen am Kinn folgte. „Natürlich wäre so etwas eine Sensation, aber du bist weder ein Tüftler noch ein Wissenschaftler und es ist nicht nur sehr unwahrscheinlich, sondern schlicht unmöglich, dass du glaubwürdig darstellen könntest, dass du ein solches System tatsächlich entwickelt hättest. Die Sonne scheint zwar kostenlos, doch die Energiegewinnung ist technisch aufwendig und die Kosten lassen sich nur sehr langsam auf ein konkurrenzfähiges Niveau senken. Wie kommst du darauf, dass du Zugriff auf ein solches Wunderwerk erhalten könntest? Ohne dir zu nahe treten zu wollen, aber wesentlich schauere Köpfe als wir zwei suchen schon seit Jahrzehnten nach einem solchen System…“

Diesmal glaubte ich meinem Großvater einen Gedankenschritt voraus zu sein, was mich innerlich befriedigte. So bemerkte ich die erheblich gestiegene Nervosität des alten Mannes nicht.

„Es geht auch nicht darum, dass ich effektiv etwas erfunden habe. Ich behaupte einfach, relativ unverbindlich, dass es so etwas möglicherweise gibt und stelle die unglaublichen Folgen dar. Die Rechnung ist doch ziemlich einfach.“ Bei Zahlen kam ich in mein Element und hatte diesbezüglich die Angaben meiner Internetbekanntschaft auch noch kurz verifiziert: „Ein Kilowatt konventionell produzierten Stroms, also die Energie um eine einhundert Watt Birne zehn Stunden lang brennen zu lassen, kostet dich heute etwa fünfzehn bis zwanzig Cent als Verbraucher.“

Ich erhielt ein zustimmendes Brummeln und fuhr fort: „Die Kosten für Strom, welcher mit Solarzellen gewonnen wird, liegen in unseren Breitengraden im besten Fall bei dreißig bis vierzig Cent und bei größeren Anlagen schlagen die Gestehungskosten schon mit um die zwanzig bis fünfundzwanzig Cent zu Buche. Wenn ich nun behaupte, die Kosten für den Verbraucher auf, sagen wir mal, auf fünf Cent pro Kilowattstunde drücken zu können, dann wäre das doch sicherlich von äußerst großem Interesse und würde den Energiesektor revolutionieren. Anders ausgedrückt, meiner Webseite die entsprechenden Besucherzahlen bringen!“ schloss ich meinen stolz vorgetragenen Bericht. Den forschenden Blick meines Großvaters deutete ich als Interesse an der unerwartet erwachten kreativen Ader seines Enkels.

Das Oberhaupt unserer Familie schien jedenfalls noch nicht restlos überzeugt zu sein. „Das wäre in der Tat eine unglaubliche Sache, aber eben – unglaublich. Du kannst das nicht einfach so behaupten, ohne deine Erfindung etwas genauer zu umschreiben. Jeder halbwegs Interessierte wird ohne großen Aufwand herausfinden können, dass du ein Versicherungskaufmann bist und eben kein Wissenschaftler oder Nobelpreisanwärter. Bei einem Gestehungspreis von fünf Cent und der Möglichkeit dezentral, umweltfreundlich und wartungsfrei Energie zu erzeugen, würde man die aktuellen Faktoren im Energiegeschäft auf den Kopf stellen, was jedoch möglicherweise erst in zwanzig Jahren der Fall sein könnte. Außerdem gibt es erhebliche Nebenkosten für die Verteilung und Speicherung der Energie. Aus diesem Grund musst du auch, um nur eine erste Neugier zu wecken und nicht gleich als Spinner abgetan zu werden, die Vision mit Konkretem verknüpfen. Was ich sagen will ist, du musst das Interesse nachhaltig wecken, glaubwürdig wirken, ohne etwas zu Genaues preisgeben zu müssen – denn das kannst du ja sowieso nicht, sonst würden wir wohl kaum hier sitzen, oder?“

Jetzt war der alte Newitt so richtig in Fahrt. Ich konnte nur erahnen, wie er in meinem Alter, als er die ersten Immobilien in Südamerika kaufte, vor Energie gesprüht haben musste, der sich ganz bestimmt keiner seiner Geschäftspartner hatte entziehen können. Aus diesem Grund erstaunte es mich keinesfalls, dass er gleich ein ganzes Konzept aus dem Hut zauberte.

„Es reicht nicht, eine günstige Solarzelle zu propagieren. Die Preise für Photovoltaikanlagen sind in den letzten zwei Jahren um 50 Prozent gefallen und werden dies, wenn auch nicht mehr so rasant, weiter tun. Das entscheidende ist die Herstellung. Du solltest ein einfaches System propagieren, welches mit einfachsten Materialien und geringem Aufwand auf der ganzen Welt kurzfristig und einfach hergestellt und eingesetzt werden kann. Und dies ohne die Notwendigkeit großer Anlagen oder komplexer Herstellungsprozesse. Praktisch kostenlose Energie für Jedermann. Ein bisschen mit gut verständlichen Zahlen und Fakten würzen und dann noch den Hinweis ergänzen, dass diese Erfindung derart weltbewegend ist, dass du weitere Details erst auf einen bestimmten Stichtag veröffentlichen kannst. Natürlich wird ein Fachmann sofort erkennen, dass das nicht funktionieren kann, aber zumindest wirst du vielleicht für ein bisschen Aufruhr sorgen und möglicherweise sogar einige meiner alten Freunde ärgern, aber das ist ein anderes Thema…“.

Der letzte Satz zauberte ein kurzes undurchschaubares Lächeln auf das faltige, von der Sonne gefärbte Gesicht.

Mein Großvater lehnte sich plötzlich ganz entspannt in seinen neuen Schaukelstuhl zurück und ich befürchtete bereits, das antike Stück könnte doch noch nachgeben. Er genoss es sichtlich, dass ich augenscheinlich von seinen Ausführungen beeindruckt war, was auch tatsächlich der Wahrheit entsprach. Er hatte in kurzen Worten bereits ein ganzes Konzept umrissen und meine Idee nicht gleich in ihre Einzelteile zerlegt. Im Gegenteil, er war sogar erstaunlicherweise mit Feuer und Flamme bei der Sache. Sicher, es war lediglich eine Wette und Onkel Eddi, Gott hab ihn selig, hätte durchaus seine Freude daran gehabt – aber der alte Mann motivierte mich regelrecht so richtig loszulegen. Die Suche nach dem alten Stuhl hatte in seinen Augen die Wirkung demnach nicht verfehlt.

„So mein Junge, jetzt sollten wir beide wieder an die Arbeit. Aber ich gebe dir noch die Adresse von einem alten Kumpel, der in den siebziger Jahren für die amerikanischen und europäischen Raumfahrtbehörden die ersten Satelliten mit Solarzellen mitentwickelt hatte. Der kann dir sicherlich noch ein paar nützliche, technische Argumente und Informationen liefern, welche die ganze Sache etwas glaubwürdiger erscheinen lassen. Ich freue mich schon auf deinen Erfolg, denn wie schon gesagt, wenn man etwas anpackt, dann richtig, stimmt’s?“

Doch bevor ich mit einem Nicken meine Zustimmung kundtun konnte, war der alte Herr bereits im Kaminzimmer verschwunden, um kurz darauf mit einem Zettel, auf welchen er mit seiner kryptischen Handschrift eine Adresse gekritzelt hatte, zurückzukehren.

„Er ist heute Nachmittag zu Hause und hat eine Stunde für dich übrig. Sag ihm aber auf keinen Fall etwas von deiner Wette und der Internetseite! Außerdem solltest du die Informationen nur als Grundlage für eigene Abklärungen verwenden, denn Klive war immer schon sehr zurückhaltend, wenn es um die öffentliche Meinung ging. Wenn es nach seinem Verständnis gegangen wäre, dann hätten wir wohl bis heute noch keinen verdammten Satelliten im All und würden noch immer das zehnte Sicherungssystem für alle Eventualitäten entwickeln. Aber er ist ein wirklich brillanter Kopf, aber manchmal auch etwas schwer zu durchschauen…“

Der obligate Hinweis, dass Klive ihm auch noch etwas schuldig sei, fehlte, dafür wurde mir irgendwie klar, dass mein Großvater wohl nicht nur im Immobiliengeschäft tätig gewesen war. Sein Interesse und der kurzfristige Termin hätten mich durchaus etwas stutzig gemacht, wären meine Sinne nicht von einer angenehmen und wohltuenden, ja fast berauschenden Spannung erfasst gewesen.

Dieser Klive konnte jedenfalls kein vielbeschäftigter Feuerwerker mehr sein, wenn er so kurzfristig Zeit für mich fand. Conny schüttelte mir mit einem kräftigen Druck die Hand und verließ das Wohnzimmer in Richtung Werkstatt mit den Worten: „Wetten sind das Salz in der Suppe des Lebens. Halt mich unbedingt auf dem Laufenden…“

Ich blickte ihm bewundernd nach und dachte mir, dass sich meine Vorstellung von Pensionierung mit Ausschlafen bis mittags und einem ruhigen, genussvollen Tagesablauf mit den Genen unserer Familie wohl kaum vereinbaren ließen. Andererseits war da ja noch der gute alte Onkel Eddi, der offensichtlich doch gewisse genetische Spuren zumindest bei mir hinterlassen hatte. Die Zeiten des Müßigganges hatte ich nun eindeutig hinter mir gelassen; es galt jetzt mit den gesammelten Informationen etwas Vernünftiges anzufangen. Vielleicht war eine gewonnene Wette ja durchaus auch der Startschuss einer erfolgreichen Karriere in vielerlei Hinsicht. Meine zugegebenermaßen etwas weit hergeholten Tagträume lieferten mir zumindest den nötigen Vorschub.

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