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Unsere Erde im Jahr 2018. Die Energiewende hat begonnen, die globalen Wirtschaftsgeschehen nachhaltig zu verändern. Die populärste der erneuerbaren Energien ist die der Sonne. Eine besondere technische Erfindung hat die Sammlung und Speicherung von Solarenergie revolutioniert. John Bride ist ein junger Student, der eine einmalige Chance bekommt. Eine der renommiertesten Universitäten der Welt macht ihm ein verlockendes Angebot. Er kann ein teures Studium genießen und parallel dazu Praxiserfahrung in dem Konzern sammeln, der durch seine Solarzellen zu Weltruhm gelangte. Doch bereits nach kurzer Zeit findet sich John in seinem schlimmsten Albtraum wieder. Isoliert von der Außenwelt, kommt er einer grausamen Intrige auf die Spur, welche das Gleichgewicht der globalen Wirtschaftsstrukturen erschüttern wird. Als er tiefer in die Abgründe der korrupten Weltwirtschaft vordringt, wird er plötzlich von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt.
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Seitenzahl: 588
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Für die Frau meines Lebens, Lisa Wenzel.
Und meine geliebte Mutter, Regina Bahn-Kugli.
John erinnert sich noch genau an seinen ersten Tag an der GreenCell University in Dublin. Er war voller Vorfreude, da er es geschafft hatte, an einer der führenden Universitäten in Europa, wenn nicht sogar der Welt, immatrikuliert zu werden. Er studierte den zukunftsweisenden Master of Business and New Technologies. Für diesen Studiengang war die GreenCell University seit jeher bekannt, da sie diesen als einzige Universität weltweit anbot. Der Studiengang befasste sich neben den klassischen betriebswirtschaftlichen Managementlehren, mit der strategischen Planung von wertvollen Ressourcen, der Entwicklung von neuen, effizienten und günstigen Technologien, sowie dem ständig steigenden Einfluss erneuerbarer, nachhaltiger Energien. Der Themenbereich Klimaschutz nahm folglich eine besondere Stellung im Curriculum ein. Die konsekutiven Aufbauprogramme waren durch renommierte Wirtschaftsräte akkreditiert worden. Ein weiteres, entscheidendes Differenzierungsmerkmal der Universität war die Finanzierung des Studiums. Das Studium an jeder einzelnen Fakultät kostet die Studenten 150.000€ im Jahr. Damit gehörte die GCU, wie die Universität häufig in Kurzform genanntwird, zu den teuersten privaten Universitäten auf der Welt. Doch Studenten mit dem passenden, finanziellen Polster, konnten sich nicht einfach so einkaufen. Es kam häufiger vor, dass wohlhabende und einflussreiche Geschäftsmänner versuchten, ihre Kinder an die GCU zu bringen, jedoch ohne Erfolg.
Denn die Studiengänge wurden ausschließlich von Stipendien finanziert, welche allesamt von einer einzelnen Firma gestellt wurden. Bei dem Unternehmen handelte es sich um die GreenCell Ltd. Dieser Konzern war zugleich auch für die Gründung und Namensgebung der GreenCell University verantwortlich. Die GreenCell Ltd. war ein Unternehmen, welches sich auf die Forschung nach alternativen Energien spezialisiert hatte. Ein besonderer Fokus lag auf der Forschung an Solar- und thermischer Energie. Ein revolutionärer Durchbruch gelang der Firma um die Jahrtausendwende herum. Führende Wissenschaftler entwickelten eine Zelle, die aus einer neuartigen Silizium-Verbindung synthetisiert wurde. Diese Verbindung ermöglicht es einer Solarzelle, die eintreffende Sonneneinstrahlung fast vollständig zu speichern und zu verwerten. Während des Speicherungsprozesses ging kaum Energie verloren. Die Zelle bestand vollständig aus recycelten organischen Stoffen und konnte sehr kostengünstig produziert werden. Durch diesen technologischen Fortschritt wurde Energie aus Photovoltaik für Jedermann erschwinglich. Der Projekt- und spätere Verkaufsname dieses Wunderwerks der Energietechnik lautete GreenCell. Der massive Absatz der Solarzellen war einer der entscheidenden Gründe, weshalb sich die Firma Mitte der 2000er in die GreenCell Ltd. umfirmierte. So wollte der Vorstand den wegweisenden Erfolg ihres besten Produktes in die Unternehmensphilosophie und -identität integrieren. Die Jahre zuvor trug das Unternehmen den Namen Solartech Ltd. Kurz vor der Entwicklung und Einführung der GreenCell stand das Unternehmen vor einer drohenden Insolvenz. Liquide Zahlungsmittel fehlten und laufende Verbindlichkeiten konnten nicht mehr ausreichend und fristgerecht gedeckt werden. Grund hierfür war der hohe Kapitalverzehr eines anderen Forschungsprojektes. Über dieses Projekt drang allerdings nicht besonders viel an die Öffentlichkeit. Es gab nur wage Vermutungen, welche jedoch sofort im Keim erstickt wurden. Aus irgendeinem Grund wurde dieses Projekt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln totgeschwiegen. An ein konkretes Beispiel konnte sich Johns Mutter noch sehr gut erinnern. Sie hatte ihm davon erzählt.
Kurze Zeit nach der Bekanntgabe der finanziellen Schwierigkeiten, wurde ein ehemaliger Mitarbeiter einer Forschungseinrichtung der Solartech Ltd. zu einem Interview mit der Irish Times eingeladen.
Er sollte über seine aktuellen Arbeitsprojekte und seine bisherigen Forschungsergebnisse sprechen. Doch er war niemals zu diesem Termin erschienen. Nach der offiziellen Ankündigung des Termins, war der Wissenschaftler vom Erdboden verschluckt gewesen.
Unter ähnlichen, mysteriösen Umständen verschwanden weitere ehemalige, zum Teil hochrangige Forscher der Solartech Ltd. Doch diese Vorfälle waren nicht wirklich das Verwunderlichste an dieser ganzen Geschichte. Merkwürdiger war die Tatsache, dass über diese Fälle kaum berichtet wurde. Selbst die regionalen Klatschzeitschriften, die in der Regel nur auf solche Stories warteten, hatten kaum von diesen Geschehnissen berichtet. Diejenigen Artikel, die hierzu verfasst wurden, umfassten höchsten vier Zeilen und wurden im Mittelteil der Zeitschrift platziert. Mittlerweile hörte die Bevölkerung nichts mehr von der alten Solartech Ltd. Stattdessen sprachen die Menschen nur noch von der GreenCell Ltd. und ihren neuen Errungenschaften in der Welt der Solarenergie. Das Unternehmen tat viel für die Umwelt und für einen bewussteren Umgang mit dem Klima. Es bewegte die Menschen dazu, auf ihre günstigen, effektiven und umweltfreundlichen Solarprodukte umzusteigen. Die GreenCell Ltd. hielt zudem einen Großteil der Aktien der Future Engineering Ltd. Dieses Unternehmen trug entscheidend zur Entwicklung der sogenannten Blue Engines bei. Bei diesen Forschungsobjekten handelte es sich um solarbetriebene Elektromotoren, welche den CO2 Ausstoß durch den motorisierten Verkehr drastisch reduzierten.
Klassische Betriebsmittel, wie Benzin und Gas, sollten abgelöst werden, um zukünftig aus dem Nutzenpotenzial von Solarenergie und herkömmlichem Strom partizipieren zu können. Die Strategie ging auf. Bereits fünfzig Prozent aller Autofahrer weltweit setzte auf den Antrieb durch Blue Engines. Auch die PR-Abteilung der GreenCell Ltd. machte einen tadellosen Job. So unterstützte die GreenCell Ltd. mehrere Charity-Organisationen, vergab Stipendien besonders an benachteiligte Familien und gründete die GreenCell-Stiftung. Diese versorgte Dritte-Welt-Länder mit hoher Sonneneinstrahlung wie z.B.
Venezuela, Nigeria oder Kuwait mit kostengünstiger Solarenergie. Die renommierten Fachkräfte der GreenCell Ltd. waren Mitglieder, des vom europäischen Parlament einberufenen Committee on Industry, Research and Energy, kurz ITRE. Dies verdeutlichte eindrucksvoll, wie stark die fachliche Kompetenz des Unternehmens in Europa geschätzt wurde. Und um genau diese Kompetenzen zu wahren und sich ständig weiterentwickeln zu können, hatte die GreenCell Ltd. die gleichnamige Universität gegründet. Der Campus befand sich in Dublin und war nur einige Kilometer vom Firmensitz der GreenCell Ltd. entfernt. Die Universität sollte dazu beitragen, den hohen Standard an Fachleuten zu halten bzw. zu optimieren. So konnte dem aus der demographischen Entwicklung resultierenden Fachkräftemangel erfolgreich entgegen gewirkt werden. In den Augen der Öffentlichkeit stellte die GreenCell Ltd. ein musterhaftes Unternehmen dar, wie es sprichwörtlich im Bilderbuche oder einem klassischen BWL-Skript gestanden hätte. Der Konzern hatte es geschafft den Umsatz und den Gewinn kontinuierlich zu steigern, eine glaubwürdige und nachhaltige Form der Corporate Social Responsibility zu entwickeln und einen zufriedenstellenden Umgang mit wichtigen Interessen- und Anspruchsgruppen wie z.B. Umweltschützern, Politikern oder auch Gewerkschaften zu pflegen. Genau diese Faszination, welche dieses Unternehmen auf die Menschheit ausübte, hatte John Bride dazu bewogen, sich für ein Stipendium bei der GreenCell University zu bewerben. Auch wenn er sich nicht einkaufen oder durch Beziehungen in der GCU einschreiben konnte. Er wollte ein Teil eines solch zukunftsweisenden Unternehmens werden. Wenn er sich zurückbesinnt, kann John auch nicht von einem klassischen Bewerbungablauf mit Anschreiben, Lebenslauf und Zeugnissen sprechen. Auch ein persönliches Vorstellungsgespräch entfiel ...
... denn er wurde vielmehr auserwählt.
Kapitel 1. Green Card – Die Einladung
17. September 2018
17. September 2018
17. September 2018
12. Juni 2018
17. September 2018
02. Oktober 2018
02. Oktober 2018
02. Oktober 2018
02. Oktober 2018
02. Oktober 2018
03. Oktober 2018
11. Juni 2018
03. Oktober 2018
09. Juni 2018
09. Juni 2018
Kapitel 2. Green Work – Das Praktikum
04. Juni 2018
04. Juni 2018
08. Oktober 2018
12. Juni 2018
08. Oktober 2018
24. Juni 2018
08. Oktober 2018
27. Oktober 2018
30. Oktober 2018
27. Juni 2018
02. November 2018
02. November 2018
05. November 2018
08. November 2018
09. November 2018
12. November 2018
01. Juni 2018
15. November 2018
Kapitel 3. Green Power – Die Jagd
13. November 2018
20. November 2018
15. November 2018
15. November 2018
22. November 2018
15. November 2018
Kapitel 4. Green Hole – Das Riverside Prison
25. November 2018
02. Dezember 2018
16. November 2018
21. November 2018
29. November 2018
25. November 2018
21. November 2018
03. Dezember 2018
Kapitel 5. Green Light – Die Wahrheit
25. November 2018
05. Dezember 2018
04. Dezember 2018
29. November 2018
05. Dezember 2018
04. Dezember 2018
25. November 2018
04. Dezember 2018
Kapitel 6. Green Conference – Der Klimagipfel
05. Dezember 2018
05. Dezember 2018
29. November 2018
25. November 2018
12. Dezember 2018
25. November 2018
07. Dezember 2018
25. November 2018
12. Dezember 2018
25. November 2018
12. Dezember 2018
„Die große Gefahr für die Menschheit liegt in der ständig steigenden Perfektion bei gleichbleibender menschlicher Unzulänglichkeit“
Charles F. Ketter
(amerikanischer Industrieller, unter anderem für G.M. tätig gewesen)
08. Juni 2018
Queens College | Oxford | England
Der Tag von Johns Abschluss. Wie lange er auf diesen Tag gewartet hatte. Nach mehreren Jahren auf dem College hatte er nun endlich die schulische Grundausbildung abgeschlossen. Er hatte sich im Vorfeld recht häufig mit seiner Zukunft auseinandergesetzt um eine Richtung zu finden, die ihm für seine berufliche Perspektive vorschwebte. Zu einem eindeutigen Schluss ist er jedoch nicht gekommen. Dieser Umstand sollte ihn dennoch in keinem Fall betrüben, da er zu den besten Absolventen seines Jahrgangs gehörte und ihm somit alle beruflichen Türen offen standen. Am Morgen war die Verleihung des Bachelor Zeugnisses, welches John in International Management verliehen wurde. Die Veranstaltung fand traditionell in der Aula des Queens Colleges statt, welche für solche Veranstaltungen feierlich geschmückt wurde. Als er die riesige Halle betrat, traf er direkt neben dem Eingang seine Mutter und seinen alten Freund George Welkshire.
„Da bist du ja, John.“ Seine Mutter strahlte.
„Entschuldige die Verspätung Mum aber ich habe nicht auf Anhieb einen Parkplatz finden können. Hier ist heute der Teufel los.“
„Heute haben wir ja auch was zu feiern John.“ George lächelte.
„Kannst du glauben, dass wir nun fast 10 Jahre zusammen die Schulbank gedrückt haben?“
„Mein Gott, du hast vollkommen Recht George. Die Zeit verging echt wie im Flug.“
George war einer von Johns ältesten Schulkameraden. Sie hatten sich im Jahr 2008 durch einen Zufall kennengelernt. Ihre Väter kannten sich vom College und hatten sich danach mehrere Jahre aus den Augen verloren. 2007 meldete sich Patrick Bride, Johns Vater, beim örtlichen Bowlingclub im Bowlplex von Oxford an. Dort traf er Steven Werkshire wieder, Georges Vater. Bei der ersten gemeinsamen Bowlingtour hatten die beiden genügend Zeit, umüber die vergangenen Jahre zu sprechen. Steven hatte nach seinem Collegeabschluss in Maschinenbau erst einmal mehrere Jahre in den unterschiedlichsten europäischen Ländern gelebt. Er hatte als Entwickler und Forscher in der Technologie-Branche Fuß fassen können. Neben Schweden und Norwegen hat er Spanien, Frankreich und Irland kurzzeitig sein Zuhause nennen dürfen. Auf Grund eines sehr attraktiven Jobangebotes hatte er sich letztlich dazu entschieden, wieder zurück nach England zu ziehen. Neben dem schwelgen in alten Erinnerungen und Schulzeiten haben Steve und Patrick beiläufig herausgefunden, dass sie beide Söhne haben, die an der gleichen Schule und sogar in der gleichen Jahrgangsstufe waren. So kam das Eine zum Anderen.
Steve und Patrick trafen sich wieder häufiger und auch Geburtstage und einige Familienfeste wurden daraufhin gemeinsam gefeiert.
George und John kannten sich schon flüchtig über den gemeinsamen Unterricht. Über ihre Väter wurden Sie jedoch zu mehr als nur Bekannte. Bei den beiden Jungen entstand eine tiefe Freundschaft, obwohl Sie zwei Menschen waren, die kaum unterschiedlicher sein konnten. George war immer ein ruhiger Zeitgenosse. Er hatte kaum Freunde außer John und lebte in sich gekehrt und zurückgezogen.
Sein Haar war Pechschwarz und seine Augen dunkelbraun. Doch am unverkennbarsten war seine stets leicht gebückte Körperhaltung auf Grund einer Fehlstellung seiner Wirbelsäule. John hingegen war schon immer ein extrovertierter und sehr beliebter Mensch gewesen.
Er hatte stets einen großen Bekanntenkreis und wurde mehrmals hintereinander zum Schülersprecher gewählt. Nicht wenige Male hatte er George aus einer unangenehmen Situation retten müssen, wenn dieser von den berüchtigten Schulschlägern geärgert wurde. Im Gegensatz zu George hat John kurzes, blondes Haar, blaue Augen und eine große, sportliche Figur. Diese hatte er sich in den zahlreichen Jahren als bester Schwimmer im Schulteam antrainiert. Neben dem Schwimmen war er auch im Basketball- und Fußballteam erfolgreicher Mitspieler bei Meisterschaften. George hingegen konnte dem Sport nichts abgewinnen. Mehrere Male hatte John versucht seinen Freund zu überreden, sich einer sportlichen Tätigkeit hinzugeben. Seine Versuche blieben vergebens.
„George weiß, wo unsere Sitze sind. Komm wir gehen schon mal rein.“ Die Stimme seiner Mutter riss John aus seinen Gedanken.
Gemeinsam gingen George, John und seine Mutter zu ihrem Tisch in der südlichen Ecke der großen Halle. Georges Mutter Mathilda Werkshire saß bereits auf ihrem Platz.
„Mathilda schön dich zu sehen!“ Johns Mutter umarmte sie kräftig.
„Wie lange ist es her Catherine?“
„Bestimmt zwei oder drei Jahre. Oder sind es schon vier?“
„Auf jeden fall war es zu lange“, stellte John fest. Er wollte das Geplänkel zwischen den beiden Damen unterbrechen, bevor diese sich gegenseitig emotional hochschaukeln konnten.
„Hallo John, charmant wie eh und je was?“ Mathilda zwinkerte mit ihrem Auge.
„Für mich war schon nach dem ersten Begrüßungssatz klar, dass ihr beiden euch über das Wiedersehen freut“, gab John mit seiner gewohnt frechen Tonlage zurück. Nachdem Sie sich hingesetzt hatten, fiel John auf, dass an ihrem Tisch alle Plätze belegt waren, bis auf einen Stuhl links von ihm.
„Komisch“, sagte er.
„Was ist komisch?“ George sah ihn fragen an.
„Naja, alle Stühle sind besetzt bis auf dieser hier.“
„Ah Moment, hier liegt ja auch ein Namenskärtchen. Vielleicht steht da ja drauf, wer hier sitzen soll.“ John griff nach dem in der Mitte gefalteten Pappschild, welche die Namen der einzelnen Gäste enthielten. Georges Augen wurden groß.
„John nicht ...“, rief er. Doch zu spät. John hatte die Karte bereits umgedreht und war erstarrt.
Auf der Karte war ein Name in geschnörkelter Schrift geschrieben.
Mr. Patrick Bride.
Der leere Platz war für seinen Vater reserviert worden.
„Ich wollte Sie noch weglegen, aber bei der ganzen Aufregung habe ich das total vergessen“, sagte George in einem entschuldigenden Tonfall.
„Wie kommt die Karte hier hin? Patrick ist schon seit längerer Zeit verschwunden. Das sollten die Organisatoren dieser Veranstaltung doch gewusst haben oder?“ Catherine starrte zu George hinüber.
„Das ist sicherlich nur ein blödes Missverständnis. Vielleicht hat sich auch einer der Spinner nur einen sehr makabren Scherz erlaubt“, gab George beschwichtigend zurück.
„Also das ist wirklich eine Frechheit.“ Mathilda stimmte mit ein.
„Bitte beruhigt euch. Es ist alles okay. Das war sicherlich kein Scherz, sondern nur ein Fehler.“ John nahm wieder Platz auf seinem Stuhl platz. George, Mathilda und Catherine taten es ihm nach.
„Er wäre sehr stolz auf dich mein Schatz.“
John schaute seiner Mutter ins Gesicht. Sie lächelte. Ein solches Lächeln hatte er in den letzten neun Jahren sehr selten bei ihr gesehen.
Überhaupt hatten die beiden zusammen in den letzten Jahren viel durchmachen müssen. John wird das Datum niemals vergessen. Es war der 12. Februar 2009. Der Tag an dem Patrick Bride spurlos verschwand. Seit dem haben John und Catherine kein Lebenszeichen mehr von ihm gehört. Er verlies wie gewohnt das Haus um 8:30 Uhr, um zur Arbeit zu fahren. Doch dort ist er nach offizieller Aussage seiner Firma nie angekommen. Patrick Bride arbeitete als Ingenieur bei der Future Engineering Ltd. in Oxford. Er sprach nicht sehr häufig über seine Arbeit. Das Einzige an das sich John erinnern kann ist, dass er immer sagte: „Dein Dad sorgt dafür, dass die Natur wieder aufatmen kann.“ Noch heute fragen sich John und Catherine, warum er verschwand und ob er überhaupt noch leben würde. Doch hierauf haben sie bisher keine Antworten bekommen. Die Ermittlungen der Polizei wurden innerhalb von vier Wochen auf Grund fehlender Beweise fallen gelassen. John kommt es heute noch so vor, als hätte man versucht, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen. Seine Mutter hatte ihm damals immer nahegelegt, dass dies Hirngespinste seien. Johns Therapeutin teilte diesen Gedanken und ergänzte, dass er mit diesen Verschwörungstheorien nur versuche, seine eigene gefühlte Ohnmacht zu kompensieren.
„Wo ist denn Steven?“ Wieder einmal rief ihn die Stimme seiner Mutter aus den Gedanken.
John stellte die Pappkarte wieder auf den Tisch.
„Steven hat es zeitlich leider nicht geschafft. Er ist beruflich in Dublin unterwegs“, antwortete Mathilda.
„Muss er immer noch so viel reisen?“, fragte Catherine.
„Seit er vor drei Jahren den neuen Job angenommen hat, ist er nur noch unterwegs. Er hat sogar die letzten Geburtstage von George verpasst.“
„Das ist schon in Ordnung“, unterbrach George.
„Ein paar Tage im Jahr kann er sich Urlaub nehmen. Und dann ist er hier bei uns in Oxford.“
„Was macht dein Vater eigentlich jetzt?“, fragte John.
„Nun, er ist ...“
„Im Vorstand einer größeren Computerfirma“, ergänzte Mathilda.
„Wow, dann hat er es echt geschafft.“ John bemerkte, dass seine Mutter beeindruckt zu sein schien.
„Ja, aber dafür hat er weniger Zeit für uns“, sagte Mathilda traurig.
„Wurde für Steven kein Stuhl in diesem Saal reserviert?“ John war verwundert.
„Nein. Ich habe dem Veranstaltungskomitee bereits vor drei Wochen mitgeteilt, dass mein Vater auf einer Dienstreise sein wird.“ George wirkte traurig.
Auch wenn er es niemals hätte zugeben wollen, die ständige Abwesenheit seines Vaters nahm ihn mit. Die Deckenbeleuchtung des Saals wurde gelöscht. Die Feierlichkeit begann. In den darauf folgenden neunzig Minuten wurden Zeugnisse verteilt, Hände geschüttelt und Hüte in die Luft geworfen. John hatte neben seinem Zeugnis noch zwei weitere Ehrungen erhalten. Eine für sein soziales Engagement als Schülersprecher und eine weitere für seine sportlichen Verdienste im Schwimmer, Fußball- und Basketballteam der Schule. Nach der Verleihung ging John nach draußen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien. Der Himmel war wolkenlos. Er setzte sich auf eine der Bänke vor dem Hauptgebäude.
In Ruhe betrachtete er sein Abschlusszeugnis.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ John hatte bisher gar keine Notiz von dem Mann genommen, der plötzlich vor ihm stand. Er war großgewachsen, hatte eine schlanke Statur und kurze graue Haare. Er trug einen beigefarbenen Trenchcoat und eine schwarze Anzugshose, dazu ein paar schwarze Herrenschuhe.
„Natürlich. Setzen Sie sich. Es ist genug Platz da.“
Der Mann setzte sich und steckte sich eine Pfeife an. Es roch nach würzigem Tabak mit einer frischen Holznote. Er kannte den Geruch noch aus seiner Kindheit. Sein Großvater hatte auch eine solche Pfeife geraucht. Meistens nach dem Mittagessen.
„Es ist wahrlich ein schöner Tag. Nicht wahr, Mr. Bride?“
„Woher kennen Sie meinen Namen?“ John war verdutzt. Er musterte den Fremden kritisch.
„Die Menschen sprechen sehr viel über Sie“, säuselte der Mann, während er weiterhin seine Pfeife rauchte.
„Verzeihen Sie, aber haben wir uns schon einmal gesehen?“ John dachte, die Stimme von irgendwoher zu kennen. Auch die Statur des Mannes kam ihm bekannt vor.
„Wohl kaum. Aber ich muss gestehen, dass ich nicht rein zufällig hier vorbei gekommen bin.“ Der Mann nahm die Pfeife aus dem Mund und drehte seinen Kopf zu John.
„Mein Name ist Forester O’Donelley und ich komme im Auftrag der GreenCell Ltd.“
„Die GreenCell Ltd.? Wieso? Habe ich was verbrochen?“ John starrte den Mann verwirrt an.
„Ohnein, Mr. Bride. MeinBesuch hat wahrlich andere Gründe. Sie haben uns einen netten Brief geschrieben.“ Der Mann schmunzelte.
„Sie sprechen von meiner Bewerbung?“
„Exakt. Ich wollte Sie fragen, ob Sie eventuell Interesse hätten, an einem dualen Masterstudiengang an der GreenCell University in Dublin teilzunehmen?“
„Wow. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Es gibt jährlich so viele Bewerber auf die Studienplätze. Warum haben Sie sich für mich entschieden?“
„Naja, um ehrlich zu sein, rekrutiert die GreenCell University ihre Kommilitonen ein wenig anders als gewöhnliche Universitäten.“
„Wie meinen Sie das?“ John wurde neugieriger.
„Studenten können sich nicht bei der GreenCell University bewerben.
Sie werden auserwählt.“
Der Mann starrte John tief in die Augen. Irgendetwas Geheimnisvolles umgab diesen Mann, was John auf irgendeine Art und Weise faszinierte.
„Und was hat es mit dieser Auserwählung auf sich? Ich habe zwar von einem Auswahlverfahren gehört, aber so wie Sie das aussprechen, klingt das Ganze in meinen Augen fast schon wie eine Art Sekte oder so etwas in der Richtung.“
O’Donelley begann zu lachen.
„Ich mag ihren Sinn für Humor, Mr. Bride. Aber ich kann ihnen versichern, dass es sich bei der GreenCell University um keine Sekte handelt. Vielmehr ist die GreenCell University eine der besten Eliteuniversitäten der Welt. Außerdem ist Sie bekannt für ein exklusives, duales Masterprogramm dem…“
„Master of New Business and Technology”, ergänzte John. „Korrekt, Mr. Bride. Scheinbar haben Sie schon von diesem Ausbildungskonzept gehört?“
„Ob ich davon gehört habe? Die ganze Welt spricht darüber. Nur war mir bisher nicht bewusst, wie genau die bisherigen Studenten an ein Stipendium gekommen waren. Ich hatte einfach nur ein mehrseitiges Motivationsschreiben an die Universität geschickt, in der Hoffnung, dass ich die Aufmerksamkeit der leitenden Dekane bekomme.“
„Nun, das spricht selbstverständlich nur für uns und die GreenCell Ltd.“
Der Mann griff in die rechte Tasche seines dünnen Trenchcoats und zog einen Briefumschlag hervor. „Hier das ist für Sie.“
John nahm den Umschlag entgegen und betrachtete ihn. Es war ein kleiner, schwarzer Umschlag, welcher jedoch aus einem anderem Material bestand als herkömmliches Papier. Auf der Vorderseite waren goldene Buchstaben zu sehen. Diese formten in einem kalligrafischen Stil den Satz „Du bist auserwählt worden“. Auf der Rückseite konnte John erkennen, dass der Brief mit einer grünen Wachsgravur versiegelt worden war. Die Gravur zeigte das Emblem der GreenCell University.
„Was soll das sein?“
„Dies ist ihre Einladung“, entgegnete der Mann nachdem er einen weiteren Zug aus seiner Pfeife genommen hatte. „Einladung? Wofür? Ich verstehe das alles nicht.“
„So geht es allen neuen Rekruten am Anfang, Mr. Bride. All ihre Fragen werden sich mit der Zeit von selbst beantworten. Öffnen Sie diesen Brief und dann wissen Sie mehr.“
Der Mann reichte John die Hand.
„Es tut mir leid, dass ich Sie so abrupt verlasse. Ich habe jedoch noch die ein oder andere Kleinigkeit zu erledigen, bevor ich zurück nach Dublin Reise.“ Der mysteriöse Fremde erhob sich, machte auf seinem Absatz kehrt und ging.
„Was mache ich mit dieser Einladung?“, rief John dem seltsamen Mann hinterher, doch seine letzten Worte waren „Auf Wiedersehen, Mr. Bride“. Nun saß er da. Völlig verwirrt und mit zahlreichen Fragen.
Jedoch wusste er, was zu tun war, um wenigstens einen Bruchteil der Fragen zu beantworten. Er musste den Briefumschlag öffnen um zu erfahren, welcher Inhalt sich in diesem befand. Doch wer war dieser merkwürdige Mann von gerade eben? Wieso kam er ihm so vertraut vor? Irgendetwas tief in seinem Inneren sagte ihm ...
... dass er diesem mysteriösen Mann sicherlich erneut begegnen würde.
17. September 2018
Eingangshalle | GreenCell University | Dublin | Irland
Die Universität lag ein wenig außerhalb von Dublins Innenstadt, verfügte jedoch über eine sehr gute infrastrukturelle Anbindung. Dadurch war es keinerlei Problem, die Stadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu durchqueren. Das Gebäude war ein einziges Kunstwerk. Es wurde von Ronald Rearry, einem in Irland sehr berühmten Architekten, entworfen und gebaut. Insgesamt waren es drei miteinander verbundene Gebäude.
Das Hauptgebäude oder die Operation Hall, wie sie ebenfalls genannt wurde, sah aus wie eine gigantische Pyramide. Diese enthielt den gesamten Campus mit allen Fakultäten. Den Namen hatte sie geerbt, da hier alle Vorlesungen, Forschungen und der sonstige tägliche Betrieb stattfanden. Die Mensa befand sich auch in diesem Bereich.
Das Bauwerk wurde von imposanten und stilvoll gestalteten Säulen aus Stahl gestützt und die gesamte Fassade bestand aus transparenten Solarzellen, die von weitem wie Glas aussahen. Auch im Inneren fand man ein futuristisches Design vor. Überall konnte man Mixturen aus transparenten Glas- und gehärteten Metallelementen sehen.
Pflanzen wuchsen und gediehen in großer Vielfalt und dienten als natürliche Dekoration. Auch die Technik konnte sich sehen lassen.
Die Universität war an einen riesigen Zentralrechner angeschlossen, welcher die Universität steuerte und überwachte. An einigen Stellen waren Flachbildschirme zu sehen und es gab keine einzige Tür in dieser Universität, die nicht voll automatisch öffnete. Türklinken oder ähnliches gab es nicht. Jeder Student bekam ein personalisiertes Armband, welches seine Matrikelnummer und andere persönliche Daten gespeichert hatte. Mit Hilfe dieser Daten war der Zentralrechner im Stande bestimmte Sektionen des Gebäudes zu verschließen, zu welchen die Studenten keinen Zutritt hatten. Hierzu gehörten vor allem der Bereich der Dozenten und der Forschungstrakt. Die beiden Nebengebäude, welche sich jeweils rechts und links von der Operation Hall erstreckten, erinnerten an zwei gläserne, spiralförmige Säulen, die sich in den Himmel bohrten. Man nannte diese Bereiche auch die Chosen Area. Beide Gebäude waren über einen gläsernen Bogen mit der Operation Hall verbunden. In der Chosen Area waren die Quartiere der Studenten untergebracht. Die GreenCell University hielt an dem Konzept fest, dass ihre Studenten der Universität verbunden und finanziell unabhängig sein sollten. So sollte effizienteres Lernen gefördert und die unnötigen Ausgaben für Miete abgeschafft werden.
Das Konzept gefiel John. Als er das erste Mal die Operation Hall betrat, wurde er bereits erwartet. Dies verwunderte ihn nicht, da es in das Konzept und bisher Gewohnte passte. Jeder Schritt den die GreenCell University unternahm schien bis ins kleinste Detail durchstrukturiert und berechnet gewesen zu sein. Eine junge Dame und ein älterer Herr nahmen John in Empfang.
„Guten Tag, Mr. Bride. Wir freuen uns, Sie zu sehen“, sagte der ältere Mann.
„Mein Name ist Professor Doktor Bernard Duprais. Ich bin der Rektor der GreenCell University und die junge Dame zu meiner rechten ist Frau Professor Doktor Jelena Bobrow. Sie ist Dekanin für das Modul New Energy Management und wird ihnen als Mentorin während ihres Studiums zur Seite stehen.“
„Es freut mich, Sie kennenzulernen“, ergänzte Professorin Bobrow.
Beide trugen weiße Roben mit einem grünen Wappen der GreenCell Univerity auf der Brust. Ergänzt wurde diese durch einen grünen Schal, welche sich beide um den Hals gelegt hatten und grüne Slipper.
„Irritiert Sie unsere Bekleidung, Mr. Bride?“ Professor Duprais hatte die forschenden Blicke von John wahrgenommen.
„Nein, nein. Es ist alles nur so… naja…“
„Anders?“, fiel ihm Professorin Bobrow ins Wort.
„Ja, irgendwie schon. Ich bin erstaunt, dass alles so stimmig und perfekt wirkt.“
„Perfekt? Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung, Mr. Bride?“
„Jedes Detail scheint genau aufeinander abgestimmt zu sein. Das Gebäude mitsamt der Architektur und Ihre Kleidung. Alles ist so hell und grün. Es ist fast wie im…“
„Paradies?“ Erneut fiel Professorin Bobrow John ins Wort.
An ein Paradies hatte John nicht direkt gedacht. Vielmehr wirkte es auf ihn etwas beängstigend.
„Unsere Studenten lassen häufiger verlauten, dass sie diesen Ort für eine Art Paradies halten. Über eine solche Rückmeldung freuen wir uns sehr. Denn für unsere Lehreinrichtung ist ein gutes Image nach außen hin genau so wichtig, wie nach innen. Habe ich nicht Recht, Professor Doktor Bernard?“
„Exakt, Professorin Bobrow. Wir wollen uns in gewisser Weise auch an die Unternehmensphilosophie der GreenCell Ltd. anpassen und ihre Werte aufgreifen.“
John ersparte es sich, die beiden über seinen eigentlichen Gedankengang aufzuklären. Er fand nicht, dass die Universität und die einheitlichen Uniformen wie das Paradies wirkten. Viel mehr hatte er ein beengendes Gefühl. Es wirkte eher wie ein Gefängnis aus Glas und Stahl. John versuchte den Gedanken zu verdrängen. Er hörte die Stimme seiner ehemaligen Therapeutin.
„John, das bildest du dir nur ein. Hier ist alles in Ordnung. Versuche dich aus deiner Ohnmacht zu befreien und neue Dinge zuzulassen.“
Die Stimme hallte immer und immer wieder durch seinen Kopf.
„Alles in Ordnung, Mr. Bride?“
„Oh ja. Ich war nur beeindruckt von der Architektur.“
„Sie sprachen gerade von den Werten der GreenCell Ltd. Welche genau sind das?“
„Exzellente Frage, Mr. Bride. Schauen Sie sich doch mal die Steintafel auf dem Boden unter Ihnen an.“ John folgte mit seinen Augen dem Finger von Professorin Bobrow. Er hatte die steinerne Platte unter seinen Füßen gar nicht registriert. Sie war im Boden eingelassen und von einer Plexiglasscheibe geschützt. John sah sich die einzelnen Wortean, die in geschwungenen, goldenen Buchstaben eingraviert waren.
Die DNA der GreenCell Ltd.
Wir Menschen sind Brüder und Schwestern und alle gleich
Wir arbeiten kollegial, verfolgen ein Ziel, ziehen an einem Strang
Wir streben nach alternativen Energien, um eine gesunde Zukunft
für unsere Kinder zu gestalten
Wir wollen alle Menschen mit genügend sauberer Energie versorgen
Wir lehnen jede Form der Umweltverschmutzung ab
Wir lassen die Natur wieder atmen
Der letzte Satz ließ John erstarren. Er kannte diesen Satz nur zu gut.
Dennoch hatte er diesen nie verstanden.
„Stimmt etwas nicht, Mr. Bride?“
„Ich denke gerade über den letzten Satz nach. Wie kann ich diesen verstehen?“
„Nun, mit der Solarzelle GreenCell versucht die GreenCell Ltd. die Energieversorgung der Weltwirtschaft zu revolutionieren. Die Menschen sollen auf saubere Solarenergie umsteigen und somit mehr zum Klimaschutz beitragen“ antwortete Professorin Bobrow.
„Wissen Sie, mein Vater hat mir diesen Satz auch immer wieder gepredigt. Jedes Mal, wenn ich ihn gefragt habe, was er denn so beruflich macht.“ John blickte wieder hoch zu Professor Duprais und Professorin Bobrow.
„Aber das ist eine alte Geschichte.“ John verdrängte die Gedanken an seine Vergangenheit.
„Ich hörte, der Firmensitz der GreenCell Ltd. sei hier irgendwo in der Nähe?“
„Ganz Recht Mr. Bride. Die Firmenzentrale werden Sie noch früh genug sehen. Falls Sie Interesse daran haben, könnte Professorin Bobrow ihnen nachher zunächst das Gelände der Universität zeigen?“
„Sehr gerne!“ John spürte eine starke Neugier in sich aufsteigen.
„Dann ist es beschlossen. Ich überlasse Sie dann ab jetzt Professorin Bobrow. Falls Sie irgendwelche Fragen haben sollten, können Sie mich gerne in meinem Büro besuchen. Es befindet sich im Trakt A, Ebene 7 Raum 10. Aber ich denke, Professorin Bobrow wird ihnen beim Rundgang mein Büro zeigen.“
Professor Duprais machte eine verabschieden Geste und verließ John und Professorin Bobrow.
„Gut, dann wollen wir erst einmal die administrativen Dinge klären.
Im Anschluss führe ich Sie ein wenig herum, Mr. Bride.“ fuhr Professorin Bobrow nach kurzer Pause fort.
John begleitete Professorin Bobrow zum Studentenbüro, wo er seine Uniform und sein Armband bekam. Auf diesem waren seine persönlichen Daten gespeichert. Die Uniform bestand aus einem weißen Hemd, einem Pullunder mit grün-weißem Karomuster, einer weißen Hose und grünen Schuhen mit weißen Schnürsenkeln.
„Die Uniformen der Studenten sehen gar nicht mal so schlecht aus.
Was mich jedoch wundert ist, dass mir diese auf den Zentimeter genau passt.“ John hatte noch nie eine so perfekt sitzende Kleidung getragen.
„Wir haben ihre Größe bereits bei der Einstellungsuntersuchung aufgenommen und die Kleidung maßgeschneidert, um für höchsten Tragekomfort zu sorgen.“ Professorin Bobrow hatte Johns indirekte Frage verstanden. Nachdem auch die restlichen administrativen und formalen Dinge geklärt waren, begann Johns Rundführung durch alle drei Bereiche der GreenCell University. Professorin Bobrow zeigte John fast jeden Raum. Einige Einrichtungen hinterließen einen besonders bleibenden Eindruck bei ihm. Da war zum einen das physiotherapeutische Sportzentrum. Dieses verfügte über ein eigenes Schwimmbad mit einem Wellensimulator, einen großen Sportplatz mit Laufbahn und ein eigenes Fitnessstudio mit allen möglichen, modernen Trainingsgeräten. Eine kleine Skihalle und sogar ein Ärztezentrum, in welchem diverse Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt wurden, gehörten ebenfalls zur Einrichtung.
„Warum hat die Universität ein so großes Sportzentrum?“ John war erstaunt über die Größe.
„Wir an der GreenCell University bilden nur die Elite der Absolventen aus. Um zur Elite zu gehören, müssen die Studenten in unserem Bewusstsein nicht nur mental, sondern auch physisch in einer sehr guten Verfassung sein. Unsere Studenten sind zu einem Großteil auch Leistungssportler.“
John war fasziniert.
„Ich hörte Sie seien ein guter Schwimmer, Mr. Bride?“
„Das könnte man so sagen“, antwortete John.
„Dann haben Sie vielleicht Interesse an den Schwimmmeisterschaften teilzunehmen oder im Wasserballteam der GCU mitzuspielen?“ Professorin Bobrow lächelte.
„Das könnte eine Option für mich sein.“ John war nicht entgangen, dass sich Professorin Bobrow gut vorbereitet hatte. Vermutlich kannte Sie jede von Johns Zeugnisnoten auswendig. Der Rundgang wurde fortgesetzt und John sah die Forschungsstation, das universitätseigene Krankenhaus und das Gewächshaus, in welchem alle möglichen exotischen Pflanzen und Gewächse gezüchtet wurden. Über der gesamten Fläche, die John bisher überquert hatte, prangte die riesige Glaspyramide. Er fragte sich, was eine solch gewaltige Konstruktion wohl wiegen und wie die Statik des Materials funktionieren würde.
Doch noch mehr verwunderter ihn die Stille auf den Gängen.
„Wo sind eigentlich all die anderen Studenten? Ich meine, wir haben fast die ganze Universität durchquert aber noch keinen einzigen Studenten gesehen. Es ist irgendwie auch sehr ruhig hier, wenn ich das anmerken darf.“ John fand diesen Umstand sehr merkwürdig.
„Die Studenten? Die sitzen entweder in ihren Vorlesungen oder arbeiten bei der GreenCell Ltd., um ihren praktischen Teil des Studiums zu absolvieren“, erklärte Professorin Bobrow.
„Alle Studenten haben zur selben Zeit Vorlesungen und halten sich nur während der Pausen in den Fluren und Gängen der Universität auf“, ergänzte sie gelassen.
„Wo Sie gerade davon sprechen. Die Eröffnungsveranstaltung für die neuen Master Studenten beginnt in wenigen Minuten und dort haben Sie auch die Gelegenheit ihre neuen Kommilitonen kennenzulernen.
Die Anderen sind bereits in den letzten Tagen angereist.“
„Sehen Sie den gelben Bereich auf der Karte?“ Professorin Bobrow lächelte und zeigte auf einen Bildschirm hinter sich.
„Ja“, entgegnete John.
„Dort findet Ihre erste Vorlesung statt. Kommen Sie mit mir ...“
„... ich bringe Sie kurz hin.“
17. September 2018
Hörsäle | GreenCell University | Dublin | Irland
Nach etwa fünf Minuten Fußmarsch hatte John sein Ziel erreicht. Die Veranstaltung fand in einem der drei großen Hörsäle statt. Geleitet wurde Sie von Professor Doktor Isaac Stones, welcher sich als Dekan für den Bereich Strategical Environment and Stakeholder Management auswies. Der große Saal war komplett gefüllt. Es hatten sich einhundertzwanzig Studenten versammelt und sie alle trugen bereits ihre neuen Uniformen. Alle Sitzplätze waren belegt und Niemand musste stehen. Dies passte wieder in die akribisch aufbereitete Außendarstellung der GCU dachte John. Professor Stones stellte grob die Inhalte des Studiums, einzelne Steckbriefe von Dozenten und den Umfang des Praktikums vor. Das Studium umfasste insgesamt vier Semester und wurde in Theorie- und Praxisphasen unterteilt.
Diese wechselten sich in einem Rhythmus von vier Wochen ab. Die Theoriephasen wurden in Form von Vorlesungen an der GCU abgehalten und die Praxisphasen mit konkreten Tätigkeiten bei der GreenCell Ltd. Anstehende Hausarbeiten wurden während der Praxisphasen über Inhalte der eigenen Tätigkeit bei der GreenCell Ltd. verfasst. Doch nicht nur dieser Umstand zeigte John, dass der Studiengang gut strukturiert war. Nach jedem Theorieblock wurden die Studenten in einer Fachabteilung bei der GreenCell Ltd. eingesetzt, die dasselbe Kernthema bearbeitete. Besonders auffällig war, dass die Studenten der GCU aus aller Welt hergekommen waren, um hier ihren Master zu absolvieren. Dies schlussfolgerte John aus den verschiedenen Hautfarben, Akzenten und Gesprächen, die er nach der Eröffnungsveranstaltung geführt hatte. Sein Zimmergenosse war Weng Chu. Er hatte zuvor an der Shanghai University of Finance and Economics seinen Bachelor Abschluss in New Business Management mit Bestnoten bestanden und war genauso wie John „rekrutiert“ worden.
„Wie genau bist du an dieses Stipendium gekommen?“, fragte John seinen neuen Freund Weng, nachdem sie gemeinsam die Halle verlassen hatten.
„Es war ziemlich eigenartig. Da tauchte plötzlich dieser Mann aus dem Nichts auf und gab mir diesen Umschlag. Darin war eine Einladung.“
„War er groß, schlank und hatte kurze graue Haare?“
„Er war auf jeden Fall groß und schlank. Seine Haare konnte ich nicht sehen, da er einen Hut getragen hatte. Was mich jedoch am meisten irritierte war, dass er sich als Hyoto Ishitawa vorstellte.“
„War der Mann ein Chinese?“, bohrte John nach.
„Genau das ist es ja. Er hatte ziemlich starke europäische Gesichtszüge und doch sprach er akzentfrei Chinesisch. So etwas habe ich vorher auch noch nie erlebt.“ Weng lehnte sich mit dem Rücken an eine der Glaswände und grübelte.
„Da war noch etwas. Irgendetwas war noch seltsam an diesem Typen.“
Weng schien in sich hineinzuhorchen.
„Er wusste irgendwie alles über mich, meinen Namen, wo ich herkomme, meine Referenzen. Er wusste einfach …“
„… alles?“, unterbrach ihn John
„Genau wie bei mir. Er sprach zwar nicht viel, jedoch wusste er meinen Namen und er sagte, dass er bereits von mir gehört hätte.“
„Das ist irgendwie schauderhaft. Findest du nicht John?“
„Ja, irgendwie schon.“
17. September 2018
Chosen Area | GreenCell University | Dublin | Irland
Professorin Bobrow zeigte den beiden Neuankömmlingen ihr Quartier. Weng war kurz vor John angereist und hatte sein Schlafgemach ebenfalls noch nicht gesehen. Sie wohnten in einem von mehreren Schlafbereichen. Ihr Bereich war der Sektor 2B. Weng war zufälligerweise Johns Zimmergenosse. Die beiden bekamen von Professorin Bobrow neue Laptops ausgehändigt.
„Wofür brauchen wir die?“, fragte Weng überrascht.
„Sie werden merken, dass wir hier keinerlei Papier benötigen, um unser Wissen zu vermitteln. Wir nutzen ausschließlich die neuesten Medien. Alle Hausarbeiten und Schulunterlagen werden digital angefertigt und aufbewahrt. So schützen wir natürliche Ressourcen.“
„Hier ist wirklich alles sehr fortschrittlich.“
John fühlte sich wie in einem dieser Science-Fiction Filmen, in welchen die modernsten Technologien genutzt wurden und alles voll automatisiert ablief. Das es so etwas jedoch wirklich geben sollte, hätte er sich niemals denken, geschweige denn vorstellen können.
„Wir haben jetzt exakt elf Uhr dreiundzwanzig. Ihre erste thematische Vorlesung beginnt um dreizehn Uhr. Diese werden Sie bei mir haben.
Ich lasse Sie nun ein wenig alleine und wir treffen uns heute Mittag um punkt dreizehn Uhr im Hörsaal H1“, sagte Professorin Bobrow, nachdem Sie auf ihre Armbanduhr geschaut hatte. Sie ging in Richtung Ausgang und drehte sich vor dem Verlassen der Tür noch einmal um.
„Ach ja, und seien sie bitte pünktlich. Unpünktlichkeit wird an dieser Universität nicht geduldet.“ Obwohl Professorin Bobrow dabei lächelte, fühlten John und Weng einen eiskalten Schauer über ihre Rücken laufen. Dieser lies erst nach, nachdem Professorin Bobrows Schritte nicht mehr zu hören waren. Weng ließ sich rückwärts auf sein Bett fallen.
„Ich werde ganz sicher nicht zu spät zur Vorlesung erscheinen.“
Weng starrte an die Decke.
„Da gebe ich dir vollkommen Recht. Es scheint keine besonders gute Option zu sein, die Vorlesungen zu verpassen.“ John war froh, dass er nicht der Einzige war, der ein mulmiges Gefühl hatte. Vielleicht war es auch nur die Aufregung. Immerhin hatte er es an die GreenCell University geschafft.
„Die kommenden Tage werden viele spannende Dinge offenbaren und offene Fragen klären. Dann legt sich sicherlich auch meine Nervosität.“
Mit diesem Gedanken legte sich John in sein Bett, um ein wenig zu dösen.
12. Juni 2018
Madang Road | Shanghai | China
Das Türschloss knarrte als Weng den Schlüssel umdrehte. Er hatte mehrmals versucht seinen Schlüssel in das kleine Schloss zu drücken, doch dies gestaltete sich auf Grund des Rostes als sehr schwierig.
„Mutter, wir müssen unbedingt dieses Schloss austauschen. Ich komme mit meinem Schlüssel kaum noch in die Wohnung.“ Weng schloss die Türe und ging ins Wohnzimmer. Es roch nach seinem Lieblingsessen, Pekingente süßsauer.
„Wir haben Besuch Schatz“, sagte Wengs Mutter als dieser das Wohnzimmer betreten hatte.
Auf der Couch saß ein großer, schlanker Mann. Er trug einen schwarzen Hut, einen blauen Mantel, sowie schwarze Handschuhe. Seinem Gesicht nach zu urteilen, war er bereits um die fünfzig oder sechzig Jahre alt.
„Guten Abend. Sie müssen Mr. Chu sein, richtig?“ fragte der Mann.
„Ja, das ist richtig. Weng Chu. Sehr erfreut.“ Weng reichte dem Mann seine Hand.
„Der Mann hat gute Neuigkeiten Weng.“ Wengs Mutter schien sichtlich aufgeregt zu sein.
„Ach ja?“ Weng war irritiert.
„In der Tat, Mr. Chu.“ Weng konnte den Mann und seinen Gesichtsausdruck nicht einschätzen.
Seinem Gesicht nach zu urteilen, war er Europäer, jedoch sprach er akzentfreies chinesisch.
„Entschuldigen Sie die Frage, aber kommen Sie aus China?“
„Weng. Sei bitte nicht so unhöflich“, fauchte seine Mutter.
„Das ist kein Problem, Ms. Chu.“ der Mann hob beschwichtigend seine Hand.
„Lassen sie mich Ihnen kurz vorstellen. Mein Name ist Hyoto Ishitawa. Und in der Tat bin ich Chinese. Meine Mutter war jedoch eine Engländerin und nur mein Vater Chinese.“
„Das erklärt ihr akzentfreies Chinesisch“, schlussfolgerte Weng.
„Mr. Chu, ich habe leider nicht sehr viel Zeit. Aber ich habe hier etwas für Sie.“ Der Mann kramte in der Tasche seines Mantels und fischte einen schwarzen Briefumschlag aus diesem heraus.
„Dies, Mr. Chu, ist ihre persönliche Einladung.“
„Einladung wozu?“ Weng griff nach dem Brief.
„Lassen Sie mich Ihnen nur noch eines sagen, bevor Sie den Brief öffnen.“
Weng schaute den Mann gespannt an.
„Sie sind einer von Wenigen, Mr. Chu und das hat einen Grund. Sie gehören zu den Besten, die wir finden konnten.“ Der Mann überreicht Weng den Briefumschlag und erhob sich vom Sofa.
„Wollen Sie nicht zum Essen bleiben?“, fragte Wengs Mutter.
„Es tut mir aufrichtig leid, Ms. Chu, aber ich habe noch einige wichtige Dinge zu erledigen.“ Der Mann öffnete die Haustür.
„Es hat mich gefreut, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Mr.
Chu. Alles was Sie wissen wollen, können Sie dem Briefumschlag entnehmen.“
Der Mann verließ die Wohnung mit einem „Gute Nacht“ und schloss die Türe. Aufgeregt drehte Weng den Umschlag um. Das Material fühlte sich eigenartig an. So etwas in der Art hatte er bisher noch nicht in Händen gehalten. Er inspizierte den Umschlag, als ihm etwas Besonderes ins Auge fiel.
Auf der Rückseite war ein grünes Siegel mit dem Emblem der GreenCell University aufgedruckt.
17. September 2018
Hörsaal H1 | GreenCell University | Dublin | Irland
Nachdem sich John und Weng etwas ausgeruht hatten, begaben sie sich zum Hörsaal H1. Sie waren überpünktlich, um kein Aufsehen zu erregen. Als sie den Raum betraten, waren John und Weng erneut von der technischen Ausstattung und der Inneneinrichtung des Saales fasziniert. Die Decke des Saales bestand aus einer großen, nach außen geformten Glaskuppel, welche mit mehreren Metallstiften durchzogen war. Das Podium der Dozenten war ebenfalls aus Glas gefertigt. Direkt hinter dem Podium konnte man eine große rechteckige Glasscheibe erkennen. Die Scheibe hatte eine Diagonale von fünf Metern und wirkte imposant. An der linken unteren Ecke schien diese verkabelt zu sein.
„Was ist das?“, fragte John.
„Das ist echt unglaublich. Ich hatte davon gelesen. Das ist mit Sicherheit eines dieser Ionenrück projektions displays“, erklärte Weng.
„Dieses Ding soll ein Display sein? Wie soll denn so etwas funktionieren?“
„Nun ja, ich habe auch nur wenige Informationen aufschnappen können. Soweit ich weiß, ist es eine Art Spezialglas, welches aus einer Mischung der LCD und EPD Technologien besteht. Wie genau das funktionieren soll, weiß ich jedoch leider auch nicht so genau.“
John verstand nicht ein Wort von dem, was Weng ihmerzählte. Weng näherte sich dem Glaskonstrukt, um es von der Seite zu betrachten.
„Wirklich sehr spannend. Bis auf das eine Kabel hier unten links, kann ich keinerlei Technik erkennen. Wie funktioniert dieses Display nur? Auch das Glas sieht nicht präpariert oder anders aus.“ Weng war in seinem Element. Er hatte John erzählt, dass er ein wahrer Technikfreak sei. Die Passion hatte er von seinem Vater übernommen, der ein eigenes Elektronikgeschäft in Shanghai führte. Er sei in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen und seine Familie hatte sehr lange gespart, um seine bisherige Ausbildung finanzieren zu können. In sofern war Weng auch überaus dankbar für das Stipendium an der GCU So hatte er eine Chance bekommen, sich bei seiner Familie und vor allem seinem Vater, der immer an ihn geglaubt hatte, zu revanchieren.
Johns Gründe waren anderen Natur und weniger herzzerreißend. Er war schlichtweg fasziniert vom Ruf der GCU und suchte eine weitere Station, die sich gut in seinen bisherigen Lebenslauf einfügen würde.
Mit der Zeit füllte sich der Raum und die Studenten nahmen auf den Stühlen Platz. Doch die Studenten hatten keine freie Platzwahl.
Auf der Rückenlehne eines jeden Stuhls war ein kleiner Bildschirm eingefasst, welcher den Namen und die Matrikelnummer des Studenten anzeigte. Zu Beginn der Vorlesung erklärte Professorin Bobrow, dass dies nun ihr fester Platz für die gesamte Zeit des Studiums sei. Ziel sei es eine gewohnte und personalisierte Lernumgebung zu schaffen.
Dabei lege die Universitätsleitung mehr Wert auf gefestigte und engere soziale Kontakte zu den direkten Sitznachbarn, als auf einen offenen Austausch mit diversen Kommilitonen. Glücklicherweise saß Weng direkt rechts neben John. Zu seiner linken saß Marik El Sayed, ein junger Ägypter, welcher zuvor an der Al-Azhar-Universität in Kairo studiert hatte. Auch seine anderen direkten Sitznachbarn kamen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen. Da waren z.B. Magnus Brendstroem aus Schweden, Ramon Hernandez aus Mexiko und Paul Wilker aus Amerika. Was außerdem auffiel war, dass nur Männer rund um John herum saßen. Dies lag jedoch nicht daran, dass nur wenige weibliche Studentinnen an der GCU studierten. Der Hintergrund hierfür war, dass die männlichen und weiblichen Studenten in den Hörsälen strikt getrennt wurden. Jeder Hörsaal bestand aus zwei großen Blöcken, welche durch einen größeren Freiraum unterteilt wurden. In dem einen Block saßen die männlichen Kommilitonen und in dem anderen die weiblichen. Da beide Blöcke außerdem gleich groß waren, verleitete dies John zu der Schlussfolgerung, dass die Männer- und Frauenquote an dieser Universität identisch sein mussten.
„Haben Sie noch irgendwelche Fragen administrativer Bedeutung, bevor wir mit der Vorlesung beginnen?“, fragte Professorin Bobrow, die ihre Einleitung mittlerweile beendet hatte.
John hob seine Hand.
„Ja, Mr. Bride, ich höre …“
„Verzeihen Sie die Frage, Professorin Bobrow, aber wieso sitzen wir hier in zwei verschiedenen Blöcken?“
„Die Antwort ist denkbar simpel. Die GreenCell University legt großen Wert auf Gerechtigkeit und Gleichheit. Hierzu gehört selbstverständlich auch die Gleichheit und Gerechtigkeit unter den menschlichen Geschlechtern. Deshalb haben wir auch genauso viele männliche Studenten, wie weibliche. Dies gilt natürlich auch für die Dozenten und Dekane und ebenso für die Leitung dieser Einrichtung. Wir nennen diese Maxime die Dual Gender Policy. Sonst noch fragen bevor wir beginnen?“ Professorin Bobrow hatte Johns Frage nicht genau beantwortet.
Er hatte nach der Geschlechtertrennung gefragt und nicht nach der Gleichberechtigung. In diesem Augenblick wurde John zudem eines bewusst. Es war die Art und Weise wie Professorin Bobrow sprach, was sein Unbehagen erzeugte. Sie machte den Eindruck, als sei alles was sie erzählte und erklärte das natürlichste der Welt. Sie stand zu hundert Prozent hinter dem, was sie tat. Doch war dies auch ihr freier Wille? John fragte sich, wie es zu dieser Überzeugung gekommen sein konnte.
„Also gut. Wenn keine Fragen mehr im Raum stehen, dann können wir ja mit dem Unterricht beginnen.“ Professorin Bobrow drehte sich zu der großen Glasscheibe und berührte diese an einem der unteren Enden. Das Display began zu leuchten. Blitze zuckten durch die Scheibe und wenige Millisekunden später war ein klares Bild auf der Scheibe zu erkennen. Es zeigte den Sitzplan des Hörsaales.
Die einzelnen Sitze wurden durch ein kleines Viereck dargestellt, in welchem Nummern eingetragen worden waren. Die Nummern spiegelten die Matrikelnummern der Studenten wider. Bis auf drei Ausnahmen waren alle Felder grün markiert. Die anderen waren rot markiert. Plötzlich drehte sich Professorin Bobrow um.
„Student Nr. 12756. Wo ist ihr Sitznachbar?“ fragte sie und zeigte dabei auf einen von Johns Kommilitonen.
„Verzeihung Ms., meinen Sie mich?“, säuselte ein junger Mann aus einen der hinteren Reihen. Er klang hörbar erschrocken.
„Haben Sie die Matrikelnummer 12756?“
„Ja, das habe ich.“
„Dann meine ich Sie. Wieso ist ihr Sitznachbar nicht in dieser Vorlesung?“
„Ich weiß es leider nicht, Ms. Bobrow.“
„Ist dieser Kommilitone nicht sogar ihr Raumnachbar Nr. 12756?“, hakte Professorin Bobrow nach. Allein die Tatsache, dass sie den Kommilitonen nur mit seiner Matrikelnummer ansprach, zeigte John, dass Professorin Bobrow ganz klar zwischen beruflichen und privaten Dingen differenzieren konnte. Sie würde sicherlich keinen Kuschelkurs während des Studiums einschlagen. Doch warum hatte sie dann John beim Nachnamen angesprochen? Sicherlich lag es daran, dass sie Johns Mentorin war. Zudem konnte sie sich ja nicht den Namen jedes einzelnen Studenten einprägen. Dafür waren es einfach zu viele.
„Ja, Ms. Bobrwow, wir teilen uns ein Zimmer“, erklärte der junge Mann aus einen der hinteren Reihen verlegen. Mittlerweile hatten sich alle Kommilitonen zu ihm umgedreht. Dieser Umstand nahm ihm auch noch den letzten Funken Selbstsicherheit, da er nun im Mittelpunkt des Geschehens stand.
„Nun denn, sie wissen schon, dass wir eine Verspätung, geschweige denn ein Nichterscheinen am Unterricht, nicht dulden oder Nr.
12756?“, erklärte Professorin Bobrow mit einem schroffen und fast schon gefährlich klingenden Ton. Die Anspannung stieg. Auch bei den anderen Kommilitonen.
„Ja, Ms. Bobrow, ich meine, ich …“
„Was meinen Sie Nr. 12756? Versuchen Sie mir gerade zu erklären, warum Sie unfähig waren, ihren Zimmerkollegen dazu zu bewegen, zur Vorlesung zu erscheinen?“ Die Professorin war wie ausgewechselt.
Ihre Stimmung war umgeschlagen.
„Verzeihen Sie Ms., aber was kann ich denn dafür, wenn mein Zimmergenosse nicht erscheint?“
„Sie treten in dieser Einrichtung als Kollektiv auf. Sie alle bilden eine einzige Einheit. Sie machen in den nächsten Jahren allesamt das Gleiche durch und werden die gleichen Dinge lernen. Dies ist analog zu unserem Gleichheitsprinzip zu verstehen. Wir machen dabei keine Ausnahmen. Es gibt auch nur eine einzige Regel, die alle befolgen müssen und zwar, dass man nie zu spät oder gar nicht erscheint.“ Der zu Beginn herzliche Ton von Professorin Bobrow, hatte sich nun in ein lautes Mahnen geändert.
„Ein solcher Frevel zieht nur eine mögliche Konsequenz mit sich.“
John hielt die Luft an. Er konnte seinen Herzschlag spüren.
„Die sofortige Exmatrikulation des Studenten mit der Matrikelnummer 12756 und seinem nicht anwesenden Zimmergenossen!“, verkündete Professorin Bobrow.
Das Gesicht des Kommilitonen mit der Nr. 12756 wurde kreidebleich.
Damit hatte er nicht gerechnet. Damit hatte Niemand gerechnet. Ein Raunen ging durch die Reihen. Was sollte dieses Verhalten? Professorin Bobrow gab dem Kommilitonen nicht einmal eine Chance, sich zu rechtfertigen.
„Seien Sie nicht traurig Nr. 12756. Denn es gibt noch zwei weitere Kandidaten, deren Nachbarn nicht erschienen sind.“ Professorin Bobrow drehte sich erneut zum großen Glasbildschirm um.
„Das ist nicht fair!“ Eine der weiblichen Kommilitonen war aufgesprungen.
„Meine Zimmergenossin fühlte sich nicht besonders gut und wollte sich etwas ausruhen“, argumentierte sie Lauthals. Professorin Bobrow drehte sich um und sah der Kommilitonin tief in die Augen.
„Nr. 12623, nehme ich an. Mich interessieren ihre Ausreden nicht.
Gleiches Recht für alle. Geht es nicht darum, wenn wir von Gleichheit sprechen?“
„Das nenne ich Ungerechtigkeit! Jeder ist für sich selbst verantwortlich.
Menschen sind Individuen und kein homogener Einheitsbrei.“ Die Kommilitonin Nr. 12623 war außer sich.
„Wie können Sie es wagen, die Grundsätze dieser Lehreinrichtung in Frage zu stellen? Verlassen Sie sofort diesen Hörsaal Nr. 12623.
Dasselbe gilt auch für Sie Nr. 12756 und Nr. 12658.“ Professorin Bobrow machte eine wutgeladene Handbewegung und deutete auf die gläserne Eingangstür. Die betroffenen Kommilitonen standen auf und verließen fluchtartig den Hörsaal. Blankes Entsetzen war in den Gesichtern der restlichen Kommilitonen zu erkennen. Auch John und Weng starrten sich ratlos an. John überlegte, ob er nicht doch die falsche Entscheidung getroffen hatte. Doch genau so schnell, wie ihm dieser Gedanke gekommen war, verbannte er ihn auch gleich wieder aus seinem Gedächtnis. Er hatte sogar kurz überlegt, in die Diskussion mit einzusteigen. Nachdem er das Resultat kannte, war er froh, dass er es nicht getan hatte.
„Gibt es weitere Fragen oder Anmerkungen bevor ich endlich beginnen kann?“, fragte Professorin Bobrow einige Sekunden später. Ihre Stimme klang wieder freundlich und verständnisvoll. Eine bizarre Situation. Hatte Sie nicht eben drei Kommilitonen exmatrikulieren lassen und des Raumes verwiesen?
Sie war kein aufrichtiger Mensch, soviel war John klar geworden.
Sie war eine eiskalte und unberechenbare Person. In all seinen jungen Jahren hatte John noch nie einen Menschen gesehen, der sich entweder so gut verstellen konnte oder dem scheinbar das Leben anderer Menschen so bedeutungslos war, wie Professorin Bobrow.
Doch das Paradoxe an der ganzen Geschichte war, dass es nicht zu seinen bisherigen Erfahrungen passte. Er hatte diese Einrichtung und die Menschen als herzlich, nett und zuvorkommend und vor allem bis ins kleinste Detail strukturiert erlebt.
„Hey John, ist alles in Ordnung?“, flüsterte Weng. Sein Gesicht war ebenfalls kreidebleich, als hätte er einen Geist gesehen. Wahrscheinlich fühlte er gerade denselben inneren Konflikt wie John.
„Es ist nichts. Ich bin nur noch ein wenig Müde von der Anreise.“
John wollte Weng nicht noch weiter verunsichern. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, doch es gelang ihm nicht. Er war zu verwirrt.
Er hatte zu viele Impressionen für einen einzelnen Tagen gesammelt und die damit verbundene Aufregung und Vorfreude noch nicht verarbeiten können.
„Das muss es sein“, dachte sich John.
Er holte tief Luft und sah nach vorne. Professorin Bobrow hatte mittlerweile das Bild auf dem Glasbildschirm geändert, welches nun die erste Seite ihres Skriptes. Professorin Bobrow begann mit ihrer Vorlesung. John beschloss, sich am Ende der Vorlesung mit den Kommilitonen zu unterhalten, welche den Saal verlassen mussten.
Doch leider blieb es bei einem undurchführbaren Beschluss.
Die Kommilitonen hatten sich plötzlich in Luft aufgelöst.
02. Oktober 2018
Chosen Area | GreenCell University | Dublin | Irland
John marschierte einen weißen Gang entlang, welcher in grelles Licht getaucht war. An einem der Wände konnte er ein Schild erkennen, welches die Aufschrift „Zur GreenCell University hier entlang“ trug. Am Ende des Ganges war eine gläserne Treppe, die sich spiralförmig nach unten wandte. Während John die Stufen hinabging, veränderten die Glasstufen ihre Struktur und das Licht verschwand. Umgeben von Dunkelheit tastete sich John langsam weiter nach unten. Plötzlich ertastete er eine Tür. John griff nach dem Türknopf und drehte ihn herum. Die Tür begann zu leuchten und grüne Symbole erschienen. Sie formten die Namen von Professorin Bobrow und Professor Duprais.
Als er die Tür einen kleinen Spalt weit geöffnet hatte, verlor er den Halt unter den Füßen. Er fiel in die Tiefe. Alles war so surreal. John sah nach unten und erkannte die GreenCell University. Er sah, wie sich das Gebäude ihm näherte und spürte, dass er auf dem Boden landen würde. Kurz vor dem Aufprall schloss John die Augen. Er versuchte die Ängste, die ihn durchströmten, zu kontrollieren. Er nahm all seinen Mut zusammen, um seine Augen wieder zu öffnen.
Schweißgebadet erwachte John aus seinem Schlaf. Es war nur ein Alptraum gewesen. John lehnte seinen Kopf wieder zurück an sein Kissen. Er atmete erleichtert auf. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass es drei Uhr morgens war. John sah rüber zu Weng. Dieser schlief wie jede Nacht tief und fest und schien sein Gezappel nicht bemerkt zu haben. John zog sich an und ging raus auf den Hof, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Dies würde ihn sicherlich beruhigen. Woher kamen nur diese Träume? Seit John hier angekommen war, plagten ihn regelmäßig diese Träume.
Er hatte zwar auch vorher schon Träume gehabt, jedoch konnte er sich kurz nach dem Aufwachen nicht mehr an diese erinnern. Bei seinen letzten Alpträumen war dies anders. Sie waren sehr intensiv und ergaben überhaupt keinen Sinn. John hatte mal gehört, dass man in seinen Träumen, das bisher Erlebte verarbeitete. Doch in seinen Träumen war ihm alles irgendwie völlig fremd. Es war wie, als würde er etwas komplett Neues erfahren und erleben. John verlies das Studentenquartier und durchquerte den gläsernen Gang in Richtung des Hauptgebäudes. Kurz bevor er den Gang verlassen konnte öffnete sich die gläserne Tür. Professorin Bobrow und Professor Duprais standen John gegenüber.
„Warum sind Sie so spät noch wach, Mr. Bride?“, erkundigte sich Professor Duprais.
„Ich habe schlecht geschlafen und wollte einen kurzen Spaziergang durch das Gelände machen“, gab John nervös zurück.
Was machten die beiden hier? Um diese Uhrzeit? John versuchte sein Unwohlsein zu verbergen.
„Es tut uns leid, Mr. Bride, aber es herrscht absolute Ausgangssperre“, erklärte Professorin Bobrow mit ihrer bekannt kalten Stimme.
„Wieso? Darf man nicht einmal kurz an die frische Luft gehen?“
„Es ist nur zu Ihrer und unserer eigenen Sicherheit, Mr. Bride. Es gehört zu unseren Sicherheitsauflagen. Wir bitten Sie, diese zu respektieren“, sagte Professor Duprais. John willigte ein und machte kehrt.
„Und kommen Sie morgen früh bitte pünktlich zur Vorlesung, Mr.
Bride“, ergänze Professorin Bobrow als John ein paar Schritte gegangen war. Kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um.
Professorin Bobrow und Professor Duprais waren in der Dunkelheit verschwunden. John lies sich in sein Bett fallen.
Er wartete auf seinen nächsten Alptraum.
02. Oktober 2018
Hörsaal H1 | GreenCell University | Dublin | Irland
Pünktlich um halb sechs am Morgen klingelte Johns Wecker, so wie bei allen Studenten. Die Wecker waren in den Wänden integriert und wurden bei allen Studenten auf dieselbe Weckzeit programmiert.
John dachte über die Begegnung mit den beiden Professoren in der vergangenen Nacht nach. War es real gewesen oder abermals ein bedeutungsloser Traum? Das unbehagliche an diesem Gedanke war, dass John ihn nicht erklären konnte. Er konnte nicht mehr nachvollziehen, ob es geschehen war oder nicht. Völlig übermüdet, aber pünktlich erschien John am Hörsaal. Im Gegensatz zu ihm hatte Weng keinerlei Probleme mit dem Schlaf gehabt. Generell schien Weng die letzten drei Wochen besser verkraftet zu haben als John. Dabei wies das Studium ein straffes Konzept auf. Der zu lernende Stoff war umfangreich und die zu erledigenden Aufgaben zahlreich. Was nicht im Unterricht gelehrt wurde, mussten die Studenten selbständig auf ihren Zimmern erarbeiten. Faulenzer wurden nicht geduldet, denn das selbstangeeignete Wissen wurde durch regelmäßige Tests kontrolliert.
Bei diesem Test gab es nur eine Chance. Wenn man diese vergab, musste man die Universität verlassen. Dementsprechend groß war der Druck auf allen Kommilitonen. Doch Weng schien gut mit dieser Belastung fertig zu werden. Professorin Bobrow betrat den Saal und begab sich zu ihrem Podium.
„Guten Morgen, liebe Kommilitonen“, sagte sie mit ihrem zweiten Gesicht. Professorin Bobrow hatte von den Studenten den Spitznamen Two-Face bekommen. Sie hatte zwei emotionale Persönlichkeiten und wechselte permanent zwischen diesen hin und her. In einem Moment war sie gut gelaunt und freundlich, doch im nächsten Momentboshaft und hasserfüllt. Was John in diesem Zusammenhang auffiel war, dass sie nur die Fassung verlor, wenn jemand ihre Regeln brach.
Eine Perfektionistin, wie Professorin Bobrow, hasste das Chaos und die Unordnung. Doch noch schlimmer war für sie der drohende Kontrollverlust. John erklärte sich jedenfalls so das auffällige Verhalten von Professorin Bobrow. Die Perfektion funktioniert nur mit Regeln und ohne ein Regelsystem, bricht diese zusammen.
„So wird aus der Perfektion das Gewöhnliche“, dachte John.
„Dann beginnen wir mit der täglichen Anwesenheitsüberprüfung.“
Professorin Bobrow schaltete den großen Glasbildschirm an und wiederholte ihre tägliche Prozedur. Seit dem ersten Tag ist nie wieder ein Kommilitone zu spät zur Vorlesung erschienen. Der Schreck vom letzten Vorfall saß noch immer tief in den Köpfen der Studenten. Hinzukamen zwei weitere Vorfälle, die sich in der letzten Woche ereignet hatten. Da war diese junge Kommilitonin, die eine Mütze trug, da Sie vergessen hatte, ihre Haare zu frisieren.
Daraufhin ermahnte Professorin Bobrow sie und bezichtigte sie als Verräterin an der Gesellschaft, da sie keine regelkonforme Kleidung getragen hatte. Ein anderer Fall betraf einen jungen Mann, der exakt zwei Reihen vor John gesessen hatte. Er war während der Vorlesung eingeschlafen, was Professorin Bobrow ebenfalls missfiel. Beide Kommilitonen mussten ihre Sachen packen und die Universität verlassen. Zusammen mit den acht anderen Kommilitonen, die durch den Test oder die Hausaufgabenüberprüfung fielen, waren nun schon sechszehn Studenten exmatrikuliert worden. Und das in nur vierzehn Tagen. Insgesamt hatten einhundertzwanzig Studenten das Stipendium bekommen. Zweiundfünfzig von ihnen studierten im selben Studiengang wie John. Nun waren nur noch vierunddreißig von ihnen übrig geblieben. John fragte sich, wie viele es überhaupt schaffen würden, das Studium abzuschließen. Die Frage wich jedoch direkt einem anderen Gedanken.
Bereits zu Beginn hatte John bemerkt, dass seine Kommilitonen allesamt aus verschiedenen Ländern kamen. In den letzten Tagen fiel ihm auf, dass es sich bei den einzelnen Herkunftsländern nur um Industriestaaten und keine Dritte-Welt Länder handelte. Dies konnte zwar auch ein purer Zufall sein, seltsam fand John diese Erkenntnis dennoch. Denn eine solche Vorgehensweise passte nicht zur Öffentlichkeitsarbeit der GreenCell Ltd. Jeder der Kommilitonen sprach fließend Englisch, was das Miteinander und den Austausch untereinander erleichterte.
„Alles in Ordnung, Mr. Bride?“ John schreckte auf, als Professorin Bobrow ihn direkt ansprach.
„Ja, Professorin Bobrow.“
„Sie wirkten so geistesabwesend und ich wollte nur nachfragen, ob Sie etwas bedrückt.“ Diese Frau war und blieb unberechenbar für John. Er hatte noch nie das Gefühl, bei einem Menschen auf jedes Wort achten zu müssen. Doch bei Professorin Bobrow war es anders. Warum sprach Sie ihn ständig mit seinem Nachnamen an und die anderen Studenten nicht? Das musste doch jedem im Saal auffallen.
„Nein, nein. Mir fehlt nichts. Ich bin nur ein wenig müde“, gab John in einem ruhigem Ton zurück.
„Haben Sie schlecht geschlafen, Mr. Bride?“, fragte ihn Professorin Bobrow.
John spürte die Blicke seiner Kommilitonen. Was sollte diese Frage? Sie hatte John doch gestern Abend gesehen und zurück auf sein Zimmer geschickt. Oder war das alles doch nur ein Traum gewesen? Es fühlte sich für ihn zu real an, um eine Einbildung gewesen zu sein.
Dessen war sich John mittlerweile sicher.
„Ich denke, dass es genau das sein wird, Professorin Bobrow.“ John entschied sich dafür, diesen ungewöhnlichen Umstand zu vergessen und stattdessen auf der Hut zu bleiben.
„Nun denn, lassen Sie uns anfangen“, fuhr Professorin Bobrow fort.
Sie tippte auf die Glasscheibe und ihr Skript erschien erneut auf der Glasscheibe.
„Nr. 12323? Bei welchem Thema waren wir gestern stehengeblieben?“, fragte Professorin Bobrow.
Stille durchfuhr den Saal. Niemand rührte sich.
„Nr. 12323? Wieso antworten Sie mir nicht?“ Professorin Bobrow wurde wieder ungeduldiger.
„Verzeihen Sie, Professorin Bobrow. Ich versuche mich gerade zu erinnern“, sagte eine Kommilitonen aus dem weiblichen Sitzblock.