Sommerglück auf der Hallig - Lena Johannson - E-Book
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Sommerglück auf der Hallig E-Book

Lena Johannson

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Beschreibung

Wo der Himmel das Meer berührt, wartet das ganz große Glück Die alleinerziehende Inselärztin Wiebke und Schwimmmeister Tamme haben ein Haus auf Pellworm gekauft. Ein solches Projekt sei ein Bund fürs Leben, meint Tamme. Warum also mit der Hochzeit warten? Doch mitten in die Vorbereitung platzt Wibkes Ex-Mann, der Zeit mit seiner Tochter Maxi verbringen möchte. Das hat Wiebke gerade noch gefehlt! Sie bittet Tamme um Aufschub der Hochzeit, der bekommt ihr Zögern jedoch in den falschen Hals. Als wäre das nicht schon genug Aufregung, fegen auch noch gefährliche Frühjahrsstürme über die Halligen …

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Sommerglück auf der Hallig

Die Autorin

LENA JOHANNSON war ein Jahr lang Halligschreiberin auf Hooge im Wattenmeer vor der Westküste Schleswig-Holsteins. Sie lebt mit ihrem Mann an der Ostsee in der Nähe von Lübeck. Ihr Mann versorgt sie mit Kraft und Energie, die Ostsee und ein stattlicher Garten geben ihr Ruhe und Inspiration.Von Lena Johannson sind in unserem Haus bereits erschienen:Die Halligärztin · Die Liebe der Halligärztin

Das Buch

Inselärztin Wiebke will heiraten: ihre große Liebe, Schwimmmeister Tamme. Zusammen haben sie gerade ein Haus auf der wunderschönen Insel Pellworm gekauft. Doch mitten in die Vorbereitungen platzt Wiebkes Ex, der plötzlich Zeit mit seiner Tochter Maxi verbringen will. Wiebke bittet Tamme, mit der Hochzeit noch zu warten – ein schwerer Fehler, denn Tamme beginnt, an ihrer Liebe zu zweifeln. Als wäre das nicht schon Aufregung genug, fegen auch noch heftige Frühjahrsstürme über die Halligen und erschweren Wiebkes Arbeit – als Ärztin und als Braut.

Lena Johannson

Sommerglück auf der Hallig

Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Mai 2020© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: Favoritbuero, MünchenTitelabbildung: © David Russell / EyeEm / getty images (Vögel); © Sarnade / Alamy Stock Foto (Hallig); © Ratana21 / shutterstock (Himmel); © ArtMari / shutterstock (Titelillustration); © 21Phukao / shutterstock (Blumen); © Oleksandr Lytvynenko / shutterstock (Gräser)Autorinnenfoto: André LeisnerE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-2304-6

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Danksagung

Leseprobe: Die Liebe der Halligärztin

Empfehlungen

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für meine Schwester,ohne die es dieses Buch in dieser Form nie gegeben hätte.

Kapitel 1

»Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Wiebke knallte den Brief des Telefonanbieters auf den Tisch. Sie atmete einmal tief durch, dann schnappte sie sich das Schreiben erneut und las laut vor: »Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass wir den Termin am zwanzigsten März nicht einhalten können.« Sie ließ das Blatt sinken.

»Das ist das zweite Mal, dass sie mich vertrösten. Wie lange soll ich denn noch auf den neuen Anschluss in meiner Praxis warten? Wir müssen Ihnen leider mitteilen …«, wiederholte sie wütend. »Von wegen! Die haben schlichtweg keine Lust, vom Kontinent auf die Insel zu kommen, so sieht’s aus.«

Tamme saß am Küchentisch und griente. Wieso, bitte schön? Was war daran so lustig? Wahrscheinlich fand er es mal wieder total übertrieben, dass sie sich derartig ereiferte. Aber wenn ihn etwas ärgerte und er spätestens bei drei auf der Palme war, dann war das natürlich etwas ganz anderes. Er schmunzelte immer noch. Vermutlich, weil sie vom Kontinent gesprochen hatte, obwohl sie eine Zugezogene war und erst zwei Jahre auf der Insel lebte, wie er sie gern erinnerte.

»Versuch gar nicht erst, wie eine alte Pellwormerin zu klingen«, sagte er manchmal. Aber Wiebke fühlte sich inzwischen nun mal wie eine von ihnen, egal ob sie seit zwei Jahren hier lebte oder seit zwanzig.

»Hätte ich gewusst, welches Theater mich erwartet, hätte ich den Anbieter nicht gewechselt.« Sie seufzte. »Allerdings ging das wirklich überhaupt nicht mehr mit der alten Leitung – Sandra und Corinna konnten mir ja noch nicht mal Gespräche durchstellen. Hoffentlich klappt das mit dem Telefonanschluss im neuen Haus besser.«

»Bestimmt!« Tamme strahlte sie an. Um seinen Optimismus beneidete sie ihn wirklich.

»Ein Glück, dass es Mobiltelefone gibt, und die hier meistens sogar funktionieren.«

»Wie man’s nimmt.« Tamme zog die Augenbrauen hoch. »Manchmal wär’s mir lieber, dein Handy würde endlich kaputtgehen.« Er kniff die Augen zusammen. »Ich habe schon überlegt, ob ich es am Tor mit den vielen Liebes-Schlössern festkette. Fällt bestimmt niemandem auf. So lange es nicht kläglich ruft: ›Ich bin ein Telefon, mach mich hier ab!‹«

»Kindskopf!«

Er zog sie auf seinen Schoß. »Im Ernst, Wiebke. Du hast einen wichtigen Beruf, das respektiere ich. Aber wenn ich mich nicht täusche, haben wir beide in diesem Jahr einiges vor, dafür sollten wir uns Zeit nehmen. Und zwar ungestört. Meinst du nicht?«

Zwei Jahre war es erst her, dass Wiebke dem Krankenhaus in Berlin den Rücken gekehrt und mit ihrer Tochter Maxi nach Pellworm gezogen war. Unglaublich, wie sich seitdem ihr Leben verändert hatte. Wenn sie darüber nachdachte, kam es ihr fast unwirklich vor, wie sie und Maxi es in der riesigen Stadt überhaupt ausgehalten hatten. Wie hatten sie sich dem rasenden Puls der Metropole nur aussetzen können? Sofort beschlich sie das schlechte Gewissen, denn Maxi hatte keine Wahl gehabt. Für sie musste das hektische Leben ihrer Mutter, die von Nachtschicht zu Sonderschicht gehetzt war, die Hölle gewesen sein. Und dann die schlechte Luft! Die hatte Maxi mit ihrem Asthma den Rest gegeben. Im Nachhinein dachte Wiebke oft, dass die Anzeige, in der eine Inselärztin für die Praxisübernahme auf Pellworm gesucht wurde, genau zur richtigen Zeit auf ihrem Tisch gelandet war. So wie auch Tamme keinen Tag zu früh in ihr Leben getreten war.

»Bist du in Schockstarre verfallen?«, fragte er. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sie die ganze Zeit ansah. Beim Blick in seine braunen Augen durchströmte sie sofort eine wohlige Wärme. Wie immer seit ihrer ersten Begegnung.

»So was Ähnliches.« Sie lächelte. »Manchmal muss ich mich noch immer kneifen, weil ich sonst nicht glauben kann, dass in den letzten zwei Jahren so viel Schönes passiert ist.« Sie betrachtete seine stets leicht gebräunten kräftigen Arme mit den kleinen schwarzen Härchen darauf, die er von seinen griechischen Vorfahren mütterlicherseits geerbt haben musste.

»Das kann ich dir gern abnehmen.« Er grinste frech und machte Anstalten, ihr in den Oberschenkel zu kneifen.

»Untersteh dich!« Wiebke sprang auf, beugte sich aber sofort wieder zu ihm herunter. »Du könntest etwas anderes tun«, raunte sie und küsste ihn zärtlich.

»Was immer du willst.«

»Du könntest an diesem herrlich sonnigen Frühlingsmorgen dein Spezial-Rührei zum Frühstück machen.« Jetzt war sie es, die frech grinste. Reingefallen! »Dafür würde ich mich sogar zu einer Masterplan-Sitzung für das große Thema Hochzeit hinreißen lassen.«

»Abgemacht!« Tamme stand auf, holte Eier und Räucherlachs aus dem Kühlschrank, griff sich eine Bratpfanne, und schon stand er pfeifend am Herd.

Seit Nick, Maxis Erzeuger, Wiebke vor der Geburt zu verstehen gegeben hatte, dass er sich mit Ende dreißig zu jung fand, um Vater zu werden, hatte sie von Kerlen die Nase gestrichen voll gehabt. Selbst wenn ihr dann noch ein Fünkchen Glauben an die Männerwelt erhalten geblieben wäre, hätte Nick auch das noch erstickt, indem er ihr ohne jede Überzeugung, geschweige denn Leidenschaft angeboten hatte, sie zu heiraten. Notfalls. Wenn sie darauf bestand. Sie hatte nicht darauf bestanden, sondern ihn zum Teufel gejagt und sich geschworen, zukünftig ohne das vermeintlich starke Geschlecht auszukommen. Das hatte auch gut geklappt. Bis sie Tamme kennenlernte. Mit Humor, Geduld und seinem liebevollen Umgang mit Maxi hatte er ihr Herz im sprichwörtlichen Sturm erobert. Und nun würden sie tatsächlich heiraten und auch noch in die Liebesallee ziehen! Kitschiger ging es kaum. Und auch nicht schöner. Bis ihr gemeinsames Haus fertig renoviert war, wohnten sie zu dritt – inklusive Hund Janosch zu viert – in der Doppelhaushälfte im Feldweg. Die hatte Wiebke zusammen mit der anderen Hälfte, der Arztpraxis, gemietet, als sie nach Pellworm gezogen war. Ziemlich praktisch, sie brauchte nur aus einer Tür heraus- und in die nächste hineinzugehen, und schon war sie an ihrem Arbeitsplatz. Auf diese Bequemlichkeit würde sie demnächst verzichten müssen. Schade. Aber das war es auf alle Fälle wert.

Sie sah Tamme zu, wie er die gequirlten Eier in die Pfanne goss. Sein Humor und sein Charme in allen Ehren, aber sein durchtrainierter Körper war auch nicht zu verachten. Der war ihr zum ersten Mal im Schwimmbad aufgefallen, wo er nach dem Dienst seine Bahnen gezogen hatte. Tamme Tedsen, friesischer Schwimmmeister mit griechischer Mutter. Ihr zukünftiger Ehemann. Eine warme kribbelnde Welle durchflutete sie. Wiebke ging zu ihm, schmiegte sich an seinen Rücken und schlang die Arme um ihn.

»Was wird das?« Tamme drehte den Kopf zur Seite und küsste sie auf die Wange. In dem Moment waren Schritte zu hören, die die Treppe heruntertapsten.

»Lecker! Gibt’s Tammes Spezial-Rühreier?« Noch etwas müde und mit zerzausten Haaren ließ sich Maxi auf einen Stuhl fallen.

»So was in der Art.« Tamme grinste. »Dir auch einen guten Morgen, junge Dame.«

»Guten Morgen, Tamme, guten Morgen, Mami, guten Morgen, Janosch.«

»In der Reihenfolge«, kommentierte Wiebke seufzend und deckte den Tisch.

»Machst du bitte ganz viel Fisch rein?«

»Wenn du das möchtest, Luxus-Kind, dann gerne.« Tamme holte den restlichen Lachs aus dem Kühlschrank.

Janosch hatte sich aus seinem Körbchen erhoben, um Maxi zu begrüßen. Doch der aus der Pfanne aufsteigende Duft ließ ihn kurzfristig seinen Plan ändern und zum Herd abbiegen.

»Versuch’s gar nicht erst!« Tamme schubste Janosch sanft zurück. »Du bist schließlich kein Seehund.«

»Er mag trotzdem Fisch, genau wie ich«, verkündete Maxi. »Wann fahren wir nach Husum zum Möbelkaufen? Ich möchte so ein Sofa haben, auf dem ich mit meinen Freunden sitzen kann, und das nur nachts ein Bett ist.«

Demonstrativ verschränkte Maxi die Beine zum Schneidersitz, was auf einem handelsüblichen Küchenstuhl gar nicht so einfach war. Dann hob sie die Arme, öffnete sie, als würde sie einen Stadtplan auseinanderziehen und wieder zusammenfalten und schunkelte leicht. Wiebke runzelte die Stirn.

»Und Akkordeon kann man darauf auch spielen«, fügte Maxi noch hinzu.

Wiebke und Tamme wechselten einen gequälten Blick. Maxi hatte sich zu Weihnachten ein Akkordeon gewünscht. Woher ihr plötzliches Interesse an einem Musikinstrument kam, konnte Wiebke sich beim besten Willen nicht erklären. Sie selbst brachte nicht einmal ein Kinderlied auf der Blockflöte zustande. Aber aus pädagogischer Sicht war es sicher wertvoll, Akkordeon spielen oder auf dem Kamm blasen zu können. Insofern unterstützte sie ihre Tochter gerne. Und wenn Maxi schon einmal ausdrücklich etwas haben wollte … Im Gegensatz zu den meisten Kindern war sie ausgesprochen bescheiden. Sie hatte wirklich keine übertriebenen Wünsche, und wenn, dann waren sie selten materieller Art. Einen Hund hatte sie sich von ganzem Herzen gewünscht, aber sonst? Maxi war eher dafür zu begeistern, einen besonderen Ausflug zu unternehmen, etwas außergewöhnlich Schönes zu erleben. Manchmal reichten schon Kleinigkeiten. Wie damals, als sie neu auf Pellworm waren. Maxi wollte so gerne ein Pony streicheln, aber Ina vom Reiterverein hatte es ihr nicht erlaubt. Nicht nur, dass sie Maxi nicht in den Verein aufgenommen hatten, sie verwehrten ihr sogar, ein Pferd zu streicheln. Und das nur, um Wiebke klarzumachen, dass sie auf der Insel nicht erwünscht sei. Niemals würde Wiebke das enttäuschte Gesicht ihres Kindes vergessen. Sie seufzte. Aber lange her und endgültig vorbei.

Tamme füllte das dampfende Rührei in eine Schüssel und gab zuerst Maxi eine Portion auf den Teller.

Wiebke ging das Herz auf, wenn sie die beiden zusammen sah. Sofort waren die Zeiten vergessen, als Wiebke sich als Nachfolgerin des alten Inselarztes noch mühsam hatte behaupten müssen. Dass es Menschen gegeben hatte, die ausgerechnet Maxi darunter hatten leiden lassen, dass sie die neue Ärztin nicht haben wollten, würde sie allerdings nie vergessen können.

»Was ist denn nun mit den Möbeln?«, wollte Maxi wissen. Sie konnte aber auch wirklich beharrlich sein. »Janosch braucht doch ein Körbchen, wenn er bei mir übernachtet. Ich weiß schon genau, wo das stehen soll.« Sie stopfte sich eine Gabel Ei in den Mund. »Er hat ja kein eigenes Zimmer, darum habe ich mir überlegt, dass er eine Ecke von meinem abhaben kann«, verkündete sie großzügig und lächelte so breit, dass ein Stückchen Lachs zwischen den Zähnen zu sehen war. Sie war offenbar sehr zufrieden mit ihrem großzügigen Angebot.

Nach dem Frühstück schien Maxi die Möbelfrage kurzfristig vergessen zu haben. Sie spielte mit Janosch, dem sie einen Knoten aus dickem Seil vor die Nase hielt. Natürlich schnappte er sofort danach, und Maxi zog mit aller Kraft, um ihm das Spielzeug wieder abzuluchsen. Sehr schön, so konnte Wiebke ihr Versprechen einlösen und sich endlich Zeit für Tamme und ihre gemeinsame Zukunftsplanung nehmen. Er hatte schon recht, es gab tatsächlich einiges zu besprechen. Der Umzug war dabei vermutlich noch der einfachste Teil. An die Hochzeit im August durfte sie noch gar nicht denken. Nicht, dass sie sich nicht von ganzem Herzen darauf freute, aber die Vorbereitung lag ihr dann doch auf dem Magen. Eigentlich wollten Wiebke und Tamme nicht ausgerechnet im Sommer mitten in der Hauptsaison heiraten. Nur sprach dummerweise sehr viel dafür. Zum Beispiel hatte sich ein Teil von Tammes griechischer Verwandtschaft angekündigt. Sie mochten es den sonnengewöhnten Onkeln, Tanten und Cousinen nicht antun, im Frühling oder gar im Herbst das Mittelmeer gegen die Nordsee zu tauschen. Schön, in Griechenland konnten die Temperaturen auch empfindlich in den Keller gehen und es war bestimmt auch mal windig. Die Stürme hier waren allerdings von einem ganz anderen Kaliber. Was, wenn sie die An- oder Abreise erschweren würden? Tamme und sie waren sich einig, dass man dieses Risiko ausschließen konnte.

»Bloß nicht gleich Stress von Anfang an, weil die drüben auf dem Kontinent stehen und nicht wissen, wie sie herkommen sollen«, hatte Tamme kategorisch gesagt. Recht hatte er. Wenn doch alles so einfach zu klären wäre.

»Maxi, willst du heute nicht etwas mit Hilke unternehmen?«, schlug Wiebke vor, um ungestört mit Tamme planen zu können. »Das Wetter ist gut, und Janosch würde sich bestimmt freuen, wenn ihr mit ihm herumtobt. Frische Luft tut euch allen gut«, erklärte sie pädagogisch wertvoll, »und macht hungrig. Wie wär’s, wenn wir anschließend zusammen Waffeln backen?«

Kein Jubelschrei, nicht einmal gelangweilte Zustimmung? Im Gegenteil. Hatte Maxi eben noch fröhlich mit Janosch herumgetollt, krabbelte sie jetzt still auf ihren Platz am Küchentisch und pulte hochkonzentriert an ein paar Krümeln herum.

»Erde an Maxi?«

»Nö, keine Lust«, kam es ziemlich kleinlaut zurück.

»Und warum nicht?«

»Ich möchte heute nichts mit Hilke machen. Die ist manchmal so komisch«, fügte sie leise hinzu.

»So plötzlich?«, wollte Wiebke wissen.

»Nö, schon in letzter Zeit. Auch in der Schule.« Maxi sammelte immer noch Krümel auf.

»Nun lass dir mal nicht jeden Wattwurm einzeln aus der Nase ziehen, hm?«

Kein Kichern, nicht einmal ein Lächeln von Maxi. Allmählich machte Wiebke sich Sorgen.

»Ich denke, sie ist deine beste Freundin. Wieso findest du sie auf einmal komisch?« Wiebke setzte sich zu ihrer Tochter und sah sie aufmerksam an.

»Die hört mir manchmal gar nicht zu. Außerdem versteht die nie, worüber wir lachen.«

»Die ist …« Wiebke verstummte. Es war wohl nicht der beste Moment, um ihr zu erklären, dass man nicht »die«, sondern »sie« sagte, wenn man von seiner Freundin sprach.

»Dann sagt man das noch mal, und die hört wieder nicht zu«, erzählte Maxi weiter. »Ich glaube, die findet mich voll langweilig.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen, Maxi, sie konnte dich doch immer gut leiden.« Wiebke wartete ab. Vergeblich. »Du sagst, sie ist in letzter Zeit komisch. War das denn früher anders? Ich meine, hat sie dir früher besser zugehört oder mehr gelacht?«

Maxi überlegte. »Nö.« Es arbeitete hinter der kleinen Stirn. »Oder vielleicht doch, weiß nicht so genau.« Plötzlich fiel ihr etwas ein: »Fabian aus meiner Klasse hat Hilke manchmal nachgemacht. Auch früher schon. Der hat so nach oben geguckt und geschielt und sich lustig über sie gemacht. Das war immer voll gemein.«

Wiebke stutzte. Sie sah Tamme an, der die Küche aufgeräumt und sauber gemacht hatte, und gerade den Lappen zum Trocknen aufhängte. Er zuckte hilflos die Achseln. Wiebke hatte Hilke natürlich schon ein paar Mal gesehen, sie war immerhin Maxis beste Schulfreundin. Dabei war ihr zwar aufgefallen, dass Hilke nicht das lebhafteste Kind war. Ansonsten schien sie aber ein nettes, ganz normales Mädchen zu sein.

»Wie kommst du denn darauf, dass Hilke dir nicht zuhört?«

»Die guckt mich manchmal gar nicht an, wenn ich ihr was erzähle. Die guckt vorbei oder nach oben, wie Fabian das nachgemacht hat. Manchmal guckt sie auch einfach zu den anderen, als wäre ich gar nicht da.« Maxi legte beide Hände auf die Tischplatte und das Kinn schnaufend darauf. Geste und Hundeblick hatte sie eindeutig von Janosch abgeguckt.

»Wahrscheinlich lässt Hilke sich nur leicht ablenken«, überlegte Wiebke laut.

Maxi setzte sich wieder gerade hin. »Und wieso murmelt sie öfter vor sich hin? Das macht sie sogar im Unterricht.«

Jetzt wurde Wiebke hellhörig. »Sie quatscht nicht mit ihrer Sitznachbarin?«

»Das bin ja wohl ich«, entgegnete Maxi entrüstet.

»Also ehrlich, Wiebke, als ob dieses Musterkind im Unterricht quatschen würde!« Tamme klang mindestens genauso entsetzt über diese Unterstellung.

Maxi strahlte ihn an.

Wiebke verdrehte die Augen, war ja klar, dass die beiden wieder einmal zusammenhielten. Sie ging nicht weiter darauf ein. »Was sagen die Lehrer denn dazu?«

»Nichts.« Offenbar hatte Maxi keine Lust mehr, länger über Hilke zu reden. »Jedenfalls will ich lieber ein Sofa kaufen fahren. Oder ich gehe allein mit Janosch raus«, erklärte sie sehr überzeugt.

»Na gut, wenn wir uns beeilen, schaffen wir die Fähre um Viertel vor zwölf nach Nordstrand noch.« Tamme war ein Naturtalent, wenn es darum ging, trübe Stimmung in Luft aufzulösen.

»Super!«, kreischte Maxi. »Ich bin ganz schnell.« Schon sauste sie ins Badezimmer, um sich zu kämmen und sich die Zähne zu putzen.

»Wir können die Fähre um halb sieben zurück nehmen. Länger halte ich das sowieso in keinem Möbelgeschäft aus.« Tamme seufzte theatralisch.

»Danke, Tamme, du bist mein Held.« Wiebke küsste ihn. »Maxis Laune war echt auf dem Tiefpunkt. Ich glaube, ich sehe mir Hilke demnächst einmal genauer an.«

»Ach was! Wenn du mich fragst, wollte deine raffinierte Tochter nur ihren Kopf durchsetzen und sich ein Sofa aussuchen.«

»Das ist nicht auszuschließen.«

Trotzdem, Wiebke würde die Sache mit Hilke im Blick behalten. Wenn sich Kinder in dem Alter plötzlich auffällig verhielten, durfte man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vielleicht hatte Hilke Probleme. Ihre Mutter führte den einzigen Blumenladen der Insel. Besonders gut kannte Wiebke Sabine Schmitt allerdings nicht, von Hilkes Vater ganz zu schweigen, den hatte sie höchstens mal von Weitem gesehen. Hoffentlich hatte Hilke ein gutes Zuhause. Wiebke hörte ihre eigene Tochter ein Stockwerk höher rumoren und beobachtete Tamme, der gerade vor dem Hundekorb hockte und Janosch die Ohren kraulte.

»Tut mir leid, Kumpel, man kann nicht immer gewinnen!«

Janosch antwortete mit einem herzerweichenden Winseln.

Schwer vorstellbar, dass in dieser Idylle, die Pellworm zweifelsfrei war, ein Kind vernachlässigt oder vielleicht sogar misshandelt wurde. Andererseits passierte das tagtäglich an vielen Orten des Landes, auch an sehr friedlichen und hübschen Orten. Bloß keine voreiligen Schlüsse ziehen! Womöglich hatte Hilke auch nur Probleme in der Schule, die von allein wieder verschwanden. Es war niemandem damit geholfen, die Pferde scheu zu machen.

»Das war’s wohl schon wieder mit den ersten Frühlingsboten«, stöhnte Corinna am nächsten Morgen. »Gestern und vorgestern war es traumschön, und heute haben wir wieder Winter.« Sie schüttelte ihren Regenschirm kräftig aus und stellte ihn hinter den Empfangstresen der Praxis.

»Guten Morgen, Sandra«, rief sie ihrer Kollegin zu, die schon dabei war, den Bestand der Spritzen zum Blutabnehmen, das Verbandsmaterial und die Medikamente zu kontrollieren.

»Moin!«, kam es zurück.

Wiebke musste schmunzeln. Auch Sandra hatte sich als Erstes über das Wetter beklagt, als sie zum Dienst erschienen war. Nur hatte sie ihre Kleidung auch schon an die ersten Sonnenstrahlen angepasst, sie trug eine relativ dünne Bluse. Seit sie im zweistelligen Bereich Kilos verloren hatte, zeigte sie einfach zu gern ihre Figur. Wenn sie sich nur keine Erkältung einfing. Einen Ausfall ihrer Mitarbeiterin konnte Wiebke nicht gebrauchen.

Im Gegensatz zu Sandra war Corinna noch voll auf kalte Jahreszeit eingestellt. Auf eine sehr kalte Jahreszeit. Gerade setzte sie die Mütze ab, zog ihre Handschuhe aus und hängte die dicke Jacke an die Garderobe. Dann streifte sie die Winterstiefel ab, die sie gegen dünne dunkelblaue Ballerinas tauschte. Zuletzt nur noch den flauschigen Pullover über den Kopf gezogen und schon war sie fertig! Alle Achtung, sie war ausgerüstet, als wollte sie nach Sibirien aufbrechen. Wenn Wiebke es recht bedachte, hatte Pellworm in der Tat ab und zu eine gewisse Ähnlichkeit mit Sibirien.

Corinna strahlte, sie war bereit für den Arbeitstag. Wiebke hatte nie bereut, ihre Nachbarin und ausgebildete Krankenpflegerin eingestellt zu haben. Nicht nur, dass die Praxis seitdem immer mit einer Sprechstundenhilfe besetzt war, auch wenn Sandra mal krank war oder Urlaub hatte, es war auch eine echte Freude, mit Corinna zu arbeiten. Sie hatte schon einige Schicksalsschläge verkraften müssen und käme dennoch nie auf die Idee herumzujammern. Bewundernswert, wie positiv Corinna das Leben sah.

»Also mal ehrlich, Corinna, du siehst aus, als würden wir am Nordpol leben. Gute Nachrichten: Das, was von oben kommt, ist Regen und kein Schnee mehr«, ermunterte Wiebke sie. »Ein Glück, dass es heute regnet und am Wochenende trocken war. Wir waren am Samstag kurz entschlossen auf dem Kontinent …« Weiter kam sie nicht, denn Corinna unterbrach sie.

»Ringe kaufen?«, fragte sie erwartungsvoll an, ihre Augen bekamen sofort einen verräterischen Glanz.

»Neugierig bist du überhaupt nicht!« Wiebke knuffte sie, und Corinna lachte ihr Glöckchenlachen. »Erst mal ist der Umzug dran, du hoffnungslose Romantikerin. Der hat Vorrang, auch wenn die Hochzeit schon in fünf Monaten stattfinden soll.« Fünf Monate, allmählich wurde Wiebke doch nervös. Ach was, eins nach dem anderen.

»Wir brauchen ein Schlafsofa für Maxi. Sie wünscht sich eins, und das bietet sich in ihrem neuen Zimmer wirklich an, wenn ihre Freunde zu Besuch kommen. Trotzdem, ich bin richtig froh, heute in der Praxis zu sein. Gegen das Gewühle in Geschäften mit Horden Einkaufswütiger ist das hier die pure Erholung. Überhaupt, es geht doch nichts über Arbeit im Traumjob mit Traum-Kolleginnen!« Corinna strahlte. »Ganz besonders am Mohn-Tag!«

Wiebke biss genussvoll in eine Mohnschnecke. Es war Tradition, am Montag welche mitzubringen, um die Planung für die Woche zu versüßen. Seit geraumer Zeit war aus der Besprechung eher ein Kaffeekränzchen zu zweit geworden, weil Sandra den Kalorien im Allgemeinen und den Kuchenteilchen im Speziellen abgeschworen hatte.

Corinna ließ nicht locker. »Wie viele von Tammolos’ griechischen Verwandten kommen denn nun zu eurer Hochzeit? Ich halte die beiden Ferienwohnungen natürlich gerne frei, aber irgendwann müssten sie sich entscheiden. Schließlich ist dann Hauptsaison.«

»Ich weiß. Ist wirklich lieb von euch, dass ihr uns die Apartments reserviert.« Wiebke begann aufzuzählen: »Also, allen voran kommt Apollon, der Bruder von Tammes Mutter Eleni, mit seiner Frau Dafne. Er ruft fast täglich an und macht Tamme wohl schon ein kleines bisschen verrückt. Dann kommen, soweit wir momentan wissen, deren Töchter Nike mit Ehemann Jannis und Ismene mit Alexandros. Außerdem hat sich noch die alleinstehende Schwester von Apollon angekündigt.« Sie sah Corinnas verwirrtes Gesicht. »Efgenia ist die Schwester von Tammes Mutter, also die Schwester von Tammes Mutter Eleni und seinem Onkel Apollon natürlich.« Corinna schaute immer verzweifelter drein. »Musst du dir nicht merken. Ich bin froh, wenn ich das einigermaßen hinkriege.« Wiebke dachte an das, was Tamme ihr über diese Efgenia erzählt hatte. »Sie scheint als Nicht-Verheiratete in Griechenland noch als alte Jungfer und damit gleichzeitig als etwas schrullig abgestempelt zu werden. Unglaublich, oder?« Corinna nickte kauend. »Tamme meint allerdings, sie hat es faustdick hinter den Ohren und findet es gar nicht übel, als etwas sonderbar zu gelten.«

»Ist der Ruf erst ruiniert …«

»So ungefähr. Außerdem gehört sie zu Tammes Familie. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich da irgendjemand die Butter vom Brot nehmen lässt. Auf sie bin ich jedenfalls besonders gespannt.«

»Bisher kann ich eure Gäste noch an zwei Händen abzählen«, nahm Corinna den Faden wieder auf. »Momentan komme ich auf sieben Personen. Wenn sich alle gut verstehen, könnten sie locker in den beiden Wohnungen unterkommen.« Damit war ihr Teil der Organisation offenbar erledigt, und sie konnte ihrer Neugier wieder freien Lauf lassen. »Habt ihr schon ein Animationsprogramm für den Mittelmeer-Clan? Wie lange bleiben die eigentlich, eine, zwei oder vielleicht doch vier Wochen? Wir könnten schon mal griechische Schilder an den Pellwormer Sehenswürdigkeiten anbringen.« Corinna schien sich königlich zu amüsieren, und Wiebke war nicht sicher, ob sie das womöglich ernst meinte. Mit vollem Mund konnte sie dummerweise nicht antworten, zuckte mit den Schultern und richtete den Blick gen Himmel.

»Die neue Lampe ist ja noch gar nicht angebracht«, nuschelte sie beim Anblick der Kabel, die von der Zimmerdecke baumelten.

Die alte Lampe war so ziemlich das letzte Relikt aus der Praxis-Ära des alten Inselarztes Dethlefsen gewesen. Vor einigen Wochen hatte sie sie kurz entschlossen abgehängt. Wiebke wollte einfach nicht mehr an die Zeit erinnert werden, als sie damals die Praxis übernommen hatte. Nur musste sie in den letzten Tagen ständig genau daran denken. Wahrscheinlich, weil der Umzug bevorstand. Deshalb kam wohl alles wieder in ihr hoch, was mit der Ankunft auf Pellworm, mit dem Einzug und dem ganz und gar nicht unkomplizierten Start als Inselärztin zu tun hatte. Der alte Dethlefsen hatte es ihr aber auch wirklich nicht leicht gemacht. Erst eine Nachfolgerin suchen und dann an seiner Praxis und seinen Patienten kleben wie eine Muschel an einem Schiffsrumpf. In gewisser Weise konnte sie ihn durchaus verstehen, nur war es auch höchste Zeit gewesen, dass er in den verdienten Ruhestand gegangen war. Er konnte kaum noch hören, man musste immer damit rechnen, dass er aufgrund von einem Missverständnis eine Fehldiagnose stellte. Das war mehr als einmal geschehen. Der harmloseste Fall war noch der einer Patientin gewesen, die über lästigen Husten geklagt hatte.

»Wat? Lästige Pusteln?«, hatte Dethlefsen ausgerufen. »Wegen so einer Lappalie kommen Sie. Na, das kriege ich schon hin, ich verschreib Ihnen was.« Nur ein Hustenanfall der Frau hatte dazu geführt, dass sie doch noch ein Medikament gegen ihr tatsächliches Leiden bekam. »Oha, oha, gegen Ihren Husten schreibe ich Ihnen man lieber auch gleich was auf!«

Wiebke hätte ihm von Herzen gegönnt, das Rentnerleben nach der Umgewöhnung zu genießen, doch es hatte nicht sollen sein. In einem Winkel ihres Herzens hatte Wiebke ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ihm die Hölle ganz schön heißmachen müssen, um nicht nur seine Assistentin, sondern die Chefin in der Praxis zu werden. Ein winziger Teil ihres Bewusstseins stellte einen Zusammenhang zwischen ihrem Ultimatum und Dethlefsens plötzlichem Tod her, wenn ihr Verstand auch genau wusste, dass das Unsinn war. Vermutlich hatte sie darum die olle Lampe hängen lassen und sich nicht getraut, sie endlich auszutauschen. Bis jetzt.

»Die Leuchte habe ich vom Kontinent mitgebracht. Ich finde, wir können mal wieder etwas Hübsches Neues gebrauchen. Ich werde Tamme an seinem freien Dienstag herlocken, damit er sie anschließt.«

Wiebke klatschte in die Hände. Zeit, an die Arbeit zu gehen. Das Hochzeits-Thema hatte sie damit auch geschickt abgeschlossen. Corinna war nicht nur eine der besten Nachbarinnen der Welt, sondern inzwischen längst eine Freundin. Trotzdem, zu viel Privates musste sie nun auch nicht wissen.

»Eigentlich braucht ihr für den Endspurt einen Wedding Planner.« Von wegen, Thema abgeschlossen. Wiebke glaubte, sich verhört zu haben. »Das macht man heute so. Jemand, der, oder besser die, sich um alles kümmert, sodass ihr euch auf euren Tag nur noch zu freuen braucht.«

»Corinna, ich weiß, was ein Wedding Planner ist, nur weiß ich nicht …« Weiter kam sie nicht.

»Mir fällt sofort jemand ein, der …«

Dieses Mal unterbrach Wiebke sie. »Mir fällt ein, dass gleich unser erster Patient kommt und wir noch nicht einmal die Woche besprochen haben.« Corinna zog einen Flunsch. »Über die Hochzeitsplanung reden wir ein anderes Mal weiter, okay?«

»Was liegt an?« Sandra setzte sich genau im richtigen Moment zu den beiden. Von ihr ging keine Gefahr aus, weiter über Ringe, Blumenkinder oder Belustigungsprogramme ausgehorcht zu werden. Die Verbindung zu ihr war rein beruflicher Natur, was wohl daran lag, dass Sandras Mutter, frühere Hebamme von Pellworm, maßgeblich an der Intrige beteiligt gewesen war, die Wiebke damals von der Insel vertreiben sollte.

»Ich werde diese oder nächste Woche einen Tag nach Hooge fahren«, überlegte Wiebke laut. »Zwar habe ich noch keine Meldung von Volker bekommen, dass es Grippefälle gibt, aber ein paar schwerere Erkältungen werden sich jetzt im Frühling bestimmt schon auf der Hallig ausgebreitet haben. Das kennen wir ja selbst. Kaum treiben die ersten Sonnenstrahlen die Temperatur in die Höhe, ziehen wir uns an wie im Hochsommer.« Sie sah Corinna an. »Du natürlich nicht, Fräulein Frostbeule.«

»Ein Halligbesuch ist sowieso fällig«, bestätigte Sandra nach einem Blick in den Kalender. »Wann fährst du?«

»Ich dachte am Donnerstag. Wenn ich mich nicht täusche, haben wir nicht viel auf dem Zettel.«

»Jo, passt.« Sandra trug den Außendienst ein. »Ich rufe Volker nachher gleich an.«

Wiebke zog sich in ihr Sprechzimmer zurück.

Plötzlich fiel ihr wieder ein, wie Maxi am Wochenende auf den Vorschlag reagiert hatte, etwas mit Hilke zu unternehmen. Das war total untypisch gewesen. Freunde waren Maxi wichtig. Normalerweise ließ sie keine Gelegenheit aus, sich zu verabreden. Sie kam mit jedem gut zurecht, selbst wenn ein Kind Einschränkungen hatte, störte Maxi das für gewöhnlich nicht. Warum auch? Wiebke dachte an Claudia. Maxi hatte sich mit dem Mädchen im Teutoburger Wald, wo Wiebke aufgewachsen war, bei Großeltern-Besuchen angefreundet. Welch ein Schock, als Claudia durch einen Unfall plötzlich an den Rollstuhl gefesselt war! Das Schlimmste daran hatte sie Maxi verschwiegen: Ausgerechnet Wiebkes Vater hatte das Unglück mit seinem Lkw verursacht. Es war eine Tragödie. Für Maxi war es aber nie ein Grund gewesen, ihre Freundin im Stich zu lassen. Sobald sie Claudia besuchen durfte, hatte sie das getan. Im Krankenhaus, wo es für Kinder nun wirklich nicht schön war. Umso mehr irritierte Wiebke Maxis jetziges Verhalten. Entweder büßte sie ihre unbekümmerte Offenheit mit zunehmendem Alter ein, oder Hilkes Verhalten war so auffällig, dass Maxi damit tatsächlich nicht zurechtkam. Mal sehen, ob sich Maxi überreden ließ, in den nächsten Tagen mit Hilke ins Schwimmbad zu gehen. Maxi liebte das Schwimmbad. Tamme könnte ein wachsames Auge auf die beiden haben. Wiebke legte großen Wert auf seine Einschätzung. Durch seinen Job hatte er schließlich viel mit Kindern zu tun. Ihm würde auffallen, falls Hilke sich anders verhielt als andere Mädchen ihres Alters. Und wenn es Wiebke gelang, rechtzeitig aus der Praxis zu verschwinden, hätte sie etwas Zeit, um Hilke selbst ein wenig zu beobachten. Auf neutralem Boden sozusagen.

Kapitel 2

Der Frühling löste langsam den Winter ab. Pastellfarbene Sonnenaufgänge verkündeten mildere Tage, und das gelbe Wattenmeerhaus am Hafen, so schien es Wiebke, strahlte dem Sommer schon entgegen. Wiebke liebte die Insel bei Wind und Wetter, aber in diesem Jahr freute sie sich besonders über die ersten Boten der wärmeren Jahreszeit.

Sie hatte Maxi verabschiedet, die zur Schule geradelt war, und sich auf den Weg zu Tammes Haus gemacht. Dienstag war sein freier Tag. Die beiden nahmen sich üblicherweise Zeit für ein ausgiebiges gemeinsames Frühstück, ehe Wiebke in die Praxis musste. Da Tamme am Vorabend allerdings eine Sitzecke hatte zerlegen wollen, die sie ins neue Haus mitnehmen wollten, hatte er ausnahmsweise nicht bei Wiebke übernachtet.

»Sag bloß, du hast deinen grünen Daumen entdeckt.« Wiebke staunte nicht schlecht, dass sie Tamme ausgerechnet im Garten antraf. »Das ist ja ein ganzes Blütenmeer!«

Tatsächlich hatten sich besonders viele Schneeglöckchen und Krokusse direkt vor seiner Terrasse angesiedelt. Eigentlich zählte Tammes Grundstück eher zur Kategorie Naturwiese. Beete mit Blumen oder akkurat gestutzten Sträuchern suchte man vergeblich.

»Ich habe sie nicht eingeladen. Aber wo sie schon mal da sind …« Tamme versuchte, mit einem Rasenkantenschneider dem Löwenzahn und den Grasbüscheln den Garaus zu machen, die in allen Fugen der Waschbetonplatten prächtig wucherten. »Falls sich jemand mein Häuschen angucken kommt, soll es schließlich nicht aussehen wie bei Hempels unterm Sofa.« Wann immer ein Verkauf im Gespräch war, verwandelte sich Tammes positive Miene in Bedauern und Zweifel.

»Du musst es nicht verkaufen, Tamme«, erinnerte Wiebke ihn sanft. »Du kannst es erst mal vermieten.«

»Wozu soll das gut sein?« Er stützte sich auf den Handgriff. »Ich brauche keine Eherücktrittsversicherung.«

»Ich auch nicht. Ich dachte nur, weil du immer so trübe aus der Wäsche guckst, wenn du vom Verkauf deines Hauses sprichst.«

»Ganz leicht fällt es mir nicht«, gab er zu. Dann war das Strahlen in seinen Augen wieder da. »Es spielt übrigens keine Rolle, ob Käufer oder Mieter, beeindrucken will ich die auf jeden Fall.« Die Logik hatte etwas Bestechendes. »Außerdem profitierst du auch davon, wenn ich jetzt schon mal ein paar Handgriffe übe. Das Schwimmbad kommt ab und an mal ohne mich aus, seitdem sich Linus überraschenderweise doch noch eingearbeitet hat.«

»Hat er sich etwa von Schnecken- zu Faultier-Tempo gesteigert?«

»Mindestens! Auf jeden Fall hält er allein ganz ordentlich die Stellung. Das heißt, mir bleibt mehr Zeit, um in unserem kleinen Paradies in der Liebesallee meine Fähigkeiten als Gärtner auszuprobieren.«

»Du meinst, wir hätten vielleicht sogar das ganze Jahr etwas Blühendes?« Wiebke sah ihn mit staunenden Augen an.

»Nicht nur! Wir werden uns außerdem nur noch von Obst und Gemüse aus eigenem Anbau ernähren.«

»Und vermutlich dramatisch abnehmen …« Wiebke musste lachen. »Ich sehe dich direkt vor mir, mit Latzhose, Schlapphut und Rauschebart wie der Fernsehgärtner aus Husum. Eine gute Assistentin hast du auf jeden Fall schon.«

»Bisher stehst du nur rum und hältst mich von der Arbeit ab. Ich fürchte, so kann ich dir die Assistentenstelle nicht geben.«

»Wer spricht denn von mir? Maxi hat sich doch sofort ein kleines Kräuterbeet angelegt, als wir damals in den Feldweg gezogen sind. Hm, die Frage ist allerdings, wer wessen Assistent wäre.«

»Und was ist mit dir? Du wolltest doch eigentlich auch kürzertreten. In der Praxis, meine ich. Hast du inzwischen mal wieder eine Anzeige geschaltet?«

Treffer! Wiebke wollte sich tatsächlich längst intensiver darum gekümmert haben, eine junge Kollegin oder einen Kollegen zu finden, mit der oder dem sie eine Praxisgemeinschaft bilden konnte. Solange sich nichts änderte, hatte Wiebke täglich Bereitschaft. Wenn ihr Pieper Alarm meldete, musste sie los. Einen Versuch hatte Wiebke unternommen, nur hatte sich auf das Inserat kein geeigneter Kandidat gemeldet. Seitdem war das Thema erst einmal in Vergessenheit geraten. Wirklich blöd. Nicht nur, dass sie die Großstadt unter anderem verlassen hatte, um mehr Zeit für Maxi zu haben, nun hatte sie auch noch einen Mann, mit dem sie mehr als immer nur wenige Stunden zwischen Einsätzen verbringen wollte. Wiebke fiel siedend heiß ein, dass ihr Pieper selbst bei ihrer eigenen Hochzeit Alarm schlagen konnte. Sie musste sich dringend wenigstens um eine vorübergehende Vertretung kümmern.

»Apropos Praxis, hast du nicht Lust, nachher vorbeizukommen und eine Lampe in der Küche anzubringen? Die von der Decke baumelnden Kabel sind nicht gerade attraktiv und geben obendrein kein Licht.«

»Glaub bloß nicht, dass ich dein Ablenkungsmanöver nicht durchschaut habe.« Er verdrehte die Augen. »Ich komme trotzdem vorbei und erledige das.« Sie küsste ihn. »Ich kann dir aber nicht sagen, wann das sein wird. Nele will mich am Nachmittag anrufen. Sie hat so viel um die Ohren, dass sie noch immer nicht weiß, wann sie zu unserer Hochzeit nach Hause kommen kann. Lange bleiben kann sie sowieso nicht, es werden kaum mehr als zwei Tage sein.«

Rührend, wie Tamme immer noch von »nach Hause« kommen sprach. Seine Tochter Nele wohnte seit Jahren auf dem Festland bei ihrer Mutter, nach Pellworm kam sie nur zu Besuch. Selbst das war selten geworden, seit sie in Verona war. Ein Schuljahr in Italien, bevor sie anschließend in Deutschland ihr Abitur machen würde. Ein bisschen beneidete Wiebke sie um diese Erfahrung. Was sie Tamme bei ihren Anrufen erzählte, klang wunderbar, Nele war jedes Mal geradezu euphorisch. Hoffentlich überlegte sie es sich nicht anders, machte auch ihren Abschluss dort und blieb für immer. Tamme vermisste sie jetzt schon schrecklich. Wiebke wollte sich nicht ausmalen, wie es einmal sein würde, wenn Maxi flügge wurde und sie sich längere Zeit nicht sehen konnten. Glücklicherweise waren es noch viele Jahre bis dahin.

»Immerhin kommt sie«, munterte Tamme sich selbst auf. »Die Verwandten aus Griechenland hat sie ewig nicht gesehen, Cousine Nike sogar noch nie.«

»Im Hochzeitstrubel habt ihr ohnehin nicht viel voneinander. Wer weiß, vielleicht kann Nele nach dem Schuljahr in Italien etwas länger bei uns bleiben. Kann doch sein, dass sie sowieso wieder bei Fenja und Fiete auf Süderoog aushelfen will.«

Wiebke sah auf die Uhr. Es wurde allmählich Zeit. Dann fiel ihr doch noch etwas ein: »Was deine große dramatische Familie aus Griechenland angeht, musst du mir übrigens demnächst mal einen Stammbaum aufzeichnen. Ich habe versucht, Corinna zu erklären, wer wie mit wem verwandt ist.« Sie pustete eine Strähne aus der Stirn. »Das ist echt mal eine Aufgabe!«

»Dann zeichne ich dir am besten gleich noch eine Landkarte dazu. Die kommen nämlich nicht alle aus Drama, nur meine Mutter, Onkel Apollon und Efgenia wohnen dort.«

»Weiß ich doch!« Drama – da war Pellworm ja noch ein staubtrockener Ortsname. Vermutlich hielt es jeder Deutsche für einen schlechten Scherz, wenn man ihn erwähnte. »Und eine Landkarte brauche ich nicht, denn ich weiß sehr wohl, dass Drama im Norden Griechenlands liegt und berühmt für sein weltklasse Skigebiet ist.«

»Das ist jetzt eher übertrieben.«

»Das war ein Witz, Tamme.« Wiebke schnitt eine Grimasse. In dem Moment klingelte sein Dienst-Handy.

»Halb zehn! Ich habe heute frei, und das Bad ist geschlossen«, sagte er sehr bestimmt. Wiebke wollte ihn gerade bewundern, dass er so konsequent war, da ging er ran.

»Herr Scheewe, Moin, wie ist die Lage auf Hooge, ernst, aber nicht hoffnungslos?« Durch den Lautsprecher war ein meckerndes Lachen zu hören.

Der Bürgermeister der Hallig war noch nicht mal ein Jahr im Amt, und er kam vom Kontinent. Sein Credo »Wir machen alles neu: größer, schneller, besser« kam nicht bei jedem gut an.

»Klar ist ein Schwimmbad eine tolle Sache. Hm, ja … sicher … Finde ich auch, deshalb arbeite ich in einem.« Tamme hörte zu, holte tief Luft, kam nicht zu Wort, hörte weiter zu. Bemerkenswert, für gewöhnlich hatte er kein Problem damit, auch mal zum Zug zu kommen. Jetzt schüttelte er den Kopf.

Wiebke gestikulierte. Sie musste wirklich los. Aber Tamme ignorierte sie beharrlich.

»Mit Außenbereich, ah ja. Und Jacuzzi draußen. Klingt super, wo haben Sie das gesehen?« Er schnaufte erschöpft. »Ja, auf Island kann man so was natürlich gut machen. Da kommt das Wasser schließlich ganz natürlich aus heißen Quellen.« Tamme verdrehte die Augen und tat so, als würde er sich in den Unterarm beißen. »Hm, ja … Herr Scheewe, nehmen Sie es mir bitte nicht übel, aber ich muss mich jetzt um jemanden kümmern.« Wiebke grinste. »Ein anderes Mal können Sie mir gerne Ihre Bilder von Island zeigen.«

Wiebke schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. Da das Telefonat noch zu dauern schien, machte sie Tamme Zeichen, dass sie nun wirklich in die Praxis ging. Er nickte matt, sie küsste ihn sanft auf die Wange.

»Was haben Sie gerade gesagt?«, rief Tamme auf einmal.

Wiebke blieb stehen, als sei sie gegen eine Wand gelaufen. In der nächsten Sekunde griente Tamme wieder.

»Sie sind ’n büschen früh dran, lieber Herr Scheewe. Erster April ist noch nicht.«

Wiebke entspannte sich, da murmelte Tamme: »Der meint das ernst, das gibt’s doch nicht.« Klang ziemlich interessant. Zu schade, dass sie losmusste.

»Hooge ist doch nicht Island. Oder haben Sie neuerdings einen Vulkan auf der Hallig?«

Wiebke traute ihren Ohren nicht, der Scheewe hatte doch wohl nicht vor, auf Hooge ein Schwimmbad zu bauen. Einen größeren Unsinn hatte sie noch nie gehört. Allein der Energiebedarf wäre ein Wahnsinn, vor allem bei einer Handvoll Einwohnern, die das Bad nur nutzen konnten. Aber dem Scheewe war so etwas zuzutrauen.

»Die bummelig hunderttausend Tagestouristen pro Jahr können Sie vergessen«, hörte sie Tamme noch schimpfen, als sie sein Grundstück schon hinter sich gelassen hatte. »Die gucken sich den Königspesel an, und dann ist gut!«

Doch der frisch gebackene Bürgermeister wollte sich anscheinend allen Ernstes ein Denkmal setzen. Ein Schwimmbad auf einer Hallig. Sie musste lachen. Tamme würde ihn schon noch von seinem Plan abbringen.

Mal davon abgesehen, dass einige Kilometer Luftlinie entfernt offenbar gerade jemand größenwahnsinnig wurde und Wiebke noch der Kopf von Onkel Apollon und Co. schwirrte, hatte sie an diesem Morgen das Gefühl, dass alles in ihrem Leben endlich richtig war. Die Sonne schien, sie lief das kurze Stück vom Schmerhörn zum Feldweg, betrachtete die Frühblüher am Wegesrand und genoss die salzige Meeresluft. Vom ersten Tag an liebte sie die Schreie der Möwen und die hohen typischen Rufe der Austernfischer. Von wegen, nach ein paar Monaten hörst du das gar nicht mehr. Wiebke nahm jedes Detail ganz bewusst wahr, das den Alltag auf Pellworm so besonders und so schön machte. Auch nach zwei Jahren noch. Obendrein ging es Maxi gut wie nie, ihr Asthma machte sich fast gar nicht mehr bemerkbar. Sie war ein aufgewecktes, kluges Kind, das sich in der Nachbarschaft und auf der ganzen Insel sicher und aufgehoben fühlte. Das Einzige, was sie immer vermisst hatte, war ein Vater. Und auch den hatte sie jetzt. Ab August sogar hochoffiziell. Das war doch alles wie in einem Film, den man sich, in eine Decke gekuschelt, anguckte, ein Glas Wein dazu oder einen Becher Eis oder auch beides. Und am Ende seufzte man ein wenig melancholisch, weil man zurückmusste in die Realität. Nur war das kein Film, es war die Realität. Wiebke würde heiraten! Sie musste schmunzeln. Seit Wochen war es das Top-Thema, für die Insulaner und auch für die Hallig-Lüüd, wie Wiebke gehört hatte. Obwohl zwischen ihnen und ihr ein Streifen Nordsee lag, war Wiebke als Ärztin für sie zuständig. Nicht umsonst nannte man sie Hallig-Doc. Der alte Dethlefsen hatte das zwar auch gemacht, allerdings eher sporadisch und vor allem nicht mit amtlichem Segen. Das hatte Wiebke schleunigst geändert und für eine Lösung gesorgt, die sich außerhalb jeder Grauzone befand. Regelmäßige Sprechstunden und natürlich Notfalleinsätze nach Bedarf waren das Mindeste, was die Menschen erwarten konnten. Leider kostete das alles viel Zeit. Umso mehr musste sie sich endlich um Verstärkung in der Praxis kümmern.

Trotz der Sonne war es noch kühl an diesem Morgen, Wiebke zog den Reißverschluss ihrer Windjacke ein Stückchen höher. Eine Fahrradfahrerin mit Pudelmütze und Handschuhen, hinten am Fahrrad ein doppelter Kinderwagen, überholte Wiebke auf dem Südermitteldeich, bremste ab und hielt an: Saskia, mit den Zwillingen Kai und Katja.

»Moin, Wiebke, müsstest du nicht längst in der Praxis sein?«

»Moin, Saskia. Besten Dank auch für das schlechte Gewissen, das du mir soeben gemacht hast.«

»Brauchst du nicht zu haben. Du heiratest demnächst, also kannst du dir alles erlauben und es auf die Hormone schieben, die durchdrehen.« Saskia strahlte zufrieden. »Wie laufen übrigens die Hochzeitsvorbereitungen?« Das war ja mal eine originelle Frage.

Wiebke beugte sich über den Anhänger. »Hallo, Zwillinge! Alles klar bei euch?« Keine Reaktion. Den Kindern war es eindeutig noch zu früh. Und zu kalt.

»Schwacher Versuch.« Saskia lächelte spöttisch. »Also?«

»Ist doch noch so viel Zeit. Erst muss das Haus in der Liebesallee fertig werden, dann ziehen wir um, und dann geht’s weiter.« Ihr fiel etwas ein, ein Brocken, den sie Saskia hinwerfen konnte. »Das Wichtigste ist geklärt: Wir haben das Standesamt im Leuchtturm reserviert, keine Hochzeits-Touristen vom Kontinent können es uns wegschnappen.« Leiser fügte sie hinzu: »Gott sei Dank gibt es endlich wieder einen Standesbeamten auf Pellworm.«

»Da sagst du was! Stell dir vor, wir hätten einen vom Kontinent entführen müssen.« Sie lachte ihr kehliges Lachen. »Zur Not hätten wir das natürlich auch hinbekommen.«

»Natürlich.« Wiebke rieb sich die Finger, allmählich wurde ihr wirklich kalt.

»Es geht eben nichts über gute Organisation«, behauptete Saskia.

Wiebke ahnte Böses. Sagte Saskia das, weil ihr Mann Jost als Eventmanager ein Organisationstalent war und sie von seinem letzten genialen Großauftrag schwärmen wollte, oder brachte sie sich gerade in Stellung, um selbst aktiv zu werden?

»Deshalb brauchst du unbedingt einen Wedding Planner, finde ich.« Wiebke pustete genervt. »Nicht jemand, der viel Geld kostet«, beschwichtigte Saskia, »eine gute Freundin mit besten Verbindungen zu Gastronomie, Licht- und Tontechnik …«

»Eine, die praktischerweise auch gleich die Hochzeitstorte liefern kann«, setzte Wiebke die Aufzählung fort. In diesem Punkt war Saskia allerdings wirklich unschlagbar, und Wiebke wollte unbedingt ein mehrstöckiges zuckriges Kunstwerk von ihr.

»Du hast bestimmt diesen Film gesehen oder die amerikanische Serie, wo die beste Freundin …«

»Eher nicht«, unterbrach Wiebke. »Du, ich muss jetzt auch los.«

»Ich kann das gerne übernehmen. Ich kümmere mich um alles: Einladungskarten, Tischkarten, Speisekarten, Restaurantreservierung, Tischschmuck, Hochzeitskutsche …«

»Saskia!«