Sommerglück auf Reisen - Linnea Holmström - E-Book
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Sommerglück auf Reisen E-Book

Linnea Holmström

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Beschreibung

Glitzernde Seen, blühende Wiesen und ein tiefblauer Himmel - so schön ist der Sommer im hohen Norden!

Die Köchin Kristina Ljungström hat sich Schwedens berühmtesten Gastrokritiker zum Feind gemacht. Und ihr Sohn Finn hat sich ausgerechnet in dessen Tochter Svea verliebt. Natürlich kommt es überhaupt nicht infrage, dass Finn und Svea in den Sommerferien gemeinsam durch Schweden reisen. Doch die Teenager lassen sich ihren Urlaub nicht verderben und reißen aus. Kristina nimmt die Verfolgung auf, aber schon nach wenigen Kilometern bleibt ihr Auto am Straßenrand liegen - wo ausgerechnet der unverschämte Gastrokritiker sie aufsammelt ...

Eine sommerliche Reise quer durch Schweden nimmt ihren Lauf - mit viel Witz, Romantik und leckeren Rezepten zum Nachkochen. Die passende Urlaubslektüre für alle Skandinavienurlauber und Fans von Inga Lindström.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Karte

Selmas Welt

– 1 –

Tomaten-Orangen-Suppe

Köttbullar mit brauner Soße

Johannisbeerpaj (mit Vanillesoße oder Vanilleeis)

– 2 –

Selmas Welt

– 3 –

Elins Apfelkuchen

– 4 –

Selmas Welt

– 5 –

Grillwürstchen mit Krabbensalat und Kartoffelbrei

Frischkäseeis mit Erdbeeren

– 6 –

Selmas Welt

– 7 –

Lachsröllchen mit Forellenkaviar

Matjestatar

– 8 –

Selmas Welt

– 9 –

Pfifferling-Hack-Auflauf

Majs Traumkuchen

– 10 –

Selmas Welt

– 11 –

Mikaels Sommersalat

– 12 –

Selmas Welt

– 13 –

Bengts kleine Spezialitäten

– 14 –

Selmas Welt

– 15 –

Spargel mit Garnelen

– 16 –

Selmas Welt

– 17 –

Schwedische Erbsensuppe mit Schweinefleisch

– 18 –

Selmas Welt

– 19 –

Pytt y Panna

– 20 –

Selmas Welt

– 21 –

Schwedische Zimtschnecken (Kanelbullar)

– 22 –

Selmas Welt

– 23 –

Dillfleisch

– 24 –

Selmas Welt

– 25 –

Bosses Hecht

Weißes Schokoladenmousse

– 26 –

Selmas Welt

– 27 –

Brennnesselsuppe

Elchfilet mit Pflaumensoße

Himbeerdessert mit Krokant

– 28 –

Selmas Welt

– 29 –

Hagebuttensuppe

Schwedischer Schweinerücken

Schwedischer Käsekuchen Ostkaka

– 30 –

Selmas Welt

– 31 –

Prinzessinnentorte

– 32 –

Selmas Welt

Weitere Titel der Autorin

Elche im Apfelbaum

Im Himmel ist der Herbst wie Sommer

Irgendwo ist immer Frühling

Weihnachten am Siljansee

Über dieses Buch

Glitzernde Seen, blühende Wiesen und ein tiefblauer Himmel – so schön ist der Sommer im hohen Norden!

Die Köchin Kristina Ljungström hat sich Schwedens berühmtesten Gastrokritiker zum Feind gemacht. Und ihr Sohn Finn hat sich ausgerechnet in dessen Tochter Svea verliebt. Natürlich kommt es überhaupt nicht infrage, dass Finn und Svea in den Sommerferien gemeinsam durch Schweden reisen. Doch die Teenager lassen sich ihren Urlaub nicht verderben und reißen aus. Kristina nimmt die Verfolgung auf, aber schon nach wenigen Kilometern bleibt ihr Auto am Straßenrand liegen – wo ausgerechnet der unverschämte Gastrokritiker sie aufsammelt …

Eine sommerliche Reise quer durch Schweden nimmt ihren Lauf – mit viel Witz, Romantik und leckeren Rezepten zum Nachkochen.

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Linnea Holmström ist begeistert von der Weite und der Vielfalt Schwedens – einem Land im hohen Norden, das zu jeder Jahreszeit seinen ganz besonderen Reiz hat. Deshalb liebt sie es, durchs Land zu reisen und ihre Erlebnisse in Romanen festzuhalten, die vom Leben, Leiden und Lieben der Schweden erzählen. »Irgendwo ist immer Frühling« ist nach »Weihnachten am Siljansee«, »Sommerglück auf Reisen«, »Elche im Apfelbaum« und »Im Himmel ist der Herbst wie Sommer« der fünfte Roman der Autorin.

Linnea Holmström

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Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Landkarte: Reinhard Borner

Covergestaltung: © Julia Jonas, Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © AdobeStock: Polarpx | OlgaKot20

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-9534-1

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Selmas Welt

Es gibt viele Themen, über die ich schreiben könnte, aber heute muss auch bei mir das Wetter herhalten.

Der Winter war lang, kalt und dunkel. Okay, liebe Leser, ich erzähle euch da nichts Neues, und ihr wisst auch, dass wegen der schweren Regenfälle in der Walpurgisnacht die Freudenfeuer zur Begrüßung des Frühjahrs nicht entzündet werden konnten. Die Rache des Frühjahrs folgte prompt – mit weiteren Regenfällen.

Aber habt ihr mal aus dem Fenster gesehen? Seit gestern scheint die Sonne über Stockholm, der Himmel ist tiefblau, und wenn einer von euch insgeheim mit dem Gedanken spielte, Noah Konkurrenz zu machen, und den Bau einer Arche plante, dann sollte er es ganz schnell vergessen …

»Deadline!«

Selma Anders sah hoch, die Augenbrauen missmutig zusammengezogen. Ihr Chefredakteur Erik Asmussen stand vor ihrem Schreibtisch und tippte auf seine Armbanduhr.

»Ja, gleich.« Selma wedelte mit der Hand, starrte wieder auf den Monitor ihres Computers und las ihren Text noch einmal durch. Der Hit war das nicht gerade, was sie da verfasst hatte.

… Wir haben uns einen schönen Sommer verdient – und ganz besonders Sören Sundloff, der an Midsommar im Rålambshovsparken auftritt. Ein junger Rocksänger, dessen Namen ihr euch unbedingt merken solltet. Ich werde jedenfalls da sein, und ich würde mich freuen, den einen oder anderen von euch dort ebenfalls zu treffen.

»Selma, sofort!« Eriks Stimme klang unerbittlich.

In Gedanken zeigte Selma ihm den ausgestreckten Mittelfinger, während sie die letzten Worte tippte:

Wir lesen uns morgen wieder!

Sie klickte auf »Drucken« und grinste Erik an. Der Chefredakteur zog bereits das Blatt aus dem Drucker und überflog den Text.

»Ist das alles?«, fragte er unzufrieden. »Dafür hast du so lange gebraucht?«

Selma wusste, dass sie keine Meisterleistung vollbracht hatte. Es war nichts Spektakuläres passiert, nicht einmal das Königshaus produzierte derzeit Schlagzeilen.

»Sommerzeit«, sagte sie lakonisch.

»Das ist keine Entschuldigung«, sagte Erik mit gerunzelter Stirn.

»Was schlägst du vor?«, fragte Selma. »Soll ich nackt über die Västerbron laufen und damit selber einen Skandal produzieren?«

Erik Asmussen deutete ein knappes Grinsen an, wobei sein Blick über ihre üppigen Kurven wanderte. »Ist mir egal, was du machst, so etwas nehme ich jedenfalls nicht noch einmal ab. Eher nehme ich deine Kolumne ganz aus dem Programm.«

Selma presste verärgert die Lippen aufeinander. Als Reporterin des Morgonbladet durfte sie über so aufregende Dinge wie die Sitzung eines Kaninchenzuchtvereins oder das jährliche Treffen eines Veteranenvereins berichten. Beim letzten Treffen hatte der Vorsitzende der Veteranen sein Gebiss vergessen. Die Rede war ein einziges Genuschel gewesen, und Selma hatte nur die Hälfte des langweiligen Vortrags verstanden. Die andere Hälfte hatte sie sich zusammengereimt, in der Gewissheit, dass es eigentlich völlig egal war, was sie schrieb. Außer den Veteranen selbst würde kaum jemand diesen Artikel lesen.

Irgendwann – Selma konnte sich selbst nicht mehr genau daran erinnern, wann das gewesen war – hatte sie geglaubt, das Leben einer Reporterin sei aufregend. Immer auf der Suche nach neuen Sensationen, von Termin zu Termin hetzen und zwischendurch Berichte schreiben, für die sie bewundert würde.

Die Realität war ernüchternd, und ihre Kolumne, für die sie so sehr gekämpft hatte, war das Einzige, was ihr in ihrem Berufsleben wirklich Freude bereitete. Diese Kolumne würde sie nicht kampflos aufgeben. Sie brauchte nur endlich eine Idee, einen zündenden Funken!

– 1 –

Ich habe auch schon bessere Kolumnen gelesen«, murmelte Kristina Ljungström am nächsten Morgen. Sie schlug die Zeitung zu und legte sie neben ihren Teller auf den gedeckten Frühstückstisch.

»Was hast du gesagt?«

Mit verstrubbeltem Haar schlurfte Finn in die Küche und ließ sich auf die Bank fallen. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, legte das Gesicht in beide Hände und schien seine Frage bereits vergessen zu haben. »Ich habe keine Lust auf Schule«, murrte er.

»Nächste Woche hast du Ferien«, sagte Kristina. »Kaffee?«

Ihr Sohn brummte etwas Unverständliches, was Kristina als Zustimmung deutete. Sie stand auf und ging zur Küchenzeile, die direkt an den Essbereich anschloss. Die Kanne in der Kaffeemaschine war noch halbvoll. Kristina füllte eine Tasse für Finn und goss auch ihre eigene Tasse noch einmal voll.

Finn bedankte sich knapp. Um diese Zeit war er nie besonders gesprächig.

Kristina räusperte sich. »Wegen der Ferien müsste ich noch etwas mit dir besprechen.«

»Mhm.« Finn nippte an seinem Kaffee. Er schaute sie über den Rand der Tasse an und wirkte plötzlich nicht mehr müde, sondern angespannt.

Ob er ahnte, was sie ihm sagen wollte?

Innerlich wappnete Kristina sich, weil sie mit heftigem Protest rechnete. Sie holte tief Luft, bevor sie mit der schlechten Nachricht herausplatzte: »Ich kann diesen Sommer nicht verreisen.«

»Mhm« war auch diesmal alles, was Finn von sich gab.

»Es tut mir leid, Finn.« Sie hob entschuldigend die Hände. »Ich kann mir keinen Urlaub leisten. Nicht nur aus finanziellen Gründen. Ich habe das Restaurant gerade erst eröffnet, da kann ich es nicht für zwei Wochen schließen. Mal abgesehen davon, dass ich gerade in den Sommermonaten einiges an Umsatz erwarte.«

Völlig überraschend hatte Kristina im vergangenen Jahr von ihrem ehemaligen Ausbilder Geld geerbt. Der gute Gustav, der ihr die Kunst des Kochens und vor allem die Liebe zum Essen nahegebracht hatte, hatte sie in seinem Testament als Haupterbin eingesetzt.

Kristina wünschte sich, sie hätte sich mehr um den einsamen alten Mann gekümmert. Er hatte sie behandelt wie seine eigene Tochter, er war für sie da gewesen in den schwersten Stunden ihres Lebens. Aber nachdem sie nach Stockholm gegangen war, hatte sie ihn aus den Augen verloren. Eine Karte zu Feiertagen, hin und wieder mal ein Anruf, mehr Kontakt hatte es zwischen ihnen nicht mehr gegeben. Sie wollte zwar selbst nicht nach Göteborg fahren, wo er bis zu seinem Tod gelebt hatte, aber sie hätte ihn zu sich einladen können.

Es war zu spät!

Wie sich nach seinem Tod herausstellte, hatte Gustav sie nicht vergessen. Nur ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie ihren Traum von einem eigenen Restaurant wahrmachen konnte. Für einen Edelschuppen am Strandvägen hatte es nicht gereicht, aber das hätte sowieso nicht zu ihr gepasst.

Kristina war stolz auf ihr Kristinas. Das Restaurant lag im Rålambshovsparken, direkt am Wasser, mit einer eigenen Anlegestelle. Sie war gerade dabei, sich einen Namen zu machen durch schmackhafte und bezahlbare Gerichte. Besonders beliebt war ihr tägliches Dagens Rätt, ein Mittagsmenü, das aus einem warmen Gericht, einem Salatbüfett, Mineralwasser und Lättöl, dem schwedischen Leichtbier, bestand. Abgerundet wurde die Mahlzeit von einer Tasse Kaffee, die ebenfalls im Gesamtpreis enthalten war. Das Angebot wurde vor allem von Angestellten und Arbeitern gerne angenommen. Es kamen aber auch immer mehr Touristen zu ihr, und inzwischen hatte sich ihr Konto ein bisschen erholt. Trotzdem brauchte sie Rücklagen und konnte das Geld nicht für einen Urlaub ausgeben.

»Mhm«, machte Finn zum dritten Mal. Kein Protest, er wirkte nicht mal enttäuscht. Vielleicht hatte sie ihn unterschätzt, und er war mit seinen fünfzehn Jahren verständig genug, um ihre Gründe zu verstehen.

»Das ist also okay für dich?«, hakte Kristina vorsichtig nach.

Finn hatte seine Kaffeetasse inzwischen zur Hälfte geleert. Offensichtlich reichte diese Dosis, um seine Gesprächsbereitschaft in Schwung zu bringen.

»Ich wollte dieses Jahr sowieso nicht mit dir in Urlaub fahren«, verkündete er. »Ich bin ja kein Kind mehr.«

»Aha!«

Kristina hatte diese Information noch nicht ganz verdaut, als Finn ergänzte: »Ich fahre mit Svea in die Ferien.«

Finn wollte mit seiner Freundin verreisen?

Kristina wusste im ersten Moment nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie wollte nicht spießig sein, aber war ihr Sohn wirklich alt genug, um alleine auf Reisen zu gehen? Und dann auch noch mit einem Mädchen, von dem er erst seit Kurzem sprach und das er als seine Freundin bezeichnete? DIE Freundin, oder nur irgendeine Freundin?

Es war einer dieser Momente, in denen die ganze Last einer alleinerziehenden Mutter auf Kristinas Schultern ruhte. Mit allen Sorgen und Problemen musste sie alleine fertig werden. Immer schon. Und trotzdem war Dag der Supervater, der über allem stand. Zumindest für ihren Sohn.

Finn vergötterte seinen Vater, weil der ihm alles erlaubte. Kristina hatte ihrem Sohn nie gesagt, warum sie sich schon vor seiner Geburt von seinem Vater getrennt hatte. Sie bereute diesen Entschluss nicht, auch wenn sie oft Bitterkeit verspürte, wenn Finn seinen Vater verherrlichte – und das war immer so, wenn er von einem Wochenendausflug oder den Ferien aus Ystad zurückkehrte.

»Du sagst ja gar nichts«, beschwerte sich Finn.

Kristina, tief in Gedanken versunken, bemerkte erst jetzt, dass ihr Sohn auf eine Reaktion von ihr wartete. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, erwiderte sie ehrlich. »Ich kenne diese Svea nicht einmal. Wohin wollt ihr überhaupt fahren?«

Auf ihre Bemerkung über Svea ging Finn gar nicht erst ein. »Wir haben kein festes Ziel«, sagte er. »Wir fahren einfach kreuz und quer durch Schweden, und da, wo es uns gefällt, bleiben wir ein paar Tage. Wir haben mal durchgerechnet, wie viel das ungefähr kostet.«

Er nannte eine Summe, die ihr kurz die Sprache verschlug. Für diesen Betrag könnte sie sich zusammen mit ihrem Sohn eine zweiwöchige Karibikreise leisten. Okay, nur ein Drei-Sterne-Hotel, aber die Summe sprengte alles, was ihr möglich war.

»Das geht nicht, Finn.« Kristina schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht leisten.«

Finn zuckte mit den Schultern. »Dann frage ich eben Papa.«

Im Grunde konnte Kristina die Urlaubspläne ihres Sohnes abhaken. Dag zahlte zwar regelmäßig Unterhalt für Finn, aber mit Reichtümern war auch er nicht gesegnet. Sobald er etwas Geld übrig hatte, zog es ihn mit seinem Surfbrett hinaus in die Welt. Wie alle fanatischen Surfer war er immer auf der Suche nach der perfekten Welle und nahm an zahlreichen Meisterschaften teil. In den Sommermonaten lebte er in seinem kleinen Reihenhaus in Ystad, gab Surfunterricht und genoss ansonsten einfach das Leben. »Alles kommt, wie es kommen muss«, war immer schon sein Motto gewesen, und daran würde sich wahrscheinlich auch nie etwas ändern.

Kristina wusste, dass Dag bis heute kein Verständnis dafür aufbringen konnte, dass sie sich von ihm getrennt hatte. »Ich habe mich doch entschuldigt«, hatte er stets gesagt und einfach nicht begreifen wollen, dass die Enttäuschung und der Schmerz bei ihr so tief saßen, dass sie mit einer Entschuldigung nicht aus der Welt zu schaffen waren.

Verständlicherweise verschwieg Dag seinem Sohn, wieso er und Kristina nicht mehr zusammen waren, schien ihm gegenüber aber gleichzeitig durchblicken zu lassen, dass es Kristina war, die ihn verlassen hatte. Immer wenn Finn aus Ystad nach Hause kam, spürte Kristina, dass er ihr die Schuld daran gab, dass er nicht ständig mit seinem Vater zusammen sein konnte. Es waren keine direkten Angriffe, sondern kleine, unterschwellige Anspielungen. Nichts, was sie greifen und Dag vorwerfen konnte.

Kristina drohte ihm zwar damit, Finn die Wahrheit zu sagen, aber Dag wusste wahrscheinlich nur zu gut, dass sie diese Drohung nicht wahrmachen würde. Nicht um Dag zu schützen, sondern weil sie genau wusste, wie sehr es Finn verletzen würde, wenn er erfuhr, dass sein Vater keineswegs unfehlbar war.

Die Zeit ihrer Schwangerschaft war für Kristina nicht einfach gewesen. Sie hatte nicht nur den Vater ihres ungeborenen Kindes verloren, sondern auch ihre Familie. Unmittelbar nachdem sie die Wahrheit erfahren hatte, war sie von Göteborg nach Stockholm gezogen.

Trotz ihrer Schwangerschaft fand sie eine Stelle in einem Restaurant und lebte anfangs zur Untermiete bei Anna und Nils, die damals gerade ihr erstes Kind bekommen hatten. Für Anna und Kristina war das ganz praktisch, weil sie sich mit der Betreuung der Kinder abwechseln konnten. Anna arbeitete tagsüber in einem Reisebüro, und Kristina arbeitete nach Finns Geburt überwiegend abends.

Kristina hatte ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Nur eines hatte sie nie geschafft: nach Göteborg zurückzukehren. Nicht einmal zur Beerdigung ihres Vaters hatte sie sich dazu überwinden können.

»Du sagst ja schon wieder nichts.« Finns Stimme klang ungeduldig. »Normalerweise passt es dir doch nicht, wenn ich Papa um Geld bitte.«

»Da muss ich mir keine Sorgen machen«, erwiderte Kristina trocken. »Die Summe, die du für deine Ferien eingeplant hast, wird dein Vater ohnehin nicht zur Verfügung haben. Was habt ihr vor, du und deine Freundin? Eine Exkursion durch schwedische Luxushotels?«

»Wir haben uns im Internet Hotelpreise angesehen«, sagte Finn ein wenig kleinlaut. »Svea hat die Hotels ausgesucht. Ich kenne mich da nicht so aus.«

Natürlich nicht! In den vergangenen Sommerferien waren sie immer zwei Wochen in einem preiswerten Ferienhaus irgendwo draußen auf den Schären gewesen, die restliche schulfreie Zeit hatte Finn stets bei seinem Vater verbracht. Offensichtlich war die Freundin ihres Sohnes ein ziemlich verwöhntes Mädchen, wenn sie Hotels in dieser Preisklasse aussuchte.

Kristina hielt sich mit einer entsprechenden Bemerkung zurück und fragte stattdessen: »Was sagen eigentlich Sveas Eltern zu euren Urlaubsplänen?«

»Svea lebt bei ihrem Vater.« Finn zuckte mit den Schultern. »Und was der dazu sagt, weiß ich nicht. Ich kümmere mich um dich, und Svea kümmert sich um ihren Vater.« Finn grinste sie frech an.

Kristina grinste zurück. »Lass uns später noch einmal über deine Pläne reden. Ich muss darüber nachdenken. Aber bei dem Kostenplan, das sage ich dir gleich, kannst du das Ganze vergessen.«

Finn zog eine Grimasse, nickte aber. Wahrscheinlich war er froh, dass sie seine Urlaubsplanung nicht rundweg ablehnte.

»Ich möchte Svea natürlich vorher kennenlernen«, stellte Kristina energisch klar. »Und ich will mit ihrem Vater reden und wissen, wie er dazu steht.«

Finn stöhnte laut auf. »Wusste ich es doch. Bisher war alles ganz einfach. Sobald man den Eltern davon erzählt, wird es kompliziert.«

»Ja, so sind wir Alten«, konterte Kristina. »Übrigens solltest du mal einen Zahn zulegen, wenn du pünktlich zur Schule kommen willst.«

Finn, der gerade sein Milchbrötchen in den Kaffee tunkte, folgte dem Blick seiner Mutter zur Küchenuhr. Er stieß einen lauten Fluch aus und warf das angebissene Brötchen auf den Teller. In den nächsten Minuten entwickelte er eine Hektik, die sich auf Kristina übertrug. Er suchte seine Schulbücher zusammen und ignorierte wie jeden Morgen den Hinweis seiner Mutter, dass er das auch schon abends hätte erledigen können. Natürlich fand er kein sauberes T-Shirt, und der linke Schuh hatte sich über Nacht von seinem rechten Gegenstück entfernt und sich irgendwo in der Wohnung versteckt.

Kristina atmete erleichtert auf, als ihr Sohn endlich auf dem Weg zur Schule war. Sie räumte die Küche auf, stellte das Geschirr in die Spülmaschine und wollte gerade aus dem Haus, als das Telefon klingelte.

»Hej Kristina!« Die Stimme am anderen Ende klang fröhlich, nicht wie die einer gestressten Mutter von zwei Kindern, die nebenher auch noch ein Reisebüro leitete.

»Hej Anna!« Kristina freute sich sehr über den Anruf ihrer besten Freundin. Sie vermisste Anna schmerzlich, seit sie vor knapp zwei Jahren mit ihrer Familie nach Ronneby gezogen war. Annas Mann Nils hatte dort eine Zweigstelle seiner Firma übernommen.

Kristina bewunderte ihre Freundin, die sich nie unterkriegen ließ. Sie wusste, dass es Anna nicht leichtgefallen war, Stockholm zu verlassen. Aber sie hatte einfach die Ärmel hochgekrempelt und den Umzug fast allein gestemmt, weil Nils schon vor ihr in die neue Filiale musste. Kaum angekommen, hatte sie die Leitung eines Reisebüros übernommen, das bis dahin nur geringen Umsatz gemacht hatte. Dabei war Nachzüglerin Inga erst zwei Jahre alt gewesen.

Anna organisierte Reisen durch ganz Schweden, und davon profitierte auch Kristina. Bei allen Touren, die Stockholm zum Ziel hatten, führte kein Weg am Kristinas vorbei, dafür sorgte Anna.

»Alles klar bei euch?«, wollte Anna wissen.

»Bestens«, erwiderte Kristina und berichtete gleich darauf von Finns Urlaubsplänen.

Anna lachte. »Erik hat sich zum Glück für ein Feriencamp mit seinen Freunden entschieden, und eine Freundin hat er meines Wissens noch nicht. Obwohl mein Sohn mir inzwischen auch nicht mehr alles erzählt.«

Annas und Nils’ Sohn Erik war nur wenig älter als Finn. Die beiden Jungs waren eng miteinander befreundet gewesen, aber seit Anna mit ihrer Familie aus Stockholm weggezogen war, hatten sie, ganz im Gegensatz zu ihren Müttern, keinen Kontakt mehr.

»Finn kann sich doch mal bei mir melden«, schlug Anna vor. »Ich finde bestimmt eine tolle Rundreise für ihn und seine Freundin und mache den beiden einen Sonderpreis.«

»Die beiden scheinen sich auf eine Rundreise durch schwedische Luxushotels zu konzentrieren«, sagte Kristina. »Aber danke für dein Angebot, ich werde es Finn ausrichten.«

»Er muss sich allerdings beeilen«, sagte Anna. »Nächste Woche beginnen die Sommerferien, und diesmal nutzen Nils und ich die Zeit für unsere zweiten Flitterwochen. Wir beide auf einer Karibikinsel. Palmen, Strand, faulenzen, lesen, Cocktails schlürfen …«

»Hast du es gut«, seufzte Kristina. Sie sah all das vor sich: den Strand, die Palmen, das blaue Meer, den weiten wolkenlosen Himmel. Das alles war traumhaft genug, aber es zusammen mit einem Partner zu genießen, kam ihrer Vorstellung vom Paradies ziemlich nahe.

Kristina gönnte ihrer Freundin diese Ferien von ganzem Herzen, und das sagte sie ihr auch. »Trotzdem bin ich ein bisschen neidisch«, gestand sie freimütig. »Kommen die Kinder mit?«

»Eriks Jugendcamp fällt genau in diesen Zeitraum«, sagte Anna, »und meine Mutter freut sich, Inga einmal ganz für sich zu haben. Ich werde ihr die Illusion von zwei schönen Wochen mit ihrem vierjährigen Enkelkind nicht nehmen.«

»Das musst du auch nicht, das erledigt sich ganz von selbst.« Kristina lachte. »Obwohl deine Mutter es eigentlich besser wissen müsste. Schließlich hat sie diese Zeit mit dir und deinen Schwestern selbst durchgemacht.«

»Wahrscheinlich ist das schon zu lange her, als dass sie sich an die vielen unangenehmen Details erinnern könnte.« Auch Anna musste lachen, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Unser Reisebüro ist in dieser Zeit allerdings auch geschlossen. Das heißt, keine Reisegruppen fürs Kristinas in den ersten beiden Ferienwochen.«

Kristina schluckte. Diese Reisegruppen machten schließlich einen Großteil ihres Umsatzes aus.

»Dafür schicke ich dir hinterher einige Fuhren mehr«, sagte Anna am anderen Ende der Leitung schnell. »Wir haben ganz viele Voranmeldungen für Rundreisen nach und durch Stockholm. Heerscharen von Touristen, die gefüttert werden wollen. Am besten nutzt du die Zeit bis dahin selbst für eine kurze Erholungspause.«

»Urlaub ist bei mir dieses Jahr nicht drin«, wiederholte Kristina, was sie eben schon ihrem Sohn gesagt hatte.

»Ich weiß, wie sehr du dein Restaurant liebst«, sagte Anna. »Ich weiß auch, dass es gerade finanziell ziemlich knapp ist bei dir. Trotzdem würde ich mir für dich wünschen, dass du mal wieder rauskommst und etwas anderes siehst als immer nur deine Küche. Ich wünschte, du würdest mal wieder einen netten Mann kennenlernen, dich verlieben …«

»Stopp!«, fiel Kristina ihrer Freundin lachend ins Wort. »Das wünsche ich mir auch, aber es wird nicht besser, wenn du jetzt alles aufzählst, was ich nicht habe.«

»Entschuldige bitte«, sagte Anna kleinlaut. »Du weißt, ich würde dir gerne …«

»Auf keinen Fall«, unterbrach Kristina ihre Freundin abermals. »Ich leihe mir kein Geld von dir, um ein Reise zu machen.« Darüber hatten sie vor Kurzem schon einmal diskutiert, und dabei hatte Anna ihr dieses Angebot gemacht. Damals wie heute wollte Kristina nichts davon wissen.

»Ich bin zufrieden mit meinem Leben«, versicherte sie.

»Du weißt, ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst.«

»Und ich für dich«, erwiderte Kristina herzlich. »Das bedeutet mir sehr viel. Ich wünsche dir und Nils wunderschöne Tage in der Karibik! Grüß deine Familie von mir.«

Das Gespräch hatte Kristina aufgehalten, aber mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass sie immer noch früh genug im Restaurant eintreffen würde.

Kristina und Finn hatten eine Wohnung im zentralen Stadtviertel Södermalm. Mit dem Auto war sie von dort aus in einer Viertelstunde am Restaurant – vorausgesetzt, auf der Centralbron war kein Stau. Doch auf der Brücke, die Södermalm mit dem Stadtteil Norrmalm verband, staute sich auch heute der Verkehr. Kristina schaltete das Radio ein und hörte die neuesten Nachrichten, während es im Schritttempo weiterging.

Kurz vor dem Ende der Brücke löste sich der Verkehr auf. Kristina gab Gas und fädelte sich in die Blekholmsgatan ein. Ein paar Minuten später hatte sie ihr Restaurant erreicht.

Kristina stieg aus dem Wagen und schaute zu dem Gebäude, das wie ein riesiger Wintergarten anmutete. Durch die großen Glasflächen wurde ein fließender Übergang zur Natur geschaffen. Hohe Bäume spiegelten sich in den Scheiben. Die Türen zur Wasserseite waren im Sommer weit geöffnet, und auf der Terrasse standen Tische und Stühle für die Gäste bereit. Über den Riddarfjärden hinweg bot sich ein traumhafter Ausblick auf Gamla Stan, die Altstadt Stockholms.

Dieses Stück Natur inmitten der Großstadt faszinierte Kristina immer wieder aufs Neue. Sie liebte ihr Restaurant, und sie liebte diesen Standort. Im Park fanden regelmäßig Veranstaltungen statt, und er war ein beliebter Treffpunkt für Sportler. Durch die Parkbesucher erhielt Kristinas Restaurant regen Zulauf.

»Ich habe allen Grund, glücklich zu sein«, sagte Kristina leise zu sich selbst. Aber war sie das auch? War sie wirklich glücklich? Und wieso stellte sie sich ausgerechnet jetzt diese Frage?

Kristina schüttelte den Kopf, um diese unnützen Gedanken abzuschütteln. Sie war zufrieden, und das war mehr, als die meisten Menschen von sich behaupten konnten.

Sie überquerte den Parkplatz und schloss die Eingangstür auf. Sie war wie immer die Erste. Mikael, der zusammen mit ihr kochte, und die beiden Kellnerinnen Elin und Maj würden auch gleich kommen.

Kristina durchquerte das Restaurant, um in die Küche zu gelangen. Sie liebte diesen ganz besonderen Moment am Morgen. Die Stille, die sie umgab, während das Restaurant auf den ersten Ansturm zu warten schien. Die Stühle standen noch mit der Sitzfläche nach unten auf den Tischen, damit der Boden besser geputzt werden und über Nacht trocknen konnte. Durch die hohen Glasscheiben schien die Sonne, das Licht war grün gefiltert durch die Natur ringsum.

Einen Moment lang ließ Kristina die Stille im Gastraum auf sich wirken. Ein liebgewordenes tägliches Ritual. Dazu gehörten auch ihr erster Gang in die Küche und das Einschalten des Lichts, das sich in den sauberen Edelstahltöpfen und den weißen Kacheln spiegelte.

Kristina lächelte, drückte den Lichtschalter – aber alles blieb dunkel.

Automatisch drückte sie den Lichtschalter noch einmal. Es blieb dunkel.

»Na toll!«, murmelte sie genervt und dachte voller Sorge an das ganze Hackfleisch in der Tiefkühltruhe, das Mikael gestern so günstig erstanden hatte.

Durch die schmalen Lichtschächte an der Decke kam genug Licht in die Küche, um den Weg zum Lager zu finden. Der Sicherungskasten war gleich hinter der Tür, und der Schalter der Hauptsicherung war nach unten gekippt. Kristina drückte ihn hoch – und schrie erschrocken auf, als er mit einem lauten Knall wieder nach unten schnellte.

»Probleme?«

Die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben, stand Mikael auf einmal neben ihr. Ein buntes Tuch hatte er nach Piratenmanier um seinen Kopf gebunden. Sein raspelkurzes Haar, das an den Seiten hervorschaute, war ebenso blond wie sein Dreitagebart.

»Die verdammte Sicherung springt immer wieder raus«, sagte Kristina hilflos.

»Oh nein!« Mikael verschränkte die Arme vor der Brust und starrte in den offenen Sicherungskasten. »Ohne Strom kann ich nicht kochen.«

Toller Hinweis, darauf war sie auch schon selbst gekommen. Kristina verschluckte sich fast an der unfreundlichen Antwort, die ihr auf der Zunge lag. Mikael war nicht nur ein hervorragender Koch, er war auch eine ziemliche Mimose.

»Ole, der Schwager der Schwester meines besten Freundes, ist Elektriker«, sagte Mikael nach kurzem Nachdenken. »Soll ich den mal anrufen?«

Kristina versuchte erst gar nicht, die Verwandtschaftsverhältnisse in ihrem Kopf zu sortieren. »Ruf ihn an«, sagte sie nur und fügte kleinlaut hinzu: »Hoffentlich wird das nicht zu teuer.«

Mikael tätschelte mitfühlend ihre Schulter und zog gleichzeitig mit der anderen Hand sein Handy aus seiner Gesäßtasche. Er telefonierte eine Weile und schaffte es tatsächlich, dem Elektriker das Versprechen abzuringen, in der nächsten Stunde vorbeizukommen.

Kristina wurde trotzdem immer nervöser. Sie hätten längst mit den Vorbereitungen für das Mittagessen anfangen müssen. In der Kühltruhe bildeten sich bereits Wassertropfen.

Ole Håkansson ließ sich dann doch noch fast zwei Stunden Zeit, aber selbst das war erstaunlich schnell für einen Handwerker in Schweden. Eine weitere Stunde benötigte er für die Begutachtung, bevor er Kristina seine Diagnose mitteilte.

Inzwischen hatte Kristina bereits beschlossen, das Restaurant heute geschlossen zu lassen, und ein Schild an die Tür gehängt mit dem Hinweis: Heute wegen technischer Probleme geschlossen. Nicht nur der finanzielle Ausfall bereitete ihr Sorgen, sie hatte auch Angst, Stammkunden wegen der Schließung zu verlieren. Immer wieder öffnete sie die Kühltruhe mit den eingefrorenen Fleischvorräten.

»Geht es dir nicht schnell genug, bis alles aufgetaut ist?«, fragte Mikael.

Kristina arbeitete gerne mit ihm zusammen. Er behielt die Ruhe, egal, wie hektisch es im Restaurant wurde. Genau diese zur Schau gestellte Ruhe ging ihr jetzt aber auf die Nerven.

»Ich muss mal an die frische Luft«, murmelte sie und verließ beinahe fluchtartig das Kristinas. Draußen standen Elin und Maj zusammen. Maj versteckte ihre rechte Hand ganz schnell hinter ihrem Rücken, als Kristina nach draußen kam.

Kristina zog die Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts, obwohl sie ausdrücklich verboten hatte, vor dem Restaurant zu rauchen. Sie fand, dass es einen schlechten Eindruck machte, wenn ihr Personal rauchend vor der Tür stand. Drinnen war es ohnehin durch den Gesetzgeber verboten.

»Müssen wir eigentlich noch bleiben, obwohl der Laden geschlossen ist?«, fragte Maj und ließ die brennende Zigarette hinter ihrem Rücken auf den Boden fallen.

Kristina beobachtete aus dem Augenwinkel den Versuch der jungen Kellnerin, schnell den Fuß auf den qualmenden Glimmstängel zu stellen. Sie schüttelte den Kopf. »Von mir aus könnt ihr nach Hause gehen.«

»Und was ist morgen? Lohnt es sich überhaupt, zu kommen?«

»Das hoffe ich doch sehr«, erwiderte Kristina scharf. Die Vorstellung, dass sie das Kristinas länger schließen musste, machte ihr Angst.

Elin stieß ihre Kollegin an. Sie war eine nette junge Frau, erst seit Kurzem verheiratet und sehr beliebt bei den Gästen.

»Ich frag ja nur.« Maj zog eine Schnute. Wie üblich trug sie einen viel zu kurzen Rock. Ihr enges Shirt zierte ein Totenkopf mit aufgeklebten Glitzersteinen. Ihre langen dunklen Haare fielen offen über ihre Schultern, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten, weil sie nachts oft durch die Clubs zog und zu wenig schlief. Ihre Arbeit war sehr stark von ihrer jeweiligen Laune abhängig. Ein Gefühl für Diplomatie, wie es besonders im Servicebereich erforderlich war, fehlte ihr völlig.

Kristina hatte Maj mehrfach ermahnen müssen, auch zu den weniger netten Kunden freundlich zu sein. Doch obwohl Maj sich so manche Frechheit herausnahm, mochte Kristina das Mädchen. Sie mochte Majs direkte Art, wenn auch nicht unbedingt im Umgang mit den Gästen. Sie war, wie Mikael es nannte, »brutal ehrlich« und nahm kein Blatt vor den Mund.

»Warten wir mal, was der Elektriker sagt.« Kristina brachte mühsam ein Lächeln zustande und hätte Maj am liebsten um eine Zigarette gebeten, obwohl sie ihre letzte Zigarette an dem Tag geraucht hatte, als Dag und sie geschieden worden waren.

Mikael erschien in der Tür. Ungewohnt ernst schaute er sie an. »Kristina, kommst du mal?«

Ole Håkansson schrieb gerade etwas auf ein Blatt Papier, das auf einem Klemmbrett befestigt war. Er hob den Kopf, als sie sich räusperte.

»Da muss einiges gemacht werden«, kam er gleich auf den Punkt. »Du kannst froh sein, dass bis heute alles gut gegangen ist.«

»Ich freue mich später darüber«, sagte Kristina trocken.

Ole kratzte sich mit dem Kugelschreiber den schmalen Haarkranz, der seinen ansonsten kahlen Schädel säumte. »Die Leitungen sind marode, die Sicherungen völlig veraltet. Ihr habt ja nicht einmal einen Fehlerstromschutzschalter, und einige Leitungen sind echt abenteuerlich …«

»Wie viel?«, fiel Kristina ihm ins Wort.

»Ich muss das noch genau durchrechnen, aber billig wird es nicht«, prophezeite Ole Håkansson.

Kristina ließ nicht locker, bis er ihr schließlich eine ungefähre Summe nannte, mit der sie rechnen musste. Für die Arbeit würde er einige Tage benötigen. Tage, an denen das Kristinas geschlossen bleiben musste.

Ole Håkansson versprach, ihr spätestens morgen eine genaue Kostenaufstellung vorzulegen, und riet ihr, einige der Geräte vom Strom zu nehmen, besonders den großen Herd, der das Stromnetz extrem belastete. Gut wäre es, wenn sie auch die große Kühltruhe ausschalten würde.

Kristina nickte völlig erledigt. Sie war außerstande, jetzt noch etwas zu sagen, und überließ es Mikael, Ole Håkansson zur Tür zu bringen.

»Ausgerechnet heute«, stöhnte sie, als Mikael zusammen mit Elin zurück zu ihr in die Küche kam. »Morgen kommt die deutsche Reisegruppe, und was sollen wir mit dem ganzen Hackfleisch machen, das in der großen Truhe ist?«

»Köttbullar«, antworteten Elin und Mikael synchron. Die beiden schauten sich an und lachten, was Kristina in ihrer augenblicklichen Stimmung als unpassend empfand.

»Komm schon!« Mikael stieß sie leicht an. »Wo bleibt dein Optimismus? Du bist es doch, die sonst immer sagt, dass alles wieder gut wird.«

Kristina fuhr sich mit beiden Händen durch das lange blonde Haar. »Im Moment kann ich das nicht glauben«, sagte sie leise. »Ich habe immer gewusst, dass es ein Risiko ist, sich selbstständig zu machen. Ich habe befürchtet, dass Gäste ausbleiben, weil sie unsere Küche nicht mögen, dass ich mich verkalkuliert habe und vielleicht doch nicht alles so funktioniert, wie ich es mir ausgemalt hatte. Mit einer solchen Katastrophe habe ich allerdings nicht gerechnet.«

»Kannst du das Geld für die erforderliche Reparatur überhaupt aufbringen?«, fragte Elin besorgt.

Kristina zuckte mit den Schultern, nickte aber gleich darauf. »Ich hoffe, dass die Bank mir einen Kredit gewährt«, sagte sie, »aber dann darf wirklich nichts mehr passieren.«

»Nicht über so etwas nachdenken«, riet Mikael. »Lasst uns einfach mit den Vorbereitungen für morgen beginnen.«

Kristina seufzte tief auf.

Mikael schloss sie in die Arme. »Alles wird gut«, sagte er.

Elin kam dazu, schlang ihre Arme um sie und Mikael. »Ja, daran glaube ich auch ganz fest«, sagte sie. »Alles wird gut.«

Plötzlich war auch Maj wieder da, drängte sich in den kleinen Kreis.

»Wolltest du nicht nach Hause gehen?«, fragte Kristina überrascht.

»Ja«, sagte Maj und senkte beschämt den Kopf. »Aber dann hatte ich das Gefühl, dass ich euch im Stich lasse, und deshalb bin ich wieder zurückgekommen.«

Genau das war der Grund, weshalb Kristina ihr die ganze Schnoddrigkeit, das flippige Äußere und das freche Mundwerk nachsah. Weil sich dahinter ein mitfühlendes, liebenswertes Mädchen verbarg, auf das sie sich im Notfall verlassen konnte. Ebenso wie auf Mikael und Elin. Ihr Team hatte es verdient, dass sie sich nicht einfach hängen ließ, sondern um den Erhalt des Kristinas kämpfte. Die drei waren darauf ebenso angewiesen wie sie selbst.

Kristina schüttelte ihre Mutlosigkeit ab. »Also gibt es morgen nur ein Menü?« Fragend schaute sie Mikael an.

Der nickte. »Zuerst eine Tomaten-Orangen-Suppe, als Hauptgericht Köttbullar mit brauner Soße, Preiselbeeren und Kartoffelpüree und zum Dessert eine Johannisbeerpaj mit Vanillesoße. Wir erklären den Leuten, dass wir wegen technischer Probleme nur ein Gericht anbieten können, das aber zu einem besonders günstigen Preis.«

»Und du glaubst, unsere Gäste lassen sich darauf ein?«

Mikael warf sich in Positur. »Meine Köttbullar mögen alle.«

Das stimmte. Mikael war ein ausgezeichneter Koch, obwohl er keine richtige Ausbildung besaß. Er legte großen Wert auf die Feststellung, dass er Autodidakt war, und fügte ganz gerne hinzu, dass er seine Erfahrungen vor allem auf einem Kreuzfahrtschiff gesammelt hatte.

Kristina selbst hatte eine Ausbildung bei Gustav, dem ehemaligen Küchenchef im Hotel ihres Schwagers, gemacht. Kurz vor ihrem Abschluss war Dag in ihr Leben getreten. Stürmisch und überwältigend wie ein Naturereignis. Als sie dann auch noch feststellte, dass sie schwanger war, hatte sie geglaubt, der glücklichste Mensch auf der Welt zu sein – und dann war ihre ganze Welt eingestürzt. Von einem Tag auf den anderen.

Kristina schüttelte den Kopf. Das war alles so lange her. Warum konnte sie mit diesen alten Geschichten nicht endgültig abschließen? Die Erinnerung daran tat nicht einmal mehr weh. Der Schmerz war schon lange weg, und die Wut, die immer noch irgendwo tief in ihr brodelte, konnte sie gut kontrollieren.

Mikael hatte inzwischen seine Kochschürze umgebunden, Elin und Maj machten sich Gedanken über den Aushang vor der Tür, der den Gästen mitteilen sollte, dass es morgen nur ein Menü geben würde.

Kristina war gerührt. Sie hatte die besten Mitarbeiter, die sich eine Restaurantbesitzerin wünschen konnte. Sie streifte ebenfalls ihre Schürze über. Der große Herd blieb heute aus, damit die Sicherung nicht wieder raussprang. Zum Kochen und Backen hatten sie nur den kleinen Herd neben der Spüle, der sonst nur in Stoßzeiten als zusätzliche Kochstelle genutzt wurde. Die Kühlung im Kühlraum neben der Küche hatte Ole Håkansson bereits ausgeschaltet, ebenso wie die große Kühltruhe, in der das Hackfleisch lagerte.

Ein Restaurant mit einem Miniherd und ohne Kühlung?

Erneut ergriff die Panik Besitz von Kristina, bis Mikael seine Hand auf ihre Schulter legte. »Nicht denken«, sagte er, »handeln.«

Kristina nickte zögernd. »Alles klar«, sagte sie, »legen wir los.« Gemeinsam begannen sie mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag.

Tomaten-Orangen-Suppe

600 g Tomaten

400 g Karotten

250 g Kartoffeln

1 große rote Paprika

1 Zwiebel

1 unbehandelte Orange

2 EL Rapsöl

1,5 l Gemüsebrühe

2 TL Honig

2 Lorbeerblätter

Salz

Pfeffer

Muskatnuss

100 ml Schlagsahne

Schnittlauchröllchen

Die Tomaten waschen und vierteln. Karotten und Kartoffeln schälen und würfeln. Die Paprika waschen und ebenfalls würfeln.

Die Zwiebel schälen, fein hacken und in 2 EL Rapsöl glasig dünsten. Das Gemüse und die Kartoffeln dazugeben und mit der Brühe auffüllen.

Die Orange waschen und etwas Schale abreiben. Den Saft auspressen und etwa die Hälfte davon in die Suppe geben. Lorbeerblätter und Honig hinzufügen. Etwa 10 Minuten köcheln lassen. Die Lorbeerblätter entfernen und die Suppe pürieren.

Den restlichen Orangensaft und etwas abgeriebene Orangenschale hinzufügen. Mit Salz, Pfeffer und Muskatnuss pikant abschmecken.

Vor dem Servieren mit der geschlagenen Sahne und dem Schnittlauch verfeinern.

Köttbullar mit brauner Soße

750 g gemischtes Hackfleisch

2 Pellkartoffeln

1 Zwiebel

etwas Butter

200 ml Sahne

1 Brötchen

1 TL scharfer Senf

2 Eier

Salz

Pfeffer

250 ml Rotwein

300 ml Kalbsfond

½ Zwiebel

1 TL Weinessig

100 ml Sahne

2 EL TomatenpüreeDunkler Soßenbinder

Kartoffeln kochen, pellen und fein zerstampfen. Die Kartoffelmasse mit dem Hackfleisch vermischen.

Die Zwiebel ganz fein hacken, in Butter glasig andünsten, zur Kartoffel-Hack-Masse geben. Brötchen in der Sahne aufweichen, zur Hackmasse geben, die restliche Sahne, die Eier, den Senf und die Gewürze hinzufügen gut durchmengen, abschmecken und Bällchen formen.

Köttbullar von allen Seiten scharf anbraten und 30 Minuten im vorgeheizten Backofen bei 180 °C gar backen.

Für die Soße die Zwiebel klein hacken, glasig anbraten, mit dem Rotwein und einem Schuss Weinessig ablöschen, kurz kochen lassen und den Kalbsfond dazugeben.

10 bis 15 Minuten sprudelnd kochen lassen, um die Soße zu reduzieren. Sahne zufügen, das Tomatenpüree unterrühren und mit Soßenbinder eindicken, abschmecken und eventuell noch nachwürzen.

Dazu schmecken Kartoffelpüree und Preiselbeergelee.

Johannisbeerpaj(mit Vanillesoße oder Vanilleeis)

Für den Teig:

400 g Weizenmehl

100 g Speiseöl

250 ml Milch

½ TL Salz

Für die Füllung:

Rote Johannisbeeren

100 g Zucker 5 EL Weizenmehl

½ TL Salz

1 EL Zitronensaft

2 EL Butter

1 Ei

Für den Teig:

Alle Zutaten in eine Rührschüssel geben und kurz vermengen.

Die Hälfte des Teigs zwischen zwei Backpapieren bis zu einer Dicke von 1,5 cm ausrollen. Anschließend das obere Papier entfernen und den Teig mithilfe des unteren Papiers in eine Quicheform heben. Danach mit dem restlichen Teig und zwei Backpapieren eine weitere Platte als Deckel ausrollen.

Die Form muss nicht zusätzlich gefettet werden. Der Teig mag vielleicht sehr locker erscheinen, hält aber ausgezeichnet.

Für die Füllung:

Zucker, Mehl und Salz vermischen. Die Hälfte der Mischung auf den Teigboden in der Form füllen. Anschließend die Johannisbeeren daraufgeben, darauf dann die restliche Zucker-Mehl-Mischung. Einige Zitronenspritzer darübergeben und Butterflocken darauf verteilen.

Mit dem Teigdeckel bedecken, die Ränder gut zusammendrücken. Mit einem scharfen Messer an einigen Stellen den Teigdeckel einstechen und die gesamte Oberfläche mit gequirltem Ei bestreichen. Bei 250 °C im vorgeheizten Ofen ca. 30 Minuten backen.

Warm oder kalt mit Vanilleeis oder Vanillesoße servieren.

– 2 –

Wenn mein Vater das erfährt, gibt es Ärger«, sagte Svea besorgt.

Finn griff nach ihrer Hand. »Er wird es schon nicht erfahren«, erwiderte er.

»Und wenn doch?« Svea schmiegte sich an ihn. »Ich wollte heute mit ihm über unsere Urlaubspläne reden, aber wenn er hört, dass ich die Schule geschwänzt habe, gibt er nie seine Einwilligung dazu.«

Es war ein spontaner und gemeinschaftlicher Entschluss der Klasse gewesen. Eine Lehrerin war erkrankt, dadurch ergaben sich zwei Freistunden bis zur letzten Stunde. Geschichte bei Herrn Wallin!

Gustav Wallin verstand es, selbst spannende geschichtliche Ereignisse in langweilige Fakten zu verwandeln, die er monoton herunterleierte. Sein Unterricht war bei den Schülern sogar noch unbeliebter als der Mathematikunterricht bei dem cholerischen Herrn Björk.

Die Schüler hatten sich getrennt, weil sie einzeln unauffälliger vom Schulgelände verschwinden konnten, und wollten sich auf der Plattan wieder treffen.

»Hast du schon mit deiner Mutter gesprochen?«, fragte Svea, als sie an der Klara Kyrkan vorbeischlenderten. Die alte Kirche mit dem Friedhof aus dem siebzehnten Jahrhundert wirkte immer noch imposant, trotz der hohen, modernen Gebäude, die sie säumten.

»Heute morgen«, sagte Finn. »Begeistert war sie nicht, sie hat aber auch nicht direkt Nein gesagt, mal abgesehen von …« Er brach ab, wirkte verlegen.

»Abgesehen von?«, hakte Svea nach.

»Sie kann mir das Geld nicht geben«, sagte Finn leise. Es war ihm anzusehen, wie peinlich ihm das war. »Jedenfalls nicht die Summe, die wir ausgerechnet haben.«

Svea drückte ganz fest seine Hand. Sie selbst verfügte über weitaus mehr Taschengeld als er, und ihr Vater erfüllte ihr so manchen kostspieligen Wunsch. Er konnte es sich leisten, im Gegensatz zu Finns Mutter. Für Svea spielte das keine Rolle. Geld, so fand sie, war völlig unwichtig, wenn zwei Menschen sich wirklich liebten – und ja, sie glaubte fest daran, dass es die große Liebe auch in ihrem Alter schon gab.

»Vielleicht bringe ich meinen Vater ja dazu, dass er für uns beide bezahlt«, sagte sie, verschwieg aber, dass sie überhaupt Zweifel daran hatte, die Zustimmung ihres Vaters zu der geplanten Reise zu bekommen.

»Nein, das will ich nicht.« Finn schüttelte den Kopf. »Wir müssen das noch mal alles durchrechnen. Bestimmt geht es auch billiger. Aber zuerst musst du deinen Vater fragen.

»Heute«, versprach sie. »Heute rede ich ganz bestimmt mit ihm.«

In den letzten Wochen war ihr Vater ziemlich im Stress gewesen. Je länger er den Abgabetermin seines neuen Buches überzog, desto mehr verschlechterte sich seine Laune. Außerdem war er durch diverse öffentliche Auftritte zusätzlich in Zeitdruck gewesen. Daran hatte sich eigentlich noch nichts geändert, mal abgesehen davon, dass der Abgabetermin für sein Buch ein paar Wochen nach hinten verschoben worden war. Aber das verbesserte seine Laune auch nicht gerade.

»Wir müssen doch nicht unbedingt in Hotels wohnen«, sagte Finn in ihre Gedanken hinein. »Es gibt Jugendherbergen, die sind viel preiswerter, und bestimmt ist es da auch lustiger, weil wir da eher Leute in unserm Alter treffen als in so einem steifen Hotel.«

Svea nickte, obwohl sie sich das nicht wirklich vorstellen konnte. Sie hatte noch nie in einer Jugendherberge übernachtet, sondern auf Reisen mit ihrem Vater stets in den besten Hotels gewohnt, meistens auf Einladung seines Verlages.

Na und, dachte sie. Eigentlich war es doch egal, wo sie übernachteten. Hauptsache, sie konnte die Ferien mit Finn verbringen.

Inzwischen hatten sie die Plattan, den niedriger gelegenen Fußgängerbereich am Sergelstorg, erreicht. Niemand in der Stadt fand diesen Platz besonders schön, obwohl sich hier Kultur und Wissen versammelten, mit dem Kulturhuset an der Stirnseite des Platzes sowie einem Theater und einer Bibliothek. Straßenmusiker und Kleinkünstler nutzten den Platz als Bühne.

Aber hier war auch die andere, weniger schöne Seite von Stockholm zu finden: Obdachlose, die nachts in den überdachten Eingängen der Geschäfte Schutz suchten und tagsüber in der nahen Suppenküche eine warme Mahlzeit bekamen; Dealer und Schwarzhändler, die in den dunklen Ecken ihre Geschäfte abwickelten. Ein Mikrokosmos der schwedischen Gesellschaft gab sich hier ein Stelldichein, und obwohl niemand diesen Platz besonders attraktiv fand, war er ein beliebter Treffpunkt für alle Gesellschaftsschichten.

Svea und Finn wurden von den anderen mit lautem Hallo begrüßt. Einer der Straßenmusikanten spielte bekannte Popsongs. Die Schüler sangen mit, begannen zu tanzen. Die Sonne schien vom Himmel, und zumindest für die nächsten beiden Stunden verdrängte Svea den Gedanken an das bevorstehende Gespräch mit ihrem Vater. So ganz ließ der Gedanke sie aber nicht los, er lauerte die ganze Zeit in ihrem Hinterkopf, bis sie sich auf den Heimweg machte.

Als Svea die Haustür öffnete, kam ihr Vater ihr schon auf dem Flur entgegen, die Brauen ärgerlich zusammengezogen.

»Hallo, Papa«, sagte sie kleinlaut.

Hendrik Lundgren ignorierte ihren Gruß. »Wo kommst du her?«, verlangte er zu wissen.

Svea hatte das dumpfe Gefühl, dass er bereits Bescheid wusste. Lügen oder lieber gleich die Wahrheit sagen?

Sie starrte ihrem Vater ins Gesicht, versuchte in seiner Miene zu lesen, sah aber nichts als Ärger und schlechte Laune.

»Und?«, fragte er laut.

»Ja, gut«, stieß sie hervor. »Ich habe eine Stunde geschwänzt. Aber nur den Geschichtsunterricht bei dem langweiligen Herrn Wallin, die anderen sind ausgefallen.«

Die Miene ihres Vaters war plötzlich nicht mehr ganz so finster. »Dein Glück, dass du mich nicht angelogen hast«, brummte er. »Dieser langweilige Herr Wallin hat nämlich angerufen und sich beschwert.«

»Dann hat er wahrscheinlich alle Eltern angerufen.«

Svea dachte an Finn. Hoffentlich bekam er keinen Ärger mit seiner Mutter, und hoffentlich hatte ihr Schwänzen keine Auswirkungen auf ihre Ferienplanung. Dieser Gedanke erinnerte sie wieder an das Gespräch, dass sie mit ihrem Vater führen musste.

Svea stellte ihre Tasche auf den Stuhl neben der Garderobe, ging zu ihrem Vater und hängte sich bei ihm ein. »Bist du böse, weil ich die Schule geschwänzt habe?«

»Sollte ich wohl«, brummelte er, aber sie sah, dass es um seine Mundwinkel verdächtig zuckte.

»Jetzt sei doch nicht so.« Svea bedachte ihren Vater mit diesem ganz besonderen Blick, der ihn immer weich werden ließ. Auch diesmal verfehlte er seinen Zweck nicht.

»Ich hab früher auch die Schule geschwänzt«, knickte Hendrik ein, »und du hast ja durchweg gute Noten.« Er hob mahnend den Zeigefinger. »Mach es dir aber nicht zur Gewohnheit.«

»Bestimmt nicht, Papa«, versprach Svea schnell und beschloss, die verbesserte Stimmung gleich auszunutzen. Sie ließ den Arm ihres Vaters nicht los, als sie gemeinsam ins Wohnzimmer gingen.

»Papa, ich muss dich was fragen. Versprich mir, dass du nicht gleich Nein sagst, sondern erst mal darüber nachdenkst.«

Sofort zogen sich die Brauen ihres Vaters wieder zusammen. Er sagte kein Wort, wartete nur ab, und das machte es Svea nicht leicht, ihre Bitte vorzubringen.

»Du kennst doch Finn«, sagte sie vorsichtig.

»Nein!« Hendrik schüttelte den Kopf.

»Ach, Papa, ich hab dir doch schon so oft von ihm erzählt.«

»Ja«, nickte er, »ich habe von ihm gehört, aber ich kenne ihn nicht.«

Es war schwieriger, als sie befürchtet hatte. Wenn es um Geld gegangen wäre, um ein kostspieliges Kleidungsstück oder etwas Ähnliches, hätte sie ihren Vater ohne Bedenken fragen können, aber gleichaltrige Jungs waren für ihn ein Reizthema, ohne dass er es zugegeben hätte.

»Selber schuld«, maulte sie. »Ich hätte dir Finn längst vorgestellt, wenn du im letzten Jahr nicht so komisch zu Jesper gewesen wärst.«