Sommerkälte (North & Rae 2) - Rebecca Wild - E-Book

Sommerkälte (North & Rae 2) E-Book

Rebecca Wild

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Beschreibung

**Märchenhaft romantisch…** Die Hochzeit zwischen dem Winterprinzen und der Sommerprinzessin soll den Königreichen endlich den lang ersehnten Frieden bringen. Doch das Bündnis wird im letzten Moment verhindert und Frost und Kälte legen sich über das einstige Reich ewiger Wärme. Aber nicht nur Sommer schwebt in Gefahr, auch der Herbstwald droht zu sterben und mit ihm all seine Magie. Inzwischen sucht Rae noch immer nach einer Möglichkeit, den Zauber zu brechen, der North außerhalb des Waldes an die Gestalt einer Eule bindet. North, den Jungen mit Augen so kalt wie der Winter selbst, der Raes Herz aus dem Takt bringt und ohne den sie nie wieder sein will. Aber was geschieht, wenn alle Magie stirbt? //Textauszug: Erst das Flattern von Flügeln ließ Rae aufsehen. North war knapp vor ihr im Gras gelandet, den eisblauen Blick auf sie gerichtet. Gerade wünschte sie sich nichts sehnlicher, als den echten North vor sich zu haben. Einen Jungen aus Fleisch und Blut und kein magisches Tier. Sie brauchte seine Nähe so dringend. Jemanden, der sie in den Arm nahm und ihr sagte, dass alles gut werden würde.// //Alle Bände der märchenhaften Reihe: -- Winteraugen (North & Rae 1) -- Sommerkälte (North & Rae 2) -- Sammelband der »North & Rae«-Reihe// Die »North & Rae«-Reihe ist abgeschlossen.

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Im.press Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2015 Text © Rebecca Wild, 2015 Lektorat: Nicole Boske Redaktion: Marion Lembke Umschlagbild: shutterstock.com / © Aleshyn_Andrei / © Leonid Ikan / © ileana_bt / © Ramona Kaulitzki Umschlaggestaltung: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund

1. VEREINIGUNG DER JAHRESZEITEN

Sommer und Winter waren seit jeher verfeindet, das machte diesen Tag zu etwas ganz Besonderem. Eine Sommerprinzessin und ein Winterprinz, die miteinander vermählt werden würden, das hatte es in der Geschichte ihrer Königreiche noch nie gegeben und jeder wollte dabei sein, wenn es passierte.

Die Sommerhauptstadt platzte aus allen Nähten. Die Leute waren von überall hergereist, um der Hochzeit beizuwohnen. Aus Rosental, Lauben und den Zedernbergen.

Und aus Winter.

Das Aufblitzen von Winteraugen sorgte am Marktplatz für allgemeine Furore. Noch nie hatte Rae so viele Winterlinge in Sommer gesehen. Es war ein ungewohnter Anblick. Mit ihrer hellen Haut und den fast weißblonden Haaren stachen sie inmitten der bunten Sommerschar sofort hervor. Die meisten von ihnen waren Nobelleute, Adelige und Berater des Königs, die gekommen waren, um dem Brautpaar anstelle des Winterkönigspaars die Ehre zu erweisen.

Als Zeichen des Friedens trugen sie keine Waffen, dennoch zogen sie argwöhnische Blicke auf sich. Mütter versteckten ihre Kinder hinter ihren Röcken und um so manchen Hals hing eine Kette aus Johanniskraut, dessen gelbe Blüten bekannt dafür waren bösen Zauber fernzuhalten. König August hatte zwar verboten, dass Magier sein Land betraten, aber in Sommer herrschte nach wie vor der Irrglaube, jeder Winterling müsse auch ein Magier sein. Völliger Unsinn, wie Rae wusste. Das Wintergefolge an Januars Seite besaß wahrscheinlich genauso viel Magie wie sie – nämlich gar keine.

Es gab nur einen einzigen Magier, von dem Rae mit absoluter Gewissheit behaupten konnte, dass er sich in der Sommerhauptstadt aufhielt, und der saß in diesem Moment auf ihrer Schulter und rupfte mit dem Schnabel durch sein Gefieder.

Acht Tage war es inzwischen her, seitdem sie den Feenwald verlassen hatten und acht Tage war North nun schon in die Gestalt einer Schneeeule gesperrt. Ein Zauber der Herbstfee Oktober verwandelte ihn jedes Mal, sobald er ihren Wald verließ. In dieser Gestalt besaß er keine Zauberkräfte, keine Möglichkeit sich zu wehren. Rae wusste, wie hilflos sich North deswegen fühlte, weshalb sie längere Ausflüge außerhalb der Waldgrenze für gewöhnlich mieden. So lange wie jetzt hatte er noch nie in Eulengestalt ausharren müssen und es fing an, sich in seinem Verhalten bemerkbar zu machen.

North kauerte wie kurz vor dem Absprung auf ihrer Schulter, die Krallen ausgefahren und die Flugfedern gebauscht. Die vielen Menschen und der Lärm reizten ihn. Sein Kopf ruckte unruhig hin und her.

Als eine plötzliche Bewegung inmitten der Menschenschar ihn leise aufschreien ließ, musste Rae den Impuls unterdrücken, ihm beruhigend über den fedrigen Kopf zu streicheln. Ihn wie ein Tier zu behandeln machte es für North noch schlimmer, aber Rae wünschte sich dennoch etwas tun zu können, um ihm zu helfen, ihn irgendwie zu besänftigen. Es war ihrer Einfältigkeit geschuldet, dass North überhaupt mit dem Fluch der Herbstfee belegt worden war. In solchen Momenten nichts für ihn tun zu können, machte die Schuld noch niederschmetternder.

Sie waren gemeinsam mit Prinz Januar und dessen Gefolge angereist, um die Winterlinge sicher durch den Wald zu bringen, doch jetzt warteten Rae und North mit dem übrigen Volk vor den Toren der Kirche. Nicht mehr lange, dann würde ein Glockenschlag neuen Frieden verkünden.

Vor Aufregung begann Rae den Stoff ihres Kleids zu kneten, doch es dauerte keine drei Sekunden, da bekam sie von ihrer Mutter was auf die Finger.

»Kannst du diesen grässlichen Vogel nicht irgendwo absetzen?«, klagte Rose zum wiederholten Mal mit Blick auf die Eule und zupfte die Bluse ihrer Tochter zurecht. »Wenn er die Flügel so bauscht, sieht man fast nichts von deinem Gesicht und gerade heute, wo ich dich so hübsch hergerichtet habe …«

»Mama«, zischte Rae, die Wangen glühend vor Scham, und wischte die Hand ihrer Mutter beiseite. »Ich bin nicht hier, um einen Ehemann zu finden!«

Es war ihr ohnehin schon peinlich, wie sie aussah. Rose hatte in den letzten zwei Tagen, in denen Rae wieder bei ihrer Familie gewohnt hatte, so viel Mutter-Tochter-Zeit wie möglich mit ihr verbracht, um die vergangenen Wochen aufzuholen. Rae war gewaschen, gestriegelt und parfümiert worden wie ein Zuchtpony und die Hochzeit diente sozusagen als Abschlusspräsentation. Schließlich würde sie nie wieder so viele adrette, junge Männer auf einem Haufen kennenlernen, wie Rose mehrmals erwähnt hatte.

Rae sparte sich die Mühe, zu erwähnen, dass sie bereits einen Jungen gefunden hatte, der ihr gefiel, und dass der nur deshalb gerade nicht ihre Hand hielt, weil er in einem Vogelkörper gefangen war. Rose hätte dafür wahrscheinlich nur wenig Verständnis gehabt. Für ihre Tochter hatte sie immer einen Kaufmannssohn oder etwas ebenso Anständiges und Mittelmäßiges in Erwägung gezogen. Verfluchte Wintermagier waren auf ihrer Liste potentieller Ehemänner jedoch nie erschienen.

Von den Feierlichkeiten heute erhoffte Rose sich viel und damit ihre Tochter auch auffiel, hatte sie Rae in ein himmelblaues, geblümtes Kleid mit gelber Schärpe gesteckt, das etwas tiefer dekolletiert war, als Rae lieb war.

Bevor sie losgereist war, um sich North im Herbstwald anzuschließen, hatte sie ihren Eltern lediglich einen dünnen Abschiedsbrief ohne große Erklärungen hinterlassen. Sie fühlte sich deswegen immer noch schuldig, deshalb ließ sie die Prozedur ihrer Mutter wohlwollend über sich ergehen, solange sie in Sommer war. Morgen würde sie ohnehin wieder abreisen, auch wenn Rose davon nichts hören wollte.

Die Ankunft der Braut kündigte sich durch laute Jubelrufe an. Prinzessin Juni fuhr in einer weißen Kutsche vor, die über und über mit Blumen und Kränzen geschmückt war. Vorm Eingang der Kirche brachte der Kutscher die Pferde zum Stehen.

Augenblicklich geriet Bewegung in die Menge. Alle drängten nach vorn, um einen Blick auf die schöne Prinzessin zu erhaschen. Ringsum reihten sich die Wachen der Palastgarde auf, um das Volk auf Abstand zu halten, während reich geschmückte Mädchen der Prinzessin aus der Kutsche halfen. Kurz sah Rae das Aufblitzen eines Schleiers, ein bodenlanges, blassgelbes Kleid und das Lächeln einer Frau, die ihr Glück gefunden hatte.

Zufrieden lächelnd ließ Rae sich in der Menge zurückfallen, während die Menschen zu beiden Seiten an ihr vorbeirauschten. Unter ihnen auch Rose, die sich in lauten »Uh«- und »Ah«-Rufen über den Anblick der Prinzessin ausließ.

Rae fühlte sich wie von einer schweren Last befreit. So viel war während ihrer abenteuerlichen Suche nach der Sommerprinzessin schiefgegangen, da war es erleichternd zu wissen, dass wenigstens diese eine Sache ein gutes Ende genommen hatte. Die Hochzeit zwischen Juni und Januar war nicht nur politischer Natur. Die beiden liebten sich wirklich und das trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft. Rae wünschte ihnen nichts mehr, als dass sie glücklich wurden.

North krächzte leise an ihrem Ohr und Rae hielt eine Hand hoch, damit er an ihren Fingerknöcheln knabbern konnte. Sie konnten vielleicht nicht mit Worten kommunizieren, aber das brauchten sie auch nicht. North war ebenfalls froh, dass Juni und Januar trotz aller Hindernisse doch noch zueinander gefunden hatten.

Orgelmusik schallte durch die offenen Türen der Kirche, während Juni langsam hindurchschritt. Wenn sie darauf gepocht hätte, hätte Rae durchaus Wege gefunden, ins Innere der Kirche zu gelangen, schließlich war North der Bruder des Bräutigams, auch wenn das in seiner aktuellen Gestalt wahrscheinlich schwer zu erklären gewesen wäre. Tatsachlich fühlte sie sich aber ganz wohl hier draußen an der frischen Luft. Die Kirche war sicher restlos überfüllt, viel mehr sehen würde sie da auch nicht. Während der anschließenden Feierlichkeiten im Palast hatte sie außerdem noch genug Zeit, um dem Brautpaar persönlich zu gratulieren.

Die Musik wurde wieder leiser. War Juni schon beim Altar angelangt? Obwohl sie wusste, wie zwecklos es war, stellte Rae sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe der Menge zu spähen.

Als North plötzlich aufkreischte, fuhr sie vor Schreck zusammen. Seine Krallen gruben sich tief in ihre Schultern, dann stieß er sich ab und flog empor. Rae dachte erst, das Gewühl der Leute um sie herum hätte ihn erschreckt, doch North wirkte keineswegs verunsichert. Zielsicher flog er geradeaus und stieß einen hohen, klaren Ton aus wie der Ruf eines Raubvogels, der Beute gesichtet hatte. Rae folgte Norths Flugbahn mit ihrem Blick, nur deshalb sah sie ihn schließlich. Im Schatten der Kirchenmauer, das Gesicht halb unter einer Kutte verborgen. Er drehte sich weg, kaum dass sie ihn erspähte hatte, und verschwand in eine Nische.

Raes Herz schlug wie verrückt. Sie hatte sein Gesicht nur für den Bruchteil einer Sekunde sehen können, dennoch bestand für sie kein Zweifel. Jede Linie, jede Kontur war ihr ebenso vertraut wie ihr eigenes Spiegelbild. Überall hätte sie ihn wiedererkannt.

Luca! Bei den Feen, es war Luca.

Ihr Zwillingsbruder.

***

»Ich bin doch nicht verrückt«, keuchte Rae, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte. »Das war er doch, oder? Das war Luca!«

North antwortete ihr mit spitzen Schuhu-Tönen.

Aber wieso war er hier? Nachdem er aus dem Sommerverlies geflohen war, hatte ihn niemand mehr gesehen und jetzt tauchte er ausgerechnet zu Junis und Januars Hochzeit auf? Wieso hatte er sich nie bei ihr und ihren Eltern gemeldet? Verdammt, sie war genauso besorgt wie wütend. Wenn sie Luca erwischen würde, konnte sie nur für ihn hoffen, dass er ein paar gute Ausreden parat hatte!

Die Leute dachten nicht daran ihr aus dem Weg zu gehen. Obwohl sie so schmal war, kam Rae nur mühsam voran. Der dicke Kleiderstoff behinderte sie zusätzlich. Schweiß brach ihr aus und ihr Herzschlag flatterte. Luca. Wo war er hin?

Als sie endlich die Stelle erreichte, wo sie ihn erspäht hatte, war keine Spur mehr von ihm zu sehen. Die Nische entpuppte sich als schmaler Eingang. Durch eine Tür gelangte man zu einem Treppenaufgang, der hoch hinauf zu führen schien. Rae trat zögernd über die Schwelle und blickte die Stufen empor. Rund um das Kirchengelände wimmelte es nur so von Soldaten. Dieser Eingang hätte streng bewacht sein sollen. Zweifelnd sah sie sich um, aber außer ihr schien tatsächlich niemand hier zu sein. Da stimmte doch etwas nicht. Wo waren die Wachen?

Das Flattern von Flügeln ertönte. Kurz darauf landete North mit ausgefahrenen Krallen auf ihrer Schulter. Er gab einen hohen Ton von sich und pickte nach ihren Haaren. »Ist ja gut, ich hatte nicht vor hier Wurzeln zu schlagen! Ich überlege bloß«, erwiderte sie und setzte sich sogleich in Bewegung.

North blieb auf ihrer Schulter sitzen, während sie die Stufen im Laufschritt erklomm. Wie lange war es her, seitdem sie ihren Bruder zuletzt gesehen hatte? Vier Monate? Es kam ihr länger vor. Vor Sehnsucht zog sich ihr Brustkorb zusammen. Sie konnte es kaum erwarten ihn endlich wiederzusehen und sich selbst vergewissern zu können, dass es ihm gut ging. Sie hatte so viele Fragen! Wie war er dem Verlies entkommen? Wieso hatte er sich mit einer Sommerhexe eingelassen? Und die wichtigste von allen: Wieso hatte er sich nie bei ihr gemeldet?

Sie fand die erste Wache am Ende der Treppe. Sie lag bewusstlos quer über den Stufen, den Kopf auf die Brust gesunken und rührte sich nicht. Vor Schreck geriet Rae ins Stolpern. Sie trat auf ihren Rocksaum und wäre fast auf den reglosen Mann gefallen. North zog sie gerade rechtzeitig an einem Kleiderträger zurück. Seine Flügel gingen hektisch auf und ab. Der Anblick schien ihn ebenso zu bestürzen wie sie.

Rae wagte fast nicht hinzusehen. »Er ist doch nicht tot, oder?«

North gab einen ungeduldigen Laut von sich und stieß sie mit dem Schnabel an. »Was, nur weil ich Hände besitze, muss ich ihn anfassen?«, fragte Rae, doch als North sie nur abwartend mit seinen runden Vogelaugen anstarrte, kniete sie sich widerwillig neben den Mann.

Zum Glück brauchte sie ihn nicht anzufassen, denn als sie sich über ihn beugte, merkte sie, wie sein Brustkorb sich hob und senkte. Ganz leicht nur, als würde er tief schlafen.

»Keine Sorge. Er lebt noch«, sagte sie zu North und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Merkwürdig war jedoch, dass er keinerlei Verletzungen zeigte. Nicht einmal einen Kratzer auf der Stirn. Aber einfach so wurde doch niemand bewusstlos? Verunsichert legte Rae die Stirn in Falten. »Du glaubst doch nicht etwa, Luca könnte etwas damit zu tun haben?«

North reagierte nicht auf ihre Frage. Seine Aufmerksamkeit wurde auf etwas gezogen, das sich am Ende des Flurs abspielte. Diesmal gab er keinen Laut als Vorwarnung von sich. Wie ein Pfeil schnellte er los, die Flügel so weit ausgestreckt, dass er mit den Spitzen die Wände links und rechts streifte.

»Hey, was ist los? North! Jetzt warte doch!«

Rae raffte umständlich ihre Röcke und beeilte sich ihm nachzukommen. Dieses verflixte Kleid! Sie hätte doch darauf bestehen sollen ihre Garderobe selbst zu wählen. Durch die vielen Schichten kam sie sich vor, als hätte man sie mit Kartoffelsäcken beladen.

»North«, keuchte sie, doch die Schneeeule war längst um die nächste Ecke geflogen und ihrem Blickfeld entschwunden. Das war doch echt unfair. Nur weil er Flügel hatte, brauchte er nicht so vorzusausen!

Erst am Ende des Flurs holte sie ihn wieder ein. Dort flatterte North vor einer verschlossenen Tür auf und ab. Auch hier lag ein Mann mit den Abzeichen des Sommerkönigs am Boden. Diesmal verweilte Rae nicht, um sich zu vergewissern, dass er am Leben war, sondern eilte gleich weiter und stieß für North die Tür auf. Dahinter lag der Kirchenraum. Sie befanden sich auf einer Art Galerie, von der aus man das Mittelschiff überblickte. Wenn Rae den Kopf reckte, konnte sie die vielen Hundert Gäste sehen, welche sich vorm Altar versammelt hatten und gebannt lauschten, während der Pfarrer seine Traurede hielt. Von dem, was sich über ihren Köpfen abspielte, schien keiner dort unten etwas mitzubekommen.

North flog wieder voran, Rae knapp hinter ihm.

Was hatte Luca jetzt schon wieder angerichtet?

***

Die Hochzeit muss verhindert werden.

Die Worte waren Luca so oft eingebläut worden, dass er sie sich selbst in Gedanken vorsagte, während er auf sein Zeichen wartete. Lily und zwei weitere Hexer waren bereits in den Turm vorgedrungen. Seine Aufgabe lautete hier unten Wache zu halten und darauf zu achten, dass niemand die bewusstlose Garde entdeckte.

Die Hochzeit muss verhindert werden.

Luca hatte nie gefragt wieso. Man erzählte ihm nicht viel. Nicht seitdem Lily ihn aus dem Gefängnis befreit hatte und die Rebellen feststellen mussten, dass er überhaupt keine Ahnung hatte, was aus der Sommerprinzessin geworden war. Flint, ihr Anführer, war damals sehr erzürnt gewesen. Um ihn aus dem Schlossverlies zu retten, hatte er wertvolle Ressourcen aufgebraucht. Vor lauter Zorn hatte er Luca gleich wieder einsperren lassen. In einen Käfig, in dem früher Schweine gehalten worden waren. Dort hatte Luca tagelang im Dunkeln gekauert. Ohne Wasser. Ohne Essen. Als Lily ihn schließlich herausgelassen hatte, war er bereits kurz davor gewesen den Verstand zu verlieren.

Aber Lily hatte ihn gerettet. Schon wieder. Ihr war es zu verdanken, dass Flint ihn nicht einfach getötet hatte. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dass man ihn am Leben ließ, und persönlich für ihn gebürgt. Seitdem hatte er ihre Seite nicht mehr verlassen. Sie kämpften für eine große Sache, beteuerte sie ihm stets.

Die Hochzeit muss verhindert werden.

Eine Sommerprinzessin und ein Winterprinz? Der Gedanke war ohnehin lächerlich. Dennoch ließ die ganze Aktion ihn im Grunde kalt. Nicht so wie Lily, die immer voller Leidenschaft gegen den Sommerkönig und dessen dämliches Magieverbot schimpfte.

Luca drehte gelangweilt an seinem Schwertgriff. Die Waffe war gut unter seinem Kapuzenmantel versteckt, dennoch hob er den Kopf, um sicherzugehen, dass niemand ihn beobachtete. Da sah er sie. Die dunklen Augen geweitet vor Schreck. Die Lippen zu einem stummen O verzogen. Augenblicklich drehte Luca sein Gesicht weg, dennoch wusste er, dass es bereits zu spät war. Rae hatte ihn gesehen. Sein Herz begann wie wild zu pochen. Ausgerechnet hier. Ausgerechnet heute.

Luca verfluchte sich selbst, weil er so unachtsam gewesen war. Mist, was sollte er jetzt machen? Rae, der kleine Sturkopf, war sicher schon auf dem Weg zu ihm und wie sollte er dann reagieren?

Luca sah nur einen einzigen Ausweg: Flucht. Wie von den Feen verfolgt, stürmte er die Treppe nach oben, über die bewusstlosen Wachen hinweg und die Galerie oberhalb des Seitenschiffs entlang. Die Worte des Pfarrers hallten von der Kirchendecke. Leise, ermahnte er sich. Er musste sich zusammenreißen, um nicht zu rennen, damit seine raschen Schritte ihn nicht verrieten. Ein Seitenblick über die Balustrade zeigte Prinzessin Juni kniend vorm Alter. Neben ihr ein junger Mann ganz in Weiß mit hellblonden Haaren, der Prinz Januar sein musste.

Wenn er wenigstens wüsste, wie der Plan aussah. Aber Luca wusste ja nicht einmal, wohin er gerade ging. Lily und die anderen konnten inzwischen überall sein.

»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst unten warten?«, grollte plötzlich jemand hinter ihm. Kurz darauf packte eine fleischige Hand Luca im Nacken und drückte so fest zu, dass ihm die Luft wegblieb.

»Was ist los? Wurden wir entdeckt?« Lilys wunderschönes Gesicht erschien in seinem Blickfeld. So hell und zart. Und noch schöner, wenn sie wütend war. So wie jetzt.

Nachdem ihm nur ein Röcheln entkam, ließ Flint ihn endlich los. Der Rebellenanführer war ein kräftiger Kerl, mit muskulösen Armen und Beinen und stechenden, grünen Augen. Dazu war er auch noch der beste Hexer, der in ganz Sommer zu finden war. Luca hatte ihn nie leiden können, aber er hatte Respekt vor ihm. »Sprich endlich«, knurrte Flint. In seinen Händen hielt er eine Armbrust, die Sehne bereits gespannt.

Mit zittrigen Händen rieb sich Luca über den Nacken. »Es tut mir leid. Ich musste kommen! Da unten war –«

»Haben Augusts Leute dich gesehen?«

»Nein. Nicht ganz …«

In dem Moment hörte er es bereits: Rae, die hinter ihm die Galerie entlang lief und seinen Namen flüsterte. Noch wurden er und die anderen von einem Wandvorsprung verdeckt, aber nicht mehr lange, dann musste sie sie entdecken.

»Wer ist das?«, fragte Flint.

»Meine Schwester Rae, sie –«

Ehe er den Satz vollenden konnte, rauschte sie bereits dicht gefolgt von einer weißen Eule an ihnen vorbei. Flint reagierte blitzschnell. Innerhalb von Sekunden hatte er Rae am Arm gepackt und hielt ihr den Mund zu. Die Armbrust hatte währenddessen irgendwie den Weg in Lucas Arme gefunden. Er hielt sie unbeholfen und beobachtete voller Unbehagen, wie Rae sich in Flints hartem Griff wand. Sie war seine Schwester und er fühlte sich, als sollte er ihr helfen.

Wieso war sie ihm auch nachgelaufen? Jetzt in dem ungünstigsten aller Augenblicke? Die Eule an ihrer Seite stieß einen Schrei aus. Die ersten Blicke fanden ihren Weg zu ihnen nach oben. Der Tumult, den sie veranstalteten, ging nicht unentdeckt vorüber. Nicht mehr lange und sie würden die ersten Wachen anlocken.

Flint schien das Gleiche zu denken, denn auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck eiserner Entschlossenheit. »Jetzt!«, zischte er.

Lily nickte und sah zu Luca. »Die Hochzeit muss verhindert werden.« Sie formte die Worte nur, aber Luca könnte die gesamte Geschichte der Menschheit von ihren wunderschönen Lippen ablesen. Ihr Blick brannte sich fest in ihn hinein. Wallende Hitze erglühte in seiner Brust und weitete sich aus bis in seine Fingerspitzen. Plötzlich wusste er ganz genau, was zu tun war. Seine Hände legten sich wie von selbst um das blank polierte Holz der Armbrust. Fanden den Abzug.

Die Hochzeit muss verhindert werden.

Luca hatte noch nie in seinem Leben eine Armbrust abgefeuert, aber das schien keine Rolle zu spielen. Als Rae Flints Hand abgewehrt hatte und anfing zu schreien, war es längst zu spät. Der Pfeil fand sein Ziel so treffsicher, als hätte er nie etwas anderes getan, und bohrte sich in das Herz der Sommerprinzessin.

2. MÖRDER

Es geschah wie in Zeitlupe. Lucas entschlossener Gesichtsausdruck. Der Pfeil, der von der Sehne schnellte. Schreie überall. Juni brach zusammen. Ein roter Fleck auf ihrem blütenweißen Kleid. Und Januar…

Rae musste den Blick abwenden. Übelkeit erfasste sie. Ihr Kleid war auf einmal viel zu eng. Sie konnte nicht atmen, sich nicht bewegen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Aber sie weinte nicht.

Das war eben nicht wirklich passiert. Das konnte nicht passiert sein.

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