Sommernächte und Lavendelküsse - Lena Johannson - E-Book
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Sommernächte und Lavendelküsse E-Book

Lena Johannson

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Beschreibung

Eine Sommerliebe à la française!

Sybille ist Antiquitätenhändlerin und reist in die Provence, um zusammen mit dem Fotografen Jérôme nach alten Möbeln zu suchen. Außerdem hat sie noch ein ganz anderes Anliegen: Auf einem Foto hat Sybille Luc wiedererkannt, ihre erste große Liebe! Vor über fünfzehn Jahren lernten sie sich im südfranzösischen Grimaud kennen, und seither muss sie immer wieder an die gemeinsam verbrachten lauen Sommernächte denken. Für Sybille steht eines fest: Sie muss Luc wiedersehen und herausfinden, ob seine Küsse noch immer nach Sonne und Freiheit schmecken...

So romantisch, wie die Nächte in der Provence.

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Über Lena Johannson

Lena Johannson, 1967 in Reinbek bei Hamburg geboren, war Buchhändlerin, bevor sie als Reisejournalistin ihre beiden Leidenschaften Schreiben und Reisen verbinden konnte. Seit ihrem ersten Roman »Das Marzipanmädchen«, der 2007 erschien, arbeitet sie als freie Autorin. Sie lebt an der Ostsee. Bei Aufbau sind neben »Große Fische. Ein Krimi auf Rügen« außerdem ihre Romane »Himmel über der Hallig«, »Rügensommer«, »Dünenmond. Ein Sommer an der Ostsee«, »Der Sommer auf Usedom«, »Die Inselbahn. Ein Sommer auf Sylt« und »Standzauber. Ein Rügenroman« lieferbar.

Mehr zur Autorin unter www.lena-johannson.de.

Informationen zum Buch

Eine Sommerliebe à la française!

Sybille ist Antiquitätenhändlerin und reist in die Provence, um zusammen mit dem Fotografen Jérôme nach alten Möbeln zu suchen. Außerdem hat sie noch ein ganz anderes Anliegen: Auf einem Foto hat Sybille Luc wiedererkannt, ihre erste große Liebe! Vor über fünfzehn Jahren lernten sie sich im südfranzösischen Grimaud kennen, und seither muss sie immer wieder an die gemeinsam verbrachten lauen Sommernächte denken. Für Sybille steht eines fest: Sie muss Luc wiedersehen und herausfinden, ob seine Küsse noch immer nach Sonne und Freiheit schmecken!

So romantisch, wie die Nächte in der Provence.

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Lena Johannson

Sommernächte und Lavendelküsse

Roman

Inhaltsübersicht

Über Lena Johannson

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Bonjour Tristesse

Bonjour la France

Bonjour l’amour

Bonjour le désastre

Bonjour l’idée

Bonjour happy end

Impressum

Bonjour Tristesse

»Bien sûr, Madame, ich habe genau verstanden, was Sie brauchen. Das bekommen Sie von mir, verlassen Sie sich darauf!«

Dieser Jérôme hatte Wort gehalten. Sehr gut.

Gerade zwei Tage waren vergangen, seit Sybille ihm den Auftrag erteilt hatte, alte Türen in der Provence zu fotografieren. Türen, die man kaufen konnte, natürlich. Sie wollte schließlich keinen Hochglanz-Kalender produzieren, sondern den Kunden ihres Antiquitätengeschäfts etwas anbieten, was es in Deutschland nicht an jeder Ecke gab.

Jérôme hatte dann gleich auch noch ein paar Möbelstücke abgelichtet, darunter eine über hundert Jahre alte Kommode aus Pinienholz mit kunstvoll gedrechselten Beinen sowie einen barocken Sessel, dessen Lehne aus Korbgeflecht herrlich verwittert aussah. Die samtbezogene Sitzauflage dagegen war noch richtig gut erhalten. Zumindest wenn Sybille den Bildern glauben durfte, die der Fotograf für sie gespeichert hatte.

Ihr Blick glitt vom Computer zum Fenster hinaus. Auf dem Treppengiebel des Hauses gegenüber hockten zwei Tauben dicht nebeneinander. Graues Gefieder vor grauem Himmel. Ein leichter Nieselregen ließ die Gasse in der Lübecker Altstadt milchig aussehen, das Außenthermometer zeigte 15 Grad. Und das im Juni! Seufzend wandte sich Sybille wieder der Nachricht aus Frankreich zu, die mit den Worten »Viele Grüße aus der Sonne« endete. Ob sie weiteres Material benötige und ob er schon ein paar Besichtigungstermine für sie vereinbaren solle, hatte Jérôme gefragt. Sollte er nicht. Noch nicht. Sie wollte erst alle Unterlagen beisammen haben. Sybille ging die Bilder noch einmal durch. Die Auswahl war großzügig. Viele der alten Türen und Möbel standen direkt in Grimaud. Jérôme hatte eine kleine Karte angefertigt, in die er die übrigen Standorte eingezeichnet hatten, alle in der nahen Umgebung, im Herzen der Provence. Wieder sah sie hinaus, wo aus dem Nieseln ein schöner gleichmäßiger Landregen geworden war. Sie schloss ihre Augen und rechnete. Eine Stunde von Lübeck nach Hamburg. Zum Flughafen vielleicht lieber anderthalb Stunden. Dreieinhalb Stunden Flug, dann noch ungefähr zwei Stunden mit dem Leihwagen von Nizza nach Grimaud. Selbst wenn sie zu einer Tageszeit aufbrechen würde, in der sie definitv noch schlechte Laune hatte, schaffte sie höchstens noch eine, maximal zwei Besichtigungen. Wenn Jérôme alle anderen am nächsten Tag unterbringen würde, könnte sie am dritten Tag abreisen. Zwei Übernachtungen also. Sie schnaufte. Zwei Übernachtungen in Grimaud. Ausgerechnet. Nicht, dass sie etwas gegen die Provence hatte, im Gegenteil, aber es gab dort ganz bestimmt attraktivere Orte. Saint-Tropez zum Beispiel, Cannes oder Nizza. Die Küste eben, das Meer. Sybille ging in die Küche und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Seit sie in der Weltkunst gelesen hatte, dass in den verlassenen Bergdörfern der Départements Var und Vaucluse und eben in Grimaud immer wieder kostbare und besondere Türen und Möbel gefunden und zum Kauf angeboten wurden, hatte sie einen Kloß im Bauch. Das war albern. Sie war erst einmal im Leben in Grimaud gewesen. Das war vor rund 15 Jahren, als sie vor dem großen Abi-Stress noch eine Oberstufen-Fahrt nach Frankreich unternommen hatten. Sybille musste schmunzeln. Sie war damals noch ein schüchternes Mädchen gewesen, das hin und wieder mal für einen Typen schwärmte, sich aber nie traute, zu flirten. Verträumt war sie gewesen, in Physik und Chemie ein Komplettausfall, in Sprachen und musischen Fächern dafür sehr gut.

Sie trat mit ihrer Kaffeetasse an das Fenster und lächelte versonnen. Nie würde sie die Gesichter beim Stufentreffen zehn Jahre nach dem Abitur vergessen. Sybille hatte ein Designerkostüm getragen, die Haare kurz und akkurat geschnitten, auffällige Brille, alter Silberschmuck, Brosche und Ring passend. Als sie dann noch von der Eröffnung ihres eigenen Geschäfts in der Lübecker Altstadt erzählt hatte, war die eine oder andere Kinnlade heruntergeklappt. Fünf Jahre waren seitdem schon wieder vergangen. Inzwischen trug Sybille die Haare wieder so lang, dass sie einen Pferdeschwanz machen konnte. Und sie war zu der Einsicht gelangt, dass sie besser mit Kompetenz überzeugte als durch das Zurschaustellen vermeintlich intellektueller Attribute. Die Selbständigkeit war zur Routine geworden, die sie ausfüllte und befriedigte. Das Reisen gehörte dazu. Auch das sah Sybille entspannter als in den ersten Jahren. War sie zuerst noch begeistert nach Argentinien, Schottland oder in die USA geflogen, um mit Geschäftspartnern zu verhandeln und Waren in Augenschein zu nehmen, hatte sie im Laufe der Zeit kapiert, dass sie von Land und Leuten nichts zu sehen bekam, dafür aber meist ein anstrengendes Programm zu bewältigen hatte. Anfangs hatte sie noch darüber nachgedacht, ein paar Tage anzuhängen, wenigstens einen Ausflug zu unternehmen, wenn es sich um ein besonders attraktives Reiseziel handelte. Doch zuerst konnte sie sich noch niemanden leisten, der während ihrer Abwesenheit im Laden stand. Sie musste also so schnell wie möglich zurückkommen. Später dann hatte es immer Termine oder schon die nächste Reise gegeben. Da war Sybille einfach nur froh gewesen, wenn sie sich auch mal in ihrer hübschen Vierzimmerwohnung über dem Geschäft auf ihr riesiges Sofa werfen und faul sein konnte.

***

Vor 15 Jahren hatten sie und ihre Mitschüler aus dem Französisch-Leistungskurs es total uncool gefunden, dass die Reise nach Grimaud gehen sollte. Sie wollten ans Meer, nach Saint-Tropez, wo ihnen mit etwas Glück ein Promi über den Weg laufen würde. So ein Unsinn. Sie waren damals wirklich noch sehr unreif gewesen. Sybille schüttelte den Kopf und brachte die Kaffeetasse zurück in die Küche. Es gab absolut keinen Grund, heute die gleichen albernen Gedanken zu haben wie als Teenager. Schon gar nicht, weil sie jetzt nicht nach Südfrankreich flog, um sich zu amüsieren, sondern um Geschäfte zu machen. Da spielte es ganz gewiss keine Rolle, ob der Ort Grimaud, Grenoble oder Chemnitz hieß. Das sagte jedenfalls Frau Antiquitätenhändlerin Eggers. Dumm nur, dass das Mädchen Sybille einen Kloß im Bauch hatte, seit es die Wörter Grimaud und Provence in dem Fachartikel gelesen hatte. Und dafür gab es sehr wohl einen Grund. Ihr eingerostetes Französisch war das sicher nicht. Sybille setzte sich wieder an ihren Computer. Nein, ihren Sprachkenntnissen würde es sogar guttun, endlich mal wieder nach Frankreich zu reisen. Meist verhandelte sie auf Englisch oder auf Deutsch. Am liebsten hatte sie es inzwischen, wenn sie Antiquitäten in Deutschland aufstöberte. Sie konnte sich in ihren Mini schwingen, über die Autobahn trödeln und spätestens am nächsten Tag wieder zu Hause sein. Weitere Strecken nahm sie nur noch auf sich, wenn es um potentielle Schätze ging. Sybille erinnerte sich noch genau an dieses eigentümliche Gefühl, das sie immer hatte, wenn sie von Objekten hörte, die das gewisse Extra hatten. Im Lauf der Jahre hatte sie ein bombensicheres Gespür dafür entwickelt. Nein, wenn sie es recht bedachte, hatte sie dieses Gespür schon immer gehabt. Es lag ihr einfach im Blut. Sybille wusste, wann es sich um einen schnell vorübergehenden Modetrend oder um ein Stück mit Herz und Geschichte handelte. Kaum, dass sie die ersten Zeilen in der Weltkunst gelesen hatte, war ihr klar: Hier ging es um die zweite Kategorie. Obwohl die meisten die Provence mit Dekadenz und Reichtum in Verbindung brächten, hieß es da, handele es sich in Wahrheit doch um eine in weiten Teilen ausgesprochen arme Region. Ganze Dörfer in zerklüfteten bergigen Landstrichen seien verlassen, weil die Bewohner woanders ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. Bevor es so weit gekommen war, hatten schon Generationen in den Häusern gelebt, hatten kein Geld gehabt, um zu renovieren, geschweige denn sich neue Möbel zu kaufen. So kam es, dass in großer Zahl wunderbare alte Stücke auftauchten und die Nachfrage stieg. Immer mehr Menschen fanden es schick, ihre neue Villa mit einer alten Tür zu schmücken. Sybille war sofort Feuer und Flamme gewesen, hatte aber auch gewusst, dass sie schnell sein musste. Wie es aussah, war das Angebot noch groß, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die guten Stücke ihre Abnehmer gefunden hatten. Insofern war es vielleicht nicht dumm, sich so bald wie möglich mit diesem Jérôme zu treffen, die Objekte anzusehen, Preise auszuhandeln und wieder zu verschwinden.

Pfeif auf dein Bauchgefühl, sagte sie sich. Du bist Profi, also verhalte dich auch so. Sie hatte die Fotos nur überflogen, hatte sich nur einen ersten Eindruck verschafft. Sie würde sie sich jetzt noch einmal in Ruhe ansehen, gründlich dieses Mal, und entscheiden, was sie in natura prüfen wollte.

***

Sybille machte sich Notizen, drückte auf die linke Maustaste. Neues Bild. Ihr Herz setzte einen Takt aus, dann schlug es schneller. Der Mann auf dem Foto … das war doch … das konnte gar nicht sein. Sie vergrößerte auf 600 Prozent, schob die Aufnahme so lange auf dem Bildschirm hin und her, bis sie den richtigen Ausschnitt vor sich hatte. Luc! Das war unmöglich. Sie beugte sich so weit vor, dass ihre Nasenspitze den Monitor berührte. Sybille starrte den Mann weiter an.

»Kann doch nicht wahr sein!« Sie sprang auf, trat hinter ihren Stuhl und warf von dort einen Blick auf die Fotografie. Jérôme hatte eine Weitwinkeleinstellung nehmen müssen, um eine zweiflüglige Tür in Szene zu setzen. Dabei hatte er einen Motorradfahrer vor die Linse bekommen, der in der Gasse an seiner Maschine herumschraubte. Er war gerade noch mit auf das Bild gekommen, hing gewissermaßen in der rechten unteren Ecke. Sybille schnappte sich eine Lupe. Keine gute Idee, sie sah nur noch bunte Punkte. Mit zusammengekniffenen Augen fixierte sie die Gestalt, die vor einem unscheinbaren Natursteinhaus hockte. Das Gesicht war älter, männlicher. Kunststück, es war 15 Jahre her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten. Die Haare hatte er damals kürzer getragen, jetzt waren sie fast schulterlang. Dreitagebart, ölverschmierte Hände. Ein Rocker, wie er im Buche stand. Kein Zweifel, das war Luc. Er hatte schon damals als Einziger eine 125er gehabt, während alle anderen mit ihren stinkenden Mofas unterwegs gewesen waren. Sybille ließ sich so schwungvoll fallen, dass sie sich an der Schreibplatte des Sekretärs festhalten musste, um die Karussellfahrt ihres Drehstuhls zu stoppen. In ihrem Magen kribbelte es gewaltig, ihre Wangen brannten. Der Typ, der versehentlich auf eines der Fotos geraten war, war eindeutig Luc. Ihre erste große Liebe, ein junger Wilder, den sie während der Klassenfahrt vor 15 Jahren kennengelernt hatte …

***

Wie hatte sie ihn so lange verdrängen können? Hatte sie das überhaupt? Vermutlich nicht, wahrscheinlich war ihrem Unterbewusstsein von der ersten Sekunde an klar gewesen, dass er der Grund war, weshalb sie nicht in die Provence fahren wollte. Genauer gesagt, hatte Frau Eggers diese Tatsache geleugnet, während sie Sybille klar gewesen war. Frau Eggers war Sybilles innere Stimme, die für Vernunft und Seriosität zuständig war. Ziemlich schnell nach Übernahme des Ladens hatte Sybille kapiert, dass sie mit ihrer verträumten Art im Geschäftsleben nicht weit kommen würde. Sie hatte sich angewöhnt, eine Art inneren Dialog zu führen und sich selbst zur Ordnung zu rufen, wenn es darauf ankam. Im Lauf der Zeit hatte Sybille begonnen, auch in Männerangelegenheiten Frau Eggers zu Rate zu ziehen. Die hatte ihr zum Beispiel geraten, sich von Mark zu trennen, ihrem letzten Freund. Eine gute Entscheidung. Na ja, zumindest eine vernünftige.

Sybille konnte den Blick nicht von Luc wenden. Nach ihrem Sommer hatte er nie wieder etwas von sich hören lassen. Die Enttäuschung darüber hatte weh getan, sehr weh, und das über Jahre, wenn sie ehrlich war. Sybille trat wieder ans Fenster. Auf dem Treppengiebel gegenüber saß nur noch eine Taube.

»Na, bist du auch im Stich gelassen worden? Warst bestimmt mit einem französischen Täuberich zusammen«, murmelte sie. »Das hast du davon.« Das jedenfalls hatte ihre Mutter ihr damals eingeredet, als Sybille sich täglich die Augen dick geweint hatte.

»Selbst schuld! Was lässt du dich auch mit so einem ein?« Dabei hatte sie ihn nicht einmal gekannt. »Ist doch typisch Mann, dass der sich nicht meldet. Typisch Franzose«, hatte sie gezetert. Er habe sich nur amüsieren wollen und bestimmt gleich nach Ankunft der nächsten Schulklasse wieder vor der Jugendherberge herumgelungert, um ein Mädchen aufzugabeln. Sybille hatte diese Theorie für bare Münze genommen, schließlich hatten Mütter doch Lebenserfahrung. Wie naiv musste sie eigentlich gewesen sein, um das zu schlucken? Woher wollte ausgerechnet ihre Mutter wissen, wie Franzosen im Allgemeinen tickten und Luc im Speziellen? Sie kannte sich mit Männern so gut aus wie Eisbären mit Sonnencreme. Sybille hatte sich immer vorgestellt, dass Luc mit seinem Motorrad einen Unfall gehabt hatte. Bestimmt hatten beide Arme in Gips gesteckt. Wie hätte er damit wohl einen Brief schreiben können? Während sie darüber nachdachte, landete auf dem Dach gegenüber Taube Nummer zwei. Was, wenn sie recht gehabt hatte und nicht ihre Mutter? Was, wenn er sich genauso nach ihr gesehnt hatte und fast verrückt geworden war, weil er sich nicht bei ihr melden konnte?

»Wenn er im Koma gelegen hat, hat er sich nicht nach dir gesehnt«, meinte Frau Eggers kühl. »Wenn er nicht im Koma gelegen hat, hätte er eine Möglichkeit finden können, ein Lebenszeichen zu senden.«

Sybille überhörte diesen Einwand geflissentlich. Sie wollte ihn wiedersehen, ihn fragen, was damals los gewesen war. Was wohl aus ihm geworden war? Sie seufzte, ging zurück an ihren Arbeitsplatz und betrachtete das Foto. Offenkundig war er noch immer wild und unangepasst. Sehr anziehend. Ob er wohl noch so gut küsste und so gut schmeckte wie damals? Wahrscheinlich besser.

Ein Kribbeln schoss durch ihren Körper. Plötzlich waren alle Erinnerungen wieder da. Grimaud. Dieses zauberhafte Bergdorf mit seiner hübschen Kirche, den schmalen Gassen und den alten verwunschenen Natursteinhäusern, deren Fassaden fast vollständig hinter Bougainvillea und Oleander verborgen waren.

»Ach nee«, knurrte Frau Eggers.

Oh doch, jetzt erinnerte Sybille sich genau. Es war viel hübscher gewesen, als sie es sich ausgemalt hatten. Alle hatten sich dort wohl gefühlt, besonders in dem rustikalen Jugendhotel mit den sympathischen Wirtsleuten. Die Jugendlichen des Dorfes hatten davor herumgelungert. Unter ihnen Luc. Bei ihm hatte sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben wie etwas Besonderes gefühlt. Er hatte sie auserwählt, ohne große Worte. Er hatte sie einfach nur angesehen, einen Arm um sie gelegt, und die Sache war klar. Sie hatten sich, so oft es ging, gesehen. Am letzten Abend dann hatten Sybille und ihre Freundinnen Ungeheuerliches gewagt: Sie waren aus dem Fenster geklettert, um die Nacht mit den jungen Franzosen zu verbringen. Bis zur Morgendämmerung hatten sie an der alten Festung gesessen, billigen Rotwein getrunken. Natürlich war nichts passiert, nichts wirklich Ungeheuerliches. Doch in der Nacht bekam Sybille ihren ersten Kuss. Ihren ersten richtigen Kuss. Für sie war das spektakulär gewesen, atemberaubend, extraordinär. Es war eine Offenbarung gewesen, seine Lippen auf ihren, in der Nase den Duft von blühendem Lavendel. Unter Tränen hatten sie mitten in der Nacht voneinander Abschied genommen.

»Moment, du hast geheult, er nicht«, mischte sich Frau Eggers in ihre Gedanken ein. Konnte schon sein, dass sie recht hatte. Aber wenigstens hatte Luc Sybille versprochen, auf sie zu warten. Das war mehr wert als Heulerei. Tränen hätten auch gar nicht zu ihm gepasst. An sein Versprechen erinnerte sie sich ganz genau. Und sie hatte versprochen, nach Grimaud zurückzukommen. Wer war jetzt die untreue Tomate? Schön, sie hatte wöchentlich Briefe an ihn geschrieben. Glühende Liebesbriefe. Nur war eben nie eine Antwort gekommen. Also hatte sie seltener geschrieben, dann gar nicht mehr. Nach Grimaud war sie nie wieder gefahren. Also hatte sie ja wohl ihr Versprechen gebrochen. Und er? Vielleicht wartete er noch immer auf sie? Frau Eggers schüttelte missbilligend den Kopf, und selbst Sybille war dieser Gedanke eine Spur zu blauäugig. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass sich ein kleiner Hoffnungsschimmer in ihr einnistete.

Bonjour la France

Endlich fädelte sich Sybille auf die A8 ein. Die halbe Strecke nach Grimaud wollte sie eigentlich schon geschafft haben, aber anscheinend war es nicht ihr Tag. Nachdem der Flug schon einem Känguru-Rennen geglichen hatte, wartete auf dem Aéroport Nice Côte d’Azur die nächste böse Überraschung.

»Madame Eggers, isch abe gute Nachrischten für Sie«, erklärte ihr die Mitarbeiterin der Autovermietung mit überheblichem Lächeln. Welchen Teil von »Ich spreche Französisch« hatte die nicht verstanden? »Sie aben einen Kleinwagen bestellt. Mais non, das ist nischts für Sie.« Dann hatte sie Sybille verschwörerisch zugezwinkert und sich gleichzeitig lässig und elegant auf den Tresen gelehnt, wie es wohl nur Französinnen können. »Als gute Kundin unseres Unternehmens aben wir Sie kostenlos upgegradet.« Das klang ein bisschen wie öpgögretet.

»Ich habe einen Kleinwagen geordert, weil ich einen will«, stellte Sybille klar. Sehr schlechter Einwand. Im Bruchteil einer Sekunde wurde aus dem perfekt geschminkten Gesicht vor ihr eine starre Maske. Wenn sie es genau betrachtete, war das keine so große Veränderung. Auf jeden Fall stand fest, dass die Dame in der auf den Leib geschneiderten Uniform, die bei dieser Autovermietung in jedem Land der Welt die gleiche war, unterwürfige grenzenlose Dankbarkeit erwartet hatte statt eines Widerspruchs.

»Mais non«, wiederholte sie resolut, »Sie bekommen etwas viel Besseres. Sie werdön Augön machön«, betonte sie mit einem umwerfenden Strahlen. Und Sybille hatte Augön gemacht. Und was für welche! Der sportliche Flitzer hätte zu einem ihrer Kunden gepasst, ganz sicher aber nicht zu ihr. Hätte Sybille sich für modernste Technik interessiert, wäre sie auch nur im Geringsten mit einem Talent für Hebel, Knöpfe und Schaltungen gesegnet, hätte sie genau dieses Auto bestellt, das da vor ihr stand und perfekt poliert in der Sonne glänzte. Dann hätte sie aber auch einen technischen Beruf ergriffen. Möglicherweise hätte sie irgendetwas mit Computern studiert, wäre Ingenieurin geworden. Aber sie war Antiquitätenhändlerin. Warum wohl? Weil sie alte Dinge mochte, Gemälde aus dem Barock, Möbel im Stil von Louis-quinze. Sie umgab sich mit Objekten, die sie auch bedienen konnte. Dieses Wunderwerk auf vier Rädern gehörte definitiv nicht dazu, und genau deshalb hätte Sybille es niemals gebucht. Obwohl sie das Handbuch eine kostbare halbe Stunde durchgeblättert hatte, gelang es ihr nicht, den Wagen zu starten.

Deaktivieren Sie die Wegfahrsperre durch zweimaliges schnelles Berühren des Touch-Points auf Ihrem Transponder. Klang einfach, war es aber nicht. Nach dem dritten Fehlversuch sprang die Alarmanlage an. Die hatte Sybille wenigstens schnell zum Schweigen gebracht. Sie dachte darüber nach, die Autovermietungsschönheit an ihrem feinen Stöffchen auf den Parkplatz zu schleifen, damit sie die Wegfahrsperre entsperrte, doch das war glücklicherweise nicht nötig, denn beim nächsten Versuch sprang der Motor an. Gang rein, langsam aus der Parklücke rollen. Das hatte funktioniert. Sybille mochte keine Klimaanlagen. Ihr war es lieber, frische Luft hereinzulassen. Also betätigte sie die elektrischen Fensterheber. Dachte sie. Die Fenster öffneten sich wie gewünscht. Sybille drückte noch einmal das gleiche Knöpfchen. Nichts, die Scheiben hielten nicht in frisurfreundlicher Höhe an, sondern fuhren weiter abwärts und verschwanden schließlich mit kaum wahrnehmbarem Summen in den Türen. Damit nicht genug, auch das Dach machte sich aus dem Staub und tauchte irgendwo im hinteren Teil des Wagens ab. Klack, eingerastet. Was hatte sie in dem Handbuch gelesen?

Ist das Dach einmal eingerastet, ist die Feststellschraube der Sicherung manuell zu lösen. Kam ja überhaupt nicht in Frage. Sybille hatte nicht im Geringsten Lust gehabt, anzuhalten und damit noch mehr Zeit zu vergeuden.

***

Und nun war sie also auf der A8 und fuhr gen Westen. Grimaud voraus!

»Nehmen Sie die Küstenstraße«, hatte die Dame der Autovermietung noch geflötet. »Dort aben Sie einen traumaften Blick auf das Tyrrhenische Meer.« Angeberin!

»Danke, ich habe das Mittelmeer schon bei der Landung gesehen«, hatte Sybille kühl zurückgegeben und leise gemurmelt: »Euer Flughafen liegt ja beinahe im Wasser.«

Von wegen Küstenstraße, sie war sofort in Richtung Autoroute gefahren. Sie wollte ihre Zeit nicht auf schmalen Wegen verschwenden, die sich um Yachthäfen schlängelten, vorbei am Hippodrome de la Côte d’Azur, zwischen Campingplätzen und Freizeitparks hindurch. Sie wollte direkt in das zauberhafte Örtchen Grimaud, dem keines dieser Urlaubszentren, keine dieser Schickimickistädte je das Wasser reichen konnte.

»Ach was, das sind ja ganz neue Töne«, meinte Frau Eggers.

»Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?«, antwortete Sybille vergnügt.

Sie freute sich über ihre Entscheidung, hergekommen zu sein. Und sie freute sich darüber, dass sie einen längeren Aufenthalt geplant hatte. Sie hatte kurzerhand ein paar Tage angehängt. Wenn man schon mal da war. Nach so vielen Jahren. Da konnte man doch nicht nur die Geschäfte abwickeln und wieder verschwinden. Irgendwann musste man schließlich auch mal Urlaub machen. Und Lübeck hatte sich nicht gerade ins Zeug gelegt, um sie von ein paar Ferientagen zu Hause zu überzeugen. Ein solches Schmuddelwetter hatte es im Sommer seit Jahren nicht gegeben.

Je näher Sybille Grimaud kam, desto aufgeregter wurde sie. Jérôme hatte nicht nur die beruflichen Verabredungen für sie vorbereitet und ein Hotel ausgesucht, er hatte ihr auch noch Lucs Telefonnummer beschafft. Zuerst hatte sie nur vorsichtig angefragt, ob er den Mann auf dem Foto kenne. Sie könne es zwar nicht glauben, aber sie habe den Eindruck, dass sie ihm vor sehr langer Zeit schon begegnet sei. Die Antwort war eindeutig. Ja, er kenne ihn. Wer in Grimaud kenne Luc Lézard wohl nicht?

Sybille hatte daraufhin eine viel zu lange Erklärung geschickt, dass sie solch einen Zufall gar nicht fassen könne. Gerade erst habe sie ein Klassentreffen gehabt und sich darüber unterhalten, was für eine gute Zeit sie alle mit der Dorfjugend gehabt hätten, und wie nett es wäre, jemanden von damals wiederzusehen. Die Reaktion kam postwendend. Jérôme schickte ihr Lucs Handynummer. Das war alles. Kein weiterer Kommentar.

***

Seit sie diesen Hightechwagen zum Fahren gebracht hatte, war Sybille geradezu euphorisch. Wie schön es hier war! Einige Aussichten, die sie von der Autobahn, von den Einheimischen charmant La Provençale genannt, genießen konnte, waren mindestens ebenso traumhaft wie die Küstenstraße mit ihrem Panorama. Kleine Dörfer waren zu sehen, graue Häuschen aus Naturstein mit orangefarbenen Ziegeldächern. Hinter Cannes, dessen Flughafen sie umrundete, wurde es immer bergiger. Um sie herum sattes Grün, hier und da konnte sie Schotterwege erkennen, die sich in Serpentinen in die Voralpen wanden, ein Fluss schlängelte sich parallel zur Straße und glitzerte so, dass es selbst mit Sonnenbrille blendete. Sybille sog bewusst die frische Luft durch die Nase und freute sich über die Sonne, die vom blauen Him