Sonderbehandlung - Filip Müller - E-Book

Sonderbehandlung E-Book

Filip Müller

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Beschreibung

Gegen das Vergessen: Der Holocaust aus der Sicht eines Opfers des Nationalsozialismus Was mit der Wannseekonferenz begann, die die Organisation der Deportation und des Massenmords an den europäischen Juden beschloss, durchlitt Filip Müller (1922 - 2013) wie kaum ein anderer. Wer wie er KZ und Zwangsdienst im Sonderkommando Auschwitz-Birkenau mehr als drei Jahre er- und überlebt hat, der gehört zu den wichtigsten Zeugen des Grauens des Holocaust - und ist für sein Leben gezeichnet. 1979/80 veröffentlichte er seinen Zeugen-Bericht »Sonderbehandlung« auf Deutsch. Erschütternd, schonungslos und mit geradezu literarischer Wucht erzählt er von seiner Lagerzeit, beschreibt Täter und Opfer und gibt den Blick frei ins Herz der Finsternis. - Ein Buch wie eine Mahnung, den Genozid an den europäischen Juden nie zu vergessen - Nur wenige Menschen, die so lange in Auschwitz interniert waren, überlebten - Filip Müller trat als einziger Zeuge für die Unmenschlichkeit des Systems der Sonderkommandos in Claude Lanzmanns Film »Shoah« auf - Ein schonungsloser Bericht über die Unmenschlichkeit des NS-Regimes - Eines der wichtigsten Zeugnisse des Völkermords an den Juden nach über 40 Jahren als kommentierte Neuausgabe  Augenzeugenbericht eines Holocaust-Überlebenden, der sprachlos zurücklässt »Sonderbehandlung« von Filip Müller ist die erste authentische Gesamtdarstellung der Geschichte des Sonderkommandos. Wer ihn, als einzigen Zeugen des Sonderkommandos, in Claude Lanzmanns Film "Shoah" gesehen hat, vergisst sein Gesicht, seine Stimme nicht. Nach der Veröffentlichung 1980 gab es massive Bedrohungen durch Alt- und Neo-Nazis, so dass Müller nie einer deutschen Neuausgabe zustimmt. Erst zum 100. Geburtstag 2022 machte seine Familie eine neue, kommentierte Ausgabe möglich. Die historische Bedeutung des Buchs von Filip Müller kann kaum überschätzt werden!

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Seitenzahl: 476

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Originalausgabe: Verlag Steinhausen GmbH, München 1979;

Bertelsmann Club GmbH, Gütersloh 1980

© 1979 Filip Müller, Erben

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.

© 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt)

Umsachlaggestaltung: Andreas Heilmann, Hamburg; Foto: © Filip Müller, Erben. Zitat auf dem Schutzumschlag aus: Claude Lanzmann: Der patagonische Hase. Erinnerungen, 3. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2018, S. 48.

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978–3-8062–4433–5

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): 978–3-8062–4458–8

eBook (epub): 978–3-8062–4459–5

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

Impressum

Inhalt

Grußwort von Felix Klein und Josef Schuster

Zum ersten Mal in der Gaskammer

Die neuen Todesfabriken

Die Tragödie des Familienlagers

Das Inferno

Anhang

Filip Müllers Zeugenschaft und die Herausforderung ihrer literarischen Darstellung

Biografische Angaben zu ausgewählten im Buch erwähnten ehemaligen Sonderkommando-Häftlingen

Biografische Angaben zu ausgewählten im Buch erwähnten ehemaligen SS-Angehörigen

Abbildungen

Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, und des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein für die Neuauflage des Buches »Sonderbehandlung« von Filip Müller

Was kann ein Mensch ertragen, was hält er aus? Filip Müller hat nicht nur das Vernichtungslager Auschwitz überlebt. Er hat als Angehöriger des sogenannten »Sonderkommandos« hautnah miterlebt, wie so viele Menschen den grausamen Tod fanden. Angesichts des doppelten Unrechts, das Filip Müller widerfahren ist, und seiner unglaublichen Stärke, nicht nur unfassbaren Terror und Gewalt in Auschwitz zu überleben, sondern davon auch gegen alle denkbaren Widerstände trotz alledem Zeugenschaft ablegen und berichten zu wollen, angesichts dessen ist diese Neuauflage ein kleines und doch so notwendiges wie längst überfälliges Zeichen.

Dieses Buch schrieb Filip Müller in den 1970er-Jahren zu einer Zeit, die dafür noch nicht reif schien. Ebenso mutig stellte er sich wenige Jahre später in Claude Lanzmanns Filmaufnahmen für den Dokumentarfilm »Shoah« seinen kaum aushaltbaren Erinnerungen. Filip Müller wollte erzählen, er wollte gehört werden, doch weder in Bezug auf den Film noch auf sein Buch wurde ihm das vergönnt: Lanzmann beließ die Szenen, in denen Müller zusammenbricht, gegen dessen ausdrücklichen Wunsch im Film. Die unrühmliche Rezeptionsgeschichte des Buches, wie auch die der Bemühungen Filip Müllers, noch vor seiner Migration in die BRD in Tschechien von seinem Schicksal zu berichten, stellt Andreas Kilian in seinem wertvollen Nachwort zu dieser Neuausgabe dar.

Der Stellenwert dieses hier neu aufgelegten Buches kann kaum hoch genug geschätzt werden. Es ist ein historisches Zeugnis: nicht nur als Augenzeugenbericht »aus der Hölle«, wie die Tätigkeit im Sonderkommando im hilflosen Versuch, das Geschehen angemessen zu beschreiben, häufig genannt worden ist. Dieses Buch ist zudem in seiner jetzigen, ergänzten und gerahmten Fassung auch ein Dokument der »Zweiten Geschichte« des Nationalsozialismus (Peter Reichel). Die Memorialgeschichte der Shoah ist zu ihrem noch größten Teil, bis in die 1980er-Jahre, aus heutiger Sicht nahezu ebenso unfassbar wie die Shoah selbst. Leicht ist heute vergessen, dass es bis zur Ausstrahlung der US-amerikanischen Miniserie »Holocaust« gar kein Wort für die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, der Sinti und Roma und vieler anderer nicht zur sogenannten »Volksgemeinschaft« zählenden Unschuldigen gab. Doch unsere heutige Erinnerungskultur wurde hart erkämpft, von vielen Unbeugsamen. Einer ihrer Vorreiter war Filip Müller. Es ist tragisch, dass er zu Lebzeiten dafür kaum Anerkennung erfuhr. Stattdessen wurde er erneut zum Opfer antisemitischer Angriffe. Was kann ein Mensch ertragen? Allzu viel. Und allzu schnell halten viele, die tatsächlich kaum etwas über die Shoah wissen, die deutsche Medienlandschaft für »übersättigt« von Erzählungen über den Holocaust. Allzu leicht werden heute wieder Rufe nach Schlussstrichen laut. »Die Ermordeten sollen noch um das einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis«, schrieb Adorno dazu schon 1969,1 von der »zweiten Schuld«, der Opfer nicht zu erinnern, sprach Ralph Giordano später.2

Damals wie heute und auch in Zukunft erwächst aus der Shoah die Verantwortung unserer Gesellschaft, der Opfern zu gedenken. Unsere gegenwärtige Erinnerungskultur steht auf breiten Füßen, das heutige Deutschland ist eine stabile Demokratie. Zugleich ist dieser Zustand nicht selbstverständlich. Demokratie und Erinnerungskultur müssen jeden Tag aufs Neue verteidigt werden gegen jene, die sie wieder angreifen.

Dieses Buch zu lesen, kostet Kraft. Für manche mögen diese Zeilen angesichts des Grauens, der aus ihnen spricht, nur schwer zu ertragen sein. Doch erinnern wir uns, dass die hier beschriebenen Schrecken nur ein blasser Schatten des ursprünglichen Geschehens sind. Filip Müllers Buch ist ein Versuch, das Unvorstellbare zu dokumentieren, auf dass dessen gedacht werde. Möge dieses Buch viele Leserinnen und Leser erhalten sowie die Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen, die Filip Müller verwehrt wurde.

In ehrendem Angedenken an Filip Müller sel. A.

Dr. Josef Schuster und Dr. Felix Klein

1Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Ders.: Erziehung zur Mündigkeit«, Frankfurt am Main 1971: S. 12.

2Ralph Giordano (1987): Die zweite Schuld oder Von der Last, Deutscher zu sein. Köln.

Sonderbehandlung

Die nationalsozialistischen Täter verwendeten diesen Begriff in ihrem Sprachgebrauch sowie im Verwaltungsschriftverkehr, um ihre wahre Absicht zu verschleiern und nicht öffentlich zu benennen.

Wer durch die SS eine Sonderbehandlung erfuhr, wurde umgebracht.

Tue deinen Mund auffür die Stummenund für die Sache aller,die verlassen sind.

(Salomo, Sprüche 31.8)

»Zur Beseitigung aller Mißverständnisse teile ich folgendes mit: (…)

4.) Bei den Fällen zu Ziffer 1 ist zu unterscheiden zwischen solchen, die auf dem bisher üblichen Wege erledigt werden können, und solchen, welche einer Sonderbehandlung zugeführt werden müssen. Im letzteren Falle handelt es sich um solche Sachverhalte, die hinsichtlich ihrer Verwerflichkeit, ihrer Gefährlichkeit oder ihrer propagandistischen Auswirkung geeignet sind, ohne Ansehung der Person durch rücksichtlosestes Vorgehen (nämlich durch Exekution) ausgemerzt zu werden.«

Fernschreiben des Chefs der Sicherheitspolizei (Sipo), Reinhard Heydrich, vom 20.09.1939 über die »Grundsätze der Inneren Staatssicherheit während des Krieges«, zitiert aus: Gerhard Werle: Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich, Berlin und New York 1989, S. 591.

»Ich darf hier in diesem Zusammenhang und in diesem allerengsten Kreise auf eine Frage hinweisen, die Sie, meine Parteigenossen, alle als selbstverständlich hingenommen haben, die aber für mich die schwerste Frage meines Lebens geworden ist, die Judenfrage. Sie alle nehmen es als selbstverständlich und erfreulich hin, daß in Ihrem Gau keine Juden mehr sind. Alle deutschen Menschen – abgesehen von einzelnen Ausnahmen – sind sich auch darüber klar, daß wir den Bombenkrieg, die Belastungen des vierten und des vielleicht kommenden fünften und sechsten Kriegsjahres nicht ausgehalten hätten und nicht aushalten würden, wenn wir diese zersetzende Pest noch in unserem Volkskörper hätten. Der Satz ›Die Juden müssen ausgerottet werden‹ mit seinen wenigen Worten, meine Herren, ist leicht ausgesprochen. Für den, der durchführen muß, was er fordert, ist es das Allerhärteste und Schwerste, was es gibt.

Ich bitte Sie, das, was ich Ihnen in diesem Kreise sage, wirklich nur zu hören und nie darüber zu sprechen. Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? – Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten – sprich also, umzubringen oder umbringen zu lassen – und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen. Für die Organisation, die den Auftrag durchführen mußte, war es der schwerste, den wir bisher hatten. Er ist durchgeführt worden, ohne daß – wie ich glaube sagen zu können – unsere Männer und unsere Führer einen Schaden an Geist und Seele erlitten hätten.«

Aus der Rede Heinrich Himmlers vor den Reichs- und Gauleitern in Posen am 6.10.1943, zitiert aus: Heinrich Himmler: Geheimreden 1933–1945 und andere Ansprachen, hg. von Bradley F. Smith und Agnes F. Peterson, München 1974, S. 169 f.

Zum ersten Mal in der Gaskammer

Es war an einem Sonntag im Mai 1942. Die Strahlen der Frühlingssonne bahnten sich mühsam ihren Weg durch den Morgendunst und schienen auf den Hof des Blocks 11. Dort war ich mit etwa 500 anderen Häftlingen in Zehnerreihen angetreten, um nach den in Auschwitz geltenden Bräuchen die Sonntagsruhe zu genießen. Eine heisere, laute Stimme hallte über den Hof. Auf der obersten Stufe der Treppe, die in den Block führte, stand der Blockschreiber Vacek. Von hier aus konnte er jeden Winkel des Hofes überblicken und seine abgehackten Kommandos ertönen lassen: »Stillgestanden! Mützen auf! Mützen ab! Rührt euch!«

In dieser Miniaturwelt des absoluten Bösen war er ein kleiner Herrscher. Der grüne Winkel auf seiner Häftlingsmontur wies ihn als ehemaligen Berufsverbrecher aus.

Seine stereotypen Kommandos, deren Ausführung er mit Habichtsaugen verfolgte, waren schon hundertmal wiederholt worden. Auf das Kommando »Mützen ab!« rissen wir unsere tellerartigen Mützen von den kahlgeschorenen Köpfen und knallten sie mit der flachen Hand gegen den rechten Oberschenkel. Nach Vaceks Vorstellung mußte sich das wie ein Peitschenknall anhören, sonst wurde das Manöver so lange wiederholt, bis er zufrieden war. Auf den ersten Blick konnte es so scheinen, als wäre an diesem stumpfsinnigen Drill, der an das Exerzieren von Rekruten erinnerte, nichts Besonderes. Aber diese Dressurmethode schaffte Vacek den gewünschten Vorwand, Häftlinge totzuschlagen.

Sein erstes Opfer war Nandor Delikat, Vater von vier Kindern, der an der rechten Hand gelähmt war. Daheim, in meiner Vaterstadt Sered an der Waag, hatte er sich dadurch ernährt, daß er für Almosen den Verstorbenen in der Synagoge das Totengebet, den Kaddisch, sprach. Wie hätte er auch die Kommandos »Mützen auf! Mützen ab!« korrekt ausführen sollen?

Vacek stürzte sich auf den Invaliden und zerrte ihn über den Hof bis zum Nachbarblock. Dort stellte er ihn mit dem Gesicht gegen die Wand. Der zweite, mit dem er genauso verfuhr, war der schwerhörige Schneider Mendel Weimann, der bei dem Kommando »Stillgestanden!« die Hacken seiner Holzpantinen um den Bruchteil einer Sekunde zu spät zusammengeklappt hatte.

Vacek ließ weiterexerzieren. Als es wirklich schon klappte, wartete jeder darauf, daß nun endlich Schluß sei mit dem stumpfsinnigen Drill. Aber Vacek genügten die zwei Todeskandidaten noch nicht. Er holte sich weitere Opfer aus den Reihen seiner Sklaven. Vorwände suchte er schon nicht mehr. Eine lange Nase, eine Brille mit dicken Gläsern, eine schlecht sitzende Mütze oder irgend etwas anderes, was ihm nicht paßte, waren für ihn Grund genug, einen nach dem andern aus den Reihen zu zerren und an die Wand zu stellen. Ob sie ahnten, daß ihre letzte Stunde geschlagen hatte?

Denn hier gab es kein Erbarmen und kein Mitleid mit den Lahmen, Tauben, Blinden und Gebrechlichen. Die zehn Gebote, die Grundsätze der Humanität, galten hier nicht. Auschwitz war ein Ort mit eigenen Gesetzen und makabren Diskrepanzen. Hier konnte man für Goldzähne einen Teller Rübensuppe bekommen; hier spielte ein Lagerorchester nicht nur morgens, wenn die Häftlinge zur Arbeit ausrückten, schmissige Märsche, sondern auch abends, wenn sie erschöpft und zerschunden ihre toten Kameraden ins Lager schleppten. Hier erhielten Kapos Prämien und Vergünstigungen, wenn sie ihre Kommandos dezimierten. Wie sie das machten, war ihre Sache. Hier gab es den Block 10, wo man Frauen sterilisierte, während in einem anderen Block Männer kastriert wurden. Auschwitz war ein Ort, an dem alle europäischen Sprachen gesprochen wurden, aber auch ein Ort, wo Menschen nicht nur an Hunger, Krankheiten und Seuchen starben, sondern auch erschlagen, mit Phenolspritzen ins Herz getötet oder in die Gaskammer gejagt wurden. Dieses fluchbeladene Stück Land im östlichen Europa stand unter der Herrschaft der SS, die sich als Elite eines Volkes verstand, das der Welt nicht nur einen Goethe, Schiller und Mendelssohn, sondern auch einen Adolf Hitler als Führer beschert hatte. Das polnische Oświęcim, das die Nazis zum deutschen Auschwitz gemacht hatten, war zu einem Ort des Infernos geworden, und wen es hierher verschlug, der war endgültig von Gott und den Menschen verlassen.

Dreißig »Auserwählte« standen nun an der Wand. Vacek und seine Gehilfen, die Stubendienste, befahlen ihnen, in Fünferreihen anzutreten. Hinter unserem Rücken begann jetzt, was man in Auschwitz »Sport« nannte.

»Laufschritt! Marsch, marsch! Hinlegen! Auf, marsch, marsch! Hinlegen! Kriechen! Auf, marsch, marsch! Hüpfen! Im Laufschritt! Marsch, marsch! Kehrt, marsch, marsch!« Die bedauernswerten Häftlinge wurden wie bei einer Treibjagd gehetzt und gejagt. Sie warfen sich auf die Erde, robbten, sprangen wieder auf, hüpften mit vorgehaltenen Armen, rannten keuchend herum und schubsten einander, um den Schlägen zu entgehen, die pausenlos auf sie niederprasselten. Ihre Gesichter waren vor Anstrengung rot angelaufen, Schweiß lief ihnen in Strömen über Stirn und Nacken und vermischte sich mit Blut, das von den vielen Schlägen herrührte. Nur nicht liegenbleiben! Wer das tat, war verloren. Ein Schlag mit dem Gummiknüppel, wenn nötig auch mehrere, machte ihm den Garaus. Viele hatten schon aufgegeben. Mehr als die Hälfte lag bereits reglos am Boden, obwohl erst zwanzig Minuten vergangen waren. »Laufschritt, marsch, marsch! Hinlegen! Aufstehen! Marsch, marsch! Hüpfen! Auf, marsch, marsch! Hinlegen! Kriechen!« Ein Kommando folgte schlagartig dem anderen. Die noch Übriggebliebenen versuchten mit letzter Kraft, diese Befehle auszuführen. Doch es dauerte nicht lange, bis auch die letzten in ihren zebragestreiften Monturen reglos dalagen und von den Henkersknechten totgeprügelt wurden.

Blutrünstig ließ Vacek seinen Blick über die Saat des Todes wandern. Dann wischte er sich die schweißbedeckte Stirn ab. Man sah ihm an, daß er mit seiner Arbeit zufrieden war. Ein Grinsen verzerrte sein Gesicht zur Fratze, während seine Augen noch immer gefährlich blitzten. Es war nicht schwer zu erraten, daß er am liebsten jedem von uns das gleiche Schicksal bereitet hätte. Langsam wandte er dann seinen Blick nach links, als wäre überhaupt nichts geschehen. Dort waren die Toten inzwischen zusammengetragen und nebeneinander auf den Rücken gelegt worden. Ihre Hände waren auf der Brust gekreuzt, und sie starrten mit geöffneten Augen fragend in den Himmel. Befriedigt wandten sich Vacek und seine Stubendienste nach getaner Arbeit ab.

Während all dem machte der diensthabende SS-Rottenführer Schlage den Eindruck, als ginge ihn dieses mörderische Treiben überhaupt nichts an. Er verschwand ein paar Mal im Block und tauchte dann wieder auf der obersten Stufe der Treppe auf. Von hier sah er seinem Blockschreiber Vacek zu, um sich zu vergewissern, daß dessen Aktivität nicht nachließ. Sonst hätte er seine scheinbare Nichteinmischung aufgegeben und selbst gezeigt, wie in Auschwitz richtig »Sport« getrieben wird.

Von irgendwo aus unseren Reihen vernahm ich ein Gemurmel. Ich nahm es nur beiläufig wahr, weil meine Aufmerksamkeit ganz darauf gerichtet war, nicht aufzufallen. Naiv, wie ich noch war, glaubte ich, man könne durch exakte Befolgung und Ausführung der Befehle dazu beitragen, die teuflische Schinderei abzukürzen.

Das anfangs unverständliche Gemurmel ging in ein deutlich vernehmbares Selbstgespräch über: »Mein Gott, wo sind wir denn, was geht hier eigentlich vor? Häftlinge werden von ihresgleichen erschlagen. Davon wissen die Vorgesetzten bestimmt nichts. Ich protest …« Eine neue Folge von Kommandos unterbrach das Selbstgespräch. »Stillgestanden! Mützen auf! Mützen ab! Rührt euch!«

Vacek holte sich nochmals vier Häftlinge aus den Reihen. Es dauerte nicht lange, bis auch sie auf dem Leichenhaufen lagen.

»Nein, das darf nicht möglich sein. Was hier vorgeht, ist ja schrecklich. Hier werden unschuldige Menschen totgeschlagen!« Ich sah mich um, um herauszubekommen, woher diese Worte kamen und wer da vor sich hinredete.

Es war Dr. Albert Paskus, der dieses Selbstgespräch führte. Er stammte aus meiner Heimatstadt Sered und war dort als redlicher Mann bekannt, ein tüchtiger und geschätzter Rechtsanwalt, ein Kenner des jüdischen Schrifttums, der stets die Härte des Gesetzes für die Schwachen zu mildern gesucht hatte. Dr. Paskus war, wie auch ich, vor kaum einem Monat nach Auschwitz gekommen und gehörte zu jenen, die sich der harten Realität zu langsam bewußt wurden. Noch hatte er nicht erkannt, daß Wertvorstellungen und Gebote, die die Grundlagen der Zivilisation bildeten, in Auschwitz nicht galten. Paskus war fest davon überzeugt, daß die Morde hier willkürlich von den Häftlingsfunktionären ohne Wissen der SS-Führer verübt wurden. Es paßte einfach nicht in sein Bild vom Recht, daß Häftlinge ihre Mithäftlinge grundlos totschlugen. Er hatte noch nicht begriffen, daß wir uns an einem Ort befanden, wo ein Häftling nichts anderes als Freiwild war.

Der stundenlange Drill ging auch an diesem Sonntag zu Ende. Wir begannen, uns zum Zählappell zu formieren. Blockschreiber Vacek kam die Treppe herunter und kommandierte stereotyp sein »Stillgestanden! Mützen auf! Augen gerade aus!« Zuerst zählte er die in Reih und Glied angetretenen Häftlinge, dann die Erschlagenen, die in einer Ecke des Hofes nebeneinander lagen. Das Ergebnis kritzelte er auf einen Zettel Papier, den er dem Blockältesten übergab. Auf das Kommando »Mützen ab!« rissen wir unsere schmuddeligen Mützen vom Kopf und klatschten sie gegen die Hosennaht. Ein synchroner Knall war für Vacek der Beweis, daß die voraufgegangene blutige Generalprobe ihren Zweck erfüllt hatte.

Rottenführer Schlage, der in der Blocktür stand, schritt nun gravitätisch die Treppen herunter. Auf dem Hof angelangt, nahm er die Meldung des Blockältesten entgegen und begann, die Zahlen auf ihre Richtigkeit zu prüfen, indem er zum linken Flügel der schnurgerade ausgerichteten Reihen trat und dann die Häftlinge abzählte. Totenstille herrschte, sie wurde nur von dem Gezwitscher der über uns fliegenden Schwalben unterbrochen. Da drängte sich plötzlich, von einem Geraune begleitet, Dr. Paskus durch die Reihen und blieb drei Schritte vor Schlage stehen. Er stand stramm, sah dem SS-Mann furchtlos in die Augen und erklärte mit echter Entrüstung: »Herr Kommandant, als Mensch und Jurist melde ich Ihnen, daß der Blockschreiber hier« – dabei zeigte er auf Vacek – »grundlos unschuldige Menschen erschlagen hat. Hier liegen sie tot auf einem Haufen. Ich bin überzeugt, daß er diese Häftlinge ohne Wissen der Vorgesetzten und der Staatsorgane erschlagen hat. Wir sind hierher geschickt worden, um zu arbeiten, und nicht, um totgeschlagen zu werden. Der Präsident des slowakischen Staates, Monsignore Tiso, hat höchstpersönlich unsere Sicherheit garantiert.

Deshalb ersuche ich Sie, das, was hier geschehen ist, untersuchen zu lassen und die Schuldigen ihrer Bestrafung zuzuführen.«

Als Paskus seine Beschwerde vorgebracht hatte, herrschte eine so beklommene Stille, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören. Die Häftlinge, über den Mut und die Zivilcourage eines der Ihren erstaunt, hielten den Atem an und starrten auf Schlage. Aber auch der war von dem unerwarteten Verhalten des Häftlings so überrascht, daß er eine Zeitlang wie zu einer Statue erstarrt Dr. Paskus gegenüberstand. Sein Gesicht und sein Hals waren vor Zorn und Erregung rot angelaufen. Es schien, als wollte er etwas sagen, einige Muskeln zuckten in seinem Gesicht, wie von einem galvanischen Strom gereizt. Es dauerte einige Sekunden, dann schrie er, wie aus einer Lethargie erwacht: »Vacek, komm mal her!«

»Jawohl, Herr Rottenführer!« erwiderte Vacek und stand stramm vor seinem Herrn.

»Hast du gehört, was der Saujud da gequatscht hat?«

»Jawohl, Herr Blockführer!« antwortete Vacek beflissen.

»Dann gib ihm, was er verdient hat!« befahl Schlage.

Vacek rannte zur Treppe, wo sein Knüppel lag. Er hob ihn auf, stürzte auf Paskus zu und schlug ihm ein paarmal auf den Schädel, bis er tot zu Boden fiel. Dann schleifte Vacek den reglosen Körper zu dem Leichenhaufen.

Als Ergebnis des sonntäglichen Frühsports lagen jetzt 35 Erschlagene auf dem Hof von Block 11. Schlage, der Vaceks Verhalten mit Genugtuung verfolgt hatte, wandte sich nun an uns und fragte zynisch: »Hat noch jemand eine Beschwerde vorzubringen?«

Während seine Blicke durch unsere Reihen wanderten, beendete der Blockälteste auf ein Zeichen von ihm den Mittagszählappell mit dem Befehl »Rührt euch!«. Wer freilich geglaubt hatte, damit seien die Schikanen zu Ende, der hatte sich getäuscht.

Ziemlich entkräftet stellten wir uns hinter den Holzbottichen mit dem Tee auf, der schon in der Frühe hätte ausgegeben werden sollen und inzwischen kalt geworden war, und warteten darauf, eine Kelle voll zu bekommen. Freilich vergebens. Aber das war nichts Neues. Vacek rannte immer noch wie ein Verrückter auf dem Hof herum, gestikulierte mit den Händen und schrie, wir Scheißkerle hätten auf nichts, nicht einmal auf Dreck ein Recht, einzig und allein darauf – und dabei zeigte er mit dem Finger nach oben –, durch den Schornstein gejagt zu werden. Dann herrschte er seine Stubendienste an, den Tee in den Kanal zu gießen. Mit trockenen Kehlen und gierigen Blicken mußten wir ohnmächtig diese neue Teufelei über uns ergehen lassen. Ich konnte Vaceks Verhalten nicht begreifen, war er doch ein Häftling wie wir auch. Ich überlegte, ob er vielleicht ein Spitzel war. Aber dann hätte er sich doch anders benommen und hätte versucht, unser Vertrauen zu gewinnen.

Erst später erfuhr ich, daß Vacek einer der ersten sogenannten Funktionshäftlinge in Auschwitz war. Er hatte sich hier einer Gruppe von 30 Berufsverbrechern zugesellt, die im Konzentrationslager Sachsenhausen auf ihre Aufgaben besonders vorbereitet worden waren. Schon dort waren sie als prominente reichsdeutsche Häftlinge gefürchtete Lagerfunktionäre gewesen. Rapportführer Palitzsch hatte sie alle im Mai 1940 in das neugegründete Konzentrationslager Auschwitz mitgenommen, wo sie die brutalen Methoden der seit 1933 auf deutschem Boden bestehenden Konzentrationslager praktizieren sollten. Diese Gruppe von Berufsverbrechern und ihre Zöglinge, zu denen Vacek gehörte, hatten in der Häftlingsselbstverwaltung in Auschwitz eine besonders privilegierte Stellung und erfreuten sich der Wertschätzung der SS-Leute. Als Lagerfunktionäre brauchten sie körperlich nicht zu arbeiten und hatten faktisch unumschränkte Gewalt über Leben und Tod ihrer Mithäftlinge. Sie bekamen mehr und besseres Essen, trugen hohe Lederstiefel und maßgeschneiderte Häftlingsmonturen und hatten noch viele andere Vorteile und Privilegien.

Vacek kam nicht lange in deren Genuß. Im Herbst 1942 starb er im Krankenbau an Flecktyphus. Pfleger, die erfahren hatten, was für ein sadistischer Totschläger er gewesen war, sollen ihm, als er tot war, in den Mund fäkiert haben.

Auch als der Tee in die Gosse geschüttet worden war, kamen wir nicht zur Ruhe. Jetzt wurde Entlausung befohlen. Wir standen in kleineren Gruppen auf dem Hof, um unsere abgestreiften Hemden nach Läusen zu durchsuchen. Dieses Ungeziefer machte uns viel zu schaffen, und in unseren Hemden wimmelte es davon. Ich nahm mir eine nach der andern vor und zerknackte diese Quälgeister zwischen den Daumennägeln. Die andern taten das gleiche.

Von den vielen Parolen an den Wänden im Block entbehrte eine nicht impertinenter Zynik: »Eine Laus – dein Tod.« Das war keine Übertreibung, denn dieser Fall konnte jederzeit eintreten. Eine Laus konnte einen mit Flecktyphus infizieren, und das bedeutete in Auschwitz den sicheren Tod. Aber auch jede Laus, die bei der Hemdenkontrolle von einem Kapo oder Stubendienst entdeckt wurde, konnte schlimmste Folgen haben. Das lag in der Logik der »Auschwitzer Gerechtigkeit« begründet. Denn ein Häftling, bei dem nach einer befohlenen Entlausung noch eine Laus gefunden wurde, hatte einen Befehl nicht befolgt. Damit war er ein Befehlsverweigerer, der hart bestraft werden mußte.

Daß nur selten einmal Wasser aus den Hähnen lief und wir weder Seife noch ein Handtuch hatten, interessierte niemand.

Nach der Läusekontrolle wurden die Schikanen fortgesetzt, indem man uns damit beschäftigte, das harte, steife Oberleder unserer Holzpantinen mit schmutzigem Öl zu bearbeiten. Dann mußten wir die blutige Prozedur des »Rasierens« über uns ergehen lassen, die einmal in der Woche stattfand. Rasiert wurde ohne Seife, nur mit Wasser. Die Rasiermesser, mit denen die Barbiere arbeiteten, waren schon so stumpf, daß die Barthaare mehr herausgerissen als abrasiert wurden. Von all dem blieb Paskus verschont. Daran mußte ich denken, als ich sah, wie die Leichenträger seinen toten Körper auf einen hölzernen Wagen legten, mit dem die Erschlagenen weggebracht wurden.

Inzwischen war es Mittag geworden. Die Stubendienste schleppten mit hölzernen Tragstangen dampfende Kessel heran. Der Dunst der dünnen, alles andere als wohlriechenden Suppe breitete sich auf dem Hof aus und wurde gierig wahrgenommen. Leben kam wieder in uns, Schikanen, Quälereien und Totschlag waren vergessen. Alle Sinne waren auf den Fraß aus Futterrüben und zerkochten, fauligen Kartoffeln konzentriert, der zwar immer gleich schmeckte, aber doch eine Zeitlang das Überleben garantierte. Suppe war hier das Lebenselexier, und es war für jeden ein großes Ereignis, wenn er durch einen Glücksfall hin und wieder einmal eine zusätzliche Portion ergattern konnte.

Zitternd vor Gier stand ich in der langen Reihe, bis mir einer der Stubendienste mit einer Kelle einen Schlag in meinen rotemaillierten, schon angerosteten Blechnapf goß. Ohne einen Löffel zu benutzen, schlürfte ich bedächtig die Suppe hinunter, jeden Schluck auskostend. Dabei hatte ich das Gefühl, meine Lebensenergie würde sich erneuern. Aber gleichzeitig stellte ich voller Enttäuschung fest, daß die Suppe immer weniger wurde. Gierig leckte ich auch die letzten Reste aus der Schale. Dann ging ich, mehr durstig als hungrig, auf die Stube im Block, um mich dort der befohlenen Sonntagnachmittagsbettruhe zu unterziehen.

Die Stubendienste händigten jeweils zwei Häftlingen, die zusammen auf einer Pritsche lagen, eine Decke aus. Ich hatte mich in der Nähe der Tür in einen Verschlag im Parterre gelegt. Neben mir lag ein Häftling, der vielleicht 25 oder 26 Jahre alt war. Die gemeinsame Pritsche, auf der wir lagen, brachte uns einander näher, und bei dem allgemeinen Lärm, der herrschte, begannen auch wir ein Gespräch miteinander.

»Wo kommst du her?« fragte ich ihn.

»Pas compris, camarade«, erwiderte er.

»Sprichst du nicht deutsch?« fragte ich weiter.

»Un petit peu, pas beaucoup«, antwortete er mir.

»Ich heiße Filip und komme aus der Slowakei«, versuchte ich zu erklären.

Er verstand: »Moi, Maurice de l’ Algérie; Je suis venu de Drancy.« Dann sagte er: »Moi kaputt, par ici alles kaputt.« Mit Gesten und gestammelten Worten versuchte er mir klarzumachen, daß wir hier alle früher oder später durch den Kamin gehen würden.

Dann tauchte plötzlich Schlage in der Tür auf. »Vielleicht gibt’s bald Ruhe hier, ihr verlausten Scheißer, sonst könnt ihr was erleben!« schrie er gereizt. Mit einem Schlag wurde es ruhig, und die Stubendienste, ihre Angst vor dem SS-Schergen verbergend, trieben alle noch nicht auf einer Pritsche liegenden Häftlinge mit Stockschlägen in die nächste Koje. Schlage, lässig gegen den Türrahmen gelehnt, verfolgte das Vorgehen seiner Kreaturen mit Befriedigung. Er sah sich noch einmal gebieterisch um und entfernte sich dann.

Jetzt wurde es still, nur hin und wieder hörte man jemanden husten oder ächzen. Die meisten waren vor Erschöpfung in Schlaf gefallen. Viele schnarchten, auch ich sehnte mich nach Schlaf, aber ich konnte nicht einschlafen. Immer wieder mußte ich an Dr. Paskus denken. Mein Durst wurde immer quälender. Die Zunge klebte mir am Gaumen, und meine Kehle war völlig ausgetrocknet. Sich an die Wasserleitung im Block zu schleichen, hätte wenig Zweck gehabt; denn dort lief meistens kein Wasser.

Meinem Nachbarn auf der Pritsche ging es ähnlich. Er sagte etwas, was ich nicht richtig verstand. Deshalb fragte ich auf deutsch: »Was sagst du?«

»Aqua, aqua«, erwiderte er, »Aqua, Appell.« Mit Gebärden und Gesten versuchte er mir klarzumachen, was er vorhatte. Ich kapierte schließlich, daß er mit mir zusammen auf den Hof schleichen wollte. Dort standen jetzt schon die Bottiche mit dem Tee für den Abend, und da hätten wir Gelegenheit, unseren Durst zu löschen. Die Idee gefiel mir. Auch der Zeitpunkt, sie zu verwirklichen, schien günstig, denn fast alle schliefen. Auch der Gedanke, Vacek könnte am Abend den Tee vielleicht wieder wegschütten lassen, bestärkte mich darin, den Plan von Maurice auszuführen. Die Hoffnung, meinen quälenden Durst bald zu löschen, ließ mich die Furcht vergessen, ertappt zu werden. Ohne ein Geräusch zu verursachen, glitten Maurice und ich von unserer Pritsche und gingen auf Zehenspitzen zu der halboffenen Tür. Maurice streckte seinen Kopf hinaus, spähte nach rechts und links und gab mir dann ein Zeichen, ihm zu folgen. Vorsichtig schlichen wir weiter und tasteten uns dann behutsam und geräuschlos, Schritt für Schritt, die Steintreppe hinunter. Auf dem Hof herrschte Grabesstille. Rechts streifte mein Blick die schwarze Wand, die Hinrichtungsmauer; dem Galgen in der Ecke schenkte ich keine Beachtung. Meine Aufmerksamkeit war nach links gerichtet, wo die zwei Holzbottiche mit dem Tee nebeneinander standen. Irrsinnig vor Gier stürzten wir uns darauf. Mein hageres, verzerrtes Gesicht spiegelte sich einen Augenblick lang in der dunklen Oberfläche der Flüssigkeit. Ich erschrak vor meinem Spiegelbild, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Über den Rand des Bottichs geneigt, benetzte ich zuerst vorsichtig meine Lippen, dann schlürfte ich gierig und genüßlich den lauen Tee, der mich etwas erfrischte. Um Luft zu schnappen, hob ich den Kopf etwas hoch und schöpfte ein wenig Atem, die Hände immer noch auf den Rand des Bottichs gestützt. Dann sog ich von neuem das lebensspendende Naß in mich hinein.

Plötzlich spürte ich, daß mich jemand von hinten hart im Genick packte und meinen Kopf mit Gewalt in den Bottich drückte. Ich versuchte, mich herauszuwinden und von dem eisernen Griff zu befreien. Vergebens. Als ich verzweifelt den Mund aufriß, um nach Luft zu schnappen, war mein Kopf schon so weit in den Bottich gedrückt, daß mir der Tee in die Lungen drang. Meine Ohren dröhnten, und ich dachte, ich sollte wie eine Ratte ertränkt werden. Dann verlor ich das Bewußtsein.

Ein dumpfer Schmerz in den Waden, ein Rumoren im Kopf und ein seltsames Knacken in den Ohren überzeugten mich, daß ich noch lebte. Ich stellte fest, daß ich auf der Erde lag. Noch etwas benommen hörte ich, wie jemand krakeelte: »Los, los, aufstehen! Ihr verfluchten jüdischen Bolschewisten! Los, los! Dalli! Dalli!« Stechende Schmerzen hielten mich davon ab, die Augen zu öffnen. Als ich dann doch aufblickte, zeichneten sich die Umrisse einiger Gestalten ab. In die Wirklichkeit zurückgerufen, erkannte ich Blockführer Schlage und seinen Blockschreiber Vacek. Einen kleingewachsenen SS-Führer, der sich ihnen zugesellt hatte und dem ich am Abend nochmals begegnen sollte, sah ich zum ersten Mal.

Offensichtlich hatten sie gewartet, bis wir wieder zum Bewußtsein gekommen waren. Ein Eintunken in den Teebottich schien ihnen sicher eine zu geringe Strafe für unser Vergehen. Jetzt stand uns sicher Schlimmeres bevor als das, was uns gerade widerfahren war.

Mühsam stand ich auf. Der Anblick des totenblassen Gesichts von Maurice, der noch regungslos am Boden lag, ließ mich erschrecken. Nach einer Weile kam aber auch er wieder zu sich und erhob sich. Vacek führte uns nun über die Treppe in den Block. Dort stellte er uns gegenüber der Blockführerstube mit dem Gesicht gegen die Wand. Ich war ziemlich schwach auf den Beinen und hatte Angst vor dem, was nun passieren würde.

Während wir so dastanden und warteten, malte ich mir in der Phantasie aus, was jetzt auf uns zukommen könnte. Vielleicht würden sie warten, bis wir wieder etwas bei Kräften waren, und dann »Sport« mit uns treiben. Im Geist hörte ich schon die Kommandos »Hinlegen! Auf, marsch, marsch! Lebhaft! Wollt ihr laufen! Hinlegen!«, wie Kugeln, die aus einem Maschinengewehr knattern und nichts anderes bedeuten als das Präludium des Todes. Unbemerkt verlagerte ich mein Körpergewicht von einem Fuß auf den andern, um meine verkrampften Glieder etwas zu entspannen. Doch den Kopf herumzudrehen wagte ich nicht. Das geringste Geräusch jagte mir einen panischen Schrecken ein. Jeden Augenblick fürchtete ich, unsere Peiniger würden kommen. Es schien, als stünde die Zeit still. Sekunden waren wie eine Ewigkeit, in meinem Gehirn jagte ein Gedanke den anderen. Die ganze mir bekannte Skala von Quälereien, mit denen man Häftlinge fertigzumachen pflegte, beschäftigte meine Phantasie: 25 Schläge auf das nackte Gesäß; an den gefesselten Händen aufgehängt werden; in der Dunkelzelle verhungern; Sport auf dem Hof … davor hatte ich am meisten Angst. Vielleicht würde ich es schaffen, mich hundertmal oder auch hundertfünfzigmal wieder aufzuraffen. Aber irgendwann wäre es mit Sicherheit soweit, daß ich nicht mehr die Kraft hätte aufzustehen. Dann würde ich von Vacek genauso erledigt wie die 35 anderen heute morgen.

Vor lauter Angst wäre es mir fast entgangen, daß jemand geläutet hatte und die Tür am Eingang zum Block aufgeschlossen wurde. Erst als Schlage schrie: »Raus aus dem Block, ihr Verbrecher!«, lief ich mit Maurice auf den Hof hinaus, wo schon ein SS-Posten wartete und uns zum Lagerausgang trieb. Am Haupttor übergab er uns an zwei SS-Leute, die dort bereitgestanden hatten. Hinter der Blockführerstube führten sie uns, die Waffe im Anschlag, nach rechts. Ich rechnete damit, jeden Augenblick einen Genickschuß zu bekommen.

Statt dessen hörte ich aus einiger Entfernung, es kann nicht weit gewesen sein, Musik. Deutlich erkannte ich Schubertsche Weisen. Sie konnten nur von einem richtigen Orchester stammen. Die Musik verdrängte meine düsteren Gedanken vom Sterben ein wenig. Denn an einem Ort, wo man mit Orchesterbegleitung Schuberts »Leise flehen meine Lieder durch die Nacht zu dir« sang, so dachte ich, müßte doch auch für ein wenig Menschlichkeit Platz sein.

Als uns die SS-Posten etwa hundert Meter weit geführt hatten, tauchte vor uns ein eigenartiges Gebäude mit einem flachen Dach auf. Dahinter ragte ein runder Schornstein aus roten Ziegeln in den Himmel. Zu diesem Gebäude führten uns die Posten durch ein hölzernes Tor. Wir befanden uns jetzt in einem Hof, der durch eine Mauer von der Außenwelt getrennt war. Rechts von uns lag das Gebäude, in dessen Mitte sich ein Eingang befand. Über der Tür hing eine eiserne, kunstgeschmiedete Laterne. Unter ihr stand ein noch junger, stattlicher, rotblonder SS-Mann mit den Rangabzeichen eines Unterscharführers. Später erfuhr ich, daß er Stark hieß. Drohend hielt er einen Ochsenziemer in der Hand. Mit den Worten: »Herein, ihr Schweinehunde!« empfing er uns und jagte uns mit Schlägen durch die Tür in einen Gang. Wir waren ganz verdutzt und wußten nicht, durch welche der hellblau gestrichenen Türen wir gehen sollten. »Geradeaus, ihr Drecksäcke!« schrie Stark und machte eine Tür auf. Wir kamen in einen Raum, in dem uns ein feuchter Geruch und stickiger, beißender Rauch entgegenschlug. Undeutlich konnte man die Umrisse mächtiger Öfen erkennen. Wir befanden uns im Verbrennungsraum des Auschwitzer Krematoriums. Ein paar Häftlinge liefen herum, den sechszackigen Judenstern auf ihren Monturen. Als der Schein der lodernden Flammen den Rauch und Qualm durchbrach, sah ich in dem aus roten Ziegelsteinen gemauerten Quader zwei große Öffnungen. Es waren gußeiserne Verbrennungsöfen, zu denen Häftlinge auf einer Lore Leichen hinschoben. Stark riß jetzt eine weitere Tür vor uns auf, schlug auf Maurice und auf mich ein und trieb uns in einen größeren Raum neben der Verbrennungsanlage.

Vor uns lagen zwischen Koffern und Rucksäcken Haufen aufeinander- und durcheinanderliegender toter Männer und Frauen. Ich war starr vor Entsetzen. Ich wußte ja nicht, wo ich mich befand und was hier vor sich ging. Ein heftiger Schlag, begleitet von Starks Gebrüll: »Los, los! Leichen ausziehen!« veranlaßte mich das zu tun, was auch ein paar andere Häftlinge taten, die ich erst jetzt bemerkte. Vor mir lag die Leiche einer Frau. Zuerst zog ich ihre Schuhe aus. Meine Hände zitterten dabei, und ich bebte am ganzen Körper, als ich begann, ihr die Strümpfe auszuziehen. Zum ersten Mal in meinem Leben kam ich mit einer Leiche in Berührung. Sie war noch nicht richtig erkaltet. Als ich den Strumpf vom Bein herunterzog, riß er ein wenig ein. Stark, der es bemerkt hatte, schlug wieder auf mich ein und ereiferte sich: »Was ist das für eine Arbeit! Paß auf und tummel dich! Die Sachen werden noch gebraucht!« Um zu zeigen, wie es richtig gemacht wird, ging er zu einer anderen Leiche und begann, ihr die Strümpfe auszuziehen. Aber auch bei ihm ging es nicht ohne Riß ab.

Die Angst vor weiteren Schlägen, der grausige Anblick der gestapelten Leichen, der beißende Rauch, das Surren der Ventilatoren und das Flackern der lodernden Flammen aus dem Verbrennungsraum, dieses ganze chaotische, infernalische Tohuwabohu hatte meine Orientierung und mein Denkvermögen derart gelähmt, daß ich jeden Befehl wie hypnotisiert befolgte. Erst allmählich begann ich zu begreifen, daß da Leute vor mir lagen, die man vor kurzem umgebracht haben mußte. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie so viele Menschen auf einmal getötet worden waren.

Als Stark wiederkam, beorderte er mich und Maurice in den Verbrennungsraum. Er drückte jedem ein langes Stemmeisen und einen schweren Hammer in die Hand und befahl uns, damit die Schlacken von den Rosten der Öfen, die gerade nicht in Betrieb waren, zu entfernen. Maurice und ich hatten so etwas noch niemals getan, deshalb wußten wir nicht, was wir eigentlich machen sollten. So kam es, daß wir die Stemmeisen nicht in die Schlackenschicht auf den Rosten, sondern in den Aschenraum stießen, wo die Schamottausmauerung beschädigt wurde. Als Stark das entdeckte, jagte er uns zurück in den Leichenraum und holte Fischl, der später unser Vorarbeiter werden sollte. Dieser begann nun, die Roste zu reinigen. Maurice und ich fuhren fort, Leichen auszuziehen. Ich sah mich jetzt vorsichtig in dem Raum um, wo die Toten lagen. Hinten entdeckte ich auf dem Betonboden kleine, grünblaue Kristalle. Sie lagen verstreut unter einer Öffnung, die durch die Decke gebrochen war. Dort war auch ein großer Ventilator angebracht, dessen Propeller sich surrend drehte. Es fiel mir auf, daß sich an der Stelle, wo die Kristalle lagen, keine Leichen befanden, während sie weiter entfernt, vor allem in der Nähe der Tür, haufenweise herumlagen.

Der Aufenthalt im Lager hatte meine Gesundheit schon ziemlich angegriffen. Ich war vom Hunger geschwächt, meine Füße waren geschwollen und die Sohlen von den groben Holzpantinen aufgeschürft. Daher war es kein Wunder, daß ich mich bei der Hetze, die hier herrschte, nach einem Augenblick der Ruhe sehnte. Wachsam verfolgte ich jede Bewegung Starks, um unbemerkt etwas verschnaufen zu können. Dieser Augenblick war gekommen, als er in den Verbrennungsraum hinüberging. Mein Blick fiel auf einen halb geöffneten Koffer, in dem ich Lebensmittel entdeckte, die wohl als Reiseproviant hatten dienen sollen. Mit der einen Hand tat ich so, als wäre ich damit beschäftigt, einen Toten auszuziehen, mit der anderen durchwühlte ich den Koffer. Während ich Käsedreiecke und einen Mohnkuchen aus dem Koffer grapschte, spähte ich ständig zur Tür, um nicht von Stark überrascht zu werden. Mit meinen blutbeschmierten und verschmutzten Händen brach ich den Kuchen auseinander und schlang ihn gierig wie ein Raubtier hinunter. Ich fand gerade noch Zeit, ein Stück Brot einzustecken, als Stark zurückkam. Die Kleiderhaufen waren ihm offensichtlich nicht groß genug, deshalb trieb er uns mit Geschrei und Schlägen an, schneller zu arbeiten. Nach einer weiteren Stunde hatten wir vielleicht hundert Leichen entkleidet. Sie lagen jetzt nackt da und konnten eingeäschert werden.

In einem anderen Koffer fand ich eine runde Käseschachtel mit der Aufschrift: »Liptovský Svätý Mikuláš«, in einem weiteren lagen mehrere Schachteln Zündhölzer mit dem Etikett »Slovenské zápalkỳ«. Ich schaute mir nun auch die Gesichter der Toten an und erschrak, als ich eine ehemalige Mitschülerin erkannte. Kein Zweifel, es war Jolana Weis. Ihr Großvater hatte in meiner Heimatstadt Sered die Mikwe, das jüdische Ritualbad, verwaltet. Nein, ich träumte nicht, es war keine Vision. Ich hatte das Mädchen genau erkannt, als ich ihr Gesicht erblickt hatte. Um ganz sicherzugehen, faßte ich ihre Hand an, die, wie ich wußte, von Kind an verkrüppelt war, und überzeugte mich endgültig. Noch eine Tote erkannte ich: Es war Rika Grünblatt, die in Sered unsere Nachbarin gewesen war. Während die meisten Toten Zivilkleider anhatten, lagen auch einige in Militäruniformen am Boden, auf dem Rücken durch zwei rote breite Streifen und die schwarzen Buchstaben »SU« als sowjetische Kriegsgefangene gekennzeichnet.

In der Zwischenzeit hatte Fischl die Roste gesäubert. Alle sechs Öfen brannten, als Stark den Befehl gab, die nackten Leichen über den nassen Betonboden zu den Öfen zu schleifen. Dort ging Fischl von einem Toten zum andern und stemmte jedem mit einer Eisenstange den Mund auf. Wenn er einen Goldzahn entdeckte, riß er ihn mit einer Zange heraus und warf ihn in eine Blechbüchse. Die Toten, von allem beraubt, sollten nun Opfer der Flammen und in Rauch und Asche verwandelt werden. Stark gab den Befehl, die Ventilatoren einzuschalten. Auf einen Knopfdruck begannen sie zu rotieren. Sie wurden aber bald wieder ausgeschaltet, nachdem Stark in den Ofen geschaut und sich überzeugt hatte, daß das Feuer gut brannte. Auf sein Kommando »In den Ofen!« machte sich jeder von uns an die Arbeit, die ihm zuvor zugewiesen worden war.

Ich hatte erkannt, in welch gefährliche Lage ich geraten war. Es gab im Augenblick nur eine einzige Chance weiterzuleben, und sei es auch nur für Stunden oder Tage. Ich mußte Stark davon überzeugen, daß ich alles konnte, was er von einem Arbeiter im Krematorium erwartete. Und so führte ich wie ein Automat alle Befehle aus.

Nachdem ich den ersten Schock überwunden hatte, begann ich, mich in der neuen Umgebung ein wenig umzusehen.

Wenn man von der Gaskammer in den Verbrennungsraum kam, standen zwei Öfen auf der linken und vier auf der rechten Seite. Zwei bildeten jeweils einen Komplex. Mitten durch den Raum war in einer Bodenvertiefung, die vielleicht ein Meter breit und 20 bis 25 cm tief war, ein Gleis verlegt. Es war ungefähr 15 Meter lang. Von ihm führten sechs Quergeleise, die etwa vier Meter lang waren, zu den Öfen.

Auf dem langen Gleis stand eine fahrbare Drehscheibe, die man hin- und herschieben konnte. Mit ihrer Hilfe war es möglich, den Rollwagen auf die Quergeleise zu rangieren.

Der gußeiserne Rollwagen hatte einen kastenförmigen Aufbau aus Stahlblech. Mit dem Aufbau war er knapp einen Meter hoch, genauso breit und vielleicht 80 cm lang. Hinten war ein eiserner Griff angebracht, der über die ganze Breite reichte. Vorn ragte die Ladepritsche aus starkem Stahlblech heraus, die knapp zwei Meter lang war. Sie hatte Seitenwände, die 12 bis 15 cm hoch waren. Die Pritsche, vorn offen, war nicht ganz so breit wie die Ofenöffnung, so daß sie in der Ofenmuffel gut Platz hatte.

Auf der Pritsche befand sich noch ein kastenförmiger Schieber aus Stahlblech. Er war ihrem Querschnitt angepaßt, war aber höher als die Seitenwände und oben abgerundet. Er war ungefähr 50 cm tief und 30 bis 40 cm hoch. Man konnte ihn auf der Pritsche leicht hin- und herschieben. Vor dem Beladen des Wagens wurde er an das hintere Ende der Pritsche geschoben.

Wenn der Rollwagen auf der Drehscheibe stand, wurde sie einfach zum nächsten Quergeleis geschoben und dann so weit gedreht, daß der Rollwagen auf das Gleis rangiert werden konnte. Dabei mußte die Drehscheibe festgehalten werden, damit der Rollwagen beim Herunterfahren nicht aus den Schienen sprang.

Zunächst wurden aus der Gaskammer Leichen in die Nähe der Öfen geschleift. Dann wurde der Rollwagen mit Hilfe der Drehscheibe vor ein Quergeleis gebracht und die Pritsche vorn mit einer Holzlatte abgestützt, damit der Wagen beim Beladen nicht kippen konnte. Nun goß ein Häftling einen Eimer Wasser auf die Pritsche, damit sie in dem glühenden Ofen nicht zu heiß wurde. Unterdessen waren zwei andere damit beschäftigt, einen Toten auf ein Brett zu legen, das neben der Pritsche auf dem Boden lag. Dann hoben sie es hoch und kippten es seitlich ab, so daß die Leiche auf die Pritsche fiel. Ein Häftling auf der anderen Seite brachte sie in die richtige Lage.

Wenn der Wagen beladen war, lagen an beiden Seiten der Pritsche zwei Tote mit dem Kopf zum Ofen, während der dritte umgekehrt zwischen diesen eingeklemmt worden war. Jetzt war es soweit, daß der Ofen geöffnet werden konnte. Glühende Hitze schlug einem entgegen.

Nachdem die Stützlatte entfernt war, packten zwei Mann vorne rechts und links die Pritsche, trugen sie bis an den Ofen und setzten sie am Rand der Muffel ab. Gleichzeitig schoben hinten zwei andere den Rollwagen und drückten so die Pritsche in den Ofen.

Die beiden, die vorne getragen hatten, waren inzwischen ein paar Schritte zurückgesprungen, stemmten sich mit den Armen gegen den Haltegriff am Wagen und drückten mit einem Bein von hinten kräftig gegen den Schieber. Auf diese Weise halfen sie mit, die Toten vollends in den Ofen zu befördern. Wenn sich der vordere Teil des Schiebers im Ofen befand, wurde der Wagen mit der Pritsche schon wieder zurückgezogen. Um zu verhindern, daß beim Zurückfahren die Fracht wieder herauskam, stieß ein Häftling eine Eisengabel von der Seite in den Ofen und stemmte sie gegen die Leichen. Während die Pritsche, die sich mit mehr als drei Viertel ihrer Länge im Ofen befunden hatte, mit dem Rollwagen auf die Drehscheibe zurückbugsiert wurde, wurde die Ofentür wieder geschlossen.

Bei einem solchen Rückfahrmanöver kniete ich bei der Drehscheibe und hielt sie mit aller Kraft fest, damit der Wagen richtig auffahren konnte. Da ich ziemlich konfus war, setzte ich die Drehscheibe nicht exakt genug an die Auffahrschiene, so daß der leere Rollwagen, als er vom Ofen zurückratterte, aus dem Gleis sprang. Ich verspürte einen stechenden Schmerz im kleinen Finger der rechten Hand und merkte, daß ich blutete. Die Wunde jagte mir einen panischen Schrecken ein. Ich erinnerte mich, als Kind irgendwann einmal gehört zu haben, daß es gefährlich wäre, mit Leichengift in Berührung zu kommen. Deshalb riß ich einen Fetzen Stoff aus meinem verschwitzten Hemd und versuchte, die Wunde damit zu verbinden. Alles andere schien mir im Augenblick unwichtig, so daß ich mich ganz auf die Wunde konzentrierte. Aber da tauchte Stark auf. Er war verärgert wegen des entgleisten Wagens und schlug auf mich ein. Ich schrie vor Schmerzen, doch mit letzter Anstrengung sprang ich auf und half mit, den Wagen wieder auf das Gleis zu stellen. Es war mir klar, daß jedes Versagen jetzt meinen sicheren Tod bedeutet hätte.

Als alle sechs Öfen beschickt waren, gingen wir in die Gaskammer zurück und machten uns wieder daran, Leichen zu entkleiden. Ich war nun ganz besonders vorsichtig und bemühte mich, jede Berührung eines Toten mit dem verletzten Finger zu vermeiden. Stark stand in der Tür, von wo aus er beide Räume beobachten konnte. Ich hatte wegen der Wunde schreckliche Angst und zog die Leichen immer schneller aus, aber doch wieder so vorsichtig, daß kein Kleidungsstück zerriß oder beschädigt wurde. Aber die Wunde an meinem kleinen Finger blutete weiter und hatte den Notverband schon völlig durchnäßt. So passierte es, daß ein Wäschestück mit etwas Blut verunreinigt wurde, als Stark gerade in meiner Nähe stand. Er hob drohend seinen Ochsenziemer und schrie mich an: »Los, die Leichen rühren!« Ich begriff zwar nicht, was er von mir wollte, rannte aber instinktiv in den Verbrennungsraum und schaute mich ratlos um. Dann kam Fischl, ging zu einem der Öfen, hob dort eine Klappe hoch und stocherte mit einer langen Gabel in dem Ofen herum. »Los, faß an«, raunte er mir zu, »stich hinein und rüttle, damit sie besser brennen! Mach schnell, sonst schlägt er dich tot!« Ich packte eine der Teufelsgabeln, stieß sie in den Ofen und rüttelte und harkte mit ihr, wie Fischl es mir gezeigt hatte, unter den brennenden, zerfallenden Leichen wie mit einem Schürhaken in einem Kohleofen herum.

Für die Verbrennung von drei Leichen hatte man höheren Ortes 20 Minuten veranschlagt, und Starks Aufgabe war es, dafür zu sorgen, daß diese Zeit eingehalten wurde. Während ich mit der Eisengabel erschöpft in den schweren, angesengten Rümpfen herumstocherte, rannten drei Häftlinge wie von Sinnen vor den Öfen herum. Sie hatten sich geweigert weiterzuarbeiten und versuchten, den Schlägen von Stark auszuweichen, der hinter ihnen herrannte. Schließlich warfen sie sich auf den Betonboden und flehten ihn an, doch Erbarmen mit ihnen zu haben und mit einer Kugel allem ein Ende zu machen. Stark trieb sie in den Raum, wo die Leichen lagen, und befahl ihnen, dort weiterzuarbeiten. Aber sie warfen sich erneut auf den Boden und achteten nicht mehr auf sein Geschrei. Stark lief rot an vor Wut, stürzte sich mit erhobener Hand auf die drei, hielt dann aber plötzlich inne und sagte ironisch: »Ihr Faulenzer, ihr werdet noch was von mir erleben!« Dann ging er, ohne noch ein Wort zu sagen, in den Verbrennungsraum zurück und gab dort den Befehl: »Los, die Leichen in die Öfen!«

Als alle sechs Öfen mit Leichen beschickt waren, wurden wir wieder in den Nebenraum gejagt, um weitere Leichen auszuziehen. Stark blieb im Verbrennungsraum. Ich versuchte, emsige Arbeit vortäuschend, neue Kräfte zu sammeln. Zwischen den Toten entdeckte ich unsere drei Kameraden, die regungslos dalagen. Zwar atmeten sie noch, aber physisch und psychisch waren sie völlig am Ende. Sie hatten aufgegeben, offenbar war für sie schon alles gleichgültig und belanglos geworden.

Auf diesem Punkt der Hoffnungslosigkeit war ich noch nicht angelangt. Natürlich machte ich mir keine Illusionen. Auch ich wußte, daß mich hier mit Sicherheit ein schlimmes Schicksal erwartete. Aber ich war noch nicht bereit, zu kapitulieren. Je mehr der Tod drohte, um so stärker wurde mein Wille zu überleben. Ich war ja noch jung. Meine Eltern, meine Familie und meine Jugend in Sered verblaßten in meiner Erinnerung. Meine Gedanken waren jetzt einzig und allein darauf gerichtet, weiterzuleben, die nächste Minute, Stunde, den nächsten Tag, die nächste Woche zu erleben. Auf keinen Fall aufgeben! Dieser Gedanke, dieses Ziel, dieser Wille hatte mich ergriffen und beherrschte mich. Der Leichenhaufen, den ich gesehen und an dessen Beseitigung ich gezwungenermaßen mitgewirkt hatte, bestärkte mich in dem Willen, alles zu tun, um nicht auf die gleiche Weise zugrunde zu gehen, nicht unter einem solchen Haufen von Leichen zu liegen und nicht auf dem Rollwagen in den Ofen geschoben, mit einer Eisengabel gestochen und schließlich in Rauch und Asche verwandelt zu werden. Nein, alles, nur das nicht! Ich wollte nur eines: weiterleben. Irgendwann und irgendwie gab es vielleicht doch die Möglichkeit, hier wieder herauszukommen. Solche Gedanken beherrschten mich. Um aber das zu erreichen, gab es nur eines: sich zu unterwerfen und jeden Befehl auszuführen. Nur mit dieser Einstellung konnte ein Mensch das schreckliche Handwerk im Krematorium von Auschwitz betreiben.

Am späten Nachmittag hatten die Flammen schon viele der Toten in weißgraue Asche verwandelt. Der größere Teil lag aber noch herum, weil in einer Stunde höchstens 54 Leichen verbrannt werden konnten, wenn in Abständen von 20 Minuten 3 Leichen in jeden Ofen kamen. Es würde schon noch eine Zeitlang dauern, bis alle eingeäschert wären, dachte ich. Doch was würde dann mit uns geschehen? Ich versuchte, dieser unangenehmen, lästigen Frage, auf die es ja keine Antwort gab, auszuweichen. Vielleicht würde darüber auch erst morgen entschieden werden. Und heute lebte ich ja noch. Das war die Hauptsache.

Während die Leichen brannten, bereiteten wir eine weitere Beschickung der Öfen vor. Immer noch arbeiteten wir nur zu viert. In höllischem Tempo hetzten wir herum, und jeder von uns mußte die Arbeit für zwei bewältigen. Es blieb keine Minute, um einmal Atem zu schöpfen. Das Gehetze hatte uns so ermüdet und abgestumpft, daß wir an einem Ofen vergessen hatten, die Ventilatoren auszuschalten, weil wir das Gedröhne gar nicht mehr bemerkten. Die Flammen waren schon so stark angefacht worden, und die Glut hatte schon eine solche Intensität erreicht, daß sich die Schamottziegel im Kamin lockerten und der Ofen durchbrannte, wobei Ziegel in den Kanal fielen, der den Ofen mit dem Kamin verband. Dadurch wurde den Flammen der Weg ins Freie versperrt. Rote Feuerzungen loderten aus dem Ofen, und im Nu war der Verbrennungsraum in einen Nebel aus dichtem, würgendem, süßlichem Qualm gehüllt. Stark rannte wie von Sinnen herum und lief schließlich hinaus in Richtung auf den runden Schornstein, in dessen unmittelbarer Nähe eine Holzbaracke stand, wo die Dienststelle der Politischen Abteilung untergebracht war. Er kam in Begleitung einiger SS-Männer zurück, die uns Anweisungen gaben, wie wir das Feuer löschen sollten. Nachdem wir einen Schlauch an einem Wasserhahn angeschlossen hatten, öffneten wir einen der Öfen und versuchten, die Flammen, die gerade die halbverbrannten Leichen beleckten, mit dem Wasserstrahl einzudämmen. Wenn dieser ins Feuer traf, zischte und prasselte es so heftig, als würde ein Stück Eis in siedendes Fett geworfen. Die Flammen verlöschten zwar, aber unter der Oberfläche schwelte die Glut weiter, und grauschwarzer Rauch drang ständig aus dem Ofen. Aus den Türritzen der übrigen Öfen pufften in Sekundenabständen explosionsartig Flammen und Qualm heraus. Stark rannte aufgeregt herum und schrie, wir sollten mit Eimern Löschwasser herbeischaffen. Dann rissen wir auch die Türen der anderen Öfen auf. Unter Schlägen, Drohungen und großem Geschrei der SS-Männer liefen wir wie scheue Pferde mit den Eimern von der Wasserleitung zu den Öfen und schütteten immer wieder Wasser auf die Brennroste. Blutig geschlagen kämpften wir noch etwa eine halbe Stunde lang mit den Flammen, bis endlich die Häftlingsfeuerwehr anrückte.

Stark rannte immer noch nervös hin und her. Von allen SS-Leuten war er am meisten aufgeregt. Vielleicht fürchtete er, daß man ihn wegen des Brandes zur Verantwortung ziehen würde.

Plötzlich schreckten mich ein paar Schüsse aus dem Nebenraum auf, wo die drei Häftlinge, die sich geweigert hatten weiterzuarbeiten, noch am Boden lagen. Als ich durch die halbgeöffnete Tür hinüberblickte, sah ich, daß man sie erschossen hatte.

Am Abend gelang es schließlich, den Brand zu löschen. Das Krematorium war nun natürlich nicht mehr betriebsfähig. Die Öfen rauchten noch schwach, und man konnte in ihnen noch Reste von verkohltem, angesengtem Fleisch erkennen, das durch nichts mehr an Menschen erinnerte. Wir standen bis zu den Knöcheln im Wasser, und Rauch zog noch immer durch die Fenster und Türen des Krematoriums ins Freie. Auch der Raum, wo die Leichen lagen, war noch voller Qualm, da bei den Löscharbeiten der Ventilator an der Decke beschädigt worden war. Wir Häftlinge waren völlig abgestumpft, gleichgültig sogar gegenüber dem Schicksal, das jetzt vielleicht auf uns wartete. Das war gut, denn sonst wären wir vielleicht auf den Gedanken gekommen, daß jetzt, wo die Öfen kaputt waren, auch wir überflüssig geworden waren. Vielleicht hätte man uns noch die restlichen Toten ausziehen lassen, aber was dann?

Es herrschte jetzt eine merkwürdige Atmosphäre. Niemand schrie, niemand schlug uns. Wir saßen wie Delinquenten, die auf ihre Hinrichtung warten, in einer Ecke des Verbrennungsraums, ohne daß sich jemand um uns kümmerte. Der Abend brach herein. Glühbirnen schimmerten matt durch das neblige Grau und erinnerten an die Friedhofskerzen zu Allerseelen. Die schwarze, kunstgeschmiedete Laterne über dem Eingang zum Krematorium verbreitete ein schummriges Licht und umriß die Konturen des Rebenlaubes, der grauen Wand und der massiven Tür. Ein nichtsahnender Beobachter hätte hinter der freundlichen Fassade des Eingangs vielleicht einladende Räume vermutet. Kein Fremder hätte geglaubt, daß hinter dieser Tür das Inferno begann.

Auch die drei neuen Kameraden, die jetzt kamen, hatten sicher nicht geahnt, wohin sie geraten würden, als sie durch dieses romantisch wirkende Tor gingen. Wie wir am Nachmittag, so waren sie jetzt von SS-Posten hierhergebracht worden, um den Platz der drei erschossenen Häftlinge einzunehmen. Das bedeutete aber, daß man auch uns noch brauchte. Ich schöpfte daher wieder neue Hoffnung.

Am späten Abend rollte ein Lastwagen, mit einer Plane abgedeckt, im Rückwärtsgang durch das Tor auf den Hof des Krematoriums. Eine Weile später erschien eine Gruppe von SS-Führern auf dem Hof. Unterscharführer Stark und seine Spießgesellen standen stramm, rissen den rechten Arm hoch und riefen zackig: »Heil Hitler!« Nach einer kurzen Meldung befahl man uns, die übriggebliebenen Leichen, die inzwischen alle entkleidet worden waren, auf den Lastwagen zu laden.

Maurice und ich schleiften die Toten über den glitschigen Betonboden des Krematoriums nach draußen. Dort packten wir sie an Händen und Füßen und warfen sie mit Schwung auf den Lastwagen. Oben wurden sie von Schwarz und Fischl wie Holzscheite aufeinandergeschichtet. Das alles geschah in einem irrsinnigen Tempo unter großem Geschrei der SS-Männer, denen es nicht schnell genug ging. Unsere neuen Kameraden waren völlig verstört und hatten noch Hemmungen, die glitschigen Leichen anzufassen. Die nassen Arme und Beine entglitten ihnen öfters, so daß die Toten dann auf den Boden fielen. Die SS-Leute reagierten darauf mit Schlägen und Geschrei. Als zwei Neulinge zu Boden gingen, gab es eine üble Schimpferei: »Wenn ihr blöden Hunde die Öfen kaputtmacht, dann muß es eben anders gehen! Rauf mit den Leichen, los, los, dalli, dalli, sonst reiß ich euch den Arsch auf!« Am lautesten krakeelte der kleine SS-Führer, den ich am Nachmittag auf dem Hof von Block 11 bei den Teebottichen gesehen hatte. Seine heisere, rauhe Stimme verriet den Alkoholiker. Breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt, stand er da, den Oberkörper etwas nach vorn gebeugt, und verfolgte unsere Arbeit. Ab und zu wandte er sich an die SS-Führer und Unterführer, die um ihn herumstanden, und redete mit wichtigtuerischen Gebärden auf sie ein. Später erfuhr ich, daß es Aumeier war, der Lagerführer des Stammlagers. Neben ihm stand der Chef der Politischen Abteilung der Gestapo, SS-Untersturmführer Max Grabner.

Der Lastwagen war inzwischen so voll beladen, daß die Leichen schon über die seitlichen Klappen des Laderaums hinausragten. Zwei von uns sprangen herunter, hoben die hintere Klappe hoch und machten den Kasten zu. Dann zurrten sie die Plane darüber, so daß man von der Fracht nichts mehr sehen konnte. Nachdem die Ladung so gesichert und getarnt war, daß das Fahrzeug keine Aufmerksamkeit mehr erregen konnte, fuhr der Wagen aus dem Hof des Krematoriums und wurde unweit des SS-Lazaretts am Straßenrand abgestellt.

Es war vielleicht kurz vor Mitternacht, als wir das vierte und letzte Auto beladen hatten. Hinten, zwischen den Toten, war noch ein kleines Plätzchen frei. Dort drängten wir uns hinein. Zusammengepfercht lehnten wir uns gegen die Toten wie gegen eine Wand. Bevor die Lastwagen abfuhren, bekamen wir von einem SS-Mann noch Brotrationen. Wie hungrige Wölfe verschlangen wir das Brot, ohne uns darum zu kümmern, daß unsere Hände mit Blut und Unrat besudelt waren. Der Hunger hatte uns gelehrt, Brot zu schätzen. Sein bloßer Anblick ließ uns alles andere vergessen.

Stück für Stück brach ich davon ab, speichelte es langsam ein und kaute es bedächtig wie eine Delikatesse. Dabei merkte ich gar nicht, daß sich unser Auto schon in Bewegung gesetzt hatte. Erst Lichtstrahlen, die durch die Zeltplane drangen, machten mich darauf aufmerksam. Ich war neugierig und schob die Plane etwas beiseite. Das Licht kam von den Scheinwerfern eines Personenwagens, der hinter uns herfuhr. Seine Insassen sollten wohl aufpassen, daß keiner von uns in der Dunkelheit zu entkommen versuchte. Offenbar hatte man unsere Energien überschätzt. Aber wir waren so niedergeschlagen und entkräftet, daß in diesem Augenblick keiner an Flucht auch nur dachte.