Sophienlust 119 – Familienroman - Judith Parker - E-Book

Sophienlust 119 – Familienroman E-Book

Judith Parker

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Beschreibung

Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Die beiden sind echte Identifikationsfiguren. Dieses klare Konzept mit seinen beiden Helden hat die zu Tränen rührende Romanserie auf ihren Erfolgsweg gebracht. Die kleine Peggy strahlte übers ganze Gesicht, als sie neben ihrem Onkel Luchs die Stufen zum Portal des Herrenhauses von Schoeneich hinaufstieg. Das ungefähr sechsjährige Mädchen sah in dem rosa Kleid, das mit kleinen blauen Blumen bestickt war, den dazu passenden Söckchen und den weißen Sandalen allerliebst aus. Die großen schwarzen Augen weiteten sich vor Begeisterung, als der siebenjährige Henrik, das Nesthäkchen der Familie von Schoenecker, aus dem Haus gelaufen kam und rief: "Da seid ihr ja endlich! Der Kaffeetisch ist schon gedeckt. Auch Nick ist da. Euretwegen ist er nicht wie sonst am Nachmittag in Sophienlust geblieben. Es gibt Nusstorte mit Schlagsahne.

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Sophienlust –119–

Kleines Herz in Gefahr

Roman von Judith Parker

Die kleine Peggy strahlte übers ganze Gesicht, als sie neben ihrem Onkel Luchs die Stufen zum Portal des Herrenhauses von Schoeneich hinaufstieg.

Das ungefähr sechsjährige Mädchen sah in dem rosa Kleid, das mit kleinen blauen Blumen bestickt war, den dazu passenden Söckchen und den weißen Sandalen allerliebst aus. Die großen schwarzen Augen weiteten sich vor Begeisterung, als der siebenjährige Henrik, das Nesthäkchen der Familie von Schoenecker, aus dem Haus gelaufen kam und rief: »Da seid ihr ja endlich! Der Kaffeetisch ist schon gedeckt. Auch Nick ist da. Euretwegen ist er nicht wie sonst am Nachmittag in Sophienlust geblieben. Es gibt Nusstorte mit Schlagsahne. Martha, unsere Köchin, hat sie extra deinetwegen gebacken, Peggy, weil du sie doch immer so gern isst«, berichtete der hübsche Junge mit dem wilden braunen Haarschopf und den lachenden grauen Augen.

Peggy klopfte sich auf den Bauch und machte: »Hm!« Dann flüsterte sie ihrem Freund zu: »Onkel Luchs und ich haben einen ganz besonderen Grund, zu euch zu kommen.«

»Was für einen Grund denn?«

»Das ist noch unser Geheimnis. Aber später sage ich es dir. Nicht wahr, eure Köchin ist eine Schwester der Köchin Magda von Sophienlust?«, fragte sie dann mit heller Stimme.

»Ja, das stimmt. Aber du bist gemein. Erst machst du mir den Mund wässerig, und dann erzählst du mir nichts. Typisch Weib«, fügte Henrik altklug hinzu und schob die Unterlippe beleidigt vor.

»Ich bin noch kein Weib. Ich bin ein kleines Mädchen. Und ich will auch immer ein kleines Mädchen bleiben. Das kleine Mädchen von Onkel Luchs«, betonte die kleine Schwarze. Sie hing mit abgöttischer Liebe an dem Tier- und Reiseschriftsteller Eugen Luchs. Für die anderen Kinder war dieser jedoch der beliebte Märchenonkel, der im Stuttgarter Rundfunk reizende Geschichten erzählte.

Etwa vor einem Jahr hatte Eugen Luchs die kleine schwarze Peggy aus Afrika mitgebracht. Sie hatte in Swasiland gelebt. Da sie gerade Vollwaise geworden war, hatte der Schriftsteller es nicht übers Herz gebracht, sie ihrem Schicksal zu überlassen.

Der achtundvierzigjährige Mann, Sohn eines Halligbauern, hatte diesen impulsiven Entschluss keine Stunde bereut. Peggy war das Glück seines Lebens geworden, sein kleiner Sonnenschein. Sie hatte ihm das Leben erst lebenswert gemacht.

Peggy dankte ihm seine Güte und Liebe mit großer Anhänglichkeit. Sie hatte schnell Deutsch gelernt und fühlte sich in dem Wohnwagen, der eigentlich der Anlass für einen Besuch in Schoeneich war, sehr wohl.

»Komm, Peggy!«, rief Eugen Luchs. Er war ein mittelgroßer untersetzter Typ, wirkte jedoch nicht dick. Mit seinem langen rotblonden Haar und dem Vollbart sah er genauso aus, wie sich die meisten Kinder ihren Märchenonkel vorstellten. Seine blauen Augen mit dem zwingenden Blick beherrschten völlig sein Gesicht. Nur schwer konnte man ihm widerstehen.

Das dachte sich auch Denise von Schoenecker, als sie ihren Gast und die kleine Peggy herzlich in der Halle begrüßte. Sie war eine besonders aparte, noch jugendlich aussehende, bildhübsche Frau mit schwarzen Haaren und dunklen Augen. Sie war groß und schlank. An ihren grazilen Bewegungen konnte man auch jetzt noch erkennen, dass sie früher Tänzerin gewesen war.

»Mein Mann und ich freuen uns sehr über Ihren Besuch«, sagte sie freundlich. »Mein Mann kommt gleich. Aber da ist er ja schon.« Sie lächelte den großen schlanken Mann mit dem sonnengebräunten Gesicht, den dunklen Augen und den braunen Haaren an.

Die sportlich geschnittene Lederjacke stand Alexander von Schoenecker ausgezeichnet. Mit ausgestreckten Händen kam er auf Eugen Luchs zu. »Herzlich willkommen, lieber Freund. Und du bekommst von mir einen dicken Kuss«, wandte er sich an Peggy. Er hob sie hoch und setzte seine Worte in die Tat um.

Peggy krähte vor Freude. Denn sie mochte den Vater von Henrik und Nick sehr, obwohl sie nach wie vor großen Respekt vor ihm hatte.

»Guten Tag!«, rief Nick in diesem Augenblick und betrat die Halle. Er stammte aus Denises erster Ehe und glich ihr auffallend. Genau wie sie hatte er schwarze, ein wenig gelockte Haare, sehr dunkle Augen und ein hübsches regelmäßiges Gesicht.

»Peggy hat ein Geheimnis«, raunte Henrik seinem älteren Bruder zu. »Aber sie verschweigt es uns.«

»Sie wird wohl ihren Grund dafür haben. Aber ich glaube, ich weiß, was sie meint.« Nick lachte. »Bestimmt meint sie damit die letzte Rate, die Onkel Luchs heute Vati zurückzahlt.«

»Ach, das meint sie. Na ja, dann weiß ich Bescheid.« Henrik war ein wenig enttäuscht, weil er viel mehr erwartet hatte. Nun fragte er: »Mutti, können wir noch schnell vor dem Kaffee mit Peggy zum Turmzimmer hinauflaufen? Sie wünscht es sich doch jedes Mal, wenn sie hier ist.«

»Gut, steigt nur hinauf. Vati und Onkel Luchs wollen sowieso noch den geschäftlichen Teil unseres Beisammenseins vor dem Kaffee erledigen.«

»Komm, Peggy!« Henrik streckte seiner kleinen Freundin die Hand entgegen, die sie vertrauensvoll ergriff. Nick folgte den beiden die Treppe hinauf.

Peggy atmete schneller, als sie die Wendeltreppe zum Turmzimmer erklommen hatte. Mit leuchtenden Augen blickte sie sich um. »Wenn ich hier oben bin, fühle ich mich wie eine Prinzessin. So wie Dornröschen.«

»Wenn ich größer bin, dann wirfst du mir eine Strickleiter herunter, und ich klettere zu dir hinauf«, erklärte Henrik, dem es ähnlich erging wie Peggy und allen anderen Kindern, wenn sie hier oben waren. Das Turmzimmer weckte unwillkürlich die Fantasie aller kleineren Kinder.

Peggy blickte aus dem runden Fenster, von dem aus man sämtliche Zufahrtswege nach Schoeneich überblicken und auch das Kinderheim Sophienlust sehen konnte.

Peggy sah nun Nick an. Auch ihn bewunderte sie heimlich, weil sie wusste, dass Sophienlust ihm gehörte. Er hatte den großen Besitz von seiner Urgroßmutter geerbt.

»Ich glaube, ich sehe da hinten Pünktchen!«, rief Peggy plötzlich begeistert.

»Aber so weit kann man doch niemanden erkennen«, belehrte Henrik sie etwas von oben herab.

»Kommt, wir müssen wieder nach unten gehen«, erinnerte Nick die beiden, »sonst ärgert sich Mutti, dass wir zu spät zum Kaffeetrinken kommen.«

»Nicht wahr, ich bekomme süße Schokolade zu trinken?«, fragte Peggy.

»Natürlich bekommst du Schokolade. Und ich auch«, bestätigte Henrik. »Martha hat versprochen, für uns eine ganz große Kanne zu kochen.«

*

Zur gleichen Zeit saßen Eugen Luchs und der Hausherr von Schoen­eich, Alexander von Schoenecker, in der Bibliothek, die mit alten wertvollen Möbeln eingerichtet war.

»Herr von Schoenecker, mein ganzes Leben stehe ich in Ihrer Schuld«, sagte Eugen Luchs mit einem kleinen Lächeln. »Wenn Sie mir damals nicht geholfen hätten, wäre es für Peggy und mich sehr schwer gewesen.«

»Aber das war doch selbstverständlich. Es war doch nicht Ihre Schuld, dass die Trümmer des abstürzenden Flugzeuges ausgerechnet Ihren Wohnwagen zerstörten.«

»Wenn ich daran denke, läuft mir noch immer ein eisiger Schauer über den Rücken. Es war furchtbar. Auch für Peggy, die ich noch im letzten Augenblick schützen konnte.«

»Hätten Sie sich nicht über sie geworfen, wäre es ihr wahrscheinlich schlimmer ergangen als Ihnen«, bemerkte Alexander leise.

»Sie wäre tot gewesen. So ein kleines Kind hätte die Verletzungen nicht überlebt. Und was für ein Segen, dass sie nach ihren Irrfahrten in Sophienlust gelandet ist.«

»Dadurch haben wir einander dann auch kennen gelernt.« Alexander lächelte vor sich hin. Es war für ihn eine richtige Freude gewesen, diesem wundervollen Menschen und seinem kleinen Pflegekind helfen zu können. Er hatte dem Schriftsteller ein ziemlich großes Areal zur Verfügung gestellt, sodass dieser nun einen Platz hatte, an dem er seinen funkelnagelneuen, luxuriösen Wohnwagen aufstellen konnte. Es war ein schönes Fleckchen Erde, an einem Bach gelegen, der an dieser Stelle einen Bogen machte. Der Platz war von Sträuchern und alten Bäumen umgeben. Wieder lächelte Alexander vor sich hin. »Und Peggy hat diesen Platz entdeckt«, sagte er aus seinen Gedanken heraus.

»Ihr zu Ehren habe ich diesen Wohnsitz in Gottes freier Natur ja auch ›Swasiland‹ getauft«, erklärte Eugen Luchs. »So heißt das Land in Afrika, in dem Peggy geboren wurde. Im Übrigen bin ich sehr froh, dass ich heute die letzte Rate des von Ihnen geliehenen Geldes zurückzahlen konnte.«

»Es wäre nicht so eilig gewesen.« Alexander lachte und steckte den Scheck in seine Brieftasche.

Denise erschien. »Wie ist es, meine Herren?«, fragte sie. »Der Kaffee ist fertig. Und Peggy kann es kaum noch erwarten, endlich zu ihrem Stück Nusstorte zu kommen. Sie schleicht wie ein hungriger Löwe um den Kaffeetisch herum«, fügte sie amüsiert hinzu.

»Wir sind schon fertig, mein Liebes.« Alexander erhob sich und legte den Arm um die noch immer mädchenhafte schlanke Taille seiner Frau, als sie die Bibliothek verließen und in das Esszimmer gingen, wo der Kaffeetisch gedeckt war.

»Warum hast du denn nicht deinen Collie mitgebracht?«, fragte Denise die kleine Peggy.

»Balthasar ist in Sophienlust geblieben. Pünktchen und Heidi passen auf ihn auf. Onkel Luchs meinte, ich solle ihn lieber dort lassen. Dort hat er auch mehr Gesellschaft. Er verträgt sich doch auch gut mit dem Bernhardiner Barri und der Dogge Anglos von Fabian. Und auch die alte Schäferhündin Bella mag er sehr«, erzählte Peggy stolz und blickte wie gebannt auf die Torte, die mitten auf dem Tisch stand.

Denise lachte und half dem kleinen Mädchen auf den Stuhl hinauf. »Nun ist es gleich soweit«, flüsterte sie Peggy ins Ohr.

»Ich habe dich sehr lieb, Tante Isi«, flüsterte das kleine dunkelhäutige Mädchen zurück.

Während der nächsten Stunde unterhielten sich die Erwachsenen über das Kinderheim Sophienlust. Eugen Luchs erkundigte sich auch nach Andrea von Lehn, der Tochter Alexander von Schoeneckers aus erster Ehe. Sie war mit dem Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn verheiratet und hatte inzwischen schon einen Sohn, den kleinen Peter Alexander, der von allen Peterle genannt wurde.

»Sie ist unendlich stolz auf ihren Sohn«, erzählte Denise. »Deshalb vernachlässigt sie aber auch das Tierheim Waldi & Co. nicht und hilft außerdem nach wie vor meinem Schwiegersohn in der Praxis.«

»Onkel Luchs, wann besuchen wir denn wieder das Tierheim?«, fragte Peggy und leckte sich dabei selbstvergessen die Finger ab.

»Aber, Peggy, das tut man doch nicht«, ermahnte Eugen Luchs das Kind.

»Lassen Sie sie nur«, half Denise der Kleinen. »Möchtest du noch ein Stück Torte haben?«

»Sie hat aber schon zwei!«, rief Henrik, der selbst zu gern noch ein Stück gegessen hätte, aber beim besten Willen keinen Bissen mehr herunter bekam.

»Ja, ich habe schon zwei. Aber ich würde noch …«

»Nichts da«, erklärte Eugen Luchs lachend. »Sonst wird dir schlecht.«

»Ich packe Peggy noch ein Stück Torte ein«, schlug Denise vor.

»Fein!« Peggy klatschte in die Hände. »Balthasar bekommt dann ein bisschen von der Schlagsahne ab, weil er sie doch auch so gern isst.«

»Ich glaube, wir müssen jetzt aufbrechen«, stellte Eugen Luchs nach einem Blick auf seine Armbanduhr fest. »Es ist bald halb sechs. Und ich muss noch arbeiten. Morgen muss ich eine neue Tiergeschichte im Rundfunk erzählen.«

»Schade«, bedauerte Peggy. »Aber was sein muss, muss sein«, fügte sie altklug hinzu. Diesen Ausspruch hatte sie einige Male von Onkel Luchs gehört und ihn sich zu eigen gemacht.

Die Gastgeber begleiteten Eugen Luchs und Peggy noch zum Wagen. Peggy gab allen artig die Hand und machte jedes Mal einen Knicks, nur vor Henrik natürlich nicht. Nick sah sie nachdenklich an und fragte dann: »Warum heißt du eigentlich Nick von Wellentin-Schoenecker?«

»Richtig heißt er Dominik von Wellentin-Schoenecker«, ergriff Henrik sogleich das Wort. »Er heißt Wellentin, weil sein Vater so hieß. Aber der ist schon schrecklich lange tot. Wäre er nicht gestorben, hätte Mutti nicht meinen Vater geheiratet, und dann wäre ich nie zur Welt gekommen. Wäre das nicht schrecklich traurig?« Fragend sah er sich in der Runde um.

»Das wäre es entschieden, mein Sohn.« Alexander von Schoenecker lachte herzlich. »Dann wäre die Welt um einen hübschen kleinen Jungen ärmer.«

»Das ist wahr, Vati.« Henrik blickte bewundernd zu seinem Vater empor.

Peggy stieg ins Auto ein. Sie verteilte Kusshändchen nach allen Seiten, als Eugen Luchs losfuhr. Dann seufzte sie glücklich auf und sah ihren geliebten Onkel verschmitzt an.

»Na, was hast du auf dem Herzen?«, fragte dieser sogleich, denn er kannte jede Regung seines Lieblings.

»Es war wunderschön in Schoen­eich. Nicht wahr, wir holen zuerst Balthasar ab?«

»Wird gemacht, mein Liebling.« Eugen Luchs fuhr etwas schneller, als er die Verbindungsstraße von Schoeneich nach Sophienlust erreicht hatte.

»Haben wir jetzt wirklich keine Schulden mehr, Onkel Luchs?«, fragte Peggy.

»So ist es, Peggy.« Er blickte sie kurz an. »Aber ich sehe dir doch an der Nasenspitze an, dass du noch etwas auf dem Herzen hast.«

»Vielleicht, Onkel Luchs. Aber zuerst möchte ich noch einmal wissen, ob wir tatsächlich keine Schulden mehr haben.«

»Wir haben keine mehr«, bestätigte der Schriftsteller noch einmal geduldig. »Aber nun sag schon, worauf du hinauswillst.«

Nachdenklich zogen sich ihre dichten Brauen zusammen. Dann legte sie den Zeigefinger ans Kinn und meinte: »Weißt du, was ich möchte, Onkel Luchs?«

»Nein, mein Herzchen, das weiß ich nicht. Aber willst du es mir nicht endlich sagen?« Er fuhr nun wieder langsamer, da das Herrenhaus von Sophienlust in Sicht kam.

»Mit dem Geld, das du durch deine Bücher und beim Rundfunk verdienst, Einkäufe machen. Ich möchte mir einen Farbfernseher kaufen, ja, und auch Schlittschuhe. Damit ich im Winter, wenn der Waldsee zugefroren ist, Schlittschuh laufen kann wie die anderen Kinder. Und Rollschuhe wünsche ich mir auch. In Sophienlust kann man gut mit Rollschuhen fahren. Weißt du, auf dem Platz vor der Freitreppe. Auch ein Fahrrad hätte ich gern.«

Eugen Luchs lachte. »Du bist wirklich ein kleiner Nimmersatt, mein Herzchen.«

»Warum denn? Jetzt, wo du keine Schulden mehr hast, können wir doch das ganze Geld für uns zwei ausgeben. Nein, nicht für uns zwei. Für alle Kinder von Sophienlust müssen wir auch noch Geschenke kaufen, weil doch alle immer so lieb zu uns beiden gewesen sind.«

Wieder lachte Eugen Luchs. Er amüsierte sich sehr über seine kleine Peggy und wusste auch, dass er einen Teil ihrer Wünsche erfüllen würde. Zunächst aber sagte er ihr die Geschenke für die Kinder von Sophienlust zu. Peggy hatte ja recht. Von den Sophienlustern hatten sie beide nur Liebes und Gutes erfahren.

»Vielen Dank, Onkel Luchs. Nicht wahr, und ich darf die Geschenke aussuchen, Onkel Luchs?«

»Ja. Und was gibt es noch?« Er unterdrückte ein Lächeln.

»Ich muss dir noch etwas sagen«, bemerkte sie kleinlaut.

»Dann sprich. Wir sind gleich in Sophienlust.«

»Das ist es ja eben. Ich habe nämlich den Kindern versprochen, dass du ihnen heute noch eine neue Geschichte von dir erzählst. Ich habe es allen ganz fest versprochen.«

»Wie konntest du das nur!« Eugen Luchs war nun über die Eigenmächtigkeit seiner Peggy leicht verärgert. »Du weißt doch, dass ich es nicht mag, wenn du alles über meinen Kopf hinweg bestimmst.«

»Das weiß ich. Ich wollte dich auch nicht ärgern, lieber Onkel Luchs«, sagte Peggy reumütig.

»Mir fällt keine Geschichte ein, Peggy«, versuchte er sich herauszureden.

»Aber du hast doch schon die Geschichte von Kater Felix und dem frechen Spatz aufgeschrieben. Du wolltest sie heute nur noch abtippen.«

»Ich habe die Geschichte noch nicht einmal im Rundfunk erzählt, kleine Peggy.« Sein Ärger war schon fast wieder verflogen. »Du weißt doch, dass ich meine Geschichten immer erst im Rundfunk erzählen muss. Nachher darf ich sie dann veröffentlichen.«

»Die Kinder von Sophienlust würden wie ein Grab schweigen, Onkel Luchs. Und wenn du den Sophienluster Kindern heute keine Geschichte erzählst, stehe ich vor ihnen als Lügnerin da. Das wäre doch schlimm.« Flehend sah sie ihn an.

»Das wäre allerdings sehr schlimm.« Er unterdrückte ein Lächeln. »Also, in Gottes Namen, ich werde ihnen nachher gleich die Geschichte vom Kater Felix und dem frechen Spatz erzählen.«

»Du bist der allerliebste Onkel der Welt«, erwiderte Peggy glücklich. »Sieh doch, da ist Balthasar. Er sieht ganz traurig aus. Er hat mich bestimmt sehr vermisst.« Sie richtete sich auf dem Sitz auf und deutete auf den bildhübschen Collie, der auf der untersten Stufe der Freitreppe saß. Nun aber erblickte er das Auto und kam mit langen Sätzen angesprungen.

Eugen Luchs hielt den Wagen an, um Peggy Gelegenheit zum Aussteigen zu geben. Das Kind kletterte aus dem Wagen und rief: »Hier bin ich, Balthasar!«

Der Hund jaulte vor Freude. Dann kamen auch Barri und Anglos angelaufen. Die betagte Schäferhündin Bella trottete hinter ihnen her.

Peggy war in ihrem Element, als sie die Hunde der Reihe nach begrüßte und zu jedem ein liebes Wort sagte. Dann fasste sie ihren Collie beim Halsband und blickte zu den Kindern auf der Freitreppe empor. »Onkel Luchs erzählt euch gleich die von mir versprochene Geschichte!«, rief sie.

Eugen Luchs stieg jetzt schnell aus dem Auto aus. Während er ein paar Worte mit der Heimleiterin, Frau Rennert, sprach, liefen die Kinder ins Haus zurück.

Peggy folgte ihnen begeistert. »Wir setzen uns alle in den Aufenthaltsraum, damit es ganz feierlich ist«, schlug sie vor und ergriff Pünktchens Hand.

Pünktchen hieß eigentlich Angelina Dommin. Sie war elf Jahre alt und ein hübsches Mädchen mit goldblonden Haaren und großen braunen Augen.

Zu ihrem Kummer war ihr Gesicht voller Sommersprossen. Ihnen hatte sie auch den Namen Pünktchen zu verdanken, den Nick ihr gegeben hatte.

Pünktchen war ein Zirkuskind und hatte ihre Eltern bei einem Zirkusbrand verloren. Die Leute, die sie aufgenommen hatten, waren nicht gut zu ihr gewesen. Deshalb war sie auch ausgerissen und von Nick von der Straße aufgelesen und nach Sophienlust gebracht worden. Damals war sie erst fünf Jahre alt gewesen und hatte nicht einmal ihren Namen gewusst. Erst viel später hatte man ihre Herkunft feststellen können. Nick aber hatte das namenlose Mädchen kurz entschlossen Pünktchen genannt. Dieser Name war dem Mädchen bis zu diesem Tag geblieben und würde ihm wohl auch weiterhin bleiben.

Pünktchen war ein lebhaftes, gescheites Mädchen und kümmerte sich liebevoll um die kleineren Kinder. Auch Peggy gehörte zu ihren besonderen Schützlingen. Und das kleine schwarze Mädchen war glücklich über die Zuneigung des älteren weißen Mädchens.

Um diese Zeit war das Kinderheim voll belegt. Alle saßen nun erwartungsvoll im Aufenthaltsraum und warteten auf den Märchenonkel.