Sophienlust 338 – Familienroman - Elisabeth Swoboda - E-Book

Sophienlust 338 – Familienroman E-Book

Elisabeth Swoboda

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Beschreibung

Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren: Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. "Es ist wieder einmal soweit", vertraute Ariane König in der Zehn-Uhr-Pause Angelina Dommin an. "Ich habe das Gefühl, dass ich es zu Hause nicht länger aushalte." Angelina, auf deren hübschem Näschen sich lustige Sommersprossen tummelten, denen sie den Spitznamen Pünktchen zu verdanken hatte, machte ein bestürztes Gesicht. "Gab es Krach wegen der verhauten Englischarbeit?", fragte sie ahnungsvoll. "Genau", bestätigte Ariane Pünktchens Vermutung. "Vati war außer sich. Er drohte, mich aus der Schule zu nehmen, sobald ich fünfzehn bin, und mich in eine Lehre zu stecken. Ich erwiderte darauf, dass mir das egal sei und dass mir die blöde Schule sowieso gestohlen bleiben könne. Daraufhin nannte er mich einen undankbaren Fratzen und stimmte die alte Leier an. Wie gut ich es doch hätte, weil ich studieren dürfte, und dass ich alle Wünsche erfüllt bekäme. Dann erzählte er mir lang und breit, um wie viel schlechter es ihm gegangen sei. Er habe hart arbeiten müssen, um es zu einem eigenen Laden zu bringen. Ihm sei nichts geschenkt worden …, und so weiter und so fort. Ich habe mir diese endlose Litanei nicht mehr angehört. Ach, Pünktchen, es war grässlich. Sobald ich volljährig bin, suche ich mir ein Zimmer und ziehe von zu Hause aus. Niemand und nichts wird mich zurückhalten."

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Sophienlust – 338 –

Warum lügt Ariane?

Ein aufmüpfiger Teenager hat's nicht leicht

Elisabeth Swoboda

»Es ist wieder einmal soweit«, vertraute Ariane König in der Zehn-Uhr-Pause Angelina Dommin an. »Ich habe das Gefühl, dass ich es zu Hause nicht länger aushalte.«

Angelina, auf deren hübschem Näschen sich lustige Sommersprossen tummelten, denen sie den Spitznamen Pünktchen zu verdanken hatte, machte ein bestürztes Gesicht. »Gab es Krach wegen der verhauten Englischarbeit?«, fragte sie ahnungsvoll.

»Genau«, bestätigte Ariane Pünktchens Vermutung. »Vati war außer sich. Er drohte, mich aus der Schule zu nehmen, sobald ich fünfzehn bin, und mich in eine Lehre zu stecken. Ich erwiderte darauf, dass mir das egal sei und dass mir die blöde Schule sowieso gestohlen bleiben könne. Daraufhin nannte er mich einen undankbaren Fratzen und stimmte die alte Leier an. Wie gut ich es doch hätte, weil ich studieren dürfte, und dass ich alle Wünsche erfüllt bekäme. Dann erzählte er mir lang und breit, um wie viel schlechter es ihm gegangen sei. Er habe hart arbeiten müssen, um es zu einem eigenen Laden zu bringen. Ihm sei nichts geschenkt worden …, und so weiter und so fort. Ich habe mir diese endlose Litanei nicht mehr angehört. Ach, Pünktchen, es war grässlich. Sobald ich volljährig bin, suche ich mir ein Zimmer und ziehe von zu Hause aus. Niemand und nichts wird mich zurückhalten.«

»So schlecht verstehst du dich mit deinen Eltern?«, fragte Pünktchen bestürzt. »Deinen Vater kenne ich nicht, aber deine Mutter finde ich eigentlich recht nett.«

»Ja, Mutti ist nett«, räumte Ariane ein. »Sie hat mich gestern nach dem großen Krach getröstet, als ich heulte. Aber gegen Vati kommt sie nicht auf. Sie gibt immer gleich nach, und letzten Endes geschieht doch das, was Vati sich in den Kopf gesetzt hat. Ich werde einmal eine ganz andere Ehe führen als meine Eltern. Ich werde nie nachgeben.«

Pünktchen lachte. Sie nahm Arianes Bemerkung über ihre zukünftige Ehe nicht ganz ernst.

Ariane stimmte in das Lachen ein und bat: »Könntest du so lieb sein und mir dein Matheheft borgen, Pünktchen? Du hast die Hausübung doch sicher vollständig gemacht, nicht wahr?«

»Ja, ich habe alle Beispiele.«

»Ich habe kein einziges«, gestand Ariane.

»Kein einziges?«, wiederholte Pünktchen erstaunt. »Aber sie waren doch gar nicht so schwer. Es war genau die gleiche Art von Aufgaben, wie wir sie in der vorigen Mathestunde durchgenommen haben. Soll ich sie dir erklären?«

»Nein, danke. Es genügt, wenn du mir dein Heft borgst. Nächste Stunde haben wir Turnen. Ich schwindle der Turnlehrerin vor, dass mir schlecht sei, und schreibe die Beispiele ab, während ihr Völkerball spielt.«

»Hm.« Pünktchen war selbst zu pflichtbewusst, um die Art und Weise, wie ihre Freundin vorging, gutheißen zu können, aber da sie auch gutmütig und hilfsbereit war, verlieh sie ihr Heft. Eine leise Warnung konnte sie sich allerdings nicht verkneifen. »Du wirst nicht weit kommen, wenn du die Beispiele bloß abschreibst, anstatt darüber nachzudenken«, gab sie der Schulfreundin zu bedenken. »Auf diese Weise schaffst du es, auch die nächste Mathearbeit zu verpatzen. Das würde deinen Vater noch mehr auf die Palme bringen.«

»Ja, du hast natürlich recht, Pünktchen«, gab Ariane zu. »Aber es war mir gestern unmöglich, mich mit den Mathe­beispielen auseinanderzusetzen. Der große Krach fand nämlich während des Mittagessens statt. Vati fragte mich, wie die Englischarbeit ausgefallen sei, und ich platzte mit der Wahrheit heraus, denn ich wollte die Auseinandersetzung nicht auf die lange Bank schieben. Früher oder später musste er ja doch davon erfahren. Mutti meinte allerdings später, als Vati wieder in den Laden gegangen war, ich hätte diplomatischer sein sollen. Ich hätte es zuerst ihr sagen sollen, und sie hätte Vati schonend meinen Misserfolg beigebracht. Ich bitte dich, Pünktchen, so ein Theater wegen einer verpatzten Englischarbeit. Als ob deswegen die Welt unterginge!«

Wiederum begnügte sich Pünktchen damit, ein gemurmeltes »Hm« von sich zu geben. Sie war der Ansicht, dass Ariane ihren Misserfolg ein wenig zu sehr auf die leichte Schulter nahm. Ariane war bereits über vierzehn und damit etwas älter als ihre Schulkollegen und -kolleginnen. Sie hatte schon einmal eine Klasse wiederholt. Deshalb konnte Pünktchen verstehen, dass ihr Vater besorgt über ihre schulischen Leistungen war.

Ariane schien Pünktchens Gedanken zu erraten, denn sie meinte: »Würde Vati mich in Ruhe lassen, würde mir das Lernen viel leichterfallen. Aber der ständige Druck, diese ewigen Ermahnungen und Standpauken, das muss einen doch wahnsinnig machen. Ich war gestern Nachmittag jedenfalls nicht mehr fähig, mich auf Mathe zu konzentrieren. Ich heulte, bis Mutti mich tröstete. Wir waren dann zusammen einkaufen. Mutti hat für mich eine schicke Hose gekauft. Ich hoffe, ich werde bald zu einer Party eingeladen, damit ich die neue Hose einmal ausführen kann.«

»Sonst hast du keine Sorgen?«, brummte Pünktchen.

»Doch, aber ich werde deshalb den Kopf nicht hängen lassen. Komm, Pünktchen, wir müssen uns beeilen. Du musst dich noch umziehen, und ich muss mich entschuldigen, weil ich nicht mitturne.« Ariane zog Pünktchen lachend mit sich fort.

Pünktchen konnte sich über den raschen Stimmungsumschwung ihrer Freundin nur wundern. Sie kannte Ariane noch nicht besonders gut. Das Mädchen besuchte erst seit kurzem dieselbe Schulklasse wie sie.

In der Folgezeit sollte Pünktchen noch öfter Gelegenheit bekommen, sich über Ariane König zu wundern. Manchmal war Ariane heiter und ausgelassen, sodass ihre braunen Augen fröhlich blitzten, dann wieder war sie niedergeschlagen und bekümmert. Ihre Leistungen in der Schule ließen nach wie vor sehr zu wünschen übrig, und ständig beklagte sie sich über die Verständnislosigkeit ihres Vaters. Stets war es Pünktchen, der sie ihr Herz ausschüttete.

Pünktchen bemühte sich redlich, an Arianes Problemen Anteil zu nehmen und der Freundin gute Ratschläge zu erteilen. Bei den übrigen Schulkolleginnen war Ariane nicht sonderlich beliebt, was darauf zurückzuführen war, dass sie das bestgekleidete Mädchen war. Die anderen Mädchen beneideten sie darum. Sogar Pünktchen wurde hin und wieder von derartigen Gefühlen heimgesucht.

»Also, ich weiß nicht, wieso du gar so über deinen Vater schimpfst!«, rief Pünktchen einmal aus, nachdem Ariane ihr die Ohren vollgejammert hatte. Das war knapp nach den Weihnachtsferien. Die Klassenkameraden hatten ihre Geschenke aufgezählt, und Ariane war zweifellos diejenige, die am meisten bekommen hatte. »Dein Vater erfüllt dir doch jeden Wunsch«, fuhr Pünktchen fort. »Du hast so viele Kleidungsstücke, dass du monatelang jeden Tag etwas anderes anziehen könntest. Ich kenne kein anderes Mädchen in unserem Alter, das über eine so reichhaltige Garderobe verfügt.«

»Kann sein. Wenn ich etwas Neues bekomme, freue ich mich ja auch jedes Mal, aber kaum habe ich die Sachen getragen, gefallen sie mir nicht mehr. Ich weiß, das klingt undankbar, aber …« Sie hielt inne und zuckte hilflos mit den Schultern. »Vati erfüllt mir nicht jeden Wunsch«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. »Wir wollten eigentlich in den Weihnachtsferien wegfahren, aber Vati hatte wieder einmal keine Zeit. Er musste Inventur machen. Der dumme Laden ist ihm wichtiger als seine Familie. Auch Mutti sagt das. Allerdings nur zu mir. Sie traut sich nicht, Vati einmal ordentlich die Meinung zu sagen. Für ihn zählen bloß materielle Dinge. Meinen Wunsch nach …, nach etwas Lebendigem, den erfüllt er mir nie. Ich hätte so wahnsinnig gern einen Hund, am liebsten einen Dackel.«

»Hast du deinen Vater um einen Hund gebeten?«, fragte Pünktchen.

»Ja. Er erklärte, so ein Vieh komme ihm unter keinen Umständen ins Haus. Er lege keinen Wert auf zernagte Teppiche und Hundehaare auf den Polstermöbeln. Bei Vati muss immer alles tipptopp sein. Unordnung stört ihn. Ach, Pünktchen, du kannst dir nicht vorstellen, wie es bei uns zu Hause zugeht. Vati ist ein richtiger Haustyrann. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken durchzubrennen – nein, keine Angst, das ist bloß ein Wunschtraum. Ich wüsste ja nicht, wohin ich gehen sollte.«

»Durchbrennen darfst du auf keinen Fall«, sagte Pünktchen erschrocken.

»Nein, ich tue es nicht, obwohl mir oft danach zumute ist. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als von daheim wegzugehen.«

»Jetzt übertreibst du aber, Ariane!«

»Nein, ich übertreibe nicht. Entweder herrscht bei uns eine tödliche Langeweile, oder es gibt Krach. Vati hat mir neuerdings verboten, meine Platten zu spielen. Er hat sie mir weggenommen und versteckt. Ich bekomme sie erst dann zurück, wenn ich in Englisch, Mathe und Deutsch mit positiven Noten rechnen kann. Mein Vater ist richtig gemein. Findest du nicht?«

Pünktchen sah sich außer Stande, diese Frage zu beantworten. Sie kannte den Vater ihrer Schulfreundin ja nicht persönlich, sondern nur aus deren Schilderungen. Deshalb meinte sie nachdenklich: »Wahrscheinlich hat dein Vater nur dein Bestes im Sinn, Ariane. Erwachsene sind häufig starrsinnig und nicht dazu zu bewegen, ihre Meinung zu ändern, aber – hm – ich finde, man sollte sich bemühen, mit seinen Eltern gut auszukommen.«

»Ich bemühe mich schon, aber ich will nicht so werden wie Mutti«, rief Ariane. »So …, so unterwürfig! Wenn sie sich nur ein einziges Mal Vati gegenüber durchsetzen würde! Ich wünschte mir dringend andere Eltern!

»Sag so etwas nicht«, bat Pünktchen eindringlich. »Du weißt ja, ich lebe im Kinderheim Sophienlust. Dort haben viele Kinder gar keine Eltern mehr, genau wie ich. Manche haben ein schweres Schicksal hinter sich, und dabei haben wir alle noch Glück gehabt, dass wir in Sophienlust gelandet sind. Anderswo gibt es elternlose Kinder, die unter Misshandlungen zu leiden haben, vor denen niemand sie beschützt. Sei doch froh, Ariane, dass du Eltern besitzt, die dich lieb haben.«

»Bei Vati bin ich mir in dieser Hinsicht gar nicht sicher«, sagte Ariane störrisch. »Er liebt sein Geschäft, das er selbst aufgebaut hat. Alles andere rangiert unter ›ferner liefen‹. Dass Mutti mich gernhat, daran zweifle ich nicht. Aber sie macht mir das Leben ebenfalls schwer. Sie ist so übermäßig besorgt um mich. Jeden Abend muss ich pünktlich um sieben Uhr zu Hause sein. Erstens, weil Vati das so angeordnet hat, zweitens, weil Mutti Angst hat, mir könnte etwas zustoßen. Einen Freund darf ich auch nicht haben. Dabei bin ich doch schon vierzehn!«

»Na ja, mit vierzehn braucht man noch nicht unbedingt einen Freund zu haben«, meinte Pünktchen weise.

»Ich merke schon, du stehst auf der Seite meiner Eltern«, beschuldigte Ariane ihre Freundin.

»O nein«, verteidigte sich Pünktchen. »Ich sehe ein, dass es nicht einfach für dich ist. Aber vielleicht …, wenn du fleißig lernst und gute Noten heimbringst …, vielleicht lässt sich dein Vater dann umstimmen und schenkt dir einen Hund.«

Es überraschte Pünktchen, dass Ariane sich von ihr beeinflussen ließ und sich ihren guten Rat zu Herzen nahm. Ariane verzichtete nun darauf, die Hausaufgaben in der Schule schnell abzuschreiben, sondern erledigte sie sorgfältig allein zu Hause. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Die nächsten Klassenarbeiten brachten für sie positive Ergebnisse.

Eines Tages erschien Ariane freudestrahlend in der Schule und erzählte jedem, der es hören wollte, dass sie von ihren Eltern einen Hund geschenkt bekommen hatte, als Belohnung für ihre neuerdings so guten Leistungen in der Schule.

Pünktchen gratulierte ihr, worauf Ariane sie mit fröhlicher Ausgelassenheit umarmte und ausrief: »Eigentlich habe ich Jussuf dir zu verdanken! Du hast mir den richtigen Tipp gegeben, wie ich mich verhalten soll! Es ist genauso gekommen, wie du es prophezeit hattest. Vati war höchst erfreut über die Zwei in der Englischarbeit und die Drei in Mathe. Er erklärte, ich dürfe mir etwas wünschen. Na, und dass ich da sofort auf den Hund zurückgekommen bin, war wohl klar.«

»Und dein Vater hat dir diesen Wunsch prompt erfüllt«, stellte Pünktchen fest.

»Gar so prompt auch wieder nicht«, widersprach Ariane ihr. »Vati versuchte sich herauszuwinden, aber ich habe ihn festgenagelt. Versprochen ist schließlich versprochen. Ich hatte einen Wunsch frei und bekam ihn erfüllt. Wir fuhren zu einer Tierhandlung und suchten einen Hund aus. Mein Jussuf ist ein süßer kleiner Kerl«, schwärmte sie.

»Wie sieht er denn aus?«, fragte Pünktchen.

»Süß, einfach süß«, erwiderte Ariane.

»Nun ja, ich meinte, was für eine Rasse …?«

»Jussuf ist ein Langhaardackel«, erwiderte Ariane, noch bevor Pünktchen ihre Frage ganz ausgesprochen hatte. »Mit Stammbaum. Mir ist der Stammbaum ja egal, aber Vati bestand darauf, dass der Hund reinrassig sein müsse. Er sagte, er wolle für sein gutes Geld etwas Ordentliches bekommen. Als ob das bei einem Hund ausschlaggebend wäre! Ein Hund ist doch etwas Lebendiges, etwas zum Liebhaben und nicht eine Anschaffung, mit der man angibt.« Arianes Miene verdüsterte sich, aber gleich darauf schüttelte sie ihre trübe Stimmung wieder ab, indem sie lachend fortfuhr. »Ach, Pünktchen, du kannst dir nicht vorstellen, wie tollpatschig Jussuf ist. Er ist noch jung und schrecklich neugierig. Er möchte alles erkunden.«

»Warum hast du ihn denn ausgerechnet Jussuf getauft? Wie bist du auf diesen Namen gekommen?«

»Der Sohn von unserem früheren Hausmeister hieß so. Er ist vor einigen Monaten mit seinen Eltern in die Türkei zurückgekehrt.«

»Aha! War dieser Jussuf dein Freund?«, fragte Pünktchen, eingedenk Arianes Beschwerde, ihre Eltern würden ihr keinen Freund erlauben.

»Aber nein, wo denkst du hin!« Ariane lachte fröhlich auf, sodass ihre weißen Zähne blitzten. »Jussuf der Junge – war erst drei Jahre alt. Er war lustig, und wenn ich Zeit hatte, spielte ich mit ihm. Ich war ein bisschen traurig, als er fortzog. Ich mag kleine Kinder, hätte gern Geschwister. Aber daraus wird wohl nichts. Na ja, jetzt habe ich ja meinen Jussuf. Er kann zwar nicht reden, aber er sieht einen an, als ob er jedes Wort, das man zu ihm spricht, verstünde.«

In den folgenden Tagen gab es für Ariane in den Schulpausen nur ein Gesprächsthema, und das war ihr Langhaardackel. Sie wurde nicht müde, den Klassenkameraden Jussufs neueste Heldentaten zu schildern.

Wiederum war Pünktchen ihre geduldigste Zuhörerin. Ariane schwelgte in ihrem Glück. Ihr vierbeiniger Gefährte schien ihr ein und alles zu sein. Vergessen waren die Klagen über den strengen Vater und die allzu große Bevormundung der überbesorgten Mutter.

Na also, mit Ariane ist alles wieder in Ordnung, dachte Pünktchen bei sich, während Jussufs Besitzerin voll Stolz beschrieb, wie der Hund ihre neuen Hausschuhe kunstgerecht in unbrauchbare Lederfetzchen zerlegt hatte.

»Pass auf, dass er das nicht auch mit den Hausschuhen deines Vaters macht«, warnte Pünktchen.

»Oh, das würde nichts ausmachen«, bemerkte Ariane sorglos. »Vati hat an Jussuf einen Narren gefressen. Jussuf kann machen, was er will. Vati lässt ihm jede Unart durchgehen.«

Leider zeigte sich schon am nächsten Tag, dass Pünktchens Warnung berechtigt und Arianes Sorglosigkeit falsch gewesen war.

Ariane erschien zu spät in der Schule, ihre Augen waren gerötet und leicht verschwollen. Sie entschuldigte ihr Zuspätkommen mit der gestotterten Ausrede, ihr Wecker habe nicht zeitgerecht geläutet. Die Lehrerin gab sich damit zufrieden, Pünktchen ahnte jedoch sofort, dass es in Arianes Elternhaus einen unliebsamen Auftritt gegeben hatte.

Schon in der ersten Pause wurde diese Ahnung bestätigt. Ariane zog Pünktchen beiseite und klagte ihr ihr Leid. »Mein Vater ist gemein und grausam«, begann sie. »Er nannte Jussuf einen widerlichen Köter und drohte, ihn fortzujagen. Und weil ich Jussuf natürlich verteidigte, handelte ich mir eine kräftige Ohrfeige ein. Meine Wange brennt noch immer. Sieht man noch etwas? Bin ich rot auf der rechten Wange?«

»Nein, das nicht. Aber man sieht dir an, dass du geweint hast«, entgegnete Pünktchen.

»Ich konnte nicht anders, ich musste einfach drauflosheulen. Vater hat sich gewiss darüber gefreut. Aber das zahle ich ihm noch heim, diesem gemeinen Tyrannen. Er hat nicht nur mir eine Ohrfeige verpasst, sondern auch versucht, nach Jussuf zu treten. Zum Glück war Jussuf flinker und verkroch sich unter meinem Bett. Dort steckt er wahrscheinlich noch immer. Mutti und ich waren nicht imstande, ihn hervorzulocken. Der arme kleine Kerl hatte eine fürchterliche Angst. Ich wollte nicht in die Schule gehen, aber Vater schnappte mich, schleifte mich zu seinem Wagen und fuhr mich her. Am liebsten hätte ich laut um Hilfe geschrien, aber dazu war ich leider zu feige. Ha, das hätte ein Aufsehen gegeben!«

»Hm, ich glaube nicht, dass du dieses Aufsehen genossen hättest«, wandte Pünktchen vorsichtig ein. »Die Leute hätten möglicherweise für deinen Vater Partei ergriffen. Was hat Jussuf eigentlich angestellt, dass dein Vater so in Wut geriet?«

»Vater war selbst schuld«, brummte Ariane. »Er nahm die Geschäftsbuchhaltung mit nach Hause. Jussuf erwischte ein paar Belege. Was er damit anstellte, kannst du dir ja vorstellen.«

»Ja, so ungefähr«, räumte Pünktchen ein.

»Vater brüllte, der Köter müsse auf der Stelle aus dem Haus. Hätte er Jussuf erwischt, hätte er seine Drohung sicherlich sofort wahr gemacht. Aber er hätte sich auf den Bauch legen müssen, um an Jussuf heranzukommen. Aber …, aber der Hund kann natürlich nicht für immer unter meinem Bett bleiben.« Arianes braune Augen füllten sich mit Tränen. »Ach, Pünktchen, was soll ich jetzt machen?«, fragte sie leise. »Ich mag Jussuf nicht hergeben. Nein, ich lasse mir meinen Jussuf auf keinen Fall wegnehmen.«

»Vielleicht verraucht die Wut deines Vaters bald, und er verzeiht dem Dackel die Missetat«, brachte Pünktchen zögernd vor.

»Niemals!«, rief Ariane aus. »Vater war von allem Anfang an gegen den Hund. Ich musste ihm sein Zugeständnis förmlich abbetteln.«

»Aber gestern hast du erzählt, dass selbst dein Vater an Jussuf einen Narren gefressen hat«, erinnerte Pünktchen die Schulfreundin.

»Das war gestern«, meinte Ariane bitter. »Da hatte Jussuf noch nicht Vaters geheiligte Besitztümer angetastet. Ich hätte deinen Rat beherzigen und besser auf den Hund achtgeben sollen. Er schlief in seinem Körbchen in meinem Zimmer. Ich vergaß gestern Abend die Tür zu schließen. Wie hätte ich ahnen können, dass Jussuf schon am frühen Morgen sein Körbchen verlassen und in der Wohnung herumschnüffeln würde? Er lief ins Wohnzimmer. Wie er auf den Tisch gelangt ist, auf dem die Belege lagen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist er zuerst auf die Bank gesprungen und von der Bank auf den Tisch. Mutti steht immer als Erste auf. Sie hat Jussuf ertappt, aber da war es bereits zu spät. Was soll ich jetzt bloß machen?«, wiederholte sie.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Pünktchen bekümmert.

Das Gespräch der beiden Mädchen wurde durch die Schulglocke unterbrochen. Sie mussten sich trennen, da sie nicht nebeneinandersaßen.