Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 - Johann Gottfried Seume - E-Book + Hörbuch

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 E-Book

Johann Gottfried Seume

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Beschreibung

Gehen ist die intensivste Form der Welterkundung, und der Schriftsteller Johann Gottfried Seume war der ausdauerndste Fußgänger unter den deutschen Bildungsreisenden: Rund siebentausend Kilometer legte er im Jahr 1802 zurück, um das Sehnsuchtsland Italien zu durchstreifen. Sein »Spaziergang« ist der bekannteste und unterhaltsamste Reisebericht aus der Goethezeit: alltagsnah, subjektiv, eigenwillig, politisch. Und ein Plädoyer für Entschleunigung: »Ich bin der Meinung«, so Seume, »dass alles besser gehen würde, wenn man mehr ginge.«

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Johann Gottfried Seume

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Anaconda

Seumes Spaziergang erschien zuerst 1803 in Braunschweig und Leipzig. Der Text folgt der Ausgabe München: Bruckmann 1962. Orthografie und Interpunktion wurden unter Wahrung von Lautstand und grammatischen Eigenheiten auf neue Rechtschreibung umgestellt.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 Anaconda Verlag GmbH, Köln

Ein Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-641-27642-3V001

www.anacondaverlag.de

[email protected]

Lieber Leser!

Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich hier erzähle; und ich tue das, weil einige Männer von Beurteilung glaubten, es werde vielleicht vielen nicht unangenehm und manchen sogar nützlich sein. Vielleicht waren diese Männer der Meinung, ich würde es anders und besser machen; darüber kann ich, in der Sache, nur an meine eigene individuelle Überzeugung appellieren; so gern ich auch eingestehen will, dass sie hier und da recht haben mögen, was die Form betrifft.

Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und ist nicht das eine und wird nicht das andere, so bin ich so eigensinnig zu glauben, dass die Schuld nicht an mir liegt. Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts Neues. Die Vernünftigen wissen das alles längst. Aber es wird meistens entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt: Und mich deucht, es ist doch notwendig, dass es nun nach und nach auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trinken wollen. Bei dieser Kindernahrung möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke Speise wird aber kein Mann im Einzelnen, werden keine Männer im Allgemeinen: Das hält im Moralischen wie im Physischen. Es tut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmaßlichkeit gefallen sein sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne Verrat der Sache unmöglich, bei gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte der Prüfung und seiner Wirkung und bin zufrieden, dass ich das Wahre und Gute wollte.

Es ist eine sehr alte Bemerkung, dass fast jeder Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das kann nicht anders sein und soll wohl nicht anders sein; wenn sich nur jeder vorher in gutes Licht und reine Stimmung setzt. Ich bin mir bewusst, dass ich lieber das Gute sehe und mich darüber freue, als das Böse finde und darüber zürne: Aber die Freude bleibt still und der Zorn wird laut.

In Romanen hat man uns nun lange genug alte, nicht mehr geleugnete Wahrheiten, dichterisch eingekleidet, dargestellt und tausendmal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist der Anfang: aber immer nur Milchspeise für Kinder. Wir sollten doch endlich auch Männer werden und beginnen, die Sachen ernsthaft geschichtsmäßig zu nehmen, ohne Vorurteil und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Orte, Personen, Namen, Umstände sollten immer bei den Tatsachen als Belege sein, damit alles so viel als möglich aktenmäßig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz allein das Magazin unseres Guten und Schlimmen.

Die Sache hat allerdings ihre Schwierigkeit. Wagt man sich an ein altes Vorurteil des Kultes, so ist man noch jetzt ein Gottloser; sondiert man etwas näher ein politisches und spricht über Malversation, so wird man stracks unter die unruhigen Köpfe gesetzt: Und beides weiß man sodann sehr leicht mit Bösewicht synonym zu machen. Wer den Stempel hat, schlägt die Münze. Wer für sich noch etwas hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen, die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es so oft hört und liest; sondern, hier handelt dieser Fürst ungerecht, widersprechend, grausam; und hier handelt dieser Minister als isolierter Plusmacher und Volkspeiniger. Dergleichen Personalitäten sind notwendige, heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn sie von allen Regierungen als Pasquille gebrandmarkt würden. Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und schlechten. Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn und der Eigennutz haben die Privilegien erschaffen, und Schwachheit und Leidenschaft verewigen beides. Sobald die Könige den Mut haben werden, sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, werden sie ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker durch Freiheit notwendig machen. Aber dazu gehört mehr, als Schlachten zu gewinnen. Bis dahin wird und muss es jedem rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt sein, zu glauben und zu sagen, dass alter Sauerteig alter Sauerteig sei.

Man findet es vielleicht sonderbar, dass ein Mann, der zweimal gegen die Freiheit zu Felde zog, einen solchen Ton führt. Die Enträtselung wäre nicht schwer. Das Schicksal hat mich gestoßen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu wollen: Aber ich habe Selbstständigkeit genug, sie vor Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu verleugnen.

Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, haben mich aufgefordert, etwas öffentlich über mein Leben und meine sukzessive Bildung zu sagen: Ich kann mich aber nicht dazu entschließen. In meiner Jugend war es der Kampf eines jungen Menschen mwit seinen Umständen und seinen Inkonsequenzen; als ich Mann ward, waren meine Verflechtungen zuweilen so sonderbarer Art, dass ich nicht immer ihre Erinnerung mit Vergnügen zurückrufe. Wer sagt gern, ich war ein Tor, um durch sein Beispiel einige längst bekannte Wahrheiten vielleicht etwas eindringlicher zu machen? Da ich als ein junger Mensch von achtzehn Jahren, als theologischer Pflegling, von der Akademie in die Welt hineinlief, fand man bei Untersuchung, dass ich keinen Schulfreund erstochen, kein Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden hinterlassen, dass ich sogar die wenigen Taler Schulden den Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte nun den Grund der Entfernung durchaus nicht entdecken und hielt mich für melancholisch verirrt und ließ mich sogar in dieser Voraussetzung so schonend als möglich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter setzen. Dass ein Student den Tag vorher, ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den Philanthropen die Betrachtung über diesen Schluss, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend verrät. Dem Psychologen wird das Rätsel erklärt sein, wenn ich ihm sage, dass die Gesinnungen, die ich seitdem hier und da und vorzüglich in folgender Erzählung geäußert habe, schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich mit neun Talern und dem Tacitus in der Tasche auf und davon ging. Was sollte ein Dorfpfarrer mit diesen Gärungen? Bei einem Kosmopoliten können sie, auf einem festen Grunde von Moralität, wohl noch etwas Gutes wirken. Der Sturm wird bei mir nie so hoch, dass er mich von der Base, auf welcher ich als vernünftiger, rechtlicher Mann stehen muss, herunterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sizilien war vielleicht der erste ganz freie Entschluss von einiger Bedeutung.

Man hat mich getadelt, dass ich unstet und flüchtig sei: Man tat mir unrecht. Die Umstände trieben mich, und es hielt mich keine höhere Pflicht. Dass ich einige Jahre über dem Druck von Klopstocks Oden und der Messiade saß, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, dass ich kein Amt suche. Zu vielen Ämtern fühle ich mich untauglich, und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf lächerlichen Stolz gründen, dass ich glaube, der Staat müsse Männer suchen für seine Ämter. Es ist mir also lieb, dass ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande dreißigtausend Geschicktere und Bessere sein als ich. Wäre ich Minister, ich würde höchstwahrscheinlich selten einem Manne ein Amt geben, der es suchte. Das werden viele für Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolierter nicht strenge nach meinen Grundsätzen handeln will, wer soll es wohl sonst?

Man hat es gemissbilligt, dass ich den russischen Dienst verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin und durch Zufall weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrscheinlich auch Zufall: Und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele, um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen.

Ich habe mich in meinem Leben nie erniedrigt, um etwas zu bitten, das ich nicht verdient hatte; und ich will auch nicht einmal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der Welt viele Mittel, ehrlich zu leben: Und wenn keines mehr ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach reiner Überzeugung seine Pflicht getan hat, darf sich am Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen abzutreten. Auf Billigung der Menschen muss man nicht rechnen. Die errichten heute Ehrensäulen, brechen morgen den Stab darüber für den nämlichen Mann und für die nämliche Tat.

Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und dann nichts mehr zu tun finde, kann es wohl noch eine kleine Ausflucht werden, die Winkel meines Gedächtnisses auszustäuben und meine Geschäfte zur Lehre für die Jüngeren hervorzusuchen. Jetzt will ich leben, und gut und ruhig leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrat leben kann. Es wird gewiss gehen, wie es bisher gegangen ist: Denn ich habe keine Ansprüche, keine Furcht und keine Hoffnung.

Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, lieber Leser, schon zu sichten wissen. Ich stehe für alles, was ich selbst gesehen habe, insofern ich meinen Ansichten und Einsichten trauen darf: Und ich habe nichts vorgetragen, was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt gehört hätte. Wenn ich über politische Dinge etwas freimütig und warm gewesen bin, so glaube ich, dass diese Freimütigkeit und Wärme dem Manne ziemt; sie mag nun einigen gefallen oder nicht. Ich bin übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem ganzen Meißnischen Kreise kaum einen Torschreiber hat. Manches ist jetzt weiter gediehen und gekommen, wie es wohl zu sehen war, ohne eben besser geworden zu sein. Machte ich die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen haben und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben können.

Freilich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch ästhetischen Wert zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit würden durch ängstliche Glättung zu sehr leiden. Niemand kann die Sachen und sich selbst besser geben, als beide sind. Ich fühle sehr wohl, dass diese Bogen keine Lektüre für Toiletten sein können. Dazu müsste vieles heraus und vieles müsste anders sein. Wenn aber hier und da ein guter, unbefangener, rechtlicher, entschlossener Mann einige Gedanken für sich und andere brauchen kann, so soll mir die Erinnerung Freude machen.

Leipzig 1803

Seume

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Dresden, den 9. Dezember 1801

Ich schnallte in Grimma meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karawane guter, gemütlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge des Muldetals, und Freund Großmann sprach mit Freund Schnorr sehr viel aus dem Heiligtume ihrer Göttin, wovon ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich oben Sankt Georgens großem Lindwurm gegenüber und betete mein Reisegebet, dass der Himmel mir geben möchte billige, freundliche Wirte und höfliche Torschreiber von Leipzig bis nach Syrakus und zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; dass er mich behüten möchte vor den Händen der monarchischen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns schlichten Menschen ihr System in die Nase heften wie der Samojede seinen Tieren den Ring.

Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon Melanchthon so lieblich fand, dass er dort zu leben wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruss sind leicht vergessen. Dort stand Hohenstädt mit seinen schönen Gruppen und am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedelei, wo wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plauderten und ernteten und Kartoffeln aßen und Pfirsiche: An den Bergen lagen die freundlichen Dörfer umher, und der Fluss wand sich gekrümmt durch die Bergschluchten hinab, in denen kein Pfad und kein Eichbaum mir unbekannt waren.

Die Sonne blickte warm wie im Frühling, und wir nahmen dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von unsern Begleitern Abschied. Noch einmal sah ich links nach der neuen Mühle auf die größte Höhe hin, die uns im Gartenhause zu Hohenstädt so oft zur Grenze unserer Aussicht über die Täler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Straße nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirtete uns mit der Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie von Goethes Lied – »Kennst du das Land?« – unter den wärmsten Wünschen weiter nach Meißen, wo wir ebenso traulich willkommen waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an die südliche Küste von Sizilien hinbestellen könnten! Die Elbe rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab. Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Flusse an den alten Scharfenberg romantisch hinauf. Das Wetter war den achten Dezember so schwül, dass es unserm Gefühl sehr wohltätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des Waldes kamen.

Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damals von Leipzig heraufwandelte, um einige Stellen in Guichards Mémoires militaires nachzusuchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem General in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rückkehr traf ich den Freibeuter Quintus Icilius bei dem Theologen Morus und fand in demselben nichts, was in meinen Kram getaugt hätte. So macht man manchen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann nicht sagen, dass Dresden diesmal eine Ausnahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bei Meißen gewesen war. Man trifft so viele trübselige, unglückliche, entmenschte Gesichter, dass man alle fünf Minuten auf eines stößt, das öffentliche Züchtigung verdient zu haben oder sie eben zu geben bereit scheint: Du kannst denken, dass weder dieser noch jener Anblick wohltut. Viele scheinen auf irgendeine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu sein, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen und mit Grobheit grollend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Impertinenz sind bekanntlich am meisten unter dem Hofgesinde der Großen zu Hause, das sich oft dadurch für die Misshandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen Willkür der Herren erfahren muss. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben, die Antiphrase des Sinnes zu sein, und Hof heißt oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichambre verdammt ist; es ist ein großes Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich den gehörigen Standpunkt der Menschenwürde zu erhalten.

Man hat uns Bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten wegen österreichischer Pässe haben; aber ich muss die Humanität der Gesandtschaft rühmen. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr gütig auf und fertigte, da er unsere Wünsche, bald abzureisen, vernahm, mit großer Freundlichkeit sogleich selbst aus, und in einigen Stunden erhielten wir die Papiere, vom Grafen Metternich unterschrieben, durch alle kaiserlichen Länder.

Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im Heiligtum? Die Galerie sah ich nicht, weil ich dazu noch einmal hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah ich nicht, weil ich den Inspektor das erste Mal nicht traf; und das Übrige nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; ein anderer wird Dir alles besser erzählen und beschreiben.

Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt und erfuhr beim Aufstehen, dass dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm als bei seiner Ankunft auf unserem Planeten. Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens. Dadurch werden die Verdienste gewiss erhöht, und ihr Mut wird doch nicht mehr problematisch, als ob sie Schlachten gewännen.

Budin

Du weißt, dass Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben wollen, hätte ich ebenso gut zu Hause in meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes Leben besteht. In Dresden missfiel mir noch zuletzt gar sehr, dass man zur Bequemlichkeit der Ankömmlinge und Fremden noch nicht die Straßen und Gassen an den Ecken bezeichnet hat: Ein Polizeiartikel*, an den man schon vor zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten, sogar in Polen, gedacht hat und der die Topografie außerordentlich erleichtert; und Topografie erleichtert wieder die Geschäfte.

Nun ging es in die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so rau war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bei Aussig wieder ganz auf.

Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den auffallenden Erscheinungen der böhmischen Katholizität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegenteil muss ich sagen, es gefiel mir alles außerordentlich wohl. Unser Wirtshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den Pass bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir Griesgram. Man müsste eine sehr verstimmte, unästhetische Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches, freundliches Gesicht sähe als ein altes, hässliches, murrsinniges. Das Mädchen setzte in unserm Zimmer ihr Silbermützchen vor einem Spiegel, der zwischen zwei Marienbildern hing, so reizend unbefangen in Ordnung, als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der Ketzer Schnorr sah dem rechtgläubigen Geschöpf so enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr bekehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen wollte. Überdies ist der böhmisch-deutsche Dialekt bis Lobositz ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick und widrig hervor wie der gebirgische in Sachsen.

Der Weg von Peterswalde nach Aussig ist rau, aber schön; von Aussig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch wild, links und rechts an dem Flusse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die Klage über die Undisziplin unserer sächsischen Landsleute ins Ohr, die in dem Bayerischen Erbfolgekrieg, zur Feuerung, hier alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer. Wenn die Österreicher es ebenso schlimm machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wann wird unsere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwischen? Bei Lobositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger hinauf und Leitmeritz hinab ist schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwei Stunden hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin, einem Orte, wo allgemeine Verlassenheit zu sein scheint, traf ich bei dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an und ließ mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über das Dasein Gottes geben.

Prag

Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr abends sehr bequem ab und saßen doch noch über eine Stunde zu Mittag in einem Wirtshause, wo wir bei einem Eierkuchen durchaus mitfasten und dafür fünfzig Kreuzer bezahlen mussten, welches ich für einen Eierkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war es in Peterswalde verhältnismäßig billiger und besser. Der Wirt »Zur goldenen Rose« in Budin hatte ein gutes Haus von außen und ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldaunen, altes dürres Rindfleisch und ein sehr zäher, lederner Braten von einer Gans, die noch eine Retterin des Kapitols gewesen sein mochte: Noch schlechter waren die Betten: Aber am Schlechtesten war der Preis. Die schlechten Sachen waren ungeheuer teuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war. Aber Muss ist ein Brettnagel, heißt das Sprichwort. Dieser Wirt ist der einzige in Budin. Übrigens lasse ich die Qualität der Wirtshäuser mich wenig anfechten. Das Beste ist mir nicht zu gut, und mit dem Schlechtesten weiß ich noch fertigzuwerden. Ich denke, es ist noch lange nicht so schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte oder auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm, sanft schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen ließ.

In der Budiner Wirtsstube war ein Quodlibet von Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier und da, zur Verschönerung wahrscheinlich, etwas dazulogen. Einige österreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent machten eine erbauliche Gruppe und unterhielten die Nachbarn lang und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte einer der Soldaten eine so grauliche Beschreibung von den Läusen im Felde und in der Gefangenschaft, dass wir andern fast die Krätze davon hätten bekommen mögen. Mir war es nunmehr nur eine drollige Reminiszenz meiner ersten Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich säuberlich hielten und wo wir, vom Kapitän bis zum Trommelschläger, der Tierchen auch eine solche Menge bekamen, dass sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein Fuhrknecht erzählte dann unter anderem toll genug, wie er und seine Kameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in einem Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammengeprügelt hätten. Where there is a quarrel, there is always a lady in the case, dachte ich, gilt auch bei der österreichischen Bagage.

In Prag registrierte uns eine Art von Torschreiber gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere Pässe zur Vidierung auf das Polizeidirektorium. Die Herren der Polizei waren, gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern Ländern, die Höflichkeit selbst; den andern Morgen war in zehn Minuten alles abgetan, und wir hatten unsern Bescheid bis Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit Gesandtschaftspässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.

Das Theater hier ist polizeimäßig richtig und nicht ohne Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballett ging nicht viel besser als das Stück. Der Gegenstand des Letztern, »Das wilde Mädchen«, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt; und es war schade, dass in der Vorstellung weder Charakter noch Takt richtig gehalten wurde.

Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr gewesen war und man den Schaden ausbaute; und das wird länger dauern, als ich zu warten gesonnen bin. Der Bibliothekar, Rat Unger, der um Literatur und Aufklärung viele Verdienste und gegen Freunde große Gefälligkeit hat, würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben, uns die gelehrten Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen hätten. Es ist bekannt, wie sehr sie im Dreißigjährigen Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch Einverständnis mit ihrer Partei sogar die unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen wussten, um die versteckten Reichtümer hervorzuziehen. Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweiten hat die Bibliothek zwar wieder außerordentlich gewonnen; aber die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die Literatur größerer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem einzigen Orte beisammenliegen. Der letzte Vorfall hat die Besorgnis bestätigt und erhöht.

Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzöge von Böhmen gewähren, wenn man Muße hat, eine eigene Art von Genuss, und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel und Karl des Vierten und fand, dass die Zeiten der Goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und für die ganze übrige Menschheit sehr bleiern waren. Schlicks, des Ministers Grabmal, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdorbener gotischer Bombast ohne Geschmack und Würde. Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken wollte.

Der gute Nepomuk auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch eine große Anzahl von Zeloten zu geben: nur nicht unter den höheren Ständen, die in dieser Rücksicht die Toleranz selbst sind.

Ich freute mich, als ich hinter Lobositz in Böhmen auf die Ebenen kam, und hoffte, nun einen beträchtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu finden, da der Boden rundumher außerordentlich fruchtbar zu sein schien. Aber meine Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen, und die Bauernhäuser waren leer und verfallen; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverei zögen. Mich deucht, sie sind durch Josephs wohltätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen gedrückt als irgendwo. Wo die Sklaverei systematisch ist, machen die Städte oft den Anhang des großen und kleinen Adels und teilen den Raub. Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht, als sich die Franzosen nahten; nur die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in Rücksicht der Franzosen recht hatte, ist eine andere Frage: Aber in seiner Freude bei der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein großer Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente und der auch vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die verlorenen Schlachten.

Unsere guten Freunde jagen uns hier Angst ein, dass rundumher in der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten unsere guten Freunde nun wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leitmeritz sollen über hundert sitzen und in Prag nicht viel weniger. Die Auflösung der militärischen Korps ist immer von solchen Übeln begleitet, so wie bei uns die Einrichtungen gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich etwas auf einen guten, schwer bezwingten Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoßen kann. Freund Schnorr wird auch das Seinige tun; und so müssen es schon drei gut bewaffnete, entschlossene Kerle sein, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus, als ob wir viel bei uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir das Wenige, das wir tragen, so leicht hergeben würden.

Znaim

Wir nahmen den Segen unserer Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicherweise nichts erzählen. Nachtlager sind Nachtlager, und ob wir Schinken oder Wurst oder beides zugleich aßen, kann Dir ziemlich gleichgültig sein.

Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kollin und durch die Gegend des Schlachtfeldes gingen. Daun wusste alle seine Schlachten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmal das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bei Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweite Auflage von Kollin gewesen. Die Gegend von Kollin bis Czoslau kam mir sehr angenehm vor; vorzüglich geben die Dörfer rechts im Tale einen schönen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czoslau gewährt eine herrliche Aussicht rechts und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare, mit Dörfern und Städten besäte Fläche. Mich deucht, es wäre hier einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinabstreichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgendwo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kollin aß ich zu Mittag in einem Wirtshause an der Straße, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen, sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmut, unter den furchtbaren Szenen der Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des großen, finstern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach magische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin saß an einem helleren Fenster uns gegenüber und trocknete sich die Augen, und ein junges, schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zuzureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Ähnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weißt, ehemals etwas zu lernen genötigt war. Die Empfindung bricht bei mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreißt. Ich helfe, wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhaariger junger Kerl in dem andern dunklen Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken und ihre eigentümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Namen nicht nennen; am ähnlichsten war es der russischen Balalaika.

Mich deucht, schon andere haben angemerkt, dass die Straße von Prag nach Wien vielleicht die befahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: Aber die meisten brachten Mehl in die Magazine bei Czoslau und weiter hin nach der Grenze.

Die böhmischen Wirtshäuser sind eben nicht als die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmal miserabel essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, dass wir in Deutschbrodt ein sehr gutes Haus finden würden; aber nie wurde eine so gute Hoffnung so schlecht erfüllt. Wir gingen in zwei, die eben keine sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube erhalten: Die Offiziere, hieß es, haben auf dem Durchmarsche alles besetzt. Das mochte vielleicht auch der Fall sein, denn alles ging von der Armee nach Hause: deswegen die unsicheren Wege. Im dritten legte ich missmutig sogleich meinen Tornister auf den Tisch und quartierte mich ein, ohne ein Wort zu sagen. Der Wirt war ein Kleckser und nannte sich einen Maler, und seine Mutter ein Muster von einem alten, hässlichen, keifischen Weibe, das schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die siebente getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge Juden, Glashändler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller Art, von denen einer bis nach Sibirien an den Jenissei zu handeln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte sehr hoch, ohne sich um meine Ästhetik einen Pfifferling zu bekümmern: Und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern so eng auf das Stroh, dass ich auf dem britischen Transport nach Kolumbia kaum gedrückter eingelegt war. Solche Abende und Nächte mussten schon mit eingerechnet werden, als wir zu Hause den Reisesack schnallten.

In Iglau habe ich bei meinem Durchmarsche nichts gesehen als den großen, schönen, hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser machen als in der Nähe, wie fast alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziemlich in der Mitte des Marktes steht ein herrliches Dreifaltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig wie die Barbarei.

Im Städtchen Stannern müssen beträchtliche Wollmanufakturen sein; denn alle Fenster sind mit diesen Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mützen, Strümpfe, Handschuhe und dergleichen zu außerordentlich niedrigen Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes, bequemes Wirtshaus, das erste, das wir, seitdem wir aus Prag sind, trafen, hatte den Ort gleich etwas in Kredit bei uns gesetzt. Wenn man nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fuße trotzig vor sich hin stapelt, muss man sich sehr oft sehr huronisch behelfen. Meine größte Furcht ist indessen vor der etwas eklen Einquartierung gewisser weißer, schwarz besattelter Tierchen, die in Polen vorzüglich gedeihen und auch in Italien nicht selten sein sollen. Übrigens ist es mir ziemlich einerlei, ob ich mich auf Eiderdaunen oder Bohnenstroh wälze.

Hier in Znaim musste ich zum ersten Mal Wein trinken, weil der Göttertrank der Germanen in Walhalla nicht mehr zu finden war. Der Wein war, die Maß für vierundzwanzig Kreuzer, sehr gut, wie mir Schnorr versicherte; denn ich verstehe nichts davon und trinke den besten Burgunder mit Wasser wie den schlechtesten Potsdamer. Hier möchte ich wohl wohnen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend, selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stößt die Stadt an ziemliche Anhöhen, und auf der andern, vorzüglich nach Österreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch durch die Menge Weingärten, die alle an sanften Abhängen hingepflanzt sind. Die beiden Klöster an den beiden Enden der Stadt sind, wie die meisten Mönchssitze, treffliche Plätze. Das eine, nach der österreichischen Seite, hat Joseph der Zweite unter anderen mit eingezogen. Die Gebäude derselben sind so stattlich, dass man sie für die Wohnung keines kleinen Fürsten halten sollte. Im Kriege dienten sie zu verschiedenen Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalt für Gefangene: Jetzt steht alles leer.

Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwei Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend. Da ich aber in Mähren keine römischen Ruinen studieren will, wandelte ich meines Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit Deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Weinfeldern rund in der Gegend urteile und nun höre, dass die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den großen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu sein scheint, doch wohl besser angewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müssen billig eher Brot haben als die Reichen Wein, und Äbte und Domherren können in diesem Punkte weder Sinn noch Stimme haben.

Auf der Grenze von Mähren nach Österreich habe ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu sein. Ich nehme die Sache als Philanthrop und nicht als Trinker. Schlechtes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebaut sein muss, gilt für Chaussee.

Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon will ich Dir zwei Beispielchen erzählen. Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in Sachsen eben noch nicht sonderlich gut sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich aufmerksam, wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da ich ihn versicherte, ich könne es nicht ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner weg und legte dem Wirt, der eben nicht zugegen war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein andermal fragte ich in einem Wirtshause, wo Reinlichkeit, Wohlhabenheit und sogar Überfluss herrschten und wo man uns gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirt antwortete sehr ehrlich: »Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe.« Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zufrieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.

Wien

Den zweiten Weihnachtsfeiertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon echt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz angehalten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einschmuggeln könnte. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weiße und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas französische Konterbande darin stecke; meine Taschen wurden betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht: Alles sehr höflich; so viel nämlich Höflichkeit bei einem solchen Prozesse stattfinden kann. Meine Briefe wurden mir aus dem Taschenbuche genommen, und dazu musste ich einen goldenen Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesündigt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wusste und zu wissen gar nicht gehalten bin. »Du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.« Der Henker kann so ein Gebot in den Pandekten suchen. Aus besonderer Güte und da man doch am Ende wohl einsah, dass ich weder mit Brüssler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte, erhielt ich die Briefe nach drei Tagen wieder zurück, ohne weitere Strafe, als dass man mir für den schönen, vollwichtigen Dukaten nach der Kaisertaxe, von welcher kein Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiß, neue blecherne Zwölfkreuzerstücke gab. Übrigens ging alles freundlich und höflich her, an der Barriere, auf der Post und auf der Polizei. Wider allem Vermuten bekümmerte man sich um uns nun mit keiner Silbe weiter, als dass man unsere Pässe dortbehielt und sagte, bei der Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post wiedererhalten hatte, wandelte ich herum, sie zu überliefern und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren alle sehr freundschaftlich und honorierten die Zettelchen mit wahrer Teilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war und die ich hier zum ersten Male sah; aber Du bist mit ihrem Wert und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.

Während der vierzehn Tage, die ich hier hauste, war nur einige Mal ein Stündchen reines, helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, dass dieses fast beständig so ist. Wenn Harrach, Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenkten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tornister wieder packen müssen.

Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärntner Tor und spielt, so gut sie kann. Das männliche Personal ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, dass er durch seine Überlegenheit die Harmonie merklich stört. Die andern, unter denen zwar einige Gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumal da auch seine schöne Periode nun vorbei ist.

Die Italiener sind verhältnismäßig nicht besser. Man trillert sehr viel und singt sehr wenig. Der Kastrat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarmherzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, dass es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Missgriffe in die Ästhetik hat tun können. Das mögen die Italiener, wie vielen andern Unsinn, bei der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.

Ich, meines Teils, will keine Helden,

Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,

Sogleich den Mangel ihrer Kraft

Im ersten Tone quiekend melden

Und ihre lächerliche Wut

Im Schwindel durch die Fistelhöhen

Von ihrem Brett herunterkrähen

Wie Meister Jahns gekappte Brut.

Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht

Wie die Taranteltänze hasse,

So setze mich des Himmels Strafgericht

Mit ihm in eine Klasse.

Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiß ihm zu geben, was ihm schmeckt. Sein großer Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freimütigkeit bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er im eigentlichen Sinne nur für sich selbst gemacht zu haben; und ich muss bekennen, dass mir seine barocke Personalität als Tiroler Wastl ungemeines Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu nehmen, dass sie zuweilen zu ihm und Kasperle herausfahren und das Nationaltheater und die Italiener leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhältnismäßig weit besser als jene für die Burg. Die Kleidung ist an der Wien meistens ordentlicher und geschmackvoller als die verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des Heldengefolges noch manchmal einen sehr ärmlichen Aufzug machen. Solange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen Operetten gibt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht angenehm mitwirkt, kann er auch Leute von gebildetem Geschmack einige Male vergnügen: Aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium und durchaus einen höhern Grad von Bildung erfordern, muss der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. Aber hier wird er vielleicht sagen: Ich arbeite für mein Haus; dawider ist denn nichts einzuwenden. Nur möchte ich dann nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst wahrscheinlich für nichts weiter gelten als für das Mittel zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen ihre subordinierten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem ersten Ort unseres Vaterlandes und der Residenz eines großen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.

Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich deucht, der Herr hat seine Würde so gut verdient als die meisten, die dazu erhoben werden. Er soll überdies das wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu sein.

Über die öffentlichen Angelegenheiten wird in Wien fast nichts geäußert, und Du kannst vielleicht monatelang auf öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Wort hörst, das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter Strenge ebenso wohl auf Orthodoxie im Staate wie in der Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille in den Kaffeehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu atmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu sprechen, erhielt ich einige Mal eine freundliche Weisung von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren warnten. Inwiefern sie recht hatten, weiß ich nicht; aber so viel behaupte ich, dass die Herren sehr unrecht haben, welche die Unsichtbaren brauchen. Einmal spielte meine unbefangene Sorglosigkeit fast einen Streich. Du weißt, dass ich durchaus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens das Schlechte nur schlimmer macht: Ich habe aber die Gewohnheit, die Wirkung dessen, was ich für gut halte, zuweilen etwas lauter werden zu lassen, als vielleicht gut ist. So hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es begegnet mir wohl, dass ich, ohne irgendetwas Bestimmtes zu denken, ebenso wie aus irgendeinem andern Musikstücke, einige Takte unwillkürlich durch die Zähne brumme. Dies geschah auch einmal, freilich sehr am unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten Leute als für mich: Denn ich hatte weiter keinen Gedanken, als dass mir die Musik der Takte gefiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.

Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb komischen Auftritts in einem Wirtshause, der auf die übergroße Ängstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein alter, ehrlicher, eben nicht sehr politischer Oberstleutnant hatte während des Krieges bei der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu sein. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr missbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bei einem Glase Wein echt soldatisch laut hervor und sagte mit recht drolliger Unbefangenheit: »Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine große Kartause? Man kommt ja hier in Gefahr, das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, dass man überall lauern lässt; ist das wahr? Hole der Henker die Mummerei! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden und lustig sein.« Du hättest die Gesichter bei dieser Ouvertüre sehen sollen! Einige waren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaß; aber niemand schloss sich dem alten Haudegen an. »Ich werde machen«, sagte der, »dass ich wieder zur Armee komme; das tote Wesen gefällt mir nicht.«

Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: Aber desto größer war die allgemeine Besorgnis vor den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damals fing Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussichten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälligerweise den Österreichern große Angst und große Verwirrungen erspart.

Doktor Gall hat eben einen Kabinettsbefehl erhalten, sich es nicht mehr beigehen zu lassen, den Leuten gleich am Schädel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll sein, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.

Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und schlechtes Geld. Das Lenkseil mit schlechtem Gelde ist bekannt; man führt daran, solange es geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste Mittel, die Armut zu decken, solange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts ungerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere Staaten jetzt eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privilegien und Immunitäten, die freilich ein Widerspruch des öffentlichen Rechts sind, zahlen die Ärmeren fast durchaus fünf Sechsteile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der Staatspapiere, sie mögen Namen haben, wie sie wollen, gehören aber meistens zu den Reichen oder wohl gar zu den Privilegierten. Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die meistens von den Ärmeren bestritten werden. Ein beliebter Schriftsteller wollte vor Kurzem die Wohltätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die Krankheiten ein großes Gut für die Menschheit, weil sich Ärzte, Chirurgen und Apotheker davon nähren. Ein eigener Ideengang, den freilich Leute nehmen können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vieles Nachdenken, dass durch die Staatsschulden die Ärmeren gezwungen sind, außer der alten Last auch noch den Reichen Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. Bei einem Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre es freilich anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine, und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bei einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit, den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen?

Ich darf rühmen, dass ich in Wien überall mit einer Bonhomie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch echt böotischen Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der italienischen Kanzlei. Hierher wurde ich mit meinem alten Passe von der Polizei um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er hatte meinen Pass von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.

»Währ üß aehr?«, fragte er mich mit einem stierglotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wiener Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, solange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmütigkeit haben in mir nur selten das Gefühl rege gemacht, dass ihre Aussprache etwas besser sein sollte. Ich tat ein kurzes Stoßgebetchen an die heilige Humanität, dass sie mir etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen, indem ich auf den Pass zeigte.

»Wu wüll aehr hünn?«

»Steht im Passe: nach Italien.«

»Italien üß grußh.«

»Vorderhand nach Venedig und sodann weiter.«

»Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel härümmer.«

Nun, Freund, was war hier zu tun? Dem Menschen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden, mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zurückgeschickt hätte; denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte also eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. »Der Graf Metternich in Dresden muss wohl wissen, was er tut und wem er seine Pässe gibt: Er ist verantwortlich dafür!«, sagte ich so bestimmt, als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschädel den polnischen Rock herab bis auf die Charivari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefel geknöpft waren.

»Wu wüll aehr weiter hünn?«

»Vorzüglich nach Sizilien.«

Er glotzte von Neuem und fragte:

»Was wüll aehr da machchen?«

Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit gesagt, dass ich bloß spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell auseinanderzuwandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammengesessen hatte, so hätte der Mann höchstwahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sei irgendeinem Bedlam entlaufen.

»Ich will den Theokrit dort studieren«, sagte ich.

Weiß der Himmel, was er denken mochte; er sah mich an und sah auf den Pass und sah mich wieder an und schrieb sodann etwas auf den Pass, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung eines andern war.

»Abber aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.«

»Ich bin es nicht willens«, antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, »und bekomme hier auch nicht Lust dazu.« Er beglotzte mich noch einmal, gab mir den Pass, und ich ging.

Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, dass dieses durchaus sein Charakter sei und dass er bei dem Kaiser in gar großem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit ihm zu tun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beim ersten Anblick sehen, ohne jemals eine Stunde bei Gall gehört zu haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so viel, dass er, eben nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Präsident der italienischen Kanzlei war. Ist das der Vorgeschmack von Italien?, dachte ich; das fängt erbaulich an.

Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleistube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so viel »Euer Gnohden« gescholten, dass meine Bescheidenheit weder ein noch aus wusste, und erhielt sogleich einen großen Realbogen voll Latein in ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und Unteroffizianten des Kaisers, im Namen des Kaisers, gar nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nämlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand gratis, und man forderte mir zwei Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren Auslegung des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, dass ich dem Übermaß der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.

Schottwien

Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt Abschied, packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem neuen kaiserlichen Dokumente tags darauf fröhlichen Mutes die Straße nach Steiermark. Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken getragen, den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen. Man hatte die Gefahr, die auch wohl ziemlich groß war, von allen Seiten noch mehr vergrößert; und was ich, als einzelnes isoliertes Menschenkind, ganz ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Komme ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es ist Feierabend; aber bei ihm wäre die Sache nicht so leicht abgetan. Er begleitete mich den zehnten Januar, an einem schönen, hellen, kalten Morgen, eine Stunde weit hinaus bis an ein altes gotisches Monument und übergab mich meinem guten Genius. Unsere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und hoffnungsvoll, uns in Paris wiederzufinden.

Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer größer wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel Denken ist, zumal in einer solchen Stimmung und bei einer solchen Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen Fuß vor den andern, immer weiter fort. Als die Nacht einbrach, blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. Sowie ich in die große Wirtsstube trat, fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Reminiszenzen der Wachstuben, wo ich ehemals von Amts wegen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaksdampf und Kleinbierwitz leben musste, hielten mich, dass ich nicht sogleich zurückfuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und ließ ungefähr dreißig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, dass mir die Ohren gellten. Einige spielten Karten, andere sangen, andere disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuß. Bald entstand Streit im Ernst, und die Handfestesten schienen schon im Begriff, sich einander die Argumenta ad hominem mit den Fäusten zu applizieren; da fing ein alter Kerl an, in der Ecke der großen gewölbten Stube auf einer Art von Sackpfeife zu blasen, und alles ward auf einmal friedlich und lachte. Bei dem dritten und vierten Takte ward es still, bei dem sechsten fassten ein Paar Grenadiere einander unter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde, man ergriff die Mädchen und sogar die alte, dicke Wirtin, und aller Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und tanzten steirisch, dann kosakisch und dann den ausgelassensten, ungezogensten Kordax, dass die Mädchen davonliefen und selbst der Sackpfeifer aufhörte. Dann ging die Szene von vorn an. Man spielte und trank und fluchte und zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus großen Glaskrügen trank, tat endlich seine Wirkung; alles ward ein voller, großer, furchtbar bacchantischer Chor. Hier nahm ich den Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbett fand und gewiss wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt worden. Der ehrliche Wirt machte den Leidenden, überall das Sicherste bei militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Tone vermutete, mit dem er sprach, machte endlich um zwei Uhr Schicht, und es ward ruhig.

Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen, alten Mann bei seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise, dass sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vorderhand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen.

Das Wasser aus den Bergen bei Neustadt und Neukirchen war so schön und hell, dass ich mich im Januar hätte hineinwerfen mögen. Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und überall, wo nur Gelegenheit war, ging ich hin und schöpfte und trank. Du musst wissen, dass ich noch nicht so ganz diogenisch einfach bin, aus der hohlen Hand zu trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resina gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die Gegend an, herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Partie. Das Ganze hat Ähnlichkeit mit den Schluchten zwischen Aussig und Lobositz; nur ist das Tal enger und der Fluss kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert. Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen Flüsschen Wien zwischen furchtbar hohen Bergen und macht fast nur eine einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am Eingange und Ausgange.

Es hatte zwei Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittag merklich an zu tauen; und jetzt schlagen Regengüsse an mein Fenster, und das Wasser schießt von den Bergen, und der kleine Fluss rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmecken Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Horaz schmeckt mir, das heißt, viele seiner Verse; denn der Mensch selbst mit seiner Kriecherei ist mir ziemlich zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu entscheiden, wer von beiden den Anstand und die guten Sitten mehr ins Auge schlägt, ob Horazens Canidia oder Juvenals Fulvia; es ist aber wesentlicher Unterschied zwischen beiden zum Vorteil des Letzteren. Wo Horaz zweideutig witzelt oder gar ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, dass es ihm gemütlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin: Bei Juvenal aber ist es reiner, tiefer, moralischer Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bei ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt sich: Juvenal nennt sie, wie sie ist; aber Zorn und Unwille hat den Vers gemacht.