Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dieser Band enthält folgende Krimis: Jesse Trevellian in Not (Thomas West) Schweigen ist Silber, Rache ist Gold (Alfred Bekker) Trevellian und die Autoschieber (Pete Hackett) Eigentlich sollte nur ein Luxusauto für einen Autoschieberring geklaut werden. Doch im Innern saß die Tochter eines der größten Verbrecher von New York. Als die Entführer versuchen, ihn zu erpressen, geht er auf seine eigene Weise gegen die Konkurrenz vor. Die FBI-Agents Trevellian und Anderson bekommen es mit zwei Verbrecherbanden zu tun.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 360
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Spezialoperation Mördersuche: 3 Top Krimis
Copyright
Jesse Trevellian in Not
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
Schweigen ist Silber, Rache ist Gold
Trevellian und die Autoschieber
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Jesse Trevellian in Not (Thomas West)
Schweigen ist Silber, Rache ist Gold (Alfred Bekker)
Trevellian und die Autoschieber (Pete Hackett)
Eigentlich sollte nur ein Luxusauto für einen Autoschieberring geklaut werden. Doch im Innern saß die Tochter eines der größten Verbrecher von New York. Als die Entführer versuchen, ihn zu erpressen, geht er auf seine eigene Weise gegen die Konkurrenz vor. Die FBI-Agents Trevellian und Anderson bekommen es mit zwei Verbrecherbanden zu tun.Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
© by Author / COVER FIRUZ ASKIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Krimi von Thomas West
Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.
Nach einem blutigen Feuergefecht am New Yorker Hudson-River zwischen Kurden, Kubanern und dem FBI werden der Special-Agent Jesse Trevellian, die Staatsanwältin Emma O'Fancy und der Kurde Dr. Yoshkun Erdan von PKK-Anhängern auf einer Yacht entführt. Unterwegs gelingt es den Gefangenen, sich zu befreien, doch landen sie kurz darauf in den Händen des irakischen Geheimdienstes. Special-Agent Milo Tucker, der sich um seinen Freund und Partner Jesse sorgt, erhält den geheimen Sonderauftrag, in den Nahen Osten zu fliegen, um mit Hilfe von CIA-Agenten Trevellian und die Staatsanwältin zu befreien. Yoshkun Erdan soll an den türkischen Geheimdienst ausgeliefert werden. Wer ist Feind und wer ist Freund ? – diese Frage müssen sich alle Beteiligten stellen, bis es in der Einöde des nordirakischen Berglandes, nahe der türkischen Grenze, zum alles entscheidenden Kampf kommt ...
Der Mann hatte schwarze Augen, die gleichmütig in irgendeine Ferne blickten. Sein knochiges Gesicht schien aus rötlich braunem Granit gemeißelt zu sein. Eine gerade Narbe zog sich von seiner rechten Schläfe über die eingefallene Wange bis zum Kinn. Und er trug die Uniform eines irakischen Leutnants.
Samir Chaban war sein Name.
In Begleitung von vier Soldaten schritt er den schmalen, grell erleuchteten Kellergang entlang. Vor der letzten der vielen Metalltüren blieb er stehen. "Aufschließen!"
Er trat beiseite. Einer der vier Soldaten entriegelte die niedrige Zellentür und stieß sie auf. Das schwere Türblatt krachte gegen die Zellenwand. Feuchtwarmer Gestank drang aus dem dämmrigen Verlies - Schweiß, Urin, Moder und Rattenkot. Gestank des Todes.
Chaban zog den Kopf ein und betrat die Zelle. Im spärlichen Licht, das aus dem Gang in das enge Verlies drang, schälten sich die Konturen eines Mannes aus dem Halbdunkeln. Eng an die feuchte Wand gepresst kauerte er auf dem Lehmboden. Langsam hob er den Kopf.
Ohne äußere Regung musterte Chaban das zerschundene Gesicht: aufgeplatzte Lippen, zugeschwollene Augen, blutverkrustetes Haar.
Wie im Zeitlupentempo schob der Mann sich an der Wand hoch, bis er halbwegs gerade auf seinen Beinen stand. Seine Handflächen strichen fahrig über das Gemäuer hinter ihm. Als suche er einen Fluchtweg. "Bitte nicht ... bitte...", krächzte er. "Es gibt nichts mehr, was ich euch sagen könnte ..."
Sie hatten ihn geprügelt. Stundenlang. Geprügelt und schlimmeres. Chaban war nicht dabei gewesen. Aber die Schreie des Mannes waren über den ganzen Kasernenhof zu hören gewesen.
"Du wirst nicht mehr verhört, Ibrahim." Chaban trat beiseite. Mit einer knappen Kopfbewegung winkte er die Soldaten in die Zelle. Sie packten den Mann und zerrten ihn von der Wand weg.
Ibrahim wehrte sich nicht. Nur, als sie ihn an ihrem Leutnant vorbeizerren wollten, stemmte er sich mit den Beinen gegen den Lehmboden. Für einige Sekunden blieben sie vor Chaban stehen.
Ibrahims Blick klammerte sich an den schwarzen Augen des Offiziers fest. "Ich habe eine sehr junge Frau ...". Er flüsterte keuchend. Sein Adamsapfel sprang auf und ab. "… und vier Kinder ..."
Chaban blieb stumm. Er hatte den Gefangenen gesehen, als sie ihn vor ein paar Tagen aus den kurdischen Bergen brachten - die stolze Verachtung in seinen Augen hatte ihn beeindruckt. Keine Spur mehr davon. Nur noch Angst, nur noch der Schrei um Gnade.
"Wie ein Mann zu kämpfen, ist leicht, Ibrahim Erdan", sagte er. "Wie ein Mann zu sterben, ist schwer. Versuch es trotzdem."
Die Soldaten schleppten den Kurden aus der Zelle. Chaban folgte ihnen durch den Kellergang nach draußen auf den Kasernenhof. Das Erschießungskommando stand schon in Reih' und Glied.
Chaban wusste nicht, was Ibrahim Erdan verbrochen hatte. In Angelegenheiten des Geheimdienstes war es besser, nicht allzu neugierige Fragen zu stellen. Die Offiziere des Geheimdienstes waren unangemeldet mit dem Gefangenen aufgekreuzt. Sie hatten Räume und Material beansprucht, und Chaban hatte ihnen gegeben, was sie verlangten.
Und jetzt stellte er ihnen ein Erschießungskommando zur Verfügung. Der Hinrichtungsbefehl war erst vor einer Stunde aus Bagdad gekommen.
Sie zerrten den Kurden vor die Außenmauer der Latrinen und verbanden ihm die Augen mit einem schwarzen Tuch.
Es war zu Chaban durchgesickert, dass der Kurde zur PKK gehörte. Zur radikalsten aller Kurdenparteien. Und dass er einen Bruder hatte, der zur Führungsebene der PKK gerechnet wurde. Den Rest musste der Leutnant sich selbst zusammenreimen.
Für Chaban sah es ganz so aus, als würde Bagdad neuen Kurdenaufständen vorbeugen wollen. In der UNO-Schutzzone, nördlich des 36. Breitengrades, rotteten sich immer wieder ein paar Heißsporne zusammen. Da war es besser, vorsorglich ein paar Köpfe abzuschlagen, als mit einem Bataillon in die Berge ziehen und einige Dörfer ausräuchern zu müssen. Das würde nur die UNO auf den Plan rufen.
Gleichgültig nickte Chaban dem Unteroffizier zu. Während der dem Erschießungskommando seine Befehle zubrüllte, beobachtete Chaban den Kurden vor der Latrinenwand. Er war schon fast zwanzig Jahre Soldat und hatte unzählige Männer sterben sehen. Der Tod faszinierte ihn immer noch. Die Haltung der Menschen angesichts ihres Endes - das war es, was ihn interessierte.
Ibrahims Haltung schien sich verändert zu haben. Jedenfalls seine Körperhaltung. Er stand jetzt kerzengerade und breitbeinig da. Die Schultern hingen nicht mehr schlaff herunter, wie eben in der Zelle noch. Den Kopf reckte er trotzig nach oben. Er trug die schwarze Augenbinde fast wie eine Auszeichnung. Nur die geschwollene Unterlippe zitterte.
"Feuer!!"
Noch bevor der Widerhall der Schüsse verstummte, schlug Ibrahims Leiche mit dem Gesicht im Staub des Kasernenhofes auf.
Chaban wandte sich ab und schritt langsam zur Kommandantur zurück. "Wider deinen Willen wirst du geboren", murmelte er. "Wider deinen Willen lebst du, wider deinen Willen stirbst du ...". Einer der Sprüche aus dem jüdischen Gebetsbuch, die sein Großvater immer zu zitieren pflegte. Der hatte sich noch offen zu seiner Religion bekannt.
Chaban war da zurückhaltender. Hin und wieder, wenn er in Bagdad war, ließ er sich sogar in einer Moschee blicken. Nicht nur weil er irakische Offiziersuniform trug.
Am Eingang zur Kommandantur drehte er sich noch einmal um. Sie schleiften die Leiche des Kurden über den Hof zu einem Armeelaster. "… und wider deinen Willen wirst du einst Rechenschaft ablegen vor dem König aller Könige ..."
"Gratuliere, Roger!" Duxburys Chef kam ins Redaktionsbüro und warf die neuste Ausgabe der New York Post vor ihn auf seine Schreibtisch. "Das Blatt geht weg wie Freibier."
Duxbury nahm die Zeitung auf. In roten Lettern prangte die Schlagzeile: >Verursachten kubanische Agenten das Blutbad am Hafen?<
Und darunter: >Vermisster FBI-Agent noch immer nicht gefunden<
Der zweite Tag nach der Schießerei am Pier 28. Schon gestern war die Auflage in bisher unerreichte Höhen gestiegen. Duxbury überflog seinen eigenen Artikel.
>... noch immer tappt die Polizei im Dunkeln. Das Massaker am Hafen von TriBeCa, bei dem vorgestern sieben Menschen den Tod fanden - darunter drei unbeteiligte Passanten - gibt immer neue Rätsel auf. Die Informationen aus der Federal Plaza sickern - wie so oft - nur spärlich an die Öffentlichkeit. Gestern Abend musste der Pressesprecher des FBI einräumen, dass der Fall auch für die Bundespolizei immer verworrener wird. Hieß es vorgestern noch, kurdische Terroristen hätten die Schießerei am Pier 28 provoziert, wird jetzt immer deutlicher, dass Agenten des kubanischen Geheimdienstes die Hauptverantwortung für das Blutbad tragen. Unserer Zeitung liegen Informationen vor, wonach das FBI von sieben kubanischen Agenten ausgeht. Alle sieben sind US-Staatsbürger. Drei von ihnen starben bei der Schießerei. Durch wessen Kugeln, ist noch unklar. Einer der vier Festgenommenen konnte inzwischen in einer Klinik in der Downtown vernommen werden. Über seine Aussagen schwieg der Pressesprecher des FBI sich aus. In einer anderen Manhattaner Klinik kämpfen die Ärzte um das Leben eines schwer verletzten türkischen Staatsbürgers. Es wird vermutet, dass es sich dabei um einen Kurden handelt ...<
Duxbury angelte sich eine Zigarette aus der Philip-Morris-Schachtel auf seinem Schreibtisch. Sein Chef griff ungefragt zu. "Dass die Kubaner anfingen zu ballern, glaub' ich nicht", sagte Duxbury. "Ich hab' mit eigenen Augen gesehen, wie plötzlich zwei Männer aus dem Toilettenhäuschen auftauchten und mit Maschinenpistolen auf die Kubaner schossen. Diese Männer sahen aus wie Orientalen. Und Kurden sind meines Wissens Orientalen."
"Man hat aber keinen toten Kurden gefunden", gab der Chefredakteur zu bedenken.
"Das spricht doch für meine Theorie." Duxbury las weiter.
>... wie wir gestern berichteten, versuchte ein Team des FBI die Entführung einer Staatsanwältin und eines ehemaligen militanten Kurden zu verhindern. Der Kurde gehört nach neusten Informationen der marxistischen PKK (Kurdische Arbeiterpartei) an. Er wird in der Türkei wegen mehrerer Bombenattentate gesucht. Die Rolle der Staatsanwältin ist unklar. Von beiden Personen fehlt seit vorgestern jede Spur. Auch ein Beamter des FBI wird vermisst. Zur Stunde suchen Polizeitaucher den Hudson nach seiner Leiche ab ...<
Duxbury ließ die Zeitung sinken. "Hast du eine Idee, was die Staatsanwältin mit diesem Terroristen zu tun hat?", wollte der Chefredakteur wissen.
Duxbury schüttelte den Kopf. "Zufall, denke ich. Er wurde gejagt, suchte Unterschlupf, und Emma O'Fancy lief ihm über den Weg. So einfach stell' ich mir das vor." Er nahm die obligatorische Sonnenbrille aus seinem dichten Haar und begann nachdenklich auf dem Bügel herumzukauen.
"Was mich viel mehr interessiert - Trevellian und Tucker wussten plötzlich, dass die beiden zum Hafen wollten. Dieser Tipp kam aus dem Fünften Polizeirevier. Ich frage mich, wer die Polizei verständigt hat."
"Finde es heraus." Der Chefredakteur drückte die Zigarette aus und rutschte von Duxburys Schreibtisch. "Diese Schießerei gibt sicher noch eine Schlagzeile her."
"Das werd' ich herausfinden, verlass dich drauf - aber erst einmal fahr' ich zum Hafen und schau' mal, ob sie inzwischen Trevellians Leiche aus dem Hudson gefischt haben."
Zehn Minuten später saß er in seinem dunkelblauen BMW Z 3 und fuhr Richtung SoHo und TriBeCa. Die morgendliche Rushhour löste sich gerade auf. Nach einer halben Stunde bog er von der West Street in das Hafengelände ab.
Vor dem Zugang zu Pier 28 war das Hafengelände immer noch weiträumig abgesperrt. Um das Trassierband herum - Business as usual: Touristen, Verkaufsstände, Straßenhändler. Als wäre hier nie etwas geschehen.
Duxbury parkte seinen Wagen und stieg aus. Innerhalb der Absperrung stand ein halbes Dutzend Polizeifahrzeuge. Und ein großer Van. Durch die offene Seitentür sah der Journalist eine Frau vor einem Bildschirm mit Reagenzgläsern hantieren. Offenbar ein mobiles Labor.
Auf dem Weg zum Trassierband kam er an einem Blumengebinde vorbei. Es lag auf dem Asphalt innerhalb einer Kreideskizze. Duxbury erkannte die Konturen eines menschlichen Körpers. Auf dem Gebinde ein Holzkreuz. Eine große Kerze auf der Stelle, an der die Kreideskizze den Kopf des Menschen andeutete, der vorgestern hier im Kugelhagel starb.
Duxbury blieb stehen, zog sein Handy heraus und wählte die Nummer der Redaktion. "Schickt doch mal einen Fotografen zum Pier 28. Irgendjemand hat hier ein Kreuz und ein paar Blumen hingelegt. Wahrscheinlich Angehörige von Leuten die vorgestern hier erschossen wurden. Das sollten wir bringen."
Dann schlüpfte er unter dem Trassierband durch und betrat den Anlegesteg. Eine Gruppe von Männern stand fast am Ende des Piers und starrte ins Wasser. FBI-Beamten. Duxbury erkannte den Partner des vermissten Agenten - Milo Tucker.
Als er bei der Gruppe angelangt war, kletterte eben ein Taucher aus dem Wasser. Er zog die Taucherbrille ab und schüttelte den Kopf. "Nichts."
Milo Tucker wandte sich ab - und entdeckte den Journalisten. "Die Absperrung gilt auch für die Presse", sagte er müde.
"Absperrung?" Duxbury schob sich die Sonnenbrille ins Haar und blickte zurück. "Hab' ich ganz übersehen." Der FBI-Mann hatte andere Sorgen, als einen Pressegeier zu verscheuchen. Gleichgültig, beide Hände in den Hosentaschen vergraben, ging er an Duxbury vorbei.
"Irgendwas gefunden?" Duxbury lief ihm hinterher. Der blonde Special-Agent schüttelte den Kopf. Gemeinsam schlenderten sie zum Hafengelände zurück.
"Spurlos verschwunden. Genau wie die Staatsanwältin und dieser Kurde."
" Yoshkun Erdan?", fragte Duxbury. Milo nickte. "Also müssen die drei mit einem Schiff aus dem Hafen gebracht worden sein." Erwartungsvoll sah er den Agenten an.
"Lassen Sie mich in Ruhe, Duxbury", knurrte der. "Sie wissen genau, dass unser Chef eine Nachrichtensperre verhängt hat."
"Aus ermittlungstaktischen Gründen, ich weiß, aber unserer Mitbürger ..."
"… sind Ihnen scheißegal. Sie sind doch nur geil auf eine möglichst blutrünstige Story."
"Ich dachte immer, beim FBI lege man etwas mehr Wert auf gepflegte Umgangsformen ..."
"Kommt immer drauf an, mit wem man gerade spricht."
Die unverhohlene Ablehnung, die ihm von dem FBI-Mann entgegenschlug, überraschte Duxbury nicht. Immerhin hatte der Mann seinen Partner verloren. Und wenn man der Telefonistin in der FBI-Zentrale glauben durfte - Duxbury hatte ihr ein paar Interna abgeschwatzt - waren die beiden nicht nur Partner, sondern gute Freunde gewesen. Sehr gute Freunde.
Kein Wunder, war der Mann zugeknöpft und mürrisch. Duxbury versuchte es trotzdem noch einmal. "Die Rolle, die die Kurden in der ganzen Sache spielen, scheint ja immer schleierhafter zu werden." Milo Tucker nickte nur missmutig. "Woher wussten Sie eigentlich, dass genau hier, am Pier 28, etwas passieren würde?"
Milo blieb stehen, zog die Augenbrauen hoch und musterte ihn mit einer Mischung aus Spott und Verachtung. "Schönen Tag noch", sagte er und ließ Duxbury stehen.
"Ich find's auch ohne dich 'raus", murmelte Duxbury.
Ab und zu öffnete jemand die Luke und stellte eine Kanne Wasser in den engen Frachtraum. Hier lag ich seit zwei Tagen. Auf Tuchfühlung mit zwei Menschen, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Jedenfalls nicht persönlich.
Sie hatten uns mit dicken Tauen an Händen und Füßen aneinandergefesselt. Wenn sie uns nicht einen Kunststoffschlauch in die Wasserkanne gesteckt hätten, wären wir vor dem Wasser verdurstet.
So aber konnten wir uns vorbeugen und unsere Körper so arrangieren, dass wir nacheinander trinken konnten. In der Dunkelheit des Frachtraumes stießen wir beim ersten derartigen Versuch die Kanne um.
Zusätzlich zu meinen rasenden Kopfschmerzen hatte ich nun auch noch nasse Hosen.
Die Frau rechts von mir kannte ich aus der Zeitung. Sie war Staatsanwältin und hieß Emma O'Fancy. Vorgestern, am Hafen, hatte ich sie ein paar Sekunden lang von Weitem gesehen. Als sie in einen Lieferwagen eingestiegen war.
Zusammen mit dem Mann links von mir. Den kannte ich von einem Fahndungsfoto - Yoshkun Erdan. Die Türken suchten nach dem Mann. Er gehörte zu einer radikalen kurdischen Partei, und stand wegen diverser terroristischen Aktionen auf den türkischen Fahndungslisten. Der türkische Außenminister hatte sich an unsere Regierung und der türkische Geheimdienst MIT an die CIA gewandt, und um Amtshilfe gebeten.
Die CIA wiederum hatte den Fall an uns abgeschoben. Der Geheimdienst wollte nicht noch einmal wegen eines Kurden ins Gerede kommen. Die internationale Presse hatte die CIA schon mit der Verhaftung des PKK-Führers Öcalan in Zusammenhang gebracht.
So kam es jedenfalls, dass wir vom FBI nach dem Mann fahnden mussten. Wegen Einreise in die USA mit gefälschten Dokumenten.
Und jetzt lag ich hier neben ihm im Frachtraum eines Schiffes. So nah neben ihm, dass ich die Wärme seines Körpers spürte. Irgendwo hinter der Holzwand, an der wir lagen, brummte ein Motor. Unser Gefängnis schaukelte auf und ab. Mein Magen pulsierte.
Ich war erst einige Stunden wieder bei Bewusstsein, und wir hatten noch nicht viel miteinander gesprochen. Wie zum Teufel kam ich in diesen finsteren Raum? Wieso lag ich hier an zwei Fremde gefesselt? Und warum raste dieser hämmernde Schmerz in meinem Schädel?
Mühsam versuchte ich, blasse Erinnerungsfetzen zu einem sinnvollen Bild zusammenzusetzen. Doch nur Bruchstücke von Szenen flimmerten über meine innere Bühne.
Da war ein Lieferwagen, da war die Anlegestelle im Hudson-Hafen, und da lag ein Mann schreiend auf dem Pier. Ein Mann in blauem Overall. Wie ein Latino hatte er ausgesehen.
Wenn ich die Augen zusammenkniff und wieder öffnete, streiften die Wimpern meines rechten Auges an einem Stück Stoff. Und etwas zog die Haut meiner rechten Gesichtshälfte zur Schläfe hinauf. Mein gepeinigtes Hirn brauchte ein paar Anläufe bis ich merkte, dass man mir den Schädel verbunden hatte.
"Kann mir jemand erklären, wie ich zu dem Verband auf meinem Kopf komme?", krächzte ich.
"Einer der Kerle da draußen hat Ihnen den Schaft seiner Uzi über den Schädel gezogen." Der Mann neben mir sprach mit monotoner, heiserer Stimme. Tiefe Resignation sprach aus ihr.
"Unmöglich", sagte ich.
"Sie sind an Bord gesprungen und haben zwei der Männer mit ihrer Waffe bedroht. Der dritte schlich sich von hinten über den Deckaufbau an. Wenn er richtig getroffen hätte, wäre ihr Kopf jetzt ein Krater. So sind Sie mit einer tiefen Platzwunde und einer Gehirnerschütterung davongekommen."
Mir kam es vor, als würde Erdan von einem Fremden erzählen. "Kopfplatzwunde? Gehirnerschütterung?"
"Ja. Deswegen ist bei Ihnen auch der Film gerissen. Und wahrscheinlich ist Ihnen auch übel."
Mir fiel ein, dass der Mann Arzt war. "Und Sie haben die Wunde zugenäht ..."
"Ja. Einer der fünf Männer da draußen ist der Schwiegervater meines Bruders. Und ein alter Freund von mir. Er hat mir den Verbandskasten überlassen. Glücklicherweise war Nahtmaterial dabei."
Ich stöhnte laut. "Und wohin geht die Reise jetzt?"
"Wenn wir das wüssten ..." Jetzt meldete sich auch die Frau neben mir zu Wort, Emma O'Fancy. Sie klang gefasst. "Man wollte uns auf einen Frachter bringen. Ein paar Männer unter der Führung eines Lateinamerikaners. Ich glaube, er war Kubaner ..."
"Ich hab's beobachtet ..."
"… ein ekelhafter Kerl. Und plötzlich tauchten die Kurden auf. Sie schossen um sich und schleppten uns auf diese Yacht. Der Kubaner wurde getroffen."
"Können Sie mir mal erklären, was Sie mit diesem Gentleman links von mir zu tun haben, Mrs. O'Fancy?"
Sie erzählte mit stockender Stimme. Wie Erdan sie gezwungen hatte, ihn mit in ihr Apartment zu nehmen, wie ihr Chef bei ihr geklingelt hatte, und wie dieser Latino bei ihr anrief und Erdan ein Ultimatum stellte.
"… ich wollte ihn daran hindern, sich zu stellen. Aber sie drohten damit, seinen Bruder zu töten ..."
Eine Erklärung dafür, warum sie mit an den Hafen gefahren war, lieferte sie nicht. Ich fragte auch nicht nach. Die Art wie sie erzählte, verriet mir genug: Sie sprach über diesen Terroristen nicht wie über einen Gewalttäter, der sie überfallen hatte, sondern wie über einen Freund, der in der Klemme saß. Ein typisches Syndrom bei Geiseln. Ich sollte mich noch wundern ...
Immerhin erfuhr ich, dass der Mann an meiner linken Seite, aus der PKK ausgestiegen war und seine ehemaligen Mitstreiter draußen auf Deck ihm vermutlich deswegen auf den Fersen waren. Und ich erfuhr, dass nicht nur die Türken hinter Yoshkun Erdan her waren, sondern auch der irakische Geheimdienst.
"Dann sind sie ja ein mit Feinden gesegneter Mensch." Wenn ich in hoffnungslosen Lagen bin, neige ich zum Zynismus.
"Nichts Außergewöhnliches für einen Kurden." Seine Antwort klang keineswegs zynisch. Er schien bitterernst zu meinen, was er da sagte.
"Schön für Sie, dass Sie eine gewisse Übung mit solchen Situationen haben", knurrte ich. "Der Lady hier und mir nützt das leider gar nichts."
"Ich habe niemanden gezwungen, mich zu begleiten", sagte er leise.
Eine Zeit lang hing jeder von uns seinen düsteren Grübeleien nach. Meine Kopfschmerzen wollten mich davon abhalten an so etwas wie Zukunft zu denken. Aber mein Überlebenswille setzte sich gegen die Kopfschmerzen durch.
"Sie haben doch mit dem Mann gesprochen, der immer das Wasser bringt - wie heißt er gleich ...?"
"Kemal."
"Kemal, okay - hat er irgendwas gesagt, wo es hingeht, was man mit uns vorhat und so weiter?"
Erdan stieß ein bitteres Lachen aus. "Sie wollen mich vor ein Militärgericht der PKK stellen. Als abschreckendes Beispiel für alle, die daran denken auszusteigen. Fragen Sie mich aber nicht, wo dieses sogenannte Militärgericht tagt."
"Und wir? Was werden die wohl mit uns machen?"
Er schwieg. Ich merkte, wie er den Kopf von mir abwandte und in die Dunkelheit hineinseufzte. Das gefiel mir nicht.
"Wir sind amerikanische Staatsbürger." Wieder diese entschlossene Frauenstimme neben mir. Als wollte sie sich selbst Mut machen. "Ein FBI-Beamter und eine Staatsanwältin! Sie würden sich ja selbst schaden, wenn sie uns nicht freiließen. Nein - sie haben nicht vor, uns zu töten ..."
Ich ließ ihr diese Hoffnung. Zwei Stunden lang wenigstens. Dann sah sie ihren Irrtum selbst ein ...
Das Bild Saddam Husseins lächelte gütig auf Isa Samaras Rücken hinab. Der Mann auf dem Bild war weit weg. Allah sei Dank! Der irakische Geheimdienstoffizier war in diesen Tagen gottfroh, nicht in seiner Heimat Dienst tun zu müssen.
Die Anrufe, die seit gestern aus Bagdad hier, in seinem Stützpunkt in Havanna eingingen, wurden von Mal zu Mal einsilbiger. Zu Hause hätte man ihn längst zu einer vorgesetzten Dienststelle zitiert. Und je nach Laune des Präsidenten würde er vielleicht schon unter Hausarrest stehen und in seiner Wohnung auf die Schergen der Staatspolizei warten.
Die Aktion, mit der Yoshkun Erdan gefangen genommen werden sollte, war gründlich schiefgelaufen. Und hatte einen einzigen Scherbenhaufen hinterlassen.
Jede amerikanische Zeitung, die er kriegen konnte, ließ sich Samara ins Büro bringen. Gierig verschlang er die Berichte über das Blutbad in New York City. Erdan war entkommen. Angeblich verschwunden. Zusammen mit zwei US-Bürgern.
Wenn wenigstens Cortez, dieser Versager, tot wäre! Aber er lag schwer verletzt auf einer Intensivstation. Samara hoffte inständig, der Kubaner würde nie mehr aus seinem Koma erwachen.
Bis jetzt machten die Amerikaner nur Druck auf Castro. Natürlich nicht über die offiziellen diplomatischen Kanäle. Seit gestern boykottierten sie den Fährbetrieb nach Florida. Zwei Kreuzer hatten kubanische Gewässer durchquert und ein Jagdbomber-Geschwader den Kubanischen Luftraum verletzt. Aber wenn sie erfuhren, dass der irakische Geheimdienst hinter der Schießerei steckt ...
Samara malte sich die Krise lieber nicht aus, die dann unausweichlich war. Und die Konsequenzen für sein persönliches Schicksal erst recht nicht.
Auch aus dem Hauptquartier des kubanischen Geheimdienstes kamen frostige Anrufe. Die leitenden Offiziere mussten aus amerikanischen Medien zur Kenntnis nehmen, dass auf amerikanischem Boden Operationen kubanischer Geheimdienstleute stattgefunden hatten, von denen sie nichts wussten.
Man forderte eine Erklärung von dem irakischen Geheimdienst-Offizier. Hassan, Samaras Adjutant, bastelte gerade an einer wolkigen Lügengeschichte.
Seinem eigenen Hauptquartier in Bagdad allerdings konnte Samara keine Lügengeschichte vorsetzen. Er hatte behauptet, den Kontakt zu dem Kommando verloren zu haben, wisse aber aus sicherer Quelle, dass Erdan gefangen genommen wurde.
So saß er also schweißgebadet am abgeschabten Schreibtisch seines Büros und versuchte zu retten, was zu retten war. Seine Knollennase hatte eine tiefrote Färbung angenommen, ständig leckte er sich über seinen buschigen Schnurrbart, und sein Aschenbecher füllte sich mit Kippen.
Er telefonierte mit sämtlichen Außenposten, versuchte die Kubaner zu überreden, ihm Schiffe und Flugzeuge zur Verfügung zu stellen, und scheuchte seine Leute hin und her.
In seiner ersten Wut über den Fehlschlag hatte er Befehl gegeben, Ibrahim Erdan hinzurichten. Die Vollzugsmeldung sechs Stunden später hatte ihm nicht die Spur einer Genugtuung verschafft.
Codierte Nachrichten von Agenten aus den kurdischen Autonomiegebieten im Norden des Iraks gingen ein. Einem Kommando der PKK sei es gelungen in New York City zu landen. Auftrag: Den potentiellen Öcalan-Nachfolger Erdan zu verschleppen.
Samara stutzte. Hinweise darauf, dass Erdans eigenen Leute es waren, die seinem Killer in der Manhattaner Bank dazwischengefunkt hatten, lagen ihm zwar schon seit ein paar Tagen vor. Aber jetzt wusste er endlich Genaueres. Sogar den Namen des Kommandoführers hatte der Informant gefunkt: Oran Kurdün.
Die Wut packte ihn: Sollte es wirklich wahr sein, dass nicht nur Yoshkun Erdan, sondern sogar der abgebrühte Fidelio Cortez, sein Killer, diesem kurdischen Lumpengesindel in die Falle gegangen war?!
Dann ein Anruf aus Bagdad. Samara stand stocksteif neben seinem Schreibtisch. Seine Hand klebte feucht am Telefonhörer. Die Stimme am anderen Ende der Leitung klirrte vor Kälte - der stellvertretende Chef des Geheimdienstes. Samara habe vierundzwanzig Stunden Zeit Erdans Gefangennahme zu melden. Ansonsten solle er seinen Stuhl räumen und zurück nach Bagdad fliegen.
Samara knirschte mit den Zähnen. Nervös fummelte er die letzte Zigarette aus seiner Schachtel. Er rief seinen Adjutanten an. "Besorg mir eine Stange Zigaretten, Hassan!", brüllte er in den Hörer.
Danach saß er grübelnd an seinem Schreibtisch. Diese verdammten Kurden. Er schwor sich, Rache an ihnen zu nehmen.
Nicht einmal vier Stunden später wieder eine codierte Nachricht. Ein Agent aus Beirut hatte in Erfahrung gebracht, dass ein leerer Öltanker von Halifax, Kanada, unterwegs in seinen Heimathafen Beirut war. Der Tanker hieß >Tripolis<. Er fuhr unter libanesischer Flagge und kreuzte zurzeit in den Gewässern vor der amerikanischen Ostküste. Kapitän und Steuermann waren angeblich türkische Staatsbürger - Kurden.
Samara war wie elektrisiert. Er rief den kubanischen Geheimdienst an und redete mit Engelszungen, bis man sich bereit erklärte das Seegebiet vor der amerikanischen Ostküste mit Radar abzusuchen.
Die Erfolgsmeldung kam gegen Mitternacht, also noch einmal drei Stunden später. Der Öltanker lag hundert Seemeilen südöstlich von New York City vor Anker. Ein Kubanischer Zuckerfrachter hatte sogar Funkkontakt mit der Tripolis aufgenommen. Angeblich habe der Tanker einen Maschinenschaden. Der Kapitän lehnte die Hilfe der Kubaner ab.
Samara schäumte vor Wut. Für ihn lag auf der Hand, dass es den Kurden gelungen war, Erdan mit einem Schiff aus Manhattan herauszubringen. Ohne Zweifel würden sie versuchen, die >Tripolis< zu erreichen und ihre Gefangenen nach Beirut zu bringen.
Außer sich vor Zorn ließ er seinen Kommandostab zusammentrommeln. Er schilderte die Situation und verlangte von seinen Offizieren Lösungsvorschläge.
"Der Zuckerfrachter muss seine Fahrt stoppen", schlug sein Adjutant schließlich vor. "Er ist unsere einzige Chance. Und dann brauchen wir einen Helikopter, der unsere Einsatztruppe hinfliegt."
"Dann häng dich ans Telefon und telefonier mit dem kubanischen Kriegsministerium!", brüllte Samara.
Die Offiziere verzogen sich. Samara setzte sich an seinen Schreibtisch und rief einen kleinen Militärstützpunkt im Norden des Iraks an. Der Stützpunkt, wo man vor ein paar Stunden Erdans Bruder hingerichtet hatte.
Ein Leutnant namens Chaban meldete sich. Samara ließ sich mit einem Geheimdienstoffizier verbinden. "Die PKK tanzt uns auf der Nase herum", fauchte Samara. "Schicken Sie eine Einheit in die Berge. Sie sollen eine Strafexpedition gegen das Dorf unternehmen, in dem Sie Erdans Bruder verhaftet haben. Und Sie sollen noch ein paar seiner Familienmitglieder gefangen nehmen."
Grimmige Befriedigung erfüllte ihn, als er auflegte. Sie währte nur ein paar Minuten. Bis sein Adjutant mit der Nachricht in sein Büro kam, dass die Kubaner sich weigerten, den Frachter zu stoppen und einen Helikopter zur Verfügung zu stellen.
Samaras Nerven lagen blank. Er tobte herum. Aber nicht lange. Die Zeit wurde knapp. "Gut!", schnaubte er. Er zog seine Uniformjacke aus. "Besorg uns beiden zivile Kleidung. Wir sprechen bei Castro persönlich vor ..."
Die Neuigkeit schlug ein wie eine Bombe: Ein Hochseeangler hatte sich in der FBI-Zentrale gemeldet. Er war genau zu dem Zeitpunkt aus dem Hafen gelaufen, als die Schießerei am Pier 28 losging.
"Von seinem auslaufenden Schiff aus will er gesehen haben, wie ein schwarzhaariger Mann in dunklem Jackett von der Anlegestelle auf eine Yacht gesprungen ist." Jonathan McKee präsentierte die Nachricht seinen Agenten am Abend des zweiten Tages nach dem Blutbad. Milo Tucker, Medina, Jay Kronburg, Leslie Morell und Clive Caravaggio saßen am Konferenztisch des Chefzimmers. Atemlos lauschten sie dem Bericht ihres Chefs.
"Die Personenbeschreibung passt auf Jesse, auch wenn sie nicht besonders genau ist", fuhr der SAC fort. "Das Schiff des Zeugen fuhr in fast hundert Meter Entfernung an der Yacht vorbei. Der Mann will ein Handgemenge an Bord beobachtet haben. Nur eine Stunde später sei die Yacht bei Coney Island an ihm vorbeigezogen."
Wie wegblasen plötzlich die Depression, die sich auf das gesamte Team gelegt hatte, seit Jesse Trevellian als vermisst galt.
"Ich wusste es", platzte Milo heraus. "Ich wusste, dass er lebt!"
"Dass er wahrscheinlich lebt", unkte Jay. "Du weißt nicht, was sie mit ihm angestellt haben."
"Es gibt eine Chance, dass er lebt, und wir müssen sie ausschöpfen." Clive wandte sich an Jonathan McKee. "Ist die Küstenwache verständigt, Sir?"
Der Special-Agent of Charge nickte. "Und die Navy. Ein Spezialflugzeug und einige Helikopter suchen das Seegebiet zwischen Norfolk und Miami ab."
"Ein verflucht großes Gebiet", knurrte Jay. "Man könnte genauso gut eine Nadel im ..."
Der SAC winkte ab. "Clive hat vollkommen recht!" Jonathan McKee wollte die aufgekommene Hoffnung nicht dämpfen. "Wir haben einen Anhaltspunkt, dass Jesse am Leben ist. Alle weiteren Aktionen werden genau davon ausgehen."
Er presste die zusammengelegten Fingerspitzen an die schmalen Lippen. Ein Zeichen konzentrierter Arbeit hinter seiner hohen Stirn. "Fassen wir noch einmal zusammen, Gentlemen." Er machte eine Handbewegung zu Clive Caravaggio hin. "Bitte, Clive."
"Ich halte Kontakt mit der CIA", begann Clive. "Die Kollegen aus Langley berichten, dass Havanna jede Beteiligung an dieser Sache aufs Heftigste dementiert."
"War nicht anders zu erwarten", warf Orry ein.
"Nur neigt unser Geheimdienst dazu, diesem Dementi zu glauben. Sie fragen sich, aus welchem Grund Kuba sich an der Entführung eines kurdischen Extremisten beteiligen sollte."
"Nicht von der Hand zu weisen", sagte Jonathan McKee. "Was ist mit den verletzten Kubanern?"
"US-Amerikaner kubanischer Herkunft", korrigierte Clive. "Zwei sind noch nicht ansprechbar, die anderen beiden schweigen sich aus. Allerdings: Einer von den beiden, die noch im Koma liegen, wird in Mexiko wegen Mordes gesucht. Er heißt Fidelio Cortez. Die Kollegen in Mexiko City halten ihn für einen Profikiller. Er war früher Mitarbeiter des kubanischen Geheimdienstes und scheint von Miami aus zu operieren. Dort hat er eine Wohnung. Er soll brandgefährlich sein."
"Jemand könnte ihn also engagiert haben, um diesen Erdan auszuschalten." Leslie nahm den Faden auf. "Nur für wen ist dieses kleine Licht so wichtig, dass man ihm einen Killer bis nach New York City nachschickt?"
"Die CIA glaubt nicht, dass er ein so kleines Licht ist", sagte Clive. "Immerhin soll er als Öcalan-Nachfolger im Gespräch gewesen sein. In Langley hält man es für möglich, dass ein Staat in die Angelegenheit verwickelt ist, der sich mit dem Kurdenproblem herumschlagen muss."
"Also die Türken oder die Syrer", schaltete Milo sich ein.
"Oder die verdammten Mullahs in Teheran", knurrte Jay.
"Oder Bagdad." Jonathan McKee lehnte sich zurück. "Lassen Sie uns diese Theorie im Hinterkopf behalten, Gentlemen. Sie scheint mir nicht ganz abwegig zu sein. Ich hab' mir die Unterlagen aus Langley angeschaut. Dieser Yoshkun Erdan hat eine Menge Anhänger, die sich in grenznahen Dörfern im Nordirak verschanzt haben. Alles PKK-Kämpfer."
Er sah Milo an. "Sie waren heute im letzten Unterschlupf des Kurdenkommandos, Milo?"
"Ja, eine kurdische Familie in der Lower East Side. Der zwölfjährige Sohn hat das Fünfte Revier verständigt. Dadurch wussten wir, dass Erdan mit der Staatsanwältin zum Pier 28 unterwegs waren. Ein hellwacher Junge. Sie haben seinen Vater als Geisel mitgeschleppt. Damit keiner aus der Familie die Polizei verständigt. Kemal Sayan heißt der Mann. Vor fünfzehn Jahren eingewandert. Fährt seit sechs Jahren Taxi, nachdem er mit einem türkischen Restaurant gescheitert ist."
"Was hat die Familie gewusst?", der Chef wollte auf den Punkt kommen.
"Nur Ungefähres. Sie waren zwei Tage lang praktisch Gefangene in der eigenen Wohnung. Der Junge hat noch am meisten mitgekriegt. Sie wollten einen Freund seines Vaters überfallen - Yoshkun Erdan. Irgendwie ist die Familie sogar mit ihm verwandt. Der Junge glaubt, dass Erdan in den Nahen Osten verschleppt werden soll. Er hat geheult wie ein Schlosshund. Ich musste ihm versprechen, ihm seinen Vater wiederzubringen."
Für ein paar Sekunden betroffenes Schweigen. Schließlich räusperte sich Clive. "Es sieht also ganz danach aus, als hätte dieses Kurdenkommando genau in dem Augenblick zugegriffen, als Erdan sich den Kubanern stellte."
"Und wir haben sie in dem ganzen verdammten Durcheinander kaum wahrgenommen", knurrte Jay.
"Die Sache ist uns vollkommen aus dem Ruder gelaufen", bestätigte Orry.
"Lassen Sie uns jetzt nicht in der Vergangenheit wühlen, Gentlemen", sagte Jonathan McKee. "Wir wollen nach vorn schauen und alle Kraft investieren, um Jesse aus den Händen dieser Extremisten zu befreien. Zunächst aber müssen wir abwarten, bis die Yacht entdeckt wird."
Später verließ Milo mit Orry und Clive die Federal Plaza.
"Komm, Milo!" Orry klopfte Milo auf die Schulter. "Lass uns in den North Star Pub gehen - wir können einen Drink brauchen."
Milo winkte ab. "Ist mir nicht nach", brummte er. "Wo ist denn hier die nächste Kirche?"
Die Kollegen sahen ihn ungläubig an. "Seit wann betrittst du eine Kirche?"
"War schon seit Jahren in keiner mehr. Aber heute will ich eine Kerze für Jesse anzünden ..."
Jeder hat so seine Art mit der Verzweiflung umzugehen.
Der Kurde neben mir hatte schon seit Stunden kein Wort mehr gesprochen. Ich versuchte, die Hoffnungslosigkeit und die Schmerzen mit angenehmen Bildern zu vertreiben - stellte mir von, wie ich mit Milo in unserer Stammpizzeria sitze und Pizza esse, wie ich am Konferenztisch des Chefzimmers sitze und Mandys guten Kaffee schlürfe und so weiter. In Gedanken fuhr ich durch Manhattan, briet mir in meinem Apartment Eier und lag mit Sarah Boyle, meiner Lieblingsnachrichtensprecherin, im Bett.
Ich sog mich so voll mit angenehmen Bildern, bis jede Faser meines Körpers davon überzeugt war noch einmal lebend nach Manhattan zurückzukehren.
Die Staatsanwältin rechts neben mir hatte eine andere Strategie. Sie fing irgendwann an zu reden. Erzählte von ihrer Kindheit, von ihren irischen Vorfahren, von ihrem katholischen Glauben, von ihrem Job im United States Courthouse. "Glauben Sie an Zufälle?", fragte sie mich schließlich.
"An was sonst?"
Sie ging nicht darauf ein. "Ich habe ein neues Hobby angefangen", sagte sie. "Drachenfliegen." Und dann erzählte sie, wie sie vor ein paar Tagen bei ihrem ersten Drachenflug fast in eine Schlucht gestürzt war.
"Und was hat das mit dem Glauben an den Zufall zu tun?"
"Es war, als wollte mich etwas warnen ..."
Ich kam nicht dazu, sie zu fragen, wer sie ihrer Meinung nach warnen wollte, denn draußen wurden Schritte laut. Die Luke öffnete sich. Kein Licht fiel in unser Gefängnis - es war Nacht. Über dem Schatten, der an der Luke erschien, sah ich ein kleines Stück des Sternenhimmels.
Die leere Wasserkanne wurde herausgeholt, eine neue über die Planken bis an unsere gefesselten Füße geschoben. Der Mann an der Luke zischte etwas Unverständliches. Erdan, neben mir, antwortete. Die beiden Männer wechselten ein paar hastige Worte. Flüsternd und in einer fremden Sprache. Kurdisch, nahm ich an.
Die Luke schloss sich, und wieder herrschte vollkommene Dunkelheit.
"War das Ihr Verwandter?", wollte ich wissen.
"Ja, Kemal", kam es knapp von links.
Etwas in der Stimme des Kurden warnte mich. "Was hat er gesagt?" Schweigen. "Was er gesagt hat, will ich wissen!" Keine Antwort. Plötzlich war ich so hellwach, dass ich sogar meine bohrenden Kopfschmerzen vergaß. "Hören Sie zu, Erdan - wenn etwas Unangenehmes auf uns zukommt, würde ich mich gern darauf einstellen können. Also los! Worum ging es?!"
Rechts neben mir spürte ich den Körper der Frau sich aufrichten. Ich konnte ihren fliegenden Atem hören.
"Sie halten Kurs auf einen libanesischen Tanker. Morgen Vormittag wollen sie mit mir an Bord gehen."
"Und wir?" Die Antwort lag auf der Hand, aber ich wollte sie aus seinem Mund hören.
"Sie wollen die Yacht versenken", kam es leise. "Zusammen mit Emma und Ihnen, Trevellian ..."
Die Frau stöhnte laut. Ich ließ meinen Kopf sinken und schloss die Augen. Die Übelkeit stieg mir wieder aus den Gedärmen. In meinem Hirn schien ein Karussell zu rotieren. Fieberhaft suchte ich nach einer Chance. Ich sah keine.
"Was sollen wir tun, oh Gott ...", flüsterte Emma O'Fancy. "Was sollen wir bloß tun ...?"
Ich zog die Beine an und stieß die Wasserkanne um. Der Stoff meiner noch feuchten Hosen füllte sich aufs Neue mit Wasser. "Rufen Sie diesen Kemal", zischte ich, "wir bräuchten neues Wasser. Und fragen Sie ihn, wie viele Männer an Deck und wie viel in der Kajüte sind."
Erdan tat, was ich verlangt hatte. Minuten später wieder Schritte in unserer Nähe. Die Luke wurde geöffnet. Kemal sah die umgestürzte Kanne und griff danach. Flüsternd sprachen die beiden Kurden miteinander. Danach verzog sich Kemal mit der leeren Wasserkanne.
"Zwei Männer schlafen in der Kajüte", flüsterte Erdan. "Einer steht am Ruder, und einer schiebt mit Kemal Wache an Deck. Kemal bringt gleich frisches Wasser."
Der angestiegene Adrenalinspiegel in meinem Blut trieb mein Hirn zu Höchstleistungen an. "Er soll dem Wächter sagen, dass Emma aus ihren Fußfesseln geschlüpft ist ..." Ich spürte, wie der Körper der Frau neben mir steif vor Schreck wurde.
Kemal kam mit dem Wasser zurück. Erdan flüsterte hastig mit ihm. Der Mann stutzte. Für Augenblicke sah es so aus, als würde er ablehnen. Doch dann nickte er und verschwand.
Emma begann zu zittern. "Reißen Sie sich zusammen, Frau Staatsanwältin", fuhr ich sie an. "Denken Sie an ihren ersten Drachenflug. Das hier ist wie eine Baumlandung - vielleicht haben wir Glück. Und wenn es schiefgeht, haben wir es wenigstens versucht!"
Ich wandte mich nach links. "Das Hauptproblem ist, dass unsere Beine aneinandergefesselt sind, Yoshkun. Verschaffen Sie mir so viel Bewegungsfreiheit wie möglich. Versuchen Sie, den Bewegungen meiner Beine zu folgen."
"Ich verstehe", sagte er heiser.
Kurz darauf wieder Schritte vor der Luke. Als sie geöffnet wurde, blieb mir für einen Augenblick der Atem weg: Nicht zwei, sondern drei Männer erschienen an der Öffnung. Der erste bückte sich, legte eine Waffe auf die Planken und kroch zu uns hin. Er beugte sich über Emmas Beine. Der andere wartete an der Luke. Hinter ihm Kemal. Alles hing jetzt von ihm ab.
Ich stieß mich mit den Ellenbogen ab, riss meine Beine hoch und schlang sie dem Mann um den Hals. Geistesgegenwärtig robbte Erdan ein Stück an mich heran und versuchte, mit seinen Füßen dicht an meinen zu bleiben, sodass mich die Fesseln nicht groß behindern konnten. Der Kopf des Mannes steckte zwischen meinen Knien wie zwischen den Backen eines Schraubstocks - ich riss ihn um und drückte mit aller Kraft zu.
Ich sah genau, wie der Kerl an der Tür seine MP hochriss, doch im nächsten Moment krümmte er sich und ächzte vor Schmerz. Kemal hatte ihm beide Fäuste in den Nacken gerammt.
Der Kerl zwischen meinen Beinen wand sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Seine Nägel gruben sich durch den Stoff meiner Hose in meine Haut. Von links trat Emma nach seinem Unterleib, von rechts Erdan nach seinem Gesicht.
Es war viehisch, und noch heute stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich an diese Horrorszene denke. Aber ich wollte leben, ich wollte Manhattan wiedersehen - um jeden Preis wollte ich das.
Ich spürte, wie die Gegenwehr des Mannes immer schwächer wurde. Schließlich erschlaffte sein Körper zwischen meinen Beinen.
"Sie haben ihn getötet, Trevellian", flüsterte die Frau neben mir.
"Wir haben ihn getötet, Emma."
Kemal hockte schwer atmend auf dem zweiten Mann. Der gab keinen Laut mehr von sich. Aber er atmete noch.
Kemal befreite uns von unseren Fesseln. Wir banden den Bewusstlosen damit. Danach schlichen wir in die Kajüte. Die beiden Schlafenden hatten keine Chance. Wir schleppten sie in den engen Frachtraum und fesselten sie an ihren bewusstlosen Komplizen.
"Das wirst du mir büßen, Kemal!", schrie einer von ihnen. "Mit dem Leben deiner ganzen Familie wirst du dafür bezahlen." Der Mann hieß Oran Kurdün und war der Führer des Kommandos.
Kemal schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. "Für das, was du Ali angetan hast." Später erzählte er mir, wie Kurdün seinem kleinen Sohn einen geladenen Revolver in den Mund geschoben hatte, damit er, Kemal, Erdans Versteck preisgab.
Wir verschlossen die Luke - und fielen uns in die Arme. Wie nahe Menschen sich kommen, wenn sie gemeinsam dem Tod ins Auge sehen.
In der kleinen Kommandobrücke setzten wir uns vor das Funkgerät. Bald hatten wir Kontakt mit der Küstenwache. Wir jubelten.
Zwei Stunden später graute der Morgen. Aus der Dämmerung schälten sich die Konturen eines Schiffes. Erst als wir sicher waren, dass es nicht der libanesische Tanker war, ließen wir die erbeuteten Maschinenpistolen sinken. Wir begannen zu winken und zu schreien. Kemal stellte den Motor der Yacht. Von der Kommandobrücke aus sandte er Leuchtsignale.
Der Frachter näherte sich. Es war ein kubanischer Frachter. "Gott, ich danke dir!", rief Emma immer wieder. "Gott, ich danke dir!"
Mir persönlich wäre ein Schiff der amerikanischen Küstenwache lieber gewesen. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Strickleitern fielen über die Schiffswand auf die Yacht herunter. Erleichtert stieg ich an Bord.
An Deck des Frachters wurden wir von finster dreinblickenden Männern in Empfang genommen. Sie trugen merkwürdige, halbmilitärische Kleidung - Kampfstiefel, Kampfhosen, Uniformjacken ohne Rangabzeichen. Und sie musterten uns mit unverhohlener Feindseligkeit.
Noch bevor ich richtig umschalten konnte - von Erleichterung auf Verteidigung -, stürzten sich vier Männer auf mich.
Ich schlug um mich, trat nach allen Seiten aus - aber vier Männer waren zu viel für meinen entkräfteten Körper. Handschellen schlossen sich um meine Handgelenke. Auch die anderen wurden gefesselt. Yoshkun und Emma hatten Gesichter wie Wachspuppen. Kemal redete erregt auf die Männer ein.
Der Anführer unseres Empfangskomitees schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Es war ein bulliger Mann mit einer Knollennase und einem buschigen Schnurrbart. Kemal taumelte mit blutender Nase gegen die Wand der Deckaufbauten. Der Mann drehte sich zu Erdan um und brüllte ihn an. In einer Sprache, die ich nicht kannte.
Einige seiner Leute hängten sich Schnellfeuergewehre um und kletterten über Bord zurück auf die Yacht. Zwei weitere Männer mit großen Äxten folgten ihnen.
Über die Reling hinweg sah ich, wie sie die Luke zu dem kleinen Frachtraum aufrissen. Einer richtete eine Stablampe in unser ehemaliges Verlies. Er nickte seinen Komplizen zu und trat beiseite. Zwei andere Männer hielten mit ihren Gewehren in den engen Raum. Sie feuerten ein ganzes Magazin leer. Ich begriff nichts, rein gar nichts.
Dann packten sie Erdan, Emma und mich und stießen uns auf eine Luke in den Deckplanken zu. Schon wieder ein Frachtraum. Emma und Erdan wurden in die Luke hineingestoßen. Bevor ich in der Dunkelheit verschwand, sah ich, wie der bullige Schnurrbart Kemal an die Reling führte. Er setzte ihm einen Pistole ins Genick und drückte ab. Ich hörte seine Leiche auf dem Wasser aufschlagen.
Meine Nerven flatterten, als ich in die Dunkelheit des Frachtraums eintauchte. Die Luke über mir fiel krachend zu. Nur noch dumpf drangen Axtschläge durch die Schiffswand. Sie versenkten die Yacht. In den Tiefen des Schiffskörpers sprang eine Dieselmaschine an.
Erst viel später fand ich meine Sprache wieder. "Was sind das für Leute, Erdan ...?"
"Irakis ...", kam es heiser aus der Dunkelheit. "Geheimdienst ..."
Duxbury machte die Familie ausfindig, bei denen das Kurdenkommando untergeschlüpft war. Und er stöberte den Hochseeangler auf, der gesehen hatte, wie ein FBI-Agent an Bord einer Yacht gesprungen und dort überwältigt wurde.
So sagte der Mann das zwar nicht, aber so schrieb es Duxbury. Die halbe Nacht arbeitete er an der Story. Der Druck der New York Post wurde um eine halbe Stunde verzögert, um die Sache brandaktuell bringen zu können.
Im Lauf des Vormittags rief Milo Tucker in der Redaktion an. "Alle Achtung, Duxbury - Sie sind ganz schön auf Zack, das muss ich Ihnen lassen." Der FBI-Mann wirkte überraschend aufgeräumt. "Ich geh' davon aus, dass Sie uns informieren wenn Ihre dubiosen Informationsquellen Neuigkeiten ausspucken, die für uns interessant sein könnten."
"Kein Problem, G-Man. Aber immer nach dem Grundsatz >eine Hand wäscht die andere<, okay?" Der Agent brummte eine halbherzige Zustimmung. "Haben Sie etwas von Ihrem verschwundenen Partner gehört?"
"Nein." Damit war das Gespräch beendet.
Duxbury wurde das Gefühl nicht los, dass der FBI-Mann ihn angelogen hatte. Noch am selben Vormittag bekam er die Bestätigung. Ein Mitarbeiter der Küstenwache, einer von Duxburys vielen Informanten, rief ihn im Redaktionsbüro an. "Ich hab' ne brandheiße Nachricht für dich, Roger."
"Lass hören."
"Die ist fünfzig Dollar wert."
"Lass hören."
"Wir haben heute in aller Frühe einen Notruf von einer Yacht empfangen. Ein FBI-Agent hat sich gemeldet - Jesse Trevellian. Das ist doch der Typ, der seit dieser Schießerei am Hudson verschwunden ist ..."
Duxbury ließ sich seine Erregung nicht anmerken. "Du rufst genau eine halbe Stunde zu spät an - ich hab' exakt dieselbe Information aus der Federal Plaza gekriegt. Aber wenn du mir den genauen Wortlaut des Funkspruchs durchgibst und vielleicht noch die Position der Yacht, dann ist das zumindest zwanzig Dollar wert."
Sie einigten sich auf dreißig Dollar, und der Informant gab Duxbury, was der wollte.
Der Chefredakteur war begeistert von der Entwicklung. Sie standen vor der Wandkarte und bestimmten die Position der Yacht im Atlantik. Sie befand sich ungefähr auf der Höhe von Jacksonville, Florida. Weit draußen auf dem Atlantik, schon außerhalb der amerikanischen Hoheitsgewässer.
"Ich hab' da eine Idee", sagte Duxbury zu seinem Chef. "Zurzeit sind unsere Leser ganz heiß auf diese Stories. Plötzlich tauchen exotische Gestalten am geistigen Horizont des Durchschnittsmanhatties auf, die sich Kurden nennen. Gestalten, die für ihre Freiheit kämpfen, die um sich schießen und Bomben legen - die sogar bis nach Manhattan fliegen, um irgendeine rätselhafte Aktion durchzuführen."
"Stimmt." Der Chefredakteur sah ihn fragend an. "Und?"
"Wir haben den Appetit unserer Leser angeregt, nun sollten wir sie kräftig füttern. Reportagen über die Kurden müssen geschrieben werden - ihre Geschichte, ihre Gruppierungen, ihre Parteien. Wer sind sie, wo leben sie, wie leben sie und so weiter."
Sein Chef kniff die Augenlider zusammen. Misstrauisch musterte er seinen Starreporter. "Du willst doch nicht etwa verreisen, Roger?"
"Diese Familie in der Lower East Side berichtete mir von einem Dorf in den kurdischen Bergen, im Nordirak - nicht weit von der türkischen Grenze. Dort leben Verwandte von ihnen. Sie haben angedeutet, dass sich dort auch immer wieder PKK-Kämpfer verstecken. Männer wie die, die ihren Vater verschleppt haben."
"Du willst doch nicht etwa dort hinreisen, Roger?"
"Wir verwursten das zu einer ganzen Serie." Duxbury schien seinen händeringenden Chef gar nicht mehr wahrzunehmen. "Nicht nur Kurden, nicht nur Politik - wir bringen Reiseberichte in den Wochenendausgaben, wir bringen orientalische Rezepte, Porträts und so weiter."
"Du verdammter Idiot!", flüsterte sein Chef. "Du bist doch nur scharf auf den Pulitzer-Preis. Wer macht dann deinen Job hier?"
"Ich maile dir jeden zweiten Tag eine Story." Duxbury hatte sich in seine Idee hineingeredet. "Oder jeden dritten." Natürlich dachte er daran, ein Buch zu schreiben. Und natürlich dachte er an den Pulitzer-Preis. "Unsere Leser werden begeistert sein ..."
"Bullshit ..." Der Chefredakteur schabte sich seinen Dreitagebart. "Von mir aus - aber nicht länger als zwei Wochen ..."
Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren - ein paar Stunden, einen ganzen Tag? Sie stülpten uns Säcke über den Kopf, bevor sie uns aus dem Frachtraum des Schiffes holten.
Schwarze, kapuzenartige Säcke - Fantasien von Hinrichtung und Folterung schossen mir durch meinen schmerzenden Schädel.
Kräftige Hände packten mich an Schultern und Armen, stießen mich über Schiffsplanken und Laufsteg. Dann spürte ich Asphalt unter den Schuhsohlen, dann ging's in ein Auto und dann wurden wir weiß Gott wohin gefahren.
Nach etwa halbstündiger Fahrt zerrten sie mich aus dem Wagen. Ich hörte eine Frauenstimme hinter mir seufzen - zumindest Emma war also in der Nähe. Aus den scharrenden Schritten vor mir folgerte ich, dass auch Yoshkun nicht von uns getrennt worden war.
Wieder Asphalt, es ging eine Treppe hinauf, durch Türen und in einen Aufzug. Ich hörte die Lifttüren zischen und spürte das Federn der Kabine unter meinen Füßen.
Eine Männerstimme stieß einen Fluch aus. Ich horchte auf. Was war das für eine Sprache? Spanisch. Und mein nächster Gedanke - Kuba.
Endlich zog mir jemand die schwarze Kapuze vom Kopf. Geblendet kniff ich die Augen zusammen. Ein Stoß in den Rücken ließ mich in einen kleinen Raum taumeln. Ich hörte Emma rufen. Neben mir prallte ein menschlicher Körper dumpf auf den Steinboden.
Ich riss die Augen auf - und blinzelte in eine grelle Neonröhre an einer quadratischen Betondecke. Auch die Wände - nackter Beton. Zwei Pritschen, eine Toilettenschüssel, ein Tisch, zwei Hocker aus schmutzig-gelbem Kunststoff.
Emma stand neben mir und blickte um sich. Ihre Miene wirkte ähnlich begeistert, wie ich mich fühlte. Yoshkun rappelte sich eben vom Boden hoch. Er hockte sich auf eine der Pritschen und vergrub sein Gesicht in den Handflächen.
"Das nenne ich eine Baumlandung", sagte Emma.
"Ja." Ich nickte. "Wir leben noch. Es sei denn, das hier ist der Himmel. Oder die Hölle. Und über mangelnde Abwechslung brauchen wir uns auch nicht zu beklagen."
"Ich glaub' wir leben noch", sagte Emma. "Im Himmel wäre es kühler. Und in der Hölle heißer." Die Zeit des Galgenhumors schien schon angebrochen zu sein. Ein schlechtes Zeichen, fand ich.
Emma setzte sich neben den Kurden auf die Pritsche. Der Mann schien vollkommen zermürbt zu sein. Wenn ich richtig gezählt hatte, war er jetzt in den Händen seines dritten Jägers. Aber so ganz genau durchschaute ich zu diesem Zeitpunkt das Gestrüpp von Terror, Politik und Machtinteressen noch nicht. Dabei befand ich mich schon mittendrin.
Emma legte ihren Arm um den Mann und schmiegte sich an ihn. Zum ersten Mal beneidete ich ihn ...