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Eine Sammlung von Kurzgeschichten, Entwürfen, Fantasien und wahren Begebenheiten und Begegnungen.
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Seitenzahl: 64
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Alle Personen und Handlungen in diesem Buch sind fiktiv.
Bisher von Lupus Egarezzo erschienen:
„Bernsteinhändler“, BoD, 2014
„Vogelinsel“, BoD, 2015
„Drachenrad“, BoD, 2016
„Schattenhunde“, twentysix, 2017
„Mord im Ukranenland“, BoD, 2018
www.legarezzo.de
Wie ein Blatt vom Baume fällt, so geht ein Mensch aus dieser Welt. Die Vögel singen weiter.
(Matthias Claudius 1740-1815)
Safe House
Das Auto und der Grabstein
Der Preis des Brotes
Frankies Geschichte
Durch graue Stahltüren
Stalinsky Village
Angeln
Das letzte Haus
Die zwei Bauern
Der letzte Mann
Der Beobachter
Aale und Wölfe
Der Zug der Kraniche
die graue Villa
liegt romantisch
halb verborgen
hinter einer hohen
ebenso grauen Mauer
mit Splittern
von zerbrochenen Glasflaschen
oben drauf
auf ihrer ganzen Länge verziert
der Baum dahinter
deckt auch noch
das untere Panorama-Fenster
halb zu
aber die Brüstung der Terrasse
im ersten Stock
ragt kühn
über die Zweige hinaus
das Haus gilt als sicher
Kronzeugen
halten sich dort auf
auf der gegenüber liegenden
Straßenseite
lungern zwei Beobachter herum
Samuel und Andy
sie stehen
weit auseinander
und ignorieren sich
die Straße steigt
von unten her
etwas an
führt
aus einer Eisenbahnunterführung
heraus
am Safe House vorbei
und von unten her
tauchen Jimmy und Lee auf
Jimmy und Lee
wandern gemächlich
den Gehsteig entlang
bis zu dem kleinen Törchen
in der mit Glas
verzierten Mauer
sie öffnen das Törchen
gehen den mit Platten
belegten Weg
entlang
bis zur Haustür
klingen
gehen rein
und legen alle um
die sich in dem Haus
ohne Möbel
befinden
Samuel und Andy
stehen
auf der anderen Straßenseite
weit auseinander
und sehen alles
Andy raucht.
Samuel hat
Jimmy erkannt
er versteckt sich
jetzt
in einer Nische
unter der
Eisenbahnunterführung
hatte die Vorbereitungen
beobachtet
sein Gesicht
ist zur kalten
Betonwand gedreht
zwei Zentimeter
vor ihm
Andy steht
immer noch
auf offener Straße
Lee stürzt
aus dem Haus
wird angeschossen
und erkennt
Andy
auf der anderen Seite
Andy geht nachhause
er sammelt
alle Informationen
aus den Zeitungen
schneidet sie aus
legt sie in einen Kasten
macht sich Stichpunkte
seine Frau will das nicht
aber Andy riecht
das große Geschäft
er hat alles gesehen
Lee soll blechen
wenn er
sein Maul halten soll
oder
ihm einen Job besorgen
bei ihm
es ist
Kaffeetafelzeit
bei Andys
Jimmy und Lee
und Samuel
Andy holt
seine Sammlung hervor
breitet sie aus
Samuel schaut
über seine
Tasse hinweg
zum Fenster hinaus
zwei Tage später
kreuzt Lee
wieder auf
bei Andys Frau
will das Kästchen holen
dann
legt er sie um
Andy
ist schon tot
Jimmy
trifft sich
später
mit Samuel
gibt ihm
einen Umschlag
mit Geld
Wenn man an der Stadthalle in Bad Godesberg aus der 857 oder 612 oder irgendeinem anderen Bus aussteigt und sich rechts hält am Haupteingang der Stadthalle vorbei, dann öffnet sich linker Hand der Kurpark und der breite Weg führt an der Rückseite der Stadthalle mit seinem Biergarten und dem Musikpavillon vorbei über die Zufahrtsstraße zum Kleinen Theater bis an eine Gabelung, deren rechter Abzweig zu den Geschäften an der Mainzer Straße und deren linker an den Tennisplätzen vorbei bis an den Zebrastreifen gegenüber dem 1-Euro-Shop führt. Unterwegs stehen Bänke, auf denen häufig ärmere Menschen sitzen, die Plastiktüten mit halbvollen Flaschen zwischen ihren Beinen stehen haben, oder auf deren Lehnen jüngere Menschen sitzen, die Füße auf den Sitzflächen und Kopfhörer über die Ohren gestülpt und ein kleines elektronische Geräten in beiden Händen.
Über den Zebrastreifen am 1-Euro-Shop her passiert man die Bühneneingänge des Theaters, nachdem der Platz benannt ist, auf den man an einem Saftstand vorbei einbiegt. Hier tummelt sich die Welt. Und manch Enthusiast mag sie als bunt bezeichnen, obwohl – zumindest an trüben Tagen – die Hauptfarbtöne eher durch das Grau der älteren Bevölkerung und das Braun-Schwarz der Orientalen geprägt ist.
Auf jeden Fall: steht man vor dem Theater, findet man links das legendäre Insel-Café. Seit Jahrhunderten der In-Treff des gehobenen Godesberger Bürgertums mit Plüsch und Torten und allem, was die Tradition noch übrig gelassen hat.
***
Vor mir auf der blütenweißen Tischdecke hatte der dunkelhäutige Kellner – er schien wohl aus Süd- oder Mittelamerika zu kommen – den georderten Cappuccino mit dem begleitenden Southern Comfort abgesetzt – zwei Dinge, die ich jetzt mit Wohlgefallen betrachtete.
Mein Blick fiel nach draußen auf das Treiben der Menschen am frühen Nachmittag. Und da die Sonne schien, leuchtete doch gelegentlich ein Fetzen Buntes von einem Minikleid oder einem T-Shirt aus der Masse der sonst eher gedämpften Farbtöne hervor.
Meine Aufmerksamkeit wurde auf die Eingangstür des Cafés gelenkt, wo es etwas ungeschickt zuging: zwei alte weiße Männer versuchten, ins Innere zu kommen. Ihr Problem war, dass jeder von Ihnen sich dabei gleichzeitig auf seinen Rollator stützte, und jedes Mal, wenn einer von ihnen die Tür offen halten wollte, sein Freund nicht rechtzeitig nachrückte und so weiter und so fort. Entspannung trat ein, als der freundliche Kellner aus den südlichen Gefilden Ihnen schließlich die Tür aufhielt.
Die beiden alten weißen Männer nahmen zwei Tische entfernt von mir Platz, aber da sie wohl Hörschwierigkeiten hatten, bekam ich das Gros ihrer Unterhaltung problemlos mit.
Der eine war Witwer, wie ich bald heraushörte. Bei dem anderen war ich mir bis zum Schluss nicht sicher. Aber das tut nichts zur Sache. Irgendwann drehte sich alles um Geld. Und es stellte sich heraus, dass beide recht wohlhabend zu sein schienen. Zumindest taten sie so. Sie sprachen über Summen, die sie kürzlich erworben hatten:
„Fünfzehntausend aus dem Verkauf von Immobilienfondsanteilen. Hab alles verkauft.“
„Hab mein Sparbuch aufgelöst. Gibt ja keine Zinsen mehr. Knapp Zwanzigtausend waren noch drauf. Hab ich abgeholt. Die haben ganz schön geguckt.“
Die Männer mochten wohl beide um die achtzig Jahre alt sein oder älter. Dann sprachen sie von etwas anderem. Der eine erzählte von seiner verstorbenen Frau. Aber die schien schon lange tot zu sein.
„Ich hab jetzt endlich einen Grabstein gekauft, von den fünfzehntausend. Das ist gut angelegtes Geld. Für die Ewigkeit.“
„Für die Jahre, die Du das Grab noch hast.“
„Aber ich komm da auch rein.“
„Aber später. Dir fehlt doch nichts. Solange Dein Schrittmacher läuft ….“
„Da steht der Name meiner Frau drauf und ihr Geburts- und Todesdatum. Und mein Name auch schon.“
„Aber Du lebst doch noch.“
„Deshalb steht das Todesdatum ja noch nicht drauf. Das kommt später. Das machen die anderen.“
„Hoffentlich.“
Sie sprachen von Krankheiten. Der mit dem Grabstein hatte einen Herzschrittmacher und ein chronisches Nierenleiden, brauchte aber noch nicht zur Dialyse. Der andere war Diabetiker und hatte Bluthochdruck. Beide hatten Rückenprobleme, weshalb sie die Rollatoren fuhren.
Sie sprachen von Kreuzfahrten: Mittelmeer, Nordkap, auf dem Rhein nach Budapest. Sie verglichen Kabinenqualität, die Essensbuffets, die Service-Qualität. Dann hatte sich der Kreis wieder geschlossen.
„Meinst Du nicht, dass das eine gute Investition war?“
„Was für eine Investition?“
„Der Grabstein.“
„Ich weiß nicht.“
„Und was hast Du mit dem ganzen Geld gemacht – die Zwanzigtausend?“
„Hab mir ein neues Auto gekauft. Hab mein altes in Zahlung gegeben. Sollst mal sehen. Nagelneu und hellblau.“
Ich winkte dem Kellner, zahlte, quetschte mich an den beiden Rollatoren vorbei und stand fünf Minuten später auf dem Theaterplatz in der Nachmittagssonne.
„Flottes Kerlchen, dieser Brasilianer“, dachte ich und atmete tief durch.
Riga, im Herbst 2004 nach Lettlands EU-Beitritt.
Novemberabend im fernen Lettland. Ich stehe auf der Brücke über die Daugava. Unter mir treiben Eisschollen auf dem Fluss. Es hat aufgehört zu schneien. Und gegenüber leuchtet die Märchenkulisse der Altstadt von Riga im Schnee.