Star Trek – Discovery: Der ewige Ort - Dave Galanter - E-Book

Star Trek – Discovery: Der ewige Ort E-Book

Dave Galanter

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Beschreibung

Die Spezialität der U.S.S. Discovery ist es, mit ihrem Sporen-Antrieb über große Entfernungen zu springen, und zwar schneller als jedes warpfähige Schiff der Sternenflotte. Zu diesem Zweck steuert Lieutenant Paul Stamets das Schiff durch das kürzlich entdeckte Myzel-Netzwerk, eine Subraumspähre, die die Discovery kurzzeitig durchqueren, in der sie aber nicht bleiben kann. Nachdem die Besatzung der Discovery auf einen überraschenden Notruf aus dem Netzwerk reagiert hat, findet sie sich in einem Bereich wieder, in dem sie umkommen wird, wenn sie den fehlenden Treibstoff nicht findet oder wiederherstellen kann. Ist der Mann, der allein und lebendig innerhalb des Netzwerks gefunden wurde, der Sternenflottenoffizier, für den er sich ausgibt, oder ein Betrüger, der von außerirdischen Eindringlingen erschaffen wurde, die hoffen, sich auf Kosten aller Leben an Bord der Discovery aus der myzelischen Ebene zu befreien?

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DER EWIGE ORT

Von

DAVE GALANTER

Based onStar Trekcreated by Gene RoddenberryandStar Trek: Discoverycreated by Bryan Fuller and Alex Kurtzman

Ins Deutsche übertragen vonAnika Klüver

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – DISCOVERY: DER EWIGE ORTwird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler, Übersetzung: Anika Klüver;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Telma Vahey;Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster; Cover Artwork: CBS Studios Inc.;Print-Ausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohorelice. Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – DISCOVERY: DEAD ENDLESS

German translation copyright © 2022 by Cross Cult.

Original English language edition copyright © 2019 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2019 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc.All rights reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-96658-576-7 (April 2022) · E-Book ISBN 978-3-96658-577-4 (April 2022)

WWW.CROSS-CULT.DE • WWW.STARTREKROMANE.DE • WWW.STARTREK.COM

Für Delilah, Alden und Imogen

Zeit ist zu langsam für jene, die warten,zu schnell für jene, die sich fürchten,zu lang für jene, die trauern,zu kurz für jene, die glücklich sind,aber für jene, die lieben, ist Zeit Ewigkeit.

– HENRY VAN DYKE

INHALT

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

EPILOG

DANKSAGUNGEN

1

Logbuch des Captains, Nachtrag.

Die Discovery befindet sich auf dem Weg zur Mantilles-Kolonie, um einem Bericht darüber nachzugehen, dass es dort einen möglichen Ausbruch von symbalesischem Blutbrand gegeben hat. Dies ist der sechzehnte Notruf dieser Art, auf den wir innerhalb der letzten paar Tage reagiert haben, während wir versuchen, die weitere Ausbreitung dieser ansteckenden Krankheit zu verhindern. Mister Stamets hat eine bewundernswerte Leistung an den Tag gelegt, da der Einsatz des Sporenantriebs die einzige Möglichkeit darstellt, schnell zwischen den infizierten Kolonien hin und her zu reisen. Aber ich habe Bedenken bezüglich der Anforderungen, die ihm diese Mission als Einzelperson abverlangt.

»Paul?«

Hatte da jemand wirklich seinen Namen gesagt, oder war das nur ein Schnaufen der Kühleinheit in seinem Raumanzug, die sich einschaltete? Falls es eine Stimme war, war sie nicht aus dem Kommunikator gekommen. Außerdem hätte das Protokoll verlangt, dass man ihn als Lieutenant oder Mister Stamets ansprach, es sei denn, es handelte sich um einen Notfall.

Es fühlte sich jedoch nicht wie ein solcher an.

Der Wald erstreckte sich endlos um ihn herum. Er wusste, dass dies die Myzelebene war, auf der die Sporen in funkelnden Wirbeln umhertanzten, angeregt durch jede seiner Bewegungen. Hyphen so dick wie Baumstämme, kleine, rot leuchtende Pilzsprösslinge, breite, überall verteilte bläulich durchschimmernde Biota und zahllose miteinander verwobene Massen aus Myzelstängeln, wie jene, die er auf dem Schiff züchtete. Doch das hier war um Klassen vielfältiger und breiter gefächert als die Exemplare in der Zuchtstation an Bord der Discovery. Bislang hatte er diese Station immer als Wald betrachtet. Aber das hier ist ein echter Wald, dachte er, während er mit einer behandschuhten Hand den dunklen Stamm eines Pilzbaums berührte.

Das, was ich habe, ist ein Blumenkasten.

»Paul?« Es war das gleiche Flüstern wie vorhin.

Er schaute sich um, entdeckte aber niemanden.

Er war allein.

Der Waldboden war uneben. Er verlor beinahe das Gleichgewicht, schien sich aber aufrecht halten zu können, ohne es bewusst zu versuchen. Es fühlte sich fast so an, als hätte der Wind ihn oben gehalten und seinen Sturz dadurch verhindert.

Voller Erstaunen angesichts eines vollkommen neuen Ökosystems bewunderte Paul Stamets die Vielfalt. Er sah Vertreter aus dem gesamten Königreich der Pilze, außerdem drei weitere, die sich zumindest nach seinem Verständnis der Astromykologie einer Einordnung entzogen. Wie viele mochte er noch entdecken?

Ich will hier leben, dachte er. Ich will diesen Ort nie wieder verlassen.

»Ahhhh.« Es war mehr als ein Flüstern. Ein Jammern?

Stamets fuhr herum. »Das klang wie ein Schluchzen«, sagte er zu sich. Während er sich umwandte, glaubte er, in der Ferne eine Gestalt zu erkennen, doch genau in diesem Augenblick verschwand sie.

Der schimmernde Wald brach in einem Wirbel aus funkelnden Sporen in sich zusammen.

Ein weißes Aufblitzen folgte … und es war vorbei.

»Sequenz abgeschlossen.« Der Computer verkündete das Ende eines Myzelsprungs. Für Stamets fühlte es sich weniger wie ein Sprung an, vielmehr wie ein Tanz, und er verlor sich oft darin. Manchmal, so wie dieses Mal, hatte er den Traum.

»Alles okay?« Ensign Sylvia Tilly schaute von ihrer Konsole auf, während das Besatzungsmitglied neben ihr den Sporenbehälter aus der Injektionskonsole zog, um ihn wieder in der Lagervorrichtung zu verstauen.

Er sah sie aus dem Augenwinkel, aber sein geistiges Auge war immer noch sehr viel stärker auf die lebhaften Bilder aus seiner Vision als auf sie gerichtet.

»Lieutenant?« Tilly hatte eindeutig bemerkt, dass etwas nicht stimmte.

»Ja.« Er zwang sich dazu, sich auf sie zu konzentrieren. »Alles in Ordnung.« Das überzeugte sie vermutlich nicht. Er war ja nicht einmal selbst davon überzeugt.

Die biomechanischen Shunts, über die er mit dem Navigationscomputer des Sporenantriebs gekoppelt gewesen war, zogen sich zurück und entließen ihn aus der Verbindung. Er verspürte ein leichtes Ziehen, und die Haut unter den Implantaten juckte an einer Stelle, die er unmöglich erreichen konnte, also kratzte er sich darum herum. Es spielte ohnehin keine Rolle – das Gefühl verging ebenso schnell, wie es gekommen war.

Er sammelte sich, krempelte die Ärmel seiner Uniform herunter und wartete darauf, dass sich die Tür der Reaktionskammer öffnete.

»Sie wirken falsch, Sir«, sagte Tilly, als sie ihm eine Flasche mit Wasser anbot.

»Falsch?« Er lehnte das Getränk mit einer winkenden Handbewegung ab und starrte sie an. Er hoffte, sie damit zu verunsichern.

»Ich meine nicht, dass Sie in Bezug auf irgendetwas falsch wirken – außer vielleicht in Bezug darauf, dass Sie in Ordnung sind, aber … Sie scheinen irgendwie ein wenig neben der Spur zu sein.«

Er starrte sie weiter streng an.

»Verärgert«, sagte sie schnell und hielt ihm die Flasche erneut hin. »Jetzt ist es eindeutig eher Verärgerung. Ich meine nicht, dass ich verärgert bin …«

»Es geht mir gut, Ensign. Versprochen.« Er schüttelte den Kopf, um die Wasserflasche ein zweites Mal abzulehnen. »Ich bin nicht durstig.« Eigentlich war er es, aber er wollte Tillys aufdringlicher Fürsorge nicht nachgeben. Er schob sich an ihr vorbei, betrachtete die Anzeige mit den Daten des Sprungs und hielt nach Anomalien Ausschau, von denen er wusste, dass er sie nicht entdecken würde, weil er sie gespürt hätte … Aber Gefühle konnte man eben nicht in einen Bericht packen.

»Es scheint nur so, dass diese letzten paar Sprünge Sie sprunghaft gemacht haben. Ich nenne es sprunghaft. Ha!«

»Ganz ruhig, Tilly. Entspannen Sie sich.« Er schürzte die Lippen und hob eine Hand.

»Oh, okay. Ja.«

Stamets mochte Tilly. Praktisch niemand wusste seine Arbeit so sehr zu schätzen wie sie. Vielleicht noch Justin Straal, der sie mit ihm zusammen begonnen hatte, aber sie waren jetzt älter. Tilly war jung, voller Begeisterung und grenzenloser Energie. Auch in sich selbst spürte er diese Tatkraft noch, aber sie war nicht mehr ganz so grenzenlos, wie sie es früher einmal gewesen war.

»Ich werde einen Gang zurückschalten«, versprach sie.

Er holte tief Luft und versuchte, seinen Tonfall sanfter klingen zu lassen. »Hören Sie, in letzter Zeit musste ich einfach eine Menge Sprünge durchführen und hatte so gut wie keine Freizeit. Ich bin nur … Keine Ahnung, ich schätze, dass ich mich da drinnen in Tagträumen verliere. Manchmal ist es schwierig, sich davon loszureißen.«

»Das verstehe ich. Oder zumindest kann ich es nachempfinden. Es ist nur … Ich mache mir Sorgen um Sie, wissen Sie?«

Er setzte sein freundlichstes Es-geht-mir-gut-Grinsen auf. »Erlaubnis zum Sorgenmachen verweigert.«

»Aber das ist irgendwie mein Ding.« Sie lächelte nervös.

»Verweigert, Ensign«, knurrte er strenger, als er es beabsichtigt hatte.

»Ja, Sir.« Tillys Augen funkelten. Ihr zu fröhliches Einverständnis besserte seine Laune nicht so, wie es der Fall hätte sein sollen.

Als sich Stamets in Richtung Tür wandte, erschien Crewman Enav mit einem Bericht für ihn, doch er bedeutete ihr, sich damit an Tilly zu wenden.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte Enav, als diese nach der Datenkarte griff.

»Alles in Ordnung, Orna«, versicherte ihr der Ensign. »Keine Sorge.«

Tilly, dachte Stamets, Sie sind eine furchtbar schlechte Lügnerin.

Commander Saru näherte sich Stamets, nur einen Augenblick bevor es ihm gelungen wäre, durch die Tür seines Quartiers zu schlüpfen und so zu entkommen. »Mister Stamets, geht es Ihnen nicht gut?«

Er hatte den hochgewachsenen kelpianischen Ersten Offizier im Gang gesehen, als er aus dem Turbolift getreten war, hatte aber jeglichen Blickkontakt vermieden und gehofft, dass Saru Mitleid zeigen und ihm ein wenig dringend benötigte Ruhe gönnen würde. »Doch, Sir. Ich bin nur müde. All diese Sprünge …« Der Astromykologe versuchte, seine Miene so fröhlich und positiv wie möglich wirken zu lassen. »Warum fragen Sie?«

Saru zögerte, strich seine Uniformjacke glatt und neigte seinen Kopf zu dem Menschen hinunter. »Trotz Ihrer Beteuerungen spüre ich, dass etwas nicht in Ordnung ist, Lieutenant.« Kelpianer verließen sich mehr als andere Spezies auf ihre Intuition. Und Saru neigte dazu, sich von seinen Ganglien leiten zu lassen.

»Es geht mir gut, Sir«, versprach Stamets und lugte kurz nach oben, um zu sehen, ob Sarus Gefahrganglien tatsächlich aufgetaucht waren. Doch sie waren nicht zu sehen. »Ich war nur in Gedanken versunken.« Eine treffendere Beschreibung wäre aber vermutlich gewesen, dass er in einem Gefühl versunken war, beinahe so, als hätte er einen Teil von sich in seinem Myzeltraum zurückgelassen. Es war doch ein Traum gewesen, oder etwa nicht?

»Also gut. Der Captain will sicherlich informiert werden, ob sich diese zahlreichen kurzen Sprünge auf Sie auswirken. Dies ist das erste Mal, dass wir so viele hintereinander durchgeführt haben.«

»Ja, Sir, da ich derjenige bin, der die Sprünge durchführt, ist mir das bewusst«, erwiderte er.

»Durchaus, tja …« Sarus Besorgnis war vernünftig, aber sein Zögern ließ vermuten, dass er nicht bereit war, in der Angelegenheit etwas zu unternehmen. Noch nicht.

Stamets hätte ebenfalls besorgt sein sollen, war es jedoch nicht. »Ich verspreche Ihnen, dass ich die Situation überwachen und mich weiterhin regelmäßig bei Doktor Pollard melden werde.« Stamets hoffte, dass der Erste Offizier es dabei bewenden lassen würde, und rückte so dicht an sein Quartier heran, dass die Tür aufglitt. Saru nickte vorsichtig, wirkte jedoch nicht überzeugt. »Womöglich wird der Captain trotzdem eine Untersuchung anordnen wollen. Unsere derzeitige Mission …«

»Ist wichtiger als die Tatsache, dass ich ein wenig gedankenverloren bin, nicht wahr?« Stamets wusste, dass die Discovery nicht schnell genug zwischen den Kolonien, in denen der symbalesische Blutbrand ausgebrochen war, hin und her reisen konnte, wenn die Ärztin ihm Stubenarrest verordnete. Ohne ihn würde es der Besatzung nicht gelingen, eine weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Gewöhnliche Raumschiffe konnten unter keinen Umständen so schnell dort hingelangen, wenn man bedachte, dass sie sogar mit einem Sporenantrieb sofort losspringen mussten, sobald eine Infektion gemeldet wurde.

Saru breitete seine langen Finger aus, als würde er Spielkarten zwischen ihnen ausfächern. Stamets hatte schon immer den Eindruck gehabt, dass diese Geste die kelpianische Version eines Schulterzuckens war. »Da kann ich Ihnen nicht widersprechen, Mister Stamets, aber ich habe bereits angemerkt, dass wir die Überwachung Ihrer Physiologie nach dem Spleißen Ihrer DNA möglicherweise zu früh eingestellt haben könnten. Wir sollten zumindest Ihr Wohlergehen sehr genau im Auge behalten, nicht nur zu Ihrer eigenen Sicherheit, sondern gerade auch wegen der vielen Leben, die derzeit auf dem Spiel stehen.«

»Bei allem gebotenen Respekt, Sir, ich glaube …« Er ließ seinen Satz unvollendet, weil er nicht sicher war, was er glaubte. »Wissen Sie was? Ich werde mich bei der Ärztin melden und Sie dann über die Ergebnisse der Untersuchung informieren.«

»Ausgezeichnet. Danke.«

»Nein, Sir. Ich danke Ihnen.« Er betrat sein Quartier und hoffte, dass Saru den sarkastischen Unterton in seiner Stimme nicht bemerkt hatte.

Bevor die Tür sich hinter ihm schloss, hörte Stamets noch Sarus Worte: »Ähm, also dann wegtreten, Lieutenant.«

Wenn die Discovery den Sporenantrieb nutzte, war das ebenso unnatürlich wie Warpgeschwindigkeit oder Transporter oder irgendeine andere technische Errungenschaft, an die Stamets gewöhnt war. Aber er hatte sich nie an den Kloß in seinem Hals und den bowlingkugelgroßen Knoten in seinem Magen gewöhnen können – beides Phänomene, die auftraten, wann immer er einen Sprung durchführte, wobei Zeit und Raum um ihn herum zu schmelzen und sich dann neu zu formen schienen. Diese Ereignisse sollten nicht als Sprünge bezeichnet werden, sondern als Trips, hatte er einmal zu Tilly gesagt. Und sobald die Worte über seine Lippen gekommen waren, hatte er sich gewünscht, dass er sie nicht ausgesprochen hätte.

»Pilztrips«, schlug Tilly vor, als die beiden – hauptsächlich Tilly – über den nächsten Sprung sprachen.

»Nein.«

»Durch Verschiebung aktivierte Sporenpartys?«

Stamets stöhnte.

Er kniff ein Auge zu und legte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand ganz dicht zusammen, so als würde er einen Stift halten. »Können wir vielleicht daran arbeiten, dass Sie Ihre Gedanken in Zukunft unausgesprochen lassen?« Er hatte wirklich das Gefühl, dass das eine berechtigte Bitte war.

»Oh, klar, ich verspreche, es zu versuchen«, erwiderte sie fröhlich.

Stamets warf einen Blick auf die Anzeige der Maschinenraumkonsole und überprüfte noch einmal die Koordinaten für den nächsten Sprung. Er konnte die Anzeige problemlos rückwärts lesen. Das und das Lesen über Kopf waren zwei seiner verborgenen Talente. Er schlüpfte durch die Tür der Reaktionskammer und nickte Tilly zu.

»Bereit.«

»Sporenlabor an Brücke. Der Sporenantrieb ist startklar.«

»Verstanden«, erwiderte Airiam über das Interkom. Im Hintergrund hörte Tilly Detmer sagen: »Kurs bestätigt.« Dann befahl der Captain: »Auf geht’s.«

»Schwarzer Alarm«, verkündete der Computer einen Augenblick später. »Schwarzer Alarm.«

Die kinematischen Artikulatoren der Computer-Bio-Verbindung glitten in die Anschlüsse in Stamets’ Unterarmen. Noch während er die Augen schloss … öffnete er seinen Geist.

»Paul? Bist du das wieder?«

Diese Stimme – dieselbe Stimme –, aber … von wo und von wem?

Alles um ihn herum war von funkelnden Sporen erfüllt. Normalerweise waren sie durchsichtig, aber die harmonische Energie in der Reaktionskammer der Discovery regte die Sporen an und brachte sie zum Glühen.

Doch er befand sich nicht mehr im Maschinenraum. Er glaubte nicht, dass er noch an Bord der Discovery war. Dennoch trug er keinen Raumanzug, so wie es in seinem letzten Traum der Fall gewesen war. Er atmete normal und konnte sich problemlos bewegen. Aber wo befand er sich?

Stamets schaute auf seine Hand. War das wirklich seine Hand oder eine Art Astralprojektion? Es gab Wesen, die ihre Gedanken über weite Entfernungen hinweg senden konnten. Wie stellten sie sich dar, wenn nicht mit einem Körper? Vielleicht war Astralprojektion genau das, und er sollte daran glauben. Zumindest in Bezug auf fremde Wesen. Nicht so sehr in Bezug auf seine verrückte Tante Sarah, die außerdem Datenkarten voller Tagebücher besaß, in denen sie dokumentierte, mit wie vielen Bürstenstrichen sie jede einzelne ihrer zwölf Katzen gebürstet hatte.

Ich bin hier überall, dachte Stamets. Ich weiß nicht, wo ich mich befinde, und denke an Tante Sarah? Tja, sie machte wirklich immer ein tolles Hähnchencurry.

»Ich bin es, Paul! Du bist es!«

Da war die Stimme schon wieder. Diese so vertraute, unbekannte, kaum hörbare Stimme, die irgendwie gleichzeitig warm und anklagend war.

»Ist das so?«, hörte sich Stamets selbst sagen … oder denken?

»Ja, du bist es«, erwiderte die gestaltlose Stimme und klang diesmal erleichtert und verärgert zugleich. »Hilf mir dabei, meinen Weg zu finden!«

»Wo?«, rief Stamets aus. »Wo bist du?«

Bevor eine Antwort kommen konnte, umhüllte ein greller Blitz alles, und eine misstönende Kakofonie, die entweder aus zu nahem Geflüster oder zu fernem Gebrüll bestand, rief nach ihm. »Nein! Paul, komm zurück!«

Stamets spürte, dass er versuchte, eine Erwiderung zu schreien, aber er hatte keine Stimme.

Die Realität kehrte zurück, und er befand sich in der Sporenreaktionskammer an Bord der Discovery, als wäre er nie irgendwo anders gewesen. Natürlich war er das auch nicht. Abgesehen von dem kurzen Augenblick, in dem er und das Schiff durch das Myzelnetzwerk gereist waren.

»Sequenz abgeschlossen«, verkündete der Computer. Stamets hatte diese Funktion schon vor Monaten auf stumm gestellt, doch während einer diagnostischen Überholung an einer Sternbasis war sie reaktiviert worden. Er hatte sich noch nicht die Zeit genommen, sie erneut abzuschalten.

»Brücke bestätigt.« Tilly ließ Enav ihre Berichte zusammenstellen, während ein weiterer Ingenieur den leeren Sporenbehälter mitnahm, um ihn wieder aufzufüllen.

»Mittagessen?«, fragte der junge Ensign Stamets, während er die Kammer verließ und sich die Ärmel zum neunzehnten Mal in dieser Woche herunterkrempelte. »Bis zum nächsten Sprung haben wir noch ein paar Stunden Zeit.«

Er hätte am liebsten abgelehnt, wusste aber, dass er nicht ohne gesellschaftliche Interaktion in sein Quartier zurückkehren sollte. Falls Saru seine Bedenken dem Captain gegenüber geäußert hatte, könnte Stamets’ Umgang mit anderen Mitgliedern der Besatzung als Beweis gelten, dass es ihm gut ging, selbst wenn das nicht der Wahrheit entsprach. »Klar. Warum nicht?«

Der Ausdruck freudiger Überraschung, der daraufhin auf Tillys Gesicht aufleuchtete, war amüsant genug, um seine Stimmung zu heben, wenn auch nur ein klein wenig.

Als sie bestellt hatten – wobei er enttäuscht feststellen musste, dass der Nahrungsverteiler das, was als Avocado durchgehen sollte, nicht mehr auf Lager hatte –, gingen sie mit ihren Tabletts in den Händen auf die Tische zu.

Tilly führte ihn zu einem weniger besetzten Bereich abseits ihrer üblichen Gruppe aus diversen Mitgliedern der Brückenbesatzung. »Dort drüben.«

Stamets war ein wenig überrascht, ging aber davon aus, dass sie mit ihm über die Arbeit reden wollte. Seine Interaktionen mit der Brückenbesatzung waren ziemlich begrenzt, und das war ihm im Allgemeinen auch ganz recht so. Vielleicht wollte Tilly kein unangenehmes Schweigen riskieren. Die junge Frau schien stattdessen immer unangenehme Unterhaltungen vorzuziehen.

Als sie sich auf den Stühlen niederließen, nickte Stamets in Richtung des Tisches, den sie gemieden hatten. »Bilden Sie jetzt verschiedene Bereiche?«

Sie schaute unschuldig auf, behielt aber den Strohhalm im Mund und trank weiter. »Hmm?«

»Gibt es einen Tisch für die Brückenbesatzung und einen Tisch für den Sporenantrieb, und Sie müssen sich für einen entscheiden?«

Tilly lachte, und er war nicht sicher, ob sie seine Frage lustig fand oder ob ihre Reaktion nur eine weitere nervöse Angewohnheit war. Allerdings war es in ihrem Fall für gewöhnlich beides. »Oh nein. Das wäre albern. Ich wollte nur allein mit Ihnen reden.«

»Warum?«, fragte er sachlich.

»Tja, ähm …« Sie warf einen Blick in ihr Sandwich, als hätte sie vergessen, eine bestimmte Zutat zu bestellen, und schaute dann zurück zu den Nahrungsverteilern. Sie entfernte das Brot und machte sich daran, den Belag mit ihrer Gabel zu essen.

»Haben Sie etwas vergessen?« Er beschloss, sie dazu zu ermutigen, das Thema zu wechseln.

»Die rigellianische Mayo.«

Er deutete mit den Zinken seiner Gabel auf ihre Mahlzeit. »Für die Ofenkartoffel oder das Ding, das kein Sandwich mehr ist?« Er hatte ein separates Schälchen mit Mayonnaise auf seinem Tablett und schob es ihr hin. »Die hier ist nicht rigellianisch, aber Sie können sie haben.«

»Oh nein, ich will sie nicht. Ich meine, ich will sie, aber ich will sie nicht. Nur damit Sie es wissen: Ich habe sie nicht vergessen. Ich wünschte bloß, dass ich vergessen hätte, sie nicht zu vergessen. Ergibt das Sinn?«

Irgendwie schon? »Auf einer Skala von null bis vulkanisch ist das ein echter Tilly-Kommentar, also … ziehen Sie Ihre eigenen Schlüsse.« Er deutete auf das kleine Schälchen. »Ich glaube nicht, dass Ihnen Mayonnaise schadet. Es sei denn, Sie haben vor, sie eimerweise zu essen.«

»Sie schadet mir nicht«, stimmte sie zu, während sie sich ein Stück Lachs in den Mund schob, »aber eine gewisse Mutterfigur wies mich darauf hin, dass ich mein Essen nicht schmecken kann, wenn ich zu viel Mayonnaise benutze, also … versuche ich jetzt, mein Essen zu schmecken.«

Er nahm einen Bissen von seinem Truthahnwrap und bedauerte den Mangel an Avocado. »Wann hat Mayonnaise ihre Stellung als Nahrungsmittel verloren?« Er nahm einen weiteren Bissen und fügte hinzu: »Gab es eine Abstimmung?«

»Die gab es«, bestätigte Tilly. »Sie wurde abgehalten, nachdem meiner Mutter klar wurde, dass ich Mayonnaise mag.«

»Ah.« Stamets hatte sich auch nie so richtig mit seinen Eltern verstanden. Vielleicht verspürte er deshalb keinen Drang, selbst Vater zu werden. Andererseits hatten sie ihn ebenfalls nie verstanden, also waren zumindest die Missverständnisse gleichberechtigt. Er beschloss, das nicht mit Tilly zu teilen, und meinte: »Bitte sagen Sie mir, dass wir uns nicht abgesondert haben, weil Sie mit mir über Ihre Mutter reden wollen.«

»Oh nein.« Sie lachte, nachdem sie durch den Strohhalm einen großen Schluck von ihrem Orangensaft getrunken hatte. »Ganz und gar nicht. Tatsächlich werde ich das vermutlich niemals wollen.«

»Okay, also falls das hier eine Verabredung sein soll, sollten Sie wissen, dass das mit uns niemals etwas werden wird, weil Sie mir direkt unterstehen. Und weil Sie – in vielerlei Hinsicht – einige Jahre jünger sind als ich. Und weil ich auf Männer stehe.«

»N… nein, ich … das weiß ich«, stammelte sie und warf nur einen kurzen Blick auf die unangetastete Mayo zwischen ihnen. »Das ist mir alles vollkommen klar. Warum sollten Sie denken …?«

Er war gerade dabei, einen weiteren Bissen von seinem Wrap zu nehmen, und hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Nachdem er den Happen in seinem Mund hinuntergeschluckt hatte, sagte er: »Tilly, das war ein Scherz. Worüber wollen Sie mit mir reden, und warum fällt es Ihnen offenbar so schwer, mit der Sprache herauszurücken?«

»Ich glaube, dass Ihre Sporenträume etwas zu bedeuten haben«, platzte es aus ihr heraus.

Stamets verdrehte die Augen. »Zum neunhundertdreiundzwanzigsten Mal: nein.« Doch sosehr er Tillys Idee intellektuell leugnen wollte, hatte ein Teil von ihm tatsächlich das Gefühl, dass es mit diesen Träumen etwas Besonderes auf sich hatte. Sie wurden zu einer ganz eigenen Leidenschaft. Er fürchtete sich vor ihrer Rückkehr, fühlte sich aber ohne sie auch leer, wenn er sie nicht erlebte. Die Stimme in dem Traum, die ihm gleichsam vertraut und unbekannt war, tat mehr, als nur buchstäblich nach ihm zu rufen – sie hatte eine emotionale Anziehungskraft.

»Ich meine das nicht so, wie Sie es jetzt denken, Sir. Ich meine etwas vollkommen anderes.« Während sie ihr vom Brot befreites Sandwich aß, erklärte sie: »Ich hatte einen Traum über Ihre Träume, aber meiner war ein normaler Traum, in dem wir über die Möglichkeit sprachen, dass Ihre Sporenträume in Wahrheit Kommunikationsversuche sein könnten. Zum Beispiel von jemandem, der Sie vor irgendetwas warnen will oder sich an Sie wendet, um einen Erstkontakt herzustellen.«

Er starrte sie ausdruckslos an und hoffte, dass sie zurückrudern und diese Diskussion nochmals überdenken würde.

»Können Sie, äh, mir bislang folgen?«, drängte sie weiter.

»Unglücklicherweise ja.« Er brummte und ergab sich dem Unvermeidlichen. »Fahren Sie fort.«

»Myzelkommunikation. Warum nicht? Wenn ein Schiff durch das Myzelnetzwerk reisen kann, warum dann nicht auch ein Signal?«

Diese Überlegung war Stamets nicht neu. »Straal und ich haben es versucht. Subraumkommunikation funktioniert im Netzwerk nicht.«

»Wer hat denn was von Subraumkommunikation gesagt?«, widersprach Tilly. »Haben Sie es je mit echten, altmodischen Funkübertragungen versucht?«

Stamets war fasziniert, wenn auch ein wenig verblüfft, dass er selbst nie darauf gekommen war. »Ähm … nein. Nein, haben wir nicht.«

Sie grinste. »Vielleicht sollten Sie mal.«

Er wedelte mit einem Finger zwischen ihnen herum. »Und wenn sie ›Sie‹ sagen, meinen Sie ›wir‹.«

»Oh ja, natürlich meine ich ›wir‹.«

»Und Sie glauben, dass uns der Captain einfach« – er zuckte mit den Schultern – »damit herumspielen lassen wird?«

Mit einem Funkeln in den Augen erwiderte Tilly: »Wir sind ein Wissenschaftsschiff. Das ist eine sehr wissenschaftliche Angelegenheit.«

»Wir befinden uns mitten in einem medizinischen Notfall, der eine noch nie da gewesene Anzahl an Sprüngen erfordert. Sobald wir die antiviralen Medikamente zu einem Planeten gebracht haben, meldet eine weitere Kolonie oder ein weiterer Außenposten einen Ausbruch. Ich bin mir nicht sicher, ob wir jetzt gerade Myzelexperimente riskieren können.«

»Nichts, was wir tun, wird uns davon abhalten zu springen, wenn es nötig wird.« Tilly setzte eine traurige Miene auf, die aber noch nicht als ausgewachsenes Schmollen durchging.

»Haben Sie jemals jemanden gesehen, der an symbalesischem Blutbrand leidet?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich auch nicht. Denn wenn es so wäre, wären wir vermutlich tot. So schnell breitet sich diese Krankheit aus. Wir müssen schneller sein, und der Sporenantrieb ist die einzige Möglichkeit, die wir haben.«

»Wir könnten wenigstens Simulationen laufen lassen. Das wird die Sprünge nicht beeinträchtigen.«

Er holte tief Luft und atmete dann langsam wieder aus. Im Prinzip gefiel ihm die Idee. Tatsächlich liebte er sie beinahe. Aber ein Teil von ihm wollte nicht wissen, ob Myzelkommunikation tatsächlich möglich war. Etwas an seinen »Sporenträumen« war persönlich, und er wollte sie nicht mit anderen teilen. Falls eine Präsenz versuchte, mit ihm zu kommunizieren – eine fremde Präsenz …

Falls das alles real ist, dachte er, dann kennt mich etwas. Die Stimme tat mehr, als nur nach ihm zu rufen – er hatte den Eindruck, dass sie ihn brauchte. Und im Gegenzug verspürte etwas in Stamets dieses Bedürfnis ebenfalls. Andererseits: Was, wenn es tatsächlich Lebensformen gab, die versuchten, mit ihm zu kommunizieren, und ihn nur auf diese Weise erreichen konnten?

Der Tardigrade, dem sie die DNA entnommen hatten, die nun mit seiner verwoben war, hatte einen Präzedenzfall für intelligente Lebensformen dargestellt, die durch den Myzelraum reisten. Vielleicht rief nun eine weitere empfindungsfähige Spezies nach ihm.

Stamets kam zu dem Schluss, dass es tatsächlich das Beste wäre, in Erfahrung zu bringen, ob er diese Präsenz nur träumte oder ihre Rufe einfach empfing. »Okay. Solange wir sie zwischen den Sprüngen unterbringen können, können wir ein paar Simulationen laufen lassen. Aber keine praktischen Tests. Wir müssen jederzeit zu einem Sprung bereit sein, wenn wir einen Ausbruch gemeldet bekommen.«

»Einverstanden!« Tillys Grinsen war so grell wie eine Supernova. »Juhu!«

Stamets runzelte die Stirn und tadelte sie scherzhaft. »Haben Sie gerade wirklich ›juhu‹ gesagt?«

»Das habe ich! Ich bin aufgeregt!« Nun schnappte sie sich doch die Mayonnaise und machte sich daran, sie auf ihrem halb aufgegessenen Sandwich zu verteilen.

»Ich dachte, dass Sie …«

»Die Mayo?«, fiel sie ihm ins Wort. »Tja, ich glaube, dass ich sie mir verdient habe.«

»Paul? Kannst du mich hören?« Es war immer der gleiche Tonfall, weder nah noch fern, und doch drang er bis tief in sein Innerstes vor. »Paul?«

Ja, ich kann dich hören, dachte Stamets. Er wusste nicht, wie er sich sonst in einem Myzeltraum verständlich machen sollte. Nach wie vor vorausgesetzt, dass es ein Traum war und nicht, wie Tilly angedeutet hatte, ein Versuch fremder Wesen, mit ihm zu kommunizieren.

»Warum kann er mich nicht hören?«, verlangte die Stimme zu wissen. Es war eine verärgerte, gedämpfte, ätherische Frage. »Du hast gesagt, dass ich ihn rufen soll und er mich hören würde! Du musst mir dabei helfen, zu ihm durchzukommen!«

»Ich habe gesagt, dass er dich möglicherweise hören würde. Manchmal kann er es einfach nicht«, kam die Erwiderung. Es war eine andere Stimme. Und doch klang auch diese seltsam vertraut. »Du sagst, dass er deine Bake ist, also musst du auch seine sein.«

Ich bin eine Bake? Wie? Instinktiv konnte Stamets spüren, dass sich der Sprung seinem Ende näherte. Er wusste, dass er nur Sekundenbruchteile dauerte, aber im Netzwerk unterlag die Zeit nicht den Naturgesetzen. So war das auch in Träumen, nicht wahr? Sie konnten andauern … aber dieser hier tat das nicht.

»Paul? Höre mich! Du bist es!«

Ich?, fragte sich Stamets.

»Du bist es! Bitte höre mich, Paul! Du bist es!«

Die Stimme wurde immer vertraulicher und drängender und verlangte, erkannt zu werden, während sie gleichzeitig verging. Stamets strengte sich an, um herauszufinden, wer da mit ihm sprach, sah aber nur das übliche Flimmern in der Dunkelheit hinter seinen geschlossenen Augenlidern, die er nicht öffnen konnte. Die Entschlossenheit in der Stimme – ihre Zielgerichtetheit und Verzweiflung – sickerte in ihn hinein, bis er das alles ebenfalls spürte. Die Präsenz, die er wahrnahm, rief nicht nur nach ihm – einmal mehr fühlte es sich so an, als würde sie ihn brauchen.

Bevor er diesem Gefühl genauer auf den Grund gehen konnte, entriss ihm der grelle weiße Blitz, der abrupt das Ende des Sprungs ankündigte, alles – es war, als wäre es ihm endlich gelungen, die Augen zu öffnen, nur um dann direkt in die Sonne zu schauen.

2

»Warum kann er mich nicht hören?«, verlangte der Mann zu wissen. »Er kann mich nie hören!«

»Oder er hört dich die ganze Zeit über, kann aber nicht immer etwas erwidern«, warf sein Gefährte ein.

»Ist es das? Ist das der Grund? Ich habe versucht, eine Verbindung zu ihm herzustellen! Ich habe ihm mitgeteilt, wer ich bin, und konnte keine Verbindung aufbauen!«

»Ich würde gerne denken, dass es so ist«, brummte die Gestalt. Der Mann wusste, dass es in Wahrheit ein Seufzen war. »Allerdings gehe ich davon aus, dass es auf die Interaktion ankommt.«

»Verdammt, warum kannst du nie eine direkte Antwort geben?«

»Nie? Also erinnerst du dich jetzt an mich? Ich war erfreut, dass du dich dieses Mal an deinen Namen erinnert hast.«

»Ich … dieses Mal? J… Ja.« Der Mann zögerte unsicher. »Ich denke schon. Nein, ich bin mir nicht sicher.« Er sackte auf die Knie. »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, ICH WEIß ES NICHT!«

»Dann vermute ich, dass du deinerseits Probleme mit unklaren Antworten hast.«

Der Mann riss sich zusammen und hielt einen Augenblick lang inne, bevor er etwas erwiderte. »Ja, ich … Es ist wie ein Déjà-vu. Ich glaube, dass ich dich kenne. Und so ist es auch, nicht wahr? Nicht wahr?«

»Du kennst mich«, bestätigte sein Gefährte. »Und kanntest mich und wirst mich wieder kennen und wirst mich auch nicht kennen.«

»Das ergibt keinen Sinn«, schnauzte er. »Rede doch endlich mal Klartext. Ich will, dass etwas – irgendetwas – Sinn ergibt!«

»Es ergibt absolut Sinn. Oder das wird es … und das ergab es … und traurigerweise wird es auch keinen Sinn ergeben.«

»Nein. Du wirst mich nicht durcheinanderbringen. Ich habe einen Gedanken. Lass mich meinen Gedanken beenden!«

»Natürlich.«

»Ich will ihn erreichen, doch stattdessen finde ich dich. Warum?« Der Mann wandte sich anklagend an das Wesen, blieb jedoch nah genug bei dem Yeel-Baum, um sich sicher zu fühlen.

»Ich denke, es ist nicht so, dass du mich findest, sondern eher so, dass ich dich finde.«

Er schüttelte den Kopf und schluchzte leise. »Ich … Ich will nicht mehr gefunden werden.«

»Oh, das entspricht absolut nicht der Wahrheit. Ich finde dich, weil du dich ausstreckst. Deine Gedanken, dein Wesen – du erforschst und durchsuchst diesen Ort unablässig.«

»Lügner!«

»Ich habe weder einen Grund noch verspüre ich den Wunsch, unaufrichtig zu sein.«

Der Mann schüttelte den Kopf, ließ sich gegen den Baum sacken und umklammerte fest den Stamm. »Ich hasse diesen Ort. Ich hasse dich!«

»Ich verstehe deine Gefühle nicht«, sagte sein Gefährte enttäuscht. »Ich versuche, dir dabei zu helfen, deinen Geist zu beruhigen.«

»Du hast hier das Sagen, oder? Lass mich gehen. Lass mich diesen Ort verlassen – und ich werde … ich werde tun, was immer du willst. Bitte! Ich flehe dich an!«

Das Wesen sträubte sich und bewegte sich unbehaglich hin und her. »Es tut mir leid. Ich verfüge nicht über die Fähigkeit, dich von diesem Ort zu entfernen. Aus deiner Perspektive muss dieser Augenblick erst noch kommen.«

»A… aber das hier wird enden?«, fragte der Mann, während er sich langsam aufrappelte. »Das Brennen wird aufhören, und ich werde frei sein?« Er nahm den Staub der Yeel-Rinde, der sich auf ihn gelegt hatte, und rieb sich damit ein, anstatt ihn wegzuwischen. Das, was noch von seiner Kleidung übrig war, bedeckte er ebenso damit wie die nackte Haut unter den Fetzen.

»Alles endet. Und alles beginnt erneut. Das ist nicht nur hier so, sondern entspricht der Existenz an sich.«

»Rätsel!«, knurrte der Mann. »Warum bekomme ich immer nur Rätsel?«

Sein Vertrauter erschauerte vor Mitgefühl. »Ich versuche wirklich, es dir verständlich zu machen.«

»Rede nicht so von oben herab mit mir. Bevormunde mich nicht!«

»Ich versichere dir, dass ich das nicht tue, mein Freund.«

Der Mann schaute langsam zu seinem Gefährten auf. »D… Du bist mein Freund?«

»So wie ich den Begriff mittlerweile verstehe, glaube ich, dass das der Fall ist. Ich gebe zu, dass ›Freund‹ für mich ein einfacheres Konzept ist als ›Feind‹.«

»Ich dachte immer, dass ›Feind‹ das einfachere Konzept wäre«, warf der Mann mit einem bitteren Schnauben ein. »Feinde enttäuschen einen nicht. Freunde schon.«

»Inwiefern?«

»Arrrgh!« Er kniff die Augen zu, presste sich mit dem Gesicht voran erneut gegen den Baum und schlug mit geballten Fäusten auf den Stamm ein. »Du fragst immer: ›Inwiefern?‹ Inwiefern dieses und inwiefern jenes! Warum? Was bin ich? Ein verpatztes Laborexperiment? Ein fremdes Wesen, das du gefangen hast, um es zu erforschen und zu untersuchen? Warum quälst du mich?«

»Das würde ich nicht tun«, versicherte sein Gefährte. »Ist es üblich, fremde Wesen zu fangen und ihnen mit Brutalität zu begegnen?«

Die Frage traf den Mann hart, erschütterte ihn und drängte ihn in Richtung einer beunruhigenden Erkenntnis. »W… Wir haben dich gequält … nicht wahr?«, fragte er, und seine Wut verwandelte sich in Selbsthass.

Die Gestalt gab sich unverbindlich. »›Wir‹?«

»Menschen. Die Leute von meinem Schiff.« Der Mann richtete sich erneut auf und betrachtete das Wesen nun mit mehr Mitgefühl als Wut. »Nun ja, ein Mensch aus … Nein, ich weiß es nicht. Andere waren ebenfalls daran beteiligt, also ist das keine Entschuldigung, nicht wahr?«

Ohne Arglist oder Missgunst erwiderte sein Freund ungezwungen: »Ein Universum ist genau wie jedes andere.« Er neigte den Kopf nach links und dann nach rechts. »Und vermutlich auch vollkommen anders. Ich gebe zu, dass sie sich sogar für mich miteinander vermischen. Aber mir fällt auf, dass du dich jetzt an ein Schiff erinnerst? Und daran, dass du menschlich bist? Und daran, dass es mehr als ein Universum gibt, zumindest nach den Maßstäben deiner Spezies?«

Der Mann runzelte die Stirn. »Ich … Ich denke schon. Ich erinnere mich an ein weiteres. Oder an beide. Zwei? Unterschiedliche Universen?«

»Und darüber hinaus keine weiteren?«

»Darüber hin…? Nein, ich … In welchen Universum befinden wir uns jetzt gerade?«

Sein Freund breitete die Arme weit aus. »Wir bewohnen …« Er suchte sichtlich nach einer Formulierung, die den Mann nicht noch mehr verwirren würde. »Ich vermute, dass du es als Verbindung zwischen den Universen bezeichnen würdest. Eine, die sie alle miteinander verknüpft. Nun ja, die meisten von ihnen. Und doch ist sie auch ein ganz eigenes Universum.«

Als würde er mit einer Schlussfolgerung ringen, die er schon vor langer Zeit gezogen, aber nie so recht akzeptiert hatte, lief der Mensch auf und ab und wirbelte dabei mit den Füßen schwarzen Ruß auf. »Also bin ich nicht tot? Ganz sicher nicht?«

»Fühlst du dich tot?«

Der Mann zuckte mit den Schultern. »Wie würde es sich anfühlen, tot zu sein?«

»Ich weiß es nicht.« Sein Gefährte versuchte, die gleiche Geste zu machen, doch aufgrund seiner Gestalt wirkte sie unbeholfen, beinahe schmerzerfüllt. »Ich habe den Tod nie gekannt.«

»Aber wenn ich nicht tot bin, warum stecke ich dann hier für alle Ewigkeit fest?«

»Ist es das, was tot sein bedeutet? Irgendwo für immer ›festzustecken‹?« Die Frage war ernst gemeint.

Der Mensch lachte bissig. »Manche Leute glauben das. Ich habe das nie geglaubt.«

»Was bedeutet der Tod dann für dich? Und warum glauben manche Leute, dass er ein ewiger Ort ist? Bedeutet ›tot‹ endlos?«

»Ich weiß nicht, warum Leute glauben, was sie glauben«, gab der Mann mit einem Grummeln zu. »Ich bin mir nicht mal mehr sicher, was ich noch glaube. Aber ja, der Tod soll endlos sein. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass er sich endlos anfühlen sollte.«

Mit aufrichtiger Neugier kam sein Gefährte näher. »Ich wüsste gern, was deiner Meinung nach passiert, wenn sich der Tod von Wesen wie dir ereignet.«

Der Mensch versuchte krampfhaft, sich an philosophische Ansichten zu erinnern, statt die Gefühle wahrzunehmen, die in seinem Inneren tobten. Langsam brachte er einen überzeugenden Gedanken zustande. »Ich denke … dass ich glaubte, dass es nach dem Ende des Lebens nichts gibt. Dass wir einfach … fort sind … wenn unsere Gehirne aufhören zu funktionieren.«

»Aber?«, bedrängte sein Freund ihn sanft.

Eine Erinnerung tauchte in seinem Kopf auf. Allerdings konnte der Mann sie weder örtlich noch zeitlich einordnen. Also konzentrierte er sich stattdessen auf die Idee an sich. »Ich erinnere mich, dass ich mich fragte, was in diesem Augenblick unmittelbar vor dem Tod passiert.« Er war nun ruhiger und verlangsamte sein Tempo, sodass ihr Marsch zu einem beinahe gemütlichen Spaziergang durch den Wald wurde. »Während die Gehirnfunktion nachlässt, die Wahrnehmung sich verändert und verzerrt … und … und man vielleicht in den letzten Sekunden vor dem Ende Liebe spürt … denkt, dass man seine Familie sieht … und sich die Zeit für einen selbst verlangsamt … zu einer Ewigkeit.«

»Glaubst du das?«

»Ich glaubte an die Wissenschaft … bevor ich starb.« Er hielt inne, legte sein Gesicht in seine Hände und weinte. »Aber jetzt bin ich an diesem Ort hier eingesperrt.«

»Du bist nicht für immer hier.«

»Du sagst das, aber du musst es mir beweisen!« Er weinte weiter. »Und du sagst, dass ich nicht tot bin, aber ich fühle mich tot.«

»Du hast gesagt, dass du nichts fühlen würdest, wenn du tot wärst.«

»Dann lag ich falsch. Ich bin begraben, im All oder auf See … ich treibe nicht an der Oberfläche, gehe aber auch nicht unter.«

»Das ist sehr poetisch für jemanden, der denkt, dass er tot ist«, stellte sein Gefährte fest. »Aber da ich bei dir bin, dachte ich, dass wir entschieden hätten, dass wir beide am Leben sind.«

Der Mensch schwieg sehr lange, und das Wesen sah einfach nur zu, während der Mann mit seiner Faust sanft und langsam an seine Stirn klopfte. »Wenn ich hier bin … und nicht dort … dann muss ich tot sein.«

»Wir haben auch entschieden, dass ›tot‹ kein Ort ist, nicht wahr?«

»Ich habe es dir doch schon gesagt«, schnauzte er. »Ich weiß es nicht!«

Sein Gefährte wich ein wenig zurück, um dem Mann etwas Raum zu geben, bat aber betont: »Erzähl mir, was du weißt.«

»Ich weiß, dass … Paul mein Anker ist. Meine Bake, wie du sagtest. Aber er kann mich jetzt nicht hören. Es ist ewig her, und ich glaube, dass er mich vergessen hat.« Als die Luft kalt auf seine Wangen traf, wo die Tränen den Rindenstaub fortgewaschen hatten, wischte er mit seinen schmutzigen Handflächen über sein Gesicht, um seine Haut zu beruhigen. Doch dann waren seine Hände nicht mehr mit genug Staub bedeckt, und die lästigen Funken in der Luft gingen wieder auf ihn los.

»Die Luft verbrennt mich!«

»Die JahSepp. Sie reiten auf dem Wind und setzen diese Ebene instand.«

»Sie versuchen, mich auszulöschen. Ist es das? Kann mich Paul deswegen nicht hören? Weil ich ausgelöscht wurde?«

»Ausgelöscht?«

»Aus der Realität.« Der Mann schaute traurig zu seinem Gefährten auf. »Löschen mich die JahSepp aus, und werde ich nicht mehr ich selbst sein, wenn ich mich erhole? Wurde ich aus der Zeit getilgt? Erinnert sich niemand an mich?«

Sein Gefährte zögerte nicht mit seiner Antwort. »Paul erinnert sich an dich.«

»Wirklich? Bist du sicher?«

»Er erinnert sich und er erinnert sich nicht und er wird sich und wird sich nicht erinnern.«

»Ja, ich … ich erinnere mich an einen Paul, der sich nicht richtig an mich erinnerte. Er war nicht mein Paul. Er versuchte, meinen Paul hereinzulegen. Er war nicht gut – nicht richtig.«

»Herauszufinden, wer ›gut‹ und wer nicht ›gut‹ ist, kann ebenso schwierig sein, wie zu begreifen, was ›gut‹ überhaupt bedeutet.«

Der Mensch unterdrückte ein Schluchzen und suchte den Myzelhimmel ab. »Ich weiß nicht, wo ich bin! Ich weiß nicht, wo er ist, und …« Plötzlich wirbelte er herum, als hätte er einen fernen Ruf vernommen. »Ist er das wieder? Ich spüre ihn. Glaube ich. Aber …« Er schaute sich suchend nach links und rechts um. »Von wo?« Nach einem langen Moment ließ er den Blick wieder sinken und zog einmal mehr verwirrt die Augen zusammen. »Ich kenne dich, nicht wahr?«

»So ist es«, bestätigte sein Freund mit melancholischer Stimme. »Und du kanntest mich zuvor. Und du wirst mich wieder kennen. Und traurigerweise wirst du mich manchmal auch vergessen.«

»Du bist zurück?«, fragte der Mann und rappelte sich von seinem Sitzplatz am Stamm seines schützendsten Baums auf. Er war nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war, seit er das Wesen, das sich als sein Freund bezeichnete, zum letzten Mal gespürt hatte, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an.

»Ich bin zurück«, kam die Erwiderung. »Und ich war nie fort. Und ich war nie hier und ich werde wieder hier sein.«

Der Mann schüttelte wütend den Kopf. »Nein! Du bist für … ich weiß nicht wie lange weg gewesen. Tage? Eine Woche? Ein Jahr?«

»Ja.«

Der Mensch ignorierte die Verwirrung in seinem Inneren und um ihn herum, so gut er konnte, und starrte in Richtung des Horizonts. »Er ist wieder hier. Ich weiß es.« Er wandte sich in die andere Richtung und dann immer noch suchend zur Seite und fragte seinen Gefährten schnell: »Nicht wahr?«

»Ich kann nicht so leicht wissen, was du weißt.«

»Du scheinst doch sonst alles zu wissen! Aber du bist nicht bereit, mir irgendetwas zu erklären.« Er drehte sich in eine ganz neue Richtung und versuchte, die »Witterung«, die er verloren hatte, wieder aufzunehmen.

»Ich weiß so viel wie du, vermute ich, nur über andere Dinge. Meine Sinne unterscheiden sich sehr von deinen.«

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht mehr weiß, was ich weiß.« Er stapfte an seinem Gefährten vorbei, starrte auf seiner anderen Seite in die Luft und dann in eine Ansammlung aus Bäumen, als würde die Antwort irgendwo dort zwischen ihren dunklen Stämmen versteckt liegen.

»Dann erzähl mir, was du zu wissen glaubst.«

Die Aufforderung wurde von dem Gefühl begleitet, dass man dies schon eine Million Mal von ihm verlangt hatte, und irgendwie auch, dass man es noch eine Million Mal mehr von ihm verlangen würde. Trotzdem fühlte er sich, als er die Antwort fand und gab, beleidigt, dass sein »Freund« sie nicht bereits kannte. »Ich habe Schmerzen!«

»Ich hoffe, dass du mehr bist als nur ein Ding, das Schmerzen hat.«

»Ein Teil von mir fehlt, das ist alles, was ich weiß …«, erwiderte der Mann langsam. »Nein, ich … ich weiß noch mehr. Ich weiß …« Er schlug sanft mit seinen Handballen gegen seine Schläfen. »Was? Was weiß ich noch? Was weiß ich noch?«

Das Wesen kam auf ihn zu und legte einen Arm unter den Ellbogen des Mannes. »Erzähl mir alles, was du weißt, egal wie unwichtig es dir erscheint.«

»Ich … Ich weiß, dass der menschliche Schädel aus zweiundzwanzig einzelnen Knochen besteht«, sagte er mit plötzlicher Selbstsicherheit. »Und dass der vulkanische Schädel aus zwanzig besteht.«

»Interessant.«

»Natürlich hat der andorianische Schädel dreiunddreißig«, ergänzte er und wurde immer sicherer.

»Weiter.«

»Nervenimpulse im Gehirn«, fuhr der Mann fort, »können sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu vierhundertdreißig Kilometern pro Stunde fortbewegen. Menschliche Hirnimpulse. Menschliche Gehirne. Ich bin ein Mensch. Vom Planeten Erde.«

»Ja. Du erinnerst dich wieder. Das ist ein Fortschritt.«

»Ja. Ich … ja. Woher weiß ich das alles?«, fragte er verwirrt. »Woher weiß ich, dass in einer menschlichen Zelle über dreizehnhundert Enzyme aktiv sind, in einer vulkanischen aber deutlich weniger?«

»Woher weißt du es?«, drängte sein Gefährte, der die Antwort bestens kannte.

»Ich bin Arzt.« Er schaute die Gestalt flehend an. »Bin ich Arzt?«

»Das bist du. Also welcher Teil von dir fehlt? Würde ein Arzt das nicht wissen?«

Der Mann schüttelte hektisch den Kopf. »Nein, nein, das ist keine Wissenschaft. Das ist … Das ist … Paul.«

»Du erinnerst dich immer an seinen Namen«, bemerkte sein Gefährte. »Erinnerst du dich noch an deinen? Zuvor ist es dir gelungen.«

»Ich … ja. Natürlich erinnere ich mich«, sagte er langsam. »Er lautet Hugh.«

»Hugh, und weiter?«

»Hugh … C… Culber.« Er richtete sich voller Stolz auf. »Doktor Hugh Culber.«

»Und erinnerst du dich an meinen Namen?«

Der Arzt wandte sich an seinen Gefährten und betrachtete ihn so, wie er womöglich einen neuen, unbekannten Patienten betrachten würde, dessen Spezies er noch niemals begegnet war. Was in diesem Fall durchaus nicht unwahrscheinlich war, da Culber bislang nur mit einer einzigen tardigradischen Lebensform Kontakt gehabt hatte. »D… du bist … R… Rip… Nein, du bist es! Du bist Ephraim!«

»Ja, mein Freund«, sagte Ephraim fröhlich, und das bloße Aufblitzen dieser Emotion bei ihm half Culber dabei, noch sicherer zu werden. »Die Lichtung nähert sich, das verspreche ich. Du wirst wieder zu dir selbst finden.«

»Werde ich das? Wirst du mir dabei helfen, zu ihm zu gelangen? Und werde ich diesen Ort verlassen können?«

»Das wirst du. Und das wirst du nicht. Und das hast du. Und das hast du nicht.«

3

»Sequenz abgeschlossen.«

Sobald sich die Shunts aus seinen Armen zurückgezogen hatten, torkelte Stamets in Richtung Tür. Als sie aufglitt, klärte sich sein Verstand, und er zwang sich dazu, noch wacher zu werden. »Ja, alles in Ordnung«, sagte er, da er davon ausging, dass ihn jemand gefragt hatte, ob es ihm gut gehe. Allerdings war er nicht sicher, ob ihn tatsächlich jemand nach seinem Befinden gefragt hatte.

»Ähm, okay«, sagte Tilly, und er spürte eine Hand an seinem Ellbogen, die ihn aus der Kammer führte. Aber spürte er sie tatsächlich? War das seine Hand? Sein Ellbogen?

Moment, hatte ich die Kammer nicht schon längst verlassen?

Es war Tillys Hand gewesen, die ihn gestützt hatte, und nun sah er ihr Gesicht vor sich. Er spürte das Deck unter seinen Füßen, während sich der geistige Nebel lichtete, der seinen Verstand umhüllt hatte. Er war hier und stand vor ihr, während die anderen um sie herum leise arbeiteten.

»Willkommen zurück …?«, versuchte sie es zaghaft.

Seine Schultern spannten sich an und erinnerten ihn daran, dass er Muskeln hatte. Was kein Gedanke war, der einem zufällig in den Sinn kommen sollte. »Was bedeutet das?« Er richtete die Frage nicht an Tilly, sondern an sich selbst, da ihm plötzlich bewusst geworden war, dass er bis gerade eben seinen eigenen Körper nicht gespürt hatte.

»Sie hatten schon wieder diesen entrückten Ausdruck auf dem Gesicht«, sagte Tilly und reichte ihm eine kleine weiße Wasserflasche, die er dieses Mal eifrig entgegennahm. »Ein weiterer Sporentraum?«

Er trank gierig und erkannte erst in diesem Moment, wie durstig er war. Sobald Stamets die Flasche geleert hatte, verlangte er nach mehr. Tilly reichte ihm eine weitere Flasche, und sie und Enav schauten zu, wie er auch diese rasch leerte.

»Warum haben Sie die Sporenkammer so überstürzt verlassen?«, fragte Enav. »Ist irgendetwas schiefgelaufen?«

»Schiefgelaufen? Nein. Und wir nennen es eine Reaktionskammer.« Er fühlte sich jetzt besser, und obwohl es ihm so vorkam, als wäre seit dem Ende des Sprungs eine Ewigkeit vergangen, waren es eindeutig nur Sekunden. Er gab Tilly die leere Flasche zurück und beugte sich ein wenig vor, um tief einzuatmen und sich zu sammeln.

»Das ist schon in Ordnung. Manchmal nennen wir es auch Sporenkammer«, flüsterte Tilly Enav zu, während diese zu ihrer aktuellen Aufgabe auf der oberen Ebene zurückkehrte.

»Haben wir das Ziel erreicht?«, fragte Stamets und versuchte, einen Blick auf Tillys Station zu erhaschen, während er sich aufrichtete.

»Ja, Sir. Die Cygnia-Minor-Kolonie.« Der Ensign trat beiseite, um ihn an die Konsole zu lassen. Er klammerte sich an die Kante und zog sich regelrecht davor in Position. »Und Sie sind sicher, dass es Ihnen gut geht?«

Stamets überprüfte die Koordinaten, fühlte sich beruhigt und stieß erleichtert den Atem aus. Als hätte man einen Schalter umgelegt, fühlte er sich schlagartig wieder ganz wie er selbst und war stärker, als er sagte: »Es geht mir bestens. Werden Sie mich mit diesen ewigen Nachfragen in Ruhe lassen, wenn wir uns nun mit Ihrer Idee bezüglich der Myzelkommunikation beschäftigen?«

Tilly grinste übers ganze Gesicht. »Auf jeden Fall.«

»Wie viel Zeit bleibt uns bis zum nächsten Sprung?«, wollte Stamets wissen.

»Das kommt darauf an, wann wir Nachricht von einem weiteren Ausbruch erhalten«, sagte sie und überprüfte den Zeitplan auf ihrer Konsole. »Falls uns hier die antiviralen Medikamente und die anderen Vorräte ausgehen, werden wir uns noch einmal Nachschub besorgen müssen, aber das Arcturianische System ist nah genug, um es mit Warpgeschwindigkeit zu erreichen, also wird der Captain vielleicht keinen Sprung anordnen.«

Mit einiger Mühe unterdrückte Stamets ein Gefühl, das irgendwo zwischen Furcht und unguter Vorahnung lag, während er sich auf die Station zubewegte. »Also, damit wir nicht unnötigerweise die gleichen Fragen beackern, mit denen Straal und ich uns schon vor drei Jahren beschäftigten, schlage ich vor, dass wir uns unsere Ergebnisse … und Niederlagen … noch einmal ansehen.«

»Oh, das habe ich bereits getan«, versicherte Tilly, die für seinen Geschmack viel zu fröhlich war, vor allem, da er die Niederlagen erwähnt hatte.

»Verstehe.« Stamets rief die Daten trotzdem auf, um sie sich wenigstens selbst noch einmal in Erinnerung zu rufen. Er schien es alles noch frisch im Kopf zu haben, doch nach der verwirrenden Episode, die er gerade erlebt hatte, wollte er es nicht riskieren, etwas zu vergessen. »Geben Sie mir einen Moment, damit ich mich wieder mit den Daten vertraut machen kann, und dann werden wir über die nächsten Schritte reden.«

Als sie das taten, stellte er fest, dass mehrere dieser Fortschritte bloß zu beinahe ebenso vielen Rückschritten führten. Enav kehrte zurück, um einen Blick über ihre Schultern zu werfen. Doch sie schüttelte nur den Kopf und erwähnte flüchtig, dass das, woran sie arbeiteten, für sie keinen Sinn ergab.

»Ist das Quantenphysik oder Biologie?«, fragte sie, als sie an ihnen vorbeiging.

»Eigentlich ist das beides das Gleiche …«, wollte Stamets ihr noch hinterherrufen, doch Tilly winkte ab.

»Das habe ich bereits versucht. Sie ist eine dieser normalen Ingenieurinnen.« Sie rümpfte die Nase. »Sie verfügt nur über sehr wenig Wissen im Bereich der Astromykologie.«

»Ich werde sie melden«, scherzte Stamets und deutete dann auf die holografische Simulation, während sie abgeschlossen wurde. »Sehen Sie das? Das funktioniert nicht.«

»Ich weiß«, sagte Tilly. »Aber wenn wir einen Nanopartikelregulator hätten, der sich schnell genug anpassen könnte …«

»Selbst wenn wir einen entwickeln könnten, können wir so etwas mit den Fertigungseinheiten des Schiffs nicht herstellen.« Stamets wollte nicht pessimistisch klingen, aber ihr erster Stolperstein war ziemlich groß. »Und ich garantiere Ihnen, dass es in unseren Lagern nichts gibt, was dem auch nur ansatzweise nahekommt.«

Tilly ließ leicht die Schultern nach unten sacken. »Sind Sie sicher?«

Er starrte sie finster an.

»Natürlich sind Sie sicher.«

Er konnte sehen, wie sich bei ihr ein Stirnrunzeln anbahnte, aber er hielt nichts davon, Dinge zu beschönigen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Straal und ich …«

»Aber das war etwas anderes«, erklärte sie. »Sie versuchten, es mit Subraumkommunikation umzusetzen. Hier geht es um einfache Funkwellen.«

Stamets stimmte ihr zu, aber diese Tatsache ermutigte ihn nicht. »Ja, bis zu diesem Punkt sind wir mit unseren Simulationen nie gekommen, aber das bedeutet nicht, dass wir weiter kommen können. Wir versuchen immer noch, ein Signal in das Myzelnetzwerk zu bekommen, ohne eine Energiewelle auszulösen, die die Frequenz stört. Das könnte einfach nicht möglich sein.«

Er beobachtete, wie Tilly ihre Enttäuschung in geistiges Handeln umwandelte. Sie versuchte, mittels reiner Willenskraft eine Lösung herbeizuzwingen. Er hatte das selbst schon das eine oder andere Mal versucht, und manchmal war es ihm sogar gelungen. Aber er befürchtete, dass das diesmal nicht der Fall sein würde.

»Tja, lassen Sie uns noch mal darüber nachdenken, bevor wir aufgeben«, sagte sie.

Wann habe ich aufgehört, das zu tun?, fragte er sich. Dachte ich nicht immer, dass man das Unmögliche möglich machen kann? »Hey, ich gebe nicht auf.« Ihre Leidenschaft zog ihn aus seinem Sturzflug. »Ich bin nur frustriert.«

»Ja, ich auch.«

Als eine Anzeige aufblitzte, die eine Änderung des Zeitplans ankündigte, schob er Tilly aus dem Weg und übernahm die Konsole. »Ich werde unsere Arbeit speichern. Sie können für heute Feierabend machen. Die Brücke hat gerade gemeldet, dass wir morgen schon ganz früh nach Cestus III springen müssen.«

Sie warf einen Blick auf den Monitor und den neuen Befehl. »Oh, das ist vor meiner Schicht. Ich werde Orna damit beauftragen, sich um alles zu kümmern. Ich bin jetzt Ensign. Ich kann Leuten Aufträge erteilen.«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte er abweisend. »Aber wo werden Sie sein?«

»Beim Fitnesstraining.« Sie bewegte die Arme, als würde sie rennen, behielt die Füße aber fest auf dem Boden. »Ich habe mich doch für das Kommandotrainingsprogramm beworben, erinnern Sie sich? Ich muss bereit sein, falls ich angenommen werde.«

»Klar. Also gut.«

Tilly spürte seine Unzufriedenheit eindeutig, aber eigentlich war er in erster Linie überrascht. »Wollen Sie, dass ich meine Schicht tausche? Ich meine, das könnte ich tun … es ist nur …«

»Ich werde schon irgendwie zurechtkommen. Ich bin es gewohnt, Sie hier zu haben, aber es ist ja nicht so, als könnten wir plaudern, während ich springe.« Was wäre, wenn das möglich wäre? Würde er sich dann Tilly als Gesprächspartnerin aussuchen? Das hätte sowohl positive als auch negative Aspekte. Sie war nur selten um Worte verlegen. Wenn die Möglichkeit bestünde, sich während eines Sprungs zu unterhalten, würde ihn das dann davon abhalten, in einen Sporentraum zu verfallen? Will ich diese Träume überhaupt verlieren?

»Wenn Sie sich da sicher sind, Sir.«

»Das bin ich.« Stamets rang sich ein Lächeln ab. »Gute Nacht, Tilly.«

»Danke. Gleichfalls.« Sie lief die Treppe hoch, und als sich die Türen für sie öffneten, drehte sie sich noch einmal um und sagte fröhlich: »Hoffentlich fallen mir im Traum ein paar Optionen für uns ein.«

»Das wäre schön.«

Und es wäre auch schön, wenn man sich immer auf Träume freuen könnte.

»Ich habe dich beim Mittagessen vermisst«, sagte Joann Owosekun zu Tilly, als sie ihr Tablett auf den Tisch stellte und sich auf den freien Stuhl gleiten ließ. Gen Rhys rückte näher an Keyla Detmer heran, um Tilly mehr Platz zu machen.

Von gegenüber nickte Airiam ihr zur Begrüßung auf die für sie typische Weise zu. »Ensign.«

»Ich habe mit Mister Stamets zu Mittag gegessen«, erklärte Tilly.

»Das haben wir gesehen«, sagte Rhys.

»Ich nicht.« Detmer löffelte etwas, das nach Erbsensuppe roch, auf einen Crostino und nahm einen anmutigen Bissen. »Ich habe mit Bryce zu Mittag gegessen – und dem Captain.«

»Ohhh.« Tilly nahm einen Schluck von ihrem Getränk. »War das aufregend oder beängstigend?«

»Weder noch. Es war einfach nur ein Arbeitsessen. Das einzig Beängstigende daran war, dass ich zu spät kam, weil ich das Padd nicht finden konnte, das ich auf meinem Bett liegen gelassen hatte«, fügte Detmer ein wenig verärgert hinzu.

»Oh«, sagte Tilly.

»Ich musste mir ein anderes schnorren, um meinen Bericht präsentieren zu können.« Sie lehnte sich in Richtung des Ensigns. Ihre blauen Augen waren aufgeweckt und scharfsinnig. »Das ist das Problem, wenn man eine Mitbewohnerin hat, die selbst die Staubmäuse unter dem Bett nach Größe und Form ordnen würde, wenn sie es könnte. Die so ordentlich ist, dass ich die Hälfte meiner Sachen nie finden …«

»Wir haben auf dem Schiff gar keine Staubmäuse«, fiel Tilly ihr in dem Versuch, die Anspannung zu lösen, ins Wort.

»Darum geht es doch gar nicht.«

»Als ich das letzte Mal in deinem Quartier war, musste ich das Waschbecken benutzen«, warf Owo taktvoll ein. »Da entdeckte ich eine Menge ausgezupfte Augenbrauenhaare, die darin herumlagen. Vielleicht braucht eine Person, die überall im Waschbecken Augenbrauenhaare hinterlässt, jemanden, der hinter ihr saubermacht, meinst du nicht?«

»Du hast vielleicht ein paar gesehen«, sagte Detmer, die plötzlich sehr verteidigend wirkte.

»Klar. Aus jeder Augenbraue. Und sie haben sich dort im Lauf einer Woche täglich angesammelt.«

»Also, ähm …« Tilly nahm einen Bissen von ihrem Frühstücksburrito – sie liebte es, Frühstücksgerichte zum Abendessen zu verspeisen. Die Pause, während sie kaute, verschaffte ihr eine Möglichkeit, das Thema zu wechseln, da der Ordnungsfimmel ihrer Mitbewohnerin ein persönliches Lieblingsärgernis von Detmer war. Jeder hier am Tisch hörte mindestens einmal im Monat, wie sie sich darüber beklagte. »Wo ist Bryce?«

»Quarantäne«, antwortete Owo.

Tilly schnappte nach Luft. »Nein! Was ist passiert?«

»Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte Detmer und wandte sich dann tadelnd an Owosekun. »Lass es nicht so klingen, als würde er sterben.«

Owo zuckte mit den Schultern. »Eigentlich habe ich nur ein einziges Wort gesagt. Eins.«

»Stimmt. Tut mir leid.« Detmer legte behutsam ihren Löffel auf dem Teller unter ihrer Schüssel ab, lehnte sich zu Tilly hinüber und senkte die Stimme. »Bryce ging mit nach unten, um dabei zu helfen, die Funktionsfähigkeit der Subraumphalanx der Kolonie zu verbessern. Wie sich herausgestellt hat, arbeitete in derselben Einrichtung auch eine Person, die sich mit Blutbrand infiziert hatte.«

»Und da wurde nichts desinfiziert?«, fragte Tilly entsetzt.

»Doch, natürlich, aber der Captain wollte auf Nummer sicher gehen und ließ Bryce direkt auf die Quarantänestation beamen.«

»Wenn etwas wie diese Krankheit auf dieses Schiff gelangt«, sagte Rhys, »dann … Ich will nicht mal darüber nachdenken.«

»Gen, wir haben die entsprechenden antiviralen Medikamente an Bord.« Airiam wandte sich von ihm ab und schaute Tilly an. »Keyla und ich werden Bryce besuchen, sobald sie mit dem Essen fertig ist … wann immer das sein wird.« Sie runzelte die Stirn und warf einen Blick auf Detmer.

»Machst du dich schon wieder über meine Essgewohnheiten lustig?«, fragte die Pilotin.

»Ja«, erwiderte Airiam.

Als Reaktion darauf schlürfte Detmer in Zeitlupe einen weiteren Löffel von ihrer Suppe und tupfte sich dann auf übertriebene Weise die Lippen mit einer Serviette ab.

»Ich muss nicht warten«, sagte Airiam, während sie mit ihrem leeren Tablett in den Händen aufstand. »Ich kann dich dort treffen.«

»Ich komm ja schon, ich komm ja schon«, erwiderte Detmer, während sie schnell ihre Sachen zusammensuchte. »Ich habe extra langsam gemacht, damit ich Tilly beim Essen Gesellschaft leisten konnte.«

Tilly lächelte dankbar und schaute dann zu Rhys und Owo. »Ihr bleibt doch noch, oder?«

»Klar«, sagte Owo. »Ich habe nichts anderes vor.«

»Ich wollte die Regeln des Ket-ma Tah lernen«, sagte Rhys und nahm eine Fritte von seinem Teller, obwohl er ihn bereits mit einer Serviette bedeckt hatte. »Aber das schiebe ich schon seit Wochen vor mir her, also wird ein weiterer Abend nichts ausmachen.«

»Was ist Ket-ma Tah?« Obwohl der Burrito lecker war, wollte Tilly plötzlich auch Fritten, doch dann verdrängte sie dieses Verlangen. Er hatte die normalen dünn geschnittenen, und ihr wären gewellte lieber gewesen, redete sie sich ein. Und sie müssten mit Käse überbacken sein. Nicht mit diesem suppigen Käse, der schmeckte, als wäre er aus irgendeinem seltsamen Pulver zusammengerührt worden, sondern mit echtem geschmolzenen Käse, der vermutlich aus Milch gemacht worden war, die von einer Kuh oder einem kuhähnlichen Wesen stammte.

»Das ist wie andorianisches Mancala«, sagte er. »Falls das hilft.«

»Leider nicht«, neckte Owo ihn, und Tilly war sicher, dass sie sah, wie die andere Frau die Augen verdrehte. Sie hatte zwischen Owo und Rhys schon immer eine Dynamik wahrgenommen, wie sie wohl zwischen einer großen Schwester und einem kleinen Bruder bestand, was in ihr den Gedanken aufkommen ließ, dass es sicher wundervoll wäre, Geschwister zu haben. Allerdings würde sie niemandem ihre Mutter wünschen. »Das ist, als würde dich jemand fragen, wie dein Alligatorsandwich schmeckt, und du sagst, dass es wie Dinosaurier schmeckt.«