Star Trek – Picard 3: Schwarze Schafe - John Jackson Miller - E-Book

Star Trek – Picard 3: Schwarze Schafe E-Book

John Jackson Miller

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Beschreibung

- Die Vorgeschichte einer der beliebtesten Figuren der Serie Die Sternenflotte war alles für Cristóbal Rios – bis zu einem schrecklichen, unerklärlichen Tag, an dem alles schiefging. Ziellos und orientierungslos ergreift er die Chance auf eine Zukunft als unabhängiger Frachterkapitän in einem von der Föderation verratenen Gebiet, der Grenzregion zum ehemaligen Romulanischen Imperium. Sein größter Wunsch: in Ruhe gelassen zu werden. Doch an Einsamkeit ist für den Captain der La Sirena nicht zu denken, denn er gerät in die Schuld einer umherziehenden Ganovenbande von einem Planeten, dessen Gesellschaft sich an der Erde der Prohibitionszeit orientiert. Gegen seinen Willen muss sich Rios mit Ledger, seinem hinterhältigen Aufpasser, auf eine Odyssee quer durch die Sterne begeben, die ihn in Konflikt mit Gesetzlosen und Glücksrittern, Machtmaklern und Reliquienjägern bringt. Exotische Liebschaften und Schauplätze warten auf ihn – ebenso wie Gefahren in Hülle und Fülle – und Rios lernt auf die harte Tour, dass gute Besatzungsmitglieder schwer zu finden sind, selbst wenn man sich seine eigenen erschaffen kann. Und obwohl sein Treffen mit Jean-Luc Picard noch Jahre entfernt ist, greift Rios auf die Erfahrungen der Sternenflottenlegende zurück, als er einem Geheimnis auf die Spur kommt, das an einem der wichtigsten Tage der Galaxis begann …

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SCHWARZE SCHAFE

von

JOHN JACKSON MILLER

Based onStar TrekTMcreated by Gene RoddenberryandStar TrekTM: Picardcreated byAkiva Goldsman & Michael Chabon&Kirsten Beyer & Alex Kurtzman

Ins Deutsche übertragen vonStephanie Pannen

Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – PICARD: SCHWARZE SCHAFEwird herausgegeben von Cross Cult, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.Herausgeber: Andreas Mergenthaler, Übersetzung: Stephanie Pannen;verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Katrin Aust; Korrektorat: Peter Schild;Satz: Rowan Rüster; Print-Ausgaben gedruckt von CPI book GmbH, Leck. Printed in the EU.

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – PICARD: ROGUE ELEMENTS

German translation copyright © 2022 by Cross Cult.

Original English language edition copyright © 2021 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2021 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All rights reserved.

This book is published by arrangement with Gallery Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

ISBN Taschenbuchausgabe: 978-3-98666-108-3ISBN limitierte Hardcoverausgabe: 978-3-98666-107-6ISBN E-Book ISBN 978-3-98666-109-0Mai 2022

WWW.CROSS-CULT.DE • WWW.STARTREKROMANE.DE • WWW.STARTREK.COM

Für James Mishler,weil er meinen Weisheitswert stets um +1 erhöht

Inhalt

HISTORISCHE ANMERKUNG

—2391— SCHURKEN DER SEE

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

—2391— DIE FLUCHT AUS DEM WALD

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

—2392— DER VERRÄTER IN DEN FLAMMEN

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

—2392— DIE ERDE IM FENSTER

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

—2393— DIE KETTEN DER FEIGEN ENGEL

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

EPILOGE: DER LANGE ABSCHIED

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

DANKSAGUNGEN

Auch kann im Lauf der Zeitenunsere Pein zu unserm Element,die wilde Glut, gelinder,unser Stoff in ihren Stoff verwandelt werdenund das Schmerzgefühl dadurch verschwinden.– MammonDas verlorene ParadiesJohn Milton

Es gibt kein gutes oder schlechtes Geld.Es gibt nur Geld.– Charles »Lucky« Luciano

HISTORISCHE ANMERKUNG

Diese Geschichte beginnt 2391, vier Jahre nach dem Tod der romulanischen Sonne und ein Jahr nach den Ereignissen an Bord der U.S.S. ibn Majid, die zum Austritt Cristóbal Rios’ aus der Sternenflotte führten.

—2391—

SCHURKEN DER SEE

In welchem Cristóbal Riosauf eine Meerjungfrau trifft –und mit ihr türmt

1

Krillen’s KeepVerex III

»Hören Sie, ich will ja kein Miesmacher sein, aber wollen Sie jetzt auf diesem Sitz Platz nehmen oder ihm einen Antrag machen?«

Der schwarzhaarige Kunde ignorierte das Geplapper des Raumschiffhändlers. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf den Sitz vor sich gerichtet. Er wirkte nicht gerade bequem. Schwarz und grau wie der Rest des Frachters, schien er rein zweckmäßig zu sein. Doch Cristóbal Rios betrachtete ihn ehrfürchtig und seine Hände erfassten jede Kontur.

Ein Kommandosessel war immer noch ein Kommandosessel.

Wieder hörte er die nasale Stimme hinter sich: »Kumpel, alles in Ordnung? Sie stehen da jetzt schon eine ziemlich lange Zeit.«

»Es war eine lange Zeit«, murmelte Rios. Zu lange. Ohne zurückzublicken, fragte er: »Wie groß ist die Ladekapazität?«

»Mehr als ausreichend. Neunzigtausend Kubikmeter.«

»Das ist ein Frachter, keine Konzerthalle.« Rios drehte sich zu dem kleineren der beiden Händler, die ihn auf dem Schiff herumgeführt hatten. »Wie war noch mal Ihr Name?«

»Das hab ich Ihnen doch schon gesagt. Zweimal!«

»Also gut, Mister Zweimal, wenn Sie die Antwort nicht wissen, tischen Sie mir keinen Schwachsinn auf. Das wird Ihnen nicht helfen, das Geschäft abzuschließen.«

»Der Klugscheißer hat ein ganz schön freches Mundwerk«, sagte der Kleinere zu seinem Partner.

»Sei nicht unhöflich«, erwiderte der große, dürre Mann und trat vor. »Das hier ist Burze – und ich bin Wolyx, zu Ihren Diensten.« Wolyx lüftete seinen Hut.

Sowohl er als auch sein stämmigerer Kollege trugen eine braune Hose und ein weißes Hemd, doch während Burze seine Ärmel hochgekrempelt hatte, waren die von Wolyx genau wie sein Kragen zugeknöpft. Noch dazu trug er eine Krawatte. Das erschien Rios eine seltsame Kleiderwahl für Verex III, ein trostloser Ort, an dem es selbst mitten im Winter drückend heiß war. »Schwitzen Sie nicht, Wolyx?«

»Oh nein. Nicht hier drin.« Wolyx machte eine ausladende Handbewegung. »Warum sollte ich? Dieses Schiff ist das reinste Paradies. Wie ein Tag auf Risa.«

»Wenn Sie das hier für Risa halten, sind Sie auf dem falschen Planeten gelandet.«

»Sehr amüsant, Sir.« Der Händler mit den schütteren Haaren setzte ein Lächeln auf, das Rios nicht im Geringsten überzeugend fand. Schließlich gab er es auf und begann, sich mit seinem Hut Luft zuzufächeln.

Burze rollte mit den Augen. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. Haben Sie genug gesehen?«

»Ich hab auf jeden Fall genug gerochen«, sagte Rios. Er schnupperte erneut und verzog das Gesicht. »Ist hier drin was gestorben?«

Burze kicherte, Wolyx hingegen begann sich zu winden. »Es ist nur dieser Planet, Mr. Rios. Sie waren ja draußen. Aber hier drin muss man nur kurz die Luft recyceln und …«

»Das reinste Paradies. Schon klar.«

Rios warf einen Blick aus dem vorderen Sichtfenster auf das Landefeld. Aus den vulkanischen Rissen hier auf Verex III stieg genug Dampf auf, um den Boden zu vernebeln, dennoch konnte er die Silhouetten einer Reihe von Schiffen ausmachen. Ihm fiel auf, dass eins fehlte: Das Shuttle, das ihn hergebracht hatte, war nur gerade lange genug geblieben, bis er seine Tasche aus dem Frachtraum geholt hatte.

Der Pilot hatte gesagt, dass es nicht klug sei, sich lange im Raumhafen aufzuhalten, selbst am helllichten Tag. »Besonders dann nicht. Denn dann sehen sie einen kommen.«

Die Föderation mochte die Armut besiegt haben, doch Verex III gehörte nicht zur Föderation, und Besitz wurde in Krellen’s Keep, dem größten Außenposten des Planeten, großgeschrieben. Außerdem war es der größte Umschlagplatz im Sektor für gebrauchte Raumschiffe.

Burze tippte Rios an. »Sie können sich sparen, einen Blick auf den Schrott da draußen zu werfen. Dieses Schätzchen hier ist genau das, was Sie suchen, glauben Sie uns. Sie ist eine Schönheit.«

Wolyx stimmte schnell zu. »Sie hat alles, was Sie sich nur vorstellen können.«

»Stimmt, sie ist regelrecht zugemüllt damit.« Rios betrachtete erneut den Schrott, der überall im oberen Bereich des Schiffs bis hinten zum Warpantrieb verteilt lag. Achtlos hingeworfene Behälter, zerbrochene Tonwaren, Teile uralter Werkzeuge … sogar ein ausgestopfter klingonischer Targ. Und das war nichts gegen das Zeug, das er unten in der Messe und auf dem Frachtdeck gesehen hatte. »Wurde der Replikator von einem Schimpansen programmiert?«

»Ein was?«, fragte Burze.

»Welchen Teil haben Sie nicht verstanden?«

»Hören Sie mal, Kumpel …«

Wieder ging Wolyx dazwischen und trat Burze dabei fast auf den Fuß. »Das Schiff hat einen ganz ausgezeichneten Replikator. Und nicht einen einzigen Erdenaffen.«

»Und was ist dann dieser ganze Müll hier?«, fragte Rios.

Burze kicherte. »Der … äh … ehemalige Besitzer war nicht mehr in der Lage, sein Zeug zu entfernen.«

Rios bemerkte, wie Wolyx nervös von einem Bein aufs andere trat. Okay, vielleicht ist hier drin wirklich was gestorben.

Wolyx zwang sich zu einem breiten Grinsen. »Wir wollten einfach nicht damit warten, dieses kleine Wunder auf den Markt zu bringen. Betrachten Sie den Rest als … Bonus. Ein verborgener Schatz, wohin man auch sieht.«

»Kostenloser Schrott. Schon klar. Ist so viel Zeug an Bord, weil es ein Problem mit dem Schleppsystem gibt?«

»Oh, dieses Modell ist mit den allerneuesten Kopplern ausgestattet, die sich mit einer Vielzahl von Frachtmodulen verbinden lassen!«

»Funktionieren sie noch?«

Das Grinsen des Händlers verblasste ein wenig. »Sie müssten ein bisschen gewartet werden.«

»Also kein Schleppsystem.«

Burze riss genervt die Hände in die Höhe. »Ich warte draußen, bis ihr hier fertig seid.« Zu seinem Partner sagte er im Vorbeigehen: »Ruf mich, wenn dieser Mistkerl was anderes will, als sich zu beschweren.«

Während Mr. Aggressive Verkaufstaktik nach unten marschierte, startete sein subtilerer Kollege einen neuen Versuch. »Bitte entschuldigen Sie«, sagte Wolyx. »Aber Sie müssen doch zustimmen, dass dieses Schiff – diese Jacht – der Inbegriff von Perfektion ist. Es mangelt einfach an nichts.«

»Doch, das tut es«, erwiderte Rios.

»Unmöglich!«

Rios deutete auf die leere Stelle vor dem Kommandosessel. »Was ist mit der Steuerkonsole?«

»Ah. Die Benutzeroberfläche des Kaplan-F17-Geschwindigkeitsfrachters ist holografisch. Sie erscheint nur bei Autorisierung.«

»Ich bin kein Idiot, Wolyx.«

»Natürlich, ich wollte nicht …«

»Autorisieren Sie sie.«

»Oh.« Der Händler schüttelte den Kopf. »Nein, nein, sie wollen nicht, dass ich das tue.«

Sie? Rios nahm an, dass es sich dabei um die Leute handelte, zu denen Burze sich gesellt hatte. Er drehte seine Handinnenflächen nach oben. »Ich habe gesagt, dass ich mir die Brücke ansehen will. Ohne die Steueroberfläche sind das hier nur ein paar Sitze und ein Fenster. Eine Aussichtslounge.«

»Aber es ist doch sicher mehr als …«

»Für eine Aussichtslounge zahle ich nicht, Wolyx.« Rios drehte seine Hände um und hob sie vor sich in die Höhe. Dort hielt er sie, die Fingerspitzen in der leeren Luft schwebend. Er warf dem Händler zehn Prozent eines Lächelns zu.

Also?

Wolyx überlegte einen Moment. Dann sprach er seinen Namen, gefolgt von einem seltsamen Spruch: »Der Hort, der Hort, der Reise Lohn.«

Auf diese magischen Worte hin erschien vor dem Kommandosessel die holografische Steuerkonsole. Rios musterte sie einen Augenblick, bevor er sich setzte. »Schickes Passwort. Woher stammt es?«

Wolyx verschränkte die Hände. »Oh, das habe ich ausgesucht. Es stammt aus den Gesängen von Uthella, einem orionischen Klassiker.«

»So was wie ›Sesam öffne dich‹.«

»Oh, Sie kennen Tausendundeine Nacht!«, erwiderte Wolyx begeistert. »Dieser Spruch tauchte erstmals in Antoine Gallands Version auf – auch wenn ich persönlich die neuere von Wu Hezar bevorzuge.«

Was man für Leute trifft, dachte Rios, während seine Finger über die funkelnde Steueroberfläche tanzten »Sie lesen gern, Wolyx?«

»So oft ich die Gelegenheit dazu bekomme – was in meiner Branche leider nicht allzu oft der Fall ist. Aber meinem Volk sind Bücher sehr wichtig.«

Mehr als ein Teil dieser Antwort ließ Rios rätseln. Der Händler wirkte menschlich, auch wenn das nicht wirklich etwas heißen musste. Und normalerweise redeten die Leute eher von Geschichten als von Büchern. Das physische Medium existierte natürlich noch, aber für viele war es inzwischen nicht mehr als eine Kuriosität.

Rios eingeschlossen.

»Es gibt noch ein Zitat«, sagte Wolyx und begann, auf und ab zu gehen. »›Denn das Schiff ist mein Schloss, dieser Sitz mein Thron.‹ Das zeigt doch deutlich, wie wichtig …« Er blieb stehen und sah Rios an. »Äh, was machen Sie da?«

Rios ließ die erwachenden Schiffssysteme antworten. Er spürte das Summen durch den Kommandosessel – und es gefiel ihm, wie die Anzeigen auf der Konsole einer Schiffsklasse aufblinkten, die er noch nie zuvor geflogen hatte.

Nein, kein bisschen eingerostet.

Wolyx stellte sich vor ihn und wedelte beunruhigt mit den Händen. »Mister Rios, ich bin nicht dazu befugt, Ihnen zu gestatten, das Schiff zu starten.«

»Sie haben mich aber doch gerade dazu autorisiert.«

»Ja, aber das war doch nur, um Sie einen Blick auf die Konsole werfen zu lassen, nicht um …«

Rios drückte auf einen holografischen Knopf und das Summen wurde zu einem immer schneller werdenden Dröhnen.

»Ich kann wirklich nicht …«, begann Wolyx, nur um von einem Piepen seiner persönlichen Komm-Einheit unterbrochen zu werden. Nervös ging er dran. »Was?«

»Burze hier. Was ist da los?«

»Das Schiff wurde gestartet.«

»Das kann ich sehen, du Trottel. Wer hat es gestartet?«

»Er hat das Schiff gestartet!«

Rios hob einen Finger, um zu korrigieren. »Und jetzt fliegt er das Schiff.« Der Frachter hob vom Boden ab. Wolyx verlor das Gleichgewicht und ließ den Kommunikator fallen. »Vielleicht sollten Sie sich besser hinsetzen«, sagte Rios.

Während Burzes Schimpftirade aus der am Boden liegenden Komm-Einheit plärrte, warf Rios einen Blick nach draußen, wo sich ein paar Gestalten näherten. Wer auch immer sie waren, sie überlegten es sich schnell anders. Die Warpgondeln des Frachters erstreckten sich bis weit vor das Schiff, wie ein Speer in jeder ausgestreckten Hand. Als Rios das Schiff herumdrehte, mussten alle auf der Plattform in Deckung gehen.

Lebhaft. Dieser Begriff hatte in der Objektbeschreibung gestanden und Rios hatte es für eine seltsame Wortwahl für ein Frachtschiff gehalten. Offensichtlich stammte sie von Wolyx und nicht von Burze. Doch nun fand Rios sie passend. Der Frachter drehte sich erst in die eine, dann in die andere Richtung, während er an Höhe gewann und der Händler abwechselnd nach seinem Kommunikator und seinem Hut tastete. Verex Prime drang durch den Dunst und schien hell auf die Brücke.

»Mister Rios!«, rief Wolyx, während er sich vergeblich an der Armlehne eines Sitzes festzuhalten versuchte. »Sie müssen sofort wieder runter!«

»Okay.« Rios riss den virtuellen Steuerknüppel herunter, beschleunigte und raste auf die Gebäude von Krellen’s Keep zu. Einen ganzen Kilometer lang sauste der Frachter knapp über den Boden hinweg, erschreckte Passanten zu Tode und wich nur knapp ein paar Schwebetransportern aus.

Gekonnt manövrierte er das Schiff auf einen Kurs ins All. Luftverkehr hier, Skybridges dort – der Frachter schlängelte sich an allen Hindernissen vorbei. Es gab kleinere Leistungsschwächen, minimale Abweichungen von Rios’ Erwartungen. Gedanklich erstellte er eine Liste, verlangsamte aber nicht. Nach einem weiteren Kilometer erblickte er den freien Himmel, nach dem er gesucht hatte.

In dieser Lampe steckt ein Dschinn, dachte Rios. Lassen wir ihn mal raus.

2

Verex III

Der Frachter raste geradeaus und aufwärts. Er flog so nah an einem Turm vorbei, dass die Hälfte der darin nistenden Vögel aufgescheucht wurde. Eine Sekunde danach ließ der Überschallknall auch die zweite Hälfte die Flucht ergreifen.

Wolyx, dem es zwischenzeitlich gelungen war, sich an einem Träger festzuhalten, war ebenfalls wieder in Bewegung, und zwar in die denkbar ungünstigste Richtung: nach hinten. Dort flog all der lose Kram herum, an dem er sich ganz bestimmt verletzen würde. Doch er kam nicht weit, denn Rios schnappte sich die Krawatte des Händlers und hielt ihn daran fest. So zog er den Mann zu sich, bevor er einen Blick hinter und neben sich warf.

»Mir fällt zwar gerade kein schlaues Zitat dazu ein«, sagte Rios. »Aber Sie sollten sich wirklich besser hinsetzen.«

Wolyx schluckte hart und riss sich zusammen. »Also gut.« Er stolperte zu einem Sitz und schnallte sich an, gerade rechtzeitig, bevor Rios von Schub auf Impuls ging.

Der Frachter brach aus der verexanischen Atmosphäre ins All, wo ihnen ein Konvoi eingehender Transporter entgegenkam. Rios steuerte genau auf sie zu und beschleunigte. Bevor die Piloten der anderen Schiffe reagieren konnten, schoss der Frachter elegant zwischen der Karawane hindurch. Dann sah Rios ein weiteres Ziel, einen der silbernen Monde des Planeten. Er flog direkt darauf zu.

Das Schiff umrundete die luftleere Kugel auf einer Flughöhe von dreißig Metern, als Wolyx’ Komm-Einheit an seinen Füßen vorbeischlitterte und gegen die linke Seite des Kommandosessels prallte. Rios hob sie auf. Als sie piepste, ging er dran. »Wie läuft’s denn so?«

»Wolyx!«

»Nicht Wolyx. Der andere Kerl.«

»Sie!« Er konnte praktisch vor sich sehen, wie Burze vor Wut schäumte. »Sie haben unser Schiff gestohlen!«

»Nur ein Probeflug.«

»Ein Probe…?«, rief Burze lauter. »Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie es zu tun haben? Wir machen keine Probeflüge! Sie kommen jetzt sofort zurück oder wir werden …«

Rios verlor das Interesse und warf Wolyx den Kommunikator zu. »Ist für Sie.«

Der Händler versuchte einen Moment, ihn zu fassen zu bekommen, bevor er ihn doch fallen ließ. Er schlitterte davon und Wolyx entschied, ihn gehen zu lassen. Als der Frachter einen Mondberg passierte, auf den er zugerast war, ergriff er erneut das Wort: »Sie … äh … sind schon mal geflogen, nehme ich an.«

»Verkaufen Sie Schiffe dieser Größe oft an Erstkäufer?«

»Nie.«

Eine weitere Beinahekollision und Wolyx verstummte wieder.

Ein Test führte zum nächsten und zu einem weiteren. Der Frachter schoss gerade auf die Hauptsonne von Verex zu, als seine Sensoren vier näher kommende Kontakte meldeten. Sie waren riesig: Schiffe der Dreadnought-Klasse, wie sie gern von orionischen Piraten genutzt wurden. Rios hatte vorhin ein paar davon gesehen. Jetzt schienen sie auf ihn zu reagieren.

Diesmal war es das Komm-System des Schiffs, das ein akustisches Signal von sich gab. Die Person, die auf einem Schirm der Holo-Oberfläche erschien, war nicht Burze – und wirkte alles andere als glücklich.

Der Anrufer hatte noch keinen Ton gesagt, als Rios ihm zuvorkam. »Bin gerade beschäftigt«, sagte er, beendete die Übertragung und brachte den Frachter in eine Kurve um den Stern.

Freudig stellte Rios fest, dass die Dreadnoughts auf Abfangkurs gingen. Es handelte sich um genau die Art von Schiffen, die im All Frachter überfielen, die weder von der Föderation noch anderen Mächten geschützt wurden. Er fand, dass ein Aufeinandertreffen mit einem oder zwei von ihnen sehr lehrreich sein würde, und änderte seinen eigenen Kurs entsprechend.

Es sagte ihm, was er wissen wollte. Nicht perfekt – hat aber Potenzial.

Bis jetzt hatte niemand das Feuer auf ihn eröffnet, was darauf hindeutete, dass sie entweder Wolyx oder den Frachter nicht beschädigen wollten. So wie der Händler neben ihm jammerte, war es wahrscheinlich Letzteres. Er begann, eine Reihe schneller Berechnungen einzugeben. »Sind das Ihre Leute?«, fragte er.

Wolyx machte ein zustimmendes Geräusch. Gequält sagte er: »Sie … Sie haben doch nicht etwa vor, auf Warp zu gehen, oder?«

»Sieht ganz danach aus.« Aus dem Augenwinkel sah Rios, wie der Händler erbleichte.

Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die leuchtende Maschinerie weit hinten im Frachter: den Warpkern, deutlich sichtbar hinter all dem Krimskrams. Er sah wieder zur Steueroberfläche und seine Finger schwebten über den virtuellen Kontrollen, die den Frachter weit weg schicken würden …

Doch schließlich rief er die Impulssteuerung wieder auf. Der Frachter wendete, änderte den Kurs, schoss zwischen zwei Verfolgern hindurch und kehrte auf schnellstem Weg nach Verex III zurück.

»Oh nein!«, rief Wolyx, als Rios den Frachter mit hoher Geschwindigkeit in die Exosphäre des Planeten trieb, was das Schiff und seine Insassen tüchtig durchschüttelte. Rios steuerte das Schiff durch ein Flammenmeer nach unten. Er wusste nicht genau, ob die Dreadnoughts auf dem Planeten landen konnten, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie es nicht auf seine Art konnten – und er wollte ein paar Minuten für sich. Er bekam sie und ging in den Landeanflug auf Krellen’s Keep, sobald der Frachter die Wolkendecke durchbrochen hatte.

Vier Minuten später stand das Schiff wieder auf dem nebligen Landefeld – genau wie Rios. Der Haupteingang des Frachters war eine Laderampe auf dem Unterdeck. Er nahm nicht an, dass sie oft genutzt wurde, angesichts des Frachttransporters, den er vorhin gesehen hatte. Er stand am Fuß der Rampe, sah zu dem Schiff auf und machte eine Bestandsaufnahme.

Noch mehr von dem trostlosen Grau. Die Außenbordgondeln mussten so groß wie ein halbes Fußballfeld sein. Mit ihren aggressiven Kanten erinnerten sie ihn an gigantische Reißzähne aus Metall. Er nahm an, dass diese Form wahrscheinlich die Aerodynamik verbesserte.

Weiter hinten musste er zweimal hinsehen. Am Ende des Rumpfs zählte er zwölf Impuls- und Schubdüsen, weit mehr als bei einem Transporter dieser Größe üblich waren. Er glaubte nicht, dass das bei diesem Modell Standard war. Da hatte wohl jemand die Nase nicht vollkriegen können.

Und er hatte auch schon ein paar Ideen, wie man weitere hinzufügen könnte.

Rios bemerkte eine Bewegung an der Seite. Wolyx’ Hut rollte die Rampe herunter. Der sichtlich erschütterte Händler rannte ihm hinterher. Seine Krawatte hing ihm über die Schulter und sein Gesicht war zu einer verquollenen Grimasse erstarrt, die ihm fast das Aussehen eines verängstigten Denobulaners verlieh. Wolyx folgte seinem Hut auf die Plattform, nur um ihn ausdruckslos anzustarren, als er liegen blieb.

Als der Händler schließlich aufblickte und sich umsah, war seine Stimme seltsam ruhig. »Das ist nicht die Landeplattform, von der wir gestartet sind.«

»Tut mir leid. Ich wollte noch ein bisschen mehr Zeit haben, um mir alles anzusehen.« Rios deutete auf den Bodennebel. »Zumindest habe ich die richtige Stadt erwischt.« Er hob Wolyx’ Hut auf. »Hier.«

»Danke.« Der Händler nahm ihn entgegen – und versuchte gleichzeitig, den Knoten seiner Krawatte zu richten. Außerdem schien er nach den richtigen Worten zu suchen, doch Rios sprach zuerst.

»Ein komischer Vogel.«

»Wie meinen?«

»Das ganze Ding hier.« Rios deutete nach oben. »In der falschen Atmosphäre können große Gondeln ein ziemlicher Nachteil sein. Die Klingonen sind schlau genug, darauf zu verzichten. Und die Leute, die sich dieses Schiff ausgedacht haben, waren eindeutig der Meinung, dass es völlig überbewertet ist, nach Backbord oder Steuerbord sehen zu können. Glücklicherweise gibt es Sensoren, denn die periphere Sicht aus dem Cockpit ist gleich null.«

»Sie … äh … scheinen keine Probleme da oben gehabt zu haben.«

»Ich rede nicht über meine Probleme.«

Als Rios Wolyx’ Unbehagen sah, entschied er sich, noch eins draufzusetzen. »Die Mischung des kryogenischen Wasserstoffs stimmt nicht, bevor er in die Impulsreaktionskammer geht – wahrscheinlich wurde der falsche Komplexbildner verwendet. Beim Beschleunigungsmesser hakt es auch irgendwo – das Manövertriebwerk reagiert verzögert. Es ist wahrscheinlich seit Langem nicht mehr rekalibriert worden. Die Mühe macht sich kaum jemand.« Rios kratzte sich am Bart. »Den Landewinkel hat es besser hinbekommen, als ich erwartet hatte, aber es zittert zu stark. Da ist wohl eine Generalüberholung fällig.«

»Eine Generalüberholung.«

»Ja. Aber es ist okay. Wenn man richtig Arbeit reinsteckt, lässt sich was Gutes daraus machen.«

»Was Gutes.« Wolyx betrachtete seinen Hut und lachte auf. »Wie heißt es noch? ›Von einer fremden Macht hängt ihr ewiges Dasein ab.‹«

Rios starrte ihn überrascht an. »Was haben Sie gesagt?«

Wolyx wiederholte es. »Das stammt aus einer anderen Geschichte … ich weiß nicht mehr, welche. Ich glaube, es ging um eine Statue oder so was.«

Wieder blickte Rios zum Schiff auf. »Nein. La Sirena.«

»Wie bitte?«

»Eine Meerjungfrau«, sagte Rios. Ehrfürchtiger fügte er hinzu: »›Die Meerjungfrau hat keine unsterbliche Seele und kann sie nie erhalten, wenn sie nicht eines Menschen Liebe gewinnt.‹«

»Ah!« Wolyx schnipste mit den Fingern. »Christian Andrews!«

»Hans Christian Andersen. Es ist aus …«

Bevor Rios weitersprechen konnte, rief eine viel tiefere Stimme: »Sind Sie ein Käufer oder Dichter?«

»Weder noch«, sagte Burze, der hinter einer Gondel erschien. »Er ist ein verlogener Pirat!« Der Händler wurde von einem viel größeren, aber ähnlich gekleideten Gefährten begleitet.

»Schiffe stehlen ist wirklich kein guter Deal«, sagte der Unbekannte mit der tiefen Stimme, während er sich Rios näherte.

Burze trat beiseite und zeigte auf ihn. »Zeig’s ihm, Winzling!«

Rios starrte den Mann an. »Winzling?«

Wolyx rief etwas – doch Rios konnte es nicht verstehen, da ihn gleichzeitig etwas am Hinterkopf traf. Er stolperte vorwärts, blieb jedoch auf den Beinen. Als er sich umdrehte, musste er feststellen, dass »Winzling« nur einer von mehreren Angreifern war, die alle ähnlich proportioniert waren.

Die sinnlose Frage, ob sie ebenfalls unpassende Spitznamen hatten, schoss Rios durch den leicht benebelten Kopf.

Doch dieser Gedanke löste sich in Luft auf, als einer der Männer zum Schlag ausholte. Rios wich der Faust aus. Von seiner neuen Position aus verpasste er dem Angreifer einen Schlag gegen das Kinn. Dann musste er wieder ausweichen, als jemand anders zurückschlagen wollte.

»Aufhören! Er ist ein Kunde!« Diesmal hörte Rios Wolyx rufen, doch entweder verstanden ihn die anderen nicht oder es war ihnen egal. Vier gegen einen war ein Kräfteverhältnis, dem er sich im vergangenen Jahr öfter gegenübergesehen hatte – und es war nie gut für ihn ausgegangen. Doch diesmal war er nüchtern und der Kampf ging noch eine gute halbe Minute weiter, bevor sie ihn an einer der Gondeln in die Ecke getrieben hatten.

Rios wischte sich mit der Faust das Blut aus dem Gesicht und grinste. »Habt ihr genug?«

Offenbar hatten sie das, denn nun wurden die Waffen rausgeholt, eine nach der anderen. Disruptor. Phaser. Totschläger. Revolver.

Revolver?

Rios kannte sich mit Waffen aus. Er hatte sie sogar gesammelt, als er noch einen Ort gehabt hatte, um sie aufzubewahren. Doch diese spezielle Schusswaffe ließ ihn einen erneuten Blick auf die Kleidung seiner Angreifer werden. Denn es handelte sich keineswegs um gewöhnliche Schläger. Nein, sie gehörten zu einer ganz speziellen Sorte, fast zu unwahrscheinlich, um zu existieren, nichtsdestotrotz äußerst echt und in der Lage, ihn zu töten.

Oder ihm das Licht auszublasen.

Er sah zu Burze und Wolyx und grinste erneut. »Ich hätte euch schon bei ›Miesmacher‹ durchschauen sollen.« Er drehte sich wieder zu den bewaffneten Kerlen um. »Wie läuft es denn so auf Sigma Iota?«

»Gründerpaten«: Das iotanische Paradoxon

D. S. Whalen,Akademischer Verlag der Sternenflotte, 2368(Auszug aus der Einleitung)

Sigma Iota II und seine Bewohner sorgen seit Langem für Erstaunen und Verwirrung. Heute, hundert Jahre nach dem Besuch von James T. Kirk und dem Raumschiff Enterprise auf dem Planeten, ist das »iotanische Phänomen« nur noch faszinierender geworden.

Die Iotanier sind keineswegs die einzige Spezies im bekannten Raum, die sich neue Technologien in kürzester Zeit zu eigen macht, und es wäre schwierig, eine Welt innerhalb der Föderation zu finden, wo die Kulturen isolierter Stämme nicht durch den Kontakt mit Außenstehenden anderer Länder kontaminiert – oder Schlimmeres – wurden. Doch das ist alles nichts im Vergleich zu der raschen und völligen Übernahme von Sprache, Gewohnheiten und Werten einer verschwindend kurzen Zeitspanne auf einem anderen Planeten – und erklärt noch viel weniger die Entschlossenheit, mit der sich an viele dieser Eigenarten geklammert wurde, lange nachdem ihr außerweltlicher Ursprung allgemein bekannt wurde. In den saloppen Worten von Bakinski sind die Iotanier inzwischen »in den Scherz eingeweiht« und scheinen sich daran absolut nicht zu stören.

Die Abfolge der Ereignisse, die das alles möglich machten, ist berühmt-berüchtigt und doch hat sie nie ihre schockierende Wirkung verloren. Planetenweite Gewalt war typisch für Sigma Iota II. Seine Stämme waren zahlreich, klein und wandelten sich stets. Bekannte Verwerfungslinien, die andere planetare Populationen trennten, wie Rasse, Geografie, Sprache und Klasse, scheinen für die Iotanier der Vergangenheit keine Barrieren dargestellt zu haben, auch wenn unser Verständnis dieser Zeit schmerzhaft beschränkt ist. Geschichte erfordert Institutionen, die lange genug überleben, um sie aufzeichnen zu können. Die Iotanier gaben nichts davon eine Chance.

Nein, sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich über Angelegenheiten zu streiten, die Nichtiotaniern belanglos vorkommen würden. Kriege über verhandelbare, sogar sinnlose Meinungsverschiedenheiten mögen auf Welten mit einem Übermaß an Freizeit bisweilen zu finden sein, doch das alte Sigma Iota II war keine Welt des Überflusses. Nicht bevor ihr im Jahr 2168 das Erdenschiff Horizon während einer Periode relativen Friedens einen Besuch abstattete – und eine Sammlung von Büchern zurückließ.

Ob dies absichtlich oder versehentlich geschah, bleibt eine Frage der Spekulation, da die Horizon verloren ging. Bekannt ist, dass die Auswahl neben mehreren Handbüchern für planetare Verbesserungen einen Band mit dem Titel Chicago – Bandenwesen 1920 enthielt, den die Iotanier wie eine weitere Bedienungsanleitung lasen. Ein Blick auf das Werk kann den Fehler schnell erklären. Das Titelbild der übergroßen gebundenen Ausgabe von 1992 – von der die Kopie der Horizon das letzte verbliebene Exemplar zu sein scheint – quillt schier über von Details und ist voller Illustrationen zeitgenössischer Mode und Technik. Dieser Katalog ist so erschöpfend, dass sich heutige Forscher immer noch darauf beziehen, um alte Texte und Aufnahmen zu entschlüsseln. Wohin sonst würde man sich wenden, wenn es heißt, jemand sei ein schräger Otto und Nassauer und sollte mal ein bisschen Salzsäule spielen?

Doch am wichtigsten ist wohl, dass Bandenwesen detaillierte Beschreibungen der Machtverhältnisse im Mittleren Westen Nordamerikas in den 1920ern enthält. Die anderen auf der Horizon mitgeführten Bände enthielten ebenfalls viel Wissen, doch nichts darüber, wie die Gesellschaft strukturiert sein sollte. Was könnte also ein besseres Modell sein als ein Buch, das die Jahre beschreibt, in denen sich die Kriminalität in den Vereinigten Staaten hierarchisch zu organisieren begann?

Es ist kein Zufall, dass die Iotanier »das Buch« zwar Millionen Mal dupliziert und in der Bevölkerung verteilt haben, die frühesten Nachdrucke jedoch an Ehrenplätzen in den Hauptquartieren eines jeden Fraktionsbosses zu finden waren. Tatsächlich war es wahrscheinlich die einzige Art Magna Charta, die sich die Iotanier zu eigen machen konnten, da es zeigte, wie man ihre bestehende Neigung zu Gewalt auf eine – und ich benutze diesen Begriff mit aller Ironie – gute Regierung übertragen konnte. »Das Buch hat nicht nur kodifiziert, sondern auch glorifiziert«, sagte Botschafter Spock später. »Es hat die Vorstellung erweckt, dass diejenigen, die zufällige Gewalt in gezielte Bahnen lenken, Einfluss erlangen. So fanden die Iotanier Ordnung – leider der gewalttätigen Art.«

Diese Periode der Erde, die die Iotanier inspirierte, war in der Tat grausam, wie der Autor dieses Werks vor ein paar Jahren während eines Holodeck-Zwischenfalls, der einiges an Aufsehen erregte, am eigenen Leib erfahren musste. Also blieben die Iotanier das nächste Jahrhundert über mörderisch, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die beteiligten Stämme in Größe und Zusammenhalt immer weiterwuchsen. »Distrikte« waren laut dem Buch etwas, um das es sich zu kämpfen lohnte. Es war das erste Mal, dass sich die Iotanier über etwas einig waren, und so hatten sie endlich einen tatsächlichen Grund, um sich zu bekriegen.

Während Bandenkriege in vielerlei Hinsicht äußerst umfassend ist, schenkt es gewissen Verbrechen der aufgeführten Personen kaum Beachtung. Vielleicht waren die redaktionellen Kriterien des Jahres 1992 dafür zu puritanisch. »Badewannen-Gin« fließt auf seinen Seiten in Strömen, Rauschgift dagegen kommt überhaupt nicht vor. Und während die rückständigen Geschlechterrollen der Zeit umfassend beschrieben werden, spielt das Thema sexuelle Ausbeutung keinerlei Rolle. Dies führte dazu, dass die Iotanier den Inhalt auf ihre ganz eigene Art interpretierten. Das Außenteam der Enterprise begegnete Passanten, die keinem Beruf nachgingen, und Gangsterliebchen, die niemals etwas sagten. »Sie standen einfach nur da, als würden sie für ein Foto posieren«, sagte Leonard McCoy später. Und wie wir inzwischen wissen, taten sie genau das: Sie imitierten Bilder, die sie im Buch gesehen hatten, nichts weiter.

Die Auslassung solcher Punkte war ein Glück für die iotanische Bevölkerung, denn sie erfanden alles andere, was sie brauchten, um ihre Verbrechen möglich zu machen. Harte Währung. Die Schusswaffen, die sie benutzten, um zu stehlen. Die Fahrzeuge, mit denen sie das Geld fortschafften. Die Spielkarten, mit denen sie es wieder verspielten. Und natürlich gab es Alkohol – auch wenn es keine staatliche Autorität gab, um die Prohibition durchzusetzen. Zudem gibt es kaum Hinweise darauf, dass die chemische Zusammensetzung überhaupt einen Einfluss auf die iotanische Biologie hatte.

So war die Situation, mit der Captain Kirk im Jahr 2268 konfrontiert wurde. Sein Schachzug, planetaren Frieden zu erreichen, indem er die Föderation als rivalisierende »Gang« positionierte, hatte damals viele Kritiker und kein moderner Captain würde so etwas je wagen. Doppeltes Unrecht ergab in diesem Fall Recht, genau wie Kirk es gehofft hatte, doch dank eines ebenso berüchtigten Patzers wäre der Plan fast gescheitert: das Zurücklassen eines persönlichen Kommunikators durch ein Außenteammitglied der Enterprise – diesmal definitiv ein Versehen.

Die Geschwindigkeit, mit der die Iotanier seine Transtatortechnologie verstanden und dadurch ihren Weg zu den Sternen fanden, hätte verhängnisvolle Konsequenzen haben können, besonders als der Spezies klar wurde, dass es sich bei den Furcht einflößenden Waffen der Enterprise nicht um Magie handelte, sondern um etwas, das sie sich selbst zu eigen machen konnte. Man stelle sich die Sammelwut der Borg vor, allerdings in einer Zivilisation, die nur ein paar Jahre entfernt von völlig planloser Gewalt und dann paramilitärischen Einheiten war. Die Verbrechenssyndikate Chicagos hatten sich schließlich auch römische Legionen als Vorbild genommen. Das Ergebnis hätte katastrophal sein können.

Dass es nicht dazu kam, lag an der geschickten Arbeit während des Zweitkontakts – eigentlich Drittkontakts – durch die Sternenflotte. Als Kirks ausgewähltem Anführer klar wurde, wer diese Besucher aus dem All wirklich waren, erfuhr er auch, was sie nicht waren: Idioten, die kriminell ausgebeutet werden können. Die Wirtschaft der Föderation basierte nicht auf finanziellem Gewinn und der Großteil ihres Gebiets trennte die Iotanier von Regionen mit Systemen, die mehr nach ihrem Geschmack waren. Die Iotanier schätzten »leichte Beute«, doch keiner ihrer Nachbarn hatte Taschen, aus denen man etwas stehlen konnte.

Ohne starke Anreize, zu expandieren, gelang es dem iotanischen Syndikat – wie die neue Regierung genannt wurde –, die meisten seiner Bewohner daheim zu halten. Sie formten eine Gesellschaft, die allmählich immer friedlicher wurde, genau wie die Offiziere der Enterprise gehofft hatten. Einige potenzielle rivalisierende Banden verließen den Planeten, doch dies führte tatsächlich zu einer Stabilisierung der Kultur, da nun die Mehrheit der Iotanier die Möglichkeit hatte, zu friedlichen und produktiven Mitgliedern der galaktischen Gemeinschaft zu werden.

Ein verwirrendes Rätsel bleibt jedoch bezüglich der Auswanderer und jener, die geblieben sind. Trotz ihres Talents zur Imitation und dem Kontakt zum größeren Universum blieben die meisten Iotanier dem Modestil und der Ausdrucksweise treu, die sie aus dem Buch gelernt hatten – während sich die Auswanderer zusätzlich weiterhin streng an die darin beschriebenen Praktiken hielten.

Das diesem Werk seinen Titel gebende Paradoxon wird in späteren Kapiteln eingehend erforscht werden. Diverse jahrzehntelange kulturelle Studien werden untersucht, genau wie einige der biologisch basierten Erklärungen. Beträchtlicher Raum wird außerdem der Analyse der kontroversen »Der geborene Krake«-Theorie eingeräumt, die die Haltung vertritt, dass die Bosse, Unterbosse, Capos und Soldaten Iotas bestimmten zuvor existierenden Subspezies entsprächen, deren Mentalität die Handlungen jener Iotanier von höherem genetischem Rang geprägt hätten. Die Kritik an dieser Theorie wird ebenfalls behandelt.

Kulturhistoriker neigen dazu, einfachere Antworten zu meiden, wenn nuancierte zur Verfügung stehen, doch bei dem »iotanischen Paradoxon« könnte es letztendlich um eine grundlegende Geschmacksfrage gehen. Als ich die Frage kürzlich dem aktuellen Syndikatsboss stellte, antwortete er: »Is das nich klar? Uns gefallen einfach die Anzüge!«

3

Krellen’s KeepVerex III

Der Raum hatte eine moderne Klimaanlage, doch die Iotanier hatten dennoch Deckenventilatoren angebracht. Rios hatte lange über diesen Umstand nachgedacht, während sein Blick den Kreisbewegungen der Rotorblätter folgte. Seit einer Stunde drehte sich der Rest der Welt ebenfalls für ihn, also passte das hervorragend.

Dass Rios nur verprügelt worden war, statt tot zu sein, verdankte er einem Anruf, den Burze auf der Landeplattform bekommen hatte. Die Schläger hatten eine antiquierte Methode angewendet, um ihn dort abzuliefern: den Nachbau eines Automobils des frühen zwanzigsten Jahrhunderts der Erde, wahrscheinlich in der gleichen weit entfernten Fabrik gebaut, aus der die Iotanier auch ihre Deckenventilatoren bezogen. Die ersten Erdastronauten waren feige gewesen und hatten zum Mond nur ein langweiliges zweckdienliches Gefährt mitgenommen. Die Iotanier hingegen hatten ihre Karre milliardenmal so weit mitgeschleppt, um stilvoll über jedes Schlagloch in Krellen’s Keep rumpeln zu können. Rios im Kofferraum hatte jedes einzelne davon gespürt. Es gab nicht mehr viele Romulaner im Foltergeschäft, aber die verbliebenen konnten sich von den Iotaniern definitiv noch ein, zwei Dinge abgucken.

Gerade stand er nur wegen der Schläger an seinen Seiten, die ihn aufrecht hielten. Winzling, der Koloss auf zwei Beinen, war der eine. Der andere, ein nervöser junger Kerl, der dünner war als Wolyx, hörte offenbar auf den Namen Stinky. Und es schien ihm gar nicht zu gefallen, dass ihn Rios, der nichts Besseres zu tun hatte, alle paar Minuten darauf ansprach.

»Also, Junge, wenn Stinky dein richtiger Name ist, wie lautet dann dein Spitzname? Miefi?«

»Halt dein Maul!«

»Nein, es interessiert mich echt. Du heißt Stinky und er heißt Winzling. Verteilt eure Gesellschaft abwechselnd beschreibende und ironische Namen?« Er warf einen Blick auf den Kerl zu seiner Linken. »Oder bezieht sich das Winzling auf was anderes?«

Der Riese schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht.

Rios spürte es – schüttelte es jedoch ab. »Hey, ich bin euer Gast und versuche nur, etwas über eure Kultur zu lernen.«

»Du hältst jetzt besser mal den Rand!«, sagte Burze, der mit Wolyx vor einem großen geschlossenen Tor wartete.

»Warum haben Sie beide eigentlich keine Spitznamen?«, fragte Rios. »Ein Treffen verpasst?«

»Das ist doch lächerlich.« Burze riss genervt die Hände in die Höhe und drückte auf einen Knopf an der Wand. »Kommt schon, antwortet!«

Wolyx, der die letzte Stunde praktisch nur damit verbracht hatte, um Gnade für Rios zu flehen, starrte nervös auf das Tor. »Das solltest du besser lassen, Burze. Wir wurden hergerufen. Die wissen, dass wir hier sind.«

Burze verdrehte die Augen. »Wenn wir darauf warten, stehen wir noch nächstes Jahr hier.« Er drückte erneut auf den Knopf.

Wolyx’ Gesichtsausdruck änderte sich von Sorge zu Traurigkeit, als er Rios ansah. »Es tut mir aufrichtig leid. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass Sie keinen Schaden anrichten wollten.«

»Ich weiß«, sagte Rios und beließ es dabei. Ein freundlicher Entführer allein würde letztendlich keinen Unterschied machen und es hatte keinen Sinn, auf Rettung zu hoffen. Nicht hier draußen.

Verex III befand sich in der einst als Borderland bekannten Region, einem gesetzlosen Territorium, das lange von orionischen Syndikaten heimgesucht worden war. Die Schaffung der Romulanischen Neutralen Zone in der Nähe hatte zu regelmäßigeren Sternenflottenpatrouillen geführt, was der Gegend ein paar Jahrhunderte lang eine gewisse Stabilität verliehen hatte. Doch die Zerstörung des romulanischen Sterns hatte die Karten neu gemischt – und neue Spieler angelockt. Viele hier beheimatete planetarische Gesellschaften hatten kein Jahrzehnt gebraucht, um zur schlechten alten Zeit zurückzukehren – und ohne die Dringlichkeit einer militärischen Bedrohung durch die Romulaner hatte auch das Engagement der Föderation nachgelassen.

Keine große Überraschung für Rios, der sich darüber bewusst war, dass die Föderation keineswegs die moralische Instanz war, für die sie sich gern ausgab. Genauso wenig wie die Sternenflotte. Seine persönlichen Erfahrungen hatten ihn auf schmerzvolle Weise zu dieser Erkenntnis gebracht. Genau das war der Grund, warum er überhaupt auf der Suche nach einem eigenen Schiff war. Doch er bezweifelte, dass es der Föderation selbst zu den besten Zeiten gelungen wäre, einen ihrer Bürger auf Verex III aus irgendeiner Klemme zu befreien.

Man hatte ihn gewarnt: »Das letzte Sternenflottenschiff, das hier vorbeikam, wurde von Jonathan Archer geführt.« Er wusste nicht, ob das ein Witz war oder nicht, aber er musste sich den Tatsachen stellen. Doch wenn er sich nicht schnell etwas einfallen ließ, würde man ihn wahrscheinlich einäschern, in Betonschuhe stecken oder was immer diese Irren hier sonst so machten.

»Kommt schon, kommt schon«, sagte Burze und drückte erneut auf dem Knopf herum. Dann sah er, dass Rios zur Seite starrte. »Wohin glotzt du da?«

Rios nickte in Richtung des Tischs neben dem Händler, auf dem eine Zigarre in einem vollen Aschenbecher glimmte. »Darf ich eine rauchen?«

Stinky lachte auf. »Wir gewähren keine letzten Wünsche.«

Wolyx sah zum Tisch. »Ich bin nicht sicher, ob Sie wirklich eine wollen.«

»Sie haben ja keine Ahnung«, erwiderte Rios. Es standen noch mehr Aschenbecher mit Zigarren darin im Raum verteilt und der Geruch trieb ihn fast in den Wahnsinn. »Her damit.«

»Wenn Sie darauf bestehen.«

Während Wolyx aus einer Schublade eine Kiste holte, dachte Rios fieberhaft nach. Er sorgte sich nicht um den Kerl zu seiner Rechten, aber aus Winzlings Griff würde er sich wohl kaum ohne eine Waffe befreien können. Er hatte die Möglichkeit, den Kerl beißen zu müssen, bewusst ausgeklammert, aber etwas Heißes zwischen seinen Zähnen zu haben eröffnete ihm neue Optionen.

Doch bevor es dazu kam, wollte er daran ziehen. Er sah zu, wie Wolyx betrübt das Ende einer Zigarre abschnitt.

»Guter Mann«, sagte er, als ihm der Händler die Zigarre in den Mund steckte. »Feuer?«

»Das sollte ich wirklich nicht tun, Mister Rios.«

»Wolyx. Die halten meine Arme fest. Wie soll ich das Ding anzünden? Kommen Sie schon.«

Wolyx seufzte. »Wenn Sie meinen.« Er holte ein Feuerzeug aus der Tasche und steckte die Zigarre an.

Rio inhalierte tief – und verschluckte sich. »Madre de dios!« Er verzog angeekelt das Gesicht und spuckte das widerliche Ding auf den Boden. »Das ist ja furchtbar!«

Er musste husten und die anderen Schläger brachen in Gelächter aus.

»Wir rauchen nicht«, sagte Wolyx, während er die Zigarre austrat.

Mit tränenden Augen sah Rios von einem Aschenbecher zum anderen. »Und was sind die Dinger dann bitte? Räucherstäbchen?«

»Mehr oder weniger«, erwiderte Wolyx. »Das Buch beschreibt die Praktik des Rauchens – und den Wert von Rauchwerk als Ware. Aber auf unserem Planeten wuchs nichts, was dafür zu gebrauchen war, und was wir außerhalb unserer Welt entdeckten, sagte uns nicht zu. Also nutzen wir es mehr als Dekoration – als Motiv.«

»Wie schön für Sie«, sagte Rios, der immer noch eine Zigarre wollte.

Außerdem hätte er sich am liebsten selbst in den Hintern gebissen. Das war genau die Art von dämlicher Zwickmühle, in die er seit fast einem Jahr ständig geriet. Er war nur auf Vermittlung einer Freundin nach Verex III gekommen, die es besser mit ihm meinte als er selbst in letzter Zeit – und das hatte er nun auch versaut. Alles nur wegen … Ja, warum eigentlich? Weil ihn ein paar Händler nicht genau das hatten machen lassen, was er wollte?

Wie konnte jemand, der bisher ein streng reglementiertes Leben geführt hatte, zu einer solchen Vollkatastrophe werden?

Die Antwort fand sich nicht auf dem Betonboden, egal wie lange er darauf starrte. Weitere Minuten vergingen, während seine Entführer ausführlich besprachen, was mit ihm geschehen sollte – und Burze immer wieder vergeblich auf den Knopf drückte. Hinter dem Tor waren Geräusche zu hören: entsetzliches Kreischen, Schmerzensschreie, wie Rios sie nie zuvor gehört hatte. Das brachte Burze und seine Kumpel wieder zum Lachen, während Wolyx nervös schlucken musste.

Okay, vielleicht hilft es doch, einen Freund zu haben, dachte Rios. Es war an der Zeit, eine andere Strategie zu verfolgen, die er bis jetzt vermieden hatte. »Wolyx, erinnern Sie sich noch daran, welchen Treffpunkt ich mit Ihnen ausgemacht hatte?«

»Vor dem tellaritischen Minendock am Raumhafen.«

»Genau. Ich habe mein Gepäck in der Touristeninformation gelassen«, sagte Rios. Es war der einzige Ort, dem er genug vertraute. »Bitte sagen Sie denen Bescheid. Sie sollen es herschicken.«

»Was, versuchen Sie etwa, Ihre Kumpel um Hilfe zu rufen?«, fragte Burze und lachte. »Die werden nicht kommen – nicht hierher. Die Tellariten wissen, wer wir sind!«

»Keine Hilfe. Ich will nur meine Tasche.«

»Ist da etwa eine Waffe drin?« Stinky wirkte wie immer nervös.

Rios überlegte, wie er antworten sollte. »Nichts, das hier von Nutzen wäre – außer vielleicht, um dieses Missverständnis zu beseitigen.«

»Meinetwegen. Aber ich hole es«, sagte Burze.

»Nein. Entweder Wolyx oder keiner. Ich habe dort ein Kennwort hinterlassen. Erinnern Sie sich noch daran, wie ich das Schiff genannt habe, Wolyx?«

Der Iotanier überlegte einen Augenblick fieberhaft, bevor es ihm einfiel. »Ja!« Dann runzelte er die Stirn. »Aber ich erinnere mich nicht mehr daran, was es in dieser anderen Sprache war, die Sie benutzt haben.«

»Standard ist völlig in Ordnung.«

Als sich Wolyx in Bewegung setzte, rief ihm Stinky hinterher: »Hey, hier hat niemand zugestimmt.«

»Ich schon. Bin gleich zurück«, sagte Wolyx und verschwand aus dem Raum.

Weitere Zeit verging. Durch den Boden spürte Rios Vibrationen. Irgendwo anders im Gebäude waren schwere Maschinen im Einsatz – wahrscheinlich hinter Burzes verdammtem Tor. Das alles verhieß nichts Gutes.

Genauso wenig wie Wolyx’ niedergeschlagenes Gesicht bei seiner Rückkehr. »Ich habe angerufen – aber ich glaube nicht, dass sie mir geglaubt haben.«

Burze grinste. »Natürlich nicht. Ich hab doch gesagt, dass die wissen, wer wir sind.«

»Haben Sie denen das Kennwort genannt?«, fragte Rios alarmiert.

»Ich habe alles ganz genauso gemacht, wie Sie gesagt haben.« Wolyx ließ den Kopf hängen – und einen Moment später ließ ein lautes Geräusch alle zusammenzucken. Das Metalltor, vor dem Burze gewartet hatte, setzte sich in Bewegung.

Winzling und Stinky zerrten Rios vorwärts. Burze grinste erneut. »Jetzt sind Sie erledigt, Klugscheißer.«

»Tut mir leid«, sagte Wolyx.

Und mir erst, dachte Rios.

4

Krellen’s KeepVerex III

Nach dem, was seine Entführer gesagt hatten, und den entsetzlichen Geräuschen, die hinter der Tür zu hören gewesen waren, erwartete Rios, ein Schlachthaus zu betreten. Doch auf den ersten Blick waren keine Fleischerhaken und kein einziger Blutstropfen zu sehen. Stattdessen schubsten ihn die Schläger in etwas, das wie der große Zählraum einer Bank aussah.

Beziehungsweise wie das, dachte er, was sich die Iotanier darunter vorstellten. Hängelampen beleuchteten mehr als ein Dutzend Tische, auf denen sich stapelweise bunte Münzen, Edelsteine und Credits befanden. Rios nahm an, dass es sich um die Währungen verschiedenster Mächte auf Verex III handeln musste, deren aktuelle und ehemalige Bürger jeden Tag durch Krellen’s Keep kamen.

Er erwartete, zumindest ein bisschen goldgepresstes Latinum zu sehen, die bei Weitem beliebteste Handelswährung außerhalb der Föderation. Doch er entdeckte keins. Vielleicht war es zu kostbar, um es den Zählmeistern anzuvertrauen, einem Heer von Iotaniern in Hemden und Krawatten, die fieberhaft kalkulierten, während ihre sogenannten »Zigarren« in Aschenbechern vor sich hin glühten. Drei Männer mit altmodischen Maschinenpistolen behielten die Arbeiter genaustens im Auge.

Durch ein großes Tor weiter hinten sah Rios, woher die Maschinengeräusche kamen, die er gehört hatte: altmodische Gabelstapler, die Güter in einem Lagerbereich bewegten. Wahrscheinlich Diebesgut, dachte er. Es war ein Wunder, dass überhaupt noch jemand irgendwas durch den Raumhafen von Krellen’s Keep schleuste.

Schließlich sah er eine große Gestalt inmitten des Zählraums, die all das zu lenken schien. Rios kannte keine iotanischen Frauen, doch von den Fotos der Erde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die er gesehen hatte, stellte er sich vor, dass sie Kleider oder Röcke trugen. Diese Frau jedoch war in Hemd, Weste und eine Hose gekleidet, die ihr genug Bewegungsfreiheit gab, um schnell von Station zu Station zu gehen. Auf dem Kopf trug sie ein Barett, das irgendwie in ihren goldbraunen Haaren befestigt sein musste, denn es blieb an Ort und Stelle, während sie wie ein diktatorischer Derwisch durch den Raum wirbelte und Befehle bellte.

Sie gab den Boten Befehle, die in einer Reihe warteten, um sie zu sprechen. Sie gab den Erbsenzählern Befehle, die offenbar unablässig Nachhilfe in Wechselkursen und Mathematik benötigten. Und sie gab Leuten Befehle, die ganz woanders waren, mittels der Kommunikatoren, von denen sie in jeder Hand einen hielt.

»… mir egal, was seine selige Mutter über ihn sagt«, sagte sie mit scharfer Stimme in einen. »Wir betreiben hier keine Wohltätigkeitsorganisation. Entweder er begleicht die Summe oder du wirst dafür gradestehen. Kapiert?«

Sie wechselte zum anderen. »Nein. Ich habe neunzehn gesagt und neunzehn gemeint. Mit Ohren wie deinen hätte ich gedacht, dass du ordentlich hören könntest!«

Zurück zum ersten. »Warum redest du immer noch? Mach dich an die Arbeit!«

Dann zu einem der Mitarbeiter: »Ich sehe, was du da treibst. Du sollst die Edelsteine hier zählen, nicht später zu Hause!«

Ihre Stimme hatte etwas Knallhartes an sich, fand Rios. Ihre Sprachmelodie erinnerte an ein Maschinengewehr. Rat-a-tat-tat. Bei den Iotaniern verfiel man leicht in Metaphern von Messern und Schusswaffen, doch dafür gab es einen guten Grund: Sie passten einfach. Eine der bewaffneten Wachen hatte den Langfinger bereits im Schwitzkasten, was dazu führte, dass Rubine aus dessen Ärmeln fielen.

»Zeit für deine Pause«, erklärte die Frau barsch. Angesichts der Art, wie der Übeltäter flehte und schrie, während er ins Lager gezerrt wurde, nahm Rios nicht an, dass ihm ein Kaffee angeboten werden würde.

Burze rief ihr vom Eingang her zu: »Hey, Ledger! Wir haben was für dich!«

»Wer hat dich denn reingelassen?« Sie warf nicht mal einen Blick über ihre Schulter, um zu sehen, was es war.

»Das warst du.«

»Das war vor dreißig Sekunden. Ich bin beschäftigt.«

»Aber es ist wichtig, Miss Ledger«, sagte Wolyx mit zittriger Stimme.

»Na, so ein Pech. Und nenn mich noch einmal ›Miss‹, dann findest du dich im nächsten Gewässer wieder.«

»Das könnte ein paar Systeme entfernt sein«, kommentierte Rios.

Die Frau namens Ledger knallte den Kommunikator in ihrer linken Hand auf den Schreibtisch. »Also gut, wer ist der …?« Als sie den Gefangenen sah, hörte sie mitten im Satz auf zu sprechen. »Was zum Teufel …?«

»Ihr glaubt an den Teufel? Seltsam«, murmelte Rios.

Sie kam auf ihn zu. »Na, sieh mal einer an. Was ist euch denn da ins Netz gegangen?«

»Und noch ein seltsamer Ausdruck.« Er sah zu Stinky. »Hier gibt es doch nicht mal Gewässer zum Fischen.«

»Halt die Klappe«, sagte der Junge leise und versteifte sich, als die Frau näher kam. Es war klar zu sehen, dass sich ihre Autorität nicht auf die Zähler beschränkte.

Einen Moment später stand sie direkt vor Rios. Intelligente Augen musterten ihn von Kopf bis Fuß. »Unter welchem Stein hat man dich denn hervorgezogen?«

»Das ist Cristóbal Rios«, erwiderte Wolyx. »Er ist ein Kunde.«

»Von wegen Kunde«, fauchte Burze. »Er ist ein Betrüger. Dieser Kerl hat versucht, den Kaplan auf Plattform achtzehn zu stehlen!«

»Die Geschichte kenn ich schon«, sagte Ledger, ohne Rios aus den Augen zu lassen.

»Aber er hat’s nicht geschafft.« Burze schlug sich stolz mit der Faust auf die Brust. »Wir haben ihn erwischt!«

»Kokolores! Er hat euch so richtig durch den Kakao gezogen.«

Rios lachte auf.

»Was ist denn so lustig?«

»Ich kann nicht fassen, dass ihr wirklich so redet. Ich meine, ich hab wie alle anderen den Kurs gemacht …«

»Kurs? Welchen Kurs?«

»Kurse, genau genommen. Niemand verlässt die Akademie, ohne alles über Iota zu lernen.«

»Akademie?«, wiederholte Wolyx.

»Ja, ihr seid Teil der ersten Lektion über die Oberste Direktive«, erklärte Rios. »Später kommt ihr dann wieder im Kurs über Zweitkontaktpraktiken vor. Das Hauptseminar hab ich nicht belegt – ein Kapitel von Whalen hat mir voll und ganz gereicht. Der Kerl ist ganz schön langatmig.«

Wolyx starrte ihn mit großen Augen an. »Ja, jetzt ergibt alles Sinn. Sie haben mir nicht gesagt, dass Sie zur Sternenflotte gehören.«

»Tue ich auch nicht.«

Burze explodierte. »Warum packen wir den Kerl mit Samthandschuhen an? Wir hätten gleich mit ihm Schlitten fahren sollen.«

»Da ist es«, murmelte Rios. »Ich wusste, dass das noch kommt.«

»Was denn?«

»Schlitten fahren. Setzt ihr mir jetzt als Nächstes die Daumenschrauben an? Oder sorgt ihr dafür, dass ich die Radieschen von unten betrachte?« Er grinste. »Ich liebe das.«

Winzling schüttelte ihn so fest am Arm, dass Stinky Rios völlig aus seinem Griff verlor. »Dürfen wir ihn jetzt kaltmachen?«

Stinky meldete sich zu Wort: »Ja, bitte. Der fordert es schon den ganzen Tag raus.«

»Dem muss ich widersprechen«, sagte Rios. »Ich habe lediglich Fragen gestellt, zum Beispiel ob Stinkys Kinder, im unwahrscheinlichen Fall, dass er je die Gelegenheit zur Fortpflanzung bekommt, nach ihren Schwächen benannt werden? Oder stirbt diese Sache mit den ironischen Namen aus?«

»Halt die Klappe!«, rief der Junge wütend.

Ledger schien nicht besonders amüsiert. »Ein Wichtigtuer, was?« Sie winkte ab, bevor sie wieder in den Zählbereich zurückkehrte. »Man nennt mich Ledger, Mister Rios. Wissen Sie, warum?«

»Weil Sie mehr Glück hatten als diese Jungs hier?«

»Weil ich hier für die Buchhaltung zuständig bin und immer alles im Blick behalte.« Sie nahm sich ein Padd, eins der wenigen modernen Geräte, die Rios im Raum gesehen hatte. »Ich habe Besseres zu tun, als hier den Babysitter für diese Taugenichtse zu spielen, aber Frachter sind nicht billig. Und solange ich das Sagen habe, macht sich niemand einfach so mit einem davon – selbst wenn er Raffi Musiker kennt.«

Raffi, eine weitere ehemalige Sternenflottenoffizierin, hatte Rios’ Besuch auf Verex III arrangiert, sich jedoch über die Leute ausgeschwiegen, die er treffen würde. Er hatte angenommen, dass es sich um schräge Vögel handelte, wie viele ihrer Bekannten. Raffi war selbst auch nicht viel besser. Allerdings hatte sie nichts davon erwähnt, dass ihre Kontakte von Iota stammten, was darauf hindeutete, dass sie es selbst nicht wusste.

Wie sonst konnte jemand diese Pfeifen nicht erwähnen?

Es spielte keine Rolle mehr. »Das ist richtig«, sagt er. »Raffi hat für mich gebürgt. Sie kennen sie?«

»Hab sie nie getroffen«, antwortete Ledger. »Aber irgendwie verkehrt sie mit den ganz hohen Tieren – was der einzige Grund ist, warum sich meine Händler überhaupt mit Ihnen getroffen haben.« Sie deutete auf die Schläger, die ihn festhielten. »Sieht so aus, als hätten Sie auch schon die Delinquentenabteilung kennengelernt.«

»Das sind definitiv Delinquenten.«

»Süß.« Sie drehte sich um und begann, auf dem Tisch liegende Dokumente durchzugehen. »Ich habe viel zu tun. Denken Sie wirklich, ich glaube Ihnen, dass es sich nur um einen Probeflug gehandelt hat?«

»Ich bin doch zurückgekommen, oder?«

Burze schnaubte verächtlich. »Erst als ihn die Dreadnoughts verfolgt haben!«

Rios warf ihm einen bösen Blick zu. »Die haben mich nicht aufgehalten.«

»Das ist mir aufgefallen«, sagte Ledger und sah auf. »Das wird ebenfalls ein Nachspiel haben.«

»Ziemlich schwere Kreuzer«, sagte Rios. »Wo habt ihr die bloß her?«

»Was meinen Sie damit?«

Burze kam dahinter. »Er hält uns für kleine Fische.«

»Kleine Fische?«, rief Stinky empört. »Du hast es mit den Überzeugern zu tun, Kumpel!«

»Die Überzeuger?« Rios grinste. »Klingt wie ein Debattierclub.«

Ledger warf den bewaffneten Wachen einen Blick zu. »Zeigt ihm mal, was ein Überzeuger ist.« Auf ihren Befehl hin durchlöcherten sie die Decke mit einem Kugelhagel aus ihren Maschinengewehren. »Netter Club, was?«, rief sie über den Lärm hinweg.

Welche Reaktion sie auch von Rios erwartet hatte, sie bekam sie nicht. Stattdessen starrte er an die Decke, aus der jetzt aus zahlreichen Löchern Staub rieselte. »Wofür war das denn jetzt?«

»Um Eindruck zu machen!«, rief Burze.

»Das ist Ihnen bei Ihren Nachbarn oben auf jeden Fall gelungen.«

»Wir haben keine.«

»Jetzt sicher nicht mehr.« Einer der Deckenventilatoren stürzte auf einen Tisch. Münzen flogen umher und die Zähler sprangen erschrocken auf. »Ich hoffe, ihr habt noch ein paar von diesen Dingern«, kommentierte Rios trocken.

Ledger warf dem Kerl, der den Ventilator von der Decke geschossen hatte, einen vernichtenden Blick zu. Mit dem nächsten bedachte sie Rios. »Halten Sie das für ein Spiel?«

»Genau das«, sagte Rios und sah sich um. »Das alles hier ist doch nur ein Spiel. Warum stehlen, wenn man replizieren kann?«

»Diesen Spruch haben wir von der Föderation schon daheim zur Genüge gehört. Dabei wisst ihr ganz genau, dass es Dinge gibt, die sich nicht replizieren lassen – und andere, für die niemand einen Ersatz annimmt.« Sie verschränkte die Arme. »Darum brauchen wir Frachter – und selbst da, wo Sie herkommen, würde niemand einem dahergelaufenen Verlierer einfach so einen überlassen.«

Rios wusste, dass da was Wahres dran war.

»Also kommen Sie zu uns«, fuhr sie fort und wedelte mit dem Padd herum. »Aber Sie tauchen ohne Geld auf – und soweit ich das hier sehen kann, haben Sie auch sonst nichts auf der hohen Kante.«

Er riss die Augen auf. »Das können Sie sehen?«

»Wir sind ein ganz normales Finanzinstitut.« Sie las von ihrem Padd ab. »Hier steht, Sie waren früher mal in der Sternenflotte, haben aber nie auf einem Schiff gedient.«

Rios wollte sagen, dass das so nicht stimmte. Er hatte auf der U.S.S. ibn Majid gedient – sogar als Erster Offizier. Aber es gab einen Grund, warum das nicht offiziell vermerkt war. Der gleiche Grund, der ihn hergeführt hatte, ohne Perspektiven und praktisch ohne Freunde.

Und dieser Grund schien jetzt sein Ende zu sein. »Ich denke, die haben Sie rausgeworfen«, sagte sie. »Also sind Sie den ganzen Weg hergekommen und dachten, Sie könnten ein paar arme Trottel um ihren Besitz bringen, um weiter Offizier spielen zu können.« Sie schnipste und rief damit einen der bewaffneten Wachleute zu sich. »Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Sie vorhatten, was zu kaufen – was bedeutet, dass Sie was stehlen wollten.«

»Ich hab Ihnen doch gesagt, dass es sich nur um einen Probeflug gehandelt hat. Sie …«

Von irgendwo hinter dem Lager hallte Lärm wider. Ein paar der Zähler rutschten nervös auf ihren Plätzen hin und her, arbeiteten aber ansonsten weiter. War das der Edelsteindieb, der gerade sein Ende fand? Vielleicht, doch es klang nicht nach einem Menschen – beziehungsweise einem Iotanier.

So oder so hatte Rios keine Lust, den Grund herauszufinden. »Ein Probeflug. Mehr nicht. Wolyx, sagen Sie es ihr.« Rios drehte sich zur Seite, musste jedoch feststellen, dass der Händler irgendwann verschwunden war. »Wolyx?«

»So ein Pech«, sagte Burze. »Sieht aus, als hätte er …«

Rios unterbrach ihn. »Wenn Sie jetzt sagen, er hätte die Biege gemacht, erwürge ich Sie mit Ihrer Krawatte.«

»Versuchen Sie’s ruhig.« Burze grinste breit, als eine der Wachen vortrat. »Ich glaube, ich bleib noch ein bisschen und seh mir das an.«

5

Krellen’s KeepVerex III

Das ist also der Schlachthof, dachte Rios, während er durch das Blut watete. Hätte nicht gedacht, dass sie das so wörtlich nehmen.

Hier hingen die Fleischerhaken von der Decke, wie er es sich vorhin vorgestellt hatte. An vielen von ihnen hingen Leichen, die so schlimm zugerichtet waren, dass er nicht mehr sagen konnte, zu welcher Spezies sie einst gehört hatten. Blut strömte an ihnen herunter, einiges davon aufgefangen in riesigen Keramiktrögen, die auf Rollwagen standen. Das Problem war, dass die Überzeuger mehr Leichen als Tröge hatten, was bedeutete, dass der Boden bereits zentimeterdick mit Blut bedeckt war.

»Habt ihr noch nie von einem Mopp gehört?«, rief Rios. Doch ob seine Entführer das nun hatten oder nicht, würde er niemals herausfinden, denn sie konnten ihn vor lauter Geschrei nicht hören.

Und was für Geschrei es war. Geradezu unmenschlich – und genau das war es.

Das waren die Geräusche, die er drei Räume entfernt im Wartebereich durch ein dickes Metalltor gehört hatte: die Todesschreie zahlloser fünfbeiniger, haarloser Huftiere, die aus Lastwagen gescheucht und auf Laufbändern durch den Raum transportiert wurden. Die brüllenden Kreaturen waren so groß wie Rio und verschwanden in einer riesigen schwarzen Maschine. Die monströse Vorrichtung dröhnte so ohrenbetäubend, dass sie die Tiere schließlich übertönte.

Als der Vorgang beendet war und die Motoren wieder verstummten, erwartete Rios fast so etwas wie einen mechanischen Rülpser. Stattdessen öffneten sich Metallklappen auf der Rückseite und spuckten das Ergebnis des Gemetzels auf einen stetig anwachsenden Haufen am Boden aus.

Da sah Rios sie. Von beiden Seiten der Maschine kamen Gestalten mit nacktem Oberkörper in Sicht. Jede von ihnen hatte einen robusten Stab mit einem Haken am Ende. Rios erinnerten sie an die Stechstangen, die er auf alten Bildern von Flößern und Fischern gesehen hatte. Wortlos begannen sie, in dem Fleisch herumzustochern. Rios konnte kaum erkennen, dass die Arbeiter verschiedenen Spezies angehörten, da sie genau wie die Knochen, die sie aus dem Stapel zogen, vollkommen mit Blut beschmiert waren. Tatsächlich schien der verstörte Ausdruck, den sie alle im Gesicht hatten, sie als Mitglieder einer neuen Spezies zu einen: Gefangene der Hölle.

Winzling schubste Rios nach vorn und er verlor auf dem rutschigen Boden das Gleichgewicht. Die Schläger lachten, als er mit einem ekelerregenden Platschen hinfiel.

Das war’s jetzt also. Doch als er sich hinkniete, bemerkte Rios, dass der Wachmann, den Ledger ihnen mitgeschickt hatte, seine Waffe nicht auf ihn richtete. »Wollt ihr mich etwa nicht töten?«

»Wollen Sie das etwa?«, fragte Burze höhnisch.

»Nein, nein, schon gut.« Rios schaute zur Ladebucht zurück, wo ein weiterer Laster rückwärts auf das Tor zufuhr. Durch das vergitterte Heck sah er weitere der Kreaturen, die blökten, als würden sie ahnen, welches Schicksal sie hier erwartete. »Was sind das für Dinger?«

»Die Verexaner nennen sie Zylladons«, sagte Stinky. »Die werden von einem einheimischen Stamm hier gezüchtet.«

Als Rios wieder auf den Beinen war, startete er einen vergeblichen Versuch, sich das Blut von den Händen zu wischen. »Für Viehdiebe hätte ich euch jetzt nicht unbedingt gehalten. Wurde noch ein anderes Buch zurückgelassen, als wir nicht hingesehen haben?«

»Nein«, antwortete Burze. »Der Stamm bezahlt uns mit diesen Dingern für unseren Schutz. Ledger hat rausgefunden, dass das Blut für Klingonen wie Nektar ist.« Er deutete auf einen der Tröge, der von einem Arbeiter weggeschoben wurde. »Besser noch, das Zeug ist im klingonischen Raum illegal.«

»Also schmuggelt ihr Blutfusel«, sagte Rios. »Okay, das passt wieder. Ledger hat sich das einfallen lassen?«

»Ja, sie hat alle möglichen kleinen Nebengeschäfte laufen.«

Stinky gluckste. »Vielleicht zu viele!«

Rios sah zu, wie der letzte Lastwagen wegfuhr und es den Arbeitern so ermöglichte, das Innere der Maschine zu erreichen. Er konnte sich keinen schlimmeren Job vorstellen, als für die Dentalreinigung dieses Dings direkt nach einer Mahlzeit zuständig zu sein. »Ich nehme an, dass eure Schiffe Transporter haben«, sagte er. »Warum beamt ihr die Tiere nicht einfach her?«

»Die Stammesmitglieder drehen durch, wenn wir sie benutzen«, erklärte Burze. »Was schert es Sie? Die Fahrer wollen auch was verdienen. Wollen Sie den armen Teufeln jetzt auch noch ihren Job wegnehmen?«

»Er hat schon einen Job«, knurrte der bewaffnete Wachmann, der bis jetzt geschwiegen hatte. Seine Stimme klang, als würde ein Elefant auf seinen Stimmbändern sitzen. Er schubste Rios zu der Stelle, wo die erschöpften Arbeiter die Zylladon-Kadaver mithilfe ihrer Stangen an die Haken hängten. »Gebt ihm eine Stange.«