Stella. Ein Trauerspiel - Johann Wolfgang Goethe - E-Book

Stella. Ein Trauerspiel E-Book

Johann Wolfgang Goethe

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Beschreibung

Goethes 1776 uraufgeführtes Drama handelt von der Baronesse Stella und der bürgerlichen Cäcilie – und von Fernando, dem Mann, der beide Frauen verlassen hat und sich zu beiden Frauen hingezogen fühlt. Sie alle treffen nach Jahren zufällig wieder zusammen. In der Folge wechseln Fluchtgedanken und Verzichtsbekundungen einander ab. Die schließlich von allen akzeptierte Lösung einer Ehe zu dritt löste bei Goethes Zeitgenossen Empörung aus. Auf Schillers Rat hin arbeitete Goethe das »Schauspiel für Liebende« zu einem Trauerspiel mit furchtbarem Ausgang um. Mit dem Schluss der ersten Fassung von 1776 als Anhang, einem Nachwort und Anmerkungen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 80

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Johann Wolfgang Goethe

Stella

Ein TrauerspielIm Anhang: Schluss der ersten Fassung

Nachwort von Helmut Bachmaier

Reclam

1983, 2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962158-6

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014406-0

www.reclam.de

Inhalt

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

Anhang: Schluss der ersten Fassung

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Nachwort

[5]Personen

STELLA

CÄCILIE, anfangs unter dem Namen

 MADAME SOMMER

FERNANDO

LUCIE

VERWALTER

POSTMEISTERIN

ANNCHEN

KARL

BEDIENTE

[7]Erster Akt

Im Posthause.

Man hört einen Postillon blasen. Postmeisterin.

POSTMEISTERIN. Karl! Karl!

 (Der Junge kommt.)

DER JUNGE. Was is?

POSTMEISTERIN. Wo hat dich der Henker wieder? Geh hinaus; der Postwagen kommt. Führ die Passagiers herein, trag ihnen das Gepäck; rühr dich! Machst du wieder ein Gesicht?

 (Der Junge ab.)

POSTMEISTERIN(ihm nachrufend). Wart! ich will dir dein muffig Wesen vertreiben. Ein Wirtsbursche muss immer munter, immer alert sein. Hernach wenn so ein Schurke Herr wird, so verdirbt er. Wenn ich wieder heiraten möchte, so wär’s nur darum; einer Frau allein fällt’s gar zu schwer, das Pack in Ordnung zu halten!

 (Madame Sommer, Lucie in Reisekleidern. Karl.)

LUCIE(einen Mantelsack tragend, zu Karl). Lass Er’s nur, es ist nicht schwer; aber nehm Er meiner Mutter die Schachtel ab.

POSTMEISTERIN. Ihre Dienerin, meine Frauenzimmer! Sie kommen beizeiten. Der Wagen kommt sonst nimmer so früh.

LUCIE. Wir haben einen gar jungen, lustigen, hübschen Schwager gehabt, mit dem ich durch die Welt fahren möchte; und unser sind nur zwei und wenig beladen.

POSTMEISTERIN. Wenn Sie zu speisen belieben, so sind Sie wohl so gütig zu warten; das Essen ist noch nicht gar fertig.

[8]MADAME SOMMER. Darf ich Sie nur um ein wenig Suppe bitten?

LUCIE. Ich hab keine Eil. Wollten Sie indes meine Mutter versorgen?

POSTMEISTERIN. Sogleich.

LUCIE. Nur recht gute Brühe!

POSTMEISTERIN. So gut sie da ist. (Ab.)

MADAME SOMMER. Dass du dein Befehlen nicht lassen kannst! Du hättest, dünkt mich, die Reise über schon klug werden können! Wir haben immer mehr bezahlt als verzehrt; und in unsern Umständen! –

LUCIE. Es hat uns noch nie gemangelt.

MADAME SOMMER. Aber wir waren dran.

 (Postillon tritt herein.)

LUCIE. Nun, braver Schwager, wie steht’s? Nicht wahr, dein Trinkgeld?

POSTILLON. Hab ich nicht gefahren wie Extrapost?

LUCIE. Das heißt, du hast auch was extra verdient; nicht wahr? Du solltest mein Leibkutscher werden, wenn ich nur Pferde hätte.

POSTILLON. Auch ohne Pferde steh ich zu Diensten.

LUCIE. Da!

POSTILLON. Danke, Mamsell! Sie gehn nicht weiter?

LUCIE. Wir bleiben für diesmal hier.

POSTILLON.Adies! (Ab.)

MADAME SOMMER. Ich seh an seinem Gesicht, dass du ihm zu viel gegeben hast.

LUCIE. Sollte er mit Murren von uns gehen? Er war die ganze Zeit so freundlich. Sie sagen immer, Mama, ich sei eigensinnig; wenigstens eigennützig bin ich nicht.

MADAME SOMMER. Ich bitte dich, Lucie, verkenne nicht, [9]was ich dir sage. Deine Offenheit ehr ich, wie deinen guten Mut und deine Freigebigkeit; aber es sind nur Tugenden, wo sie hingehören.

LUCIE. Mama, das Örtchen gefällt mir wirklich. Und das Haus da drüben ist wohl der Dame, der ich künftig Gesellschaft leisten soll?

MADAME SOMMER. Mich freut’s, wenn der Ort deiner Bestimmung dir angenehm ist.

LUCIE. Stille mag’s sein, das merk ich schon. Ist’s doch wie Sonntag auf dem großen Platze! Aber die gnädige Frau hat einen schönen Garten und soll eine gute Frau sein; wir wollen sehn, wie wir zurechtkommen. Was sehen Sie sich um, Mama?

MADAME SOMMER. Lass mich, Lucie! Glückliches Mädchen, das durch nichts erinnert wird! Ach damals war’s anders! Mir ist nichts schmerzlicher, als in ein Posthaus zu treten.

LUCIE. Wo fänden Sie auch nicht Stoff, sich zu quälen?

MADAME SOMMER. Und wo nicht Ursache dazu? Meine Liebe, wie ganz anders war’s damals, da dein Vater noch mit mir reiste; da wir die schönste Zeit unsers Lebens in freier Welt genossen; die ersten Jahre unserer Ehe! Damals hatte alles den Reiz der Neuheit für mich. Und in seinem Arm vor so tausend Gegenständen vorüberzueilen; da jede Kleinigkeit mir interessant ward, durch seinen Geist, durch seine Liebe! –

LUCIE. Ich mag auch wohl gern reisen.

MADAME SOMMER. Und wenn wir dann nach einem heißen Tag, nach ausgestandenen Fatalitäten, schlimmem Weg im Winter, wenn wir eintraten, in manche noch schlechtere Herberge, wie diese ist, und den Genuss der [10]einfachsten Bequemlichkeit zusammen fühlten, auf der hölzernen Bank zusammen saßen, unsern Eierkuchen und abgesottene Kartoffeln zusammen aßen – – Damals war’s anders!

LUCIE. Es ist nun einmal Zeit, ihn zu vergessen.

MADAME SOMMER. Weißt du, was das heißt: Vergessen! Gutes Mädchen, du hast, Gott sei Dank! noch nichts verloren, das nicht zu ersetzen gewesen wäre. Seit dem Augenblick, da ich gewiss ward, er habe mich verlassen, ist alle Freude meines Lebens dahin. Mich ergriff eine Verzweiflung. Ich mangelte mir selbst; ein Gott mangelte mir. Ich weiß mich des Zustands kaum zu erinnern.

LUCIE. Auch ich weiß nichts mehr, als dass ich auf Ihrem Bette saß und weinte, weil Sie weinten. Es war in der grünen Stube, auf dem kleinen Bette. Die Stube hat mir am wehsten getan, da wir das Haus verkaufen mussten.

MADAME SOMMER. Du warst sieben Jahr alt und konntest nicht fühlen, was du verlorst.

 (Annchen mit der Suppe. Die Postmeisterin. Karl.)

ANNCHEN. Hier ist die Suppe für Madame.

MADAME SOMMER. Ich danke, meine Liebe! Ist das Ihr Töchterchen?

POSTMEISTERIN. Meine Stieftochter, Madame! aber da sie so brav ist, ersetzt sie mir den Mangel an eigenen Kindern.

MADAME SOMMER. Sie sind in Trauer?

POSTMEISTERIN. Für meinen Mann, den ich vor drei Monaten verlor. Wir haben nicht gar drei Jahre zusammengelebt.

MADAME SOMMER. Sie scheinen doch ziemlich getröstet.

POSTMEISTERIN. O Madame! Unsereins hat so wenig Zeit zu weinen, als leider zu beten. Das geht Sonntage und [11]Werkeltage. Wenn der Pfarrer nicht manchmal auf den Text kommt oder man ein Sterbelied singen hört – Karl, ein paar Servietten! deck hier am Ende auf.

LUCIE. Wem ist das Haus da drüben?

POSTMEISTERIN. Unserer Frau Baronesse. Eine allerliebste Frau.

MADAME SOMMER. Mich freut’s, dass ich von einer Nachbarin bestätigen höre, was man uns in einer weiten Ferne beteuert hat. Meine Tochter wird künftig bei ihr bleiben und ihr Gesellschaft leisten.

POSTMEISTERIN. Dazu wünsche ich Ihnen Glück, Mamsell.

LUCIE. Ich wünsche, dass sie mir gefallen möge.

POSTMEISTERIN. Sie müssten einen sonderbaren Geschmack haben, wenn Ihnen der Umgang mit der gnäd’- gen Frau nicht gefiele.

LUCIE. Desto besser! Denn wenn ich mich einmal nach jemanden richten soll, so muss Herz und Wille dabei sein; sonst geht’s nicht.

POSTMEISTERIN. Nun! nun! wir reden bald wieder davon, und Sie sollen sagen, ob ich wahr gesprochen habe. Wer um unsre gnädige Frau lebt, ist glücklich; wird meine Tochter ein wenig größer, so soll sie ihr wenigstens einige Jahre dienen; es kommt dem Mädchen auf sein ganzes Leben zugute.

ANNCHEN. Wenn Sie sie nur sehn! Sie ist so lieb! so lieb! Sie glauben nicht, wie sie auf Sie wartet. Sie hat mich auch recht lieb. Wollen Sie denn nicht zu ihr gehn? Ich will Sie begleiten.

LUCIE. Ich muss mich erst zurechtmachen und will auch noch essen.

[12]ANNCHEN. So darf ich doch hinüber, Mamachen? Ich will der gnädigen Frau sagen, dass die Mamsell gekommen ist.

POSTMEISTERIN. Geh nur!

MADAME SOMMER. Und sag ihr, Kleine, wir wollten gleich nach Tisch aufwarten.

 (Annchen ab.)

POSTMEISTERIN. Mein Mädchen hängt außerordentlich an ihr. Auch ist sie die beste Seele von der Welt, und ihre ganze Freude ist mit Kindern. Sie lehrt sie allerlei Arbeiten machen und singen. Sie lässt sich von Bauersmädchen aufwarten, bis sie ein Geschick haben, hernach sucht sie eine gute Kondition für sie; und so vertreibt sie sich die Zeit, seit ihr Gemahl weg ist. Es ist unbegreiflich, wie sie so unglücklich sein kann und dabei so freundlich, so gut.

MADAME SOMMER. Ist sie nicht Witwe?

POSTMEISTERIN. Das weiß Gott! Ihr Herr ist vor drei Jahren weg, und hört und sieht man nichts von ihm. Und sie hat ihn geliebt über alles. Mein Mann konnte nie fertig werden, wenn er anfing, von ihnen zu erzählen. Und noch! Ich sag’s selbst, es gibt so kein Herz auf der Welt mehr. Alle Jahre, den Tag, da sie ihn zum letzten Mal sah, lässt sie keine Seele zu sich, schließt sich ein, und auch sonst, wenn sie von ihm redt, geht’s einem durch die Seele.

MADAME SOMMER. Die Unglückliche!

POSTMEISTERIN. Es lässt sich von der Sache viel reden.

MADAME SOMMER. Wie meinen Sie?

POSTMEISTERIN. Man sagt’s nicht gern.

MADAME SOMMER. Ich bitte Sie!

POSTMEISTERIN. Wenn Sie mich nicht verraten wollen, [13]kann ich’s Ihnen wohl vertrauen. Es sind nun über die acht Jahre, dass sie hierherkamen. Sie kauften das Rittergut; niemand kannte sie; man hieß sie den gnädigen Herrn und die gnädige Frau und hielt ihn für einen Offizier, der in fremden Kriegsdiensten reich geworden war und sich nun zur Ruhe setzen wollte. Sie war damals blutjung, nicht älter als sechzehn Jahr und schön wie ein Engel.

LUCIE. Da wär’ sie jetzt nicht über vierundzwanzig?

POSTMEISTERIN.