Sterben kann man nicht üben - Corinna Kohröde-Warnken - E-Book

Sterben kann man nicht üben E-Book

Corinna Kohröde-Warnken

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Beschreibung

Angst, Friede, Abschiedsschmerz, Zufriedenheit, Reue, Vergebung - was geht in Menschen vor, die wissen, dass sie bald sterben werden? Welche Erinnerungen, Gedanken, Fragen, Hoffnungen bleiben? Was haben sie noch zu sagen? Und was bleibt ungesagt? Corinna Kohröde-Warnken besucht Menschen, die in einem Hospiz leben: Sie hört zu, was sie bewegt, und hilft dabei, letzte Briefe an liebe Menschen zu schreiben. In diesem Buch lässt sie uns teilhaben an diesen Geschichten und Begegnungen. Sie sind berührend und voller Menschlichkeit - mal heiter, mal nachdenklich, aber immer ein einzigartiger Einblick in ein Leben. Mit jeder der kurzen Geschichten wird klarer: In der letzten Lebensphase kann - neben allem Schweren - auch so viel Wertvolles, Klärendes und Heilsames liegen. Ein Buch, das bewegt, inspiriert und zum Nachdenken anregt - und das viel weniger vom Tod handelt, als von dem, was wirklich wichtig ist im Leben.

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Corinna Kohröde-WarnkenSterben kann man nicht üben

Alle hier erzählten Begegnungen sind real. Es sind die echten Geschichten wirklicher Menschen. Um jedoch ihre Persönlichkeitsrechte zu schützen, wurden Personen, Namen, Geschlechter, ­Diagnosen, Zugehörige und persönlichen Bezüge umfänglich ­verändert, sofern welche genannt werden. Einige Geschichten wurden aus mehreren Einzelgeschichten zusammengefügt. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG zu gewinnen, ist untersagt.

© 2024 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Gesamtgestaltung und DTP: dtp studio eckart | Jörg Eckart, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Miriam Gamper-Brühl, Essen, www.3kreativ.de,unter Verwendung eines Bildes ©Roman Samborskyi (shutterstock.com)

Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim

Verwendete Schriften: ScalaPro, Head Turn

eBook: PPP Pre Print Partner GmbH, www.ppp.eu

ISBN 978-3-7615-7017-3 (Buch)

ISBN 978-3-7615-7018-0 (E-Book)

www.neukirchener-verlage.de

Grußwort

Das Sterben ganz verschiedener Menschen wird durch die „Schreibgeschichten“, in denen Corinna Kohröde-Warnken von ihrer Arbeit im Hospiz erzählt, anschaulich, geradezu alltäglich, konkret und so nahe, als wären wir direkt dabei oder zumindest nebenan.

Wie das zustande kommt? Die Autorin beschreibt und erzählt ohne Wertung und ohne Tabus. Menschen, die dem Tod schon sehr nahe sind, werden liebevoll in ihrer jeweiligen Situation und in den entstandenen Begegnungen vorgestellt. Anlass und Einstieg bildet das gemeinsame Vorhaben: im Angesicht des Todes etwas zu Papier zu bringen, das (noch) wichtig ist. Corinna Kohröde-Warnken stellt den schwerkranken Menschen zur Verfügung, was sie selbst kann und ihnen auch in der letzten Lebenszeit zutraut: Schreiben als das Erstellen einer Wirklichkeit, die mit uns selbst zu tun hat und die wir gleichzeitig anderen zeigen, nach außen bringen und zukommen lassen. Das können Erzählungen, eigene Geschichte(n), Träume und Wünsche sein, das sind auch Briefe an Angehörige, Freunde, die Nachbarin. Wenn die Kraft nicht mehr zur eigenen Handschrift oder zur treffenden Formulierung ausreicht, werden die Schreibenden zu Diktierenden. Sie erleben, dass sie in vielfacher Hinsicht kreativ sind, in Worten, beim Verfassen eines Briefes, beim Festhalten wichtiger Erinnerungen und Aussagen.

Was hat dieses Schreiben mit dem Sterben zu tun? Zum einen werden durch die Einladung dazu Zeit und Raum gegeben für etwas, das sonst möglicherweise untergeht. Was noch gesagt und festgehalten werden soll, keinesfalls verloren gehen darf, wird ernst genommen und bekommt seinen Platz. Zum anderen bewirkt das Nachdenken darüber, was noch zu sagen ist, dass die eigene Endlichkeit wahrgenommen und für wahr gehalten wird. Angesichts des fühlbar nahen Endes bekommen Dinge und Beziehungen einen neuen Stellenwert. Was noch aufgeschrieben werden soll, ist der Rede wert, wird als Brief abgeschickt oder als Erinnerung festgehalten.

Das Buch ist eine sanfte Einladung, bei dem kreativen Schaffen von Menschen am Lebensende Anteil zu haben, und gleichzeitig immer die Frage mitzubedenken, was mir selbst am Ende und auch schon jetzt so bedeutungsvoll ist, dass es gesagt und geschrieben werden muss. So gesehen ist es eine Hilfe, das Gehen aus diesem Leben einzuüben.

Ich wünsche diesem Buch eine weite Verbreitung, es hat sie sehr verdient.

Barbara Städtler-Mach

Professorin für Ethik im Gesundheitswesen, Nürnberg

Vorwort

Es wäre vermessen zu behaupten: „Ich kenne den Tod.“ Wer könnte das schon von sich sagen? Begegnet bin ich ihm allerdings schon oft: als Intensivkrankenschwester, in der Notfallseelsorge, in einer Seniorenpflegeeinrichtung, in der Familie und auch ganz persönlich. Im Hospiz ist er allgegenwärtig und dennoch findet das Leben dort seinen prominenten Platz.

Ich mochte schon immer Biografien, und meine Bücherregale sind voll davon. Im Hospiz sitze ich quasi „an der Quelle“. Jede Gäst:in bringt die eigene mit, und im Rahmen dessen, was ich dort tue, darf ich sehr oft und schnell tiefen Einblick in diese Biografien, das Erlebte und die Familiengeschichten nehmen. Ich darf mit auf die Reise durch das Leben gehen, das am Ende fast zwangsläufig seine Reflexion findet. Das ist mir Anspruch und Aufforderung zugleich und immer ein Geschenk.

Die Geschichten in diesem Buch stehen stellvertretend für die vielen, vielen anderen Begegnungen, die ich im Hospiz jede Woche – meistens montags – erleben darf. Dass ich Teil des Ganzen bin, erfüllt mich mit Demut und Freude und beschenkt mich reich!

Eine Besonderheit ist es auch, Teil des Teams zu sein, das aus den Leitungskräften besteht, den wunderbaren Pflegefachkräften, den kreativen, immer freundlichen und hilfsbereiten Hauswirtschafts- und Reinigungskräften und natürlich meinen ehrenamtlichen Kolleg:innen, die mit mir auf ganz unterschiedliche Weise und mit ganz besonderen Talenten und Ideen Tag für Tag „da sind“.

Ich bin bisher noch nie mit zur Beerdigung einer Gäst:in gewesen. Nicht weil ich nicht eingeladen gewesen wäre oder das nicht aushalten würde, sondern weil ich im Hospiz manchmal über eine sehr lange Zeit Abschied nehmen konnte. Das empfinde ich als Privileg. Wenn möglich, verabschiede ich mich direkt am Totenbett.

Es mag seltsam anmuten, wenn ich oft vom „Lachen“ schreibe. Tatsächlich wird sehr oft im Hospiz gelacht. Vielleicht ist man sensibler für die Dinge, Begebenheiten und Situationen, die einen zum Lachen bringen. Manchmal ist es albern, manchmal fröhlich oder Situationskomik und manchmal auch gezwungen …, aber das ist egal. Lachen befreit, und deshalb geschieht es hier im Hospiz häufiger, als man denkt.

Natürlich wird auch geweint, gehadert und getobt – alle Gefühle sind hier erlaubt, haben ihre Berechtigung und werden so akzeptiert, wie sie in Erscheinung treten.

Die Geschichten, die ich hier erzähle, beinhalten keinerlei Wertung, sondern lediglich mein ganz persönliches Erleben in den Begegnungen mit den vielen Gäst:innen, die beiderseitig von Respekt und Würde geprägt waren und mir immer ein Geschenk waren. Wenn ich montags an die Zimmertüren klopfe, weiß ich nie, was mich erwartet. Manchmal schlafen die Gäst:innen. Dann wecke ich sie nicht. Niemals! Es sei denn, ich bin ausdrücklich verabredet. Manche meiner Besuche dauen nur wenige Minuten, manche ein bis zwei Stunden. Die Geschichten, die ich hier erzähle, handeln ausschließlich von der Begleitung der Gäst:innen. Einige Male habe ich auch Angehörige (mit) betreut. Das ist natürlich etwas völlig anderes und ergibt sich oft ganz nebenbei. Es gibt in den allermeisten Regionen mittlerweile ein fast flächendeckendes Hospiz- und Palliativnetzwerk. Dazu gehören oft auch Angehörigen- oder Trauergruppen (nicht nur für Erwachsenenhospize, sondern auch für Kinder- und Jugendhospize). Manchmal nehmen Hinterbliebene dieses Angebot in Anspruch, andere haben einen großen Familien- und Freundeskreis, und auch das Hospiz ist Anlaufstelle für die Trauer. Regelmäßig gibt es Erinnerungsgottesdienste. Trauerbegleitung findet immer statt, wenn es nötig ist. Manche Angehörige kommen auch nach dem Tod ihrer Liebsten vorbei, bringen Kuchen, kommen zum Sommerfest und plaudern ein bisschen mit den vertrauten ­Mitarbeitenden.

Seit fast drei Jahren bin ich Teil des Teams im Hospiz „Zum Guten Hirten“ in Rotenburg an der Wümme. Ich lade Sie ein, mich hierhin zu begleiten zu unseren Gäst:innen und ihren Geschichten.

Willkommen im Hospiz

Ob die Frauen und Männer, Töchter, Söhne, Mütter, Schwiegermütter, Väter und Schwiegerväter freundlich, ehrlich, verantwortungsvoll oder „schwierig“ waren, spielt keine Rolle für die Menschen, die im Hospiz haupt- oder ehrenamtlich arbeiten. Das „Jetzt“ ist hier der Taktgeber. In der Nähe des Todes ist vieles anders, aber oft zum Glück ganz alltäglich.

Jedes Mal, wenn ich das Hospiz betrete, ist es wie der Beginn einer Reise. Alles ist möglich. Sonne, Regen, Blitz und Donner – Sandstrand, Bergpanorama oder Großstadtgetümmel. Hier findet unglaublich viel Leben statt – auch wenn das nicht zwingend der erste Gedanke bei dem Wort „Hospiz“ ist … und natürlich wird hier auch gestorben.

„Der Gute Hirte“ wurde im Sommer 2021 mit neun Gästezimmern in Betrieb genommen – mitten in der Pandemie. Die Zimmer sind alle in unterschiedlichen Farben gestrichen und haben passende lange Gardinen vor den doppelten bodentiefen Fenstern und Türen, die auf eine separate Terrasse führen. Die Gäst:innen dürfen eigene Bilder, Bettwäsche, Möbel und Deko mitbringen. Manche Zimmer sind kaum wiederzuerkennen – manchmal ist es etwas voll, denn einige haben zusätzlich noch Hilfsmittel wie ihren Rollstuhl, Infusionsständer, Sauerstoffgeräte, Rollatoren oder Ähnliches dabei, aber das ist egal, denn die Gäst:innen haben das Recht, ihr letztes Umfeld so zu gestalten, dass sie sich wohlfühlen.

„Ein Reisender kommt in ein Kloster. Dort hat er ein Zimmer gebucht. Es ist leer, keine Möbel sind darin. Der Reisende fragt, warum das so ist. Der Mönch fragt ihn im Gegenzug, warum er keine Möbel mitgebracht hat. Darauf sagt der Mann, dass er ja nur auf der Durchreise sei. Der Mönch lächelt und erwidert: „So wie wir …“

Das Credo des Hospizes ist es: „Niemand muss alleine sterben.“ Das wird umgesetzt, wenn die Gäst:innen es wünschen. Sehr oft sind Angehörige oder andere Zugehörige da. Sie dürfen über Nacht bleiben. Dann wird auf Wunsch ein weiteres Bett ins Zimmer gestellt oder es gibt ein separates Gästezimmer, das genutzt werden kann. Wenn das nicht gewünscht oder möglich ist, sind die Pflegefachkräfte da oder Ehrenamtliche, die auch in der Nacht dafür sorgen, dass Sterbende sich nicht alleingelassen fühlen. Wenn jemand verstorben ist, wird ein türkisfarbenes Herz an die Zimmertür gehängt und eine Erinnerungskerze im Eingangsbereich entzündet. Diese brennt so lange, bis der Verstorbene das Hospiz durch die Eingangstür für immer verlassen hat. Dort liegt auch ein Buch, in dem an die Verstorbenen erinnert wird. Angehörige und Freunde können dort einen letzten Gruß hinterlassen. Dieses Buch wird genutzt, um bei den Dienstbesprechungen für uns Ehrenamtliche (im Vier-Wochen-Rhythmus) an die Verstorbenen zu erinnern, eine Kerze zu entzünden und zu erzählen, was für Begegnungen man mit ihnen hatte. Es ist ein Ritual, das allen hilft, Abschied zu nehmen und weiterzumachen. Einmal im Jahr gibt es im „Guten Hirten“ der einen Erinnerungsgottesdienst gleichnamigen Kirche, zu dem alle Angehörigen der Verstorbenen eingeladen werden. Nicht alle Eingeladenen kommen. Es werden alle Namen von den in diesem Jahr Verstorbenen mit Todesdatum verlesen und ein individuell bemalter Stein an den Kerzen niedergelegt. Die Zugehörigen dürfen ihn später mit nach Hause nehmen. Es ist ein sehr wichtiges Ritual – nicht nur für Verwandte und Freund:innen, sondern auch für alle Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen.

Wenn ein:e Gäst:in verstorben ist, kann auf Wunsch eine Aussegnung durch ein:e Seelsorger:in stattfinden. Die Verstorbenen dürfen bis zu 36 Stunden im Hospiz verbleiben, bevor sie vom Bestatter abgeholt werden. Auch dafür gibt es wichtige Rituale. Die Verstorbenen werden schön angezogen – häufig haben sich die Gäst:innen extra ein Outfit dafür ausgesucht. Rosenblätter werden auf die Bettdecke gestreut, und es brennt eine Kerze am Bett. Kuscheltiere, Kissen oder andere wichtige Gegenstände werden den Verstorbenen beigelegt. Wer möchte, kann sich verabschieden. Wenn der Bestatter kommt, wird die oder der Verstorbene durch dieselbe Tür aus dem Hospiz gebracht, durch die sie oder er hereingekommen ist, und eine kleine „Prozession“ folgt dem Sarg, bis der Leichenwagen den Vorhof verlassen hat. Hier schließt sich dann der (Lebens-)Kreis …

Zu Beginn der Arbeit musste sich ein komplett neues Team finden, und es roch in den ersten Wochen noch ein bisschen nach Farbe. Das ist nach über drei Jahren natürlich nicht mehr der Fall. Viele denken, es riecht dort nach Tod (wie riecht der denn?). Das stimmt aber ganz und gar nicht, denn eigentlich riecht es dort immer nach Kuchen – den die fleißigen Hauswirtschafter:innen oder FSJler:innen zaubern, denn immer kocht, backt oder brutzelt dort jemand unermüdlich die leckersten Gerichte, Waffeln, Kuchen, Spiegeleier, Milchreis und alles, was die Gäst:innen sich wünschen. Das gemütliche, sehr helle Wohnzimmer mit der offenen Küche ist quasi der „Marktplatz“ des Hospizes. Ein riesiger wunderschöner Holztisch mit eleganter Maserung steht für alle möglichen Aktivitäten bereit. An ihm wird gegessen, gefeiert, gebastelt, geredet, geweint und gelacht. Dort trifft man fast immer irgendjemanden. Meistens sind es absichtslose Gespräche – wie in einem Café, in dem man mit der Person vom Nachbartisch zufällig ins Gespräch kommt. Eines aber eint die Menschen, die hier am Tisch sitzen: Sie beschäftigen sich – jeder auf seine Weise – mit dem Tod.

Ich habe dort ebenfalls schon viel Zeit verbracht. Nicht immer sind meine Besuche im Zimmer der Gäst:innen. Das Wohnzimmer ist das Zentrum – für mich das Herzstück des Hospizes. Vor dort hat man durch die riesige Fensterfront, die auf die großzügige Terrasse führt, einen herrlichen Blick auf die niedersächsischen Wiesen und Wälder. Die Gästezimmer haben ebenfalls jeweils eine eigene Terrasse mit einem Tisch und mehreren Stühlen. Insgesamt sind alle Räume sehr liebevoll und mit schönen Farben gestaltet. Am Ende des Ganges gibt es einen „Raum der Stille“, der bewusst neutral gehalten ist, da sich dort Menschen aller Konfessionen zurückziehen können. Er ist in einem warmen Orange gehalten, und es steht ein kleiner, runder, ebenfalls sehr schöner Holztisch darin und zwei gemütliche Drehsessel. Die ehrenamtliche „Blumenfee“ stellt jede Woche ein neues, von ihr kreiertes Blumenkunstwerk auf den Tisch. Es gibt also viele Orte der Begegnung, aber auch Räume für den Rückzug und die Stille.

Viele Ehrenamtliche sind im Hospiz tätig. Jede:r mit eigenen Fähigkeiten und Talenten. Eine tolle Gemeinschaft, die von den Pflegefachkräften und den Leitungskräften informiert und unterstützt werden. Supervisionen und Fortbildungen werden regelmäßig angeboten und immer ist das Pflege- und Leitungsteam für uns Ehrenamtliche ansprechbar. Ich fühle mich dort willkommen und zugehörig.

Schreib(T)Räume – Wie das Projekt entstand

Seit ich denken kann, schreibe ich Tagebuch. Ich hatte zuerst ein kleines, grünes Büchlein, das man abschließen konnte. Ich habe es bis heute. Später schrieb ich viele tagebuchähnliche Briefe, und noch etwas später wurden Briefe an Gott und ein Buch daraus („Mein pinkfarbenes Leben mit Gott und Krebs“).

Als ich davon erfuhr, dass in meiner Nachbarschaft ein Hospiz gebaut wird, wusste ich sofort, dass dort eine Aufgabe auf mich wartet, und noch heute werde ich oft gefragt, warum ich das mache und ob es dort nicht ganz schrecklich traurig wäre. Durch meine Vorgeschichte hatte ich eine Ahnung, wie Sterben „gehen könnte“, in der Begleitung der vielen Gäst:innen habe ich dennoch sehr viel gelernt, denn Sterben kann man nun mal nicht üben.

Ich hatte den Gedanken und die Hoffnung, das, was ich gerne tue, möglicherweise nutzbringend für die Gäst:innen einbringen zu können: schreiben. Nach und nach kristallisierte sich eine konkretere Idee heraus und kurz vor der Eröffnung führte ich mein erstes Vorstellungsgespräch mit der Sozialarbeiterin, die für uns Ehrenamtliche zuständig war. Es gab eine Reihe von Fragen, die ich als Bewerberin beantworten musste. Eine davon war, inwieweit ich mich selbst mit dem Tod beschäftigt hätte. Fast musste ich lachen, denn ich hätte mir genau dieselbe Frage gestellt.

Seit ich 2007 das erste Mal eine Krebsdiagnose, 2008 ein Rezidiv und 2012 eine palliative Diagnose erhalten hatte, musste ich mich zwangsläufig mit meiner eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Da ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr in Krankenhäusern arbeitete, war meine professionelle Betrachtung hilfreich. Fast zehn Jahre war ich auf verschiedenen Intensivstationen quer durch Deutschland tätig – unter anderem auf einer kardiologischen Transplantations-Intensiv in einem Herzzentrum. Tatsächlich habe ich (sehr junge) Menschen erlebt, die „nur“ noch durch ein hochtechnisiertes Kunstherz am Leben waren. Ich durfte bei einer Transplantation mit in den OP – es ist seltsam, wenn eine Maschine komplett „das Leben“ übernimmt … Wenn das neue Herz dann anfängt zu schlagen, ist es ähnlich wie bei einer Geburt. Ein neues Leben kann beginnen. Nicht zu vergessen ist natürlich, dass ein anderer Mensch gestorben ist, wenn eine Herztransplantation stattfindet – Leben und Tod sind dabei immer eins. Ich bin unendlich dankbar, das erlebt zu haben, und diese Erfahrungen haben mir immer bei der Kommunikation mit meinen behandelnden Ärzt:innen geholfen. Ich konnte viele Fachfragen stellen und so zusätzliche Informationen erhalten.

Ich hatte also die Idee, hier im Hospiz das anzubieten, was mir selbst sehr geholfen hat: schreiben. Wir überlegten gemeinsam ein Konzept, wie ich meine Erfahrungen für die Gäst:innen nutzbar machen könnte. Es gab keine Blaupause aus anderen Hospizen, in denen etwas Ähnliches angeboten wurde. Wir starteten also einfach, als die ersten Gäst:innen da waren. Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, wie das funktionieren könnte und was sich daraus entwickeln würde. Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein neuer Raum, der im Hospiz im Verlauf von nunmehr drei Jahren zu einer festen Einrichtung geworden ist.

So lade ich zu meinem Angebot ein, den Schreib(T)Räumen, die auch Grundlage dieses Buchs geworden sind:

Liebe Gäst:innen, liebe Angehörige,

ich möchte Sie gerne einzeln oder im kleinen Kreis – je nach Wunsch – in und zu unseren „Schreib(T)Räumen“ einladen. Mit ein paar kleinen Anregungen möchte ich Sie mit Stift und Papier durch Zeit und Raum schicken.

Wir wollen nicht den Literaturnobelpreis gewinnen, sondern „nur“ Worte zu Papier bringen … und vielleicht entsteht ein Brief, ein Tagebuch, eine Geschichte, eine Erinnerungssammlung oder was immer Sie möchten. Sprechen Sie uns gerne an.

Corinna Kohröde-Warnken

Alex

Im Sommer 2021 lernte ich Alexandra kennen, für ein gutes halbes Jahr. Sie war meine erste Begleitung im Hospiz – meine Lehrerin für so viele, die nach ihr kommen würden. Das ahnten wir beide natürlich nicht. Alex lehrte mich, wie bedingungslos die Begegnungen im Hospiz sind. Am Ende des Lebens gibt es einiges zu klären oder in Ordnung zu bringen und Ungesagtes auszusprechen. Ich überlege oft, ob das Wissen um den nahen Tod nicht vielleicht die gnädigste Art zu sterben ist, weil man sich vorbereiten kann bzw. muss. Natürlich verdrängen manche Gäst:innen ihren nahen Tod. Das ist nichts, was es zu bewerten gilt, denn wie sagt man: „Jeder stirbt seinen eigenen Tod.“ Sterben ist nach der Geburt wohl die intimste und individuellste Angelegenheit im Leben. Umso dankbarer war ich, dass Alexandra so eine gute „Lehrmeisterin“ für mich war. Ich durfte mich ausprobieren, sie musste es, denn Sterben kann man nicht üben.

Für mich war alles neu. Es roch noch ein bisschen nach Farbe und das Gebäude, das Team und die Räumlichkeiten waren neu. Wenn man durch den Glasvorbau in den Flur kommt, ist alles sehr hell. Das Hospiz ist räumlich wie ein Dreieck gebaut. Auf den beiden Schenkeln sind die Gästezimmer, und an der Spitze ist ein großes, lichtdurchflutetes Wohnzimmer mit einem sehr edlen, riesigen Holztisch, an dem mindestens zwölf Leute sitzen können. Tatsächlich ist dieser Tisch ein Treffpunkt für alle. Hier werden Rollstühle, Liegestühle und sogar Betten herangeschoben und es werden dort neben den Mahlzeiten vie