Sterne wie Staub - Isaac Asimov - E-Book

Sterne wie Staub E-Book

Isaac Asimov

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Beschreibung

Mitten im Nebel

Biron Farrill ist gerade dabei, seine Studien auf der Erde abzuschließen, als ihn die Nachricht ereilt, dass sein Vater, der Gutsherr von Widemos, von den Tyranni getötet wurde. Der Khan der Tyranni unterdrückt die Planeten in seinem kleinen Sternenreich durch Intrigen und Attentate. Auch Farrills Leben ist jetzt in Gefahr. Zusammen mit seinem Freund Sander Jonti gelingt ihm die Flucht von der Erde. Vieles spricht dafür, dass es eine geheime Untergrundorganisation gibt, die die Tyranni stürzen will. Gemeinsam begeben sich Farrill und Jonti auf die Suche nach den Rebellen …

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Seitenzahl: 370

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Das Buch

Biron Farrill ist gerade dabei, seine Studien auf der Erde abzuschließen, als ihn die Nachricht ereilt, dass sein Vater, der Gutsherr von Widemos, von den Tyranni getötet wurde. Der Khan der Tyranni unterdrückt die Planeten in seinem kleinen Sternenreich durch Intrigen und Attentate. Auch Farrills Leben ist jetzt in Gefahr. Zusammen mit seinem Freund Sander Jonti gelingt ihm die Flucht von der Erde. Jonti ist fest entschlossen, die Tyranni zu stürzen, und Farrill soll ihm dabei helfen. Vieles spricht dafür, dass es eine geheime Untergrundorganisation gibt, die sich gegen die Tyranni auflehnen will. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche nach den Rebellen, die sie mitten ins Herz des Tyranni-Imperiums führt …

Sterne wie Staub spielt lange vor Ein Sandkorn am Himmel, wurde allerdings ein Jahr später geschrieben. Trantor ist gerade erst besiedelt worden, von dem gigantischen Imperium, von dem die Foundation-Trilogie und seine Nachfolgeromane erzählen, kann hier noch nicht die Rede sein. Sterne wie Staub ist ein weiteres Puzzlestück in Asimovs Foundation-Zyklus, dem wohl bekanntesten Science-Fiction-Werk des 20. Jahrhunderts.

»Wer immer sich an der nie endenden Diskussion über die Zukunft beteiligt, weiß, was wir Isaac Asimov zu verdanken haben.«

The New Yorker

Der Autor

Isaac Asimov zählt gemeinsam mit Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein zu den bedeutendsten SF-Autoren, die je gelebt haben. Er wurde 1920 in Petrowitsch, einem Vorort von Smolensk, in der Sowjetunion geboren. 1923 wanderten seine Eltern in die USA aus und ließen sich in New York nieder. Während seines Chemiestudiums an der Columbia University begann er, SF-Geschichten zu schreiben. Seine erste Story erschien im Juli 1939, und in den folgenden Jahren veröffentlichte er in rascher Folge die Erzählungen und Romane, die ihn weltberühmt machten. Neben der Science Fiction schrieb Asimov auch zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher zu den unterschiedlichsten Themen. Er starb im April 1992.

Mehr über Isaac Asimov und seine Romane auf:

ISAAC ASIMOV

STERNEWIE STAUB

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

THE STARS, LIKE DUST

Deutsche Übersetzung von Irene Holicki

Copyright © 1958 by Nightfall Inc.

Mit freundlicher Genehmigung der Erben des Autors

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von shutterstock 134984325

Umsetzung E-Book: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN 978-3-641-13210-1

www.diezukunft.de

INHALT

1     Das Wispern im Schlafzimmer

2     Das Netz über dem Weltall

3     Der Zufall und die Armbanduhr

4     Frei?

5     Schwer ruht das Haupt

6     Das eine Krone drückt

7     Der Geist als Instrument

8     Die Röcke einer Frau

9     Und die Hosen eines vornehmen Herrn

10   Vielleicht!

11   Vielleicht aber auch nicht!

12   Der Autarch kommt

13   Der Autarch bleibt

14   Der Autarch geht

15   Das Loch im All

16   Die Hunde!

17   Und die Hasen!

18   Am Rande des Abgrunds

19   Alles verloren!

20   Wo?

21   Hier?

22   Nein, da!

Nachwort

1   Das Wispern im Schlafzimmer

Ein schwaches Wispern erfüllte das Zimmer. Ein ungewohntes Geräusch, für das menschliche Ohr kaum wahrzunehmen, aber doch unverwechselbar und unbedingt tödlich.

Es war freilich zu leise, um Biron Farrill aus seinem schweren und wenig erquickenden Schlummer zu wecken. Erst das immer wiederkehrende Brr-Brr vom Nachttisch drang in sein Bewusstsein. Vergeblich drehte er den Kopf von einer Seite zur anderen – es ließ sich nicht zum Schweigen bringen.

Endlich streckte er, ohne die Augen zu öffnen, die Hand nach dem Apparat aus und stellte mit einem Knopfdruck die Verbindung her.

»Hallo«, nuschelte er.

Sofort ergoss sich, hart und überlaut, eine Flut von Geräuschen aus dem Empfänger. Biron brachte nicht die Kraft auf, die Lautstärke zurückzudrehen.

»Könnte ich Biron Farrill sprechen?«

Biron schlug die Augen auf. Die Dunkelheit war undurchdringlich. Er spürte eine unangenehme Trockenheit im Mund, ein schwacher Geruch hing im Raum.

»Am Apparat«, sagte er. »Wer spricht da?«

Die Stimme redete weiter, ohne ihn zu beachten. Immer aufgeregter, eine laute Stimme in der Nacht. »Ist dort jemand? Ich muss dringend Biron Farrill sprechen.«

Biron stützte sich auf einen Ellbogen und starrte in die Richtung, wo das Visifon stand. Dann ertastete er mit dem Finger die Bildsteuerung. Ein kleines Rechteck leuchtete auf.

»Hier bin ich«, sagte er. Sander Jontis glattes Gesicht mit den nicht ganz regelmäßigen Zügen schaute ihm entgegen. »Könnten Sie nicht morgen früh noch einmal anrufen, Jonti?«

Er wollte den Apparat schon abschalten, als Jonti rief: »Hallo. Hallo. Ist da jemand? Ist dort das Studentenwohnheim der Universität, Zimmer 526? Hallo?«

Plötzlich fiel Biron auf, dass das winzige Kontrolllämpchen für die Sendefunktion nicht aufgeleuchtet hatte. Mit einer leisen Verwünschung drückte er auf den entsprechenden Schalter. Die Lampe blieb dunkel. Jonti gab endlich auf und verschwand vom Schirm. Nur ein leeres Rechteck strahlte Biron an.

Mit einem Achselzucken schaltete er ebenfalls ab und wollte sich schon wieder in sein Kissen vergraben. Er war verärgert. Niemand hatte das Recht, ihn mitten in der Nacht anzubrüllen. Rasch warf er einen Blick auf die matten Leuchtziffern über dem Kopfende seines Betts. Drei Uhr fünfzehn. Im Heim würde es erst in knapp vier Stunden wieder lebendig werden.

Außerdem wachte er nicht gern in einem völlig dunklen Raum auf. An die Marotte der Erdenmenschen, sich in klobigen, fensterlosen Gebäuden hinter dicken Stahlbetonwänden zu verschanzen, hatte er sich nämlich auch nach vier Jahren noch nicht gewöhnen können. Die Tradition war tausend Jahre alt und stammte noch aus der Zeit, als es zwar primitive Atombomben gab, aber noch keine Kraftfelder, um sich dagegen zu schützen.

Doch das war längst Vergangenheit. Damals hatten die Atomkriege die Erde schlimm getroffen. Bis heute war sie zum größten Teil hoffnungslos radioaktiv verseucht und unbewohnbar. Man hatte hier nichts mehr zu verlieren, doch in der Architektur spiegelten sich immer noch die alten Ängste, und deshalb war Biron jetzt von pechschwarzer Finsternis umgeben.

Wieder stützte er sich auf einen Ellbogen. Irgendetwas stimmte nicht. Das unselige Wispern war ihm immer noch nicht aufgefallen, dafür aber etwas anderes, das sehr viel unauffälliger und mit Sicherheit längst nicht so bedrohlich war.

Er vermisste die leichte Brise, Kennzeichen des ständigen Luftaustauschs, die so selbstverständlich war, dass man sie kaum noch bemerkte. Auch fiel ihm das Schlucken schwer. Sobald er sich zusammengereimt hatte, was geschehen war, erschien ihm die Atmosphäre noch bedrückender. Das Belüftungssystem hatte den Betrieb eingestellt, und das wäre nun wirklich ein Grund gewesen, sich zu beklagen. Doch er konnte die Störung nicht einmal über Visifon melden.

Um ganz sicherzugehen, unternahm er noch einen Versuch. Wieder leuchtete das milchig trübe Rechteck auf und warf seinen schwachen Perlmuttschimmer über das Bett. Der Empfang war in Ordnung, aber das Gerät sendete nicht. Nun, das war nicht weiter von Bedeutung. Vor Tagesanbruch würde ohnehin niemand etwas unternehmen.

Gähnend rieb er sich mit den Handballen die Augen und tastete mit den Füßen nach seinen Pantoffeln. Also keine Frischluftzufuhr? Damit wäre auch der merkwürdige Geruch erklärt. Stirnrunzelnd zog er zwei- oder dreimal die Luft durch die Nase. Vergeblich. Der Geruch kam ihm bekannt vor, aber er vermochte ihn nicht einzuordnen.

Er ging ins Bad und drückte automatisch auf den Lichtschalter, obwohl er an sich kein Licht brauchte, um sich ein Glas Wasser zu holen. Der Schalter klickte, aber nichts geschah. Erbost schlug er noch ein paarmal darauf. Funktionierte denn nun gar nichts mehr? Er zuckte resigniert die Achseln und trank das Glas im Dunkeln leer. Das tat gut. Gähnend ging er ins Schlafzimmer zurück und probierte den Hauptschalter. Keine einzige Lampe reagierte.

Biron setzte sich auf sein Bett, stützte seine großen Hände auf die muskulösen Oberschenkel und dachte nach. Normalerweise wäre jetzt eine geharnischte Beschwerde beim Wartungspersonal fällig gewesen. Niemand erwartete in einem Studentenwohnheim den Service eines Luxushotels, aber, beim All, eine gewisse Grundversorgung konnte man doch wohl verlangen! Wobei dergleichen im Moment schon nicht mehr so wichtig war. Die Abschlussfeier stand unmittelbar bevor, und damit war sein Aufenthalt hier zu Ende. In drei Tagen würde er sich von diesem Zimmer und von der Universität Erde, ja, von der Erde selbst verabschieden.

Melden könnte er den Ausfall trotzdem, ohne weiteren Kommentar. Er brauchte nur hinauszugehen und das Telefon auf dem Flur zu benützen. Vielleicht brachte man ihm eine Lampe mit eigenem Akkumulator oder stellte sogar ein provisorisches Gebläse auf, damit er ohne Erstickungsängste schlafen konnte. Und wenn nicht, ins All mit ihnen! Zwei Nächte würde er noch überstehen.

Das Visifon spendete immerhin so viel Licht, dass er sich eine Unterhose suchen und eine Latzhose darüberziehen konnte. Das musste genügen, entschied er. Die Pantoffeln behielt er an. Zwar hätte er bei den dicken, fast schalldichten Trennwänden in diesem Betonklotz sogar in Nagelstiefeln über den Flur trampeln können, ohne jemanden aufzuwecken, doch wozu sollte er die Schuhe wechseln?

Er ging zur Tür und drückte auf die Klinke. Sie ließ sich leicht bewegen, und Biron hörte ein Klicken und glaubte, der Schließmechanismus habe angesprochen. Aber das war leider ein Irrtum. Obwohl er zog, dass sein Bizeps sich wölbte, ließ sich die Tür nicht öffnen.

Er trat zurück. Das war doch nicht möglich. Sollte es zu einem allgemeinen Stromausfall gekommen sein? Ausgeschlossen. Die Uhr ging noch, und das Visifon war immerhin empfangsbereit.

Moment! Seine Kameraden! Vielleicht hatten sie die Hand im Spiel; den Jungs war alles zuzutrauen. Dergleichen kam immer wieder einmal vor. Natürlich waren solche Streiche kindisch, aber er hatte sich selbst schon daran beteiligt. Durchaus möglich, dass sich einer von seinen Kumpels bei Tag hier hereingeschlichen hatte, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen, das wäre kein Problem gewesen. Nein, als er schlafen ging, hatten Klimaanlage und Beleuchtung noch funktioniert.

Schön, dann eben während der Nacht. Das Gebäude war alt und technisch nicht mehr auf dem neuesten Stand. Man brauchte kein Genie zu sein, um an die Klimaanlage oder die Lichtleitungen heranzukommen. Oder um das Türschloss zu blockieren. Und jetzt warteten sie sicher darauf, dass es Tag wurde. Mal sehen, was passierte, wenn der alte Biron merkte, dass er eingeschlossen war. Wahrscheinlich würden sie ihn erst gegen Mittag unter schallendem Gelächter befreien.

»Ha, ha«, stieß Biron wütend hervor. Schön, nun hatte er die Bescherung. Aber er konnte es nicht einfach dabei belassen – er musste sich irgendwie revanchieren.

Als er sich umdrehte, stieß er mit dem Fuß an einen Gegenstand, der mit metallischem Klirren quer durchs Zimmer schlitterte. Im matten Schein des Visifons sah er nur einen Schatten. Er bückte sich und tastete mit der Hand in weitem Bogen unter dem Bett herum. Als er das Ding gefunden hatte, zog er es heraus und hielt es dicht an den Schirm. (So schlau waren sie nun auch wieder nicht. Sie hätten das Visifon völlig außer Betrieb setzen sollen, anstatt nur den Stromkreis für den Sender zu unterbrechen.)

In seiner Hand lag ein Röhrchen mit einer Glasblase am oberen Ende. Die Blase hatte ein Loch. Er hielt sich den Zylinder an die Nase und roch daran. Hypnit. Damit war immerhin der rätselhafte Geruch erklärt. Natürlich, die Burschen hatten ein Betäubungsmittel verwendet, damit er nicht aufwachte, während sie sich an den elektrischen Leitungen zu schaffen machten.

Biron konnte das Manöver nun Schritt für Schritt nachvollziehen. Zuerst wurde die Tür aufgestemmt, ein Kinderspiel, aber zugleich der einzig riskante Teil des Unternehmens, denn dabei hätte er aufwachen können. Aber vielleicht hatten sie die Tür im Laufe des Tages so präpariert, dass der Riegel nicht ganz einrastete, ohne dass man es bemerkte. Er hatte es nicht ausprobiert. Wie auch immer, sobald sein Zimmer offen war, warfen sie eine Hypnitkapsel hinein, schoben die Tür wieder zu und warteten, während das Betäubungsmittel langsam austrat, sich zu der erforderlichen Konzentration von eins zu zehntausend verdichtete und ihn außer Gefecht setzte. Nun konnten sie – natürlich maskiert – gefahrlos eintreten. Beim All! Ein nasses Taschentuch schützte fünfzehn Minuten lang vor dem Hypnit, und mehr Zeit hatten sie wohl nicht gebraucht.

Damit war auch die Sache mit der Belüftung geklärt. Die Anlage musste abgeschaltet sein, sonst wäre das Hypnit zu rasch abgesaugt worden. Das war sicher die erste Maßnahme gewesen. Das Visifon hatte man lahmgelegt, damit er nicht um Hilfe rufen konnte; die blockierte Tür hinderte ihn daran, das Zimmer zu verlassen; und dass er kein Licht anmachen konnte, sollte ihn in Panik versetzen. Reizende Idee!

Biron schnaubte empört. Wenn er den Beleidigten spielte, machte er sich gesellschaftlich unmöglich. Spaß musste sein, und so weiter. Dabei hätte er im Moment am liebsten die Tür eingetreten, um diesem Spaß ein Ende zu machen. Der Gedanke ließ seine durchtrainierten Muskeln schwellen, aber mit Muskelkraft allein kam er sicher nicht weit. Die Tür war darauf ausgelegt, selbst einer atomaren Explosion standzuhalten. Verdammte Tradition!

Aber irgendeinen Ausweg musste er finden. Er durfte sich nicht einfach geschlagen geben. Zuallererst brauchte er Licht, eine richtige Lampe; das matte Geisterflimmern des Visifonschirms genügte nicht. Das war weiter kein Problem. In seinem Kleiderschrank lag eine batteriebetriebene Taschenlampe.

Als er an den Knöpfen herumfummelte, um den Schrank zu öffnen, befürchtete er schon, die Strolche hätten auch diese Tür blockiert. Doch sie glitt ohne Weiteres auf und schob sich in die Wand. Biron nickte vor sich hin. Logisch. Es gab keinen vernünftigen Grund, ihm den Zugang zum Schrank zu versperren, und allzu viel Zeit hatten sie wohl ohnehin nicht gehabt.

Er hielt die Taschenlampe schon in der Hand und wollte sich gerade abwenden, als ihn das Grauen erfasste. Das ganze Gebäude seiner Theorie stürzte mit einem Schlag in sich zusammen. Er erstarrte, sein Magen wurde zu einem harten, schmerzenden Klumpen, er hielt den Atem an und lauschte.

Zum ersten Mal, seitdem er aufgewacht war, hörte er das Wispern. Das Zimmer schien Selbstgespräche zu führen, leise in sich hineinzulachen. Biron erkannte das Geräusch sofort.

Jedermann kannte dieses Geräusch – das ›Todesröcheln‹ der Erde –, die Erfindung war tausend Jahre alt.

Genauer gesagt handelte es sich um das Ticken eines Zählrohrs, das alle geladenen Teilchen und alle harten Gammastrahlen registrierte, die ihm über den Weg liefen. Was Biron hörte, war das leise Schmatzen elektronischer Wellen, die sich zu einem halblauten Gewisper vereinten, die typischen Laute eines Strahlungsmessers, der nur eines messen konnte – den Tod!

Ganz behutsam, auf Zehenspitzen, wich Biron zurück. Aus sechs Fuß Abstand schickte er den weißen Strahl seiner Taschenlampe in jeden Winkel des Schranks. Das Messgerät stand in der hintersten Ecke, aber sein Anblick allein verriet ihm nichts.

Er besaß es seit seinem ersten Semester. Die meisten Studienanfänger von den Außenwelten schafften sich in ihrer ersten Woche auf der Erde einen Strahlungsmesser an, denn zu dieser Zeit empfanden sie die hier herrschende Radioaktivität noch als belastend und suchten sich dagegen zu schützen. Im Allgemeinen wurden die Dinger alsbald an die nächste Studentengeneration weiterverkauft, doch Biron hatte das seine behalten. Jetzt war er froh darüber.

Er wandte sich dem Schreibtisch zu, wo er seine Armbanduhr ablegte, wenn er schlafen ging. Sie lag noch da. Mit zitternder Hand hielt er sie in den Strahl der Taschenlampe. Das Uhrband bestand aus glatten, elastischen, glänzend weißen Plastikfäden. Und es war immer noch weiß. Er hielt es von sich ab, betrachtete es von verschiedenen Seiten. Es war tatsächlich weiß.

Auch dieses Armband hatte er sich in seinem ersten Semester zugelegt. Bei harter Strahlung färbte es sich blau, und Blau galt auf der Erde als Farbe des Todes. Selbst bei Tag war es jederzeit möglich, auf radioaktiv verseuchtes Gebiet zu geraten, wenn man nicht aufpasste oder sich verirrte. Die Regierung zäunte zwar so viele Stellen ein, wie sie nur konnte, und natürlich wagte sich kein Mensch in die Nähe der riesigen Todeszonen, die mehrere Meilen außerhalb der Stadt begannen. Doch das Armband bot zusätzliche Sicherheit.

Falls es sich tatsächlich einmal ins Blaue verfärben sollte, begab man sich unverzüglich ins nächste Krankenhaus und ließ sich behandeln. Das war ehernes Gesetz. Dank seiner chemischen Zusammensetzung reagierte es ebenso empfindlich auf Strahlung wie man selbst, und die Intensität des Blaus ließ sich mit speziellen, fotoelektrischen Instrumenten so exakt messen, dass die Schwere eines Falles rasch zu bestimmen war.

Ein kräftiges Königsblau bedeutete das Ende. Die Verfärbung blieb, wie sie war – und der Betroffene ebenfalls. Es gab keine Heilung, keine Chance, keine Hoffnung. Man selbst konnte nur noch – einen Tag bis eine Woche lang – auf den Tod warten, und dem Krankenhaus blieb nichts weiter zu tun, als die üblichen Vorbereitungen für eine Feuerbestattung zu treffen.

Immerhin, das Armband war noch weiß. Biron beruhigte sich ein wenig und dachte nach.

Die Strahlung war also nicht sehr stark. Gehörte vielleicht auch das noch zu dem Streich? Er verwarf den Gedanken sofort. Kein Mensch würde so etwas tun. Jedenfalls nicht auf der Erde, wo der Besitz von radioaktivem Material verboten war und als Schwerverbrechen geahndet wurde. Man nahm die Radioaktivität hier sehr ernst. Notgedrungen. Man brauchte schon ein sehr starkes Motiv, um damit herumzuspielen.

Er zwang sich, den Gedanken zu Ende zu führen, anstatt ihn sofort zu verdrängen. Ein starkes Motiv wäre etwa der Wunsch, ihn zu ermorden. Aber warum? Dazu hatte er doch keinen Anlass gegeben. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und hatte sich bisher keinen ernst zu nehmenden Feind gemacht. Keinen jedenfalls, der Grund hätte, ihm nach dem Leben zu trachten.

Er fuhr sich mit der Hand durch das kurz geschorene Haar. Die Überlegung war absurd, aber er musste sich damit auseinandersetzen. Vorsichtig ging er zum Schrank zurück. Irgendetwas sendete diese Strahlung aus; etwas, das vor vier Stunden noch nicht da gewesen war. Er entdeckte den Fremdkörper auf der Stelle.

Es war ein Kästchen von nicht mehr als fünfzehn Zentimeter Kantenlänge. Als Biron erkannte, was es war, begann seine Unterlippe leicht zu zittern. Gesehen hatte er so ein Ding noch nie, aber er hatte davon gehört. Er nahm das Messgerät an sich und ging damit ins Schlafzimmer zurück. Das Gewisper flaute ab, verstummte fast völlig und setzte wieder ein, sobald er die dünne, strahlungsdurchlässige Glimmermembran auf das Kästchen richtete. Damit war jeder Zweifel beseitigt. Es handelte sich um eine Strahlungsbombe.

Derzeit war die Strahlung noch nicht tödlich; sie stammte nur vom Zünder, der irgendwo im Innern des Kästchens eine winzige Atombombe scharfmachte. Künstliche Isotope mit kurzer Halbwertszeit heizten den Kern langsam auf und durchsetzten ihn mit den erforderlichen Teilchen. Wenn die kritische Temperatur und die kritische Teilchendichte erreicht waren, wurde die Kettenreaktion ausgelöst. Zur Explosion kam es dabei im Allgemeinen nicht, obwohl die Abwärme genügte, um das Kästchen zu einem formlosen Metallklumpen zusammenschmelzen zu lassen, doch der Strahlungsausstoß war gewaltig und konnte je nach Größe der Bombe im Umkreis von fünf Metern bis fünf Kilometern alles Leben vernichten.

Wann die kritische Masse erreicht sein würde, ließ sich nicht feststellen. Vielleicht erst in ein paar Stunden, vielleicht auch schon im nächsten Augenblick. Biron stand da wie angewurzelt, die Taschenlampe in den schweißfeuchten Händen, und wusste sich keinen Rat. Erst vor einer halben Stunde hatte ihn das Visifon aus friedlichem Schlummer geweckt. Und jetzt wusste er, dass er sterben würde.

Er wollte nicht sterben, aber er saß hoffnungslos in der Falle und konnte sich nirgendwo verstecken.

Er überlegte angestrengt. Sein Zimmer lag am Ende des Korridors und grenzte folglich nur an einer Seite und natürlich oben und unten an andere Räume. Der Raum über ihm nützte ihm nichts. Zwischen ihm und seinem Nachbarn auf diesem Stockwerk befanden sich die beiden Badezimmer. Ob er sich dort bemerkbar machen konnte, war eher zu bezweifeln.

Damit blieb noch das Apartment unter ihm.

Er hatte für den Fall, dass er Gäste bekam, zwei Klappstühle im Zimmer. Einen davon packte er nun mit beiden Händen und schmetterte ihn gegen den Boden. Er erzielte nur ein müdes Klatschen. Als er den Vorgang mit der Schmalseite wiederholte, wurde das Klopfen lauter und kräftiger.

Nach jedem Schlag wartete er ein wenig. Ob es ihm wohl gelingen würde, den Schläfer unter sich zu wecken und so weit in Rage zu bringen, dass er sich wegen der Ruhestörung beschwerte?

Plötzlich hörte er ein leises Geräusch und hielt inne, den bereits arg lädierten Stuhl hoch erhoben. Da war es wieder, fast wie ein gedämpfter Schrei. Es kam von der Tür her.

Er ließ den Stuhl fallen und schrie zurück. Dann drückte er das Ohr gegen den Spalt zwischen Tür und Wand, aber die Tür war gut eingepasst, und so hörte er auch hier nicht viel.

Immerhin verstand er seinen Namen.

Jemand rief immer wieder »Farrill! Farrill!« und dann noch etwas, vielleicht: »Sind Sie da drin?« oder: »Alles in Ordnung?«

»Brechen Sie die Tür auf!«, brüllte er dreimal, viermal, zurück. Er war jetzt in heller Aufregung, die Ungeduld trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Jeden Moment konnte die Bombe hochgehen.

Offenbar hatte man ihn gehört. Jedenfalls warnte eine dumpfe Stimme: »Achtung!« Unverständliches Gemurmel. »Blaster.« Er wusste Bescheid und zog sich hastig von der Tür zurück.

Krachende Schläge erschütterten die Luft, er konnte die Vibrationen geradezu spüren. Dann ein Splittern, und schließlich flog die Tür nach innen. Eine Flut von Licht strömte herein.

Biron stürmte mit weit ausgebreiteten Armen auf den Korridor hinaus. »Nicht eintreten!«, schrie er. »Um der Erde willen, bleiben Sie draußen. Da drin liegt eine Strahlungsbombe.«

Zwei Männer standen vor ihm. Jonti war der eine, der andere, nur notdürftig bekleidet, war Esbak, der Heimleiter. »Eine Strahlungsbombe?«, stammelte er.

»Wie groß?«, fragte Jonti. Er war selbst jetzt, mitten in der Nacht, aufs Eleganteste gekleidet. Nur der Blaster in seiner Hand störte die Wirkung ein wenig.

Biron deutete mit beiden Händen die Abmessungen an.

»Schön«, sagte Jonti ungerührt und wandte sich an den Heimleiter. »Am besten lassen Sie alle Zimmer in diesem Trakt sofort räumen. Wenn Sie irgendwo auf dem Universitätsgelände Bleiplatten auftreiben können, sollten sie hierhergebracht und auf dem Korridor aufgestellt werden. Und an Ihrer Stelle würde ich vor morgen früh niemanden in dieses Gebäude lassen.«

Dann sah er Biron an: »Der Wirkungsradius beträgt vermutlich vier bis sechs Meter. Wie kommt sie in Ihr Zimmer?«

»Keine Ahnung.« Biron wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss mich setzen.« Er warf einen Blick auf sein Handgelenk, dann fiel ihm ein, dass seine Armbanduhr noch im Zimmer lag. Am liebsten wäre er zurückgegangen, um sie zu holen.

Allmählich kam Leben ins Haus. Ein Student nach dem anderen wurde aus seinem Zimmer gescheucht.

»Gehen wir«, sagte Jonti. »Ich finde auch, dass Sie sich setzen sollten.«

»Was hat Sie zu meinem Zimmer geführt?«, fragte Biron. »Nicht, dass ich nicht dankbar wäre.«

»Ich hatte Sie angerufen, aber niemand hat sich gemeldet. Und ich musste Sie unbedingt sprechen.«

»Mich sprechen?« Er artikulierte überdeutlich und bemühte sich, möglichst gleichmäßig zu atmen. »Warum?«

»Um Sie zu warnen. Ihr Leben wird bedroht.«

Biron lachte hysterisch. »Das habe ich auch schon gemerkt.«

»Dies war lediglich ein erster Versuch. Man wird es nicht dabei bewenden lassen.«

»Wer ist ›man‹?«

»Nicht hier, Farrill«, wehrte Jonti ab. »Das besprechen wir besser unter vier Augen. Sie sind ein Gezeichneter, und auch ich habe mich womöglich schon zu weit vorgewagt.«

2   Das Netz über dem Weltall

Der Aufenthaltsraum für die Studenten war leer und – wie um halb fünf Uhr morgens nicht anders zu erwarten – dunkel. Dennoch zögerte Jonti einen Moment und lauschte, bevor er die Tür öffnete.

»Nein«, warnte er leise, »schalten Sie kein Licht an. Reden kann man auch im Dunkeln.«

»Ich habe heute Nacht schon mehr als genug im Dunkeln gesessen«, murrte Biron.

»Wir lassen die Tür angelehnt.«

Biron wollte nicht lange darüber streiten. Er ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen und wartete, während die Tür langsam zuschwang und das helle Rechteck zu einer schmalen Linie zusammenschrumpfte. Jetzt, wo alles vorüber war, bekam er das große Zittern.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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