Sternenglanz - J.D. David - E-Book

Sternenglanz E-Book

J.D. David

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Beschreibung

Obwohl die Schlacht um Valorien gewonnen ist, beginnt der Krieg gegen das übermächtige Kaiserreich für die junge Königin Luna gerade erst. In einem unerbittlichen Kampf für die Freiheit ihres Volkes muss sie sich dabei auf alte Freunde und einstige Feinde verlassen. Mit Hilfe der Elfe Yatane an ihrer Seite stellt sie sich der Dunkelheit entgegen – und realisiert, dass die Finsternis sich auch bedrohlich um ihre eigene Seele legt, während größere Mächte um das Gleichgewicht der Welt kämpfen.

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J.D. David

Sternenglanz

Legenden von Valorien

Sternenglanz

Impressum

© 2021 J.D. David

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de 

ISBN 978-3-754167-45-8

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 

Prolog  778 St. Gilbert

Schatten waren für die meisten Wesen etwas Bedrohliches. Sie raubten die Wärme des Lichtes. Sie verdunkelten die Sinne. Sie kündeten von der Ankunft etwas Bösem. Sie verhießen Dunkelheit. Doch nicht für sie. Die Schatten gaben ihr Geborgenheit. Sie legten sich um sie wie ein schützender Mantel, umschlossen sie wärmend, und schirmten sie von der Bosheit der Außenwelt ab. Immer wieder spürte sie die Schatten.

Ihr habt euch dieses Ende selbst ausgesucht. Die kalte Stimme in ihren Gedanken mochte düster wirken. Für sie war sie immer wieder beruhigend. Wieder und wieder hörte sie die Worte und spürte die Präsenz des Mannes, der sie gesprochen hatte. Ein Krieger, entsprungen aus den Schatten, der sie schützte. Gerade wollte sie sich in diesem Gefühl der Sicherheit entspannen, zurückfallen lassen, als es weggerissen wurde. Immer wieder.

Fürst Tanatel. Der laute Ausruf der Menschen hatte etwas Überraschtes, aber auch etwas Schockiertes. Sie hörte wieder die Geräusche eines ungleichen Kampfes. Sie sah das Rot. Das Rot des Blutes, das sie schon umgab, und doch immer mehr wurde, während der Krieger sein blutiges Werk vollendete.

Mama! Ihr flehentlicher Schrei hallte von den Mauern wider. Doch er änderte das Schicksal der Frau nicht, die sie hatte schützen wollen. Die kalte, glänzende Klinge bohrte sich in den Leib. Das Leben wich aus der Mutter, so wie das Blut aus den Wunden floss. So blieb sie als ängstliches Mädchen zurück, in eine Ecke gedrückt, schutzlos, allein.

Verschont sie. Ich flehe euch an. Sie ist doch nur ein Kind. Die verzweifelten Worte einer Mutter. Es war ihr nie um ihr eigenes Leben gegangen. Nur das Leben ihrer Tochter zählte. Das Mädchen blinzelte. Selbst in ihrem Traum wurde sie vom Licht geblendet, als die Krieger die Tür aufschlugen. Es war grell, es ließ keine Schatten zu. Es deckte alles auf. All die Bosheit der Welt trat im Licht erst vollständig hervor.

Wieder und wieder sah sie den Traum. Immer die gleiche Geschichte. Immer die gleichen Bilder. Sie liefen vor ihrem inneren Auge ab, als wäre es gestern gewesen. Das Ende war vorbestimmt. Es war die Rettung. Doch der Weg dahin bestand aus Schmerzen, und so bewegte sich der Traum stets vom Ende zum Anfang. Verängstigt saß sie in der Ecke. Die Mutter umarmte sie, doch sie spürte kaum ihre Wärme. Stattdessen hörte sie nur die bedrohlichen Laute von draußen. Die Schritte von Marschierenden. Die Rufe von Befehlen. Die verzweifelten Kämpfe der Verteidiger. Doch immer wieder schallte ein Ruf an ihre Ohren. Treu und Ehr. Valorien!

Der Anfang war das Ende. Und das Ende der erneute Anfang des Traumes. Groß stand der Krieger über ihr und reichte ihr die Hand. Du bist jetzt sicher, Yatane. Die Worte waren sanft, beruhigend. Sie griff die Hand. Der Schatten umschloss sie. Und sie wollte nie wieder davon weggehen. Ihr Leben sollte mit ihm verwoben sein. Doch dann wurde sie aus der Geborgenheit hinausgerissen und wieder in die Schrecken des Traums geworfen.

„Yatane.“ Die sanfte Stimme einer Frau riss sie aus dem Traum, der für sie schon zur unausweichlichen Ewigkeit geworden war. „Wach auf, Yatane.“

Langsam kehrten ihre Sinne in die Realität zurück. Die Luft um sie herum war frisch, aber nicht kalt. Wie an einem Sommermorgen im Wald. Von draußen hörte sie auch das Zwitschern von Vögeln, aber auch die gedämpften Gespräche der Anwohner. Durch die offenen Fenster strich eine warme Brise in den Raum. Sie war nicht mehr in Valorien.

Vorsichtig öffnete sie die Augen. Erst musste sie blinzeln. Das Licht, die Helligkeit war unerträglich für jemanden, der so lange Zeit in der Dunkelheit des Traumes verbracht hatte. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie geschlafen hatte. Es könnten Stunden gewesen sein. Tage. Monate. Jahre. Oder noch viel länger. Für sie zählte Zeit so wenig, wie für die anderen Einwohner dieses Landes. Denn selbst die ersten, verschwommenen Bilder vor ihrem Auge machten deutlich wo sie war: Alydan. Das Reich der Elfen. Dann öffnete sie ihre tiefgrünen Augen vollständig und blickte sich um.

Sie lag in einem großen, weichen Bett in der Mitte des Raumes. Die Möbel und Verzierungen an den Wänden waren edel, fürstlich. Die Wände verschmolzen mit Baumstämmen, zwischen denen das Haus errichtet worden war. Es bildete eine Symbiose mit der Natur um es herum, und war nicht deplatziert in ihr, wie die Fremdkörper, die die Menschen bauten. Vorsichtig richtete sie ihren erschöpften Körper auf, rutschte nach hinten, und lehnte sich an die Wand hinter dem Bett. Sie blickte auf ihre langen, glatten, schwarzen Haare. Ihr Glanz war etwas gewichen. Wohl auch eine Folge der Erschöpfung. Erst dann drehte sie sich zu der Frau, die sie aufgeweckt hatte.

„Wo bin ich?“, fragte Yatane, obwohl sie die Antwort vermutete.

„Im Palast von Alydan. Im heiligen Reich. Du hast lange geschlafen, Yatane. Doch heute spürte ich, dass es Zeit war, dass du wieder aufwachen würdest.“

Yatane musterte die Frau. Sie hatte lange, hellblonde Haare. Obwohl ihr Gesicht alterslos war wie das aller Elfen, erkannte man in dem Blick der Erfahrung hunderter Jahre. Sie wusste, wer diese Person war.

„Meine Herrin.“, sagte sie und neigte den Kopf, als sie realisierte, dass ihr die erste Fürstin der Elfen, die Herrscherin von Alydan, gegenübersaß. „Wie bin ich hierhergekommen?“

„Weißt du, was du getan hast?“, stellte die Fürstin eine Gegenfrage. Yatane senkte den Kopf. Sie überlegte kurz, wusste aber genau, ihre Erinnerungen einzuordnen. Sie kannte die Grenze zwischen Realität und Traum.

„Ja, meine Fürstin.“, antwortete sie kurz.

„Seit dem Tag sind viele Jahre vergangen. Doch die Verbrechen können nicht vergessen werden. Erhole dich von deinen Strapazen. Aber dann wirst du vor den Rat treten müssen, um dich zu verantworten.“, sprach die Fürstin. Obwohl die Stimme weiterhin sanft war, schwang eine bestimmte Strenge mit.

Yatane nicke. Erschöpft atmete sie aus und schaute aus dem Fenster. Sie musste noch immer leicht blinzeln, als sie so in das grelle Licht der Sonne blickte. Licht, dass alles umgab und alle Geheimnisse offenlegen würde. Sie sehnte sich in diesem Moment nach der wärmenden Umarmung des Schattens. Doch dieser war für immer gewichen. Daran erinnerte sie sich.

„Das Verbrechen des Verrates zieht nur eine Strafe nach sich, mit der wir aller belegten, die es begingen.“ Die Stimme des Herrn des Feuers ließ Yatane leicht zusammenfahren. Zu entschlossen, ja fast hasserfüllt, waren die Worte gesprochen. Gerade von Fürst Kailan hatte sie Unterstützung erhofft. War er nicht seit jeher Befürworter ihres Kampfes gewesen? Doch noch stärker schien seine Loyalität und Prinzipientreue gegenüber dem heiligen Reich zu sein. „Sie sollte verbannt werden, auf ewig Alydan zu verlassen. Kein Elf soll sie mehr als einer der Unseren willkommen heißen. Von diesem Tage, bis zum Ende der Welt.“

„Kailan, du musst schon zugeben, dass dieser Fall etwas anders gelagert ist als jene, die du ansprichst.“ Yatane blickte zu der Elfenfürstin, die widersprach. Siliva. Eine für eine Fürstin der Elfen geradezu fröhliche und offene Persönlichkeit. „Yatane hat ihre Schuld eingestanden und Reue gezeigt. Sie wurde zum Verrat verführt und hat diesen nicht aus eigenem Antrieb begangen, sondern im Glauben etwas Gutes zu tun.“

„Ich stimme Siliva zu.“ Arkas, der Herr des Eisens, genoss selbst unter den Fürsten großen Respekt, doch stand er auch immer schon den Menschen recht nahe. Eine Eigenschaft, die ihm manche als Schwäche auslegten. „Es ist unabdingbar, dass die junge Kriegerin bestraft wird. Doch ein Ausschluss aus unserer Mitte für die Ewigkeit erscheint mir ein unangemessenes Urteil.“, fügte er hinzu, doch schaute nicht in den Rat zu den anderen Fürsten, sondern nur zu Yatane. Fast schüchtern lächelte diese leicht und nickte dem Fürsten dankend zu. Dann blickte sie sich im Rat um, wartete auf weitere Reaktionen.

Der Rat des heiligen Reiches bestand aus den fünfzehn Fürsten der Elfen, die seit Anbeginn der Zeit über diese Welt wachten. Doch nun saßen nur zwölf der Fürsten vor Yatane. Das Fehlen einiger Fürsten hatte gravierende Gründe. Jeder Elf kannte sie. Fast jeder der Fürsten hatte sich vor ihr zu ihrem Fall geäußert, nachdem sie detailliert ihre Verfehlungen eingestanden hatte. Lediglich der dritte Fürst, Richter des Rates, wartete auf das Votum der anderen. Und ein Fürst schwieg beharrlich: Elian, Herr der Stürme. Sein Blick war stoisch auf Yatane gerichtet, selbst als jeder der anderen Fürsten sprach. Sie versuchte den Blick zu deuten. War es Enttäuschung? Verachtung? Trauer? Doch sie vermochte die Gedanken des Elfen nicht zu entschlüsseln.

„Ich habe eure Worte vernommen, Fürsten.“, setzte dann der Richter zum Spruch an, der dritte Fürst und mit seinen Geschwistern Herrscher Alydans. „Eine Kriegerin wurde auf den falschen Weg geführt, und hat schwere Verbrechen begangen. Gegen das heilige Reich, gegen jeden Elfen, und gegen unsere Welt selbst. Ihre Schuld steht außer Frage, doch auch ihre Reue ist nicht zu bestreiten.“, begann er zu sprechen. Yatane spürte ihren Herzschlag. Egal welcher Spruch folgen würde, sie würde das Urteil akzeptieren müssen. „Doch die Umstände mildern die Schuld. Ich bin nicht bereit, sie aus unserer Mitte zu vertreiben. Sie ist und bleibt Teil unseres Volkes, mit allen verbundenen Rechten und Pflichten. Doch ich verfüge, dass Yatane Alydan nie wieder verlassen darf. Sie soll in diesem Land in alle Ewigkeit verweilen, um es zu schützen, und der Gemeinschaft zu dienen, auf dass sie ihre Verfehlung nicht mehr wiederholen kann.“

Alle Fürsten nickten. Auch wenn einige der Elfen eine andere Meinung vertreten hatten, fügten sie sich ohne Widerspruch dem Urteil. Es war endgültig. Yatane atmete erleichtert aus.

Wasser umspülte ihre Füße, als sie am Strand saß und die Wellen beobachtete, die auf das Land trafen. Es war ein warmer Tag. Es waren stets warme Tage hier in Alydan. Während in vielen Ländern der Menschen die Jahreszeiten wechselten, war es hier im heiligen Reich der Elfen stets Sommer. Yatane hatte schon viele Länder bereits, und wusste, dass sie es mit ihrem ewigen Aufenthalt in Alydan nicht schlecht getroffen hatte. Eine Erkenntnis, die sie über die letzten Monate aufgebaut hatte. Sie versuchte dabei auch sich selbst zu überzeugen. Doch immer, wenn sie wie jetzt am Strand saß und auf das Meer schaute, bekam sie auch ein bisschen Fernweh. Neue Länder zu sehen. Weit weg von dem heiligen Reich der Elfen im Schatten des Weltenbaumes. Und auch um ihre eigentliche Heimat wieder zu sehen. Doch das Urteil war eindeutig gewesen. In alle Ewigkeit.

Sie ließ sich fallen und sank in den feinen Sand des Strandes. Seufzend atmete sie aus und blickte in den Himmel. Viele Menschen würden Alydan wohl als Paradies bezeichnen. Sie würden nie verstehen, dass man auch in einem Paradies seiner Freiheit beraubt sein konnte. Wie schön wäre es wohl fliegen zu können. Dann könnte sie überall hinreisen, wo sie wollte. Denn in dieser Hinsicht war Alydan das ideale Gefängnis: ohne ein Schiff konnte man überhaupt nirgendwo hin. So hatte man Yatane auch keinen Bewacher zur Seite gestellt. Es war nicht nötig.

„Los Anna, komm schon.“ Die fröhliche Stimme eines Kindes riss Yatane aus ihren Gedanken. Denn es war in der Tat ein ungewöhnlicher Klang, den man in Alydan nicht oft hörte. Elfen hatten auch Kinder, doch aufgrund ihrer langen Lebensdauer gab es auf die Bevölkerung bezogen deutlich weniger Kinder als bei Menschen. Doch Yatane hatte eine andere Vermutung, um wen es sich handeln konnte. Sie stand auf und klopfte sich den Sand von der Kleidung, um zur Quelle der Stimme zu gehen. Sie musste nicht lange suchen.

Direkt vor ihr lief das Mädchen aus dem Wald hinaus auf den Strand und schnell hin zum Wasser. Ihr folgte eine etwas ältere Magd, die einen Korb trug. Beide waren, wie Yatane vorher vermutet hatte, Menschen. Wohl zwei der einzigen drei Menschen, die zurzeit in Alydan weilten.

Das Mädchen hatte das Wasser fast erreicht, als sie Yatane bemerkte. Sie hielt inne und drehte sich zur Elfe. Yatane musterte das Kind. Sie war acht, vielleicht neun Jahre alt, hatte hellblonde Haare, die allerdings durch eine schwarze Strähne durchbrochen wurden. Und sie blickte Yatane mit großen Augen an.

„Hallo.“, sagte das Mädchen.

„Hallo.“, erwiderte Yatane lächelnd. „Dann bist du wohl die junge Königin Valoriens, von der man so viel hört.“, fügte sie hinzu.

„Ja. Ich bin Luna.“, antwortete das Mädchen stolz und stützte die Hände in die Seiten.

„Luna, wo bleiben deine Manieren.“, maßregelte sie die Amme, als sie die beiden erreichte.

„Tut mir leid.“, sagte Luna leise mit gesenktem Kopf zu Anna gerichtet. Dann drehte sie sich wieder zu Yatane, machte einen leichten, etwas unbeholfenen Knicks, und begann dann nochmal von vorne.

„Es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen. Ich bin Luna I. Amalia von Valorien, Königin von Valorien in den Reichen der Menschen. Mit wem habe ich die Ehre?“, spulte sie dann eine Vorstellung ab, die sie sowohl des Öfteren vortragen musste. Yatane erwiderte mit einem Grinsen, tat der Königin dann aber den Knicks nach.

„Es ist mir eine Ehre Euch kennen zu lernen, königliche Hoheit. Mein Name ist Yatane. Ich bin allerdings nur eine einfache Kriegerin Alydans, also besteht nicht die Notwendigkeit gehobener Etikette.“, antwortete sie. „Außerdem wollte ich Euch natürlich nicht von eurem königlichen Bad abhalten.“, fügte sie mit einem Zwinkern hinzu.

„Was machst du hier?“, fragte Luna dann die Elfe. Eine wohl berechtige Frage, denn die meisten der Elfen hatten klare Aufgaben, denen sie diszipliniert nachgingen.

„Ich denke, dass gleiche wie du, junge Königin. Ein bisschen Durchatmen von den Zwängen und Regeln, die in der Stadt gelten. Hier fühlt man ein bisschen Freiheit.“

„Das ist schön.“, antwortete das Mädchen und zeigte dann auf den Korb, den die Amme trug. „Willst du mit uns essen? Geron hat mich den heutigen Tag von Lektionen freigestellt, nachdem ich alle Könige der letzten 200 Jahre aufzählen konnte.“, sagte sie mit nicht zu verleugnetem Stolz.

„Das würde ich sehr gerne, wenn es deine Wächterin erlaubt.“, sagte Yatane und blickte zu Anna, die nur freundlich nickte.

„Natürlich. Es ist genug da.“

„Und um mir mein Mahl zu verdienen, will ich dir gerne einige Geschichten aus deiner Heimat erzählen.“, sagte Yatane, als sie sich wieder in den Sand setzte. Luna schaute sie mit großen Augen an. Den ursprünglichen Plan, ein Bad im Meer zu nehmen, schien sie bereits wieder verworfen zu haben.

„Du kennst Valorien? Warst du dort? Kennst du meinen Vater?“

Yatane schüttelte den Kopf. „Nein, ich kenne ihn nicht. Aber Valorien und die umliegenden Reiche kenne ich gut. Denn ich weilte einige Jahre in diesem Land. Lass mich dir die Geschichte von Fürst Tanatel erzählen, der einst über Valorien als Elfenfürst wachte.“, sagte sie und wollte gerade zu erzählen beginnen, stockte dann aber kurz. Dann fügte sie leiser hinzu. „Du darfst nur Geron nicht erzählen, dass wir uns getroffen haben. Versprochen?“, sagte sie mit einem Zwinkern.

Luna nickte. „Versprochen.“

Es war eine klare Nacht. Trotz des Neumondes war das Land hell durch das glänzende Licht der Sterne erleuchtet. Yatane atmete ruhig, während sie in den Himmel blickte. Hoch oben, auf einem der Türme Alydans konnte man ungestört in die Nacht schauen, ohne dass der Blick von Dächern oder Baumkronen verdeckt wurde.

„Hast du schon einmal die Sterne gezählt?“ Yatane lächelte ob der Frage der jungen Königin. Das Mädchen stellte häufig derlei Fragen. Ihre Neugier war eine der herausragendsten Eigenschaften des aufgeweckten Kindes. Das hatte die Elfe in den letzten Monaten schnell festgestellt. Auf den einen Tag am Strand waren weitere gefolgt, in denen sie sich getroffen hatte. In denen Luna von ihren Lektionen bei Geron, Elian, Lioras, und Siliva erzählt hatte, und Yatane über ihre Reisen in ferne Länder. Aus den Tagen waren Wochen, waren Monate geworden.

„Nein. Wieso?“, fragte die Elfe zurück.

„Ich habe es schon einige Male versucht. Allerdings musste ich immer aufgeben oder habe mich verzählt. Aber wenn man ewig lebt wie ihr Elfen, hat man doch eigentlich Zeit, um irgendwann alle Sterne zu zählen, oder?“

„So habe ich noch nie darüber nachgedacht.“

„Ich habe oft versucht die drei Sterne Valoriens zu finden, bin mir aber nicht sicher, welche es sind.“, sprach Luna weiter.

„Welche Sterne meinst du?“

„Die von meinem Banner. Es trägt doch drei Sterne. Aber sie müssen doch irgendwo am Himmel zu finden sein, oder?“

Yatane lachte leise.

„Wieso lachst du?“, fragte Luna nach.

„Nun, königliche Hoheit.“, sagte Yatane gespielt, „weil Ihr mir Perspektiven auf den Himmel gebt, die ich in meiner langen Lebenszeit nie gehört habe.“

Luna stimmte in das Lachen ein. „Ich bin eben klug.“, sagte sie stolz. Als sie dann wieder leise waren, fügte sie aber noch eine Frage an. „Yatane, Geron sagte mir einst, dass die Sterne einstige Könige, Herzöge, und Ritter sind, die über uns wachen. Stimmt das? Werde ich dann auch eines Tages ein Stern sein?“

Erneut lachte Yatane auf. „Ich weiß es ehrlich nicht. Aber es kann gut sein. Wir Elfen kehren zum Weltenbaum zurück, wenn wir sterben, und werden wieder eins mit ihm. Aber was mit euch Menschen passiert, weiß ich nicht. Es kann gut sein, dass all die Anführer älterer Tage über dich wachen, meine liebe Luna. Auch dein Vater, und dessen Vater. Aber du wirst so schnell kein Stern. Zuerst musst du den Glanz des Sternenbanners wieder in deine Heimat bringen.“

Luna nickte. „Aber das wird noch lange dauern. Sagt Geron.“

„Das ist auch besser so. Hier in Alydan bist du sicher.“

„Sind die Menschen in Valorien denn böse?“, fragte Luna. Nun fehlten Yatane erstmal die Worte. Ja, wie sollte sie darauf antworten? Lag es nicht in der Natur der Menschen, böse zu sein? Würde vielleicht Luna, jetzt noch ein liebes Mädchen, eines Tages herrschen wie ihre Vorgänger? Sie überlegte sich gerade eine Antwort, als ihr Gespräch unterbrochen wurde.

„Luna. Komm hinunter.“ Die tiefe Stimme von Geron durchbrach die Stille der Nacht.

„Gleich.“, rief Luna zurück und stand auf. Doch dann wandte sie sich an Yatane. „Denkst du die Elfenfürsten wären mächtig genug, um zu den Sternen zu fliegen?“

Die Elfe schaute Luna verwundert an. „Ja, vielleicht. Aber ich glaube nicht, dass sie es anstreben.“

„Aber vielleicht könntest du dann von hier weggehen. Du sagtest doch, dass du hier auf Alydan gefangen bist.“

Yatane grinste. „Diesen Vorschlag habe ich wohl noch nie gehört. Ich werde es mir merken.“

„Luna.“, der Ruf des Ritters kam näher und war deutlich schärfer.

„Verdammt, ich muss los.“, sagte das Mädchen noch. Doch dann war es bereits zu spät, und Geron kam die letzten Stufen auf den Wachturm.

„Du sollst kommen, wenn ich dich rufen.“, sagte der Ritter und bemerkte dann Yatane, die ebenfalls aufgestanden war. Er musterte die Elfe kurz, doch dann weiteten sich seine Augen. Er konnte die Überraschung nicht verbergen. Doch der Ausdruck wich schnell einem wütenden, hasserfüllten Blick.

„Du…“, sagte Geron nur kalt, wandte sich dann aber an die Königin. „Luna, wir müssen gehen. Siliva will dich sprechen.“, sagte er und schaute dann noch einmal zu Yatane. Dann legte er eine Hand auf Lunas Schulter und führte diese auf die Stufen den Turm hinunter. „Ich werde mit Elian sprechen müssen…“, sagte er dann noch deutlich hörbar, aber weder direkt an Luna noch an Yatane gerichtet.

Yatane wälzte sich unruhig im Bett umher. Doch während ihr Körper in ihrem Zimmer in Alydan war, befand sich ihr Geist in einer anderen Zeit an einem anderen Ort. Die Träume waren weniger geworden, seit sie aus dem langen Schlaf erwacht war. Aber sie waren nie vollständig gewichen. Die Rufe, die Stimmen drangen immer wieder an ihre Ohren. Sie sah das Blut vor ihren Augen, dass vergossen worden war. Und immer, wenn sie von den Schatten gerettet wurde, überkamen sie die Schrecken erneut.

„Yatane.“ Die Stimme war leise, doch sie riss Yatane aus dem Traum und fühlte sich in dem Moment wie ein lauter Schrei an. Sie spürte die Berührung an der Schulter. Blitzschnell fuhr sie herum und griff zu ihrem Dolch, der stets neben ihr im Bett lag. Doch bevor sie die Klinge fassen konnte, umfasste sie jemand fest am Handgelenk. Sie wollte aufschreien, doch die Stimme, die sie geweckt hatte, kam ihr zuvor.

„Schsch! Du musst leise sein.“ Jetzt erst erkannte sie die Stimme und drehte sich zu dem Mädchen um.

„Luna?“, fragte sie verwirrt und schaute dann zu dem Mann, der sie festhielt. „Lioras?!“, stellte sie ebenso verwundert fest. „Was…“, wollte sie gerade fragen, doch Luna legte ihren Finger auf ihren Mund und gebot sie zu schweigen.

„Pssst! Folg uns.“, flüsterte sie. Yatane sprang aus dem Bett. Sie wusste noch immer nicht, was hier genau passierte. Immerhin war es einige Zeit her, seit sie Luna das letzte Mal gesehen hatte. Anscheinend hatte Geron ihr dann weiteren Kontakt verboten. Umso überraschter war sie, dass Lioras nun mit der jungen Königin hier erschien. Immerhin war er treuer Diener von Fürst Elian, dem Freund Gerons. Sie griff zu ihrem Umhang, ihrem Schwert und Bogen. Die wichtigsten Dinge, die sie brauchte. Denn sie hatte die leise Vermutung, dass sie so schnell nicht in das Zimmer zurückkehren würde. Dann deutete Lioras den Weg und Luna ging voraus, gefolgt von Yatane, schließlich der Elfenkrieger.

Wortlos schlichen sie nach draußen, durch die Straßen der Elfenstadt, und dann schnell in den Wald hinein. Yatane musste nicht fragen, um den Weg zu kennen. Er führte zum Strand. Jenem Strand, an dem sie Luna das erste Mal getroffen hatte.

„Wir schenken dir deine Freiheit.“, sagte Luna flüsternd, als sie den Pfad durch den Wald erreicht hatten.

„Wieso?“, fragte Yatane, und blickte insbesondere zurück zu Lioras. Doch es war wieder Luna, die antwortete.

„Du hast mir erzählt, dass du dir nichts mehr wünschst, als die fernen Länder wieder zu bereisen, die du schon kennen gelernt hast. Ich fand das immer schön, aber wollte nicht, dass du gehst. Sonst bin ich doch hier so allein. Aber seit Geron uns gesehen hat, hat er mir verboten, dich zu sehen. Also kann ich dir auch helfen, von hier zu fliehen. Lioras hilft mir. Lioras hilft mir immer bei allem.“, sagte sie stolz, wie eine Königin, die führte. Dann erreichten sie schon den Waldrand und den Strand. Zu Yatanes Überraschung war der Strand nicht leer, wie sonst. Stattdessen lag ein kleines Boot aus fast weißem Holz am Strand. Es hatte ein Segel, dass in das Boot gelegt war, und so ideal für eine Person. Obwohl es nur für die Küste ausgelegt war, wusste Yatane, dass die elfische Handwerkskunst, die in das Boot geflossen war, es auch für Seegang tüchtig machen würde. Außerdem gehörte zu jedem Abenteuer ein bisschen Risiko.

„Vorräte und alles, was du brauchst, sind im Boot. Folge dem Sonnenaufgang und den Sternen.“ Es waren die ersten Worte von Lioras, als er auf das Boot zeigte. Yatane lief weiter, überholte Luna, und erreichte als erstes das Boot. In der Tat waren einige Taschen und kleinere Fässer darin abgelegt. Sowieso brauchten die Elfen deutlich weniger Vorräte als vielleicht ein Mensch. Yatane bezweifelte sogar, dass ein Mensch diese Reise auf sich nehmen könnte. Aber sie konnte es, das wusste sie. Sie warf ihren Bogen und Schwert in das Innere und drehte sich dann zu Luna und Lioras.

„Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken kann.“

„Besuch mich irgendwann.“, sagte Luna sofort und kam näher zu Yatane. „Wenn ich wieder in Valorien bin. Dann besuche mich.“

Yatane nickte sofort und umarmte dann das Mädchen, hob Luna leicht nach oben. „Ich werde dich vermissen.“

„Ich dich auch.“

„Wenn du Königin bist, dann werde ich dich in Elorath besuchen.“

„Versprochen?“

„Versprochen.“, sagte Yatane entschlossen und setzte die Königin dann wieder in den Sand ab.

„Du solltest aufbrechen. Noch ist die Nacht dunkel, und wenn du erstmal die offene See erreicht hast, bist du verschwunden.“, mahnte Lioras. Yatane blickte in den Himmel. Es war wieder Neumond, wie in der Nacht, als sie mit Luna die Sterne angeschaut hatte. Doch diesmal hingen Wolken vor den Sternen, und führten so in der Tat zu einer tiefen Dunkelheit.

„Ja. Luna, Lioras, ich danke euch. Wir werden uns wiedersehen.“, sagte sie lächelnd, und schob dann zusammen mit dem Elfenkrieger das Boot ins Meer. Mit dem letzten Schub sprang sie in das Innere und schnappte sich ein Paddel, um die ersten Meter vom Strand wegzukommen. Sie blickte noch einmal zu Luna zurück. Trotz der Dunkelheit erkannte sie, wie die Königin ihr zuwinkte. Ein Abschied, ja. Aber sicher nicht für die Ewigkeit. Dessen war sich Yatane sicher. Dann setzte sie das Segel.

„Du wusstest es, oder?“

Teil 1:

Die Jägerin

Kapitel 1

Luna zog den dicken Mantel enger zusammen, um sich vor der Kälte zu schützen, als eine erneute Bö über die Hügel zog. Schnee wehte ihr ins Gesicht. Die letzten Tage waren sie einem Schneesturm stets entgangen. Doch diesmal wirkten die Wolken noch düsterer als sonst. Es war noch vollkommen finster, dennoch war Luna bereits wach. Die Tage waren stetig kürzer und kälter geworden. Doch sie hatten noch nicht mal die Wintersonnenwende erreicht. Sie würden also noch kürzer werden. Und noch kälter.

Unten im Lager der Männer brannte das Lagerfeuer und warf einen leichten Lichtschein bis zu ihrem Stand auf dem Hügelkamm. Es war das einzige Licht weit und breit. Sie schätzte zu dieser Zeit die Dunkelheit und die Einsamkeit. Um darüber nachzudenken, was sie mit ihren Herzögen und Rittern entschieden hatte. Wie es mit Valorien weitergehen sollte.

Ein Schauer durchzog Luna, als die nächste kalte Böe über sie hinweg zog. Sie mochte den Winter nicht. Es war der zweite Winter, den sie erlebte. Damals, in Alydan, war es stets warm gewesen. Anfangs hatte sie sich in Valorien gefreut, als sie mit Vincent den ersten Schnee ihres Lebens genossen hatte. Doch die dauernde Kälte hatte an ihr gezehrt. Als es schließlich wieder Frühling geworden war, war sie unglaublich erleichtert gewesen. Auch diesen Winter hätte sie am liebsten in den warmen Hallen Eloraths verbracht. Doch ihr Schicksal hatte sie woanders hingeführt. Hier in den Süden, in das Kaiserreich, den mächtigsten Feind Valoriens.

Sie erinnerte sich wie gestern an den Ritterrat, in dem sie den Entschluss gefasst hatten, hier ins Kaiserreich vorzudringen. Es war einer der ersten Räte in der ganzen Runde der neuen Ritter gewesen. Mit ihr als gekrönter Königin, und ihrem Mann Vincent als König und Ritter an ihrer Seite. Viele waren danach nicht mehr gefolgt, bevor sie aufgebrochen war. Es war nicht um weniger gegangen als die große Frage, wie man das Kaiserreich besiegen konnte, um zumindest Kargat zu befreien. Schnell waren sie sich einig, dass es die Truppen Valoriens allein nicht schaffen würden. Nach dem Sieg gegen die 6. Armee und den Rückzug der Nordmänner hatte Luna deren Anführer, Leon, das Freiherrentum Valor Kath überlassen, als Brücke nach Valorien, um die Völker enger aneinander zu bringen. Und um ein bisschen für die großen Opfer zu entschädigen. Dennoch erhoffte sie sich von dieser Seite keine Hilfe. Sie hatten einige Boten geschickt aber die Antwort war klar gewesen: Niemals würde Leon an der Seite von Herzog Celan seine Männer in die Schlacht führen.

Also würde es auf die verbliebenen Männer Kargats ankommen. Auf all die gefangenen Soldaten, unzufriedenen Bürger, Männer, Frauen, Greise, die ihre Heimat befreien wollten. In jedem Dorf und jeder Stadt. Denn weitere Verbündete hatte Valorien nicht. Doch egal wie oft sie dann planten, wie ein Feldzug aussehen konnte, stießen sie immer wieder an eine Grenze: die Mönche der Laëa. Egal was sie sich ausdachten, wenn deren Kraft sich erst wieder gegen die Städte und Armeen richtete, würde es keine Hoffnung geben. Die Elfen waren zurück nach Alydan gesegelt, mit Ausnahme von Elian, der allerdings zögerlich war, seine Kräfte noch einmal einzusetzen, nachdem was in Elorath passiert war. Selbst wenn sie ein, zwei Elfenfürsten an ihrer Seite wüssten: die Mönche könnten überall auftauchen. Nein, gegen diese Kraft würde es keinen Sieg, schon gar keinen langfristigen Frieden geben. Das Gleichgewicht der Kräfte musste wiederhergestellt werden. Dies konnte nur im Kaiserreich der Sonne, im Herzen des Feindes, gelingen.

Sie erinnerte sich an die Gespräche mit Daron, als sie noch in Taarl gewesen waren. Wie gut wäre es nun, den Mönch an ihrer Seite zu haben. Er hätte ihnen mit so vielem helfen können. Informationen, Erkenntnissen, oder eben mit der schieren Macht, die er kontrollierte. Doch er war von dieser Macht selbst verschluckt worden, und stand nun als mahnendes Zeichen am Ufer des Calas. Dennoch war seine Anwesenheit, seine Treue zu Valorien, viel wert gewesen. Vincent hatte sehr viel mehr Zeit mit dem Mönch verbracht. Er hatte ihn vieles ausgefragt, und die Informationen notiert. Über Kloster Sonnfels, den Hauptsitz des Ordens. Den Weg dorthin. Die Struktur des Ordens. Und die Gewohnheit der Mönche. Zu diesen gehörte sich auch, jedes Jahr zur Wintersonnwende in Sonnfels einzufinden. Alle Mönche. An einem Ort. Dies war ihre Chance. Nun war es nur noch darum gegangen, wer auf diese Reise aufbrach, die so viele Risiken barg.

Arthur hatte sich als Ritter als erstes freiwillig gemeldet. Er und seine Schwarzen Pfeile sollten das Herzstück der Truppe bilden. Eine Aufgabe, die dem Ritter aus Rethas wie auf den Leib geschnitten schien. Auch sein Sohn Arved hatte sich melden wollen, war aber sofort von Luna selbst und Arthur zurückgehalten worden. Rethas brauchte seinen Herzog, der an der Seite von Lerke stand. Nein, aus dem Kreis der Adeligen sollte nur Arthur mit seinen treuesten Kameraden die Reise antreten. Doch ein Problem blieb: gegen die Macht der Mönche war Arthur selbst mit Blutstein in der Hand ohne Chance. Sie hatten auch Fürst Elian gefragt. Doch dieser gab zu Bedenken, dass Daron des Öfteren erwähnt hatte, die Präsenz der Elfenfürsten zu spüren. Obwohl er zugegeben hatte, dass die Präsenz Silivas stärker gewesen war, wäre das Risiko zu groß, entdeckt zu werden. Leon mit seiner Rüstung aus alten Tagen würde sie auch nicht unterstützen. So blieb nur Luna, die das Schwert des Schicksals, Zeitensturm, trug. Sie hatte gegen Firentis bewiesen, dass sie zumindest kurzfristig die Macht der Mönche brechen konnte. Für diesen Angriff, der auf Heimlichkeit und Schnelligkeit basierte, sollte dies ausreichend sein. Obwohl alle Ritter, einschließlich ihres Mannes, gegen ihren Vorschlag protestiert hatten, hatte sie sich durchgesetzt. Sie war die Königin und entschied über das Vorgehen. Außerdem standen mit Vincent, Celan, Forgat, und Arved Valorien ein starker König und drei mächtige Herzöge zur Verfügung. Das Land musste eben einen Winter ohne eine Königin auskommen. Dann waren sie schon bald mit einem kleinen Boot aus Lyth Valor aufgebrochen.

„Königliche Majestät.“ Die gedämpfte Stimme von Arthur war schon nah, als sie den Ritter bemerkte. Zu vertieft war sie in Gedanken gewesen, und zu sehr hatte sie sich darauf konzentriert, gegen die Kälte zu kämpfen. „Wir müssen gleich aufbrechen. Wir sollten noch mit Fackeln die erste Strecke des Tages zurücklegen, wenn wir es bis zur Sonnenwende nach Sonnfels schaffen wollen.“

Luna rührte sich nicht. Sie schloss noch einmal die Augen und atmete den kalten Wind ein. Es brannte in ihren Lungen, dennoch wollte sie noch einmal durchschnaufen, bevor der Marsch weiterging. Sie hatten einen einen anstrengenden Weg wählen müssen. Durch das Gebirge und die Hügelländer jenseits des Klosters. Denn die Wege durch die Täler und Städte waren unter den wachen Augen der kaiserlichen Soldaten. Also musste es im tiefsten Winter durch diese unwirtlichen Ländereien gehen.

„Majestät?“, fragte Arthur noch einmal nach und fasste Luna leicht an die Schulter.

„Ja, lass uns gehen.“

Gegen Mittag ließ der Schneefall nach. Erneut war der Schneesturm an ihnen vorbeigezogen. Zumindest in dieser Hinsicht hatten sie Glück gehabt. Sie schritten gerade durch einen dichten Nadelwald, als Luna bemerkte, dass sogar einige Sonnenstrahlen durch die Baumkronen schienen. Mit etwas Glück würde es sogar ein wenig wärmer werden. Beschwingt von dieser Hoffnung beschleunigte sie ihren Schritt. Denn vor ihnen endete der Pfad und führte aus dem Wald hinaus auf die freien Hügel. Vielleicht konnte man bei dem klaren Wetter schon etwas sehen.

Als sie den Waldrand erreichten, wartete bereits Rogard auf sie. Der Getreue von Arthur bildete stets die Vorhut, um den Pfad vor ihnen auszukundschaften. Mit Arthur und Rogard waren es fünfzehn Männer, die sie aus Valorien begleitet hatten. Bei viel mehr wäre die Gefahr zu groß gewesen, entdeckt zu werden. Für ihr Vorhaben sollte es reichen, insbesondere, da Arthur die Männer handverlesen hatte.

„Und?“, fragte Luna Rogard, noch bevor sie selbst richtig schaute.

„Seht selbst, Majestät.“, antwortete dieser und zeigte in die Täler hinunter, die sich hinter dem Hügel befanden. Sie standen auf einem der höheren Berge und blickten in mehrere Täler, die immer wieder von weiteren Hügeln unterbrochen wurden. Doch viel mehr riss der große Berg am Horizont Luna in ihren Bann. Daron hatte davon erzählt. Als sie genauer hinsah erkannte sie die kleine Burg, oder viel mehr das Kloster, dass sich auf mittlerer Höhe befand. Ein Weg aus dem Tal schlängelte sich am Berg entlang in die Höhe.

„Das muss es sein.“, stellte Luna fest.

„Ja, es passt zu den Berichten von Daron.“, bestätigte Arthur, der nun zu ihr aufgeschlossen hatte. „Das ist Kloster Sonnfels.“ Er ging in die Hocke und blickte skeptisch über die Landschaft vor ihnen. Obwohl sich der Ritter es nicht anmerken lassen wollte, musste er eingestehen, dass er nicht mehr leichtfüßig wie früher große Strecken zurücklegen konnte. Die kurze Verschnaufpause kam da gerade recht.

„Von hier aus müssen wir mit großer Vorsicht vorgehen.“, mahnte Arthur dann. „Wenn wir den Feind von hier beobachten können, dann können sie uns auch sehen, wenn wir uns auf Sonnfels zubewegen. Entweder wir gehen nur noch bei Nacht und suchen uns tagsüber Unterschlupf in den Hügeln oder wir umrunden diese Täler weitläufig. So oder so werden wir noch zwei, vielleicht drei Tage brauchen, bis wir das Kloster erreichen. Außerdem sollten wir versuchen zu beobachten, ob noch Brüder eintreffen. Wenn nicht, dann sind wohl alle Mönche schon dort.“

Luna schaute kurz zu Arthur hinunter. Sie hatte dem nichts mehr hinzuzufügen. „Wir sollten durch das Tal gehen und unsere Kräfte schonen.“, sagte sie. Obwohl hier die Gefahr entdeckt zu werden größer war, entschied sie sich für diesen Weg. Denn wenn sie auf die Berge hinter Sonnfels blickte, wurde ihr bang, bei einem solchen Wetter und im schlimmsten Fall bei Dunkelheit dort hinaufklettern zu müssen.

Als sie dort standen näherte sich auf einmal ein Mann der Schwarzen Pfeile und blickte zu Arthur und Rogard.

„Wir haben Spuren gefunden. Frisch.“, sagte der Mann im Flüsterton. Sofort stand Arthur auf blickte erwartungsvoll zu dem Mann, der etwas zurück in den Wald zeigte. Wortlos nickte Arthur und bedeutete Rogard und Luna, ihm zu folgen. Ihre größte Gefahr war, entdeckt zu werden. Wenn jemand die kaiserlichen Soldaten warnte, wäre ihre Mission gescheitert. Mit den wenigen Männern würden sie jeden Kampf, der nicht auf das Moment der Überraschung baute, verlieren.

Der Mann führte sie ein bisschen in den Wald auf einen kleineren Nebenpfad. Arthur beugte sich hinunter und inspizierte die Spuren. Es waren nur sehr leichte Fußspuren im Schnee. Doch ihre Kante war klar und deutlich. Fallender Schnee war nicht der Grund gewesen, wieso sie so flach waren. Stattdessen musste die Person sehr leicht sein. Ein Kind? Dafür wirkten sie zu groß. Und wieso sollte ein Kind hier allein im Wald sein?

Arthur blickte zu Rogard und zeigte zwei Finger. Dann winkte er nach vorne, den Spuren entlang. Rogard verstand sofort, nickte zwei der Schwarzen Pfeile zu, und schlich dann den Spuren entlang. Arthur wartet einige Momente, bis die drei Männer tiefer im Wald verschwanden. Erst dann deutete er Luna ihm zu folgen. Leise zog er sein Schwert aus der Scheide.

Rogard musste sehr genau hinschauen, um die Spuren überhaupt zu sehen. Wer konnte nur so leichtfüßig durch den frischen Schnee laufen? Ein, zwei Mal dachte er, die Spur schon verloren zu haben. Doch dann fand er doch den nächsten Abdruck und folgte den Spuren immer tiefer in den Wald. Wie lange sollten sie diesen überhaupt folgen? Wenn nun derjenige, den sie verfolgten, sie überhaupt nicht bemerkt hatte? Und das Risiko entdeckt zu werden durch die Verfolgung stieg? Er wollte gerade innehalten, als die Spuren auf einmal an einem Baum endeten. Verwirrt suchte er im Schnee um ihn herum. Nirgends waren weitere Abdrücke zu erkennen. Er blickte hoch und zu den beiden anderen Kriegern, die in einigen Schritten Abstand durch den Wald schlichen. Auch diese schüttelten den Kopf. Sie hatten nichts gefunden. Gerade wollte Rogard sich abwenden, als er eine leichte Abschürfung in der Rinde des Baumes sah. Er stockte und blickte sich noch einmal um.

Zeitgleich bewegte sich etwas. Dann ging alles schnell. Noch bevor Rogard die Gestalt bemerkte, sprang diese aus der Baumkrone hinunter und landete ohne lautes Geräusch hinter ihm im Schnee. Bevor er reagieren konnte, spürte er schon den kalten Stahl einer Klinge am Hals und einen Arm um seine Brust, der ihn festhielt.

„Wenn ihr jagt, solltet ihr nicht so verdammt laut sein.“, flüsterte die Gestalt. Zu Rogards Überraschung war es die Stimme einer Frau. Aus den Augenwinkeln bemerkte der Rethaner, wie seine beiden Kameraden sofort Pfeile auf ihre Bögen auflegten. „Wenn euch an seinem Leben etwas liegt, steckt ihr die Pfeile weg.“, sagte die Frau nun lauter. „Wieso verfolgt ihr mich? Wer hat euch geschickt?“, fragte sie dann.

Rogard wollte gerade antworten, als er sah, wie Arthur und Luna aus dem Schatten der Bäume traten. Also schwieg er. Sollte der Ritter, der sie anführte, die Verhandlung um sein Leben führen. Seine Lage war schon ohne weitere Worte beschämend genug. Derart überrumpelt zu werden stand einem Schwarzen Pfeil nicht gerade gut zu Gesicht.

„Wenn dir etwas an deinem Leben liegt, dann wirst du ihn gehen lassen, Weib.“, entgegnete Arthur grimmig und machte keine Anstalten seine Klinge zu senken. Er musterte die Frau. Oder zumindest was von ihr hinter Rogard erkennbar war. Sie trug die Klamotten einer Jägerin, jenen Arthurs nicht unähnlich: grüne und braune Stoffe, eine Lederrüstung, einige Messer und andere Utensilien am Gürtel, dazu ein Bogen und ein Köcher auf dem Rücken, ein Schwert an der Seite, und eben den Dolch, den sie Rogard an den Hals hielt. Von ihrem Gesicht war kaum etwas zu sehen außer der schwarzen Haare, die unter einer dunkelbraunen Kapuze hervorschauten und den durchstechenden grünen Augen, mit denen sie Arthur musterte. Auffälliger allerdings war das Messer. Eindeutiger Weise keine Waffe des Kaiserreiches. Es sah eher…

„Bist du eine Elfe?“, fragte dann Arthur.

„Und wenn ich das wäre?“, entgegnete die Frau schnippisch, lockerte den Griff um Rogard aber kein bisschen.

„Wir sind Verbündete des Elfenreiches.“, antwortete Arthur.

„Woher wisst ihr, dass ich eine Verbündete des Elfenreiches bin? Oder war das der Grund, wieso ihr mich verfolgt habt?“ Die Frau sprach ruhig, aber bedrohlich. Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit der Valoren schien sie keine Furcht zu haben.

Arthur verharrte kurz und versuchte Optionen zu suchen. Er hatte kein großes Interesse, lang mit dieser geheimnisvollen Kriegerin zu diskutieren. Rogard zu verlieren war allerdings keine Option. Der Mann war als Anführer zu wichtig. Er wollte gerade weitersprechen, als er Luna hörte.

„Yatane?“, sagte die Königin fragend und trat hinter Arthur hervor. Sie ging auf Rogard zu. Arthur wollte sie aufhalten, doch Luna ging entschieden weiter. „Yatane, bist du es?“

Man merkte, wie der Griff der Elfe lockerer wurde und sie zu Luna schaute, sie begutachtete, als sie näherkam. Dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

„Luna!“, sagte sie erfreut, hielt aber die Klinge weiter an Rogards Hals. „Was machst du hier?“, fragte sie neugierig.

„Yatane, lass den Mann gehen.“, sagte Luna als erstes und verharrte nur wenige Schritte von Rogard entfernt. „Bitte.“, fügte sie hinzu, als sie merkte, dass die Elfe kurz zögerte. Doch dann folgte sie und senkte das Messer. Rogard streckte sich kurz und ging dann zwei, drei Schritte von der Elfe weg.

„Es ist gut. Ich kenne diese Elfe. Sie ist eine Freundin.“, sprach Luna weiter und signalisierte den Schwarzen Pfeilen, ihre Waffen zu senken. Dann lächelte sie, lief auf Yatane zu, und schloss die Elfe recht unvermittelt in die Arme.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich dich je wiedersehen würde.“, sagte die Königin. Yatane erwiderte die stürmische Begrüßung mit einem breiten Grinsen.

„Ich hatte es doch versprochen. Du bist groß geworden.“

Luna musste leise lachen. Ja, sie war groß geworden, seit sie Yatane mit Lioras zusammen den Weg in die Freiheit geebnet hatte. „Und du wolltest nach Elorath kommen, wenn ich zur Königin gekrönt bin. Dafür bist du nun zu spät.“

„Ich habe es leider nicht geschafft…“, sagte Yatane entschuldigend, blickte sich dann aber zwischen den Männern um. „Also, was machst du hier?“, fragte sie dann Luna erneut.

„Ich könnte das gleiche fragen.“

„Aber ich habe zuerst gefragt.“, entgegnete die Elfe mit einem Grinsen.

Luna nickte zu Arthur, der noch einige Schritte näherkam. „Yatane, dies ist Ritter Arthur von Freital, ein Ritter Valoriens und mein treuer Diener. Er führt die Schwarzen Pfeile. Wir sind fern von zu Hause, um eine Bedrohung für Valorien zu bekämpfen.“ Die Elfe nickte dem Ritter freundlich zur Begrüßung zu, dessen Gesicht aber versteinert blieb. „Und du?“, fragte Luna dann erneut.

„Es ist wie du damals sagtest: ich will so viele Länder sehen wie es geht. Der Wind trägt mich mal hierhin, mal dorthin. Aber in der Tat hat dieser Ort eine besondere Aura.“

„Es ist das Kloster jenseits der Täler.“, sagte Luna. „Dies ist unser Ziel. Ein Orden des Kaiserreiches, der dunkle Mächte beschwört. Sie griffen Valorien an, aber mit der Hilfe von Fürst Elian und Fürstin Siliva konnten wir sie zurückschlagen. Nun greifen wir an.“

Bevor Yatane antworten konnte, näherte sich Arthur der Königin und sprach leise zu Luna. „Wir sollten den Wald absuchen, ob noch weitere Personen hier sein könnten. Dann können wir am Waldrand ein Lager aufschlagen und heute Nacht aufbrechen.“

Luna nickte, doch es war Yatane, die antwortete. „Außer euch befindet sich niemand im weiteren Umkreis. Das hätte ich bemerkt.“, stellte die Elfe fest. Fast säuerlich blickte Arthur zu dieser, doch Luna lächelte dankbar.

„Das ist gut zu hören, danke. Arthur, sorge dafür, dass die Männer etwas zu essen finden und ein Lager errichten.“, befahl sie dem Ritter und wandte sich dann an die Elfe. „Yatane, wirst du heute Nacht bei uns bleiben?“

Diese lächelte. „Mit Freuden, meine junge Königin. Diesen Abend, und darüber hinaus, wenn es dein Wunsch ist. Deine Feinde sind wohl auch meine Feinde.“

„Danke.“, erwiderte Luna. Die Wege des Schicksals waren schon seltsam. Yatane hier zu treffen war mehr als eine Überraschung. Aber es konnte sich als unschätzbar wertvoll herausstellen, wenn sie die Elfe bei ihrer Mission begleitete. Denn es gab kaum bessere Jäger – schneller, lautloser, tödlicher – als die Elfen aus Alydan.

Der Schneefall war zurückgekehrt. Doch diesmal schätzte Luna das schlechtere Wetter. Dichte Wolken und der Schneefall verdunkelten den Nachthimmel. Man konnte kaum zehn Schritte weit erkennen, was in der Nacht lauerte. Für sie ein Vorteil. Denn sie durften nicht entdeckt werden. Bis es zu spät war. Im Schneefall vor ihnen erkannte man bereits die dunklen Umrisse der Klosteranlagen.

Sie blickte nach rechts und links, zu Arthur, Yatane, und Rogard. „Sind wir bereit?“, fragte sie flüsternd. Es war ziemlich genau die Mitte der Nacht. Eigentlich sollten die Bewohner von Sonnfels schon und noch schlafen. Ein idealer Zeitpunkt für ihren Angriff. Durch Arthurs Erfahrung waren sie exakt so schnell vorangekommen, wie es notwendig war. Nun war der Zeitpunkt gekommen, den mächtigsten Feind Valoriens anzugreifen.

„Jeder Zeit. Wenn ich Rogard losschicke, startet der Angriff. Wir werden diese Mauern erklimmen, Rogard umrundet mit seinen Männern das Kloster und greift von hinten an. Wir treffen uns am Haupthaus, nachdem Hof und Mauern gesäubert sind.“, umriss Arthur noch einmal kurz den Plan. „Ich werde stets an Eurer Seite sein, königliche Majestät. Bis wir den Wächterrat und den verfluchten Prior niedergestreckt haben.“

Kapitel 2

Vincent umrundete den Tisch des Rittersaals. Kurz ließ er seine Hand über die Lehne des Stuhls am Kopfende streichen. Den Platz seiner Königin und Frau. Seiner Luna. Der doch im Moment frei blieb. Doch er konnte den Platz nicht füllen. Also löste er sich, um weiterzugehen, und sich schließlich auf seinen Platz in der Mitte der Tafel zu setzen. Hinter ihm hing sein Banner an der Wand, das die Wappen Valoriens und Tandors kombinierte. Dennoch war er nicht mehr Vincent von Tandor. Er war Vincent von Valorien, König und Ritter Valoriens. Und zu dieser Zeit Herrscher des Reiches, trotz seiner jungen Jahre. Aber für diese Aufgabe war er ja nicht allein.

Als er sich setzte blickte er in die Gesichter der anwesenden Ritter. So wie Luna fehlten auch Arthur von Freital und Wanfried von Tulheim, die sich schon auf dem Weg ihrer Aufgaben befanden. Mit diesen Ausnahmen waren allerdings alle Ritter des Reiches anwesend. Die Herzöge Celan, Forgat, und Arved. Die alten Ritter Geron und Alois. Der jüngst geschlagenen Branwulf von Loken. Er selbst. Und zuletzt Taskor Graufels, nun Ritter Valoriens. Er trug das Schwert Kargats, das doch einst Teil Valoriens war, und bald wieder sein sollte. Als er Luna seine Dienste angeboten hatte, hatte diese ihn auch zum Ritter Valoriens geschlagen. Ein aus Vincents Sicht kluger Schachzug. Es ließ keinen Zweifel mehr an dem Anspruch der Krone auf das Land im Süden. Wenn selbst Taskor, einstiger Feind Valoriens und hoch angesehener General Kargats, die Herrschaft Valoriens anerkannte, würde es einfacher werden die Kargatianer zu überzeugen. Insbesondere durch die Unterstützung der einstigen Königin Hega.

„Ich danke euch allen für euer Kommen.“, sagte Vincent. Der Winter hatte Valorien fest im Griff, und so war das Reisen umso anstrengender. Doch die Angelegenheiten, die zu besprechen waren, forderten die Anwesenheit aller wesentlichen Entscheider des Reiches. „Unsere Königin ist aufgebrochen, um dem Feind im Herzen seines Reiches entgegen zu treten. Uns obliegt nun die Verantwortung, den Angriff auf das Kaiserreich in Kargat vorzubereiten, wenn wir uns der dunklen Mächte dieser Mönche entledigt haben. Wenn der Schnee schmilzt, müssen unsere Truppen marschbereit sein.“, führte er aus. Obwohl er mit Abstand der jüngste Mann am Tisch war, respektierten ihn die anderen Ritter. Nicht zuletzt, weil Celan große Stücke auf seinen Sohn hielt, und treu hinter ihm stand.

„Ich habe Berlan und Sivert vor einigen Tagen verabschiedet.“, begann Taskor zu berichten. „Sie sollten mittlerweile die ersten Städte in Kargat erreicht haben. Wir hoffen, regelmäßig Nachrichten zu bekommen, über die Stärke des Feindes und unsere Chancen, Unterstützung vom Volk Kargats zu bekommen. Der Winter ist hart. Dies sollte den Unmut der Bevölkerung über das Kaiserreich weiter stärken, denn die Soldaten wollen verpflegt werden. In Kargat sind die Vorräte noch geringer als hier in Valorien, da immerhin unsere letzte Ernte gut war. Das sollte uns in die Karten spielen.“, führte er weiter aus.

„Die Urben sind losgezogen.“, sagte dann Celan. „Ich verabschiedete Narthas und Wanfried vor einigen Wochen aus Taarl. Ihr Weg durch die Steppen und die Peltamark wird langwierig, aber im Frühjahr werden sie Kargat erreichen, und den Feind unerwartet treffen. Noch besteht wohl kein Krieg zwischen dem Kaiserreich und der Peltamark. Aber die Herrscher werden den Hunger der Sonnen nach mehr Land erkennen. Und kaum einen Konflikt gegen das Heer von Narthas wagen wollen.“, berichtete Celan von den Vorbereitungen im Osten.

„Danke, Vater.“, sagte Vincent, und blickte dann noch einmal zu Taskor. „Haben wir Nachrichten aus dem Widerstand in Hoheneck?“

Statt dem Kargatianer antwortete allerdings Arved, der Herzog von Rethas. „Wir haben einen Boten in Ostwacht aufgegriffen. Die verbliebenen Adeligen Kargats haben die Situation in Hoheneck anscheinend stabilisiert. Bisher hat das Kaiserreich noch keinen großangelegten Angriff unternommen, seit die Truppen im Frühjahr zurückgeschlagen worden waren.“

Vincent nickte dem jungen Herzog dankend zu. Arved war am ehesten in seinem Alter, und trotz der erbitterten Feindschaft ihrer Väter verstand er sich mit ihm sehr gut. Nicht zuletzt wegen der gemeinsamen Zeit in Taarl, in der Runde mit Luna, Lerke, und ihm. Nachdem Sanja aus ihrer Mitte gerissen worden war.

„Dann beginnt alles so wie geplant. Also müssen wir uns an die Planung des Hauptangriffes machen. Forgat, Celan, Arved, welche Truppen könnt ihr bis ins Frühjahr zum Eisentor führen?“, fragte er die Herzöge direkt. Über die Truppen der Kronlande hatte er das Kommando und konnte deren Stärke gut einschätzen. Doch wie sich die Armeen der Herzogtümer entwickelt hatten, war ihm zu diesem Moment nicht vollständig klar.

„Wenn wir nach Süden ziehen, werde ich mehr Männer zum Schutz der Grenzen zurücklassen müssen als für den Sturm auf Elorath.“, sagte Celan. „Ich werde etwa sechshundert Reiter und zweihundert Fußsoldaten anführen können.“

„Ich werde Tandor mit fünfhundert Fußsoldaten und Bogenschützen ergänzen können. Mehr kann ich nicht aufbringen, wenn wir Ostwacht und die Ostgrenze weiter verteidigen wollen.“, sagte Arved. Obwohl Lerke die eigentliche Erbin und Herzogin war, verantwortete er die meisten militärischen Belange des Herzogtums, während sie in Grünburg regierte.

„Ich werde in Thorians Namen vierhundert Soldaten führen können, beritten oder schwer gerüstet. Dazu noch Freiwillige und Partisanen.“, ergänzte Forgat. Das Heer Fendrons war durch den Angriff des Kaiserreiches am stärksten dezimiert worden. Andererseits musste Forgat keine Außengrenze verteidigen, nachdem ein stabiler Waffenstillstand mit den Nordmännern bestand. Denn nach der Befreiung Valoriens hatte Celan die einstigen Gebiete wieder an Fendron abgetreten, die im Norden an Valor Kath grenzten.

Vincent zählte im Kopf zusammen. Mit den Truppen der Kronlande kamen sie auf fast dreitausend Mann. Mit den Urben von Narthas und den kargatianischen Aufständischen vielleicht fünftausend. Sie waren dem Kaiserreich zahlenmäßig noch immer unterlegen, wenn er davon ausging, dass eine vollständige Armee im südlichen Königreich stationiert war. Ihr Vorteil mussten die Partisanen in der Bevölkerung sein, die verhinderten, dass kaiserliche Soldaten auch nur irgendwo in Ruhe rasten konnten. Dennoch lag viel Ungewissheit vor ihnen.

„Das sind gute Neuigkeiten. Rüstet eure Armeen über den verbleibenden Winter. Mit der Schneeschmelze sammeln wir uns vor Burg Eisentor, um zuzuschlagen.“, befahl der König, wandte sich dann aber an Taskor. „Taskor, deine Hilfe wird jenseits von Valorien benötigt. Arved wird dir einige Männer zur Seite stellen, um über Ostwacht nach Kargat zu reisen. Wir müssen die verbliebenden Truppen in Hoheneck überzeugen, sich uns anzuschließen. Und wir müssen ihnen helfen, ihre Stellung zu halten, falls die Armeen des Kaiserreiches im Frühjahr einen erneuten Vorstoß wagen sollten.“

Der Angesprochene nickte nur wortlos. Er hatte schon lange vorher gegenüber der Königin seinen Wunsch geäußert, Kargats Widerstand von innen zu unterstützen. Berlan und Sivert waren weniger bekannt, hatten aber in der Bevölkerung weit bessere Beziehungen, durch ihre Kontakte bei einstigen Unterstützern des Nachtrudels. Ihnen war die Aufgabe zugefallen, Unterstützung in den besetzten Städten des Westens zu mobilisieren. Doch trotz der heimlichen Flucht war Taskor immer noch mehr General denn Spion. Die Führung in Hoheneck entsprach eher seinen Fähigkeiten.

„Ich werde mit Branwulf nach Lyth Valor reisen, um auf die Ankunft von Luna zu warten. Wenn die Königin wieder in Elorath ist, werde ich die verbleibenden Männer zum Eisentor und darüber hinausziehen.“, sagte Geron. Seit Luna weggegangen war, war er auch Vincent mit Rat zur Seite gestanden, wie er es für die Königin getan hätte. Er wusste sie bei Arthur in guten Händen, konnte aber den Tag nicht erwarten, sie wieder im sicheren Valorien zu wissen. Er war gegen diese Reise gewesen, aber Luna hatte gute Argumente auf ihrer Seite gehabt. Und die Macht, als Königin das letzte Wort zu sprechen. So hatte er sich fügen müssen.

„In Ordnung. Wir werden in den nächsten Tagen die weitere Planung konkretisieren. Seid alle bis dahin meine Gäste in der Kronburg.“, sagte Vincent und erhob sich.

„Gewicht weniger auf den vorderen Fuß. Du willst mir doch ausweichen können. Balance halten. Steh nicht da wie ein Ackergaul. Du musst schnell sein, wie eine Katze.“ Florenzos Tadel begann schon bei der Grundhaltung des jungen Knappen. Obwohl Richard von Fendron eigentlich bei Herzog Arved von Rethas in der Knappschaft stand, hatte der Besuch in Elorath ihm die zweifelhafte Ehre eingebracht, vom südländischen Fechter ausgebildet zu werden. Mit seinen braunen Locken und blonden Strähnen war er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Nur dass die verschwitzen Haare im aufgrund der Anstrengung im Gesicht klebten. Seit seiner Ankunft hatte sich Florenzo schnell zum Fechtlehrer vieler Adeliger und Krieger entwickelt. Er brachte Elemente in eine Lehrstunde, die kaum ein valorischer Streiter vermitteln konnte. Balance. Körperspannung. Beinarbeit. Die Kunst, ein feine Klinge tödlich zu führen. So war es kein Wunder, dass Florenzo stets wissbegierige Schüler hatte. Oder eben Schüler, deren Herren sie zu den Lehrstunden beim strengen Lehrer verdonnert hatten.

„Nun deine Hand. Du greifst die Klinge viel zu fest, verkrampft. Du sollst das Heft nicht zerquetschen. Die Klinge muss eins werden mit deinem Arm.“, fuhr Florenzo fort und korrigierte währenddessen Richards Griff der Klinge. Dann trat er einige Schritte zurück und hob seine eigene Klinge.

„Also dann, nächste Runde. Und denk daran, Richard. Du musst die Klinge führen, wie das Liebesspiel mit einer Frau. Zärtlich, vorsichtig, und dennoch bestimmt und führend.“, sagte Florenzo. Bevor er zum Kampf ansetzen konnte, hörte man deutlich das Räuspern von Forgat, der den beiden zuschaute. Er blickte ernst zu Florenzo, der mit einem Lächeln antwortete. „Obwohl du natürlich das Liebesspiel noch gar nicht kennst.“, fügte er mit einem Zwinkern hinzu. Dann trat er nach vorne und die Klingen prallten aufeinander.

„Der Junge macht sich gut.“ Forgat drehte sich um und erkannte Geron, der näher an ihn herantrat.

„Ja. Er hat gute Lehrer.“, stellte der Herzog fest. So schmerzlich der Verlust von Victor gewesen war, so erfreulich die Entwicklung des neuen Erben Richard. Als er selbst gefangen gewesen war, hatte der jüngere Sohn die Rolle des ersten Mann Fendrons angenommen, und sich als Stütze für das ganze Herzogtum entwickelt, um auch seiner Mutter zu helfen. Nach der Krönungszeremonie hatte Forgat den jungen Herzog von Rethas gebeten, die Ausbildung seines Sohnes abzuschließen, nachdem dieser bisher von ihm selbst in Tjemin geschult worden war. Seitdem stand Richard in der Knappschaft von Arved, und schien jeden Monat mehr zum Mann heranzuwachsen.

„Nein, nein, nein.“ Florenzos Ausspruch hallte über den Hof, als die Übungsklinge von Richard klirrend zu Boden gefallen war. „Du sollst mit deinem ganzen Körper die Wucht des Schlages abfedern, nicht das Heft loslassen.“, tadelte der Lehrer den Knappen, nachdem er mit einer Drehung seiner Klinge das Schwert des Jungen aus dem Griff gelöst hatte.

„Und er hat noch viel zu lernen.“, sagte Forgat leise zu Geron, während Richard die Klinge aufhob und sich demütig vor seinem Gegner verneigte.

„Gönnst du meinem Knappen eine kurze Pause? Der Junge scheint erschöpft.“, sagte dann Arved und erhob sich von der Kiste, auf der er am Rand gesessen und zugeschaut hatte. Er ging auf Richard zu und klopfte ihm auf die Schulter. „Gut gemacht. Gib mir deine Klinge.“, sagte er und reichte dem jungen Mann im Gegenzug seinen dicken Fellmantel. Richard warf sich diesen sofort um, denn ohne die Bewegung kroch die Kälte sofort in die Knochen. Arved hingegen trat durch den Schnee vor Florenzo und hob die Klinge.

„Erweist du auch mir die Ehre?“

„Mit Vergnügen, Euer Gnaden.“, antwortete Florenzo, verneigte sich leicht, und preschte dann nach vorne. Der Kampf der beiden Männer war ein vollkommen anderes Schauspiel. Florenzos Kampfkunst basierte auf Finesse und Balance, einer schnellen Beinarbeit, und gezielten Stichen und Hieben mit der Klinge. Doch Arved stand dem in nichts nach. Während er nicht die blanke Kraft seines Vaters geerbt hatte, war er wohl der schnellste und beweglichste Kämpfer Valoriens. Die Schläge hagelten blitzschnell aufeinander, während sich Florenzo und Arved durch den gesamten Innenhof der Kronburg bewegten.

„Eine neue Generation der Ritter…“, sagte Forgat leise, als er Arved so zuschaute. Mit Vincent und Arved waren in der Tat zwei sehr junge Männer nun Teil der altehrwürdigen Runde der valorischen Ritterschaft. Doch auch Branwulf und Wanfried gehörten praktisch zur neuen Generation, jene Valoren, die mehr den Konflikt denn den Frieden kannten.

Geron nickte nur, ohne etwas hinzuzufügen. Zu interessiert schaute er dem Kampf der beiden Fechter zu. Ja, eine junge Generation von Rittern würde bald Valorien schützen müssen. Aber im Moment lagen die Hoffnungen des Königreiches hauptsächlich auf den Schultern eines alten Kameraden. Sie hatten am Vormittag Nachricht von Arthur erhalten, überbracht von Branwulf aus Lyth Valor. Der Ritter hatte, nachdem sich die Gesundheit seines Vaters immer weiter verschlechtert hatte, weitestgehend das Kommando über die Hafenstadt übernommen. Vor wenigen Tagen war das Schiff, das Arthur und Luna nach Süden gebracht hatte, wieder in Lyth Valor eingelaufen. Die Männer waren erfolgreich im Norden des Kaiserreiches an Land gegangen. Das Schiff war vorerst zurückgekehrt, um für die kaiserliche Flotte nicht auffällig zu wirken. Doch in einigen Tagen würde der Kapitän erneut nach Süden aufbrechen, um dem Trupp um die Königin eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten. Falls sie es nicht zur Küste schafften, würden sie den Weg durch Kargat nehmen müssen. So oder so war die Reise zurück nach Valorien mindestens so gefährlich wie die Aufgabe selbst. Doch trotz seiner großen Sorgen vertraute Geron auf Arthur. Er würde Luna sicher nach Hause bringen, das hatte er versprochen.

Das Klirren der Klingen verhallte, als die beiden Kontrahenten erschöpft voreinander stehen blieben. „Einigen wir uns auf Unentschieden, Euer Gnaden?“, fragte Florenzo.

Arved nickte, atmete aber noch schwer. „Dieses eine Mal, ja.“, sagte er und verneigte sich genauso wie sein Gegenüber, um den gegenseitigen Respekt auszudrücken.

„Ein wahrhaft guter Kampf.“, sagte Geron deutlich hörbar. Obwohl in einer echten Schlacht es weniger auf die hohe Fechtkunst ankam, waren die Übungskämpfe eine gute Möglichkeit, sich auf den Krieg vorzubereiten, der bald kommen würde. Dann wandte sich der alte Ritter wieder zum Herzog von Fendron. „Forgat, bevor du wieder nach Tjemin aufbrichst, muss ich dir noch etwas geben.“, sagte er nun wieder leiser.

Als Geron und Forgat den Rittersaal betraten saß der König noch auf seinem Platz und schien nachzudenken. Nachdem die Tür sich öffnete schaute er allerdings hoch, rückte dann den Stuhl zurück, und stand auf.

„Forgat. Es wird Zeit, eine wichtige Säule des Reiches wiederherzustellen.“, sagte er. Erst jetzt bemerkte der Herzog den Gegenstand, der eingehüllt in einem blauen Tuch auf dem Tisch lag. Es war offensichtlich ein Schwert, das Vincent griff. Der König ging auf Forgat und Geron zu. „Vor vielen Jahren nahm dir Geron diese Waffe. Ich möchte sie dir zurückgeben. Für deine treuen Dienste am Reiche in der Abwesenheit eines Königs und deine Tapferkeit im Kampf gegen das Kaiserreich. Dich meinen Bruder nennen zu dürfen, in der gleichen Runde der Ritterschaft wie du zu sitzen, erfüllt mich mit Stolz. Trotz oder gerade wegen der Differenzen, die lange zwischen unseren Häusern herrschten. Doch nun ist es Zeit nach vorne zu schauen, um das Reich vollständig zu einen, wie einst in Gilberts Zeiten.“

Dann schlug Vincent das Tuch zur Seite und reichte Forgat die Waffe. Wie dieser vermutet hatte, handelte es sich um das Schwert seines Vaters, in goldener Scheide, mit Saphiren verziert: Goldranke. „Meine Frau, unsere Königin, hätte es dir gerne persönlich überreicht. Doch es gab keine Gelegenheit mehr.“, fügte Vincent hinzu, bevor der Herzog das Schwert griff. Forgat versuchte die Kraft der Klinge zu spüren, die er doch nur für so kurze Zeit getragen hatte. Es war wieder Zeit, dass der Herzog von Fendron seine Heimat mit Goldranke verteidigte. Gleichzeitig wusste er nicht die rechten Worte zu finden. Er drehte sich zu Geron, dann zu Vincent, und nickte beiden zu.