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"Und wenn das fünfte Lichtlein brennt …" – Theologisch stimmig, aber behutsam und in der Sprache griffig, oft ein wenig provokant, doch immer auch mit einer Prise Humor bedauert der Autor, wenn trotz äußerem Festtagsrummel das Wunder der Heiligen Nacht alle Jahre wieder "verpennt" wird. Ein neuer und unverfälschter Blick auf das Kind in der Krippe kann unsere Wahrnehmung der Welt und des Lebens grundlegend verändern und ihnen neuen Glanz verleihen. Als Inspiration für Predigten in der Weihnachtszeit, sowie als Lesepredigten für Wort-Gottes-Feiern ebenso empfehlenswert wie zur privaten Lektüre.
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für Leni, Elina, Mila und Finja,
dass sie das Geheimnis der Heiligen Nacht entdecken, darin Heimat und Geborgenheit finden und ihr Leben lang daraus Kraft schöpfen mögen.
Ludwig Pritscher
Aufmunternde und provozierende Texte, damit wir Weihnachten nicht verschlafen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2025 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Gutenbergstraße 8, 93051 Regensburg
Tel. +49 (0)941 / 920220, [email protected]
ISBN 978-3-7917-3605-1
eISBN 978-3-7917-6274-6
Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de
Umschlagbild: Der Traum Josephs.
© bpk Gemäldegalerie SMB / Christoph Schmidt
Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany 2025
Diese Publikation ist auch als eBook erhältlich:
eISBN 978-3-7917-6274-6 (epub)
Unser gesamtes Programm finden Sie unter
www.verlag-pustet.de
Prolog: „Bring Christ back to Christmas“
Komm mit mir ins Abenteuerland
Schriller die Glocken nie klingen
Das wildeste Adventslied, das jemals gesungen wurde
Schafft Weihnachten ab – Josef hat alles zugegeben
Augen auf bei der Namenswahl
Die Ware Weihnacht ist nicht die wahre Weihnacht
Die im Dunkeln sieht man nicht
Am Tag, als die Mauer fiel
Gottes Lust auf Leiblichkeit
Als Maria ihr Kind wickelte, geschah der erste christliche Gottesdienst
Mit solchen Gestalten kannst du keinen Staat machen
Rette sich, wer kann
Die neue Friedenspolitik: Entwaffnende Wehrlosigkeit
Gottes letztes Wort lässt sich sehen
Weihnachten will Sinn stiften, doch uns geht der Sinn stiften
Es muss nicht mehr Lametta sein
Josef der Schweiger predigt am besten
Bis wir die Engel singen hören
Wenn das Schenken mühsam wird, soll'n wir's uns dann schenken?
Lieber Ent-täuschung als Selbst-täuschung
Du guckst so blöd aus Christbaumkugeln
An Weihnachten nehm' ich mir das Leben
Den Stallgeruch bewahren
Vom Schafstall zum Denk-mal
Bewegung heißt die neue Sitzordnung
Epilog: Und wenn das fünfte Lichtlein brennt, hast du Weihnachten nicht verpennt
Anmerkungen
Es sei vorneweg gesagt: Ich liebe Weihnachten. Kein Fest stimmt mich so festlich wie das Hochfest der Geburt Jesu Christi. Keine Nacht ist mir so heilig wie die Heilige Nacht. Keine Zeit des Jahres kann mein Leben so sehr verzaubern wie die Weihnachtszeit. Als Theologe, der natürlich weiß, dass wir das höchste aller christlichen Feste an Ostern feiern und dass es Weihnachten ohne Ostern gar nicht gäbe, muss ich mich manchmal richtiggehend zügeln. Ich muss meine Weihnachtseuphorie bremsen, um das Fest der Geburt nicht über das Fest von Tod und Auferstehung Jesu zu stellen.
Aber ich kann nicht anders: Das Geheimnis des Anfangs und die Botschaft der Heiligen Nacht verzaubern mich Jahr für Jahr aufs Neue und ziehen mich ganz in ihren Bann. Dass der unbegreifliche Gott in einem verletzlichen Kind (be)greifbar werden wollte, raubt mir den Atem. Es ist wie bei der Geburt meiner Kinder. Ich konnte das neue Leben, das mir da in die Arme gelegt worden ist, einfach nicht fassen: Dieses Geschenk war zu schön und zu groß. Mensch, was ist die Menschwerdung doch für ein unfassbares Wunder – und dann erst die Menschwerdung Gottes!
Gerade weil mich die Kernbotschaft des Weihnachtsfestes so tief berührt, tut es mir im Herzen weh, wenn dieses zauberhafte Fest heute mehr und mehr „entkernt“ und damit entzaubert wird. Wie viele von uns wissen gar nicht mehr, was sie eigentlich feiern, wenn sie Weihnachten feiern? Und je weniger sie es wissen, umso lauter hauen sie oft auf die Pauke. Sie versprühen künstlichen Goldglanz rund um ein Fest, dass solchen Schnickschnack überhaupt nicht braucht, denn kein Glanz und kein Glimmer leuchten so golden, wie das Stroh in der Krippe von Betlehem, auf dem das göttliche Kind damals lag. Und woran ist uns heute gelegen? Was liegt uns am Herzen, wenn wir Weihnachten feiern? Rührseligkeit und Romantik, Gemüt und Geschenke, Festtagsbraten und freie Tage? Vielerorts macht sich ein fetter Weihnachtsmann breit, wo einst das zerbrechliche Gotteskind lag.
„Bring Christ back to Christmas“, dieses Wort bringt's auf den Punkt. Wenn das Gotteskind nicht mehr in der Krippe liegt, dann ist Weihnachten so hohl wie jeder x-beliebige Jahrmarkt auf den Rummelplätzen dieser Welt. Könnte es sein, dass uns das Christkind tatsächlich abhandenkam? Hat das, was die meisten Menschen an Weihnachten machen, noch etwas zu tun mit dem, was Gott an Weihnachten gemacht hat? Ich glaube, kein anderes kirchliches Fest hat sich so weit von seinem Ursprung entfernt wie das Christfest. Wir machen Party mit „Jingle bells“ und „Drummer boys“ und lassen neben den süßen Glocken vor allem die lauten Kassen klingen. Wir begeben uns auf eine „sentimental journey“ beim „driving home for Christmas“, oder beklagen, dass wir „Last Christmas“ unser Herz an die Falsche verschenkt haben. Geht's noch? Was soll dieser ganze Unfug? Einige Wochen später ist Karneval, da wäre Platz genug für solchen Klamauk!
Mir scheint, Weihnachten ist vielfach zu einem vordergründigen Event geworden, wo sich Menschen aller Couleur unter einem pseudo-religiösen Deckmäntelchen eine heile Welt vorgaukeln wollen. Aber dadurch wird nichts heiler in einer heillosen Welt. Ist das Hochfest der Geburt Jesu Christi gar zum Hochfest der bürgerlichen Verlogenheit und Sentimentalität verkommen, wie es der Dichter Hermann Hesse schon vor vielen Jahren befürchtet hat?1
Ich will mit meinen Gedanken niemandem die Weihnachtsstimmung vermiesen, auch die Feierlaune möchte ich keinem verderben. Ganz im Gegenteil. Ich würde uns allen nur wünschen, wieder den Zauber des Anfangs zu spüren, um tatsächlich zauberhaft feiern zu können. Viele von uns trauern dem Weihnachtszauber ihrer Kindheit wehmütig nach, der untergegangen und verloren erscheint. Zu schön und verheißungsvoll leuchten die Bilder aus längst vergangenen Tagen, als wir voller Spannung aufs Christkind warteten und uns das Geheimnis der Heiligen Nacht tatsächlich ein Wunder versprach. Doch aus der zauberhaften Spannung von einst wurde die krampfhafte Verspannung von heute. Von den alten Bildern blieb nur noch der Rahmen, der Inhalt ist uns schleichend abhandengekommen. Bilden unsere Feiern noch ab, was wir eigentlich feiern? Wir haben einen glitzernden Rahmen geschaffen, den wir von Jahr zu Jahr immer noch üppiger schmücken. Aber wo ist das Bild? Ist es noch sichtbar bei all dem falschen Zauber, den wir drum herum legten? Kann das Urbild der Weihnacht noch aufscheinen im blendenden Licht unserer Festtagsbeleuchtung? Und selbst dort, wo wir aus Gewohnheit und sentimentaler Tradition das „Stille Nacht“ noch anzustimmen wagen, kommen wir schnell aus dem Takt. Schmerzlich erfahren wir, dass wir früher nicht nur mehr Stimme fanden, sondern auch tiefere Stimmung empfanden. „Früher war mehr Lametta“, lamentieren wir dann, doch statt der wahren Ursache des verschwundenen Glanzes nachzuspüren, sprühen wir nur noch mehr Goldstaub auf unsere inhaltsleeren Verpackungen. Und wenn wir auch spüren, dass wir auf diese Weise den verlorenen Zauber des Festes nicht zurückholen können, machen wir trotzdem so weiter. Frei nach dem Motto: „The Party must go on“! Obwohl wir uns sonst kein X für ein U vormachen lassen, haben wir keine Hemmungen, ein verkürztes „X-mas“ zu begehen, anstatt zu einem wirklichen „Christmas“ zu stehen. Und nicht wenige sind dabei so dreist und verzichten gänzlich auf „Christ“. Eine etwas makabre Geschichte, die ich meinen Schülern und Schülerinnen in der Oberstufe alljährlich zu Weihnachten erzählte, berichtet von einer Geburtsfeier, zu der ein junges Paar voller Freude unzählige Gäste einlud. Um das Kind nicht zu wecken, hatte man es in seinem Bettchen auf den Flur gestellt. Nach und nach trafen die Gäste ein. Ihre dicken Jacken und Wintermäntel fanden an der Garderobe bald keinen Platz mehr. Man legte sie ab, wo immer ein Plätzchen zu finden war und machte es sich gemütlich im Haus. Die Stimmung stieg, Partylaune allüberall. Nach einigen Stunden, als der Lärm schon ein ohrenbetäubendes Ausmaß annahm, fragte einer der Gäste etwas verlegen, wo denn das Kind eigentlich sei, zu dessen Geburtsfeier man sich heute doch treffe. Die erschrockenen Eltern eilten auf den Flur und bemerkten voller Entsetzen: Die Berge von Mänteln, Jacken und Roben auf dem Bettchen des Kleinen hatten dem jungen Leben ein jähes Ende bereitet.
Kann das auch das Los des Kindes von Betlehem sein? So weit darf es nicht kommen! Stellen wir das Kind in der Krippe wieder in den Mittelpunkt. Bringen wir „Christ back to Christmas“. Dieses Kind hat es in sich. Nur um seinetwegen haben wir Grund, Weihnachten zu feiern. Alles andere wäre leerer Klamauk. Das sollten wir uns wieder bewusst machen, damit uns der Zauber der Heiligen Nacht nicht gänzlich verfliegt und der schöne Rahmen seinen göttlichen Inhalt bewahrt.
Stille Nacht – aufgewacht!
Das Wort „Advent“ leitet sich vom lateinischen „adventus“ (= Ankunft) ab und ist eigentlich eine Abkürzung für „adventus Domini“ (= Ankunft des Herrn). Dabei geht es um die etwa vierwöchige Vorbereitungszeit, in der sich die Christenheit alljährlich auf das Fest der Geburt Jesu Christi einstellt. Der Begriff „Advent“ könnte aber auch an das englische Wort „adventure“ erinnern, das für Abenteuer steht. Advent als Abenteuer? Was für ein abenteuerlicher Gedanke ist das denn?
Im Wörterbuch wird Abenteuer als ein ungewöhnlich spannendes Erlebnis, als risikoreiches Unternehmen beschrieben. Es ist ein Unterfangen, das man nie ganz in der Hand hat und von dessen Ausgang man sich überraschen lassen muss. Nun war das Warten aufs Christkind zwar schon immer mit Spannung verbunden, aber als abenteuerlich und risikoreich würde es wohl niemand bezeichnen. Das Risiko unseres Advents ist meist darauf beschränkt, die falschen Geschenke zu besorgen oder einen unpassenden Christbaum nach Hause zu bringen. Ein solches Abenteuer hält sich in Grenzen.
In der Geschichte galten Abenteurer als Menschen, die sich aufmachten, ungeahnte Herausforderungen zu bestehen und dem wahren Leben auf die Spur zu kommen. Ihr Antrieb war die Sehnsucht, ihre Faszination das Neue. Charakterzüge, die uns Christen nicht unbedingt nachgesagt werden. Uns liegt es näher, Bewährtes zu bewahren und uns auf Altvertrautes zu verlassen, anstatt alt Vertrautes zu verlassen. So erwarten wir zwar jedes Jahr im Advent die Ankunft des Herrn, doch wir meinen längst zu wissen, wer da kommt, wenn er kommt. Die Ankunft soll gefälligst nach Plan vor sich gehen, exakt angekündigt wie das (heute leider nicht so) exakte Eintreffen eines ICE, das auf den gelben Plakaten am Bahnsteig vorausgesagt wird. Wo kämen wir hin, wenn wir nicht wüssten, was der plant, der bei uns ankommen soll.
Eine solche begrenzt spannende Bahnhofsmentalität reicht uns vollkommen, für unsere Erwartung im Advent. Mehr Spannung muss es nicht sein. Doch Gott ist kein Passagier im Bummelzug des kirchenjährlichen Nahverkehrs. Er ist der Ganz Andere, der stets Unbegreifliche. Ihn zu erwarten ist tatsächlich gewagt. Ihn in seinem Leben ankommen zu lassen, verlangt mehr Abenteuerlust als wir wahrhaben wollen. Doch wollen wir das wirklich? Eines steht fest: Nur, wer sich darauf einlässt, nimmt den Advent wirklich ernst. Jahr für Jahr singen wir „Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet ihn herab“, doch wir machen den Regenschirm auf und stehen unter, um nicht nass zu werden vom Tau, den wir so schmachtend erflehen. Alle adventlichen Texte reden von der Sehnsucht des Menschen nach einem himmlischen Erlöser, vom Heimweh nach dem verlorenen Paradies und vom Hunger nach umfassender Gerechtigkeit. Das ist wahrhaftig ein anderes Kaliber, als Apfel, Nuss und Mandelkern, mit denen wir uns dann doch wieder abspeisen lassen. Im Advent geht es um mehr. Adventszeit ist endgültige Erwartungszeit, nicht vordergründige Vertröstungszeit. Wer Weihnachten feiern will, muss sich im Advent aufmachen zum Abenteuer, das Gott heißt. Menschen erwarten so viel von IHM, erwarten sie auch IHN selbst? Beim kindlichen „Warten aufs Christkind“ haben wir unsere Erwartungen auf dem Wunschzettel klar formuliert. Aber diese kindliche Komfortzone ist unwiederbringlich vorbei. Wer als Erwachsener das Christkind erwartet, muss schon ein wenig offener und abenteuerlustiger sein. Er kann weder gewiss noch sicher sein, was das „Christkind“ ihm bringt, wenn er ihm einen Wunschzettel schreibt. „Dein Wille geschehe“, so beten wir im Vaterunser. Zeugt das nicht auch von großer Abenteuerlust? Wo steht denn geschrieben, dass sein Wille und der meine identisch sein müssen? Ein gewisser Wagemut scheint den Christen unweigerlich ins Stammbuch geschrieben zu sein. Wer dem aus dem Weg geht, braucht von Gott nichts erwarten.
Der Advent ruft uns zu: „Komm mit mir ins Abenteuerland“. Hab' Mut und stimme ein, in die alten Sehnsuchtsgesänge: „O Heiland reiß die Himmel auf“ – „Tauet Himmel den Gerechten!“
Wenn dir das zu riskant erscheint und dein Kleinmut den Wagemut überwiegt, dann hör' auf die Botschaft des weihnachtlichen Engelgesangs, die da lautet: „Fürchtet euch nicht!“ Das Abenteuerland, in das Gott uns führen will, ist auf alle Fälle keine Falle. Es ist das Land vor der Krippe, das Land des Staunens und der Freude darüber, dass mit der Geburt des göttlichen Kindes eine neue Herrschaft anbricht: Die Herrschaft des Friedens, der Güte und der Liebe. Für den Weg in dieses Abenteuerland braucht es keinen Kampfanzug und keinen Ritterschlag. Was wir brauchen, sind offene Hände, ein liebendes Herz und ein kindliches Gemüt. Diese Rüstung genügt, um wirklich menschliche Abenteuer zu erleben. Es werden Abenteuer sein, von denen wir am „Bahnsteig unserer altvertrauten Ängstlichkeit und ich-bezogenen Sicherheit“ gar nicht zu träumen wagten.
Ich weiß nicht, welches Land die Gruppe PUR im Sinn hatte, als sie 1995 das Lied „Komm mit mir in Abenteuerland“ auf den Markt brachte. Für mich ist die erste Strophe ein wahrhaft adventliches Lied und weil die Gedanken frei sind, mögen mir die Interpreten verzeihen, den Text hier einmal adventlich zu lesen und zu verstehen. Die Strophe beschreibt zunächst die Tristesse eines Lebens voller lahmer Gewohnheiten, Energie- und Perspektivlosigkeit, bevor – unverhofft – die Einladung zu einem Neuanfang ergeht:
Und ein kleiner Junge nimmt mich an die Hand
Er winkt mir zu und grinst:
Komm hier weg, komm hier raus
Komm, ich zeig dir was
Das du verlernt hast vor lauter Verstand
Komm mit – Komm mit mir ins Abenteuerland.2
Viele Menschen in unserer hektischen Zeit haben ein echtes Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung. Vielleicht sind wir darum so ansprechbar, wenn uns der anstehende Advent wieder einmal eine „stille Zeit“ und das kommende Weihnachtsfest Tage der Ruhe und des Ausspannens verspricht. Kein Wunder, dass es dann Jahr für Jahr nervt, wenn in dieser ersehnten stillen Zeit die Glocken nicht süßer, sondern immer schriller erklingen. Der Münchner Komiker Karl Valentin brachtet diese schmerzliche Diskrepanz auf den Punkt, wenn er meinte: „Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger.“
Trotz dieses verständlichen Ruhebedürfnisses würden wir gänzlich am Sinn des Advents vorbei leben, wenn wir uns mit einem „Leise rieselt der Schnee, still und starr glänzt der See“ begnügten. Denn „in den Herzen wird's warm“ und „still schweigt Kummer und Harm“ letztlich nur dann, wenn wir uns vorher ein wenig einheizen ließen. Auch in der Liturgie der Kirche geht der Stille der Heiligen Nacht ein aufrüttelnder Lärm voraus, den uns die Lesungstexte der Adventsonntage Jahr für Jahr zu Ohren bringen.
Der Jesuit Alfred Delp bezeichnete den Advent als eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst. Der vorweihnachtliche Wachmacher trägt einen Namen und hat ein Gesicht: Es ist Johannes der Täufer, die große Gestalt des Advents. Er ist gewiss kein Diplomat, ganz und gar kein Leisetreter und auch keine Vorzeigefigur. Eine Erscheinung, wie man sie vom Vorgänger des lange erwarteten Messias bestimmt nicht erwartet hätte. Mit seinem Gewand aus Kamelhaar kleidet er sich anders als ein Bote des Herrn. Heuschrecken und wilder Honig (Mk 1,6) dürften nicht auf der Speisekarte religiöser Autoritätspersonen gestanden haben. Er spricht nicht auf den Marktplätzen und predigt nicht in der Synagoge, sondern verkündet seine Botschaft draußen vor der Stadt, am Ufer des Jordans. Wie er auftritt und was er verlangt, das klingt keineswegs einladend und sympathisch. Dennoch strömen die Leute in Scharen zu ihm hinaus (Mk 1,5). Sie scheinen zu spüren, dass sich da etwas anbahnt, dass sich hier die Worte des Propheten Jesaja erfüllen, der gefordert hat: „Bereitet dem Herrn den Weg, ebnet ihm die Straßen.“ (Jes 40,3)