Stille Nacht im Nirgendwo - Emma Bieling - E-Book

Stille Nacht im Nirgendwo E-Book

Emma Bieling

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Beschreibung

Wenn die "Stille Nacht" zum "Sturm der Liebe" wird
Für die Karrierefrau Desiree sollte es nur ein kurzer Abstecher sein, um ihre Tochter aus einer abgelegenen Unterbringung für Kinder und Jugendliche abzuholen. Doch sie ahnt nicht, dass sie damit in ein wundersames Weihnachtsabenteuer gerät, das ihr ganzes Leben verändern wird.
 
Eine Geschichte voller Wirrungen, Zauberei und Weihnachtswunder

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Emma Bieling

Stille Nacht im Nirgendwo

Ein weihnachtlicher Liebesroman

Für Sabine & TanjaBookRix GmbH & Co. KG81371 München

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EMMA BIELING

 

 

Stille Nacht im Nirgendwo

 

Ein weihnachtlicher Liebesroman

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über das Buch

 

Für die Karrierefrau Desiree sollte es nur ein kurzer Abstecher sein, um ihre Tochter aus einer abgelegenen Unterbringung für Kinder und Jugendliche abzuholen.

Doch sie ahnt nicht, dass sie damit in ein wundersames Weihnachtsabenteuer gerät, das ihr ganzes Leben verändern wird.

 

Eine Geschichte voller Wirrungen, Zauberei und Weihnachtswunder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright ©Emma Bieling

Erstausgabe 12/2023

 

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung und Vervielfältigung, auch nur auszugsweise, sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Personen und Handlungen sind frei erfunden.

 

Bildmaterialien: [email protected]

[email protected]

[email protected]

[email protected]

bieling/bingKI

Umschlaggestaltung: Coverdesign by A&K Buchcover

Lektorat/Korrektorat: rechtschreibprüfung24

Satz: Emma Bieling

Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Digital: BookRix GmbH & Co. KG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Weihnachten ist jener stille Moment, in dem unsere Seele das Herz berührt.“

Roswitha Bloch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Danksagung

 

Ich danke all meinen Leserinnen und Lesern, die mir immer treu zur Seite stehen, egal wie lange das nächste Buch mal wieder auf sich warten lässt. Ohne euch wären meine Geschichten nur leere Worte auf dem Papier. Ihr gebt ihnen Sinn, Leben und Magie. Ihr seid meine Motivation, meine Inspiration, meine Freude. Ihr seid meine Lese-Helden.

 

Mein ganz spezieller Dank gilt dieses Mal einer lieben Instagramerin & Gewinnerin meines Preisausschreibens:

 

Liebe Tanja,

ich möchte mich von ganzem Herzen bei dir bedanken, dass du mir den wunderbaren Namen “Herkules” für mein Kaltblut-Pferd vorgeschlagen hast. Du hast damit nicht nur dem Pferd, sondern auch meiner Geschichte Leben eingehaucht. Du hast mir gezeigt, wie wichtig es ist, einen Namen zu finden, der zum Charakter und zur Persönlichkeit eines Tieres passt. Du hast mir auch geholfen, eine besondere Verbindung zu dem Pferd aufzubauen, das eine wichtige Rolle in meinem Buch spielt.

 

Personen

Tiere & Wichtelheimer Impressionen

Intro

Liebe Leserinnen & Leser,

 

das Gebirgsdörfchen Wichtelheim gibt es nicht. Ebenso wenig dessen Bewohner und all die anderen Protagonisten, die mir während des Schreibens so unglaublich ans Herz gewachsen sind. Sie alle sind Teil meiner Fantasie, die ich gerne mit euch teilen möchte. Herausgekommen ist eine Geschichte voller Emotionen, Verwirrungen und ein Weihnachtswunder, das schöner nicht sein kann. Gleichzeitig ist es eine Hommage an die Weihnachtszeit, an die Ruhe und Stille, und an das magische Gefühl, Teil von etwas Größerem, etwas Heiligen zu sein. Ich wünsche euch frohe Lesestunden und ein ebenso frohes Weihnachtsfest an der Seite eurer Liebsten.

Fühlt euch umarmt,

eure Emma

 

 

Wichtelheim -˃ ein im Thüringer Schiefergebirge liegendes Dörfchen mit weniger als dreihundert Einwohnern. Die Saale durchfließt den kleinen, verschlafenen Ort, der seinen Namen einer Legende verdankt. Schmale Pfade schlängeln sich durch die felsige Landschaft des Mittelgebirges hinauf zu „Kieferle“ und „Dürre Fichte“, umschlossen von einer rauen Vegetation und dominierenden Fichtenbergwäldern. Mit Schieferdach gedeckte Holzbohlenhäuser prägen das Bild des mystischen Ortes, der im Winter ausnahmslos unter einer dicken Schneeschicht versinkt. In jener kalten Zeit durchdringt der Ruf des Waldkauzes die abendliche Stille, ziehen Populationen von Großwild geräuschlos über die zugeschneiten Waldflächen auf der Suche nach Nahrung und hinterlassen ihre Spuren im glitzernden Weiß. In dieser winterlichen Phase ist das Rauschen der Gebirgsbäche nahezu verstummt, ebenso der Gesang des Eichelhähers. Es ist die Zeit der Ruhe, der Besinnung und des inneren Friedens, aber auch des Verzichts. Kein Wichtelheimer jagt in dieser entschleunigten Zeit oder wagt es der Natur etwas wegzunehmen, das ein anderes Lebewesen zum Überwintern benötigt. In der Ferne ist dann oft das Heulen hungriger Wölfe zu vernehmen, das sich mit dem Brechen von Geäst vermischt, welches unter der Last kristallisierenden Niederschlags nachgibt und zu Boden fällt. In jener dunklen Jahreszeit erhellen Schwibbögen die Fenster der Häuser, während kleine Rauchschwaden aus ihren Schornsteinen in den schneewolkenverhangenen Himmel emporsteigen. Der Duft von gebrannten Mandeln und Kaffeebohnen vermischt sich in jener winterlichen Zeit mit dem Wohlgeruch verbrannten Kiefernholzes. Nicht selten verweilt Väterchen Frost in dieser Höhenlage des Schiefergebirges bis weit ins Frühjahr hinein und hüllt das kleine Dorf in einen monatelangen Winterschlaf, der märchenhafter nicht sein könnte.

 

1

 

22. Dezember

 

Desiree/ Frankfurt am Main

 

Ihre Absätze schlugen hart auf den Boden, während sie den Ordner fest an ihre Brust drückte. Kaum jemand traute sich aufzuschauen oder seinen Blick vom Computer abzuwenden. Dennoch konnte sie ihre Gedanken förmlich spüren, bevor sie im Büro des Junior-Chefs verschwand. Sie schloss die Tür und schwang sich mit einem Seufzer auf seinen Bürotisch. »Wir sollten es beenden!«

Jean-Pierre, der bis eben noch tiefenentspannt in seinem Ledersessel angelehnt saß, schob sich nach vorn. »Du machst Scherze, oder?«

»Nein, ich meine es ernst.« Desiree legte den Ordner ab, öffnete zwei Knöpfe ihrer Bluse und fächerte sich Luft zu. »Irgendwann wird es uns den Job und dich die Ehe kosten.«

Mit einem selbstgefälligen Grinsen ließ er seinen Finger über ihren Schenkel wandern. »Wer sollte uns denn verraten? Du?«

Sie presste sich ein theatralisches Lachen heraus. »Ich bitte dich, die gesamte Abteilung des Risikomanagements tuschelt doch längst darüber.«

»Gut, dann wechselst du eben die Abteilung.«

»Ich werde ganz sicher nicht umziehen.« Sie verschränkte ihre Arme und blickte ihn eindringlich an. »Du weißt, das kann ich Maike nicht antun. Sie steckt gerade in einer schweren Phase und muss sich erst daran gewöhnen, zwischen zwei Elternhäusern hin und her zu pendeln.«

»Ich dachte da auch eher an einen Etagenwechsel.«

»Innerhalb der Bank?«

Seine Hand glitt über die seidig schimmernde Strumpfhose unter ihren Rock. »In drei Monaten geht der alte Kunibert in Rente, da könnte ich ein gutes Wort beim Senior für dich einlegen.«

Desiree entzog ihm ihr Bein. Ihre Augen blitzen erregt auf. Sie schob sich vom Tisch und ließ sich auf dem gegenüberstehenden Stuhl nieder. »Du denkst, ich könnte die Leitung der Kreditabteilung übernehmen? Ich meine ja, das wäre wirklich fantastisch.«

»Senior hat dich auf alle Fälle im Auge dafür, soweit ich weiß. Insofern hast du gute Chancen auf den Posten.« Seine Hände griffen erwartungsvoll über den Tisch. »Gib mir deine Hände. Ich will sehen, welcher Edelstein am besten zu dir passt.«

»Du weißt, dass ich keine Geschenke von dir annehme.«

»Du bist die Liebe meines Lebens, Baby. Also werde ich dir doch wohl einen Ring …«

»Pst, nicht so laut«, fuhr sie ihm ins Wort. »Die Wände in diesem Haus haben Ohren. Und du kennst die Firmenregel. Keine sexuellen Beziehungen innerhalb des Unternehmens.«

»Wen juckt das schon. Mein Vater hat im Kopierraum mehr Büromiezen flachgelegt, als Papiere ausgedruckt.«

Desiree schob angewidert ihr Kinn nach vorne und überschlug die Beine. Tief in sich spürte sie, dass diese Affäre keinen dauerhaften Bestand haben durfte. Jean-Pierre war verheiratet. Ein Status, den er so schnell nicht aufgeben würde. Und selbst wenn, war sie sich nicht sicher, ob er der Richtige war. »Wir sollten dennoch diskreter vorgehen und zumindest den Anschein einer rein beruflichen Beziehung wahren«, schlug sie vor und legte ihre Hand besänftigend in seine.

»Das heißt, kein Quickie mehr während unserer Überstunden? Schade, ich mochte das kühle Mahagoniholz des Schreibtisches unter deinen Pobacken.«

Seine primitive Reaktion war definitiv zu viel für sie. Sie bat um Diskretion, und er gab ihr das Gefühl, nichts als ein Zeitvertreib und Sexobjekt zu sein. Wüten darüber, sprang sie auf. »Ganz genau das heißt es!«

»Ach komm schon, du reagierst über.«

»Tue ich nicht. Ich reagiere angemessen. Und falls wir dann fertig wären, würde ich gerne wieder an meinen Arbeitsplatz zurückkehren.«

 

2

Henning/ Erfurt

»Ich kann es einfach nicht glauben! Deine Tochter schleppt dieses räudige Vieh an und du schweigst erneut!« Mona fuchtelte wütend mit ihren Händen vor Hennings Gesicht herum. »Herrgott nochmal, wann wirst du ihr endlich Grenzen aufzeigen?«

Henning schluckte schwer. Sein Blick glitt hinüber zur Zimmertür seiner Tochter, dann hinab zum Boden. »Sie braucht Zeit, um sich daran zu gewöhnen.«

»Wie viel Zeit denn noch? Nein, Henning, sie braucht keine Zeit, sondern Konsequenzen. Und zwar sofort.«

»Nun beruhige dich doch erst einmal«, versuchte er die neue Frau in seinem Leben zu beschwichtigen. »Es ist doch nur ein Eichhörnchen.«

Mona schnappte nach Luft, während sich ihre Wangen vor Wut rot färbten. »Nur ein Eichhörnchen? Ja, diese Woche, Henning. Letzten Monat war es ein völlig verlauster Igel. Und davor eine Fledermaus.« Sie atmete hörbar laut aus. »Dabei hatten wir noch Glück, dass dieses schwarze Flattertier keine Tollwut hatte.«

»Sie mochte eben schon immer Tiere.«

»Das tue ich auch! Deshalb gehen wir ja auch regelmäßig in den Zoo.«

Er seufzte tief betroffen auf. »Was soll ich denn tun? Sie aus dem Haus werfen, weil sie nicht bereit ist ein verletztes Eichhörnchen aufzugeben?«

Mona griff nach der Kaffeekanne. »Ja, vielleicht solltest du genau das tun.«

Er schob ihr seine Tasse entgegen. »Aber Mona, Süße …«

»Nix Mona, Süße, mir reicht es. Und deinen Kaffee kannst du dir auch alleine nachschenken.« Sie ignorierte seine Tasse und schenkte sich alleine nach. »Entweder sie geht oder ihr fliegt beide raus, das ist mein letztes Wort.«

»Aber ich habe mit Desiree abgesprochen, dass Maike dieses Weihnachten bei uns verbringt.«

»Das ist mir egal. Denk dir was aus oder pack deine Koffer.«

3

Maurus/ Wichtelheim

Der Ohrensessel in dem Winfried saß, hatte schon sechzig Jahre auf dem Buckel. Dennoch saß er immer noch genauso gerne darin wie früher in seiner Kindheit. Er legte sein Buch beiseite und blickte hinüber zum Kamin. Die verkohlten Holzscheite knisterten hörbar laut und hüllten den Raum in eine wohlige Wärme. Sein Blick glitt zum Esstisch, an dem sein Sohn saß und Weihnachtsgrußkarten schrieb. »Die Bescherung für die Kinder darf dieses Jahr nicht ausfallen«, sagte er leise und fuhr sich über den gestutzten Bart.

»Der Doc hat aber gesagt, dass du dir zwingend diese Auszeit nehmen musst, wenn du keinen zweiten Herzinfarkt erleiden willst, Paps.«

»Ja, ich weiß, was er gesagt hat«, brummte Winfried zurück. »Du tust es.«

Maurus erhob seinen Kopf. »Was?«

»Du tust es«, wiederholte der alte Mann und wies auf die weiß umrandeten Stiefel vor der hölzernen Truhe, in der alles für den einen besonderen Tag im Jahr lagerte. »Du wirst sie anziehen und die Kinder bescheren.«

Auf Maurus Stirn pressten sich kleine Schweißtropfen aus jeder Pore. »Ich kann das nicht.« Sein Herz begann schneller zu schlagen beim Gedanken an die vielen Kinder, denen er begegnen würde.

»Wie lange denn noch, mein Junge? Wie lange willst du dich noch vor jedem Kinderlachen verstecken? Wann siehst du endlich ein, dass du deine Frau und deine Tochter nicht hättest retten können? Selbst dann nicht, wenn du mit ihnen im Auto gesessen hättest.«

Maurus erhob sich und schüttelte den Kopf. »Nein, bitte verlang das nicht von mir.«

»Junge, du musst damit abschließen und wieder anfangen dein Leben zu leben.«

»Hör auf das zu sagen!« Maurus Faust schlug hart auf die Tischplatte. »Sie war gerade mal vier Jahre alt, verstehst du?«

Winfried stöhnte schmerzerfüllt auf. »Ich weiß, Junge, ich weiß. Aber mittlerweile ist es zehn Jahre her. Auch der größte Schmerz sollte irgendwann mal ein Ende haben. Weder Jessica noch deine kleine Lea hätten gewollt, dass du dich nach ihrem Tod aufgibst und leidest.«

»Hör auf, Vater, ich will das nicht hören!« Von Selbsthass zerfressen verließ er das Zimmer und stapfte die hölzerne Treppe hinauf zu seinem Zimmer.

»Mit ihrem Tod ist auch der Tod in unser Haus eingezogen«, rief Winfried ihm nach. »Aber noch schlimmer ist es mit anzusehen, wie alles Lebenswerte aus dem Körper meines einzigen Kindes gewichen ist.«

Die Tür schlug ins Schloss und der alte Mann lehnte sich seufzend zurück in die Lehne seines Sessels. Wie unzählige Male zuvor in all den Jahren faltete er seine Hände zum Gebet. Aber dieses Mal bat er Gott nicht um Vergebung, sondern um ein Weihnachtswunder.

4

23. Dezember

Desiree/ Frankfurt am Main

»Da ist eine Viktoria Sachs in der Leitung für Sie. Soll ich durchstellen?«

»Sagen Sie ihr, dass ich keine Neukunden berate.«

»Sie sagt, es wäre wichtig.«

Desiree rollte genervt mit den Augen. »Ich habe jetzt keine Zeit für Leute deren Namen ich nicht kenne. Wer ist die Dame überhaupt? Hat sie eine größere Anlage oder Aktienfonds an unserer Bank?«

»Moment, ich frage nach.« Einigen Sekunden der Stille. »Sie sagt, es ginge um Ihre Tochter.«

»Um meine …?« Desiree schluckte. »Okay, stellen Sie durch.«

»Spreche ich mit Desiree Erdmann?«

»Ja.«

»Viktoria Sachs mein Name, ich leite die Kinder- und Jugendunterbringung in Wichtelheim.«

»Okay, und was hat das mit meiner Tochter zu tun?«

»Ihr Exmann Henning erklärte uns, er könne sie nicht erreichen. Deshalb sah er sich gezwungen, die gemeinsame Tochter Maike bei der örtlichen Jugendfürsorge abzugeben.«

»Moment, er hat was?«

»Ihre Tochter beim Jugendamt in Erfurt abgeliefert. Er hat wohl aktuell persönliche Probleme und möchte deshalb Abstand von seinem Recht auf Sorge nehmen. Leider gab es vor Ort keine Unterbringungsmöglichkeiten so kurz vor den Festtagen, sodass Maike derweil zu uns verbracht wurde.«

Geschockt über die Neuigkeiten rang Desiree nach Worten. »Aber, aber … das kann er doch nicht einfach tun.«

»Und sie haben keine Anrufe oder Nachrichten von ihm erhalten?« Konfrontiert damit zog Desiree ihr Handy aus der Tasche, schaltete es ein und erstarrte, als ein endloser Strom von Benachrichtigungen sie überflutete. »Oh, ähm, doch, da sind einige Anrufe und Nachrichten. Ich hatte wohl noch den Flugmodus an. Das mache ich immer, wenn wir Besprechungen haben. Wie soll man denn wissen, dass Henning sich nicht an die Absprachen hält? Er ist doch ihr Vater, oder? Er hat die verdammte Verantwortung, sich zu kümmern.«

»Tja, das hat er aber jetzt an Eides statt widerrufen.«

»Widerrufen? Was bedeutet das?«

»Er hat praktisch auf seinen Anteil am Sorgerecht verzichtet.«

»Was für ein Arschloch! Entschuldigung, ich stehe nur gerade etwas unter Druck. Und ehrlich gesagt, bin ich stinksauer. Wie stellt er sich das denn vor? Ich bin vollkommen verplant die Feiertage.«

»Sie sehen also keine Möglichkeit Ihre Tochter zu sich zu holen über die Weihnachtszeit?«

Desiree zuckte regelrecht zusammen bei der Frage. Was war sie eigentlich für eine Mutter, wenn die eigene Tochter nicht in ihre Arbeitsplanung passte? »Natürlich hole ich sie ab. Ich bekomme das schon alles irgendwie geregelt.«

»Sicher?«

»Selbstverständlich. Ich bin schließlich Ihre Mutter, nicht wahr? Wo sagten Sie nochmal ist die Kinder- und Jugendunterbringung?«

Drei Stunden später

Desiree war kopflos aus dem Bankgebäude gerannt und in ihr Auto gesprungen. Je schneller sie Maike abgeholt hätte, desto schneller könnte sie wieder zurück an ihren Schreibtisch kehren. Sie brauchte nur noch eine Nanny zu finden. Sie entschied sich für Anne, ein neunzehnjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft, das gut mit Maike auskam. Maike war nicht einfach zu handhaben, das wusste Desiree von ihrer Mutter, die immer viel Geduld und Nervenstärke verlangte. Vielleicht war das auch der Grund, warum sie ihre Wohnung verkauft und sich nach Teneriffa abgesetzt hatte, anstatt ihre Oma-Pflichten zu erfüllen. Das Rufzeichen erklang, dann Annes Stimme. »Gott sei Dank erreiche ich dich. Ich brauche dich heute Abend.«

»Heute noch?«

»Ja, sagte ich doch.«

»Ähm, na ja, heute ist wirklich schlecht. Ich bin verabredet mit meinem Freund.«

»Kein Problem. Dann bringst du ihn eben mit.«

»Aber wir wollten ins Kino.«

»Schaut den Film doch einfach bei mir.«

»Auf dem riesigen Fernseher an der Wand?«

»Klar, ihr habt freie Filmauswahl, egal ob Netflix oder Amazon-Prime. Und ich zahle doppelt so viel wie üblich.«

»Wow«, hauchte Anne ins Telefon. »Also schön. Wann soll ich da sein?«

»Lass mich mal überlegen. Ich brauche noch zirka eineinhalb Stunden bis zu diesem Dorf, eine Stunde zum Kind einsammeln, drei Stunden und vierzig Minuten zurück …, sagen wir neunzehn Uhr herum?«

»Okay, ähm, was meinen Sie mit Kind einsammeln?«

Desiree atmete tief ein und seufzte. »Ach, frag mich bloß nicht, ist eine verrückte Geschichte. Und falls ich mich verspäten sollte, dann …«

»Ich weiß, dann lasse ich mir von Susanne die Tür aufsperren.«

»Genau. Und Anne, ihr lasst die Finger vom Champagner im Kühlschrank. Ansonsten könnt ihr euch bedienen.«

Desiree lehnte sich entspannt in die Rückenlehne ihres Autositzes zurück und hörte eine CD, während sie fuhr. Sie hatte eine Hand am Steuer und die andere locker auf dem Schoß. Sie liebte es bei der Fahrt ein Buch anzuhören, vor allem Krimis. Gespannt lauschte sie der Stimme der Sprecherin.

Umso tiefer sie in den Wald hineinlief, desto mehr wandelten sich die Farben in eine Mischung aus düsteren Grau- und Grüntönen. Morsch gewordene Äste, die auf dem Weg lagen, knackten unter ihren Füßen bei jedem Schritt. Irgendwann hielt Luna inne. Ein Schatten huschte durchs Unterholz. War das ein Tier? Oder trieb sich vielleicht sogar der Täter noch hier herum? Luna unterließ das Atmen, während ihre Augen auf den Baum gerichtet waren, hinter dem der Schatten verschwand. Ihr Herz raste. Für Sekunden stand sie wie erstarrt da und wagte nicht sich zu rühren. Durch ihren Kopf schossen die verrücktesten Gedanken. Was, wenn der Täter sie gerade beobachtet? Was, wenn er blitzschnell hervorspringt, sie greift und kampfunfähig macht? Das übel zugerichtete Gesicht der Toten hatte sich wie ein glühendes Eisen in ihr Gedächtnis gebrannt. Wer zu so etwas imstande war, der schreckte auch vor einen weiteren Mord nicht zurück. Langsam spürte sie wieder ihre Gliedmaßen, ihre Hand die sich dem Waffengurt näherte. Wie lange sie wohl bräuchte um ihre P6 zu ziehen? Ein Rascheln. Dann huschte der Schatten hinter dem Baum hervor. Luna zog ihre Waffe und hielt sie fest in der Hand, beide Arme nach vorne gestreckt. »Wer ist da?«

Nichts, außer dem Knacken von Holz.

»Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.«

Nichts, keine Reaktion.

Luna spürte die Spannung in ihren Muskeln. Sie würde keinen Moment zögern und schießen, wenn der Täter sie angreifen würde. »Zum letzten Mal, kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.«

Aufleuchtende Bremslichter signalisierten ihr, dass es scheinbar nicht weiterging. Der Verkehrsfluss geriet ins Stocken. Da nutzte weder hupen etwas, noch überholen. Langsam zog sich der Verkehr durch eine Baustelle. Die nette Stimme vom Routenplaner verkündete: In eintausendsechshundert Metern rechts abfahren auf A70/ B26a Richtung Arnstein/ Bamberg/ Erfurt. Doch Desiree war so fixiert auf das Hörbuch, dass sie die Abfahrt verpasste.

Verdammt, verdammt, verdammt! Desiree ließ ihrem Ärger freien Lauf. In ihrem Auto konnte sie das. Auf ihrer Arbeit musste sie immer professionell sein. Sie hatte eine kostbare halbe Stunde verloren. Zumindest wusste sie jetzt, ob der Täter im Geäst gelauert hatte. Ihr Handy klingelte. Ohne draufzuschauen, ging sie dran. »Erdmann.«

»Wo zur Hölle bist du?« Jean-Pierre schien völlig aufgelöst zu sein.

»Auf dem Weg nach Wichtelheim.«

Jean-Pierre schnappte hörbar laut nach Luft. »Du kannst doch nicht …, ich meine, wieso? Was willst du dort?«

»Ich erkläre dir alles später, wenn ich zurück bin, okay?«

»Wir brauchen dich aber jetzt. Kunibert ist vom Stuhl gekippt und mit ihm die Weihnachtspräsentation für die geköderten Anleger. Du weißt, da geht’s um einige Millionen.«

Desiree gab Gas und hupte den vor sich fahrenden Kraftfahrer zur Seite. »Was heißt, er ist umgekippt? Dann setzt ihn zurück auf den Stuhl und flößt ihm ordentlich Wasser ein. Ich habe ihm schon immer gesagt, dass er zu wenig trinkt.«

»Das nützt nichts, er ist mausetot. Und er hat das personalisierte Passwort mit ins Jenseits genommen.«

»Ach du heilige Scheiße. Die ganze Ausarbeitung liegt verschlüsselt auf Kuniberts Festplatte?«

»So ist aktuell die Lage. Uns bleiben demnach noch genau vierundzwanzig Stunden, um an das Passwort heranzukommen oder eine neue Präsentation zu erstellen.«

»Was ist mit Benny? Er hat Zugriff auf alle Kopien.«

»Der ist gestern nach Alaska geflogen und vorm neuen Jahr nicht zu erreichen. Du musst unbedingt sofort zurückkommen, hörst du? Das ist deine Chance die Karriereleiter schneller aufzusteigen.«

»Ich kann nicht umkehren. Ich muss erst zu meiner Tochter, ein familiäres Problem quasi. Außerdem, wie stellst du dir das vor? Dass ich das neue Anlageprojekt der Kreditabteilung präsentiere?«

»Wenn du den Job als Leiterin der Kreditabteilung willst, ja.«

»Aber …« Desiree spürte wie die Anspannung mit jedem weiteren Satz ihren Körper versteifte. Wütend schlug sie auf die Hupe. »Diese verfluchten Sonntagsfahrer.«

»Was ist nun?«, drängte Jean-Pierre sie zu einer Antwort.

»Moment! Ist das etwa Schnee?« Desiree rutschte näher an die Frontscheibe heran. Dicke Flocken patschten auf ihr Sichtfeld und wirbelten derart stark durch die Luft, dass sich die eben noch gut erkennbare Straße vor ihren Augen zu einem weißen nebeligen Schleier wandelte. »Ich rufe dich gleich nochmal zurück, okay?«

»Okay, Baby. Und vergiss nicht, Senior und ich zählen auf dich.«

Die Landstraße fädelte sich wie ein schier endloser Streifen durch eine ausnahmslos schneebedeckte Gebirgslandschaft mit Straßengefällen und Steigungen die nichts mehr mit einer kultivierten Fahrbahn zu tun hatten. Seit einer viertel Stunde hatte sie kein einziges Haus mehr gesehen. Nichts außer einer bewaldeten Einöde die zunehmend unter einem winterlichen Weiß versank. Ich muss mich verfahren haben. Desiree rüttelte an ihrem Handy herum. »Verdammt, sprich mit mir. Sag mir, ob ich hier richtig bin.« Doch die Stimme blieb stumm. Stattdessen ein Hinweis: Unterbrochene Internetverbindung. Das darf doch alles nicht wahr sein. Desiree verlangsamte ihre Geschwindigkeit. Unmöglich konnte hier noch irgendwo Zivilisation sein. Beunruhigt überlegte sie zu wenden, als sie ein Tuckern hinter sich vernahm. Sie blickte in den Rückspiegel und erkannte im Schneegestöber einen Traktor, der sich ihr näherte. Gott sei Dank, dachte sie, brachte ihr Auto zum Stehen und rannte mit wilden Gesten aus dem Fahrzeug. »Hallo, ich benötige Hilfe.« Der Fahrer des Traktors hielt an und klappte seine Seitenscheibe hoch. »Gibt’s ein Problem?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf der richtigen Straße bin. Mein Routenplaner hat kein Netz.«

Der Fremde richtete seine Mütze. »Sie sind wohl nicht aus der Gegend?« Sein Blick glitt hinab zu ihren Füßen, dann rüber zu ihrem Kennzeichen. Erst jetzt bemerkte Desiree, dass sie knöcheltief mit ihren Pumps im Schnee stand. »Nein, aus Frankfurt am Main.«

Er schnippte den abgebrannten Stummel seiner Zigarette aus dem kleinen Fenster und nickte. »Verstehe. Und wo solls hingehen?«

»Nach Wichtelheim.«

Er musterte sie skeptisch. »Sicher?«

»Wieso? Sagen Sie nicht, ich habe mich vollkommen verfahren?«

»Das nicht, aber um diese Jahreszeit ist da oben alles dicht. Es gibt keine freien Zimmer.«

»Oh, nein-nein, ich will nicht Urlaub machen oder so. Ich will zur Kinder- und Jugendunterbringung.«

»Verstehe.« Er klappte sein Fenster zu und stieg aus. »Mit den Reifen kommen Sie hier nicht weit. Haben Sie Schneeketten dabei?«

»Was?«

»Schneeketten für Ihr Fahrzeug, Lady. Haben Sie etwa das Schild unterhalb am Straßenrand nicht gesehen? Das auffällig hellblaue mit den weißen Reifen und den Schneeketten darauf.«

Desiree wies mit ihrer Hand zum Traktor. »Sie haben auch keine, oder? Also sagen Sie mir einfach nur wie weit es noch bis Wichtelheim ist.« Mittlerweile zitterte sie am ganzen Körper. Fröstelnd fuhr sie sich mit den Händen über die Arme und wippte von einem Bein aufs andere.

»Ohne Schneeketten keine Chance.«

»Aber ich muss zu meiner Tochter. Es ist wirklich dringend.«

»Ihr Kind ist da oben? Also schön, hängen Sie sich hinten dran?«

Keine Ahnung, warum Desiree angenommen hatte, dass sie dem Traktor nachfahren sollte. Allerding meinte der Fremde es wortwörtlich. Mit einem Abschleppseil zog er ihren Wagen noch gute zwanzig Kilometer eine Steigung herauf, bis sich rechts der Straße ein kleiner Waldweg auftat an dem ein halb zugeschneites Hinweisschild stand – Wichtelheim/ 5 Km.

5

Desiree/ Wichtelheim

Das Ortseingangsschild war an einer Seite abgebrochen. So, als hätte ein Bär sich darin verbissen. Desiree schauderte bei dem Gedanken an wilde gefräßige Tiere. Das Schneetreiben hatte weiter zugenommen und sie war froh, an einem Traktor zu hängen und nicht selbst auf einer Straße fahren zu müssen, die sie nicht sehen konnte. Alles in diesem Ort lag unter einer dicken Schneeschicht begraben. Lediglich die Schornsteine ragten aus dem glitzernden Winterweiß heraus und pusteten dicke Rauchwolken in den verhangenen Himmel. Langsam tat sich in ihr die Sorge auf, den Weg zurückzufinden. Der Traktorfahrer hielt vor einem großen Holztor. Desiree musste hart bremsen, um nicht aufzufahren. Der Fremde stieg aus, während sein Traktor weiter tuckerte. »Da wären wir.« Er machte das Abschleppseil von den Fahrzeugen los und legte es geschickt in Schlingen über Arm und Hand. »Die Klingel ist eingefroren, Sie müssen Hupen«, erwähnte er noch, bevor er sich zurück auf seinen Traktor setzte und den Gang einlegte, um weiterzufahren. Desiree sprang aus ihren Wagen. »Moment, ich habe mich noch gar nicht bedankt bei Ihnen.« Panisch kramte sie in ihrer Handtasche nach etwas Kleingeld.

»Nicht nötig«, brummte er, zog seine Mütze vom Kopf und klopfte den Schnee daran auf seinen Knien ab. »Na dann, frohes Fest, Lady. Ich hoffe, Sie haben ein richtig tolles Geschenk für Ihre Tochter dabei.«

»Nein-nein, wir bleiben nicht bis Heiligabend.«

»Sie wollen noch heute wieder herunterfahren?«

Desiree nickte.

»Vergessen Sie es. Noch ein-zwei Stunden, dann fährt hier nix mehr.« Mit seinem markanten Kinn wies er hinauf zum Himmel. »Da kommt noch ordentlich mehr runter.«

»Und was ist mit dem Streudienst? Die Straßen werden doch bestimmt bald geräumt, oder?«

Ein schallendes Lachen ertönte aus der Fahrerkabine. »Wenn es hier einmal anfängt zu schneien, kommt nicht mal ein Schneepflug die Straße hoch, glauben Sie mir.«

»Und was ist mit Ihnen? Sie könnten mich doch sicher wieder herunterbringen.«

»Und wie genau sollte ich das tun?« Er lehnte sich schon fast amüsiert aus der geöffneten Fahrertür in Erwartung einer schlagfesten Antwort.

»Sie haben schließlich diese riesigen Reifen, nicht wahr? Die kommen doch ganz bestimmt durch jede Schneeverwehung. Und meinen Wagen könnten wir doch vielleicht auf den Anhänger fahren. Ich bezahle Ihnen auch einhundert Euro.«

»Einhundert?«

Desiree sah Ihre Chance gekommen. Wenn es um Verhandlungen ging, hatte sie die Nase vorn. Und das nötige Kleingeld. »Zweihundert Euro.«

»Ich befürchte, dass Sie mit Ihrer Tochter wohl einige Tage hier oben verbringen müssen.«

Desiree konnte nicht glauben, was sie hörte. Hatte er gerade eben ihr unschlagbareres Angebot abgelehnt? Das konnte sie nicht hinnehmen. Eine Desiree Erdmann ist noch aus jeder Verhandlung als Siegerin hervorgegangen. »Ich verdopple auf vierhundert Euro.«